Benutzer:Gego/Der neuen Gedichte anderer Teil/eLib Austria
{{Textdaten| AUTOR=[[Rainer Maria Rilke]] |TITEL=Der neuen Gedichte anderer Teil |SUBTITEL= |HERKUNFT= |HERAUSGEBER=Insel-Verlag, Leipzig |AUFLAGE= |ENTSTEHUNGSJAHR= |ERSCHEINUNGSJAHR=1908 |ERSCHEINUNGSORT= |ÜBERSETZER= |ORIGINALTITEL= |ORIGINALSUBTITEL= |ORIGINALHERKUNFT= |WIKIPEDIA= |BILD= |QUELLE=[http://www.literature.at/webinterface/library/ALO-BOOK_V01?objid=12096 Erstausgabe bei ALO] |KURZBESCHREIBUNG= |SONSTIGES=<small>Gescannt und korrigiert vom [http://www.literature.at/elib/www/wiki/ eLib Austria Projekt]</small> }} Werkinformation
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Der Neuen Gedichte Anderer Teil
LEIPZIG IM INSEL-VERLAG, MCMXVIII.
A MON GRAND AMI AUGUSTE RODIN
I.
[Bearbeiten]ARCHAISCHER TORSO APOLLOS
[Bearbeiten]- Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
- darin die Augenäpfel reiften. Aber
- sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
- in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
- sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
- der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
- der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
- zu jener Mitte, die die Zeugung trug.
- Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
- unter der Schultern durchsichtigem Sturz
- und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;
- und bräche nicht aus allen seinen Rändern
- aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
- die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
KRETISCHE ARTEMIS
[Bearbeiten]- Wind der Vorgebirge: war nicht ihre
- Stirne wie ein lichter Gegenstand?
- Glatter Gegenwind der leichten Tiere,
- formtest du sie: ihr Gewand
- bildend an die unbewußten Brüste
- wie ein wechselvolles Vorgefühlt
- Während sie, als ob sie alles wüßte,
- auf das Fernste zu, geschürzt und kühl,
- stürmte mit den Nymphen und den Hunden,
- ihren Bogen probend, eingebunden
- in den harten hohen Gurt;
- manchmal nur aus fremden Siedelungen
- angerufen und erzürnt bezwungen
- von dem Schreien um Geburt.
LEDA
[Bearbeiten]- Als ihn der Gott in seiner Not betrat,
- erschrak er fast, den Schwan so schön zu finden;
- er ließ sich ganz verwirrt in ihm verschwinden.
- Schon aber trug ihn sein Betrug zur Tat,
- bevor er noch des unerprobten Seins
- Gefühle prüfte. Und die Aufgetane
- erkannte schon den Kommenden im Schwane
- und wußte schon: er bat um eins,
- das sie, verwirrt in ihrem Widerstand,
- nicht mehr verbergen konnte. Er kam nieder,
- und halsend durch die immer schwächre Hand
- ließ sich der Gott in die Geliebte los.
- Dann erst empfand er glücklich sein Gefieder
- und wurde wirklich Schwan in ihrem Schoß.
DELPHINE
[Bearbeiten]- Jene Wirklichen, die ihrem Gleichen
- überall zu wachsen und zu wohnen
- gaben, fühlten an verwandten Zeichen
- Gleiche in den aufgelösten Reichen,
- die der Gott, mit triefenden Tritonen,
- überströmt bisweilen übersteigt;
- denn da hatte sich das Tier gezeigt:
- anders als die stumme, stumpfgemute
- Zucht der Fische, Blut von ihrem Blute
- und von fern dem Menschlichen geneigt.
- Eine Schar kam, die sich überschlug,
- froh, als fühlte sie die Fluten glänzend:
- Warme, Zugetane, deren Zug
- wie mit Zuversicht die Fahrt bekränzend,
- leichtgebunden um den runden Bug
- wie um einer Vase Rumpf und Rundung,
- selig, sorglos, sicher vor Verwundung,
- aufgerichtet, hingerissen, rauschend
- und im Tauchen mit den Wellen tauschend
- die Trireme heiter weitertrug.
- Und der Schiffer nahm den neugewährten
- Freund in seine einsame Gefahr
- und ersann für ihn, für den Gefährten,
- dankbar eine Welt und hielt für wahr,
- daß er Töne liebte, Götter, Gärten
- und das tiefe, stille Sternenjahr.
DIE INSEL DER SIRENEN
[Bearbeiten]- Wenn er denen, die ihm gastlich waren,
- spät, nach, ihrem Tage noch, da sie
- fragten nach den Fahrten und Gefahren,
- still berichtete: er wußte nie,
- wie sie schrecken.und mit welchem jähen
- Wort sie wenden, daß sie so wie er
- in dem blau gestillten Inselmeer
- die Vergoldung jener Inseln sähen,
- deren Anblick macht, daß die Gefahr '
- umschlägt; denn nun ist sie nicht im Tosen
- und im Wüten, wo sie immer war.
- Lautlos kommt sie über die Matrosen,
- welche wissen, daß es dort auf jenen
- goldnen Inseln manchmal singt —,
- und sich blindlings in die Ruder lehnen,
- wie umringt
- von der Stille, die die ganze Weite
- in sich hat und an die Ohren weht,
- so als wäre ihre andre Seite
- der Gesang, dem keiner widersteht.
KLAGE UM ANTINOUS
[Bearbeiten]- Keiner begriff mir von euch den bithynischen
- Knaben,
- (daß ihr den Strom anfaßtet und von ihm hübt...)
- Ich verwöhnte ihn zwar. Und dennoch: wir haben
- ihn nur mit Schwere erfüllt und für immer getrübt.
- Wer vermag denn zu lieben? Wer kann es? —
- Noch keiner.
- Und so hab ich unendliches Weh getan —.
- Nun ist er am Nil der stillenden Götter einer,
- und ich weiß kaum welcher und kann ihm nicht nahn.
- Und ihr warfet ihn noch, Wahnsinnige, bis in die Sterne,
- damit ich euch rufe und dränge: meint ihr den?
- Was ist er nicht einfach ein Toter? Er wäre es gerne.
- Und vielleicht wäre ihm nichts geschehn.
DER TOD DER GELIEBTEN
[Bearbeiten]- Er wußte nur vom Tod, was alle wissen;
- daß er uns nimmt und in das Stumme stößt.
- Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen,
- nein, leis aus seinen Augen ausgelöst,
- hinüberglitt zu unbekannten Schatten,
- und als er fühlte, daß sie drüben nun
- wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten
- und ihre Weise wohlzutun;
- da wurden ihm die Toten so bekannt,
- als wäre er durch sie mit einem jeden
- ganz nah verwandt; er ließ die andern reden
- und glaubte nicht und nannte jenes Land
- das gutgelegene, das immersüße —.
- Und tastete es ab für ihre Füße.
KLAGE UM JONATHAN
[Bearbeiten]- Ach sind auch Könige nicht von Bestand
- und dürfen hingehn wie gemeine Dinge,
- obwohl ihr Druck wie der der Siegelringe
- sich widerbildet in das weiche Land.
- Wie aber konntest du, so angefangen
- mit deines Herzens Initial,
- aufhören plötzlich: Wärme meiner Wangen.
- 0 daß dich einer noch einmal
- erzeugte, wenn sein Samen in ihm glänzt.
- Irgendein Fremder sollte dich zerstören,
- und der dir innig war, ist nichts dabei
- , und muß sich halten und die Botschaft hören;
- wie wunde Tiere auf den Lagern löhren,
- möcht ich mich legen mit Geschrei:
- denn da und da, an meinen scheusten Orten,
- bist du mir ausgerissen wie das Haar,
- das in den Achselhöhlen wächst und dorten,
- wo ich ein Spiel für Frauen war,
- bevor du meine dort verfitzten Sinne
- aufsträhntest, wie man einen Knaul entflicht;
- da sah ich auf und wurde deiner inne: —
- Jetzt aber gehst du mir aus dem Gesicht.
TRÖSTUNG DES ELIA
[Bearbeiten]- Er hatte das getan und dies, den Bund
- wie jenen Altar wieder aufzubauen,
- zu dem sein weitgeschleudertes Vertrauen
- zurück als Feuer fiel von ferne, und
- hatte er dann nicht Hunderte zerhauen,
- weil sie ihm stanken mit dem Baal im Mund,
- am Bache schlachtend bis ans Abendgrauen,
- das mit dem Regengrau sich groß verband.
- Doch als ihn von der Königin der Bote
- nach solchem Werktag antrat und bedrohte,
- da lief er wie ein Irrer in das Land,
- so lange bis er unterm Ginsterstrauche
- wie weggeworfen aufbrach in Geschrei,
- das in der Wüste brüllte: Gott, gebrauche
- mich länger nicht. Ich bin entzwei.
- Doch grade da kam ihn der Engel ätzen
- mit einer Speise, die er tief empfing,
- so daß er lange dann an Weideplätzen
- und Wassern immer zum Gebirge ging,
- zu dem der Herr um seinetwillen kam:
- Im Sturme nicht und nicht im Sich-Zerspalten
- der Erde, der entlang in schweren Falten
- ein leeres Feuer ging, fast wie aus Scham •
- über des Ungeheuren ausgeruhtes
- Hinstürzen zu dem angekommnen Alten,
- der ihn im sanften Sausen seines Blutes
- erschreckt und zugedeckt vernahm.
II
[Bearbeiten]SAUL UNTER DEN PROPHETEN
[Bearbeiten]- Meinst du denn, daß man sich sinken sieht?
- Nein, der König schien sich noch erhaben,
- da er seinen starken Harfenknaben
- töten wollte bis ins zehnte Glied.
- Erst da ihn der Geist auf solchen Wegen
- überfiel und auseinandeniß,
- sah er sich im Innern ohne Segen,
- und sein Blut ging in der Finsternis
- abergläubig dem Gericht entgegen.
- Wenn sein Mund jetzt troff und prophezeite,
- war es nur, damit der Flüchtling weit
- flüchten könne. So war dieses zweite
- Mal, Doch einst: er hatte prophezeit
- fast als Kind, als ob ihm jede Ader
- mündete in einen Mund aus Erz;
- alle schritten, doch er schritt gerader.
- Alle schrieen, doch ihm schrie das Herz.
- Und nun war er nichts als dieser Haufen
- umgestürzter Würden, Last auf Last:
- und sein Mund war wie der Mund der Traufen,
- der die Güsse, die zusammenlaufen,
- fallen läßt, eh er sie faßt.
SAMUELS ERSCHEINUNG VOR SAUL
[Bearbeiten]- Da schrie die Frau zu Endor auf: Ich sehe —
- Der König packte sie am Arme: Wen?
- Und da die Starrende beschrieb, noch ehe, '
- da war ihm schon, er hätte selbst gesehn:
- Den, dessen Stimme ihn noch einmal traf:
- Was störst du mich? Ich habe Schlaf.
- Willst du, weil dir die Himmel fluchen
- und weil der Herr sich vor dir schloß und schwieg,
- in meinem Mund nach einem Siege suchen?
- Soll ich dir meine Zähne einzeln sagen?
- Ich habe nichts als sie ... Es schwand. Da schrie
- das Weib, die Hände vors Gesicht geschlagen,
- als ob sie's sehen müßte: Unterlieg —
- Und er, der in der Zeit, die ihm gelang,
- das Volk wie ein Feldzeichen überragte,
- fiel hin, bevor er noch zu klagen wagte:
- so sicher war sein Untergang.
- Die aber, die ihn wider Willen schlug,
- hoffte, daß er sich faßte und vergäße;
- und als sie hörte, daß er nie mehr äße,
- ging sie hinaus und schlachtete und buk
- und brachte ihn dazu, daß er sich setzte;
- er saß wie einer, der zu viel vergißt:
- alles was war, bis auf das Eine, Letzte.
