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Benutzer:Xarax/TEMP

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
[III]
Kinder- und Volksmärchen.


Gesammelt
von
Heinrich Pröhle.


Leipzig:
Avenarius und Mendelssohn.
1853.

[IV]


[V]

Herrn Dr. Lang,

praktischem Arzt in Bremen,

gewidmet.

[VII]

Vorwort.

Nicht ohne Freude und nicht ohne Wehmuth übergebe ich diese Sammlung der Oeffentlichkeit. Denn abgesehen von Karl Müllenhof's Sammlung der Ueberlieferungen aus Schleswig-Holstein und Lauenburg, welche nicht weniger als achtunddreißig norddeutsche Märchen brachte, aber sie schwerlich in der Zusammenstellung mit Sagen und Liedern dem eigentlichen Märchenpublicum zuführen konnte, sowie von den Anhängen zweier oder dreier andern Sagenbücher, und abgesehen von der zuerst von Hessen ausgegangenen Grimm'schen Sammlung ist dies das erste norddeutsche Märchenbuch. Wie werdet ihr nun bestehen, norddeutsches Gemüth und norddeutscher Märchenscherz, vor dem gesammten deutschen Volke? Wird man Runzeln finden auf eurer Stirn, oder werdet ihr mit den Kindern sein wie die Kinder? Wie schön, o wie schön, wenn ihr helfen könntet im Sinne der Alten, welche den Kindern Geschichten erzählten, um ihnen Grauen einzuflößen vor dem Bösen und sie das Gute lieben zu lehren! Wie schön, o wie schön, wenn ihr spielend sie lehren könntet ihr Vaterland zu lieben, seine [VIII] Grenzen heilig zu halten, ihr Volk zu achten, nie zu vergessen die Heldenthat der Väter, aber nicht mitzufeiern, wenn vorwitziger vornehmer Pöbel mit grauen Haaren dem todten Unterdrücker Feste feiert. Ja, könntet ihr von alle dem auch nur ein ganz klein, klein wenig dazu beitragen, so würde ich jede Stunde segnen, da ich in tiefen Thalkesseln und auf Hochebenen zuerst euch lauschte. - - -

Diese Märchen sind von mir meist auf dem Oberharze im Volke gesammelt. Bei denjenigen Märchen, die ich nicht vom Oberharze, sondern aus benachbarten niedersächsischen Orten habe, sollen diese Orte genau angegeben werden. Einiges, was später gleichfalls in diesem Vorworte noch genauer bezeichnet werden soll, verdanke ich der Güte meines sehr verehrten Freundes Gustav Freytag, des Dichters der „Valentine“ und des „Graf Waldemar“, der diese Märchen in den deutschen Dörfern um Kreuzburg in Schlesien sich aufzeichnete. Drei andere Märchen endlich sind überhaupt nicht im Volke gesammelt, sondern vom Herausgeber zu Nutz und Frommen der lieben Kinderwelt ersonnen. Wenn er sie eben als vorzugsweise für Kinder geeignete Märchen in dieser Sammlung nicht auslassen wollte, so haben sie doch, damit sie den etwaigen mythologischen Werth derselben nicht verringern, nur in einem Anhange ihren Platz finden können.

Unter den im Volke gesammelten Märchen hat er eine Scheidung und Rubricirung danach, daß sich das eine mehr und das andere auf den ersten Blick weniger für Kinder eignet, ebenso wenig vornehmen wollen, als dies in den bisherigen Sammlungen von Volksmärchen [IX] geschehen ist. Was überhaupt das Anstößige in manchen Märchen für die Kinderwelt betrifft, so kann diese wie jede andere Märchensammlung sich in dieser Beziehung nur die stolz abwehrenden Worte und Erklärungen Wilhelm Grimm's in der Vorrede zu einer der Ausgaben der „Kinder- und Hausmärchen“ als Schild vorhalten[1]. Sollte aber Jemand die Abweisung aller dieser Bedenken als allzu kühn erscheinen, wenigstens in Bezug auf die Verhältnisse der höher und feiner gebildeten Stände, so brauchten wir doch wol nur daran zu erinnern, auf welche Weise die Märchenbücher dort benutzt werden. Nirgends liest man sie wie einen Roman, sondern es wird heute dieses und morgen jenes Märchen aufgeschlagen und in Familienkreisen vorgelesen, entweder von den Kindern oder von den Aeltern selbst. Manche liebenswürdige junge Dame verschmäht es auch wol nicht, den kleinsten Kindern täglich ein Märchen, welches sie sich vorher aus dem Märchenbuche einstudirt, aus dem Gedächtniß vorzutragen. [X] Was die Behandlung der Märchen von meiner Seite betrifft, so habe ich zunächst viele davon Erzählern jedes Alters und Geschlechts auf meiner Studirstube möglichst wörtlich, jedoch sämmtlich in hochdeutscher Sprache nachgeschrieben. Nachher sodann sind sie von mir wiederholt überarbeitet worden. Wo die Tradition selbst bis auf die Worte hin mit jener gewiß allen Sammlern wohlbekannten Treue und Sicherheit auftrat, von der wir wünschten, daß sie wenigstens einmal im Leben mit ihrem feierlich rauschenden Flügelschlag in das Ohr eines jeden braven und schlichten Deutschen fiele, der ein Herz hat für sein Volk und dessen Vergangenheit - da ist an den Worten wenig oder nichts geändert. Wo aber die Tradition in weniger straffer Form auftrat, was sich beim mündlichen Vortrage sehr bald zeigt, ist am meisten nachgebessert worden. Eben Das, was in solchen Fällen fehlte, ließ sich freilich durch nichts ersetzen. Der Ton, den zunächst die Brüder Grimm in solchen Fällen anschlagen, scheint mir unnachahmlich, schon weil er bei aller Einfachheit doch auf einer vollkommenen Herrschaft über alle Sprachmittel beruht. Die nationale Bedeutung ihrer Sammlung rühme ich schon in dem von mir herausgegebenen „Hausbüchlein für das Volk und seine Freunde“ (Leipzig, 1852), Bd. I, S. 28, aber je öfter ich in ihr lese, um so mehr wächst meine Freude daran. Durch die Sorgfalt, welche Wilhelm Grimm der Sammlung zugewandt hat, ist im Verlaufe ihrer zahlreichen Auflagen kaum noch eine Zeile bedeutungslos geblieben, und sie enthält einen Reichthum an Beobachtungen aus dem Kleinleben in Haus und Hof und in der Natur, den man bei unsern Erzählern von Fach meist vergebens suchen würde. - Eine Art von historischem Romanstil, die in Ludwig Bechstein's [XI] „Märchenbuch“ (9. Aufl., 1850) vorherrscht, schien mir in keiner Weise mehr passend (vergl. darüber nun auch Meier's „Märchen aus Schwaben“, 1852, S. V). Und so mußte ich in solchen Fällen nach der Kenntniß des norddeutschen Volkscharakters, die ich mir schon lange bevor diese Sammlung angelegt wurde, zu erwerben strebte, meinen eigenen Ton anzuschlagen versuchen.

Die meiste eigene Thätigkeit glaubte ich bei denjenigen Märchen anwenden zu können, welche keine eigentlich mythischen Züge enthalten. Bei einem Paar dieser Märchen habe ich sogar der Lockung, das Einzelne mehr auszumalen (nicht auszuschmücken), nicht widerstanden. Es sind die Märchen: Der gelehrige Dieb; Die Kaufmannsfrau als Oberst, und die erste Abtheilung von: Die hochmüthigen Mädchen, oder streng genommen nur die beiden zuerst bezeichneten.

Solche Märchen, die keine eigentlich mythischen Züge enthalten, finden sich in dem Grimm'schen Märchenbuche zahlreich. Sie auszuschließen, war auch in unserer Sammlung durchaus kein Grund. Die bezeichneten Märchenstoffe gehen, mit moralischen und satirischen Zusätzen ausgestattet, fortwährend aus dem Volksmunde in die populäre Literatur über; sie bilden den eigentlichen Kern der „Münchhausen'schen Lügen“, worin indessen auch mythische Züge satirisch behandelt werden, und des Hebel'schen „Schatzkästlein“, sie werden außerdem wöchentlich in unsern Blättern verwässert und mit einem eben nicht appetitlichen Senf vorgesetzt. Es wird daher ganz gut sein, Stoffe dieser Art, wo sie sich darbieten, von Zeit zu Zeit in Märchenbüchern in reinerer Form vorzuführen, wenn auch freilich ein Maßhalten bei ihrer Mittheilung nothwendig ist. Folgendes aber macht, abgesehen von [XII] dem Interesse, welches sie haben, ihre Ausschließung in Märchensammlungen unmöglich. Viele der bezeichneten Märchen sind nur abgeschwächte ältere Märchenstoffe, aus welchen im Laufe der Zeit der Wunderglaube entwichen ist, die aber darum doch noch manchen mythologischen Aufschluß geben können. Das Wünschhütchen, das ein Bauer für eine namhafte Summe verkauft, und das nachher die Wünsche seiner Besitzer nicht erfüllt, wird doch immer mit ein paar Worten so beschrieben, als ob es soeben von Wuotan's Haupte käme. In den Räubermärchen, welche übrigens bei uns auch Wunder enthalten (s. Nr. 48), findet sich eine Tonne mit Menschenfleisch, die fast in jeder Räuberhöhle steht, und deren Ursprung man durch andere Märchen und Sagen mit leichter Mühe zunächst bis in die Zwerghöhlen verfolgen kann, wo sie mit Honig gefüllt ist. Auf dem Gebiete der Sage bergen solche zunächst nicht eigentlich mythischen Traditionen fast stets die Erinnerung an irgend einen Aberglauben oder einen alten Brauch, und wenn z.B. erzählt wird, daß man bei Nacht einem Schneider ein Kohlenbecken vor die Thür gesetzt und daß er einen neuen Bräutigamsanzug in die Flamme geworfen habe in der Meinung, daß ein Schatz vor seine Thür „gerückt“ sei, so liefert das für den Aberglauben noch genau dieselbe Ausbeute wie eine eigentlich mythische Sage. - Abgesehen aber von dieser fortdauernden Beziehung dieser Märchen zur Wunderwelt wird der unbefangene Sammler schon aus culturgeschichtlichen Gründen sie neben jenen eigentlich mythischen Traditionen nicht ganz bei Seite lassen können.

Mehrere Märchen dieser Art, welche ich hier natürlich nicht wieder abdrucken lasse, theile ich in der gleichzeitig von mir erscheinenden Erzählung „Der Pfarrer von Grünrode“ mit, in welcher sich auch Manches für [XIII] Sitten und Gebräuche in der Harzgegend findet; z.B. I, 14; I, 25-26; I, 31; I, 50-58; II, 71-79; II, 120-122; II, 138-139. Von den bezeichneten in jener Erzählung eingeschalteten Märchen findet sich das erste II, 8 und 9. Es ist ein Patermärchen, das an Schalkhaftigkeit seines Gleichen sucht, und in der That von einem vornehmen und noch nicht alten katholischen Geistlichen, der jetzt in Westfalen, wo er her war, eine einflußreiche Stellung bekleidet, erzählt wurde. II, 80-86 folgt dann ein oberharzisches Märchen vom „Cantor Bär“; dazu ist zu bemerken, daß die Verkleidung in einen Bären bei mancherlei Volksgebräuchen vorkommt; namentlich nach Grimm's „Deutscher Mythologie“ früher in Halberstadt und bei der Laubeinkleidung in der Grafschaft Ziegenhain; auch nach dem dritten Theil der „Kinder- und Hausmärchen“, S. 70, in Thüringen (vergl. auch Boccaccio's „Dekameron“, vierter Tag, zweite Novelle, Ernst Ortlepp's Uebersetzung II, 38). - Auch II, 88-91 des „Pfarrers von Grünrode“ finden sich dann noch einige kleine, leichte märchenartige Geschichten vom Oberharz.

Es ist oben auch im Vorbeigehen des Einflusses gedacht worden, welchen die Schwänke aus dem Munde des Volks auf Schriften wie das Hebel'sche „Schatzkästlein“ gehabt haben. Auch der Einfluß der Märchen überhaupt auf die Poesie, namentlich auf Lyrik und Drama, ist sehr bedeutend und sein Umfang wol kaum zu ermessen. Was hat nicht Boccaccio, der freilich nicht blos Märchenstoffe aufzeichnete, an Shakspeare, an Bürger u.s.w. für Material geliefert! Noch neuerdings sahen wir auf dem leipziger Theater eine berliner Posse: „Guten Morgen, Herr Fischer!“ welche noch immer deutlich [XIV] an einen Schwank in Boccaccio's „Dekameron“ erinnert, der folgende Ueberschrift führt: „Die Frau eines Arztes legt ihren schlaftrunkenen Liebhaber für todt in einen Kasten, welchen zwei Wucherer wegstehlen und nach Hause tragen. Dort erwacht er, und wird für einen Dieb gehalten. Die Magd der Dame sagt aber vor Gericht aus, sie selbst habe ihn in den Kasten gelegt, welchen die Wucherer gestohlen hätten. Auf diese Art entgeht er dem Galgen, und die Wucherer werden des gestohlenen Kastens halber zu einer Geldbuße verurtheilt.“ Der Kasten, der Arzt und die Magd - eine köstliche Rolle der Frau Günther-Bachmann in Leipzig - finden sich noch in der berliner Posse; der Ehebruch war beseitigt und klang nur noch in einer sehr komischen Scene mit der Frau des Arztes durch, welche auf einem Misverständnisse von Seiten dieser Dame beruht. Das Stück war übrigens nach dem Französischen selbständig gearbeitet, und er wird sich dort, da der Ehebruch jetzt in der französischen Literatur für die eigentliche Würze des Lebens gilt, vielleicht noch finden. - Auch die wiener Possendichter, Raymund und Nestroy, haben offenbar viele Märchenstoffe benutzt; so z.B. entspricht „Der böse Geist Lumpacivagabundus“ dem Grimm'schen Märchen Nr. 182: „Die Geschenke des kleinen Volkes“, und dem ersten Märchen im Anhange zu Emil Sommer's „Sagen aus Sachsen und Thüringen“ (1846), betitelt: „Der Berggeister Geschenke“. Die Musik und das Wirthshaus in den beiden Märchen, sowie der Name „meine Margret“ bei Sommer, und vielleicht auch der Ausdruck „angenehmer Gegenstand“ bei Grimm könnten freilich als Reminiscenzen aus der Posse in das Märchen gekommen sein. Im Uebrigen hat diese die Geschenke des kleinen Volks in das große Loos verwandelt. [XV] Im Allgemeinen deutet die Nennung eines gewöhnlichen Vor- und Zunamens, wie hier z.B. bei Sommer „Margaret“, wol immer auf irgend eine wenn auch nur ganz unbedeutend eingreifende Erinnerung an Bücher oder auch an das Theater. Manche gewöhnliche Namen erscheinen aber durch Beiwörter wieder echt märchenhaft, z.B. der eiserne Heinrich und Ferenand getrü bei Grimm. Befremdend und merkwürdig ist in unserm ersten Märchen die Zusammenstellung des Namens Adelheid mit zwei seltsam gebildeten, ihm aber entsprechenden Märchennamen: Bärenheid und Wallfild. Die Nennung historischer Namen erklärt sich von selbst, kann aber im Märchen wol im Allgemeinen nur stattfinden, wo die räumliche Entfernung vom Schauplatze eines Helden so groß ist, daß die Erinnerung an die historische Person nicht der Ortssage zufällt, und wo auch eine nähere politische Beziehung nicht stattfindet, denn sonst würde sie der Geschichtssage zufallen. In preußischen Gegenden sind durch die Sammlungen von Tettau und Temme schon Zieten und der alte Dessauer als Personen, auf welche Sagen übertragen sind, nachgewiesen. (Vergl. unten S. XXXII und XXXIII.) Am wenigsten hat die Nennung von Ortsnamen zu bedeuten. Gewöhnlich werden ein paar große Städte genannt, deren Umfang mächtig auf die Phantasie einsamer Landbewohner wirkt. So auf dem Oberharze ganz naturgemäß gewöhnlich Hamburg; wenn in der ersten Abtheilung von Nr. 62 Wien genannt wird, so mag dabei freilich irgend eine, wenn auch nur leichte, fremdartige Einwirkung mit unterlaufen. Näher liegende Orte, namentlich in Nr. 6 unserer Sammlung die Stadt Stolberg, werden genannt, weil man sich durch einen einzelnen Zug des Märchens flüchtig an eine Ortssage, auch wol [XVI] an einen geschichtlichen Zug erinnert fühlt, hier an den Glockenguß von Stolberg, der, wenn wir nicht irren, ähnlich von Breslau erzählt wird. - Die Nennung der Namen entfernter Länder, wo die Märchenhelden Könige und Königinnen werden, hat natürlich gar nichts zu bedeuten.

