BLKÖ:Wertheim, Wilhelm
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 55 (1887), ab Seite: 116. (Quelle) | |||
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Theodors. Er machte seine Studien in Wien, wo er auch an der Hochschule die Medicin beendete und 1839 daraus die Doctorwürde erwarb. Im September dieses Jahres ging er nach Berlin, wo er im Laboratorium Mitscherlich’s arbeitete und nun seinen bisherigen Plan, Arzt zu werden, aufgab, um sich ganz der Forschung im naturwissenschaftlichen Gebiete zu widmen. Bei seiner besonderen Begabung für die Mathematik wählte er die Physik, und nachdem er in Berlin mit ausgezeichneten Männern dieses Faches in freundschaftliche Beziehungen getreten, nahm er 1840 seinen bleibenden Aufenthalt in Paris, welche Weltstadt ihm alles zu seinen Forschungen und sonstigen Wünschen Erforderliche bot. Nach zehn Jahren, während deren er durch seine wissenschaftlichen Leistungen, auf die wir noch zurückkommen, sich in gelehrten Kreisen einen Namen machte, kehrte er 1850 in seine Vaterstadt zurück, wo er bereits 1848 von der mittlerweile ins Leben gerufenen Akademie der Wissenschaften zum correspondirenden Mitglied für die mathematisch-naturwissenschaftliche Classe gewählt worden war. Er ließ nichts unversucht, um nun eine seinen Kenntnissen und Leistungen entsprechende Stellung im Vaterlande zu erhalten, als man ihm aber bei den damals bestehenden Verhältnissen, in welchen [117] das Religionsbekenntniß eine große Rolle spielte, nicht mehr als eine Docentur seines Faches an der Wiener Universität anzubieten im Stande war und an jede weitere Aussicht die Bedingung seines Uebertrittes zur katholischen Kirche knüpfte, ließ er, verstimmt und entschieden einen Glaubenswechsel abwehrend, jeden weiteren Versuch als vergeblichen fallen und kehrte nach Paris zurück, nicht nur um ferner dort zu bleiben, sondern sich auch als Franzose naturalisiren zu lassen. „Oesterreich und mit ihm Deutschland“, heißt es in seinem Nekrologe, „verloren auf diese Weise einen ausgezeichneten Forscher, während seine Arbeiten in der Folge mit dazu beitrugen, den Ruhm der französischen Gelehrsamkeit zu vermehren, welchen Zuwachs dieselbe doch nur dem österreichischen Gelehrten verdankt. Aber Frankreich besaß hinwieder ein Recht auf ihn und durfte dessen Arbeiten als sein Eigenthum betrachten, da es dem Genius den Boden zur Entwicklung desselben gewährt hatte.“ Bald nach seiner Rückkehr wurde Wertheim als Examinateur d’entrée an der berühmten Pariser École polytechnique angestellt, dann bei der Pariser Weltausstellung 1855 zum Mitgliede der Jury ernannt und bei dieser Gelegenheit mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet. Von da ab lebte er in stiller Zurückgezogenheit, ausschließlich mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Da wurde er im Jahre 1860 – wohl infolge zu großer geistiger Anstrengung – von einem tiefen Trübsinn befallen. Im Jänner 1861 unternahm der Gelehrte eine Reise von Paris nach Tours, wo er sich von dem Glöckner die Kathedrale von Saint Gatien öffnen ließ, dann den Thurm, wie um von demselben die Aussicht zu genießen, bestieg und auf der Plattform angelangt, sich in die Tiefe hinabstürzte. Da er sich in guten pecuniären Verhältnissen befand, eine angesehene Stellung besaß und von früher Jugend an als scharfer Verstandesmensch galt, wenig gemacht zu Quersprüngen des Gemüthes, so fand sich keine andere Ursache für diesen Selbstmord vor als der Trübsinn, dem er seit Monaten verfallen war. Wie bemerkt worden, hatte sich Wertheim dem Studium der Naturwissenschaften und unter diesen vornehmlich der Physik zugewendet. Der Gegenstand, den er sich in dem umfassenden Gebiete derselben erwählte, war vor Allem die Prüfung und Erforschung der Gesetze der Elasticität, sowohl im Zusammenhange mit den sonstigen physicalischen Eigenschaften der Körper, als auch in ihrer etwaigen Uebereinstimmung mit den darüber aufgestellten Theorien. Er knüpfte mit seinen Untersuchungen an die seiner Vorgänger Bernouilli, Rovier, Poissier und Cauchy an und gelangte dabei zu neuen Resultaten. 1842 überreichte er der französischen Akademie seine erste Arbeit: „Ueber die Elasticität und Cohäsion der Metalle“. Er dehnte nun seine Forschungen aus, indem er, wie vorher die einfachen Metalle, nunmehr eine große Reihe von Legirungen seiner Untersuchung unterzog. Auf die Metalle und ihre Legirungen folgten in den Jahren 1844–1846 seine Untersuchungen über die Elasticitätseigenschaften der Gläser, Hölzer und der Gewebe des menschlichen Körpers, welche letzteren namentlich für den Physiologen ebenso interessant als werthvoll sind. Das nächste Problem, welches er sich zu seinen Forschungen wählte, griff in das Gebiet der Akustik; er untersuchte die Geschwindigkeit des Schalles in Flüssigkeiten, die tönenden Schwingungen in [118] der Luft; die Schwingungen kreisförmiger Platten, die Fortpflanzung der Bewegung in festen und flüssigen Körpern, die Geschwindigkeit des Schalles in Stäben u. s. w. Anläßlich seiner