- Dann aß er, wie ein Knecht zu Abend ißt.
EIN PROPHET
[Bearbeiten]- Ausgedehnt von riesigen Gesichten,
- hell vom Feuerschein aus dem Verlauf
- der Gerichte, die ihn nie vernichten, —
- sind die Augen, schauend unter dichten
- Brauen. Und in seinem Innern richten
- sich schon wieder Worte auf,
- nicht die seinen (denn was wären sehe,
- und wie schonend wären sie vertan)
- andre, harte: Eisenstücke, Steine,
- die er schmelzen muß wie ein Vulkan,
- um sie in dem Ausbruch seines Mundes
- auszuwerfen, welcher flucht und flucht;
- während seine Stime, wie des Hundes
- Stirne, das zu tragen sucht,
- was der Herr von seiner Stirne nimmt:
- Dieser, Dieser, den sie alle fänden,
- folgten sie den großen Zeigehänden,
- die Ihn weisen, wie Er ist: ergrimmt.
JEREMIA
[Bearbeiten]- Einmal war ich weich wie früher Weizen,
- doch, du Rasender, du hast vermocht,
- mir das hingehaltne Herz zu reizen,
- daß es jetzt wie eines Löwen kocht.
- Welchen Mund hast du mir zugemutet,
- damals, da ich fast ein Knabe war:
- eine Wunde wurde er: nun blutet
- aus ihm Unglücksjahr um Unglücksjahr.
- Täglich tönte ich von neuen Nöten,
- die du, Unersättlicher, ersannst,
- und sie konnten mir den Mund nicht töten;
- sieh du zu, wie du ihn stillen kannst,
- wenn, die wir zerstoßen und zerstören,
- erst verloren sind und fernverlaufen
- und vergangen sind in der Gefahr:
- denn dann will ich in den Trümmerhaufen
- endlich meine Stimme Wiederhören,
- die von Anfang an ein Heulen war.
EINE SIBYLLE
[Bearbeiten]- Einst, vor Zeiten, nannte man sie alt.
- Doch sie blieb und kam. dieselbe Straße
- täglich. Und man änderte die Maße,
- und man zählte sie wie einen Wald
- nach Jahrhunderten. Sie aber stand
- jeden Abend auf derselben Stelle,
- schwarz wie eine alte Zitadelle
- hoch und hohl und ausgebrannt;
- von den Worten, die sich unbewacht
- wider ihren Willen in ihr mehrten,
- immerfort umschrieen und umflogen,
- während die schon wieder heimgekehrten
- dunkel unter ihren Augenbogen
- saßen, fertig für die Nacht.
ABSALOMS ABFALL
[Bearbeiten]- Sie hoben sie mit Geblitz:
- der Sturm aus den Hörnern schwellte
- seidene, breitgewellte
- Fahnen. Der herrlich Erhellte
- nahm im hochoffenen Zelte,
- das jauchzendes Volk umstellte,
- zehn Frauen in Besitz,
- die (gewohnt an des alternden Fürsten
- sparsame Nacht und Tat)
- unter seinem Dürsten
- wogten wie Sommersaat.
- Dann trat er heraus zum Rate,
- wie vermindert um nichts,
- und jeder, der ihm nahte,
- erblindete seines Lichts.
- So zog er auch den Heeren
- voran wie ein Stern dem Jahr;
- über allen Speeren
- wehte sein warmes Haar,
- das der Helm nicht faßte
- und das er manchmal haßte,
- weil es schwerer war
- als seine reichsten Kleider.
- Der König» hatte geboten,
- daß man den Schönen schone.
- Doch man sah ihn ohne
- Helm an den bedrohten
- Orten die ärgsten Knoten
- zu roten Stücken von Toten
- auseinanderhaun.
- Dann wußte lange keiner
- von ihm, bis plötzlich einer
- schrie: Er hängt dort hinten
- an den Terebinthen
- mit hochgezogenen Braun.
- Das war genug des Winks.
- Joab, wie ein Jäger,
- erspähte das Haar —: ein schräger
- gedrehter Ast: da hings.
- Er durchrannte den schlanken Kläger,
- und seine Waffenträger
- durchbohrten ihn rechts und links.
ESTHER
[Bearbeiten]- Die Dienerinnen kämmten sieben Tage
- die Asche ihres Grams und ihrer Plage
- Neige und Niederschlag aus ihrem Haar,
- und trugen es und sonnten es im Freien
- und speisten es mit reinen Spezereien
- noch diesen Tag und den: dann aber war
- die Zeit gekommen, da sie ungeboten,
- zu keiner Frist, wie eine von den Toten
- den drohend offenen Palast betrat,
- um gleich, gelegt auf ihre Kammerfrauen,
- am Ende ihres Weges den zu schauen,
- an dem man stirbt, wenn man ihm naht.
- Er glänzte so, daß sie die Kronrubine
- aufflammen fühlte, die sie an sich trug;
- sie füllte sich ganz rasch mit seiner Miene
- wie ein Gefäß und war schon, voll genug
- und floß schon über von des Königs Macht,
- bevor sie noch den dritten Saal durchschritt,
- der sie mit seiner Wände Malachit
- grün überlief. Sie hatte nicht gedacht,
- so langen Gang zu tun mit allen Steinen,
- die schwerer wurden von des Königs Scheinen
- und kalt von ihrer Angst. Sie ging und ging.
- Und als sie endlich fast von nahe ihn,
- aufruhend auf dem Thron von Turmalin,
- sich türmen sah, so wirklich wie ein Ding:
- empfing die rechte von den Dienerinnen
- die Schwindende und hielt sie zu dem Sitze.
- Er rührte sie mit seines Zepters Spitze;
- und sie begriff es ohne Sinne, innen.
DER AUSSATZIGE KÖNIG
[Bearbeiten]- Da trat auf seiner Stirn der Aussatz aus
- und stand auf einmal unter seiner Krone,
- als war er König über allen Graus,
- der in die andern fuhr, die fassungsoline
- hinstarrten nach dem furchtbaren Vollzug
- an jenem, welcher, schmal wie ein Verschnürter
- erwartete, daß einer nach ihm schlug;
- doch noch war keiner Manns genug:
- als machte ihn nur immer unberührter
- die neue Würde, die sich übertrug.
LEGENDE VON DEN DREI LEBENDIGEN UND DEN DREI TOTEN
[Bearbeiten]- Drei Herren hatten mit Haiken gebeizt
- und freuten sich auf das Gelag.
- Da nahm sie der Greis in Beschlag
- und führte. Die Reiter hielten gespreizt
- vor dem dreifachen Sarkophag,
- der ihnen dreifach entgegenstank,
- in den Mund, in die Nase, ins Sehn;
- und sie mißten es gleich: da lagen lang
- drei Tote mitten im Untergang
- und ließen sich gräßlich gehn.
- Und sie hatten nur noch ihr Jagergehör
- reinlich hinter dem Sturmbandlör;
- doch da zischte der Alte sein :
- — Sie gingen nicht durch das Nadelöhr
- und gehen niemals — hinein.
- Nun blieb ihnen noch ihr klares Getast,
- das stark war vom Jagen und heiß;
- doch das hatte ein Frost von hinten gefaßt
- und trieb ihm Eis in den Schweiß.
DER KÖNIG VON MÜNSTKR
[Bearbeiten]- Der König war geschoren;
- nun ging ihm die Krone zu weit
- und bog ein wenig die Ohren,
- in die von Zeit zu Zeit
- gehässiges Gelärme
- aus Hungermäulern fand.
- Er saß, von wegen der Wärme,
- auf seiner rechten Hand,
- mürrisch und schwergesäßig.
- Er fühlte sich nicht mehr echt:
- der Herr in ihm war mäßig,
- und der Beischlaf war schlecht.
TOTENTANZ
[Bearbeiten]- Sie brauchen kein Tanz-Orchester;
- sie hören in sich ein Geheule,
- als wären sie Eulennester.
- Ihr Ängsten näßt wie eine Beule,
- und der Vorgeruch ihrer Fäule
- ist noch ihr bester Geruch.
- Sie fassen den Tänzer fester,
- den rippenbetreßten Tänzer,
- den Galan, den echten Ergänzer
- zu einem ganzen Paar.
- Und er lockert der Ordensschwester
- über dem Haar das Tuch;
- sie tanzen ja unter Gleichen.
- Und er zieht der wachslichtbleichen
- leise die Lesezeichen
- aus ihrem Stunden-Buch.
- Bald wird ihnen allen zu heiß,
- sie sind zu reich gekleidet;
- beißender Schweiß verleidet
- ihnen Stirne und Steiß
- und Schauben und Hauben und Steine;
- sie wünschen, sie wären nackt
- wie ein Kind, ein Verrückter und Eine:
- die tanzen noch immer im Takt.
DAS JÜNGSTE GERICHT
[Bearbeiten]- So erschrocken, wie sie nie erschraken
- ohne Ordnung, oft durchlocht und locker,
- hocken sie in dem geborstnen Ocker
- ihres Ackers, nicht von ihren Laken
- abzubringen, die sie liebgewannen.
- Aber Engel kommen an, um Öle
- einzuträufeln in die trocknen Pfannen
- und um jedem in die Achselhöhle
- das zu legen, was er in dem Lärme
- damals seines Lebens nicht entweihte;
- denn dort hat es noch ein wenig Wärme,
- daß es nicht des Herren Hand erkälte
- oben, wenn er es aus jeder Seite
- leise greift, zu fühlen, ob es gälte.
DIE VERSUCHUNG
[Bearbeiten]- Nein,' es half nicht, daß er sich die scharfen
- Stacheln einhieb in das geile Fleisch;
- alle seine trächtigen Sinne warfen
- unter kreißendem Gekreisch
- Frühgeburten: schiefe, hingeschielte
- kriechende und fliegende Gesichte,
- Nichte, deren nur auf ihn erpichte
- Bosheit sich verband und mit ihm spielte.
- Und schon hatten seine Sinne Enkel;
- denn das Pack war fruchtbar in der Nacht
- und in immer bunterem Gesprenkel
- hingehudelt und- verhundertfacht.
- Aus dem Ganzen ward ein Trank gemacht:
- seine Hände griffen lauter Henkel,
- und der Schatten schob sich auf wie Schenkel
- warm und zu Umarmungen erwacht —.
- Und da schrie er nach dem Engel, schrie:
- Und der Engel kam in seinem Schein
- und war da: und jagte sie
- wieder in den Heiligen hinein,
- daß er mit Geteufel und Getier
- in sich weiterringe wie seit Jahren
- und sich Gott, den lange noch nicht klaren,
- innen aus dem Jäsen destillier.
DER ALCHIMIST
[Bearbeiten]- Seltsam verlächelnd schob der Laborant
- den Kolben fort, der halbberuhigt rauchte.
- Er wußte jetzt, was er noch brauchte,
- damit der sehr erlauchte Gegenstand
- da drin entstände. Zeiten brauchte er.
- Jahrtausende für sich und diese Birne,
- in der es brodelte; im Hirn Gestirne
- und im Bewußtsein mindestens das Meer.
- Das Ungeheuere, das er gewollt,
- er ließ es los in dieser Nacht. Es kehrte
- zurück zu Gott und in sein altes Maß;
- er aber, lallend wie ein Trunkenbold,
- lag über dem Geheimfach und begehrte
- den Brocken Gold, den er besaß.
DER RELIQUIENSCHREIN
[Bearbeiten]- Draußen wartete auf alle Ringe
- und auf jedes Kettenglied
- Schicksal, das nicht ohne sie geschieht.