Die Namen: Märchen, Sagen, Schwänke u.s.w. sind auch hier im Volke unbekannt, und in der Regel sagt man dafür: Räthsel, Strössel. Das Letztere deutet vielleicht darauf, daß man sie gern in einer gewissen künstlerischen Form, wo möglich mit bestimmten überlieferten Worten erzählt. Das Wort Räthsel scheint ganz denselben Sinn zu haben, wie Gespräch. Gespräch wird nach Emil Sommer in andern Gegenden auch für Sage und Märchen gebraucht, und Räthsel bedeutet in unsern Gegenden auch soviel als das Wort Gespräch in der deutschen Schriftsprache bedeutet. So sagte ein Mann aus Pöhlde, bei dem ich nach alten Ueberlieferungen geforscht hatte, ausweichend: „Jetzt haben die Leute ihre Räthsel von Duderstadt, wo das große Feuer gewesen ist.“ Wenn ich nicht irre, so war es in Lauterberg, wo man (wol besonders die Märchen und Schwänke) alte Schnitzer, alte Schnitzerchen nannte. Auf dem Oberharze selbst bis fast nach Nordhausen hin nennt man die Ueberlieferungen auch „Grundgeschichten“. Sie wollen also den wahren Grund haben, sagte ein Mann in der Gegend von Herzberg, nachdem ich ihm begreiflich gemacht hatte, daß es mir um die mündliche, von den Vorfahren ererbte Ueberlieferung zu thun sei. - In Dorste und andern Dörfern jenseits Osterode nach Göttingen zu sagt man auch „Vertellräthsels“ (Erzählräthsel). - Im Halberstädtischen habe ich für Märchen und Sagen nur den weitläufigen Ausdruck gehört: „Ole Geschichten [XVII] von Olders her te vertellen“; bestimmter ist auf dem Oberharze der entsprechende Ausdruck: „Ole Vertelligen.“ Wo das Wort Sage einmal vom Volk gebraucht wird, fehlen einer Erzählung gewöhnlich die mythischen Züge und es liegen bestimmte geschichtliche Erinnerungen vor. Werden Märchen und Sagen aufgeschrieben, so werden sie zu „Abfassungen“ und kommen „in die Drucke“.

Unter meinen Quellen muß ich einen Mann nennen, der sich auf eine so merkwürdige Weise in die Wunderwelt hineingelebt hat, wie nur jemals eine solche Person einen Sammler durch ihre umfassende Kenntniß der Mythenwelt in Erstaunen gesetzt haben kann. Geboren erst 1816 wohnt er gegenwärtig in seinem Geburtsorte Lerbach, sein Name ist Bertram. Drei Jahre lang wanderte er als Schuhmachergesell zwischen Hamburg, Bremen und Kassel, in Hamburg hielt er gute Kameradschaft mit den Matrosen; seine Beschäftigung sind jetzt Wegearbeiten, welche ihn oft von der Heerstraße zwischen Klausthal und Osterode, wo er als sogenannter Statiöner vereidigt ist, Wochen und Monate lang zur Ausbesserung grundloser Köhlerwege in entlegene Waldungen führen. Er lebt und webt ganz in der Natur und nach alten Ueberlieferungen, behält das glückbringende Aller-Manns-Herrn- Kraut, das er zu Himmelfahrt sammelt, das ganze Jahr über in der Tasche, behauptet den wilden Jäger schon zweimal gesehen zu haben und macht dabei doch den Eindruck eines muntern, verständigen und unermüdlich in seinem Beruf thätigen Mannes sowie eines musterhaften Hausvaters. Das Meiste von Dem, was er an Märchen, Sagen und Aberglauben weiß, ist ihm in seiner Jugend von einem vor fünfundzwanzig Jahren verstorbenen alten lerbacher Silberhüttenmanne Namens Specht überliefert, [XVIII] der es wiederum in seiner Kindheit fast ausschließlich von seinem Großvater erfahren hatte. Doch hat er auch Einiges von der Wanderschaft mitgebracht, namentlich aus der wie mir scheint an schönen Sagen und Märchen sehr reichen Lüneburger Haide, die er mit einem ganzen Rudel Handwerksburschen durchkreuzte, von welchen besonders Einer aus Peine im Hannöverschen und ein Pommer zu erzählen verstand. Ohne diesen Wegarbeiter wäre diese Sammlung wenigstens nicht in der, soviel ich nach den Angaben anderer Sammler sehe, auffallend kurzen Frist von ungefähr drei Vierteljahren zu Stande gekommen; sein Interesse an den Ueberlieferungen und seine Einsicht ist so groß, daß er, seit seine eigenen Erinnerungen erschöpft sind, fortwährend darauf speculirt hat, mir andere Erzähler zuzuführen, worin er es auch in der Regel gut getroffen hat. Daneben muß ich überhaupt das Glück preisen, das mich in dem tiefen lerbacher Thale einen jener Orte entdecken ließ, in dem alte Ueberlieferungen sich gleichsam zu stauen scheinen, als wüßten sie, wenn sie einmal in diese Thalkessel gelangt sind, nicht wieder über die hohen Berge hinaus zu kommen. Der große Ort wird meist von Köhlern und andern Waldarbeitern bewohnt, welche mit Arbeitern aus andern Orten zusammen während des Sommers in Hütten auf dem ganzen hannöverschen Harze umherwohnen und im Spätherbst solche Mären heimbringen, wie ich sie in diesem Buche erzähle.

Die Zahl der Märchen in meiner Sammlung, zu welchen sich bestimmt entsprechende unter den 210 Grimm'schen Märchen finden, ist verhältnißmäßig gerade nicht groß. Als nicht ganz unbedeutend ergeben sich die Berührungen mit den tiroler Märchen der Brüder Zingerle (1852). Die Berührungen mit [XIX] J.W. Wolf's hauptsächlich im Odenwalde gesammelten „Hausmärchen“ (1851) scheinen mir geringer als die mit den „Volksmärchen aus Schwaben“ von Professor Ernst Meier. Ja, die Verwandtschaft der oberharzischen Märchen mit den schwäbischen würde noch deutlicher hervortreten, wenn ich ganz dieselben Grundsätze bei der Aufnahme verfolgt hätte als der gelehrte und verdienstvolle Herausgeber der schwäbischen Märchen, denn manche, die ich bei ihm nun doch finde, waren mir gleichfalls erzählt. Ein günstiger Zufall hat es gefügt, daß unter den neunzehn Märchen im Anhange von Kuhn und Schwarz „Norddeutsche Sagen“ (1848) nur zwei den Märchen in meiner Sammlung entsprechen, wiewol mehrere davon auch auf dem Oberharze gesammelt sind; viel mehr Beziehungen treten hervor zu den von Emil Sommer meist in der Saalgegend gesammelten und seinen „Sagen“ angehängten Märchen. Bechstein gab seine Märchen zum Theil nach mittelhochdeutschen Dichtern, auch nach Haupt's Zeitschrift u.s.w. heraus, weshalb danach ein Urtheil über das Verhältniß der harzischen Märchen zu den thüringischen und fränkischen schwierig ist. Nach Vergleich auch der Varianten und der Auszüge aus den gesammten fremden Literaturen im dritten Theile der Grimm'schen Sammlung bleibt der vorliegenden Sammlung noch eine verhältnißmäßig nicht unbeträchtliche Anzahl wesentlich neuer Märchen.

Es ist hier nun wol auch der Ort, um den Inhalt eines Märchens anzugeben, welches ich leider nicht in der Vollständigkeit erfahren konnte, daß es schon an und für sich ein Interesse bei dem Leser erregen würde. Mit seiner Eisenstange bestätigt es auf auffallende Weise, was Finn Magnusen über die Verwandtschaft des heiligen Christoph mit Thor angeregt hat, und was [XX] J.W. Wolf veranlaßte, nachzuweisen, daß auch in Deutschland das Volk durch die Darstellung dieses Heiligen an Donar erinnert wurde, wenn auch der Mythus, der hier den Uebergang bahne, „in der Sage, im Märchen uns verloren“ sei. Der „dicke Christoffel“, wie er von einem Knaben aus Sieber genannt wurde, ist in meinem Märchen ein Schmied, wenn auch ein Goldschmied. Woher er als Goldschmied die Eisenstange bekommt, bleibt dunkel, genug, er geht mit ihr auf Reisen und prügelt mit ihr ein Männchen, das ihm begegnet und dem gleichfalls überirdische Kräfte beiwohnen, so gewaltig, daß dieses ihn schließlich auffordert, in drei hintereinander liegenden Höhlen drei Prinzessinnen von neun Drachen zu erlösen. Wirklich schlägt der dicke Christoph alle neun Drachen mit seiner Eisenstange nieder, verlobt sich mit der ersten Prinzessin, wird aber dann auf eine nicht zu ermittelnde Weise noch einmal von ihr getrennt, gibt sich bei einen Goldschmied in Arbeit, beweist, als die drei Prinzessinnen einmal vor dem Laden des Goldschmieds vorbeikommen, durch Vorzeigung der Eisenstange, daß er ihr Erlöser ist, und heirathet seine Verlobte.


Wir lassen jetzt noch eine Reihe von Bemerkungen über die einzelnen von uns aufgezeichneten Märchen folgen, welche die Uebersicht über unsere Sammlung und ihren wissenschaftlichen Gebrauch erleichtern sollen. Dabei citiren wir auch die Märchen in andern Sammlungen, welche zu den unsern in Beziehung stehen.

In dem Märchen Nr. 1: Bärenheid, Adelheid und Wallfild, war, besonders im Munde des Erzählers, [XXI] eines ganz ungebildeten Mannes, das „Cambridgenthal“ merkwürdig, in welchem der Stier geht. Auch hier ist bereits das funfzehnte Lebensjahr wichtig, was sich oft wiederholt, namentlich in dem Märchen Nr. 9: Der Jude und das Vorlegeschloß, und Nr. 10: Das Schloß der Geister, wo der Tag, an dem man funfzehn Jahre alt wird, gleichsam die ganze Wunderwelt aufschließt, was dort sogar von ältern Leuten aus Speculation benutzt wird. In Nr. 10 wird sogar mit einer Prinzessin an dem Tage, wo sie funfzehn Jahr alt wird, auch eine eigenthümliche Ceremonie vorgenommen. - In Nr. 1 kommt auch bereits zum ersten Male der Zug vor, daß die Haare von Thieren, wenn sie, losgelöst vom Körper, an dem sie ursprünglich haften, gerieben werden, eine übernatürliche Wirkung hervorbringen (womit auch das Reiben des alten Lichtes und des Ringes in Nr. 10 verglichen werden kann). Diese Wirkung ist in Nr. 1 ganz dieselbe wie in Nr. 6: Der Mann ohne Leib. In Nr. 5: Glücksvogel und Pechvogel, bettelt eine Hexe um einige Hundehaare. Hierzu sind zu vergleichen J.W. Wolf's „Beiträge zur deutschen Mythologie“ I, 226, wo es heißt: „Wenn man ausgekämmtes Haar auf die Straße wirft, so können das die Hexen zu etwas gebrauchen.“ In Harzeburg, wo man sich am Freitag die Nägel beschneidet u.s.w., dürfen besonders Frauen ihr Haar nicht aus dem Fenster werfen, denn wenn sonst ein Vogel es nimmt und sein Nest damit baut, so haben sie immerfort Kopfschmerz. Auf Klausthal legt man, wenn eine neue Kuh zum ersten Mal aus dem Stalle auf die Weide geht, ein paar Haare, die ihr zwischen den Ohren weggeschnitten werden, unter die Schwelle des Stalles. Auch ist für die Hundehaare noch zu vergleichen: „Der Kaufmann“ [XXII] aus dem „Pentameron“ des Basile in den Auszügen bei Grimm, „Kinder- und Hausmärchen“, III, 294. - In wesentlichern Punkten entspricht unserm Märchen Nr. 1 im „Pentameron“ „Die drei Könige“, „Kinder- und Hausmärchen“ III, 337-339. Ferner vergl. bei Grimm II, Nr. 197 „Die Krystallkugel“.

Zu Nr. 2: Die Prinzessin von Portugal und der Prinz von Engeland, ist zu bemerken, daß England und Portugal (in ganz anderm Zusammenhange findet sich die Prinzessin von Portugal auch bei Meier, S. 65) im Kindermunde geläufige Worte sind. So heißt ein Spruch beim sogenannten Abzählen vor den Spielen der Kinder folgendermaßen: „Ohne, Bohne, weiße Bohne! Willst du mit nach Engeland? Engeland ist zugeschlossen, und der Schlüssel abgebrochen - Vier Pferde vor dem Wagen, Enne wenne weg.“ - Das Märchen Nr. 2 hat einen Zug gemein mit „König Drosselbart“ bei Grimm, Nr. 52. Etwas mehr entspricht das zweite Märchen bei Sommer: „Der eiserne Mann“. Dort wird statt der Glocken ein Ball von Krystall benutzt, dessen Zauberwirkung auch in einer Novelle von Hermann Schiff in dem von mir herausgegebenen Jahrbuch für 1847 erwähnt wird, indem dort die wol dem Volksmunde entnommenen Worte vorkommen:

Blanker Ball
Von Krystall,
Zeig mir meinen Bräutigam einmal.

Das Märchen Nr. 3: Springendes Wasser, sprechender Vogel, singender Baum, ist eine Verschmelzung zweier verschiedenen Berichte, von denen einer mir auf dem Oberharze, der andere von Freytag [XXIII] so mitgetheilt worden ist, wie Dieser sich das Märchen in Schlesien aufgezeichnet hatte. So aus zwei grundverschiedenen Traditionen zusammengeschmolzen, erscheint es hier ohne Zweifel viel vollständiger als bei Grimm: „De drei Vügelkens“, und in Wolf's „Hausmärchen“ „Die drei Königskinder.“ (Vergl. außerdem bei Meier: „Der König Auffahrer des Meeres.“) Der Alte in unserm Märchen erinnert einigermaßen an den Alten in „Die sieben Raben“ im „Pentameron“, in den Auszügen bei Grimm, „Kinder- und Hausmärchen“ III., 350. In dem schon oben erwähnten Märchen Nr. 182 bei Grimm und dem gleichfalls schon oben erwähnten ersten Märchen bei Sommer wird auf einem Hügel um einen Alten herum, bei dem nachher auch das Barbieren ins Spiel kommt, eine eigenthümliche Ceremonie vorgenommen. (Zu dem Barbieren vergl. auch unser Märchen Nr. 72: „Die Barbiermühle.“) Einen solchen räthselhaften Alten, der entweder barbiert oder barbiert wird (das Letztere scheint das Ursprünglichere), oder beides zugleich, sehe ich öfter vorkommen. Bei Musäus ist der Alte schon ein förmlicher Barbier, überhaupt scheinen aus diesem Alten die gespenstischen Barbiere entstanden, welche in bestimmten Häusern Nachts zu den Reisenden kommen und zuweilen selbst barbiert werden, was wiederum die Hauptsache scheint. Am ersten könnte es wol zu einem Aufschluß führen, daß die Barbiere immer Schätze unter ihrer Obhut haben (wie dies bei ihnen als gewöhnlichen Gespenstern motivirt wird, thut natürlich nichts zur Sache). Der Alte bei Sommer begabt sogar mit Kohlen, die zu Gold werden, und der in unserm Märchen Nr. 3 ist wenigstens der Hüter des Berges mit dem Vogel u.s.w. Wegen des Anfangs von Nr. 3 vergl. „Die Knaben mit den goldenen Sternen“ [XXIV] in Ludwig Bechstein's „Märchenbuch“ S. 250. Die goldenen Kreuze auf der Stirn kommen auch sonst vor und deuten nach dem 3. Bande der „Kinder- und Hausmärchen“ auf edle Abkunft; sie sind daher in unserm Märchen, in das sie übrigens aus der schlesischen Fassung kommen, mit Recht mit Tüchern verhüllt, solange die edle Abkunft durch Bosheit ganz verdunkelt ist. Auch in meiner Schrift: „Aus dem Harze. Skizzen und Sagen“ (1851) wird, jedoch durch eine darin eingehüllte Hostie, S. 103 ein Tuch blutig.

Zu dem Bestreichen der Leichensteine mit dem Speichel des Vogels ist zu vergleichen Jakob Grimm's „Deutsche Mythologie“, S. 646. Bedeutungsvoll ist in diesem Märchen, in dem dann folgenden Nr. 4: Der Jäger über alle Jäger, und in Nr. 5: Glücksvogel und Pechvogel, noch die jedesmalige Einleitung, wonach schon bei der Geburt Derer, die in die Wunderwelt eintreten sollen, sich Wunderbares ereignet. Der in dem zuletztgenannten Märchen vorkommende Zug von den Messern, welche schwarz werden, wenn einem der Brüder ein Unglück widerfahren ist, kehrt fast regelmäßig wieder. In einem Märchen, das ich nicht aufzeichne, nehmen zwei Brüder zwei Gläser mit Wasser mit in die Fremde. Wenn das Wasser in dem Glase des einen Bruders schwarz wird, so kann er daran sehen, daß dem andern Bruder ein Unglück zugestoßen ist. Der Zug von den Tüchern, welche im gleichen Falle blutig werden, ist aus dem schlesischen Berichte in das dritte Märchen gekommen. Ueberhaupt machen nach Sammlungen aus andern Gegenden Geschwister, wenn sie auseinandergehen, sich mancherlei ähnliche, aber andere Zeichen.

