BLKÖ:Richter, Franz (Industrieller)

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Richter, Florus
Band: 26 (1874), ab Seite: 39. (Quelle)
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14. Richter, Franz (Industrieller, Director der Wiener Creditanstalt, geb. zu Buchau bei Karlsbad um 1810, gest. zu Wien 3. Jänner 1861). Sein Vater war ein Gewerbsmann aus Buchau bei Karlsbad und unbemittelt. Der Sohn kam nach Prag und widmete sich hier bei einem Kaufmanne dem Specereigeschäfte. Von Bedeutung für ihn war der Eintritt in das geachtete Großhandlungshaus von Joseph Bergmann; [40] hier wurde er zuerst mit dem Geschäfte bekannt, dem er sich später ausschließlich widmete und das ihm Bedeutung und einen Namen in der Fabrikswelt verschaffte – mit der Baumwollen-Manufactur. Das genannte Handlungshaus betrieb etwa in den Jahren 1828–1835 das Baumwoll-, Garn- und Cottongeschäft in großem Umfange und man schrieb den namhaften Aufschwung desselben zumeist Richter zu. Diese Art des Verkehrs brachte ihn mit dem Chef des Großhandlungshauses J. N. Kastner, das dazumal in Ansehen stand, in nähere Berührung. Kastner würdigte die energische Thätigkeit und Fähigkeiten R.’s und machte ihm den Vorschlag, die Directorstelle in der Spinnfabrik zu Leibitschgrund, die Kastner zu kaufen beabsichtigte, zu übernehmen und das Etablissement zu leiten. Richter’n fehlten die vielen technischen Kenntnisse, die zum Betriebe einer solchen Fabrik nothwendig. Er war bisher nur Kaufmann, wiewohl mit den Details einer Baumwollen-Manufactur im Allgemeinen bekannt. Dessenungeachtet nahm er das Anerbieten an. Das Vertrauen zu seinem Willen, zu seiner geistigen Kraft, zu seinem Muthe mahnte ihn dazu. Die Wirksamkeit, welche er nun erhielt, war seinem Drange zu einer Thätigkeit von größerer Tragweite entsprechend; er studirte, machte sich mit der Technik des Geschäftes in kurzem vollkommen vertraut, er combinirte Pläne und führte sie rasch aus, er bewältigte entschlossen und hartnäckig die schwersten und gefährlichsten Hindernisse, die ihm und der Lösung seiner Aufgabe entgegentraten. – In Böhmen hatte zu dieser Zeit die Baumwollen-Industrie noch nicht die Entwickelungsstufe erreicht, deren sie sich gegenwärtig erfreut; die Spinnfabrik zu Leibitschgrund zählte der Spindelzahl nach wohl zu den bedeutendsten im Lande, aber die Maschinen waren in schadhaftem Zustande, nach älteren Systemen construirt, die Wasserkraft war zum Betriebe der Spinnmaschinen nicht bedeutend und oft nicht zureichend. In einer erstaunlich kurzen Zeit änderte sich dieß Alles. Richter wußte die Wasserkraft bedeutend zu steigern, ein neues Gefälle zu gewinnen, daran ein neues Werk anzulegen; es wurde eine Dampfmaschine aufgestellt, um bei Wassermangel die Betriebskraft zu regeln; neue Spinnmaschinen kamen zu den alten, nach den Fortschritten der Zeit neu construirten; neue Hilfsmaschinen wurden beigeschafft, neue Gebäude aufgeführt. Diese Umwandlung, Vergrößerung und Verjüngung der Fabrik geschah mit Umsicht und mit Oekonomie und oft mitten in Verlegenheiten aller Art. Gleiche Sorgfalt wendete er den Zuständen der zahlreichen Arbeiten zu. Er brachte in alle Zweige des Betriebes die strengste Ordnung, ein System des im Fabrikswesen so unumgänglich nöthigen Ineinandergreifens aller vorhandenen Kräfte; mit eiserner Strenge forderte er genaueste Pflichterfüllung; aber er nahm es zugleich für seine Pflicht, durch bleibende Einrichtungen für das geistige und materielle Wohl der Arbeiter zu sorgen. So wurden unter Anderem Schulen für die große Zahl der in der Fabrik beschäftigten Kinder errichtet. Diese glänzenden Zeugnisse der geistigen vielseitigen Schöpferkraft des jungen Directors begründeten ihm schnell einen bedeutenden Ruf in der ganzen Umgebung. R. wurde Gesellschafter der Fabrik unter der Firma „Kastner und Richter“, aber bald darauf von einem Ereignisse betroffen, das er kaum ahnen konnte. Das Haus J. N. [41] fallirte, wurde gänzlich ruinirt und drohte auch das junge Unternehmen augenscheinlich unter seinen Trümmern zu begraben. Richter, trotzdem er von seinen speciellen Berufsarbeiten