- Drinnen waren sie nur Dinge, Dinge,
- die er schmiedete; denn vor dem Schmied
- war sogar die Krone, die er bog,
- nur ein Ding, ein zitterndes und eines,
- das er finster wie im Zorn erzog
- zu dem Tragen eines reinen Steines.
- Seine Augen wurden immer kälter
- von dem kalten täglichen Getränk;
- aber als der herrliche Behälter
- (goldgetrieben, köstlich, vielkarätig)
- fertig vor ihm stand, das Weihgeschenk,
- daß darin ein kleines Handgelenk
- fürder wohne, weiß und wundertätig:
- blieb er ohne Ende auf den Knien,
- hingeworfen, weinend, nicht mehr wagend,
- seine Seele niederschlagend
- vor dem ruhigen Rubin,
- der ihn zu gewahren schien
- und ihn, plötzlich um sein Dasein fragend,
- ansah wie aus Dynastien.
DAS GOLD
[Bearbeiten]- Denk es wäre nicht: es' hätte müssen
- endlich in den Bergen sich gebären
- und sich niederschlagen in den Flüssen
- aus dem Wollen, aus dem Gären
- ihres Willens; aus der Zwangidee,
- daß ein Erz ist über allen Erzen.
- Weithin warfen sie aus ihren Herzen
- immer wieder Meroe
- an den Rand der Lande, in den Äther,
- über das Erfahrene hinaus;
- und die Söhne brachten manchmal später
- das Verheißene der Väter,
- abgehärtet und verhehrt, nach Haus;
- wo es anwuchs eine Zeit, um dann
- fortzugehn von den an ihm Geschwächten,
- die es niemals liebgewann.
- Nur (so sagt man) in den letzten Nächten
- steht es auf und sieht sie an.
DER STYLIT
[Bearbeiten]- Völker schlugen über ihm zusammen,
- die er küren durfte und verdammen;
- und erratend, daß er sich verlor,
- klomm er aus dem VoUcsgeruch mit klammen
- Händen einen Säulenschaft empor,
- der noch immer stieg und nichts mehr hob,
- und begann, allein auf seiner Fläche,
- ganz von vorne seine eigne Schwäche
- zu vergleichen mit des Herren Lob;
- und da war kein Ende: er verglich;
- und der andre wurde immer größer.
- Und die Hirten, Ackerbauer, Flößer
- sahn ihn klein und außer sich
- immer mit dem ganzen Himmel reden,
- eingeregnet manchmal, manchmal licht;
- und sein Heulen stürzte sich auf jeden,
- so als heulte er ihm ins Gesicht.
- Doch er sah seit Jahren nicht,
- wie der Menge Drängen und Verlauf
- unten unaufhörlich sich ergänzte,
- und das Blanke an den Fürsten glänzte
- lange nicht so hoch hinauf.
- Aber wenn er oben, fast verdammt
- und von.ihrem Widerstand zerschunden,
- einsam mit verzweifeltem Geschreie
- schüttelte die täglichen Dämonen:
- fielen langsam auf die erste Reihe
- schwer und ungeschickt aus seinen Wunden
- große Würmer in die offnen Kronen
- und vermehrten sich im Samt.
- DIE ÄGYPTISCHE MARIA
- Seit sie damals, bettheiß, als die Hufe
- übern Jordan floh und, wie ein Grab
- gebend, stark und unvermischt das pure
- Herz der Ewigkeit zu trinken gab,
- wuchs ihr frühes Hingegebensein
- unaufhaltsam an zu solcher Größe,
- " daß sie endlich, wie die ewige Blöße
- aller, aus vergilbtem Elfenbein
- dalag in der dürren Haare Schelfe.
- Und ein Löwe kreiste; und ein Alter
- rief ihn winkend an, daß er ihm helfe:
- (und so gruben sie zu zwein.)
- Und der Alte neigte sie hinein.
- Und der Löwe, wie ein Wappenhalter,
- saß dabei und hielt den Stein.
KREUZIGUNG
[Bearbeiten]- Längst geübt, zum kahlen Galgenplatze
- irgendein Gesindel hinzudrängen,
- ließen sich die schweren Knechte hängen,
- dann und wann nur eine große Fratze
- kehrend nach den abgetanen Drein.
- Aber oben war das schlechte Henkern
- rasch getan; und nach dem Fertigsein
- ließen sich die freien Männer schlenkern.
- Bis der eine (fleckig wie ein Selcher)
- sagte: Hauptmann, dieser hat geschrien.
- Und der Hauptmann sah vom Pferde: Welcher;
- und es war ihm selbst, er hätte ihn
- den Elia rufen hören. Alle
- waren zuzuschauen voller Lust,
- und sie hielten, daß er nicht verfalle,
- gierig ihm die ganze Essiggalle
- an sein schwindendes Gehust.
- Denn sie hofften noch ein ganzes Spiel
- und vielleicht den kommenden Elia.
- Aber hinten ferne schrie Maria,
- und er selber brüllte und verfiel.
DER AUFERSTANDENE
[Bearbeiten]- Er vermochte niemals bis zuletzt
- ihr zu weigern oder abzuneinen,
- daß sie ihrer Liebe sich beriihme;
- und sie sank ans Kreuz in dem Kostüme
- eines Schmerzes, welches ganz besetzt
- war mit ihrer Liebe größten Steinen.
- Aber da sie dann, um ihn zu salben,
- an das Grab kam, Tränen im Gesicht,
- war er auferstanden ihrethalben,
- daß er seliger ihr sage.: Nicht —
- Sie begriff es erst in ihrer Höhle,
- wie er ihr, gestärkt durch seinen Tod,
- endlich das Erleichternde der Öle
- und des Rührens Vorgefühl verbot,
- um aus ihr die Liebende zu formen,
- die sich nicht mehr zum Geliebten neigt,
- weil sie, hingerissen von enormen
- Stürmen, seine Stimme übersteigt.
MAGNIFICAT
[Bearbeiten]- Sie kam den Hang herauf, schon schwer, fast ohne
- an Trost zu glauben, Hoffnung oder Rat;
- doch da die hohe tragende Matrone
- ihr ernst und stolz entgegentrat
- und alles wußte ohne ihr Vertrauen,
- da war sie plötzlich an ihr ausgeruht;
- vorsichtig hielten sich die vollen Frauen,
- bis daß die junge sprach: Mir ist zumut,
- als war ich, Liebe, von nun an für immer.
- Gott schüttet in der Reichen Eitelkeit
- fast ohne hinzusehen ihren Schimmer;
- doch sorgsam sucht er sich ein Frauenzimmer
- und füllt sie an mit seiner fernsten Zeit.
- Daß er mich fand. Bedenk nur; und Befehle
- um meinetwillen gab von Stern zu Stern —.
- Verherrliche und hebe, meine Seele,
- so hoch du kannst: den Herrn.
ADAM
[Bearbeiten]- Staunend steht er an der Kathedrale
- steilem Aufstieg, nah der Fensterrose,
- wie erschreckt von der Apotheose,
- welche wuchs und ihn mit einem Male
- niederstellte über die und die.
- Und er ragt und freut sich seiner Dauer
- schlicht entschlossen; als der Ackerbauer,
- der begann und der nicht wußte, wie
- aus dem fertig-vollen Garten Eden
- einen Ausweg in die neue Erde
- finden. Gott war schwer zu überreden;
- und er drohte ihm, statt zu gewähren,
- immer wieder, daß er sterben werde.
- Doch der Mensch bestand: sie wird gebären.
EVA
[Bearbeiten]- Einfach steht sie an der Kathedrale
- großem Aufstieg, nah der Fensterrose,
- mit dem Apfel in der Apfelpose,
- schuldlos-schuldig ein für alle Male
- an dem Wachsenden, das sie gebar,
- seit sie aus dem Kreis der Ewigkeiten
- liebend fortging, um sich durchzustreiten
- durch die Erde, wie ein junges Jahr.
- Ach, sie hätte gern in jenem Land
- noch ein wenig weilen mögen, achtend
- auf der Tiere Eintracht und Verstand.
- Doch da sie den Mann entschlossen fand,
- ging sie mit ihm, nach dem Tode trachtend,
- und sie hatte Gott noch kaum gekannt.
IRRE IM GARTEN (DIJON)
[Bearbeiten]- Noch schließt die aufgegebene Karthause
- sich um deii Hof, als würde etwas heil.
- Auch die sie jetzt bewohnen, haben Pause
- und nehmen nicht am Leben draußen teil.
- Was irgend kommen konnte, das verlief.
- Nun gehn sie gerne mit bekannten Wegen
- und trennen sich und kommen sich entgegen,
- als ob sie kreisten, willig, primitiv.
- Zwar manche pflegen dort die Frühlingsbeete,
- demütig, dürftig, hingekniet;
- aber sie haben, wenn es keiner sieht,
- eine verheimlichte, verdrehte
- Gebärde für das zarte frühe Gras,
- ein prüfendes, verschüchtertes Liebkosen:
- denn das ist freundlich, und das Rot der Rosen
- wird vielleicht drohend sein und Übermaß
- und wird vielleicht schon wieder übersteigen,
- was ihre Seele wiederkennt und weiß.
- Dies aber läßt sich noch verschweigen:
- wie gut das Gras ist und wie leis.
DIE IRREN
[Bearbeiten]- Und sie schweigen, weil die Scheidewände
- weggenommen sind aus ihrem Sinn,
- und die Stunden, da man sie verstände,
- heben an und gehen hin. ¦
- Nächtens oft, wenn sie ans Fenster treten:
- plötzlich ist es alles gut.
- Ihre Hände liegen im Konkreten,
- und das Herz ist hoch und könnte beten,
- und die Augen schauen ausgeruht
- auf den unverhofften, oftentstellten
- Garten im beruhigten Geviert,
- der im Widerschein der fremden Welten
- weiterwächst und niemals sich verliert.
AUS DEM LEBEN EINES HEILIGEN
[Bearbeiten]- Er kannte Ängste, deren Eingang schon
- wie Sterben war und nicht zu überstehen.
- Sein Herz erlernte, langsam durchzugehen;
- er zog es groß wie einen Sohn.
- Und namenlose Nöte kannte er,
- finster und ohne Morgen wie Verschlage;
- und seine Seele gab er folgsam her,
- da sie erwachsen war, auf daß sie läge
- bei ihrem Bräutigam und Herrn; und blieb
- allein zurück an einem solchen Orte,
- wo das Alleinsein alles übertrieb,
- und wohnte weit und wollte niemals Worte.
- Aber dafür, nach Zeit und Zeit, erfuhr
- er auch das Glück, sich in die eignen Hände,
- damit er eine Zärtlichkeit empfände,
- zu legen wie die ganze Kreatur.
DIE BETTLER
[Bearbeiten]- Du wußtest nicht, was den Haufen
- ausmacht. Ein Fremder fand
- Bettler darin. Sie verkaufen
- das Hohle aus ihrer Hand.
- Sie zeigen dem Hergereisten
- ihren Mund voll Mist,
- und er darf (er kann es sich leisten)
- sehn, wie ihr Aussatz frißt.
- Es zergeht in ihren zerrührten
- Augen sein fremdes Gesicht;
- und sie freuen sich des Verführten
- und speien, wenn, er spricht.
FREMDE FAMILIE
[Bearbeiten]- So wie der Staub, der irgendwie beginnt
- und nirgends ist, zu unerklärtem Zwecke
- an einem leeren Morgen in der Ecke,
- in die man sieht, ganz rasch zu Grau gerinnt,
- so bildeten sie sich, wer weiß aus was,
- im letzten Augenblick vor deinen Schritten
- und waren etwas Ungewisses mitten
- im nassen Niederschlag der Gasse, das
- nach dir verlangte. Oder nicht nach dir.
