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Befördern Kaffee und Thee die Verdauung?

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Textdaten
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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Befördern Kaffee und Thee die Verdauung?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 835
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Befördern Kaffee und Thee die Verdauung?

Nach dem Mittagsmahl ein Täßchen Kaffee – das ist bei uns längst Sitte geworden und viele loben diesen Brauch, indem sie meinen, daß der Kaffee verdauen hilft. Andere widersprechen dieser Ansicht und jeder glaubt, aus Erfahrung reden zu können. Es ist nicht so leicht, in diesem Streit der Meinungen den Schiedsrichter zu machen; denn genaue Untersuchungen über den chemischen Einfluß, welchen so gewöhnliche Getränke wie Kaffee und Thee auf die Verdauung ausüben, lagen bisher nicht vor. Erst in allerjüngster Zeit hat Schultz-Schultzenstein in der „Zeitschrift für physiologische Chemie“ die Ergebnisse einer Arbeit veröffentlicht, die geeignet ist, in dieses Dunkel einiges Licht zu werfen.

Der geschickte Chemiker bereitete aus der frischen Schleimhaut des Schweinemagens einen Auszug, der dem natürlichen Magensaft sehr nahe kam, und ließ ihn in Glasgefäßen gekochtes Hühnereiweiß verdauen. Das brachte der Saft wohl fertig, indem er im Laufe von 8 Stunden 94% der Eimasse in verdautes Eiweiß verwandelte. Hieraus bereitete Schultz-Schultzenstein aus 100 kbcm Wasser und 12 g gebrannter Kaffeebohnen eine Kaffeeabkochung und aus 100 kbcm Wasser und 6 g schwarzen Tees eine Theeabkochung und setzte davon entsprechende Mengen dem Magensafte zu. Jetzt war das Ergebniß der künstlichen Verdauung ein anderes: bei Kaffeezusatz wurden nur 61% und bei Theezusatz nur 66% der Eiweißmasse verdaut. Daraus geht hervor, daß die Abkochungen der beiden Genußmittel den chemischen Prozeß der Verdauung in erheblichem Maße beeinträchtigen. Diese Ergebnisse bestätigen die Erklärungen, welche von gut beobachtenden Aerzten im praktischen Leben gemacht wurden und die wir zu Nutz und Frommen aller Kaffee- und Theetrinker unter unseren Lesern kurz beleuchten möchten.

Fassen wir zunächst den Kaffee ins Auge, der für den Deutschen viel wichtiger ist als der Thee. In der Kaffeebohne ist eine Menge verschiedener Stoffe enthalten, von denen jeder auf unseren Körper besonders einwirkt. Doch können wir uns auf die wichtigsten beschränken. Zunächst kommt das Coffein in Betracht, welches die Herzthätigkeit hebt, in kleinen Mengen einen wohlthätigen anregenden Einfluß hat, in größeren aber als Gift schädlich wird. Ferner enthält die gebrannte Kaffeebohne aromatische Stoffe, die vor allem auf das Nervensystem einwirken und jene Belebung der Phantasie erzeugen, die so oft dem Kaffeegenuß nachgerühmt wird. Drittens ist in der Bohne noch ein bitterschmeckender, zusammenziehender Körper, der sogenannte „Gerbstoff“, vorhanden; von ihm weiß man, daß er sich mit Eiweißstoffen zu unlöslichen und sehr schwer verdaulichen Verbindungen vereinigt.

Diese drei Hauptstoffe müssen wir stets im Auge behalten, wenn wir die Wirkung einer Tasse Kaffee beurtheilen wollen. Ihre Menge im Kaffee ist großen Schwankungen unterworfen und hängt auch von der Art der Zubereitung ab, denn diese Hauptstoffe lösen sich nicht gleichmäßig in heißem oder kochendem Wasser auf. Nehmen wir gepulverte Kaffeebohnen und übergießen sie mit siedend heißem Wasser, das sofort abläuft, dann bereiten wir einen Kaffeeaufguß; in diesem finden wir die aromatischen Stoffe, wenig Coffein und fast gar keinen Gerbstoff gelöst. Lassen wir aber das Kaffeepulver im heißen Wasser eine Zeitlang kochen, so ändert sich die Zusammensetzung des Getränkes. Die aromatischen Stoffe werden durch die Hitze verflüchtigt und entweichen mit den Dämpfen; es löst sich mehr Coffein im Wasser auf und, je länger das Kochen dauert, auch um so mehr Gerbstoff. Diese dunkle bittere Lösung ist dann eine Kaffeeabkochung. Man behauptete schon lange, daß sie durch ihren Gerbstoffgehalt den Verdauungsprozeß hemme, und diese Behauptung erhält, wie wir gesehen haben, durch die Untersuchungen von Schultz-Schultzenstein eine neue Stütze.

Die Wirkung des Kaffeeaufgusses es ist eine ganz andere. Der Gerbstoff fehlt in ihm, das Coffein ist mir in geringen Mengen vorhanden, vor allem kommen die aromatischen Stoffe zur Geltung, die das Nervensystem anregen. Dem Kaffeeaufguß rühmen Magenärzte eine die Verdauung befördernde Wirkung nach, aber sie ist keine chemische, sie würde sich in einem mit Magensaft gefüllten Glase nicht nachweisen lassen, sondern eine physiologische. Mit anderen Worten gesagt: der Kaffeeaufguß verdaut nicht die Speisen, er reizt nur die Magennerven, so daß der Magen mehr Saft ausscheidet, energischer arbeitet.

Wenden wir uns dem Thee zu, so finden wir hier eine ganz ähnliche Zusammensetzung. Auch in den Blättern des Thees sind Coffein, auch „Theein“ genannt, aromatische Stoffe und ein Gerbstoff vorhanden. Wir müssen also, was die Wirkung anbelangt, beim Theetrinken gleichfalls zwischen Theeaufguß und Theeabkochung unterscheiden.

Die Sache ist einfach. Wer auf dem Marsche seinen Körper stärken will, der braucht das Coffein und dem wird eine Kaffeeabkochung gute Dienste leisten. Wer aber nach einem reichlichen Mahle seinem Magen einen Peitschenhieb versetzen und auch seine stumpfer gewordenen Nerven aufregen will, dem wird der Kaffeeaufguß zu empfehlen sein. Allerdings paßt die Regel nicht auf alle; denn es giebt eine schier unendliche Stufenleiter in der Empfindlichkeit der menschlichen Nerven, und was dem einen an Aroma behagt, macht den anderen ohnmächtig. So muß man auch im Kaffeegenuß, namentlich aber im Trinken eines voll aromatischen Aufgusses „individualisieren“, d. h. jeder muß sich nach seinen eigenen Verhältnissen richten.

Die oben dargelegten Grundsätze sind einfach und klar, aber sie werden selten im praktischen Leben befolgt, und gerade am Schluß des Mittagstisches pflegt eine möglichst starke Kaffeeabkochung gereicht zu werden. Solche Mittel zur Förderung der Verdauung sind bei gesunden Menschen unnöthig; ein gesunder Magen verdaut alles, mit und ohne Kaffee; erst wenn der Magen schwach geworden ist, pflegen die Menschen nach der Verdaulichkeit der Speisen und Bekömmlichkeit der Getränke zu fragen. C. Falkenhorst.