Zu Nr. 5: Glücksvogel und Pechvogel (zwei moderne Namen) vergl. bei Grimm „Die zwei Brüder“, [XXV] II, Nr. 60; bei Zingerle „Der Fischer“, Nr. 25; bei Kuhn und Schwarz „Die beiden gleichen Brüder“, S. 337. Zu dem Drachenkampfe, dem Zungenausschneiden u.s.w. findet sich Entsprechendes überall. Von den Varianten, die ich gehört, ist die bemerkenswertheste die, wonach der Held Siegfried heißt und bei einem Schmied in der Lehre ist; sein Meister schickt ihn in den Wald nach Kohlen, und denkt, daß ihn dort ein Riese tödten wird. Der Riese schnellt auch einen Baum auf ihn, er schnellt ihn aber - das Wie war dem Erzähler nicht klar - zurück und tödtet den Riesen. Er preßt ihm das Fett aus, beschmiert sich damit, wird nun der „gehörnte Siegfried“ genannt, kämpft mit dem Drachen, zieht, wenn er ermattet, ein Töpfchen, das er noch von dem überflüssigen Fett des Riesen gefüllt hat, hervor, bestreicht sich von neuem damit und siegt. Nachdem der Drache erlegt ist, geht Alles den gewöhnlichen Gang, nur daß Siegfried die Prinzessin an ihrem Hochzeitstage mit dem falschen Diener vom Wirthshause aus durch einen Zettel, den er ihr durch die Hunde schickt, nicht nur um Speise, sondern auch um einen Tanz bittet.

Nr. 6: Der Mann ohne Leib veranlaßt uns zu einigen Bemerkungen über die Erlösung bei den Verwünschungen in unsern Märchen. In dem vorliegenden Märchen erlöst ein Lehrling den Mann ohne Leib (?), der sich nach Art der Drachen eine Prinzessin angeeignet hat, und dadurch wird zugleich die Prinzessin mit erlöst, welche den unfreiwilligen Aufenthaltsort des Mannes ohne Leib theilen mußte. Allein jetzt entsteht ein Streit um den Besitz der Prinzessin zwischen dem Erlöser und dem Manne, dem sie angehört. Er wird zu Gunsten des Erlösers entschieden, während in Nr. 1 Bärenheid, Adelheid und [XXVI] Wallfild den drei Brüdern verbleiben, welche sie als Bär, Adler und Wallfisch heiratheten. Diese waren aber durch den Bruder ihrer drei Frauen erlöst, und demnach erscheint überall, wo sie an sich möglich ist, die Heirath zwischen Erlöser und Erlösten als selbstverständlich. Dies geht so weit, daß bei Meier S. 264 eine von den Aerzten früher aufgegebene und dann noch geheilte Prinzessin auf die Frage, wen sie heirathen wolle, antwortet: „Keinen Andern als den Doctor, der mich geheilt hat“, als ob sie gar nicht anders heirathen könnte. Die Erlösung geschieht, um das zugleich hier zu bemerken, in unsern Märchen stets durch das Vollbringen bestimmter Aufgaben, welche gewöhnlich übernatürliche Kraft oder doch seltene Geschicklichkeit verlangen. Bei dem Märchen Nr. 34: Der Zaubergürtel, war nicht zu erfahren, worin die Erlösung durch einen Blinden eigentlich bestanden hatte. Daß durch Liebesbezeigungen und schon durch Küsse eine Erlösung vollbracht wird, liegt wol nur im Geiste der Märchen, wenn die Verwünschung in einem Zauberschlafe besteht. Auch bei der Erlösung durch Küsse (worüber man jedoch vergleiche Grimm's „Mythologie“ und Sommer's Monographie „De osculo“ etc., auch unser Märchen Nr. 8, wo sogar der Kuß eines Hündchens die bekannte Zauberwirkung, das Vergessen einer Geliebten, hervorbringt) kann aber, wenn wir fremde Märchen herbeiziehen wollen, eine eigentliche Arbeit zuweilen auch darin vorliegen, daß der Erlöser durch Dornen und Gestrüpp, welche die verwünschte Burg umgeben, hindurchdringt. Dies ist freilich bei der Erlösung in Schlössern, welche in unserm Märchen Nr. 29, Das getreue Roß, auf dem Meere entstehen, nicht der Fall. Allein dieses Märchen entfaltet überhaupt in der Episode dieser Erlösung auf dem Meere [XXVII] durch einen Königssohn, der schon durch eine andere Erlösung gebunden ist, einen unerhörten und dem Märchen sonst fremden Luxus. - Der Zug in Nr. 6 vom Blinden und den Raben oder Krähen auch bei Grimm in „Die beiden Wanderer“, II, Nr. 107. Vergl. auch unser Märchen Nr. 34. - Die Ameisen, welche in diesem und dem folgenden Märchen vorkommen, heißen in Niedersachsen Seechamseln oder Mieaanten.

Zu Nr. 7: Soldat Lorenz, vergl. bei Grimm „Die weiße Schlange“, I, Nr. 17; „Die Bienenkönigin“, ebenda, I, Nr. 62. Zwei von den drei dem Soldat Lorenz gestellten Aufgaben kommen auch in dem übrigens ganz abweichenden Märchen: „Die verzauberte Prinzessin“, bei Bechstein S. 28 vor.

Nr. 8: Der Prinz und der Zauberer, liegt eine schriftliche Mittheilung von Karl Strodt zu Grunde. Bei Wolf entspricht „Grünus Krawalle“, S. 286.

In Nr. 9: Der Jude und das Vorlegeschloß (vergl. dazu bei Grimm den Schluß von Nr. 92: „Der König vom goldenen Berg“), ist die Aufstellung der drei Riesen, wie es scheint in bestimmten Zwischenräumen bis ans Ende der Welt, eigenthümlich, wozu man noch den Riesen in dem Grimm'schen Märchen Nr. 93: „Die Rabe“, vergleichen kann, welcher Auskunft über geographische Gegenstände ertheilt und sogar Landkarten hält. Zu dem Vorhängeschlosse ist zu bemerken, daß nach Grimm's Mythologie einmal ein alter Held mit einem umgehängten Schlosse zu Kampf und Sieg stürzte; auch für einen Aberglauben, der sich noch jetzt in Niedersachsen und in Thüringen an das Zuschnappen von Schlössern heftet: „Walddrossel. Ein Lebensbild. Von H. Pröhle“, (1851) S. 290, und Bechstein's „Thüringischer Sagenschatz“ [XXVIII] II, 122, sowie ebenda III, 219. Bei dem Versetzen des Schlosses auf einen andern Platz scheint es wesentlich, daß die Bewohner in Schlaf versinken. Vergl. in dieser Beziehung: „Aus dem Harze“ S. 94, wonach das wernigeroder Schloß von Geistern zur Nachtzeit auf seinen jetzigen Platz versetzt wird.

Nr. 11: Die Riesen und das Stippfeuerzeug, wirft uralte mythische Wesen mit den neuesten Culturzuständen durcheinander, und klingt dabei an die erste französische Revolution an (Hinrichtung eines Königs auf dem Schaffot). Der Zug, daß für den Schusterjungen ein Schaffot aus Gold erbaut wird, erinnert an das Volkslied „War einst ein jung, jung Zimmergesell“, worin der Schusterjunge, der die Liebe der Gräfin genossen hat, sich zuletzt selbst einen Galgen von Gold und Marmelstein erbauen muß. In einer von Bürger als Ballade unter dem Titel „Lenardo und Blandine“ behandelten Novelle von Boccaccio (Ortlepp's Uebersetzung II, 24) wird der Fürstentochter das Herz ihres unebenbürtigen Geliebten nach seiner Ermordung in goldenem Gefäße zugeschickt, und Aehnliches geschieht oft. - Ein Schwefelhölzchen kommt in einem Andersen'schen, wol rein vom Dichter erfundenen Märchen vor, worin ein Kind mit Schwefelhölzchen handelt, am Weihnachtsabend eins anzündet, das ihm wie ein Weihnachtsbaum mit Lichtern vorkommt, und dann auf der Straße erfriert. - Bei Grimm entspricht dem vorliegenden Märchen „Das blaue Licht“, wo statt des Riesen ein Männchen.

In Nr. 12-16 tritt der Tod persönlich auf. Nr. 12 enthält das berühmte Märchen vom „Gevatter Tod“, zum größern Theil aufgezeichnet von Herrn Pastor G. Schulze in Altenau, dem Sammler der „Harzgedichte“ (2. Aufl., 1851), und mir schriftlich übergeben, [XXIX] am Schlusse ergänzt durch eine abweichende gleichfalls oberharzische Tradition, welche mir selbst zu Ohren gekommen war. In dieser Fassung enthält das schon bei Grimm und bei Bechstein, sowie mit einem schwankartigen Schlusse bei Wolf (vergl. übrigens auch „Aus dem Harze“ S. 87, wo Hackelberg Gevatter steht und die Goldstücke dabei wenigstens nicht fehlen) stehende Märchen mehrere neue Züge, wohin ich hauptsächlich rechne, daß der Doctor Tod, welchen Namen der Pathe des Todes nach Schulze's Mittheilung annimmt, zuletzt selbst sein Lebenslicht putzen will und es dabei versieht, was freilich der Tod vorher zu wissen scheint. Dieser Zug ist sehr poetisch, denn der Tod des jungen Arztes ist hier die ganz natürliche Folge des frevelhaften Spiels, das er sich gewöhnt hat, mit Tod und Leben zu treiben.

Von dem prächtigen Märchen Nr. 12: Die sieben Frauenbilder und der König der Todten, ist mir in frühern Sammlungen (abgesehen von der Einkehr des jungen Königs bei einem Hirten, wozu vergl. bei Meier die Einkehr bei einem Schuster in Nr. 72: „Der König Auffahrer des Meeres“) kaum einmal eine Andeutung begegnet, ebenso wenig als von der chevaleresken Erscheinung des „Königs der Todten“ selbst. Auch bei ihm ist übrigens der im Ganzen gutmüthige Charakter von „Gevatter Tod“ nicht zu verkennen. Und wenn man auch aus seinem moosbewachsenen Königsschlosse nichts zu machen wüßte (wiewol ja auch schon bei Wolf der Tod in einem Schlosse wohnt), so steht es doch mit unterirdischen Höhlen in Verbindung, in welchen der König der Todten die ihm übergebenen Schätze verwahrt, und in der wir seine ursprüngliche Wohnung wiedererkennen, wo sein schlichter bäurischer [XXX] Bruder, der Gevatter Tod, die Lebenslichter stehen hat. Zu dem Spiegel des jungen Königs würde auch wol zu vergleichen sein der S. XXIII des Vorwortes angeführte Reim aus der Novelle im Jahrbuch für 1847. -

In Nr. 14: Das weiße Männchen und die Jungfrau, wurde natürlich die Vermuthung, daß das weiße Männchen der Tod gewesen sei, von unserm Erzähler selbst ausgesprochen, und da sich hier der Saal mit den Lichtern in der That wiederfindet, so scheint das Ganze aus einer Vermischung des Märchens vom Blaubart mit dem vom Gevatter Tod hervorgegangen. Der Zug, daß das Männchen sich durch schlaue Verträge Kinder armer Aeltern verschafft, ist vom Teufel entnommen (s. unten S. XXXIV und XXXV), wie denn nach Grimm's „Mythologie“ das genannte Männchen in den Teufel übergeht.

Nr. 15: Elend währt bis an den jüngsten Tag, ist nach einem fliegenden Blatte bearbeitet, dessen Inhalt aber nicht dem Oberharze besonders zugeeignet werden darf, wie wol sonst fliegende Blätter bestimmten Gegenden vollkommen angehören, sondern schon „Kinder- und Hausmärchen“ III, 147 erwähnt wird mit dem Bemerken, daß es vielleicht eine Uebersetzung der französischen „Histoire nouvelle et divertissement du bon homme Misère“ sei. - Vergl. bei Grimm, I, Nr. 82: „De Spielhansl“; II, Nr. 65: „Die drei Wünsche.“ - Der Birnbaum, auf den der Tod hier steigt, scheint auch sonst mit einem Zauber behaftet, wenigstens mag diese Vorstellung zu Grunde liegen bei Boccaccio dem abscheulichen Schwank II, 308-321 in Ernst Ortlepp's Uebersetzung, wo Nicostratus von einem Birnbaume zusieht, wie Pyrrhus in seiner Gegenwart seine, des [XXXI] Nicostratus, Frau liebkost, worauf dann Beide ihn glauben machen, daß der Birnbaum verzaubert sei und sein Gesicht ihn getäuscht habe. - Sehr ehrwürdig erscheint der Birnbaum in den deutschen Kaisersagen.

In Nr. 16: Der alte Fritz und der Schnappsack (wozu vergl. „Hans und der Teufel“ bei Meier Nr. 10, und ebenda Nr. 62: „Bruder Lustig“, auch „Bruder Lustig“ bei Grimm, I, Nr. 81; auch bei Meier, „Hui in mein'n Sack!“, Nr. 78; „Der Schmied in Rumpelbach“, bei Zingerle Nr. 5), tritt dieser Preußenkönig, diesmal nur als gewöhnlicher Soldat, zum ersten Male auf, kommt mit Petrus und dem Tod, den er lange Jahre in seinem Ranzen hat, wo er sich von einigen Brotkrumen nährt, in Berührung, und bedient sich einmal seines historischen dreieckigen Hutes. Petrus gibt ihm drei Wünsche frei, der alte Fritz vergißt wie ein geborener Märchenheld das Beste, hier die ewige Seligkeit, reitet aber doch endlich auf einem Schimmel (welcher Preuße könnte darin den alten mollwitzer Schimmel verkennen, der sich hier mit Odin's sechsbeinigem Sleipnir zu berühren scheint) in den Himmel ein. Die Teufel hat er furchtbar geprügelt, als sie ihm an den Kragen wollten. Die Alte im Teufelsschlosse erinnert an des Teufels Großmutter, welche gewöhnlich gegen Reisende mild und wohlwollend ist. Er kommt später noch in manchem andern unserer Märchen vor, und außerdem noch in vielen Märchenembryonen, die ich nicht aufgezeichnet habe. Im Ganzen sind diese Märchen vom alten Fritz ein Product aus ältern, ja oft uralten mythischen Stoffen, einigen historischen Nachrichten und Anekdoten. Den vollständigen Charakter des großen Königs, der unsere Väter zu Kampf und Sieg geführt hat, findet man in keinem wieder, wol aber in [XXXII] jedem wenigstens Einen wesentlichen Zug aus seinem Charakter. In allen ist er der Soldatenfreund, in Nr. 16 selbst ein tapferer Soldat. - In Belgien soll Maria Theresia eine Märchenfigur geworden sein, und mit einem Kaiser oder König Joseph, der einmal in Wolf's „Hausmärchen“ vorkommt, scheint Joseph II. gemeint. Beachtenswerth ist für die Mythenbildung, daß der alte Fritz im Hannoverschen als Held des Märchens vorkommt, ich bezweifle, daß es in seinem eigenen frühern Lande möglich wäre, worüber man oben S. XVI vergleiche.