- Denn eine Stimme, wie vom vorigen Jahr,
- sang dich zwar an und blieb doch ein Geweine;
- und eine Hand, die wie geliehen war,
- kam zwar hervor und nahm doch nicht die deine.
- Wer kommt denn noch? Wen meinen diese vier?
LEICHENWÄSCHE
[Bearbeiten]- Sie hatten sich an ihn gewöhnt. Doch als
- die Küchenlampe kam und unruhig brannte
- im dunkeln Luftzug, war der Unbekannte
- ganz unbekannt. Sie wuschen seinen Hals,
- und da sie nichts von seinem Schicksal wußten,
- so logen sie ein anderes zusamm,
- fortwährend waschend. Eine mußte husten
- und ließ solang den schweren Essigschwamm
- auf dem Gesicht. Da gab es eine Pause
- auch für die zweite. Aus der harten Bürste
- klopften die Tropfen; während seine grause
- gekrampfte Hand dem ganzen Hause
- beweisen wollte, daß ihn nicht mehr dürste.
- Und er bewies. Sie nahmen wie betreten
- eiliger jetzt mit einem kurzen Huster
- die Arbeit auf, so daß an den Tapeten
- ihr krummer Schatten in dem stummen Muster
- sich wand und wälzte wie in einem Netze,
- bis daß die Waschenden zu Ende kamen.
- Die Nacht im vorhanglosen Fensterrahmen
- war rücksichtslos. Und einer ohne Namen
- lag bar und reinlich da und gab Gesetze.
EINE VON DEN ALTEN (PARIS)
[Bearbeiten]- Abends nianchmal (weißt du, wie das tut?)
- wenn sie plötzlich stehn und rückwärts nicken
- und ein Lächeln, wie aus lauter Flicken,
- zeigen unter ihrem halben Hut.
- Neben ihnen ist dann ein Gebäude,
- endlos, und sie locken dich entlang
- mit dem Rätsel ihrer Räude,
- mit dem Hut, dem Umhang und dem Gang.
- Mit der Hand, die hinten unterm Kragen
- heimlich wartet und verlangt nach dir:
- wie um deine Hände einzuschlagen
- in ein aufgehobenes Papier.
DER BLINDE (PARIS)
[Bearbeiten]- Sieh, er geht und unterbricht die Stadt,
- die nicht ist auf seiner dunkeln Stelle,
- wie ein dunkler Sprung durch eine helle
- Tasse geht. Und wie auf einem Blatt
- ist auf ihm der Widerschein der Dinge
- aufgemalt; er nimmt ihn nicht hinein.
- Nur sein Fühlen rührt sich, so als finge
- es die Welt in kleinen Wellen ein:
- eine Stille, einen Widerstand -,
- und dann scheint er wartend wen zu wählen:
- hingegeben hebt er seine Hand,
- festlich fast, wie um sich zu vermählen.
EINE "WELKE"
[Bearbeiten]- Leicht, wie nach ihrem Tode,
- trägt sie die Handschuh, das Tuch.
- Ein Duft aus ihrer Kommode
- verdrängte den lieben Geruch,
- an dem sie sich, früher erkannte.
- Jetzt fragte sie lange nicht, wer
- sie sei (: eine ferne Verwandte),
- und geht in Gedanken umher
- und sorgt für ein ängstliches Zimmer,
- das sie ordnet und schont,
- weil es vielleicht noch immer
- dasselbe Mädchen bewohnt.
ABENDMAHL
[Bearbeiten]- Ewiges will zu uns. Wer hat die Wahl
- und trennt die großen und geringen Kräfte?
- Erkennst du durch das Dämmern der Geschäfte
- im klaren Hinterraum das Abendmahl;
- wie sie sich's halten und wie sie sich's reichen
- und in der Handlung schlicht und schwer beruhn..
- Aus ihren Händen heben sich die Zeichen;
- sie wissen nicht, daß sie sie tun
- und immer neu mit irgendwelchen Worten
- einsetzen, was man trinkt und was man teilt.
- Denn da ist keiner, der nicht allerorten
- heimlich von hinnen geht, indem er weilt.
- Und sitzt nicht immer einer unter ihnen,
- der seine Eltern, die ihm ängstlich dienen,
- wegschenkt an ihre abgetane Zeit?
- (Sie zu verkaufen, ist ihm schon zu weit.)
DIE BRANDSTÄTTE
[Bearbeiten]- Gemieden von dem Frühherbstmorgen, der
- mißtrauisch war, lag hinter den versengten
- Hauslinden, die das Heidehaus beengten,
- ein Neues, Leeres. Eine Stelle mehr,
- auf welcher Kinder, von Gott weiß woher,
- einander zuschrien und nach Fetzen haschten.
- Doch alle wurden stille, sooft er,
- der Sohn von hier, aus heißen, halbveraschten
- Gebälken Kessel und verbogne Tröge
- mit einem langen Gabelaste zog, —
- um dann mit einem Blick, als ob er löge,
- die andern anzusehn, die er bewog
- zu glauben, was an dieser Stelle stand.
- Denn seit es nicht mehr war, schien es ihm so
- seltsam: phantastischer als Pharao.
- Und er war anders, wie aus fernem Land.
DIE GRUPPE (PARIS)
[Bearbeiten]- Als pflückte einer rasch zu einem Strauß:
- ordnet der Zufall hastig die Gesichter,
- lockert sie auf und drückt sie wieder dichter,
- ergreift zwei ferne, läßt ein nahes aus,
- tauscht das mit dem, bläst irgendeines frisch,
- wirft einen Hund, wie Kraut, aus dem Gemisch
- und zieht, was niedrig schaut, wie durch verworrne
- Stiele und Blätter, an dem Kopf nach vorne
- und bindet es ganz klein am Rande ein;
- und streckt sich wieder, ändert und verstellt
- und hat nur eben Zeit, zum 'Augenschein
- zurückzuspringen mitten auf die Matte,
- auf der im nächsten Augenblick der glatte
- Gewichteschwinger seine Schwere schwellt.
SCHLANGENBESCHWÖRUNG
[Bearbeiten]- Wenn auf demMarkt, sich wiegend, derBeschwörer
- die Kürbisflöte pfeift, die reizt und lullt,
- so kann es sein, daß er sich einen Hörer
- herüberlockt, der ganz aus dem Tumult
- der Buden eintritt in den. Kreis der Pfeife,
- die will und will und will und die erreicht,
- daß das Reptil in seinem Korb sich steife
- und die das steife schmeichlerisch erweicht,
- abwechselnd immer schwindelnder und blinder
- mit dem, was schreckt und streckt, und dem, was
- löst -;
- und dann genügt ein Blick: so hat der Inder
- dir eine Fremde eingeflößt,
- in der du stirbst. Es ist, als überstürze
- glühender Himmel dich. Es geht ein Sprung
- durch dein Gesicht. Es legen sich Gewürze
- auf deine nordische Erinnerung,
- die dir nichts hilft. Dich feien keine Kräfte,
- dit Sonne gärt, das Fieber fällt und trifft;
- von böser Freude steilen sich die Schäfte,
- und in den Schlangen glänzt das Gift.
SCHWARZE KATZE
[Bearbeiten]- Ein Gespenst ist noch wie eine Stelle,
- dran dein Blick mit einem Klange stößt;
- aber da an diesem schwarzen Felle
- wird dein stärkstes Schauen aufgelöst:
- wie ein Tobender, wenn er in vollster
- Raserei ins Schwarze stampft,
- jählings am benehmenden Gepolster
- einer Zelle aufhört und verdampft.
- Alle Blicke, die sie jemals trafen,
- scheint sie also an sich zu verhehlen,
- um darüber drohend und verdrossen
- zuzuschauern und damit zu schlafen.
- Doch auf einmal kehrt sie, wie geweckt,
- ihr Gesicht und mitten in das deine:
- und da triffst du deinen Blick im geelen
- Amber ihrer runden Augensteine
- unerwartet wieder: eingeschlossen
- wie ein ausgestorbenes Insekt.
VOR-OSTERN (NEAPEL)
[Bearbeiten]- Morgen wird in diesen tiefgekerbten
- Gassen, die sich durch getürmtes Wohnen
- unten dunkel nach dem Hafen drängen,
- hell das Gold der Prozessionen rollen;
- statt der Fetzen werden die ererbten.
- Bettbezüge, welche wehen wollen,
- von den immer höheren Baikonen
- (wie in Fließendem gespiegelt) hängen.
- Aber heute hämmert an den Klopfern
- jeden Augenblick ein voll Bepackter,
- und sie schleppen immer neue Käufe;
- dennoch stehen strotzend noch die Stände.
- An der Ecke zeigt ein aufgehackter
- Ochse seine frischen Innenwände,
- und in Fähnchen enden alle Läufe.
- Und ein Vorrat wie von tausend Opfern
- drängt auf Bänken, hängt sich rings um Pflöcke,
- zwängt sich, wölbt sich, wälzt sich aus dem Dämmer
- aller Türen, und vor dem Gegähne
- der Melonen strecken sich die Brote.
- Voller Gier und Handlung ist das Tote;
- doch viel stiller sind die jungen Hähne
- und die abgehängten Ziegenböcke
- und am allerleisesten die Lämmer,
- die die Knaben um die Schultern nehmen
- und die willig von den Schritten nicken;
- während in der Mauer der verglasten
- spanischen Madonna die Agraffe
- und das Silber in den Diademen
- von dem Lichter-Vorgefühl beglänzter
- schimmert. Aber drüber in dem Fenster
- zeigt sieb, blickverschwenderisch ein Affe
- und führt rasch, in einer angemaßten
- Haltung Gesten aus, die sich nicht schicken.
DER BALKON (NEAPEL)
[Bearbeiten]- Von der Enge, oben, des Balkones
- angeordnet wie von einem Maler
- und gebunden wie zu einem Strauß
- alternder Gesichter und ovaler,
- klar im Abend, sehn sie idealer,
- rührender und wie für immer aus.
- Diese aneinander angelehnten
- Schwestern, die, als ob sie sich von weit
- ohne Aussicht nacheinander sehnten,
- lehnen, Einsamkeit an Einsamkeit;
- und der Bruder mit dem feierlichen
- Schweigen, zugeschlossen, voll Geschick,
- doch von einem sanften Augenblick
- mit der Mutter unbemerkt verglichen;
- und dazwischen, abgelebt und länglich,
- längst mit keinem mehr verwandt,
- einer Greisin Maske, unzugänglich,
- wie im Fallen von der einen Hand
- aufgehalten, während eine zweite
- welkere, als ob sie weitergleite,
- unten vor den Kleidern hängt zur Seite
- von dem Kinder-Angesicht,
- das das Letzte ist, versucht, verblichen,
- von den Stäben wieder durchgestrichen
- wie noch unbestimmbar, wie noch nicht.
AUSWANDERER-SCHIFF (NEAPEL)
[Bearbeiten]- Denk, daß einer heiß und glühend flüchte,
- und die Sieger wären hinterher,
- und auf einmal machte der
- Flüchtende kurz, unerwartet, Kehr
- gegen Hunderte —: so sehr
- warf sich das Erglühende der Früchte
- immer wieder an das blaue Meer,
- als das langsame Orangenboot
- sie vorübertrug bis an das große
- graue Schiff, zu dem, von Stoß zu Stoße,
- andre Boote Fische hoben, Brot, —
- während es voll Hohn in seinem Schöße
- Kohlen aufnahm, offen wie der Tod.
