Zum Inhalt springen

Bauern-Pferderennen in Südtirol

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl Wolf
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Bauern-Pferderennen in Südtirol
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 373–374
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[373]
Bauern-Pferderennen in Südtirol.
Von Karl Wolf.


Der Reisende, welcher mit der Eisenbahn thalauf fährt, von Bozen nach Meran, hat keine Ahnung von der herrlichen Hochebene auf dem mächtigen Bergstock, dessen Abhänge, bald als öde Schutthalden, dann wieder streckenweise von Busch und Niederwald bedeckt, gegen die Etsch zu abfallen.

Es wohnt da oben ein ganz eigener Volksstamm, grundverschieden von den Bewohnern des Thales. Er hat eine eigene Mundart und eine eigene Nationaltracht und zum Teil auch eigene Volksgebräuche. – Der Bergstock erstreckt sich von den Granitwänden des Ifinger bis hinunter, wo sich die Talfer aus dem Sarnthale bei Bozen ihre wilde Bahn bricht. Die Bewohner der Dörfer dieses Hochlandes, Hafling, Vöran, Mölten und Jenesien, werden im Volksmunde „Hössen“ genannt, und sie sollen thatsächlich von einem hessischen Volksstamme übrig geblieben sein, welcher sich in dieser Gegend zur Zeit der Völkerwanderung niedergelassen hatte. Die Leute treiben Feldbau und Alpenwirtschaft, Viehhandel und ganz besonders Pferdezucht. Durch eine glückliche Wahl geeigneten Materials wurde mit der Zeit eine konstante Züchtungsrasse herausgebildet, welche im Handel unter dem Namen „Haflinger“ bekannt ist.

Der Haflinger ist mittelgroß, hat einen charakteristisch geformten, stockigen Kopf mit breitem, schön getragenem Hals, gedrungenen Leib, breite Brust und starke, wohlgeformte Füße mit kräftigem Huf. Von den Bauern werden die Haflinger Pferde als Reit- und Tragtiere verwendet. Der Reiter benutzt als Sattel meist nur ein aufgeschnalltes wolliges Schaffell; die Steigbügel, wenn er überhaupt solche mag, hängen fast vorne beim Hals des Pferdes – und das Zaumzeug? Hängt gerade eine Trense zur Hand, so ist es gut; wenn nicht, so zieht er dem Gaul einen Riemen oder einen Strick durch das Maul; dann schwingt er sich mit einem Satz auf den Rücken, schlägt den weichen Hut dem Tiere um die Ohren, und wie das Wetter geht es über Stock und Stein, über Wiesen, über Zäune, Abhänge hinunter, Abhänge hinauf, und ein heller Jauchzer um den andern giebt Zeugnis, daß der Reiter noch immer nicht den Hals gebrochen hat. Als Gangart liebt der Bauer nur Schritt oder Galopp. Die Weiber, wenn sie in die Sommerfrische, auf eine Wallfahrt oder zu Besuch reiten, sitzen nach Männerart zu Pferde. Der Knabe erwischt auf der Weide einen Gaul an der Halfter, zerrt ihn zum nächsten Zaune und klettert hinauf. Wie ein Frosch sitzt er oben, und es hilft kein Bocken und Schütteln. Er behält seinen Sitz, und wird der Gaul endlich der Geschichte überdrüssig, so muß er sich legen, will er den mutwilligen Reiter abbringen.

Benutzt man das Pferd als Tragtier, so wird ihm ein breiter, hölzerner Sattel übergeworfen und es bekommt links und rechts einen Korb für kleinere Gegenstände oder zwei lederne Säcke für Getreide. Der Wein wird in kleinen, einen Meter langen zugespitzten Fässern verladen.


Haflinger Bauern, zum Start abreitend.

[374] Die Pflege des Pferdes macht dem Bauer keine sonderliche Mühe, und Striegel sowie Bürste finden einen schlechten Absatz beim Krämer. Ebenso fällt es dem Hössen nicht im Traume ein, die Fesseln auszuscheren, Schwanz und Mähne auszukämmen, die Nüstern auszuwaschen oder sonstige für die Pflege eines Pferdes nützliche Verrichtungen zu unternehmen. Ein bekannter Hösse sprengte einmal in Carriere bei meinem Hause vor, um mir einen Besuch zu machen, hauptsächlich wohl, um mir einige Krüge Tiroler abzutrinken. Dem Pferde flogen die Flanken von der gehabten Anstrengung, und als der Bauer mit einem Satz absprang, mahnte ich: „A Deckn werst’n doch überwerfn, dei’m Gaul?“ Da schaute er verwundert auf und sagte lakonisch: „Wirft miar oaner a Deckn über?“

Als man zur Ergänzung der Tiroler Landwehr berittene Schützen aufstellte, war die Meinung verbreitet, das beste Rekrutenmaterial hierfür dürfte unter den Hössen zu finden sein.

