Benutzer:UweRohwedder/Tübinger Beschluss (WRK 1949)

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Tübinger Beschluss der WRK zur „Neubildung studentischer Gemeinschaften“ (1949)[Bearbeiten]

Textgrundlage: Rolf Neuhaus (Bearb.): Dokumente zur Hochschulreform 1949-1959, Wiesbaden 1961, S. 37-40.

Die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat auf ihrer Tagung am 11. bis 13. Oktober 1949 in Tübingen die Frage der studentischen Korporationen besprochen und sich mit ernster Sorge die Gefahren vor Augen gestellt, die den deutschen Hochschulen und der Studentenschaft aus der in gewissen Kreisen von Studenten und Altakademikern auftretenden Tendenz zur Wiederherstellung alter, überlebter Gemeinschaftsformen drohen. Sie hat von der Entschließung des Großen Senats der Universität Tübingen zu diesen Fragen mit Befriedigung Kenntnis genommen und macht sich diese Entschließung zu eigen.

Die Rektorenkonferenz begrüßt demgemäß die Bildung studentischer Gemeinschaften, richtet aber einen dringenden Appell an die deutschen Studenten, sich dabei ihrer politischen und sozialen Verantwortung bewusst zu bleiben und den Blick vorwärts auf neue Ziele, nicht rückwärts zu richten. Sie wendet sich mit allem Ernst an die Altakademiker, insbesondere auch an die Altherrenschaften früherer Korporationen, erinnert sie an ihre Verantwortung gegenüber der studentischen Jugend und bittet sie, die junge Generation bei der Entwicklung neuer, in die Zukunft weisender Gemeinschaftsformen zu unterstützen, statt sie an die Formen vergangener Zeiten zu binden. Sie weist endlich die Regierungen und Landtage der deutschen Länder nachdrücklich auf ihre Aufgabe hin, durch Bereitstellung ausreichender Mittel und geeigneter Räumlichkeiten die unerlässlichen Voraussetzungen für die Pflege eines gesunden studentischen Gemeinschaftslebens zu schaffen.

Westdeutsche Rektorenkonferenz Tübingen 11.10.1949

Entschließung des Großen Senats der Universität Tübingen zur Gründung studentischer Gemeinschaften

In den Studentenschaften der westdeutschen Hochschulen sind seit längerer Zeit Bestrebungen im Gange und z. T. auch schon verwirklicht worden, studentische Gemeinschaften zu bilden. Die Universität sieht darin den Ansatz zu einer gesunden Entwicklung. Selbstverständlich bringt sie die gleiche Achtung den Kommilitonen entgegen, die ihren Weg durch das Studium außerhalb solcher Gemeinschaften zu gehen wünschen. Universität und Studenten müssen sich bewusst sein, dass an der Frage, in welchem Geist jetzt die Aufgabe der Gemeinschaftsbildung gelöst wird und welche Formen für das Zusammenleben gefunden werden, nicht weniger als die Zukunft der deutschen Hochschulen sich entscheidet.

Mit Recht verfolgt eine große Öffentlichkeit des In- und Auslandes diese Vorgänge mit höchster Aufmerksamkeit. Denn am Verhalten der Studentenschaft zu dieser Entwicklung wird sich mit Sicherheit ablesen lassen, welchen menschlichen und geistigen Wert der deutsche Student erreicht, und ob die an den Hochschulen ausgebildete Schicht berufen ist, an der inneren Erneuerung des Volkes mitzuwirken. Insbesondere wird sich herausstellen, wieviel politisches und soziales Verantwortungsbewusstsein in der akademischen Jugend lebt.

Führt diese große Prüfung, die sich im Akt der Gemeinschaftsbildung von selbst vollzieht, zu einem negativen Ergebnis, so wird dieses Urteil notwendig auf die deutsche Hochschule zurückfallen und ihrem geistigen Gewicht innerhalb Deutschlands und vor dem Ausland schweren Schaden bringen. Deshalb sieht die Universität der Entwicklung des studentischen Gemeinschaftslebens mit tiefem Ernst und mit großer Sorge entgegen und wünscht nichts dringlicher, als dass von dem gleichen Ernst auch diejenigen Kreise durchdrungen werden, welche die eigentlichen Träger der Entwicklung sind.

Die Universität fühlt sich verpflichtet, vor den Studenten und der Öffentlichkeit deutlich auszusprechen, was sie wünscht und was sie ablehnt.