in hohem Grade in Anspruch genommen war, stellte sich der seine eigene Existenz bedrohenden Gefahr mit mannhaftem Muthe entgegen und behauptete seine mühevoll errungene Stellung mit ebenso viel Tact als Beharrlichkeit. Durch das persönliche Vertrauen, das er einflößte, durch seine Biederkeit und Festigkeit in der Regelung der eingegangenen Verpflichtungen, gelang es ihm, die Firma „Kastner und Richter“ ehrenvoll zu behaupten, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen und bald das Unternehmen nach glücklichem Durchkämpfen der schwierigen Verhältnisse auf solide finanzielle Grundlagen zu stellen. Schon vordem hatte sich die Qualität des in Leibitschgrund erzeugten Productes einen besonderen Ruf erworben; dem rastlosen Streben Richter’s gelang es, weitere Fortschritte darin zu erreichen. Ein weiterer Unglücksfall, der ihn traf, aber seinen Muth auch nicht erschütterte, war der Brand der Fabrik in Leibitschgrund. Im J. 1845 übersiedelte er nach Smichow bei Prag und baute hier in diesem Jahre eine großartige Baumwollspinnerei, welche zu den vorzüglichsten Etablissements dieser rasch aufblühenden, der Industrie durch ihre Lage höchst günstigen Prager Vorstadt gehört. Die Fabrik in Leibitschgrund im Egerer Kreise war, wie erwähnt, am 18. September 1845 mit 12.000 Spindeln und mit Maschinen, die eben neu errichtet waren, abgebrannt, aber sie wurde wieder eingerichtet; mechanische Webestühle und eine neue Dampfmaschine von 60 Pferdekraft wurden daselbst aufgestellt. So weit R.’s Thätigkeit als Fabriksherr. Als öffentlicher Charakter war Richter in der industriellen Welt längst mit Ehren genannt, wurde dem größeren Publicum nach dem Jahre 1848 und in jenen Tagen bekannt, wo man sich in Böhmen den materiellen Interessen zuzuwenden und zur Hebung derselben die größten Anstrengungen zu machen begann. Ja er hatte vorzugsweise die öffentliche Aufmerksamkeit nach dieser Richtung hin zu leiten verstanden. Er wirkte heilsam im böhmischen Gewerbevereine, er sprach und schrieb mit Begeisterung für die Rechte der einheimischen, für den Schutz der vaterländischen Arbeit, er war dafür mit Aufopferung, mit den Waffen eines tiefgebildeten, scharfsinnigen Nationalökonomen in der Gewerbe- und Handelskammer thätig, zu welcher Function er sogleich nach deren Gründung im Jahre 1850 erwählt wurde, sowie beim Zollcongresse im Jahre 1851 in Wien und bei allen Gelegenheiten, bei welchen die Industrie Rath und That brauchte, und die rasch nach einander kamen. Die Baumwollen-Fabriksbesitzer Böhmens haben seine Verdienste in einer Adresse anerkannt. Aus derselben heben wir die folgenden bezeichnenden Stellen hervor: „Ihre Denkschrift über den Anschluß Oesterreichs an den deutschen Zollverein war die erste Fackel, welche in dem Labyrinthe verworrener Ansichten Licht und Klarheit verbreitete! Einen neuerlichen Beweis Ihrer Begeisterung und aufopfernden Thätigkeit für die einheimische Arbeit gaben Sie durch Ihre Wirksamkeit am Zollcongresse in Wien. Die Baumwoll-Industrie, die Sie selbst zu ihren geachtetsten Trägern zählt, war durch die projectirten Zollsätze am meisten bedroht. Ihren Anstrengungen ist es vorzugsweise zuzuschreiben, daß sie nun einen Schutz erhält, der hoffentlich ihr Fortbestehen ermöglicht, und sie noch[42] ferner in die Lage setzen wird, die vielen Hunderttausend Fabriksarbeiter und Weber in Böhmen zu beschäftigen und zu ernähren. Diese Armen, welche unbewußt der Gefahren, die ihnen drohten, in ihren Strohhütten beim Weberstuhl saßen, sie werden, zur Erkenntniß gelangt, wer ihr Beschützer war, unter Thränen den Segen Gottes über den Smichover Spinner erflehen.