Das war jedoch nicht der Fall. Diesen Naturreitern war selbst mit der größten Mühe nicht ein halbwegs tauglicher militärischer Sitz beizubringen und die heimatgewohnte Haltung auszumerzen. Der Hösse sitzt fast auf dem Halse seines Pferdes, mit hochgezogenen Knien, sogenanntem Wadenschluß, und gekrümmtem Rücken.

Das Haflinger Pferd wird als Reittier oder für leichte Bespannung hochgeschätzt und gerne gekauft. Es gehört aber schon ein geübtes Auge dazu, die Vorzüge eines solchen Struwwelpeters unter den Pferden zu erkennen.

Auf die Teilnahme dieser Hochlandbewohner hatte man auch hauptsächlich gerechnet, als heuer im Kurorte Meran ein Bauern-Pferdewettrennen für Sonntag nach Ostern ausgeschrieben wurde. Die Sportsleute werden gelächelt haben beim Durchlesen der Rennbedingungen: „Vollständige Freiheit im Sattel und Zaum. Anmeldetermin bis eine Stunde vor Beginn des Rennens. Die Pferde müssen im Besitze von Bauern sein, von ihnen selbst, deren Söhnen oder Knechten geritten werden.“ Diese Vorschriften waren notwendig, um die Leute heranzuziehen.

Beim Sulfner in Hafling war vorher eine Zusammenkunft der dortigen Pferdebesitzer, und dort fand eine Besprechung des ausgeschriebenen Rennens statt. Die getäfelte Stube war voll von qualmenden und rauchenden Männern, so daß die Tochter des Bauern, mit der ich eintrat, erschrocken zurückprallte und lachend sagte: „Heilige Muater Anna, thut’s denn Menschenfleisch selchen (räuchern) da herinnen?“

Fast mitten in der Stube saß der angesehenste Bauer und teilte seine Weisungen aus: „Alsdann nit zu viel Heu füttert’s in der Woch’n, dafür a zwei Maßl Haber. Nachher schaut’s drauf, daß die Viecher an Fried haben und nit die Buaben in ganz’n Tag drauf ummer hängen. Jedweder reitet sein Gaul Vormittag und nach’m Avemaria-Läuten auf z’ Nacht dreimal linksum auf der Gmoanweide. Laßt’s den Roßnen Luft. Die Zügl, oder die Strick, was halt einer hat, in die zwoa Fäust, die Fäust außi bis auf’n Hals vom Roß und in Buggl stellt’s auf, wia bei an Hagelwetter. Sitz’n müaßt’s a sou woach, als hätt’s a purzelanenes Taller unter. A sou hat’s Roß a Hilf von sei’m Reiter.

Und will enk a Stadtherr an Rat geben, seid’s nit grob. Nit annehmen den Rat, aber a nit grob sein. Höchstens kann einer sag’n: Esel, kann er sag’n, i bin a Haflinger und reiten kann i selber. Aber lei alleweil höfli.

Und anmelden thuan mir uns all mitnand. Daß mir koaner a Anmeldung schreibt. ’s Gschriebene ist Advokat’nfuater! Merkt’s enk selb!“

Am Sonntag nach Ostern ging das Rennen vor sich. Nebst den Bauern aus den Seitenthälern mit ihren meist größeren Pferden rückten über fünfzig Hössen an. „Sattel und Zaum vollste Freiheit,“ das konnte man auf den ersten Blick beobachten. Eine ungeheure Menschenmenge umsäumte den Rennplatz, Menschen, man kann dies in einem Kurorte mit Fug und Recht sagen: aus aller Welt.

Die Bauern fügten sich bereitwilligst den Anordnungen der Starter, und kaum erklang das Zeichen, flogen, Feld um Feld, immer zehn Reiter die Bahn entlang. Wie die Wilden rasten die Leute dahin. Man meinte, es sei fast unmöglich, daß nicht da und dort ein Stürzender überritten werde; aber ohne nennenswerten Unfall verlief das Rennen, und als beim Meisterschaftsrennen um den Hauptpreis ein Haflinger siegte, kannte der Jubel keine Grenzen.

Noch spät in der Nacht konnte man auf der steilen Bergstraße nach „Kathrein in der Scherle“ die brennenden Kienfackeln der Heimreitenden beobachten, und jeder von ihnen freut sich heute schon auf das Rennen im nächsten Jahre.