Erwerbung des Doctorates der Wissenschaften an der Pariser Facultät legte er dieser seine Abhandlung über die durch mechanische Kräfte künstlich hervorgebrachte Doppelbrechung in isotropen Körpern vor, welcher er eine kleine Arbeit über die Elasticitätsverhältnisse einiger Mineralien beifügte. Seine Arbeiten aus letzter Zeit bezogen sich auf eine über die Erscheinungen der Capillarität und über die kubische Compressibilität einiger homogener fester Körper angestellte Untersuchung, in der er eine Reihe von Einwürfen widerlegte, welche mehrere Gelehrte, zuletzt Kirchhoff, gestützt auf interessante Experimente gegen die von Wertheim vorgeschlagenen Modificationen der Cauchy’schen Elasticitätstheorie erhoben hatten. Die letztgenannten zwei Arbeiten aber waren zur Zeit, als er aus dem Leben schied, mit Ausnahme einer Notiz in den Comptes rendus der französischen Akademie, noch nicht gedruckt. Wir schließen diese Lebensskizze des Gelehrten mit einer Uebersicht seiner in verschiedenen Sammelwerken abgedruckten Arbeiten: „Observationes physiologicae. Dissertatio inauguralis“ (Vindobonae 1839), – „Mémoire sur les propriétés du bois“ (Paris 1846), gemeinschaftlich mit Chevandier; – „Note sur la relation entre la composition chimique et l’élasticité des minéraux à l’élasticité constante“ (Paris 1854); in den von Gay-Lussac, Arago, Chevreul und Dumas herausgegebenen Annales de chimie et de physique: „Recherches sur l’élasticité“, 3 Abhandlungen [Ser. III, Vol. XII, 1844]; – *„Sur l’influence des basses températures sur l’élasticité des métaux“ [ib., Vol. XV, 1845]; – „Sur l’élasticité et sur la cohésion des différentes espèces de verre“, in Gemeinschaft mit Chevandier [ib., Vol. XIX, 1847]; – „Mémoire sur l’élasticité et la cohésion des principaux tissus du corps humain“ [ib., Vol. XXI, 1847]; – „Mémoire sur l’équilibre des corps solides homogènes“ [ib., Vol. XXIII, 1848]; – „Mémoire sur les sons produits par le courant électrique“ [ib.]; – * „Mémoire sur la vitesse du son dans les liquides“ [ib.]; – „Sur la torsion des verges homogènes“ [ib., Vol. XXV, 1849]; – „Remarques à l’occasion du Mém. de Mr. Baudrimont sur la ténacité des métaux“ [ib., Vol. XXX, 1850]; – „Mém. sur les vibrations des plaques circulaires“ [ib., Vol. XXXI, 1851]: – „Mém. sur la propagation du mouvement dans les corps solides et dans les liquides“ [ib.]; – *„Mém. sur les vibrations sonores dans l’air“ [ib.]; – „Sur la vitesse du son dans les verges“ [ib.]; – „Description d’un appareil pour la détermination de la vitesse du son dans les gas“ [ib.]; – „Mém. sur la double réfraction temporairement produite dans les corps isotropes et sur la relation entre l’élasticité mécanique et l’élasticité optique“ [ib., Vol. XL, 1854]; – „Mémoire sur la torsion“ [ib., Vol. L, 1857]; – „Mémoire sur la capillarité“ [ib., Vol. LXIII, 1861]; in den Comptes rendus hebdomadaires des Scéances de l’Académie des sciences: „Sur les vibrations tournantes des verges carrés“ [Vol. XXVIII, 1849]; – „Mém. [119] sur la polarisation chromatique produite par le verre comprimé“ [ib., Vol. XXXII, 1851]; – „Sur la double réfraction artificiellement produite dans les cristaux du système régulier“ [ib., Vol. XXXIII, 1851; Vol. XXXV, 1852]; – „Expériences sur la vitesse du son dans le fer“, gemeinschaftlich mit Breguet [ib.]; – „Sur les courants d’induction produits par la torsion“ [ib.. Vol. XXXV, 1852]; – – „Sur la compressibilité cubique de quelques corps solides et homogènes“ [ib., Vol. LI, 1860]; – – „Expériences sur la flexion“, in den Sitzungsberichten mathematisch-naturwissenschaftlicher Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (in. Wien): „Ueber die Hauptresultate seiner Untersuchungen der allgemeinen Gesetze des Gleichgewichtes und der Bewegung der festen und flüssigen Körper“ [Bd. V, S. 19 u. f.]. Mehrere der vorerwähnten; sämmtlich in französischer Sprache erschienenen Abhandlungen Wertheim’s sind auch in deutscher Sprache in Poggendorff’s „Annalen der Physik und Chemie“ abgedruckt; dieselben sind in vorstehender Uebersicht durch einen Stern (*) kenntlich gemacht.
Wertheim, Wilhelm (Naturforscher, geb. in Wien 22. Februar 1815, stürzte sich vom Thurme der Stadtkirche zu Tours in Frankreich am 20. Jänner 1861). Sohn israelitischer Eltern, Bruder- Ueber sein Geburtsdatum – vergleiche Poggendorff – sind sehr abweichende Angaben vorhanden; wir folgen oben den von Poggendorff nach Wertheim’s eigener Angabe angenommenen. – Die feierliche Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (in Wien) am 31. Mai 1861 (Wien, 8°.) S. 96–109: „Gedächtnißrede des Generalsecretärs A. Schrötter“. – Jahrbuch für Israeliten. Herausgegeben von Wertheimer und Kompert. Jahrgang 1862 (5622), S. 113 u. f. – Poggendorff (J. C.). Biographisch-literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften u. s. w. (Leipzig 1863, Ambr. Barth, schm. 4°.) Bd. II, Sp. 1302. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1861, Nr. 34 und Nr. 161, Abendblatt. – Vaterland (Wiener polit. Blatt) 1861, Nr. 30.