In den Märchen Nr. 16-26 tritt der Teufel auf. Nr. 18, Der Bauer und der Teufel (wozu vergl. bei Grimm II, Nr. 195: „Der Grabhügel“), ist ein sehr sinniges Product der in die Märchenwelt selbst eindringenden Aufklärung und der Abschwächung älterer Mythen. - In Nr. 17, Der Schmied in der Hölle, erscheint die Zahl 48 als bedeutsam: Der Teufel legt achtundvierzig Brennereien an. Uebrigens ist ohne diese kleinen Züge dieses Märchen bei uns alterthümlich genug, moderner das entsprechende bei Bechstein „Der Teufel ist los“, S. 39. - Die Gegenstände, deren sich in Nr. 19, Der goldene Becher, die goldene Tischdecke und die goldene Trompete, der Teufel bedient, sind sämmtlich nicht zufällig gewählt: in Katzen verwandeln sich Hexen, die übrigen beiden Gegenstände sind vom Pferde genommen, von dem namentlich auch der Kopf mythologisch wichtig ist, - vergl. eine unter dem Titel „Der Schwingtag“ aus L. Schücking's Roman „Ein Sohn des Volkes“ ausgehobene Stelle in meinem „Hausbüchlein“ II, 232-233, sowie Grimm's „Mythologie“, S. 626. Ferner „Kinder- und Hausmärchen“ III, 215 und 216, wo sich ein entsprechendes Märchen findet, in dem aber der Teufel andere Dinge herbeibringt als bei uns und [XXXIII] unter einem Birnbaum (vergl. die obige Bemerkung zu Nr. 15) sein Geheimniß verräth. In den „Kinder- und Hausmärchen“ II, Nr. 125, ist die Alte des Teufels Großmutter, die Aufgaben des Teufels sind wenig abweichend von denen in unserm Märchen. Vergl. auch bei Meier „Der angeführte Teufel“. In unserm Märchen Nr. 19 stellt der Teufel den ihm im Grunde schon verfallenen Soldaten noch drei Aufgaben, hier die Lösung dreier Räthsel; ähnlich in Nr. 23, Jungfer Schön, worin sich der Teufel den Namen Hipche, Hipche beilegt, und wozu man vergl. „Rumpelstilzchen“ bei Grimm, I, Nr. 55; bei Zingerle, Nr. 36, „Purzinigele“, auch Nr. 2, „Cistl im Körbl“. - In Nr. 20, Der Teufel und die Handwerksburschen, stellen die Handwerksburschen dem Teufel noch ihre Aufgaben, ehe sie ihm wirklich gehören wollen, und ohne solche Aufgaben scheint der Teufel keine wirkliche Macht über den Menschen zu haben, sodaß er selbst um die ihm scheinbar ohnehin schon ganz verfallenen Seelen noch eine Art Würfelspiel eingehen muß, und sie noch ebenso gut verlieren als gewinnen kann: jedenfalls ein tiefpoetischer Zug, wonach das Märchen den Schuldigen selbst im letzten Augenblicke noch nicht will sinken lassen, und den auch die Sage vom Tannhäuser ausspricht, als der dürre Stecken, den der Papst in die Erde steckt, zu grünen anfängt. - In dem Märchen Nr. 21, Der Teufel auf dem Heuwagen, verspricht ein Vater wissentlich seinen Sohn dem Teufel, was durch die Klugheit und Frömmigkeit des Knaben für die ganze Familie zum Glück ausschlägt, ähnlich wie in Nr. 22, Samiel und der Fischer, wo ein Fischer beim Fischfang ruft: Samiel, hilf! Gewöhnlich wird sonst zwischen den Aeltern und dem Teufel der Vertrag so gestellt, daß jene nicht ahnen, wie sie diesem ihre Kinder versprechen. [XXXIV] Auch so aber bleibt der regelmäßige, selbst für die Aeltern glückliche Ausgang zu verwundern, wenn nicht bei diesen die höchste Noth, welche selbst die Kinder dem Hungertode nahe bringt, vorausgesetzt wird. Zu dem Fischer, der keine Fische fangen kann, vergl. „Kinder- und Hausmärchen“ III, 171, und dazu, daß der Teufel als Grünrock erscheint, ebenda S. 190, sowie Zingerle's „Märchen aus Tirol“, wo er fast niemals anders erscheint. Ferner vergl. den Anfang von „Der König vom goldenen Berg“ bei Grimm, II, 92. - Nr. 25, Die Verächter des Heiligen, verlegt die wilde Jagd auf einen zur Hölle gehörigen grünen Platz vor der Hölle. Die Verwünschten auf dem grünen Platze sind sämmtlich stumm, was nur bei dem Dienstmädchen nebenbei erklärt wird, welches unter der Kirche so eifrig aufwusch, daß es einem Vorübergehenden auf seinen Gruß nicht einmal dankte, sodaß also hier noch ein fremdes Motiv eingreift. Die unfreiwillige Höllenfahrt eines Lebendigen geht schließlich in eine Art von Bergentrückung über: als er wieder auf die Erde kommt, zeigt es sich, daß er volle fünfhundert Jahre fortgewesen ist. - Von Nr. 26, Der Bauer in jener Welt, sind zahlreiche Varianten in Umlauf, und ein Reisender hatte Aehnliches in Württemberg gehört. - In der ersten Abtheilung von Nr. 24, Die Teufelsmühle und die Zwergmühle, ist der „Braukessel voll Erbsen“ zu beachten, der die göttliche Abkunft des Vielfraßes andeutet. Vergl. auch Grimm, II, Nr. 90, „Der junge Riese“. Die zweite Abtheilung macht uns mit einem bis jetzt in Sammlungen wol noch nicht vorkommenden „Zwergengroßvater Trutram“ bekannt, den ich wiederholt nennen hörte; den Zug, daß Der, der ihn mit seiner Schar vertreibt, unter Anderm auf ihn schießt, [XXXV] hat er mit dem Zwergkönig Hübich gemein, über den Grimm, „Mythologie“ S. 422 zu vergleichen ist, und der seit dem Dreißigjährigen Kriege, wo nach dem Hübichenstein geschossen sein soll, nicht mehr erschien.

Das Märchen Nr. 27, Die Geschenke der Klagefrau, oder der „Klagemuhme“, welcher Name den ältesten Personen am geläufigsten ist, führt uns einen Namen vor, der bis jetzt in gedruckten deutschen Märchen und Sagen nicht genannt ist. Der Name Klagefrau, Klagemuhme und Haulemutter oder Häulemutter wird auf dem Oberharze abwechselnd gebraucht für die Frau Holle. Eine weiter greifende Untersuchung über diese Namen und über die oberharzische Frau Holle überhaupt behalte ich mir für die zunächst von mir in der Schweiger'schen Buchhandlung zu Klausthal erscheinenden Sagen vor. - Die Klagemuhme in unserm Märchen erweist sich der Verwandtschaft mit Wuotan nicht unwürdig, denn sie tritt begabend auf, und zwar mit seinen Gegenständen. Wunschhut, Mantel und auch das Horn gehören ihm unzweifelhaft, und auch die Wunschbörse setzt J.W. Wolf S. 17 seiner „Beiträge“, I, zu ihm in Bezug.

Zu Nr. 28, Das Reh, die Löwin und der Bär, vergl. wegen der im Besitz der Einsiedler befindlichen Gegenstände bei Grimm, I, Nr. 59, „Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein“, wo Köhler dergleichen besitzen.

Die kostbare Straße in Nr. 29, Das getreue Roß, kommt öfter vor, z.B. in „Das Wasser des Lebens“ bei Grimm, II, Nr. 97. Zu dem Ganzen vergl. „Der kranke König und seine drei Söhne“ bei Meier, Nr. 5.

Nr. 30, Die Männchen und die Bauernsöhne, [XXXVI] führt uns das sogenannte Männchen in seinem ganzen Glanze vor. Das zweite unter dieser Nummer mitgetheilte Märchen ist von Freytag in Schlesien aufgezeichnet. Darin ist das Männchen ein graues, im oberharzischen ein weißes, ja, sein Charakter geht hier offenbar in den eines weisen Männchens über (es wird Minister), wie denn in Niedersachsen das weiße Roß auf Wirthshausschildern in der Regel ein weises Roß wird. Uebrigens heißt auch in Niedersachsen das Männchen gewöhnlich das graue. Zur ersten Abtheilung vergl. bei Wolf „Der Hinkelhirt“, S. 369. Zur zweiten Abtheilung bei Bechstein „Hirsedieb“, S. 65; bei Sommer das vierte Märchen „Der dumme Wirrschopf“. In dem Märchen Nr. 1 ist bereits eine Definition des Männchens, wie man sie mir gegeben hat, aufgezeichnet, wonach es sich „groß und klein machen“ (?) kann, was, beiläufig bemerkt, die hervorragendste Eigenschaft der oberharzischen Haulemutter ist, und wozu man auch vergl. Kuhn und Schwarz, S. 101 und 481, wonach die Frau, die der wilde Jäger jagt, sich auch groß und klein machen kann.

Nr. 31, Der Brunnen, ist Gustav Freytag in Oberschlesien erzählt. Das Verbrennen der Thierhaut kommt mehrfach vor, und scheint im deutschen Märchen nach dem Abwerfen derselben nothwendig. Aber in der Erzählung „Die Schlange“ aus dem „Pentameron“ des Basile, in den Auszügen bei Grimm „Kinder- und Hausmärchen“ III, 307, führt so viel ich sehe das Verbrennen einer unter ähnlichen Umständen abgeworfenen Schlangenhaut zu neuem Unheil. Das Abwerfen und Verbrennen einer Thierhaut scheint nur bei Jünglingen vorzukommen, aber immer in Gegenwart von Jungfrauen und in unmittelbarer geschlechtlicher Beziehung stattzufinden. - Bei [XXXVII] Grimm entspricht „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“ (I, Nr. 1). Vergl. auch bei Grimm „Das singende, springende Löweneckerchen“, Nr. 88. Wegen der Kleidergeschichte, die überhaupt sehr oft vorkommt, II, Nr. 113 „Die beiden Königskinder“; II, Nr. 127 „Der Eisenofen“; II, Nr. 193 „Der Trommler“. Bei Wolf entspricht „Die eisernen Stiefel“, S. 198.

In Nr. 33, Der Bäckerlehrling, deuten die mit Schätzen gefüllten Gänge, welche der König zeigt, in diesem selbst einen bergentrückten Helden an. Nach Kuhn und Schwarz, S. 497, würde auch in unserm Märchen das Kegelspiel vorzugsweise auf Donar zu beziehen sein, welcher sich nach Grimm's „Mythologie“, S. 912, in der Person des bergentrückten Helden nahe mit Wuotan berührt. - Bei Grimm entspricht übrigens I, Nr. 4 (Fürchten lernen), bei Wolf „Hans ohne Furcht“, S. 328. Vergl. auch mit unserm Märchen Kletke's „Buch vom Rübezahl“ (1852), wo ein Fleischerknecht mit Rübezahl Kegel schiebt und, wie bei uns, einen Kegel mitnimmt, den er aber behalten darf.

Die Wunderkraft des Wassers in Nr. 34, Der Zaubergürtel, kehrt häufig wieder. Vergl. Nr. 6, Nr. 36, Nr. 31 und die obige Bemerkung zu Nr. 6 (S. XXVII). Der Zaubergürtel verleiht „Zwölf-Riesenstärke“. Das Märchen als lachender Erbe des alten Mythus ist hier sehr verschwenderisch: Die „Legenda aurea“ erzählt „Quidam vir duodecim hominum fortitudinem habuit“, und Odhinn arbeitete nur für neun Männer (Wolf's Beiträge, I, S. 97).

Zu Nr. 35, Von bösen und von guten Feen, ist zu bemerken, daß da, wo unsere Märchen gesammelt sind, die Vorstellung von diesen lichten, nicht ursprünglich deutschen[WS 1] Wesen sehr verdunkelt ist. Alle Feen, sagte man [XXXVIII] mir, fressen Leichen bei ihren gemeinsamen nächtlichen Zusammenkünften, und alle Feen sind eigentlich böse. Gute Feen sind daher nur solche, die „noch nicht ausgelernt“ haben, und die das Wenige, was sie von der Zauberei wissen, noch zuweilen zum Guten anwenden. Wie es scheint, werden sie dadurch den bösen Mächten wieder entrissen.

Dem Märchen Nr. 36, Die schöne Magdalene, entspricht im „Pentameron“ des Basile in den Auszügen bei Grimm „Kinder- und Hausmärchen“ III, 319, „Das Mädchen ohne Hände“, doch mit wesentlichen Abweichungen, auch in Bezug auf die eigentlich mythischen Züge. So läßt z.B. dort ein Zauberer dem Mädchen ohne Weiteres die Hände wieder wachsen. Ferner als dieses italienische Märchen steht aber dem unsern „Das Mädchen ohne Hände“ bei Grimm, I, 187.

Derselbe Gedanke wie in Nr. 37: Was ist der Mensch? in einer ganz andern Geschichte bei Grimm, II, Nr. 115 in: „Die klare Sonne bringt's an den Tag“, und bei Meier; ferner in einem deutschen Märchen vom Rebhuhn, welches bei Bechstein steht, in meinen Harzsagen aber sogar als Ortssage von den Helgenstöcken vorkommen wird; ferner in den Kranichen des Ibykus, und auch in den norwegischen Volksmärchen von Asbjörnsen und Moe, deutsch von Bresemann (1847).

Ebenso findet sich derselbe Gedanke wie in Nr. 38, Die drei Gähner, der Gedanke, daß die Natur das Böse und den Verrath von dem arglosen Menschen abzuwehren sucht (wie sie auch nach dem Vorigen das schreiende an dem Schwächern vollführte Unrecht selbst an den Uebelthätern rächt), in einer ganz andern Geschichte „Der Räuber und die Hausthiere“, bei Meier Nr. 3. [XXXIX] Zu Nr. 39, Daumgroß, vergl. bei Grimm „Daumerlings Wanderschaft“, I, Nr. 45; „Der kleine Däumling“ bei Bechstein, S. 131. Bei uns bemerke man die merkwürdige Wendung, wodurch er zu einer Art Bettelvogt wird.

Nr. 40, Kiekam's Haus und die Bettelkinder, enthält in der Ueberschrift einen Namen, der nicht blos in diesem Märchen vorkommt. Man hat eine Art komischer Rede: „Kiekam was en grot Mann“, welche Worte immerfort wiederholt werden. - Dem Märchen entspricht „Hänsel und Grethel“ bei Grimm I, Nr. 15 und bei Bechstein S. 55.

Eine merkwürdige Vermischung der verschiedensten Culturstufen aus der Geschichte findet sich in dem Märchen Nr. 43, Von einem Reisenden, der die Weisheit Gottes ergründen wollte. Der Reisende, welcher diesen Zweck verfolgt, ist Niemand anders als Odysseus. Das Märchen eignet sich hier nur an, was ihm von Rechtswegen gehört, denn schon Grimm sagt „Kinder- und Hausmärchen“ III, 435: „Manche Fabel der Odyssee hat ganz die Natur eines Märchens, wie etwa die von Polyphem.“ Den ersten Zug des Märchens finde ich schon in einem Andachtsbuche „Zum süßen Jesus-Gedächtniß“ vom Jahre 1688, wenn auch abweichend, wo er vom heiligen Augustinus erzählt wird. Dort heißt es S. 39: „Der heilige Augustinus ging einmal spaziren an einem großen Meer, wolte außdenken, Wie Gott Vater, Sohn und heiliger Geist nur Ein Gott wäre, wie es doch immer möglich, daß Eins Drei, und Drei Eins sein könnte. Ein kleines Ding, ohn Zweifel ein Engel, saß am Ufer des Meeres, hatte ein kleines Grübichen in der Erde gegraben, und wolte mit seinem Lepffel das große Meer in die kleine Grube [XL] schöpffen. Augustinus sprach: Mein Kind, was machest du? Das Kind sprach: Ich will das Meer in diß Grübichen schöpffen. Er sprach: Ach, das ist ja nimmer möglich. Das Kind antwortete: Viel unmöglicher ist dir, außzuforschen, daß Gott in drey Personen sei.“ Der Zug vom großen Kessel erinnert sodann an einen Mythus von Thor (vergl. Wolf, „Beiträge zur Mythologie“, I, 96). Für den großen Kohlkopf vergl. „Kinder- und Hausmärchen“ III, 202. Der folgende Zug zeigt uns Odysseus eben bei Polyphem. Sein Abenteuer mit diesem klingt auch in den „Norddeutschen Sagen“ von Kuhn und Schwarz, S. 97, sogar in einer Ortssage aus Deetz! wieder, wo ein Schäfer einem Wassernix sagt, er heiße „Selbergedan“, und ihm dann einen Streich spielt. Auch in dem Grimm'schen Märchen „Der Räuber und seine drei Söhne“ finden sich Anklänge an die Flucht des Odysseus aus der Höhle des Polyphem. - Der in unserm Märchen nun folgende Zug zeigt uns deutlich Odysseus bei den Phäaken. Der dann folgende klingt verwirrt an einen indischen Religionsgebrauch an, und der Schluß eröffnet uns den Hinblick auf eine ganze Odyssee von Seefahrten.

Zu Nr. 47, Vom Schneider Hosenblank, vergl. bei Grimm „Das tapfere Schneiderlein“, I, Nr. 20; bei Meier „Das tapfere Schneiderlein“, Nr. 37; bei Bechstein „Vom tapfern Schneiderlein“, S. 5.