LANDSCHAFT
[Bearbeiten]- Wie zuletzt, in einem Augenblick
- aufgehäuft aus Hängen, Häusern, Stücken
- alter Himmel und zerbrochnen Brücken,
- und von drüben her, wie vom Geschick,
- von dem Sonnenuntergang getroffen,
- angeschuldigt, aufgerissen, offen -
- ginge dort die Ortschaft tragisch aus:
- fiele nicht auf einmal in das Wunde,
- drin zerfließend, aus der nächsten Stunde
- jener Tropfen kühlen Blaus,
- der die Nacht schon in den Abend mischt,
- so daß das von ferne Angefachte
- sachte, wie erlöst, erlischt.
- Ruhig sind die Tore und die Bogen,
- durchsichtige Wolken wogen
- über blassen Hä'userreihn,
- die schon Dunkel in sich eingesogen;
- aber plötzlich ist vom Mond ein Schein
- durchgeglitten, licht, als hätte ein
- Erzengel irgendwo sein Schwert gezogen.
RÖMISCHE CAMPAGNA
[Bearbeiten]- Aus der volJgestellten Stadt, die lieber
- schliefe, träumend von den hohen Thermen,
- geht der grade Gräberweg ins Fieber;
- und die Fenster in den letzten Fennen
- sehn ihm nach mit einem bösen Blick.
- Und er hat sie immer im Genick,
- wenn er hingeht, rechts und links zerstörend,
- bis er draußen atemlos beschwörend
- seine Leere zu den Himmeln hebt,
- hastig um sich schauend, ob ihn keine
- Fenster treffen. Während er den weiten
- Aquädukten zuwinkt herzuschreiten,
- geben ihm die Himmel für die seine
- ihre Leere, die ihn überlebt.
LIED VOM MEER (CAPRI, PICCOLA MARINA)
[Bearbeiten]- Uraltes Wehn vom Meer,
- Meerwind bei Nacht:
- du kommst zu keinem her;
- wenn einer wacht,
- so muß er sehn, wie er
- dich übersteht:
- uraltes Wehn vom Meer,
- welches weht
- nur wie für Urgestein,
- lauter Raum
- reißend von weit herein.
- O wie fühlt dich' ein
- treibender Feigenbaum
- oben im Mondschein.
NÄCHTLICHE FAHRT (SANKT PETERSBURG)
[Bearbeiten]- Damals, als wir mit den glatten Trabern
- (schwarzen, aus dem OrlofPschen Gestüt) —,
- während hinter hohen Kandelabern
- Stadtnachtfronten lagen, angefrüht
- stumm und keiner Stunde mehr gemäß —,
- fuhren, nein: vergingen oder flogen
- und um lastende Paläste bogen
- in das Wehn der Newa-Quais,
- hingerissen durch das wache Nachten,
- das nicht Himmel und nicht Erde hat, —
- als das Drängende von unbewachten
- Gärten gärend aus dem Ljetnij-Ssad
- aufstieg, während seine Steinfiguren
- schwindend mit ohnmächtigen Konturen
- hinter uns vergingen, wie wir fuhren —:
- damals hörte diese Stadt
- auf zu sein. Auf einmal gab sie zu,
- daß sie niemals war, um nichts als Ruh
- flehend; wie ein Irrer, dem das "Wirrn
- plötzlich sich entwirrt, das ihn verriet,
- und der einen jahrelangen kranken
- gar nicht zu verwandelnden Gedanken,
- den er nie mehr denken muß: Granit —
- aus dem leeren schwankenden Gehirn
- fallen fühlt, bis man ihn nicht mehr sieht.
PÄPAGEIENPARK (PARIS)
[Bearbeiten]- Unter türkischen Linden, die blühen, an Rasen-
- rändern,
- in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern
- atmen die Ära und wissen von ihren Ländern,
- die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht ver-
- ändern.
- Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade,
- zieren sie sich und fühlen sich selber zu schade
- und mit den kostbaren Schnäbeln aus Jaspis und
- Jade
- kauen sie Graues, verschleudern es, finden es fade.
- Unten klauben die duffen Tauben, was sie nicht
- mögen,
- während sich oben die höhnischen Vögel verbeugen
- zwischen den beiden fast leeren vergeudeten Trögen.
- Aber dann wiegen sie wieder und schläfern und
- äugen,
- spielen mit dunkelen Zungen, die gerne lögen,
- zerstreut an den Fußfesselringen. Warten auf
- Zeugen.
DIE PARKE
[Bearbeiten]- Unaufhaltsam heben sich die Parke
- aus dem sanft zerfallenden Vergehn;
- überhäuft mit Himmeln, überstarke
- Überlieferte, die überstehn,
- um sich auf den klaren Rasenplänen
- auszubreiten und zurückzuziehn,
- immer mit demselben souveränen
- Aufwand, wie beschützt durch ihn,
- und den unerschöpflichen Erlös
- königlicher Größe noch vermehrend,
- aus sich steigend, in sich wiederkehrend:
- huldvoll, prunkend, purpurn und pompös.
II.
[Bearbeiten]- Leise von den Alleen
- ergriffen, rechts und links,
- folgend dem Weitergehen
- irgendeines Winks,
- trittst du mit einem Male
- in das Beisammensein
- einer schattigen Wässerschale
- mit vier Bänken aus Stein;
- in eine abgetrennte
- Zeit, die allein vergeht.
- Auf feuchte Postamente,
- auf denen nichts mehr steht,
- hebst du einen tiefen
- erwartenden Atemzug;
- während das silberne Triefen
- vor dem dunkeln Bug
- dich schon zu den Seinen
- zählt und weiterspricht.
- Und du fühlst dich unter Steinen,
- die hören, und rührst dich nicht.
III.
[Bearbeiten]- Den Teichen und den eingerahmten Weihern
- verheimlicht man noch immer das Verhör
- der Könige. Sie warten unter Schleiern,
- und jeden Augenblick kann Monseigneur ¦
- vorüberkommen; und dann wollen sie
- des Königs Laune oder Trauer mildern
- und von den Marmorrändern wieder die
- Teppiche mit alten Spiegelbildern
- hinunterhängen, wie um einen Platz:
- auf grünem Grund, mit Silber, Rosa, Grau,
- gewährtem Weiß und leicht gerührtem Blau
- und einem Könige und einer Frau
- und Blumen in dem wellenden Besatz.
IV.
[Bearbeiten]- Und Natur, erlaucht und als verletze
- sie nur unentschloßnes Ungefähr,
- nahm von diesen Königen Gesetze,
- selber selig, um den Tapis-vert
- ihrer Bäume Traum und Übertreibung
- aufzutürmen aus gebauschtem Grün
- und die Abende nach der Beschreibung
- von Verliebten in die Avenün
- einzumalen mit dem weichen Pinsel,
- der ein firnisklares aufgelöstes
- Lächeln glänzend zu enthalten schien:
- deir Natur ein liebes, nicht ihr größtes,
- aber eines, das sie selbst verliehn,
- um auf rosenvoller Liebes-Insel
- es zu einem größern aufzuziehn.
V.
[Bearbeiten]- Götter von Alleen und Altanen,
- niemals ganzgeglaubte Götter, die
- altern in den gradbeschnittnen Bahnen,
- höchstens angelächelte Dianen,
- wenn die königliche Venerie
- wie ein Wind die hohen Morgen teilend
- aufbrach, übereilt und übereilend —;
- höchstens angelächelte, doch nie
- angeflehte Götter. Elegante
- Pseudonyme, unter denen man
- sich verbarg und blühte oder brannte, —
- leichtgeneigte, lächelnd angewandte
- Götter, die noch manchmal dann und wann
- das gewähren, was sie einst gewährten,
- wenn das Blühen der entzückten Gärten
- ihnen ihre kalte Haltung nimmt;
- wenn sie ganz von ersten Schatten beben
- und Versprechen um Versprechen geben,
- alle unbegrenzt und unbestimmt.
VI.
[Bearbeiten]- Fühlst du, wie keiner von allen
- Wegen steht und stockt;
- von gelassenen Treppen fallen,
- durch ein Nichts von Neigung
- leise weitergelockt,
- über alle Terrassen
- die Wege, zwischen den Massen
- verlangsamt und gelenkt,
- bis zu den weiten Teichen,
- wo sie (wie einem Gleichen)
- der reiche Park verschenkt
- an den reichen Raum: den Einen,
- der mit Scheinen und Widerscheinen
- seinen Besitz durchdringt,
- aus dem er von allen Seiten
- Weiten mit sich bringt,
- wenn er aus schließenden Weihern,
- zu wolkigen Abcndfeiern
- sich in die Himmel schwingt.
VII.
[Bearbeiten]- Aber Schalen sind, drin der Najaden
- Spiegelbilder, die sie nicht mehr baden,
- wie ertrunken liegen, sehr verzerrt;
- die Alleen sind durch Balustraden
- in der Ferne wie versperrt.
- Immer geht ein feuchter Blä'tterfall
- durch die Luft hinunter wie auf Stufen,
- jeder Vogelruf ist wie verrufen,
- wie vergiftet jede Nachtigall.
- Selbst der Frühling ist da nicht mehr gebend,
- diese Büsche glauben nicht an ihn;
- ungern duftet trübe, überlebend
- abgestandener Jasmin
- alt und mit Zerfallendem vermischt.
- Mit dir weiter rückt ein Bündel Mücken,
- so als würde hinter deinem Rücken
- alles gleich vernichtet und verwischt.
BILDNIS
[Bearbeiten]- Daß von dem verzichtenden Gesichte
- keiner ihrer großen Schmerzen fiele,
- trägt sie langsam durch die Trauerspiele
- ihrer Züge schönen welken Strauß,
- wild gebunden und schon beinah lose;
- manchmal fällt, wie eine Tuberose,
- ein verlornes Lächeln müd heraus.
- Und sie geht gelassen drüber hin,
- müde, mit den schönen blinden Händen,
- welche wissen, daß sie es nicht fänden,
- und sie sagt Erdichtetes, darin
- Schicksal schwankt, gewolltes, irgendeines,
- und sie gibt ihm ihrer Seele Sinn,
- daß es ausbricht wie ein Ungemeines:
- wie das Schreien eines Steines —
- und sie läßt mit hochgehobnem Kinn
- alle diese "Worte wieder fallen,
- ohne bleibend; denn nicht eins von allen
- ,ist der wehen Wirklichkeit gemäß,
- ihrem einzigen Eigentum,
- das sie wie ein fußloses Gefäß
- halten muß, hoch über ihren Ruhm
- und den Gang der Abende hinaus.
VENEZIANISCHER MORGEN (RICHARD BEER-HOFMANN ZUGEEIGNET)
[Bearbeiten]- Fürstlich verwöhnte Fenster sehen immer,
- was manchesmal uns zu bemühn geruht:
- die Stadt, die immer wieder, wo ein Schimmer
- von Himmel trifFt auf ein Gefühl von Flut,
- sich bildet, ohne irgendwann zu sein.
- Ein jeder Morgen muß ihr die Opale
- erst zeigen, die sie gestern trug, und Reihn
- von Spiegelbildern ziehn aus dem Kanäle
- und sie erinnern an die andern Male:
- dann gibt sie sich erst zu und fällt sich ein
- wie eine Nymphe, die den Zeus empfing.
- Das Ohrgehäng erklingt an ihrem Ohre;
- sie aber hebt San Giorgio Maggiore
- und lächelt lässig in. das schöne Ding.
SPÄTHERBST IN VENEDIG
[Bearbeiten]- Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein
- Köder,
- der alle aufgetauchten Tage fängt.
- Die gläsernen Paläste klingen spröder
- an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt
- der Sommer wie ein Haufen Marionetten
- kopfüber, müde, umgebracht.