“ Daß sich auf einen Mann von solcher Bedeutung, der sich über die volkswirthschaftlichen Zustände anderer Länder durch Reisen unterrichtet hatte und in Fragen der Gewerbe, des Handels und der Industrie in Oesterreich als eine Autorität galt, auch außerhalb Böhmens die Blicke Aller richteten, denen die Hebung unserer Zustände nach dieser Seite am Herzen lag, ist selbstverständlich. Im Frühjahre 1856 erhielt R. einen Ruf als Director der Wiener Creditanstalt, eines im Aufblühen begriffenen Institutes, das einer energischen leitenden Hand bedurfte, welchem er folgte. In Anerkennung seiner Wirksamkeit daselbst, wie als Großindustrieller wurde R. mit dem Orden der eisernen Krone 3. Classe ausgezeichnet. Diesem Posten stand R. bis zum März 1861 vor, in welchem seine Verhaftung erfolgte. Nach einer fast achtmonatlichen Untersuchungshaft kam R. vor den Gerichtshof, der die Anklage wegen Verleitung zum Mißbrauche der Amtsgewalt anläßlich der zur Zeit des italienischen Krieges im Jahre 1859 übernommenen ärarischen Lieferungen gegen ihn erhob. In die Anklage waren Feldmarschall-Lieutenant von Eynatten und mittelbar auch Freiherr von Bruck, zu jener Zeit k. k. Finanzminister, verwickelt. Der Proceß endete mit Richter’s Verurtheilung. Richter trat seine Strafe nicht an, denn der Tod erlöste ihn vor aller weiteren Schmach. Als die Wiener Blätter seinen Tod meldeten, widmeten sie ihm warme Nachrufe. Eines derselben bemerkte, das Chaos der damaligen Zustände beleuchtend, auf Richter passe trefflich der Schiller’sche Vers aus Tell: „Es tobt der See, er will sein Opfer haben“. Die Ostdeutsche Post aber sagte: „Neun Monate lang hatte der Mann Körper und Geist aufrecht erhalten. Seine Willenskraft hat seine physische Natur bewältigt und sie gezwungen, ihr zu dienen. Als aber der große Kampf, den er vor dem öffentlichen Gerichte durch fünf Wochen zu durchfechten hatte, zu Ende war, da verlangte die Natur ihre Rechte und er brach unter ihrer Hand zusammen. Er ist nun das zweite Todesopfer, welches Eynatten’s Selbstmord nach sich zog. Der Stolz und das Selbstgefühl des Freiherrn von Bruck veranlaßten diesen, sich den Tod zu geben, ehe er die Untersuchungshaft an sich herankommen ließ. Die Geduld und die Selbstbeherrschung Franz Richter’s ließen ihn den Proceß überdauern, aber nachdem er zu Ende war, folgte er seinem Freunde, legte sich hin und starb (Richter bekam wenige Tage nach geschlossener Verhandlung das Nervenfieber, dem er in der Vollkraft seines Lebens erlag). Wie der Proceß Richter in vielfacher Beziehung in den Annalen der österreichischen Gerichte Epoche bilden wird, so wird man auch dem tragischen Ausgange desselben in seinen physischen Ursachen nachforschen, und das Grab, welches dieses Opfer unserer Proceßordnung umschließt, wird die Wiege von Reformen werden, welche allein den versöhnenden Abschluß dieser an tragischen Incidentien so überreichen Geschichte des Processes Eynatten bilden können.“ Richter’s Vertheidiger in dem Processe [43] war der nachmalige Minister ohne Portefeuille Dr. Joh. Nep. Berger, der, wie schon früher oft im Gerichtssaales, aber besonders glänzend bei dieser Gelegenheit seine seltene Rednergabe entfaltete. Richter’s Begräbniß glich nicht dem eines Verurtheilten, als der er auch einem großen Theile des Publicums gar nicht galt; sowohl in Wien, wo R.’s Leiche in der Michaelerkirche eingesegnet wurde, wie auch in Prag, wohin der Sarg mit der Leiche überführt worden, fand sich das Publicum in unübersehbarer Menge ein und wurde dem Verstorbenen von derselben nach dem Kleinseitner Friedhofe zur letzten Ruhestätte das ehrenvolle Geleite gegeben.

Erinnerungen (Prager belletristische Monatsschrift, 4°.) 1856, S. 179: „Franz Richter“. – Prager Morgenpost 1861, Nr. 5, im Feuilleton. – Bohemia (Prager polit. und Unterhaltungsblatt, 4°.) 1801, Nr. 5, S. 37, u. Nr. 6, S. 57: „Richter’s Leichenbegängniß“. – Die Presse (Wiener polit. Blatt) 1860, Nr. 73: „Proceß Eynatten“, u. Nr. 82: „Der Proceß Eynatten-Richter“ [erster Leitartikel]; – dieselbe 1865, Nr. 329: „Epilog zu einer cause celebre“. – Schlesische Zeitung (Breslau, Fol.) 1860, Nr. 525 u. 527, im Feuilleton: „Der Proceß Richter“ [ein übersichtlicher Auszug aus der 31 Druckbogen in Folio fassenden Anklageschrift]. – Der Proceß Richter, nach amtlichen Actenstücken und stenographischen Aufzeichnungen bearbeitet von einem Fachmanne. Mit den Anträgen des Staatsanwaltes Dr. Lienbacher und der Vertheidiger Dr. Joh. Nep. Berger und Dr. Wiedenfeld (Wien 1861, F. Klemm, 557 S. 8°.). – Porträt. Lithographie in den „Erinnerungen“ 1856.