Nr. 48, Der König von Papierland und von Kummerland, und Nr. 49, Der gelehrige Dieb (womit vergl. bei Wolf „Hanskühstock“, S. 397; bei Meier „Der kluge Martin“, Nr. 55), sind Räubermärchen, wobei ich bemerken will, daß der nämliche Knabe aus Sieber, der vom „Dicken Christoffel“ und auch vom „Zwergengroßvater Trutram“ berichtete, mir neuerdings [XLI] auch ein Räubermärchen erzählte, welches fast Alles, was ich sonst einzeln an Räubermärchen gehört, wie ein großes Epos in sich vereinigte. Der Held war ein Schneidergeselle, welchem in echter Märchenweise vom Räuberhauptmann drei Aufgaben gestellt werden, wie denn überhaupt die alterthümliche Dreizahl immer wiederkehrte. Uebrigens konnte ich davon nur zwei kleine Züge zur Ergänzung von Nr. 48 und auch vom Märchen Nr. 47, Schneider Hosenblank, benutzen.

Der Anfang von Nr. 50, Vom langen Winter, auch in Gibelhausen's „Mansfelder Sagen u.s.w.“ metrisch und im Dialekt erzählt; der Schluß bei Meier, Nr. 20, „Der Himmelsreisende“, wozu man auch dort die Anmerkung S. 303 und 304 vergleiche. Unserm ganzen Märchen entspricht: „Bauer und Bäuerin“, bei Zingerle, Nr. 14.

Nr. 53, Der strenge Mann, ist dem Inhalte nach ein Seitenstück zu Shakspeare's Lustspiel „Die gezähmte Widerspänstige“. Wie dort, so straft auch hier der Mann scheinbar ein anderes Wesen (hier ein Thier, dort die Diener) für die böse Frau, um sie zu bessern, und das Märchen ist insofern viel feiner als das ungeschlachte, aber großartige Märchen vom Zornbraten bei Bechstein.

Nr. 54, Die drei messingenen Becken, bei Meier „Die drei Schwestern“, Nr. 12.

Nr. 56, Zu Ranze Tanze, ist nach einem ungedruckten plattdeutschen Volksliede ausgearbeitet, und Nr. 57, Der Lorberbaum auf der Haide, eine sich dem Volksliede nähernde Tradition, welche mir aufgeschrieben mitgetheilt ist. Von anderer Seite ist mir auch statt des Lorberbaumes ein Birnbaum genannt, und so findet sich das Märchen nun auch, jedoch immer noch abweichend [XLII] und am Schlusse des Wunders ganz entbehrend, bei Meier Nr. 84.

Nr. 61, Die Kaufmannsfrau als Oberst, scheint eine sehr verbreitete Tradition zu sein, und wurde vor Jahr und Tag, jedoch ungleich moderner, auch als fliegendes Blatt, betitelt „Die schöne Caroline als Husarenoberst“ gedruckt; Karl Immermann führt diesen Titel im „Münchhausen“ unter den Liedern und Geschichten an, welche der „Patriotenkaspar“ auf seinem Leierkasten verkauft. Nach dem fliegenden Blatte, welches wahrscheinlich eine einfache historische Notiz aus neuerer Zeit zu dem weit ältern Märchen hinzutrug, wenn nicht diese Verbindung vorher durch den Mythus selbst vollzogen war, ist die schöne Caroline aus dem Elsaß, kämpft unter Napoleon gegen ihr deutsches Vaterland, und das Wiedererkennen zwischen ihr und ihrem Manne findet in Magdeburg statt. Eine dritte, gleichfalls ganz abweichende Aufzeichnung dieser Ueberlieferung findet man in Wolf's „Hausmärchen“ mit der Ueberschrift: „Der Pfiffigste“. (S. 355.) Uebrigens hat auch Boccaccio die Geschichte (Ortlepp's Uebersetzung, S. 208-225). Dort verliert Bernabo aus Genua durch den Betrug des Kaufmanns Ambroguiclus, welcher der schlafenden Frau eine Börse, ein Kleid, einen Ring und einen Gürtel nimmt, sein Vermögen in der Wette, und gibt dort sogar den Befehl, seine unschuldige Frau zu ermorden. Sie entkommt, und dient in Männerkleidung dem Sultan, entdeckt den Betrüger, und veranlaßt Bernabo, nach Alexandrien zu kommen. Die in unserm Märchen vorkommende Scene mit ihrem Sohne, die zweite Eifersucht des Mannes und die so alterthümliche Verkleidung der Magistratspersonen in die Frau und die Töchter des angeblichen Obersten finden sich weder bei [XLIII] Boccaccio noch bei Wolf, bei welchem Letztern die Dame Regimentsarzt wird.

Die zweite Abtheilung von Nr. 62, Die hochmüthigen Mädchen, ist der kurze Inhalt eines Stückes, das in diesem Jahre in einer Kunstbude auf dem Schützenhof zu Klausthal gespielt wurde. Die Unbehülflichkeit des Machwerks und die zahllosen Sprachfehler zeigten, daß die ganz märchenartige Geschichte wol erst vom Inhaber der Bude selbst dramatisirt war. Nur der Aufzug des Lumpensammlers und seiner Frau zum Schluß erinnerte etwas an Raymund's Aschenmann.

Der ersten Abtheilung von Nr. 63, Die Trommelschläger vom alten Fritz, entspricht bei Grimm „Das Bürle“, I, 61, doch sind beide Erzählungen vollkommen selbständig. Auch wird in „Der alte Hildebrand“ bei Grimm II, Nr. 95 ein Einsiedler der Verräther der Liebe zwischen einer Wirthin und einem katholischen Pfaffen, indem er den Wirth zum Augenzeugen macht und dieser den Pfaffen aus dem Hause prügelt. Bei Meier, Nr. 41, entdeckt „der Müller Hillenbrand“ ohne fremde Hülfe den Verrath des Pfaffen und der Frau, die den Müller verreist glaubte. - Zur zweiten Abtheilung von Nr. 63 vergl. die beiden unter Nr. 62 mitgetheilten Märchen. Das Thema ist insofern verschieden, als hier nicht wie in Nr. 62 wirklicher Hochmuth der Geliebten bestraft wird, sondern nur das soldatische Selbstgefühl einen Triumph feiert.

Die von hier an noch folgenden Märchen sind später zu der Sammlung hinzugekommen und würden sonst zum Theil in ihr an andern Stellen ihren Platz gefunden haben.

Nr. 64, Der Zaunkönig und die Hühnerwieke (welcher auch der Grimmer genannt wird), [XLIV] weicht nur durch die Hühnerweihe von dem Grimm'schen Märchen vom Zaunkönig ab; ich zeichne es ausnahmsweise trotz dieser nur geringen Abweichung auf, weil es in unserer Gegend gleichsam aus einer andern Tonart, in einer andern Melodie geht als bei Grimm. Wer jemals neben einem niedersächsischen Dorfe die Hühnerweihe fliegen sah, wird sich durch diese Wendung eigenthümlich angeheimelt fühlen.

Zu Nr. 65 vergl.: „Der goldene Hirsch“ bei Wolf, S. 73, und „Der lustige Ferdinand oder der Goldhirsch“ bei Meier, Nr. 54. Letzterer deutet das Märchen in der Anmerkung S. 311-313 vortrefflich als entstanden aus einem alten Göttermythus von Freirs Brautwerbung. Dabei ist freilich wesentlich, daß der Hirsch von Gold ist. Das Märchen erscheint bei uns unvollständiger und zu einer einfachen Erzählung abgerundet, der Trompeter hat sich bereits mit der Prinzessin verständigt und sucht auf so einfache Weise als möglich zu ihr zu gelangen, auch ist er sonst kein Abenteurer und konnte somit das Geld zu dem goldenen Hirsche nicht mehr aufbringen. Bei Meier macht der Goldhirsch von selbst Musik, ebenso bei Wolf, bei uns muß der Trompeter darin Musik machen, die aber, wenn die Meier'sche Deutung des Märchens richtig ist, immer noch an „eine uralte Sage von dem Klange der auf- und niedergehenden Sonne“ erinnert. Auf den ersten Blick wird man nichts eigentlich Mythisches an dem Märchen gewahr, es ist aber nur rationalistisch umgemodelt, der Gott wird zum Stabshornisten, und aus der Trompete erklingt die Sphärenmusik: Grund genug zur Bestätigung Dessen, was wir oben über die Abschwächung älterer Mythen und die theilweise Wichtigkeit selbst der Schwänke angedeutet haben.

Nr. 67, Die Springwurzel und das Lichtchen, [XLV] ist aus zwei Varianten zusammengestellt, wovon die ausführlichere mir durch W. Bernack aus Osterode schriftlich mitgetheilt war. Die kürzere schloß damit, daß der Soldat den König, welcher in dieser Fassung der alte Fritz war, in der königlichen Schatzkammer umhergeführt hat, worauf der ihn großmüthig zum General macht. Da demnach der alte Soldat wieder dem alten Fritz gedient hätte, so ist es merkwürdig, daß auch in der weiter fortgeführten osteröder Fassung ein Zug vorkommt, der auch sonst ähnlich von den alten Soldaten aus dem Siebenjährigen Kriege überliefert wird. Der alte Soldat nimmt nämlich bei Gelegenheit seinen Stock als Gewehr und exercirt damit in Reihe und Glied, als er an einem Regimente vorbeikommt. Vergl. dazu, was in meinen „Abendunterhaltungen“ in Franz Hoffmann's „Illustrirtem Volkskalender für 1852“, und in meines Vaters „Chronik von Hornhausen“ (1850) S. 160, über die alten preußischen Soldaten aus dem Siebenjährigen Kriege gesagt ist. Vergl. übrigens unsere Märchen Nr. 10 und 11, sowie für den Anfang: bei Grimm Nr. 116, „Das blaue Licht“. Ueber die Springwurzel, über welche Grimm's „Mythologie“ verglichen werden kann, sowie über Anderes aus dem Gebiete des Aberglaubens, das gleichfalls zur Bereicherung benutzt wird, werden meine Sagen sehr Vieles enthalten.

Nr. 68, Ein Windbeutel legt das Kartenspiel von einer guten Seite aus, welches ich schriftlich erhalten habe, wird wol in derselben Form abschriftlich in den Kasernen von Hand zu Hand gehen, wenigstens spiegelt es auf eine merkwürdige Weise den listigen Charakter des Soldaten vom alten Schlage wieder.

Der Zug von Nr. 69, Das harte Herz, von Jemand wegen des durch den Hund herbeigeführten Misverständnisses [XLVI] aufhört zu essen, findet sich auch bei Meier, Nr. 52, „Hans holt sich eine Frau“.

Zu Nr. 70, Die diebische Spinnstube, vergl. Nr. 16-26, und die obige Bemerkung zu diesen Märchen, sowie zu dem Verhalten des Teufels unter dem Birnbaum den Ausruf „Hei kucket, hei kucket“ bei Kuhn und Schwarz in der 217. Sage: „Hexen in Gittelde“.

Zu Nr. 71, Teufelslohn, vergl. bei Grimm Nr. 100, „Des Teufels rußiger Bruder“, auch bei Zingerle Nr. 18, „Starker Hansel“, am meisten aber entspricht bei Meier Nr. 74, „Der Knabe, der zehn Jahre in der Hölle dient“.

Zu Nr. 72, Die Barbiermühle, vergl. unsere obige Bemerkung zu Nr. 3, sowie die Märchen bei Meier Nr. 45, „Der Klosterbarbier“, und bei Zingerle Nr. 17, „Der Krämer“.

Nr. 73, Der Student am Halfter, ist aus dem Halberstädtischen und mir von meinem Vater erzählt. Es liegt wol die Erinnerung an eine wirkliche Verwandlung in einen Esel zu Grunde. In der 17. Sage von Kletke's „Rübezahl“ verkauft ein Armer einen wirklichen Esel (wie es scheint, Rübezahl selbst) an einen Müller, und als der ihm Futter bringt, sagt der Esel: „Ich fresse kein Heu, sondern lauter Gebratenes und Gebackenes.“

Nr. 74, Das Viertel vom Wirth, liegt ein ähnlicher Gedanke zu Grunde, wie bei dem „Kaufmann von Venedig“.

Nr. 76, Das Schiff, das auf dem trockenen Lande geht, war mir ursprünglich nur unvollständig mitgetheilt, und da es mir lange nicht gelingen wollte, die Ergänzung zu erhalten, Kuhn und Schwarz aber S. 331-334 es gleichfalls nach einer oberharzischen Tradition [XLVII] mittheilen, so vereinigte ich, um die oberharzische Ueberlieferung davon nun vollständig zu geben, das dort gedruckte und das mir mündlich mitgetheilte Märchen zu einem Ganzen. Während des Druckes dieser Sammlung fand ich aber in dem sehr sagen- und märchenreichen preußischen Städtchen Sachsa am südwestlichen Harzrande unverhofft ein Märchen vom „Schiff, das über Berg und Thal geht“, worin nicht allein der jüngste, sondern auch die beiden ältern Brüder von dem Männchen Schiffe erhalten, von denen sich das eine, als sie nach Hause kommen, als ein Backtrog und das andere als ein Schweinetrog erweist. Nachher geht das Märchen dann noch in die bekannte Geschichte von dem Horcher u.s.w. über. - Zu dem Märchen, wie es im Texte vorliegt, vergl. bei Meier Nr. 31, „Das Schiff, das zu Wasser und zu Lande geht“. Bei Kuhn und Schwarz wird nur verlangt, daß das Schiff weder Pflock noch Nägel habe. Ich verweise wegen des Schiffs, das auf trockenem Lande geht, auf J.W. Wolf's Untersuchungen über Nehalennia in den „Beiträgen zur Mythologie“, I, 149-160, und mache aufmerksam auf das Feld, wo in der mir fragmentarisch auf dem Oberharze mitgetheilten Fassung des Märchens das Männchen jedesmal erscheint, und welches zu der aus Kuhn und Schwarz entnommenen Stiege Leinwand, auch wol zu dem Gerstenkorn (mit dem vielleicht auch der Backtrog in der oben erwähnten sachsaer Fassung zu vergleichen wäre) vortrefflich zu passen scheint. Der von Wolf herbeigezogene Ausdruck aus Cortryk: Wanne Thekla spielt (bei ungestümem Wetter) ihre Rolle, erinnert an das unverständliche Wanne in einem Wiegenliede, welches auch Otmar in seinen „Volkssagen“ (1800) kennt und für mythologisch [XLVIII] wichtig hält, und das ich selbst als Kind im Magdeburgischen folgendermaßen singen hörte:

Hulder de Bulder de Wagen will weg,
De Peerekens sind verdrunken,
Twischen Stemmern un Barendörp[2]
Wol in den deipen Sumpe.
Wanne wie weene Rütersknecht!
Wanne wie flauke de Junke!

Das noch jetzt gebräuchliche „Hulderdebuller“ in jenem Wiegenliede erinnert ganz dunkel an den Namen der Holle, ohne daß man hierauf das geringste Gewicht legen könnte, bestimmter aber wol das Versinken des Wagens und der Pferde im Wasser an die Göttin Nerthus (Jakob Grimm, „Deutsche Mythologie“, S. 234), zu welcher auch die Ackerknechte recht gut passen möchten. Zu „Wanne“ ist wol kaum zu vergleichen das Wort „Wenne“, welches bei dem in der Bemerkung zu dem Märchen Nr. 2 angeführten Kinderreime vorkommt, wo es sich gleichfalls um einen rasch aus dem Gesicht verschwindenden Wagen handelt.

Nr. 78, die rothe Fahne und der Ring der Königstochter, entspricht bei Wolf S. 243, „Des Todten Dank“, und bei Meier Nr. 42, „Der Sohn des Kaufmanns“; bei Beiden ist das Märchen jedoch weniger poetisch und auch weniger vollständig als hier.