- Aber vom Grund aus alten Waldskeletten
- steigt Willen auf: als sollte über Nacht
- der General des Meeres die Galeeren
- verdoppeln in dem wachen Arsenal,
- um schon die nächste Morgenluft zu teeren
- mit einer Flotte, welche ruderschlagend
- sich drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend.,
- den großen Wind hat, strahlend und fatal.
SAN MARCO (VENEDIG)
[Bearbeiten]- In diesem Innern, das wie ausgehöhlt
- sich wölbt und wendet in die goldnen Smalten,
- rundkantig, glatt, mit Köstlichkeit geölt,
- ward dieses Staates Dunkelheit gehalten
- und heimlich aufgehäuft, als Gleichgewicht
- des Lichtes, das in allen seinen Dingen .
- sich so vermehrte, daß sie fast vergingen.
- Und plötzlich zweifelst du: vergehn sie nicht?
- und drängst zurück die harte Galerie,
- die wie ein Gang im Bergwerk nah am Glanz
- der Wölbung hängt; und du erkennst die heile
- Helle des Ausblicks: aber irgendwie
- wehmütig messend ihre müde Weile
- am nahen Überstehn des Viergespanns.
EIN DOGE
[Bearbeiten]- Fremde Gesandte sahen, wie sie geizten
- mit ihm, und allem, was er tat;
- während sie ihn zu seiner Größe reizten,
- umstellten sie das goldene Dogat
- mit Spähern und ßeschränkern immer mehr,
- bange, daß nicht die Macht-sie überfällt,
- die sie in ihm (so wie man Löwen hält)
- vorsichtig nährten. Aber er,
- im Schutze seiner halbverhängten Sinne,
- ward dessen nicht gewahr und hielt nicht inne,
- größer zu werden. Was die Signorie
- in seinem Innern zu bezwingen glaubte,
- bezwang er selbst. In seinem greisen Haupte
- war es besiegt. Sein Antlitz zeigte wie.
DIE LAUTE
[Bearbeiten]- Ich bin die Laute. Willst du meinen Leib
- beschreiben, seine schön gewölbten Streifen:
- sprich so, als sprächest du von einer reifen
- gewölbten Feige. Übertreib
- das Dunkel, das du in mir siehst. Es war
- Tullias Dunkelheit. In ihrer Scham
- war nicht so viel, und ihr erhelltes Haar
- war wie ein heller Saal. Zuweilen nahm
- sie etwas Klang von meiner Oberfläche
- in ihr Gesicht und sang zu mir.
- Dann spannte ich mich gegen ihre Schwäche,
- und endlich war mein Inneres' in ihr.
DER ABENTEUERER
[Bearbeiten]- Wenn er unter jene, welche waren,
- trat: der Plötzliche, der'schien,
- war ein Glanz wie von Gefahren
- in dem ausgesparten Raum um ihn,
- den er lächelnd überschritt, um einer
- Herzogin den Fächer aufzuheben:
- diesen warmen Fächer, den er eben
- wollte fallen sehen. Und wenn keiner
- mit ihm eintrat in die Fensternische
- (wo die Parke gleich ins Träumerische
- stiegen, wenn er nur nach ihnen wies),
- ging er lässig an die Kartentische
- und gewann. Und unterließ
- nicht, die Blicke alle zu behalten,
- die ihn zweifelnd oder zärtlich trafen,
- und auch die in Spiegel fielen, galten.
- Er beschloß, auch heute nicht zu schlafen,
- wie die letzte lange Nacht, und bog
- einen Blick mit seinem rücksichtslosen,
- welcher war: als hätte er von Rosen
- Kinder, die man irgendwo erzog.
- In den Tagen — (nein, es waren kerne),
- da die Flut sein unterstes Verlies
- ihm bestritt, als war es nicht das seine,
- und ihn, steigend, an die Steine
- der daran gewöhnten Wölbung stieß,
- fiel ihm plötzlich einer von den Namen
- wieder ein, die er vor Zeiten trug.
- Und er wußte wieder: Leben kamen,
- wenn er lockte; wie im Flug
- kamen sie: noch warme Leben Toter,
- die er, ungeduldiger, bedrohter,
- weiterlebte mitten drin;
- oder die nicht ausgelebten Leben,
- und er wußte sie hinaufzuheben,
- und sie hatten wieder Sinn.
- Oft war keine Stelle an ihm sicher,
- und er zitterte: Ich bin---------
- doch im nächsten Augenblicke glich er
- dem Geliebten einer Königin.
- Immer wieder war ein Sein zu haben:
- die Geschicke angefangner Knaben,
- die, als hätte man sie nicht gewagt,
- abgebrochen waren, abgesagt,
- nahm er auf und riß sie in sich hin;
- denn er mußte einmal nur die Gruft
- solcher Aufgegebener durchschreiten,
- und die Düfte ihrer Möglichkeiten
- lagen wieder in der Luft.
FALKEN-BEIZE
[Bearbeiten]- Kaiser sein heißt unverwandelt vieles
- überstehen bei geheimer Tat:
- wenn der Kanzler nachts den Turm betrat,
- fand er ihn, des hohen Federspieles
- kühnen fürstlichen Traktat
- in den eingeneigten Schreiber sagen;
- denn er hatte im entlegnen Saale
- selber nächtelang und viele Male
- das noch ungewohnte Tier getragen,
- wenn es fremd'war, neu und aufgebräut.
- Und er hatte dann sich nie gescheut,
- Pläne, welche in ihm aufgesprungen
- oder zärtlicher Erinnerungen
- tieftiefinneres Geläut
- zu verachten, um des bangen jungen
- Falken willen, dessen Blut und Sorgen
- zu begreifen er sich nicht erließ.
- Dafür war er auch wie mitgehoben,
- wenn der Vogel, den die Herren loben,
- glänzend von der Hand geworfen, oben
- in dem mitgefühlten Frühlingsmorgen
- wie ein Engel auf den Reiher stieß.
CORRIDA (IN MEMORIAM MONTEZ, 1830)
[Bearbeiten]- Seit er, klein beinah, aus dem Toril
- ausbrach, aufgescheuchten Augs und Ohrs,
- und den Eigensinn des Picadors
- und die Bänderhaken wie im Spiel
- hinnahm, ist die stürmische Gestalt
- angewachsen ~ sieh: zu welcher Masse,
- aufgehäuft aus altem schwarzen Hasse,
- und das Haupt zu einer Faust geballt,
- nicht mehr spielend gegen irgendwen,
- nein: die blutigen Nackenhaken hissend
- hinter den gefällten Hörnern, wissend
- und von Ewigkeit her gegen den,
- der in Gold und mauver Rosaseide
- plötzlich umkehrt und, wie einen Schwärm
- Bienen und als ob er's eben leide,
- den Bestürzten unter seinem Arm
- durchläßt, — während seine Blicke heiß
- sich noch einmal heben, leichtgelenkt,
- und als schlüge draußen jener Kreis
- sich aus ihrem Glanz und Dunkel nieder
- und aus jedem Schlagen seiner Lider,
- ehe er gleichmütig, ungehässig,
- an sich selbst gelehnt, gelassen, lässig
- in die wiederhergerollte große
- Woge über dem verlornen Stoße
- seinen Degen beinah sanft versenkt.
DON JUANS KINDHEIT
[Bearbeiten]- In seiner Schlankheit war, schon fast entscheidend,
- der Bogen, der an Frauen nicht zerbricht;
- und manchmal, seine Stirne nicht mehr meidend,
- ging eine Neigung durch sein Angesicht
- zu einer, die vorüberkam, zu einer,
- die ihm ein fremdes altes Bild verschloß:
- er lächelte. Er war nicht mehr der Weiner,
- der sich ins Dunkel trug und sich vergoß.
- Und während ein ganz neues Selbstvertrauen
- ihn öfter tröstete und fast verzog,
- ertrug er ernst den ganzen Blick der Frauen,
- der ihn bewunderte und ihn bewog.
DON JUANS AUSWAHL
[Bearbeiten]- Und der Engel trat ihn an: Bereite
- dich mir ganz. Und da ist mein Gebot.
- Denn daß einer jene überschreite,
- die die Süßesten an ihrer Seite
- bitter machen, tut mir not.
- Zwar auch du kannst wenig besser lieben,
- (unterbrich mich nicht: du irrst),
- doch du glühest, und es steht geschrieben,
- daß du viele führen wirst
- zu der Einsamkeit, die diesen
- tiefen Eingang hat. Laß ein
- die, die ich dir zugewiesen,
- daß sie wachsend HeloVsen
- überstehn und überschrein.
SANKT GEORG
[Bearbeiten]- Und sie hatte ihn die ganze Nacht
- angerufen, hingekniet, die schwache
- wache Jungfrau: Siehe, dieser Drache,
- und ich weiß es nicht, warum er wacht.
- Und da brach er aus dem Morgengraun
- auf dem Falben, strahlend Helm und Haubert
- und er sah sie, traurig und verzaubert
- aus dem Knieen aufwärtsschaun
- zu dem Glänze, der er war.
- Und er sprengte glänzend längs der Länder
- abwärts mit erhobnem Doppelhander
- in die offene Gefahr,
- viel zu furchtbar, aber doch erfleht.
- Und sie kniete knieender, die Hände
- fester faltend, daß er sie bestände;
- denn sie wußte nicht, daß der besteht,
- den ihr Herz, ihr reines und bereites,
- aus dem Licht des göttlichen Geleites
- niederreißt. Zu seiten seines Streites
- stand, wie Türme stehen, ihr Gebet.
DAME AUF EINEM BALKON
[Bearbeiten]- Plötzlich tritt sie, in den Wind gehüllt,
- licht in Lichtes, wie herausgegriffen,
- während jetzt die Stube wie geschliffen
- hinter ihr die Türe füllt
- dunkel wie der Grund einer Kamee,
- die ein Schimmern durchläßt durch die Ränder;
- und du meinst, der Abend war nicht, ehe
- sie heraustrat, um auf das Geländer
- noch ein wenig von sich fortzulegen,
- noch die Hände, — um ganz leicht zu sein:
- wie dem Himmel von den Häuserreihn
- hingereicht, von allem zu bewegen.
BEGEGNUNG IN DER KASTANIEN-ALLEE
[Bearbeiten]- Ihm ward des Eingangs grüne Dunkelheit
- kühl wie ein Seidenmantel umgegeben,
- den er noch nahm und ordnete: als eben
- am andern transparenten Ende, weit,
- aus grüner Sonne, wie aus grünen Scheiben,
- weiß eine einzelne Gestalt
- aufleuchtete, um lange fern zu bleiben
- und schließlich, von dem Lichterniedertreiben
- bei jedem Schritte überwallt,
- ein helles Wechseln auf sich herzutragen,
- das scheu im Blond nach hinten lief.
- Aber auf einmal war der Schatten tief,
- und nahe Augen lagen aufgeschlagen
- in einem neuen deutlichen Gesicht,
- das wie in einem Bildnis verweilte
- in dem Moment, da man sich wieder teilte:
- erst war es immer, und dann war es nicht.
DIE SCHWESTERN
[Bearbeiten]- Sieh, wie sie dieselben Möglichkeiten
- anders an sich tragen und verstehn,
- so als sähe man verschiedne Zeiten
- durch zwei gleiche Zimmer gehn.
- Jede meint die andere zu stützen,
- während sie doch müde an ihr ruht;
- und sie können nicht einander nützen,
- denn- sie legen Blut auf Blut,
- wenn sie sich wie früher sanft berühren
- und versuchen, die Allee entlang
- sich geführt zu fühlen und zu führen:
- Ach, sie haben nicht denselben Gang.
