Belgrad

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Belgrad
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 29–30
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[29]

Belgrad.

Es ist Pflicht jeder belehrenden Zeitschrift, auch wenn sie keine politischen Tendenzen verfolgt, ihren Lesern bei wichtigen politischen Ereignissen diejenigen thatsächlichen Erläuterungen zu geben, welche zum vollständigen Verständniß der obschwebenden Frage nothwendig sind. Der russisch-türkische Krieg gab uns bereits mehrere Male Gelegenheit zu derartigen erläuternden Mittheilungen, und die Wichtigkeit Serbiens fordert uns auch heute zu einer kurzen erklärenden Skizze auf.

Wenn man die Donau hinab zieht aus deutschen Landen durch Ungarn und immer weiter dem Reiche der Osmanen zu, so erblickt man zum ersten Male den türkischen Halbmond bei Belgrad, das am Einfluß der Sau in die Donau, hart an der östreichischen Grenze liegt. Einem Deutschen fällt dann wohl „Prinz Eugen, der edle Ritter“ ein, der hier die schönsten seiner Lorbeeren pflückte. Manch anderer Kampf noch hat um die stolz emporragenden Wälle Belgrads getobt, und wenig Festungen haben öfter den Besitzer und Gebieter gewechselt. So ist die Hauptstadt Serbiens geschichtlich berühmt geworden durch viele Belagerungen und Eroberungen, stets wichtig geblieben ist sie als Mittelpunkt des Handels zwischen der Türkei und Ungarn. Die Zahl der Einwohner beläuft sich auf 30,000.

Belgrad.

Was von allen Städten der europäischen Türkei gilt, gilt auch von Belgrad: Unansehnliche Häuser, enge Straßen und schlechtes Pflaster, wovon nur einige Stadttheile Ausnahme machen. Die eigentliche Festung, von der Stadt durch einen 400 Schritt breiten Raum getrennt, mit hohen Wällen, festen Thürmen, dreifachen Gräben, Mauern und bombenfesten Kasematten, beherrscht die Donau und birgt eine türkische Besatzung von 3000 Mann, an deren Spitze ein Pascha von drei Roßschweifen steht. Neben Belgrad ist im gewissen Sinne auch das im Innern Serbiens gelegene Krajugewaz Hauptstadt, letzteres wird sogar noch heiliger gehalten als jenes und ist auch der Sitz der serbischen Nationalversammlung.

Unter den zum türkischen Reiche gehörenden christlichen Vasallenstaaten ist Serbien, obwohl nur von etwa dreimal so großem Flächenraum als das Königreich Sachsen und mit nicht einmal 1 Million Einwohner, der wichtigste. Diese Wichtigkeit geht zum Theil aus der Lage Serbiens hervor, welches sich auf dem rechten Donauufer bis in das Herz des osmanischen Reiches erstreckt; weit mehr noch liegt sie aber in dem Nationalcharakter der Serben, die von allen Slavenstämmen der begabteste sind. Kein körperlicher Vorzug geht den Serben ab, und in geistiger Beziehung stehen sie weit über allen übrigen Slaven. Kräftig, abgehärtet, tapfer und unerschrocken, sind sie der türkischen Herrschaft entschieden abgeneigt, ohne sich deshalb gerade nach der russischen zu sehnen.

Die gegenwärtigen Zustände Serbiens wurden im Wesentlichen durch den Frieden von Adrianopel (1829) herbeigeführt; die noch bestehende Verfassung trat jedoch erst 1842 in Kraft. Nach ihr steht Serbien unter dem gemeinsamen Schutze Rußlands und der Türkei; die Türken haben das Besatzungsrecht in Belgrad und empfangen von dem Lande einen jährlichen Tribut von ca. 140,000 Thlrn. Im Uebrigen regieren sich die Serben selbstständig unter einem eigenen Fürsten, zur Zeit Alexander Karagiorgewitsch, der zweitgeborne Sohn des in zahlreichen Liedern gefeierten serbischen Nationalhelden Czerny Georg, der schon zu Anfang dieses Jahrhunderts seinem Lande auf einige Zeit die ersehnte Unabhängigkeit zu erkämpfen wußte.

Da Serbien, wie alle Donaustaaten, an tiefen innern Zerspaltungen leidet, so sehen wir auch bei dem dermaligen russisch-türkischen [30] Kriege, wie die vornehmsten Familien des Landes, deren Häupter sich alle gleich zur Herrschaft berufen glauben und alle gleich lüstern darnach sind, die Nation in gewisse Unruhe versetzen und zu ihren verschiedenen Zwecken zu stimmen suchen. Von jenen Familien dienen die Einen russischen, Andere östreichischen Interessen; nur Wenige türkischen. Am zahlreichsten ist die Nationalpartei, welche jeden auswärtigen Einfluß bekämpft und ein durchaus freies unabhängiges Serbien will.

Bisher hat Serbien in dem Kampfe zwischen Rußland und der Türkei eine strenge Neutralität behauptet, obwohl von der einen wie andern Seite Manches versucht wurde, das Land in den ausgebrochenen Streit hineinzuziehen. Gelänge dies, so erschiene in diesem kriegerischen Volke, wo alle Männer Waffen tragen müssen, eine Streitmacht auf dem Kampfplatze, die schwer in die Waagschale des Krieges fallen würde.

Mit gespannter Erwartung sieht man jetzt in Belgrad der Veröffentlichung zweier großherrlichen Fermane entgegen, welche demnächst aus Konstantinopel eintreffen sollen, wenn dies nicht bereits geschehen ist. In dem einen Ferman soll Serbiens Verhältniß zu Rußland aufgehoben werden, das heißt, der Sultan erklärt darin, Serbien bedürfe des russischen Schutzes nicht mehr, da er in dem andern Ferman alle bisherigen Freiheiten Serbiens als Souverän bestätigt. Es wird durch den ersten Ferman Alles, worüber die Pforte bisher mit Rußland bezüglich Serbiens übereingekommen, aufgehoben, und das Fürstenthum hat hiermit unmittelbar und ausschließlich blos den Sultan als Oberherrn zu betrachten. In dem zweiten Ferman werden in Hinsicht auf die bisherige Treue und Anhänglichkeit den Serben auf’s Neue alle jene Freiheiten derselben bestätigt, in deren Besitze sie bisher waren, sie sollen in demselben alle aufgezählt sein. Da der Sultan nun Alles „aus eigener Gnade und Huld“ bestätigt, was er früher den Serben gewährt, so bedürfen sie jetzt keinerlei Schutzes mehr und keiner weitern Garantien.