Noch einige gedrängte Nachträge füge ich dem vorstehenden Vorworte hinzu. Zu dem schlesischen Märchen in der zweiten Abtheilung von Nr. 30, Die Männchen und die Bauernsöhne, wurde mir noch eine Variante aus Sachsen bekannt, die sich mehr dem Bechstein'schen Märchen „Der Hirsedieb“ nähert; zu Nr. 7, Soldat Lorenz, eine Variante [XLIX] aus Förste bei Osterode, worin der Teufel vorkommt und Bäume zu den Jungfrauen in Beziehung zu stehen scheinen. Zu Nr. 27, Die Geschenke der Klagefrau, vergl. Bechstein's „Deutsches Sagenbuch“ (1852) Nr. 303, wo die Klagefrau vorkommt, aber wieder etwas Anderes bedeutet. - Zu Nr. 51, Frauenlist über alle List, soll sich eine Variante in Wigand's Volkskalender für 1853 (wol von Karl Simrock) finden. - Der Zug in Nr. 8, daß einer Jungfrau die Kleidung (Schwanenhemd) genommen werden muß, verräth die Valkyrie. - Die kunstreichen Flügel, welche in Nr. 4, Der Jäger über alle Jäger, ein Handwerker verfertigt, erinnern an das selbstgefertigte Federkleid, mit dem der Schmied Wieland davonfliegt. - Zu Nr. 14 und Nr. 30 sowie zu den betreffenden obigen Bemerkungen dazu vergl. die Zusammenstellung über Männchen und Zwerge, besonders mit Rücksicht auf ihre Farbe, bei W. Müller „Geschichte und System der altdeutschen Religion“ (1844) S. 331. - Zu dem König der Todten in seinem Schloß in Nr. 8 vergl. was ebenda S. 390-394 über Odhinn, Niflheimr und Valhöll gesagt ist; sowie zu dem eigenthümlichen grünen Platz in der Hölle in Nr. 25, Die Verächter des Heiligen, ebenda S. 399 und 400. - Die Geschichte von dem Geiste, der dadurch erlöst werden kann, daß Jemand die Hälfte eines Schatzes an die Armen gibt und die andere für sich behält (Nr. 27, Die Barbiermühle), ist auch in der Schweiz bekannt. Jeremias Gotthelf erzählt sie in der „Sage vom Meyer auf der Mutte“ (dessen „Erzählungen und Bilder“, 3. Band, 1852, wo sich auch in einem frühern Bande die Erzählung von den in Raben verwünschten Kindern findet). Wenn dort die Pointe darin besteht, daß von dem dem Erlöser zufallenden Gelde kein Kreuzer unnütz verausgabt [L] werden darf, so ist das vielleicht ein Zusatz von Gotthelf; es widerspricht dem Geiste des Volksmärchens, daß an den Schatz, den Jemand als Erlöser gewinnt, hinterher noch gefährliche Bedingungen, die sein Glück und seine Freiheit hindern können, geknüpft sind, wiewol allerdings das Märchen, wenn es wie hier zur Ortssage wird und dadurch der Wirklichkeit näher tritt, in der Regel eine tragische Schlußwendung erhält. - Zu S. XVII des Vorworts, namentlich zu dem dort angehängten Worte „Schnitzerchen“, ist noch das verwandte „Schnittchen“ (von Schneiden, Aufschneiden), namentlich für Anekdoten, die nicht recht glaublich sind, nachzutragen.

3. November 1852.

Heinrich Pröhle.

[1]

1. Bärenheid, Adelheid und Wallfild.

Es war einmal ein reicher Edelmann, der hatte drei Töchter, die hießen Bärenheid, Adelheid und Wallfild. Der wußte nicht hauszuhalten, wurde ganz arm und mußte auf die Jagd gehen, um seinen Unterhalt zu suchen. Er schoß einen Hasen, darauf aber kam der Bär, weil der Edelmann von seinen Unterthanen geschossen, und sprach: „Du hast einen von meinen Unterthanen getödtet, das kostet dich dein Leben. Nur wenn ich deine älteste Tochter Bärenheid bekommen kann, will ich dir verzeihen und du sollst Alles wieder in Fülle haben.“ Der Edelmann verspricht dem Bären die Tochter, und als er zu Haus ankommt, hat er Alles in Fülle, wie er's nur verlangt. Der Bär kommt den andern Tag und holt Bärenheid ab. Das Vermögen vom Bären ist aber im Umsehen wieder verschwunden und der Edelmann muß wieder auf die Jagd gehen, um seinen Unterhalt zu suchen. Er geht nun auf die Vogeljagd und schießt ein paar Schnepfen. Da kommt der Adler und spricht: „Du hast von meinen Unterthanen geschossen, das kostet dich dein Leben. Nur wenn ich deine Tochter Adelheid bekomme, will ich dir verzeihen und du sollst Alles wieder in Fülle haben.“ Der Edelmann versprach die zweite Tochter dem Adler und hatte Alles wieder in Fülle. Der Adler kommt den andern Tag zu Fuß als [2] ein wundervoller Herr und holt die zweite Tochter ab. Das Vermögen des Edelmanns ist aber wieder im Umsehen verschwunden. Er geht jetzt ans Wasser, fängt einen Hecht und tödtet ihn. Da kommt der Wallfisch und spricht: „Du hast meinen Unterthanen getödtet, das kostet dein Leben. Nur wenn ich deine Tochter Wallfild haben soll, mag es dir geschenkt sein und du sollst Alles wieder in Fülle haben.“ Zwei Töchter wären schon fort, sagt der Edelmann, so möcht' es um die dritte auch sein, wenn er nur sein Leben retten könnte. Der Wallfisch kommt den andern Tag mit einer Kutsche und vier weißen Schimmeln, und holt die dritte Tochter auch ab. Bei dem Edelmann aber war von jetzt an wieder Alles in Hülle und Fülle und er hielt nun besser Haus als bisher.

Jetzt bekommt der Edelmann auch einen Sohn. Dem träumt, als er funfzehn Jahr alt ist, daß er seine Schwestern erlösen könne; er bricht auf und geht ohne Wissen seiner Aeltern in die Waldung. Da kommt er bei ein weißes Männchen, das war ein verwünschter, unterirdischer Geist, der sich groß und klein machen konnte, von welcher Art es früher viele gab. Das Männchen sagt, er möge sich in Acht nehmen, es wäre eine Bärenhöhle in der Nähe. Das sei gerade sein Verlangen, da wolle er hin, sagt der Junker. So geht er hin und gelangt auch glücklich in die Höhle, als der alte Bär auf Raub ausgegangen ist. Die Höhle aber war von innen ein prächtiges Schloß, darin saß seine Schwester Bärenheid und säugte zwei junge Bären. Die Schwester bewirthet und behält ihn über Nacht und versteckt ihn vor dem Bären. Nach einer Stunde kam der alte Bär und witterte, daß fremdes Menschenfleisch in seiner Höhle war. Die Frau sagte aber, er sei ein Narr, es wäre kein fremdes Menschenfleisch. Da beruhigt sich der Bär und legt sich zu ihren Füßen ins Bett. In der Mitternacht [3] reißt sie dem Bären drei Haare aus und sagt ihrem Bruder: wenn er in Noth käme und die Haare riebe, so wäre der Bär als Hülfe da, er möge nun die beiden andern Schwestern besuchen. Auch zeigt sie ihm an, wo die zweite Schwester wohne. Ehe er abreist, erwacht auch der Bär, der ist jetzt ein Prinz gewesen und die jungen Bären waren kleine Prinzen, und durch die Bärenhöhle erschallten Pauken und Trompeten. Er unterhielt sich ordentlich mit seinem Schwager und sagte ihm, daß der Adler und der Wallfisch, zu denen er nun kommen würde, seine Brüder seien.

Der Junker kommt nun in einen dichten Wald und sieht einen Eichbaum mit einem großen Nest, klettert hinauf und findet die zweite Schwester darin. Das Nest war inwendig wieder ein prächtiges Schloß. Darin saß seine Schwester Adelheid und hatte zwei Adlereier unter sich und brütete daran, der Adler aber war auf Raub ausgezogen. Auch diese Schwester bewirthete den Bruder wieder und versteckte ihn dann in den Schornstein. Abermals nach einer Stunde kam der Adler; Adelheid mußte auch ihn erst beruhigen, weil er fremdes Menschenfleisch witterte, dann aber schlief er ein zu ihren Füßen, und sie riß ihm in der Mitternacht drei Federn aus. Die gab sie ihrem Bruder und sagte, wenn er diese riebe, so würde von allen Seiten Hülfe nahen. Dieser Adler ist den andern Morgen ganz verständig gewesen, er trat da wieder als ein schöner, vornehmer Prinz auf, ertheilte aber dabei immerfort den Vögeln im Walde Befehle. Mit ihm machte die Schwester jetzt ihren Bruder bekannt und er beredete sich auch mit ihm, wie er die dritte Schwester besuchen könne. Beide gaben ihm Lebensmittel mit und beschrieben ihm den Weg zu der dritten Schwester. Zuletzt aber war Alles verschwunden und der Bruder saß allein auf der Eiche, auf der von Ferne nur ein großes Nest zu sehen war. Jetzt steigt er von der Eiche herunter und kommt an [4] ein großes Wasser, sieht aus der Mitte des Wassers den Schornstein von dem Schlosse des Wallfisches herausstehen, weiß aber nicht über das Wasser zu dem Schlosse zu kommen. Da reibt er die drei Federn, und gleich kommt der Adler und trägt ihn zum Schornstein. Das Schloß war ganz durchsichtig und von Krystall. Wallfild bewirthete den Bruder und versteckte ihn. Abermals nach einer Stunde kam der grausame Wallfisch und sagte zu Wallfild: es müßte wer Fremdes da sein. Die beruhigte ihn und er legte sich zu ihren Füßen schlafen. In der Mitternacht löste sie ihm drei Schuppen vom Leibe, gab die dem Bruder und sagte: wenn er in Noth käme, so möge er die Schuppen reiben dann würde ihm geholfen werden. Wallfild sagte ihm auch an, wie er alle drei Schwestern, sowie auch die drei Brüder, den Bären, den Adler und den Wallfisch, erlösen könne. Sie berichtete ihm, im Cambridgenthale ginge ein Stier, der müsse getödtet werden. Dieser Stier trüge in einem Gewande ein Bund Schlüssel, damit solle er auf den Berg gehen und das Stammschloß des Bären, des Adlers und des Wallfisches aufschließen. In dem Schlosse stände eine große Marmortafel, die möchte er so auf die Erde werfen, daß sie in drei Stücken zerspränge. Darauf würde der in den Schlaf verwünschte Vater der drei Brüder erwachen.

Der Bruder kommt in das Cambridgenthal und sieht diesen Stier. Der eilt auf ihn zu zum Zerreißen, und er flüchtet auf einen Baum. Da will der Stier den Baum mit den Hörnern umreißen, der Junker aber reibt die Bärenhaare und sogleich erscheint der Bär. Der Bär erwürgt diesen Stier. Das Bund Schlüssel aber rollt mit dem Gewande ins Wasser. Da reibt der Bruder die drei Schuppen, da werfen die Fische das Gewand mit dem Bund Schlüssel wieder heraus. Er faßt das Gewand, löst es auf, gebt auf den Berg, schließt das Schloß auf, findet die Marmortafel [5] und den schlafenden alten Menschen. Die Tafel ergreift er und wirft sie zu Boden in drei Stücken, daß der schlafende Vater erwacht. Dadurch sind auch seine drei Söhne, der Bär, der Adler und der Wallfisch, mit ihren Kindern erlöst und waren eitel schöne Prinzen.


2. Die Prinzessin von Portugal und der Prinz von Engeland.

So ist denn auch einmal ein Prinz von Engeland gewesen, das war der jüngste von vielen Brüdern, der hielt um die Prinzessin von Portugal an. Die aber sagt: nein, er wäre ihr noch um ein Pfund zu leicht und um ein Pfund zu jung. Da geht er wieder fort und erzählt die Antwort seinem Vater, dem Könige von Engeland, und spricht zu dem: wenn auch gleich ihr ganzes Königreich drauf ginge, er müßte die Prinzessin von Portugal haben; er, der König, solle ihm doch drei Glocken gießen lassen, eine von Glockenspeise, eine von Silber und eine von Gold, dann wolle er sehen, was mit den Glocken bei der Prinzessin anzufangen wäre. Also richtig läßt der König von Engeland ihm die drei kostbaren Glocken gießen und damit zieht der Sohn hin nach Portugal, die Prinzessin aber erkennt ihn nicht wieder.

Den ersten Tag läutet er in Portugal mit der Glocke von gewöhnlichem Metall. Daran findet die Prinzessin schon ihr sehr starkes Vergnügen (es müssen wol damals die Glocken noch selten gewesen sein und zumal in Portugal), und sie fragt ihren Vater, ob er ihr nicht könnte die Glocke kaufen. Er antwortet, sie möge hingehen und den Mann fragen, ob er sie verkaufe, und gibt ihr große Schätze mit. [6] Als sie nun hinkommt, sagt der Königssohn, für einen Kuß könne sie die Glocke von Glockengut bekommen, anders aber nicht. Anfangs macht die Prinzessin Einwendungen. Aber so sind die Frauen! kurz und gut, die Prinzessin sagt endlich ja. Sie besinnt sich freilich doch bis auf den Abend in der Dämmerung noch eines Andern, weil sie die Glocke nun einmal hat, und schickt dem Prinzen von Engeland ihre Kammerzofe. Wiewol es in der Dämmerung ist, erkennt der Prinz von Engeland doch, daß das nicht die Prinzessin von Portugal ist, läßt die Kammerzofe stehen und küßt sie nicht.

Den andern Tag aber läutet er mit der silbernen Glocke. Sagt die Königstochter zu ihrem Vater, er möchte ihr doch die silberne Glocke auch noch kaufen, das ginge gar zu schön. Allein der Vater will nichts von dem Kaufe wissen. Sie läßt aber nicht nach, geht wieder zu dem Prinzen, den sie nicht kennt, und sagt, ob er denn die silberne Glocke nicht verkaufe. Ei, sagt der, für einen Kuß von der Prinzessin von Portugal wäre sie ihm schon feil, anders aber nicht. Also erhält die Prinzessin die Glocke, nimmt die Schätze, die ihr der König endlich doch noch gegeben hat, um die Glocke zu kaufen, wieder mit sich, und verspricht den Abend in der Dämmerung wiederzukommen, um ihn zu küssen. Schickt aber wieder eine Kammerzofe und die läßt der Prinz wieder stehen und kümmert sich nicht um sie.

Nun hat der Prinz von Engeland nur noch die goldene Glocke und muß jetzt Alles auf Eine Karte setzen. Nimmt sich also vor, sich den Kuß von der Prinzessin vorher geben zu lassen, ehe sie die goldene Glocke erhielte, damit sie ihn nicht wieder um das Mäulchen betrügen könne. Wie er beginnt die goldene Glocke zu läuten, wird der Prinzessin von Portugal so ums Herz, sie weiß nicht wie. Sie hatte von ihren Kammerzofen gehört, daß der Prinz sie habe stehen [7] lassen, und konnte sich's wohl denken, daß er sich diesmal besser vorsehen würde. Darum kam sie nur zögernd zu dem Glockenspieler, der die goldene Glocke spielte, und fragte schüchtern, was die goldene Glocke koste.

Ueber diese Glocke, sagt der Prinz von Engeland, könne gar auf der Welt kein Handel geschlossen werden, die sei ihm viel zu kostbar, er könne sie nur verschenken zur Belohnung, wenn die Königstochter von Portugal ihm vorher einen Kuß gegeben hätte. Da wird die Prinzessin blutroth im Gesicht und verspricht, auf den Abend in der Dämmerung zu ihm zu kommen und ihm den Kuß zu geben.

Diesmal kam die Prinzessin selbst zu dem Glockenspieler, küßte ihn und erhielt die goldene Glocke dafür zum Geschenk. Als sie aber gehen wollte, küßte sie den Glockenspieler noch einmal, kehrte auch täglich um dieselbe Stunde zu ihm zurück, wiewol er keine Glocke mehr zu verkaufen hatte, denn sie liebte ihn nun von Herzen.

Das hatte aber der Prinz von Engeland sich wol gedacht, daß die stolze Prinzessin von Portugal sich noch einmal in ihn verlieben würde, wenn er ohne Purpur und Hermelin zu ihr käme; denn die Prinzessin hatte ihm die höhnische Antwort gegeben, daß er noch um ein Pfund zu leicht und um ein Pfund zu jung wäre, weil dazumal Portugal und Engeland einander nicht grün waren; und der Prinz wußte auch selbst, daß er freilich noch etwas flatterhaft und ziemlich jung an Jahren, aber durchaus nicht unansehnlich von Gestalt war.

Nun paßt aber das alte Lied, daß kein Feuer auf der Welt so heiß brennt als heimliche Liebe, von der Niemand nichts weiß, auch auf die Leute in Portugal, und darum fand der Prinz von Engeland bei der Prinzessin von Portugal Gehör, als sie einmal wieder beisammen waren und er ihr sagte: hier in Portugal könnten sie einander doch [8] niemals ganz angehören, sie möge mit ihm nach Engeland entfliehen, dort wolle er sie heirathen und von der Maurerprofession ernähren, die er eigentlich gelernt habe. Die Prinzessin aber steckte vor der Reise ihr Taschengeld zu sich und meinte, daß sie davon in Engeland mit dem Maurer wol würde leben können.