ÜBUNG AM KLAVIER
[Bearbeiten]- Der Sommer summt. Der Nachmittagmacht müde;
- sie atmete verwirrt ihr frisches Kleid
- und legte in die triftige Etüde
- die Ungeduld nach einer Wirklichkeit,
- die kommen konnte morgen, heute abend,
- die vielleicht da war, die man nur verbarg;
- und vor den Fenstern, hoch und alles habend,
- empfand sie plötzlich den verwöhnten Park.
- Da brach sie ab; schaute hinaus, verschränkte
- die Hände, wünschte sich ein langes Buch
- und schob auf einmal den Jasmingeruch
- erzürnt zurück. Sie fand, daß er sie kränkte.
DIE LIEBENDE
[Bearbeiten]- Das ist mein Fenster. Eben
- bin ich so sanft erwacht.
- Ich dachte, ich würde schweben.
- Bis wohin reicht mein Leben,
- und wo beginnt die Nacht?
- Ich könnte meinen, alles
- wäre noch ich ringsum;
- durchsichtig wie eines Kristalles
- Tiefe, verdunkelt, stumm.
- Ich könnte auch noch die Sterne
- fassen in mir; so groß
- scheint mir mein Herz; so gerne
- ließ es ihn wieder los,
- den ich vielleicht zu lieben,
- vielleicht zu halten begann.
- Fremd wie niebeschrieben
- sieht mich mein Schicksal an.
- Was bin ich unter diese
- Unendlichkeit gelegt,
- duftend wie eine Wiese,
- hin und her bewegt,
- rufend zugleich und bange,
- daß einer den Ruf vernimmt
- und zum Untergange
- in einem andern bestimmt.
DAS ROSENINNERE
[Bearbeiten]- Wo ist zu diesem Innen
- ein Außen? Auf welches Weh
- legt man solches Linnen?
- Welche Himmel spiegeln sich drinnen
- in dem Binnensee
- dieser offenen Rosen,
- dieser sorglosen, sieh:
- wie sie lose im Losen
- liegen, als könnte nie
- eine zitternde Hand sie verschütten.
- Sie können sich selber kaum
- halten; viele ließen
- sich überfüllen und fließen
- über von Innenraum
- in die Tage, die immer
- voller und voller sich schließen,
- bis der ganze Sommer ein Zimmer
- wird, ein Zimmer in einem Traum.
DAMEN-BILDNIS AUS DEN ACHTZIGER JAHREN
[Bearbeiten]- Wartend stand sie an den schwergerafften
- dunklen Atlasdraperien,
- die ein Aufwand falscher Leidenschaften
- über ihr zu ballen schien;
- seit den noch so nahen Mädchenjahren
- wie mit einer anderen vertauscht:
- müde unter den getürmten Haaren,
- in den Rüschen-Roben unerfahren
- und von allen Falten wie belauscht
- bei dem Heimweh und dem schwachen Planen,
- wie das Leben weiter werden soll:
- anders, wirklicher, wie in Romanen,
- hingerissen und verhängnisvoll, —
- daß man etwas erst in die Schatullen
- legen dürfte, um sich im Geruch
- von Erinnerungen einzulullen;
- daß man endlich in dem Tagebuch
- einen Anfang fände, der nicht schon
- unterm Schreiben sinnlos wird und Lüge,
- und ein Blatt von einer Rose trüge
- in dem schweren leeren Medaillon,
- welches liegt auf jedem Atemzug.
- Daß man einmal durch das Fenster winkte;
- diese schlanke Hand, die neuberingte,
- hätte dran für Monate genug.
DAME VOR DEM SPIEGEL
[Bearbeiten]- Wie in einem Schlaftrunk Spezerein,
- löst sie leise in dem flüssigklaren
- Spiegel ihr ermüdetes Gebaren;
- und sie tut ihr Lächeln ganz hinein.
- Und sie wartet, daß die Flüssigkeit
- davon steigt; dann gießt sie ihre Haare
- in den Spiegel und, die wunderbare
- Schulter hebend aus dem Abendkleid,
- trinkt sie still aus ihrem Bild. Sie trinkt,
- was ein Liebender im Taumel tränke,
- prüfend, voller Mißtraun; und sie winkt
- erst der Zofe, wenn sie auf dem Grunde
- ihres Spiegels Lichter findet, Schränke
- und das Trübe einer späten Stunde.
DIE GREISIN
[Bearbeiten]- Weiße Freundinnen mitten im Heute
- lachen und horchen und planen für morgen;
- abseits erwägen gelassene Leute
- langsam ihre besonderen Sorgen,
- das Warum und das Wann und das Wie,
- und man hört sie sagen: Ich glaube —;
- aber in ihrer Spitzenhaube
- ist sie sicher, als wüßte sie,
- daß sie sich irren, diese und alle.
- Und das Kinn, im Niederfalle,
- lehnt sich an die weiße Koralle,
- die den Schal zur Stirne stimmt.
- Einmal aber, bei einem Gelache,
- holt sie aus springenden Lidern zwei wache
- Blicke und zeigt diese harte Sache,
- wie man aus einem geheimen Fache
- schöne ererbte Steine nimmt.
DAS BETT
[Bearbeiten]- Laß sie meinen, daß sich in privater
- Wehmut löst, was einer dort bestritt.
- Nirgend sonst als da ist ein Theater;
- reiß den hohen Vorhang fort —: da tritt
- vor den Chor der Nächte, der begann
- ein unendlich breites Lied zu sagen,
- jene Stunde auf, bei der sie lagen,
- und zerreißt ihr Kleid und klagt sich an,
- um der andern, um der Stunde willen,
- die sich wehrt und wälzt im Hintergrunde;
- denn sie konnte sie mit sich nicht stillen.
- Aber da sie zu der fremden Stunde
- sich gebeugt: da war auf ihr,
- was sie am Geliebten einst gefunden,
- nur so drohend und so groß verbunden
- und entzogen wie in einem Tier.
DER FREMDE
[Bearbeiten]- Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten,
- die er müde nicht mehtr fragen hieß,
- ging er wieder fort; verlor, verließ —.
- Denn er hing an solchen Reisenächten
- anders als an jeder Liebesnacht.
- Wunderbare hatte er durchwacht,
- die mit starken Sternen überzogen
- enge Fernen auseinanderbogen
- und sich wandelten wie eine Schlacht;
- andre, die mit in den Mond gestreuten
- Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten,
- sich ergaben, oder durch geschonte
- Parke graue Edelsitze zeigten,
- die er gerne in dem hingeneigten
- Haupte einen Augenblick bewohnte,
- tiefer wissend, daß man nirgends bleibt;
- und schon sah er bei dem nächsten Biegen
- wieder Wege, Brücken, Länder liegen
- bis an Städte, die man übertreibt.
- Und dies alles immer unbegehrend
- Zuzulassen, schien ihm mehr als seines
- Lebens Lust, Besitz und Ruhm.
- Doch auf fremden Plätzen war ihm eines
- täglich ausgetretnen Brunnensteines
- Mulde manchmal wie ein Eigentum.
DIE ANFAHRT
[Bearbeiten]- War in des Wagens Wendung dieser Schwung?
- War er im Blick, mit dem man die barocken
- Engelfiguren, die bei blauen Glocken
- im Felde standen voll Erinnerung,
- annahm und hielt und wieder ließ, bevor
- der Schloßpark schließend um die Fahrt sich
- drängte,
- an die er streifte, die er überhängte
- und plötzlich freigab: denn da war das Tor,
- das nun, als hätte es sie angerufen,
- die lange Front zu einer Schwenkung zwang,
- nach der sie stand. Aufglänzend ging ein Gleiten
- die Glastür abwärts; und ein Windhund drang
- aus ihrem Aufgehn, seine nahen Seiten
- heruntertragend von den flachen Stufen.
DIE SONNENUHR
[Bearbeiten]- Selten reicht ein Schauer feuchter Paule
- aus dem Gartenschatten, wo einander
- Tropfen fallen hören und ein Wander-
- vogel lautet, zu der Säule,
- die in Majoran und Koriander
- steht und Sommerstunden zeigt;
- nur sobald die Dame (der ein Diener
- nachfolgt) in dem hellen Florentiner
- über ihren Rand sich neigt,
- wird sie schattig und verschweigt —.
- Oder wenn ein sommerlicher Regen
- aufkommt aus dem wogenden Bewegen
- hoher Kronen, hat sie eine Pause;
- denn sie weiß die Zeit nicht auszudrücken,
- die dann in den Frucht- und Blumenstücken
- plötzlich glüht im weißen Gartenhause.
SCHLAFMOHN
[Bearbeiten]- Abseits im Garten blüht der böse Schlaf,
- in welchem die, die heimlich eingedrungen,
- die Liebe fanden junger Spiegelungen,
- die willig waren, offen und konkav,
- und Träume, die mit aufgeregten Masken
- auftraten, riesiger durch die Kothurne -:
- das alles stockt in diesen oben flasken
- weichlichen Stengeln, die die Samenurne
- (nachdem sie lang, die Knospe abwärts tragend
- zu welken meinten) festverschlossen heben:
- gefranste Kelche auseinanderschlagend,
- die fieberhaft das Mohngefäß umgeben.
DIE FLAMINGOS (PARIS, JARDIN DES PLANTES)
[Bearbeiten]- In Spiegelbildern wie von Fragonard
- ist doch von ihrem "Weiß und ihrer Röte
- nicht mehr gegeben, als dir einer böte,
- wenn er von seiner Freundin sagt: sie war
- noch sanft von Schlaf. Denn steigen sie ins Grüne
- und stehn, auf rosa Stielen leicht gedreht,
- beisammen, blühend, wie in einem Beet,
- verführen sie verführender als Phryne
- sich selber; bis sie ihres Auges Bleiche
- hinhalsend bergen in der eignen "Weiche,
- in welcher Schwarz und Fruchtrot sich versteckt.
- Auf einmal kreischt ein Neid durch die Voliere;
- sie aber haben sich erstaunt gestreckt
- und schreiten einzeln ins Imaginäre.
PERSISCHES HELIOTROP
[Bearbeiten]- Es könnte sein, daß dir der Rose Lob
- zu laut erscheint für deine Freundin: Nimm
- das schon gestickte Kraut und überstimm
- mit dringend flüsterndem Heliotrop
- den Bülbül, der an ihren Lieblingsplätzen
- sie schreiend preist und sie nicht kennt.
- Denn sieh: wie süße Worte nachts in Sätzen
- beisammenstehn ganz dicht, durch nichts getrennt,
- aus der Vokale wachem Violett
- hindüftend durch das stille Himmelbett -:
- so schließen sich vor dem gesteppten Laube
- deutliche Sterne zu der seidnen Traube
- und mischen, daß sie fast davon verschwimmt,
- die Stille mit Vanille und mit Zimt.
SCHLAFLIED
[Bearbeiten]- Einmal wenn ich dich verlier,
- wirst du schlafen können, ohne
- daß ich wie eine Lindenkrone
- mich verflüstre über dir?
- Ohne daß ich hier wache und
- Worte, beinah wie Augenlider,
- auf deine Brüste, auf deine Glieder
- niederlege, auf deinen Mund.
- Ohne daß ich dich verschließ
- und dich allein mit Deinem lasse,
- wie einen Garten mit einer Masse
- von Melissen und Sternanis.
DER PAVILLON
[Bearbeiten]- Aber selbst noch durch die Flügeltüren
- mit dem grünen, regentrüben Glas
- ist ein Spiegeln lächelnder Allüren
- und ein Glanz von jenem Glück zu spüren,
- das sich dort, wohin sie nicht mehr führen,
- einst verbarg, verklärte und vergaß.