Sie wünscht eine nach vorwärts gewandte Entwicklung. Es soll nicht geleugnet werden, dass es in einem Teil der alten Korporationen Überlieferungen gab, die, weitergebildet und mit neuen Inhalten verbunden, wert sind, aufgenommen und gepflegt zu werden. Es ist verständlich, dass manche Gemeinschaften bei ihrer Neubildung sich an organisatorische Bestände früherer Korporationen anlehnen wollen. Dennoch ist die restaurative Tendenz, die vielfach in den Bestrebungen zur Gründung studentischer Vereinigungen in den Vordergrund tritt, die eigentlich besorgniserregende Erscheinung. Zwischen dem Einst und dem Jetzt liegen Umwälzungen von größtem Ausmaß. Die Generation, die diese Zeit erlebt hat, muss für ihr Zusammenleben neue Inhalte und Formen finden.

Die Universität erwartet von den Vereinigungen, die an ältere Überlieferungen anknüpfen, dass sie sich dieser inneren Notwendigkeit vorbehaltlos öffnen und alle Kraft daran setzen, das Alte sinnvoll weiterzubilden. Sie ist gewiss, dass die Mitglieder des akademischen Lehrkörpers, die das Vertrauen solcher Vereinigungen genießen, sich für die Entwicklung nach vorwärts verantwortlich fühlen. Sie ruft die Kreise aller Altakademiker auf, der jungen Generation hierin freie Bahn zu geben.

Ganz besonders liegt der Universität am Herzen, dass auch ohne allen Zusammenhang mit alten Traditionen neue Wege und Formen gemeinschaftlichen Lebens gesucht und geschaffen werden. Sie kann sie von sich aus nicht erfinden und vorzeichnen. Sie müssen innerhalb der Studentenschaft selber wachsen. Aber sie wachsen nicht, wenn die Aufgabe nicht angegriffen, die verschiedenen Möglichkeiten nicht versucht und nicht Erfahrungen gesammelt werden.

Was die Universität mit aller Schärfe ablehnt, ist der Geist politischer und sozialer Verantwortungslosigkeit, der sich mancherorts innerhalb des erstehenden studentischen Lebens zu regen scheint. Es steht nicht zur Diskussion, welche der Formen der alten im 19. Jahrhundert entstandenen Formen „an sich“ harmlos und tragbar sind, sondern die Frage lautet, was in Deutschland nach der Zeit von 1945 möglich ist. Angesichts der Not von Millionen muss jeder vor Augen haben, was der akademischen Jugend Schicksal und Aufgabe ist. Hier verbietet sich kategorisch alles, was geeignet ist, Entfremdung und Misstrauen zwischen Volksteilen hervorzurufen. Es darf nicht dazu kommen, dass der Student aus der russischen Zone den Lebensstil an den Westuniversitäten empfindet wie einen Hohn auf den tiefen Ernst der Fragen, von denen seine Heimat bewegt ist. Das Verhältnis zwischen Student und Arbeiter, ein Kardinalsproblem der gegenwärtigen deutschen Lage, kann sich heute gedeihlicher als je zuvor entwickeln. Der Arbeiter weiß, wie schwer auch der Student in den vergangenen Jahren um seine wirtschaftliche Existenz zu ringen hatte und zum großen Teil noch jetzt ringt. Es wäre unverantwortlich, wenn die verheißungsvollen Ansätze sozialen Sich-Verstehens durch die Erneuerung schwer belasteter alter Formen des studentischen Lebens zerstört würden.

Im Bilde der kommenden studentischen Gemeinschaften wird kein Platz mehr sein für die Veranstaltungen von Mensuren, die Behauptung und Herausstellung eins besonderen studentischen Ehrbegriffes, die Abhaltung geistloser und lärmender Massengelage, die Ausübung einer unfreiheitlichen Vereinsdisziplin und das öffentliche Tragen von Farben.

Es wäre verhängnisvoll, wenn auch nur kleine Gruppen der Studentenschaft diese Formen wieder verwirklichten. Daher trennt sich von der Universität jeder, der diese Formen wieder erwecken will, und die Universität wird auch von ihrer Seite diese Trennung energisch vollziehen.

Trotz aller Sorge hat die Universität gutes Zutrauen, dass der gesunde Sinn der Studentenschaft die richtigen Wege zur Erneuerung des studentischen Gemeinschaftslebens finden wird. …