Allein wie sie auf die hohe See kamen, ließ sich der Königssohn das Geld geben und warf damit zum Spaß nach den Seejungfrauen, damit die Prinzessin von Portugal ihr Geld los würde. Da war sie ganz arm, und wie sie in Engeland ans Land stiegen, sagte er ihr, sie müßten sich einschränken, weil ihr Geld all sei. Sie hat nun nichts mehr als ihre kostbaren Kleider, und im Wirthshause muß ihr in der Nacht der Wirth auch die Staatskleider wegnehmen. Nun heißt es, sie ist über Nacht bestohlen, und sie muß sich noch bedanken, als ihr der Wirth einen alten Weiberrock gibt, den sie anziehen kann. Im nächsten Dorfe müssen sie schon betteln gehen. Der Prinz, den seine Bedienung erwartet hat, sowie sie ans Land gestiegen sind, und jedes heimlichen Winkes von ihm gewärtig gewesen ist, ohne daß die Prinzessin es merkte, hat vorher den Leuten immer Bescheid sagen lassen, daß ihr Niemand etwas geben soll. Kommt sie dann wieder aus einem Hause heraus, ohne etwas zu haben, so hat er sie stets barsch behandelt. Kaum erhält sie so viel, daß sie mit dem Prinzen nach London gelangt; da miethet er ihr eine Stube, er aber geht auf das Schloß und sagt: das Schloß würde jetzt gar schön ausgebaut, da wolle er Schloßmaurer werden. Ihr kauft er ein Spinnrad und sie muß Heede spinnen, das will aber auch nicht gehen, weil ihre Hände zu zart sind, und deshalb soll sie Marketenderin werden. Also steht sie auf dem Exercirplatze mit Speisen und Getränken aus. Das Militär, dem ist Bescheid gesagt: nachdem es bei ihr gegessen und getrunken hat, gibt es seinen [9] Pferden die Sporen, jagt davon und von Bezahlung ist gar keine Rede. Da reitet ihr Schatz in Generalsuniform auf sie zu und läßt sich einen Trunk geben; sie kennt ihn nicht, und weil sie so traurig aussieht, fragt er sie, was ihr fehle. Sie antwortet, sie habe einen Bräutigam, der sie gar zu schlecht behandle, und so und so sei es ihr mit dem Militär ergangen. Sie glaubt schon, der General werde ihr das Geld ersetzen, da jagt der auch davon und läßt sie stehen. Den Abend aber kommt er als Maurer zu ihr und fragt: ob sie viel verdient habe. Sie antwortet: nein, das Militär habe Alles umsonst hingenommen. Da wird der Bräutigam zornig und beruhigt sich kaum so weit, daß er sie nicht bei den Haaren ergreift und prügelt. Endlich sagt er: da sie als Marketenderin nicht zu brauchen sei, so wolle er etwas Anderes mit ihr versuchen; sie solle auf dem Markte mit Geschirr ausstehen. Da steht die Prinzessin von Portugal am andern Tage mit Geschirr aus, und hat nichts als Teller und Töpfe um sich herumgelegt auf dem Boden. Nun muß aber alles Militär durch das Geschirr reiten, daß es in tausend Stücken zerspringt. Da kommt ihr Schatz wieder als General und fragt sie, was ihr geschehen wäre, daß sie so traurig aussähe. Da erzählt sie ihm wieder, wie das Militär an ihr gehandelt hat, und bittet ihn, daß er ihr bezahlen soll, was er selbst am Tage zuvor ihr schuldig geblieben; er aber lacht nur, wendet sein Pferd um und jagt davon. Es graut ihr ordentlich Abends nach Hause zu gehen. Der Maurer kommt auch richtig, thut gewaltig böse und sagt endlich: jetzt wolle er die letzte Probe mit ihr machen, wenn sie die nicht bestände, so könne er sie gar nicht heirathen. Auf dem Schlosse sei groß Galla, da solle sie als Aufwäscherin zugegen sein, sie solle dann drei silberne Löffel in ihre Tasche stecken, die sie unterbinden möge. Sie will sich dazu durchaus nicht verstehen, bindet aber doch aus [10] Furcht die Tasche um und steckt heimlich die drei silbernen Löffel hinein. Da kommen auf einmal der König und die Prinzen von Geblüt auf den Gedanken, sie wollen einmal mit der Aufwäscherin tanzen. Die wird hereingeführt unter großer Angst, daß die drei silbernen Löffel in ihrer Tasche auch werden zu tanzen und zu klingen anfangen. So tanzt zuerst der alte König von Engeland mit ihr einen langsamen Walzer, da klingelt es nicht. Da kommen die ältern Prinzen und das Tanzen mit ihnen geht zur eigenen Verwunderung der Prinzessin noch so gnädig ab.

Da kommt der jüngste Prinz, der sich mit ihr versprochen hat, und bestellt einen geschwinden Hopser. Sie will durchaus den Hopser nicht tanzen, muß aber doch, und da tanzt der Prinz gar zu gefährlich mit ihr. Da klingelt es und die Löffel fallen ihr aus der Tasche; sie aber sinkt ohnmächtig auf dem Saale nieder. Nun wird sie ins Nebenzimmer getragen, und dort wird ihr der Hofstaat angelegt. Als sie zu sich selbst kommt, wird sie wieder hereingebracht in den Saal, und der jüngste Prinz von Engeland gibt sich ihr als ihr Bräutigam zu erkennen, fragt aber: ob er jetzt noch ein Pfund zu leicht und ein Pfund zu jung wäre. Nein, sagt sie, und fällt ihm um den Hals, und da wurde auch sogleich die Hochzeit angestellt und war große Freude in Engeland.


3. Springendes Wasser, sprechender Vogel, singender Baum.

Es waren einmal drei Hirtentöchter, davon waren zwei klug und die dritte war einfältig. Die erste von ihnen sagte einmal, als sie ihre Heerde auf die Weide trieben und unter [11] dem Königsschlosse vorbeikamen: Wenn mich der König zur Frau nähme, ich wollte allen Soldaten neue Hemden geben. Die zweite sprach: Wenn er mich nähme, ich wollte ihnen Jacken und Hosen geben. Die dritte aber sprach: Wenn er mich nähme, ich brächte ihm drei Kinder zur Welt mit goldenen Kreuzen auf der Stirn. Der König hörte das von seinem Schlosse Alles mit an, ließ die drei Hirtentöchter ins Schloß holen und heirathete die dritte, welche gesagt hatte, daß sie ihm drei Kinder mit goldenen Kreuzen zur Welt bringen würde. - Nicht lange nach seiner Verheirathung mußte der König in den Krieg ziehen; unterdessen gebar seine Gemahlin auf einmal zwei Knaben und ein Mädchen mit goldenen Kreuzen auf der Stirn. Die thaten die Schwestern der Königin in drei Schachteln, und setzten sie aufs Wasser, daß sie sterben sollten. Dem Könige aber schrieben sie, seine Gemahlin hätte zwei junge Hunde und eine junge Katze geboren. Er schrieb erzürnt zurück, daß sie eingemauert, aber mit Speise und Trank versehen werden sollte.

Nach Jahren kam der König erst wieder aus dem Kriege zurück. Einstmals ging er auf die Jagd, da kam er in einen wunderschönen Garten, den er noch nie gesehen hatte, und in dem Garten war ein wunderschönes Schloß, das er auch nicht kannte, und um das Schloß her war ein tiefer Graben, in den mündete das Wasser, auf das die falschen Schwägerinnen des Königs die drei Schachteln gesetzt hatten. In dem Wassergraben aber ritten drei Kinder auf Pferden, zwei Knaben und ein Mädchen, die hatten die Stirn mit Tüchern verbunden. Der König rief sie an, allein sie kamen nicht, und er kehrte betrübt zurück. Als er aber den falschen Schwägerinnen erzählte, was er gesehen hatte, merkten die, daß die drei Königskinder noch am Leben waren, und die älteste von ihnen, die eine Zauberin war, ging an dem Wasser entlang und kam zu den drei Kindern, [12] die in dem verzauberten Garten auf dem tiefen Wassergraben ritten. Da trat sie an den Graben, und da der älteste Knabe an ihr vorbeiritt, sprach sie: „Es ist kein schönerer Garten auf der Welt als der, darinnen ihr seid. Und wenn ihr noch dreierlei in dem Garten hättet, der um euer Haus herum ist, so hättet ihr Alles, was das Herz sich wünschen kann.“ „Was ist denn das?“ fragte der Knabe. Da antwortete die falsche Schwägerin des Königs: „Springendes Wasser, sprechender Vogel und singender Baum!“ Sie dachte aber, er würde sterben, wenn er auszöge, die drei Dinge zu holen.

Da lenkt der älteste Knabe sein Pferd aus dem Wassergraben, nimmt das Tuch von der Stirn, hängt es an das Schloß und sagt: „Wenn das Tuch blutig wird, so ist mir Unglück widerfahren.“ Damit zieht er fort und der König sieht am folgenden Tage nur noch zwei Kinder auf dem Wasser reiten. Als der älteste Knabe eine Strecke weit geritten ist, sieht er einen großen Baum und ein kleines Häuschen daneben. Unter dem Baume aber sitzt ein alter Mann mit langem Haar und ganz vom Bart verwachsenen Gesichte. Der ermahnt ihn lange Zeit umzukehren; allein der Knabe läßt sich dazu nicht bewegen. Er schneidet dem alten Mann Bart und Haar, und darauf führt ihn der Alte an einen Berg; vor dem Berge binden sie das Pferd des Jünglings an und der Greis sagt: „So zieh denn hinauf, o Jüngling! denn auf dem Berge findest du, was du suchest: springendes Wasser, sprechenden Vogel und singenden Baum. Ich bin der Mann, der den sprechenden Vogel füttern muß. Aber du darfst dich nicht umschauen, sonst steht sogleich dein Leichenstein da, wie dort am Berge schon Tausende von Leichensteinen stehen. An jedem Leichensteine stehen die letzten Gedanken des Menschen, und so würden auch deine letzten Gedanken rasch an dem Leichensteine stehen, wenn du dich umschautest.“ [13] Der Knabe beginnt nun den Berg hinanzureiten. Als er aber eine Strecke weit hinauf ist, scheinen ihm Tausende von Bären zu brüllen und Millionen von Schlangen zu wispern. Er blieb jedoch noch standhaft; als es ihm aber plötzlich war, wie wenn sein Bruder hinter ihm seinen Namen rief, drehte er sich um. Sogleich war er sein eigener Leichenstein; daran standen seine letzten Gedanken voll Liebe und zärtlicher Sorge um seinen Bruder.

Als dies geschehen war, sah der zweite Bruder, der noch daheim bei seiner Schwester war, an dem Tuche, das auf einmal ganz blutig geworden war, daß seinem Bruder ein Unglück widerfahren sei. Da kam auch die Zauberin wieder, und ermahnte ihn, daß er seinem Bruder zu Hülfe eilen sollte, der ausgezogen sei: springendes Wasser, sprechenden Vogel und singenden Baum zu holen. Sie glaubte aber, daß er auch noch umkommen würde. So brach er nun auch auf, nahm das Tuch von der Stirn, hing es ans Schloß und sprach: „Wenn das Tuch blutig wird, so ist mir Unheil widerfahren.“ Und damit zog er seinem Bruder nach. Und als der König am nächsten Tage wieder auf die Jagd zog, sah er nur noch das Mädchen ums Schloß reiten. Der zweite Bruder aber kam zu dem alten Mann, der wieder unter dem Baume saß, und der ermahnte ihn, zu seiner Schwester zurückzukehren. Er aber ließ sich nicht zurückhalten, und der alte Mann gab ihm Baumwolle, die mußte er in die Ohren stopfen, damit er so wenig als möglich hören konnte, indem er auf den Berg stieg. Er führte ihn nun wieder an den Berg, worauf die drei Dinge sich befanden, und an seinem Fuße banden sie wieder sein Pferd an. Der Knabe begann nun den Berg emporzusteigen und gelangte glücklich bis an seines Bruders Leichenstein. Da weinte er bitterlich, und in demselben Augenblicke zogen ihn unzählige Schlangen am Rocke; dennoch ging er [14] weiter. Da war es ihm plötzlich, als riefe hinter ihm seine Schwester. Da drehte er sich um und war in einen Leichenstein verwandelt, und auf dem standen seine letzten Gedanken an seine Schwester verzeichnet.

Am Schlosse wurde nun auch das zweite Tuch blutig; da kam die Zauberin wieder und forderte auch das Mädchen auf, ihren Brüdern zu Hülfe zu eilen, welche ausgezogen waren nach springendem Wasser, sprechendem Vogel und singendem Baum; sie hoffte aber, daß das Mädchen nun auch noch umkommen würde. Da ritt das Mädchen fort, fand den Greis unter dem Baume und er sprach: „Ich zweifle sehr, daß es dir gelingen wird, deine Brüder zu retten, und das springende Wasser, den sprechenden Vogel und den singenden Baum zu erlangen, denn es stehen dort am Berge schon die Leichensteine unzähliger muthiger Ritter, die nach den drei Dingen auszogen, und es doch nicht über sich gewinnen konnten, immer unverzagt vorwärts zu dringen. Willst du dich aber nicht zurückhalten lassen, so nimm hier von meinen Haaren und verstopfe dir die Ohren damit, denn die Baumwolle, welche ich deinem zweiten Bruder gegeben habe, scheint sein Ohr nicht hinlänglich geschützt zu haben vor den falschen Stimmen am Berge.“

Der Greis begleitete das Mädchen wieder bis an den Fuß des Berges, und die Jungfrau begann den Berg hinanzuklimmen.

Mit betrübtem Herzen las sie, was an den Leichensteinen ihrer Brüder stand, aber schnell faßte sie wieder Muth, ging weiter und wie viel tausend Schlangen auch ihr Kleid anfaßten, so gelangte sie doch zu der Stelle, wo das springende Wasser gar lustig sprang, der singende Baum seine Lieder sang und der sprechende Vogel in einem Käfig hing. Als der sie sah, wurde er so wüthend, als wolle er sie tödten. Sie aber legte die Hand auf den Kopf des sprechenden [15] Vogels, da wurde der ganz zahm und freundlich und sprach: „Nun sind deine beiden Brüder gerettet, thu' nur Alles, was ich dir heißen werde und nimm mich mit. Hier unter meinem Bauer steht eine Flasche, die schöpfe voll aus dem springenden Wasser, auch brich einen Zweig vom singenden Baume, und bewahre Alles gut, denn wenn es in fremde Hände kommt, so ist Alles verloren.“ Als die Jungfrau diese Aufträge erfüllt hatte, wie der Vogel es ihr geheißen, nahm sie den Käfig mit dem sprechenden Vogel und stieg mit den drei Dingen den Berg hinab. Wie sie an die Leichensteine ihrer Brüder kamen, hieß der Vogel sie die Steine mit seinem Speichel bestreichen. Als sie das gethan hatte, waren ihre Brüder sogleich wieder lebendig, und stiegen mit ihr den Berg hinab. Wie sie an die Hütte des Greises kamen, lag der unter dem Baume in einem Sarge und neben ihm stand sein Leichenstein, daran war sein letzter Gedanke geschrieben, der hieß: „Ich habe genug gelebt.“

Als die drei Geschwister in ihren Garten nach dem Schlosse zurückkehrten, fanden sie dort den König, der mit Trauer die drei Tücher betrachtet hatte, von denen zwei blutig waren, wiewol er nicht wußte, was es bedeutete. Der sprechende Vogel gab sogleich die Stelle in dem Garten an, wo er hingehängt werden wollte, wo das Wasser hingegossen werden müsse und wo der Zacken vom singenden Baume hingesteckt werden solle. Als das Alles so geschehen war, sprang das Wasser als der köstlichste Springbrunnen in die Luft, und der Baum, der aus dem Zacken sogleich hervorgewachsen war, machte die schönste Musik. Da hatte der König eine große Freude am springenden Wasser und am singenden Baum, aber der kluge Vogel sprach zu ihm: „Erkennst du nicht an den drei goldenen Kreuzen auf der Stirn dieser Kinder wer sie sind? Laß nur nachsuchen am Wasser, so wirst du noch die drei Kästchen finden, in denen [16] deine falschen Schwägerinnen deine Kinder ausgesetzt haben. Danke Gott, daß sie noch erhalten sind, und eile, o König! dein unschuldiges Weib, die du hast einmauern lassen, wieder zu dir zu nehmen, drücke die Jünglinge und die Jungfrau als deine leiblichen Kinder ans Herz und laß deine falschen Schwägerinnen von vier Pferden zerreißen.“

Wie die drei Kästchen gefunden waren, da war das Schloß mit dem tiefen Graben verschwunden. Doch der Garten mit dem sprechenden Vogel, dem singenden Baum und dem springenden Wasser blieb, und die Kinder gingen darin oft mit ihrem Vater und ihrer Mutter, die der König wieder zu sich genommen hatte, als in einem schönen Lustgarten spazieren. Seine bösen Schwägerinnen aber ließ der König von vier Pferden zerreißen.


4. Der Jäger über alle Jäger.

Es war einmal ein Tischler und ein Goldschmied, die sprachen, wer wol das beste Kunststück von ihnen machen könne. Da kommt der Meister Goldschmied an und bringt einen goldenen Fisch, der schwimmt immer im Wasser umher. Da kommt der Tischler auch und fliegt zum Fenster herein, und hat sich ein paar Flügel gemacht, mit denen er fliegt, fliegt noch ein Mal zum Fenster hinaus und drei Mal ums Haus herum. Da macht ein Prinz die Flügel an, der will nachher wieder niederfliegen, fliegt aber immer höher und höher und kann nicht nieder. Da fliegt er auf eine Kirche, die hoch in der Luft gewesen ist; in der Kirche wohnt eine Prinzessin, die macht das Fenster auf, da fliegt er hinein, heirathet die Prinzessin und wohnt mit ihr in der Kirche. [17] Da bekamen sie einen kleinen Knaben, den ließen sie in einer Schachtel auf die Erde nieder.