- Aber selbst noch in den Steingirlanden
- über der nicht mehr berührten Tür
- ist ein Hang zur Heimlichkeit vorhanden
- und ein stilles Mitgefühl dafür,
- und sie schauern manchmal wie gespiegelt,
- wenn ein Wind sie schattig überlief;
- auch das Wappen, wie auf einem Brief
- viel zu glücklich, überstürzt gesiegelt,
- redet noch. Wie wenig man verscheuchte:
- alles weiß noch, weint noch, tut noch weh.
- Und im Fortgehn durch die tränenfeuchte,
- abgelegene Allee
- fühlt man lang noch auf dem Rand des Dachs
- jene Urnen stehen, kalt, zerspalten,
- doch entschlossen, noch zusamnuuhalten
- um die Asche alter Achs.
DIE ENTFÜHRUNG
[Bearbeiten]- Oft war sie als Kind ihren Dienerinnen
- entwichen, um die Nacht und den Wind
- (weil sie drinnen so anders sind)
- draußen zu sehn an ihrem Beginnen;
- doch keine Sturmnacht hatte gewiß
- den riesigen Park so in Stücke gerissen,
- wie ihn jetzt ihr Gewissen zerriß,
- da er sie nahm von der seidenen Leiter
- und sie weitertrug, weiter, weiter:
- bis der Wagen alles war.
- Und sie roch ihn, den schwarzen Wagen,
- um den verhalten das Jagen stand
- und die Gefahr.
- Und sie fand ihn mit Kaltem ausgeschlagen;
- und das Schwarze und Kalte war auch in ihr.
- Sie kroch in ihren Mantelkragen
- und befühlte ihr Haar, als bliebe es hier,
- und hörte fremd einen Fremden sagen:
- Ich bin bei dir.
ROSA HORTENSIE
[Bearbeiten]- Wer nahm das Rosa an? Wer wußte auch,
- daß es sich sammelte in diesen Dolden?
- Wie Dinge unter Gold, die sich entgolden,
- entröten sie sich sanft wie im Gebrauch.
- Daß sie für solches Rosa nichts verlangen,
- bleibt es für sie und lächelt aus der Luft?
- Sind Engel da, es zärtlich zu empfangen,
- wenn es vergeht, großmütig wie ein Duft?
- Oder vielleicht auch geben sie es preis,
- damit es nie erführe vom Verblühn.
- Doch unter diesem Rosa hat ein Grün
- gehorcht, das jetzt verwelkt und alles weiß.
DAS WAPPEN
[Bearbeiten]- Wie ein Spiegel, der, von ferne tragend,
- lautlos in sich aufnahm, ist der Schild;
- offen einstens, dann zusammenschlagend
- über einem Spiegelbild
- jener Wesen, die in des Geschlechts
- Weiten wohnen, nicht mehr zu bestreiten,
- seiner Dinge, seiner Wirklichkeiten
- (rechte links und linke rechts),
- die er eingesteht und sagt und zeigt.
- Drauf, mit Ruhm und Dunkel ausgeschlagen,
- ruht der Spangenhelm, verkürzt,
- den das Flügelkleinod übersteigt,
- während seine Decke wie mit Klagen
- reich und aufgeregt herniederstürzt.
DER JUNGGESELLE
[Bearbeiten]- Lampe auf den verlassenen Papieren,
- und ringsum Nacht bis weit hinein ins Höh
- der Schränke. Und er konnte sich verlieren
- an sein Geschlecht, das nun mit ihm zerschmolz;
- ihm schien, je mehr er las, er hätte ihren,
- sie aber hatten alle seinen Stolz.
- Hochmütig steiften sich die leeren Stühle
- die Wand entlang, und lauter Selbstgefühle
- machten,sich schläfernd in den Möbeln breit;
- von oben goß sich Nacht auf die Pendüle3
- und zitternd rann aus ihrer goldnen Mühle
- ganz fein gemahlen, seine_ Zeit.
- Er nahm sie nicht. Um fiebernd unter jenen,
- als zöge er die Laken ihrer Leiber,
- andre Zeiten wegzuzerrn.
- Bis er ins Flüstern kam; (was war ihm fern?)
- Er lobte einen dieser Briefeschreiber,
- als sei der Brief an ihn: wie du mich kennst;
- und klopfte lustig auf die Seitenlehnen.
- Der Spiegel aber, innen unbegrenzter,
- ließ leise einen Vorhang aus, ein Fenster -:
- denn dorten stand, fast fertig, das Gespenst.
DER EINSAME
[Bearbeiten]- Nein: ein Turm soll sein aus meinem Herzen
- und ich selbst an seinen Rand gestellt:
- wo sonst nichts mehr ist, noch einmal Schmerzen
- und Unsäglichkeit, noch einmal "Weh.
- Noch ein Ding allein im Übergroßen,
- welches dunkel wird und wieder licht,
- noch ein letztes, sehnendes Gesicht
- in das Nie-zu-Stillende verstoßen,
- noch ein äußerstes Gesicht aus Stein,
- willig seinen inneren Gewichten,
- das die Weiten, die es still vernichten,
- zwingen, immer seliger zu sein.
DER LESER
[Bearbeiten]- Wer kennt ihn, diesen, welcher sein Gesicht
- wegsenkte aus dem Sein zu einem zweiten,
- das nur das schnelle "Wenden voller Seiten
- manchmal gewaltsam unterbricht?
- Selbst seine Mutter wäre nicht gewiß,
- ob er es ist, der da mit seinem Schatten
- Getränktes liest. Und wir, die Stunden hatten,
- was wissen wir, wieviel ihm hinschwand, bis
- er mühsam aufsah: alles auf sich hebend,
- was unten in dem Buche sich verhielt,
- mit Augen, welche, statt zu nehmen, gebend
- anstießen an die fertig-volle Welt:
- wie stille Kinder, die allein gespielt,
- auf einmal das Vorhandene erfahren;
- doch seine Züge, die geordnet waren,
- blieben für immer umgestellt.
DER APFELGARTEN (BORGEBY-GARD)
[Bearbeiten]- Komm gleich nach dem Sonnenuntergänge,
- sieh das Abendgrün des Rasengrunds;
- ist es nicht, als hätten wir es lange
- angesammelt und erspart in'uns,
- um es jetzt aus Fühlen und Erinnern,
- neuer Hoffnung, halbvergeßnem Freun,
- noch vermischt mit Dunkel aus dem Innern,
- in Gedanken vor uns hinzustreun
- unter Bäume wie von Dürer, die
- das Gewicht von hundert Arbeitstagen
- in den überfüllten Früchten tragen,
- dienend, voll Geduld,' versuchend, wie
- das, was alle Maße übersteigt,
- noch zu heben ist und hinzugeben,
- wenn man willig, durch ein langes Leben
- nur das Eine will und wächst und schweigt.
DIE BERUFUNG
[Bearbeiten]- Da aber als in sein Versteck der Hohe,
- sofort Erkennbare: der Engel, trat
- aufrecht, der lautere und lichterlohe,
- da tat er allen Anspruch ab und bat,
- bleiben zu dürfen, der von seinen Reisen
- innen verwirrte Kaufmann, der er war;
- er hatte nie gelesen und nun gar
- ein solches "Wort, zu viel für einen "Weisen.
- Der Engel aber, herrisch, wies und wies
- ihm, was geschrieben stand auf seinem Blatte,
- und gab nicht nach und wollte wieder: lies.
- Da las er: so, daß sich der Engel bog,
- und war schon einer, der gelesen hatte
- und konnte und gehorchte und vollzog.
DER BERG
[Bearbeiten]- Sechsunddreißigmal und hundertmal
- hat der Maler jenen Berg geschrieben,
- weggerissen, wieder hingetrieben
- (sechsunddreißigmal und hundertmal)
- zu dem unbegreiflichen Vulkane,
- selig, voll Versuchung, ohne Rat, —
- während der mit Umriß Angetane
- seiner Herrlichkeit nicht Einhalt tat:
- tausendmal aus allen Tagen tauchend,
- Nächte ohnegleichen von sich ab
- fallen lassend, alle wie zu knapp;
- jedes Bild im Augenblick verbrauchend,
- von Gestalt gesteigert zu Gestalt,
- teilnahmslos und weit und ohne Meinung —,
- um auf einmal wissend, wie Erscheinung,
- sich zu heben hinter jedem Spalt.
DER BALL
[Bearbeiten]- Du Runder, der das "Warme aus zwei Händen
- im Fliegen oben fortgibt, sorglos wie '
- sein Eigenes; was in den Gegenständen
- nicht bleiben kann, zu unbeschwert für sie ,
- zu wenig Ding und doch noch Ding genug,
- um nicht aus allem draußen Aufgereihten
- unsichtbar plötzlich in uns einzugleiten:
- das glitt in dich, du zwischen Fall und Flug
- noch Unentschlossener, der, wenn er steigt,
- als hätte er ihn mit hinaufgehoben,
- den Wurf entführt und freiläßt —, und sich neigt
- und einhält und den Spielenden von oben
- auf einmal eine neue Stelle -zeigt,
- sie ordnend wie zu einer Tanzfigur,
- um dann, erwartet und erwünscht von allen,
- rasch, einfach, kunstlos, ganz Natur,
- dem Becher hoher Hände zuzufallen.
DAS KIND
[Bearbeiten]- Unwillkürlich sehn sie seinem Spiel
- lange zu; zuweilen tritt das runde
- seiende Gesicht aus dem Profil,
- klar und ganz wie eine volle Stunde,
- welche anhebt und zu Ende schlägt.
- Doch die andern zählen nicht die Schläge,
- trüb von Mühsal und vom Leben träge;
- und sie merken gar nicht, wie es trägt —,
- wie es alles trägt, auch dann, noch immer,
- wenn es müde in dem kleinen Kleid
- neben ihnen wie im "Wartezimmer
- sitzt und warten will auf seine Zeit.
DER HUND
[Bearbeiten]- Da oben wird das Biid von einer Welt
- aus Blicken immerfort erneut und gilt.
- Nur manchmal, heimlich, kommt ein Ding und
- stellt
- sich neben ihn, wenn er durch dieses Bild
- sich drängt, ganz unten, anders, wie er ist,
- nicht ausgestoßen und nicht eingereiht
- und wie im Zweifel seine Wirklichkeit
- weggebend an das Bild, das er vergißt,
- um dennoch immer wieder sein Geweht
- hinchuuhalten, fast mit einem Flehen,
- beinah begreifend, nah am Einverstehcn
- und doch verachtend: denn er war meht.
DER KÄFERSTEIN
[Bearbeiten]- Sind nicht Sterne fast in deiner Nähe,
- und was gibt es, das du nicht umspannst,
- da du dieser harten Skarabäe
- Karneolkern gar nicht fassen kannst
- ohne jenen Raum, der ihre Schilder
- niederhält, auf deinem ganzen Blut
- mitzutragen; niemals war er milder
- näher, hingegebener. Er ruht
- seit Jahrtausenden auf diesen Käfern,
- wo ihn keiner braucht und unterbricht;
- und die Käfer schließen sich und schläfern
- unter seinem wiegenden Gewicht.
BUDDHA IN DER GLORIE
[Bearbeiten]- Mitte aller Mitten, Kern der Kerne,
- Mandel, die sich einschließt und versüßt, —
- dieses alles bis an alle Sterne
- ist dein Fruchtfleisch: Sei gegrüßt.
- Sieh, du fühlst, wie nichts mehr an dir hängt;
- im Unendlichen ist deine Schale,
- und dort steht der starke Saft und drängt.
- Und von außen hilft ihm ein Gestrahle,
- denn ganz oben werden deine Sonnen
- voll und glühend umgedreht.
- Doch in dir ist schon begonnen,
- was die Sonnen übersteht.
(Inhaltsverzeichnis entfernt)
Dieses Buch wurde gedruckt in
der Offizin "W.Drugulin,Leipzig.