Beethoven in der Küche

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Textdaten
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Autor: F. v .H.
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Titel: Beethoven in der Küche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 371
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[371] Beethoven in der Küche. Die Erinnerungszeit an den genialen Tonkünstler hat Veranlassung gegeben, daß so viele seiner Charakterzüge und Erlebnisse noch einmal erzählt wurden; aber nachfolgendes komische Geschichtchen wäre beinahe in Vergessenheit gerathen, wenn wir es nicht zufällig unter unseren Papieren wieder aufgefunden hätten, aus denen wir es hier mittheilen.

Der große Tonkünstler erstreckte seine Genialität auch auf seine Häuslichkeit, die er zu einem wahren Chaos gestaltete, denn er war auch in der Unordnung genial! Er verbot es streng, daß jemals bei ihm aufgeräumt wurde; sogar der Besen durfte nur gegen besondere Erlaubniß den Fußboden seines Zimmers berühren. Er behandelte denselben zugleich als Papierkorb und warf alle Couverts auf die Erde, zuweilen die zerrissenen Briefe dazu. Auf jedem Stuhle lagen Bücher oder Noten; die Geräthschaften der Mahlzeiten vom Frühstück an blieben meistens bis zum andern Morgen im Zimmer stehen. Wenn er etwas suchte, wurde das Chaos lebendig, Manuscripte stürzten entblättert auf die Erde, leere und volle Weinflaschen rollten aus den Ecken hervor, aber was er suchte, fand er natürlich nie, denn der Wirrwarr ward immer ärger durch sein ungeduldiges, unsystematisches Suchen. Verloren hatte er aber immerwährend etwas, das Suchen war also eine seiner gewöhnlichsten Beschäftigungen.

Er schalt dabei sehr heftig auf seine Haushälterin, die er seltsamer Weise Frau Schnaps nannte; sie sei an allem Verdruß, an aller Unordnung schuld, behauptete er, denn er selbst sei streng ordentlich und könne jede Stecknadel bei Nacht wiederfinden, wenn nicht eben stets Alles in seinem Zimmer auf eine andere Stelle von ihr gelegt würde.

Eine Hauptursache dieser Unordnung lag aber in dem häufigen Quartierwechsel des unzufriedenen, verdrießlichen Tondichters. Er wechselte die Wohnung so oft, wie man die Wäsche wechselt, und nahm sich nie die Zeit, sich wieder ordentlich einzurichten.

Einmal fehlte die Partitur seiner Lieblingssymphonie, völlig in’s Reine geschrieben, ein wahrhaft kostbares Manuscript. Ueber vierzehn Tage brachte der arme Beethoven mit Suchen und Fluchen zu. Er fand es endlich, aber ach, wo? – In der Küche, als Unterlage für Butter, Speck und andere Lebensmittel!

Ganz außer sich vor Wuth warf der Componist alle Eier, die vorhanden waren – er liebte frische Eier über Alles und aß täglich mehrere in rohem Zustande –, seiner Köchin an den Kopf und jagte sie dann aus dem Hause. Er war entschlossen, nie wieder eine solche Cannibalin in seine Küche zu lassen, das Essen war ohnehin längst nicht mehr nach seinem Geschmack gewesen. Selbst wollte er von nun an die Küche besorgen.

„Das Kochen kann nicht schwerer sein als das Componiren!“ rief er und ging vergnügt auf den Markt, um Einkäufe zu machen. Erfreut über die Auswahl und die Billigkeit der Lebensmittel, lud er einige Freunde zum Mittagessen ein und machte sich an’s Werk, selbst alle Gerichte zu bereiten.

Als die Gäste eintrafen, sahen sie mit einigem Erstaunen ihren Wirth in der Küche! Er trug eine weiße Zipfelmütze und eine nicht mehr weiße Schürze, wie ein Koch von Profession, sah aber aus wie ein Cyclop in rußiger Schmiede. Das Herdfeuer flammte in wilder Gluth, die Töpfe zischten und kochten über, die Butter kreischte (im Begriff zu verbrennen thut sie das immer); nichts schien zur bestimmten Zeit fertig werden zu können, Beethoven stand in zorniger Verzweiflung bald mit dem Kochlöffel, bald mit dem Messer drohend vor den ungefügigen Töpfen. Er warf sie um, er hob sie wieder auf, er verbrannte sich die Finger und den Braten noch mehr – die Gäste harrten mit Ungeduld und knurrendem Magen auf die Ergebnisse des Höllenlärms, den Beethoven in der Küche vollführte; ihre guten Aussichten mußten immer mehr schwinden, jemehr Töpfe zerbrachen und Gerichte verbrannten.

Endlich kam Beethoven aus der Küche, triumphirend gleich einem Krieger vom Schlachtfeld; aber seine Siege waren sehr kläglich! Die Suppe hatte ein trübes, kraftloses Ansehen, wie eine Bettelmannsbrühe; Beethoven wußte nicht, daß man sie abschäumen mußte, er hatte sie wie toll kochen lassen und fortwährend Wasser hinzugegossen. Das Gemüse war zu wenig mit diesem wohlthätigen Element in Berührung gekommen, es war voller Sand und schwamm in Fett, aber die schrecklichste Leistung war doch der Braten. Er sah aus, als hätte ihn der Höllenfürst in Person geröstet und dann dem Schornsteinfeger übergeben, damit er einen rußigen Glanz bekäme.

Niemand vermochte etwas zu genießen, nur Beethoven selbst machte seiner Kochkunst Ehre, er verschlang und lobte Alles. Die Gäste forderten Butter, Brod und Käse statt dieses Mittagsessens, sie hielten sich an dem guten Wein schadlos, der zum schlechten Diner bestellt worden war.

Anderen Tags hielt Frau Schnaps wieder ihren feierlichen Einzug in Beethoven’s Küche; er hatte eingesehen, daß die Kochkunst erlernt und geübt werden muß, wie jede andere Kunst, und hielt es darum für angezeigt, sich nicht mehr in dieselbe zu mischen.
F. v .H.