Da fand eine alte böse Frau den Knaben in der Schachtel und nahm ihn zu sich, wollte ihn aber, als er etwas herangewachsen war, vergiften, um seiner los zu werden. Der Junge ging in den Wald, da kam ein Zwerg und übergab ihm drei Hunde, die hießen Stahl, Eisen und Hille[3]; er empfahl ihm auch, Alles zu thun, was die Hunde wollten, und sie ja nicht zu schlagen.

Als der Waisenknabe nach Haus kam, hatten ihm seine Pflegeältern vergiftetes Essen hingestellt, um ihn damit zu tödten. Wie er aber den ersten Löffel voll zum Munde führte, sprang der Hund Stahl auf und schlug mit der Pfote unter den Löffel, sodaß die Speise, die darin war, verschüttet wurde. Dasselbe that der Hund Eisen, als er den zweiten Löffel zum Munde führte. Als er den dritten Löffel füllen wollte, stieß der Hund Hille den ganzen Napf um, und der Waisenknabe mußte sich hungrig zu Bett legen.

Am andern Tage ging er mit seinen Hunden wieder in den Wald, da trat der Zwerg wieder zu ihm und führte ihn in eine Höhle, wo Tsackos, Flinten und allerlei Jägerkram darin war. Von diesen Dingen soll er sich etwas wählen, und er nimmt eine Büchse und einen Tsako, woran geschrieben steht: „Ich bin Jäger über alle Jäger.“ Und wie er den Tsacko aufsetzte, da war er auch ein Jäger über alle Jäger, und die drei Hunde heulten so freudig. Nun ging er fort und kam in ein Försterhaus; da nahm ihn der Förster in Dienst und er schoß mehr Wild als alle andern Jäger zusammengenommen.

Es mußte aber dieser Förster jeden Tag eine Stunde lang in ein altes verfallenes Schloß gehen; und eines Abends [18] schickte er den Jäger über alle Jäger statt seiner dahin. In dem Schlosse spielte er mit einem Gespenste Karten, wie sonst immer der Förster thun mußte. Während sie spielen, klopft Jemand an und es tritt ein zweites Gespenst herein, das ruft immer fort: „Ich will den Förster haben.“ „Was du an den Förster zu fordern hast“, sagt der Jäger über alle Jäger, „kannst du auch von mir fordern“, und in demselben Augenblicke springen auch schon die drei Hunde: Stahl, Eisen und Hille, auf das Gespenst an der Thür zu und vertilgen es. Das Gespenst, mit dem er Karten spielte, zitterte und bebte unterdessen. Er aber ließ sich nicht stören und rief immer fort: „Trumpf rut! Trumpf rut![4]“ Zuletzt vertilgten die drei Hunde auch noch das Gespenst, mit dem er Karten gespielt hatte. Nun brauchte der Förster nicht mehr zu den Geistern in das Schloß zu gehen und sein Vater und sein Großvater, die in dem Schlosse in einem feurigen Schranke brannten, konnten jetzt ruhig sterben.

Der Jäger über alle Jäger aber wollte sich weiter in der Welt versuchen und verließ das Forsthaus. Er vermiethete sich als Schweinehirt bei einem Müller, zu dessen Heerde täglich drei Riesen kamen und Schweine stahlen. Diesen Riesen rief er drei Tage hintereinander zu: „Was ihr an den Müller zu fordern habt, könnt' ihr auch an mich fordern.“ An dem ersten Tage, wo die drei Riesen kamen um Schweine zu stehlen, sprang jeder der drei treuen Hunde auf einen Riesen los und der Hund Stahl tödtete einen davon, die andern Riesen aber ergriffen die Flucht. Am zweiten Tage kamen die beiden Riesen, welche entflohen waren, abermals um Schweine zu stehlen. Da tödtete der Hund Eisen einen von ihnen, und der andere Riese ergriff von neuem die Flucht. Am dritten Tage kam dieser Riese allein, [19] um Schweine zu stehlen, rasch aber tödtete ihn der Hund Hille.

Damit war die Mühle und die Heerde von den Riesen erlöst, und der Jäger über alle Jäger setzte seine Reise fort. Er kam in eine Stadt die ganz mit Flor überzogen war, weil ein Drache die Königstochter vom Markte abholen wollte. Da stellte der Jäger über alle Jäger sich mit seinen treuen Hunden neben die Prinzessin, und als der Drache kam, rief er ihm zu: „Was du an den König zu fordern hast, kannst du auch an mich fordern.“ In demselben Augenblicke sprangen die drei Hunde Stahl, Eisen und Hille gegen den Drachen an und zerrissen ihn.

Da warf sich die Prinzessin ihm in die Arme und begrüßte ihn als ihren zukünftigen Gemahl. Zugleich bat sie ihn, seinen drei Hunden Stahl, Eisen und Hille die Köpfe abzuhauen. Das that er auch, weil die Prinzessin versicherte, es würde zum Heile ausschlagen; und da war der Hund Stahl der König, der Vater der Prinzessin, der Hund Eisen war der Förster und der Hund Hille war der Müller. Alle Drei waren jetzt von der Zaubergewalt völlig erlöst, unter der sie gestanden hatten und der Förster und der Müller zogen fröhlich nach Haus. Zum Hochzeitstage des Jägers über alle Jäger mit der Prinzessin aber stellte sich der Müller wieder ein in der Stadt, und brachte das beste Stück Schweinebraten, und auch der Förster kam und brachte das beste Stück Wildbraten, das in seinem Forst zu haben war. Der König aber holte die beste Flasche Wein herauf, die in seinem Keller stand, und so wurde die Hochzeit gefeiert, und am Hochzeitstage war die ganze Stadt mit Roth überzogen. [20]

5. Glücksvogel und Pechvogel.

In einem Holze wohnte ein Mann, der hatte zwei Zwillinge, von denen war der eine ein Glücksvogel, der andere ein Pechvogel. Der Mann aber säete auf ein Stücklein Landes eine Saat, daraus wuchsen auf zwei Schwerter, zwei Pudelhunde und zwei Schimmel. Als seine Söhne nun funfzehn Jahre alt waren, gab er jedem eins von den Schwertern, einen von den Pudelhunden und einen von den Schimmeln, und damit zogen sie in die weite Welt. Wie sie an den Kreuzweg kamen, nahmen sie Abschied und verabredeten, daß sie einander durch die Hunde Nachricht geben wollten. Wer zuerst sein Glück in einer Stadt machte, solle seinen Hund an diesen Kreuzweg bringen, dann werde der schon aufspüren, wo der andere Bruder sei. Nun kommt aber der Pechvogel in ein Wirthshaus, wo die Wirthin eine Hexe ist; die erwürgt ihn, schneidet seinen Leib entzwei und steckt ihn in einen Tubben. Dann erwürgt sie auch seinen Hund, wiewol der den Namen hatte: Brichstahlundeisen, schneidet ihn auch auseinander und steckt ihn auch in den Tubben. Der Glücksvogel kommt in eine Stadt, die Stadt ist ganz mit schwarzem Flor überzogen. An diesem Tage holt nämlich ein Drache eine Prinzessin ab, weil er jedes Jahr an diesem Tage ein Mädchen von funfzehn Jahren wegholen muß und weil diesmal kein Mädchen von funfzehn Jahren da ist, als die Prinzessin. Er beschließt die Prinzessin zu retten und mit dem Drachen zu kämpfen. Er geht also auf den Drachenberg. Ein Diener des Königs führt die Prinzessin dahin. Wie der Drache die Prinzessin sieht, kommt er plötzlich aus der Luft geschossen. Der Glücksvogel haut [21] muthig auf den Drachen los, sein kluger Hund, der den Namen hatte Bringspeise, und sein treues Pferd helfen ihm dabei. So kriegt er den Drachen mit sieben Köpfen nieder und schneidet aus den sieben Köpfen die Zungen heraus. Die Prinzessin aber gibt ihm einen Ring und ein Tuch, worin ihr Name steht. Sie will ihn sogleich mit aufs Schloß nehmen, er aber gedenkt seines Bruders, und reitet mit seinem treuen Hunde Bringspeise zuerst nach dem Kreuzwege zu. Der Diener, welcher die Prinzessin bis vor den Berg in der Kutsche begleitet hat, hält noch dort. Da er nun den Abschied der Prinzessin von dem Ritter gehört hat, droht er ihr unterwegs, sie zu tödten, wenn sie nicht sagen wolle, daß er sie erlöst habe. Aus Angst schwört sie ihm endlich dies zu; er nimmt sieben Hunde und schneidet ihnen die Zungen aus, um sie dem Könige als die Zungen des Drachen vorzulegen. Das geschieht, der König aber ist hocherfreut und verspricht dem Diener die Krone. Bald danach wird die Verlobung der Prinzessin gehalten. Der edle Ritter ist aber nun auf den Kreuzweg gekommen, von dort verfolgt der treue Hund die Spur in ein Wirthshaus und der Ritter folgt ihm auf seinem Pferde dahin. Dort winselt sein Hund, und wie er sein Pferd in den Stall zieht, da meckert es ordentlich vor Freude und daraus merkt er, daß seines Bruders Pferd daneben im Stalle steht.

Nun fragt er die alte Frau in dem Wirthshause hin und her, erhält aber keine Nachricht von seinem Bruder. Endlich legt er sich nieder in tiefen Gedanken, weil er in dem Wirthshause Niemand weiter gesehen hat als diese alte Frau. Wie es gegen elf Uhr Abends ist, wird der Hund Bringspeise unruhig; er springt auf und ergreift den Degen, tritt an die Thür und hört die Wirthin sprechen: „Ein Herr liegt hier auf der Stube, dem wollen wir an den Kragen.“ So kommen zwölf Hexen, worunter die Wirthin, zur Thür [22] herein und er haut elf davon nieder. Die Wirthin aber will entlaufen, doch greift er sie in der Thür und sagt: sie müsse sterben, wenn sie seinen Bruder nicht herbeischaffe. Die alte Hexe verspricht ihn herbeizuschaffen, holt den Tubben und nimmt daraus ein Stück nach dem andern von seinem Bruder, bestreicht die Stücken mit Hexensalbe aus dem Glase und hext den Pechvogel wieder zusammen. Darauf nimmt sie aus der Tonne zuerst die Schnauze, dann die andern Theile des Hundes Brichstahlundeisen, hext die auch wieder zusammen, und der Hund Brichstahlundeisen springt freudig heulend an dem neuerstandenen Pechvogel in die Höhe. Nun schwingen sich beide Brüder auf die Pferde, da ruft die alte Hexe den Glücksvogel, gerührt, daß er ihr allein das Leben geschenkt hat, noch einmal um, gibt ihm noch etwas von der Salbe und sagt: Man könne nicht wissen, was dem Pechvogel noch einmal geschähe; wenn Holland in Noth sei bei ihm, dann solle er ihn nur mit der Hexensalbe bestreichen. Sie bat sich zur Belohnung nur ein paar Haare von seinem Pudelhunde Bringspeise aus.

So zieht der Glücksvogel mit dem Pechvogel einmüthig in die Stadt des Königs, da aber ist Alles fröhlich. Da fragt der Ritter, warum Alles so fröhlich sei, und bekommt die Antwort: die Königstochter habe Hochzeit. Nun macht der Ritter mit dem Wirthe eine Wette, daß er etwas von der Königstafel erhalten werde durch seinen Hund. Er bindet dem Hunde Bringspeise das Tuch, das er von der Prinzessin erhalten hat, um, steckt ein Briefchen hinein und befiehlt dem Hunde, sich von Niemandem anders als von der Prinzessin das Tuch abbinden zu lassen. Der Hund wird einige Mal von den Soldaten zurückgetrieben, schleicht sich aber endlich durch und gelangt in das Hochzeitszimmer. Er kriecht unter den Tisch zu der Prinzessin Füßen und zerrt an ihrem Gewande. Die Prinzessin liest den Brief, thut nach dem Verlangen [23] ihres wahren Erlösers eine von den Schüsseln, die auf der Königstafel standen, in das Tuch und damit kehrt der Hund in den Gasthof zurück. Der König, welcher sah, wie seine Tochter dem Hunde die Speise übergab, hieß seinen treuesten Diener ihm nachfolgen. Der fand den Glücksvogel im Wirthshause, wie er eben mit seinem Bruder sich an den Tisch setzte, um die Speise von Königs-Tafel zu verzehren. Da erfuhr der treue Diener des Königs von dem Glücksvogel Alles und sah auch die sieben rechten Drachenzungen. Nun ward der Glücksvogel mit seinem Bruder in der Kutsche nach dem Königshofe gebracht, die Prinzessin bekannte, daß er ihr wahrer Erlöser sei, und er mußte über den falschen Erlöser das Urtheil sprechen. Der ward in eine mit Nägeln beschlagene Tonne gesteckt und die Tonne wurde den Berg heruntergerollt.

Der Glücksvogel freite jetzt die Prinzessin und der Alte erkannte ihn als König an.

Nun aber hört, was sich mit dem Pechvogel noch begeben hat. Der Glücksvogel ging, seit er König war, wie andere Könige auch thun, tagtäglich auf die Jagd, um sein Leben zu genießen; der Pechvogel aber saß unterdessen zu Hause im Palaste bei der schönen Königin. Da kamen dem Glücksvogel auf der Jagd einmal Gedanken, was wol der Pechvogel daheim immer bei seiner Frau zu thun habe. Ein König ist auch nur ein Mensch, und darum achtete der Glücksvogel des schönen Hirsches nicht, der sich eben auf Schußweite ihm näherte, sondern ritt heim zu seiner Frau, und da fand er den Pechvogel, wie er vor ihr saß und sie anschaute. Da wurde er eifersüchtig und in der Eifersucht fühlte er sich so recht als König, zog sein Schwert und hieb den Pechvogel in Stücken.

Nun betheuerte aber die Königin ihrem Gemahl ihre und seines Bruders Unschuld. Niemals habe dieser Ungebührliches [24] von ihr verlangt. Nur einmal, wie er sie auch wieder so angeschaut, habe er sie um einen Kuß gebeten und den habe sie ihm nicht gegeben.

Da gereute es den König was er gethan, und er erinnerte sich der Hexensalbe, welche die Alte ihm auf den Weg gegeben hatte. Damit bestrich er den Pechvogel, sodaß dieser abermals lebendig wurde. Und wenn sie noch nicht gestorben sind, so jagt der König heute noch nach dem Hirsche, und der Pechvogel sitzt heute noch bei der Königin.


6. Der Mann ohne Leib.

In Stolberg war einmal ein Glockengießer, der hatte einen Lehrling, welcher funfzehn Jahre alt war und hatte in Arbeit eine große Glocke. Er sagte dem Lehrlinge, er möge Acht geben und ihn wecken, wenn das Metall lauter wäre. Der Lehrling aber gießt die Glocke selbst und weckt den Meister erst, als sie gegossen ist. Der erstaunte, als der Jüngling die Glocke schon gegossen hatte, und sagte: er solle sterben, wenn die Glocke einen Fehler habe. Glücklicherweise war die Glocke wohl gerathen, als sie herausgebracht wurde, und nun berathschlagte sich der Glockengießer mit seiner Frau, weil er in dem Jungen einen künftigen Nebenbuhler erblickte und stach ihm die Augen aus. Einige Jahre hatte der Knabe so verlebt, da beschloß er, den Meister, der ihn in seiner Blindheit hatte ernähren müssen und der ihn oft schlecht behandelte, zu verlassen, ging fort und gerieth unter einen Galgen, wo kürzlich mehrere Räuber erhängt waren. Unter dem Galgen hatte sich alles Federvieh versammelt, es fehlte nur noch Ein Vogel, das war der Rabe. Als der Rabe [25] endlich kam, schalt der Adler, der der Meister der Vögel war, ihn wegen seines langen Ausbleibens; der Rabe aber sagte: er hätte unterdessen erfahren, daß morgen ein Thau fiele, wenn Jemand sich damit wüsche, so könne er sehen und wenn er noch niemals Augen gehabt hätte. Das hörte der Blinde unter dem Galgen, verharrte allda bis an den nächsten Morgen, wischte sich dreimal mit dem Thau die Augen und konnte nun wieder sehen. Jetzt setzte er seine Reise fort und kam in ein dickes Holz, da hörte er ein Winseln. Das kam von einem Pferde, auf dem ein Löwe, ein Windhund, ein Rabe und eine Ameise saßen, und von dem sie den Ritter schon verzehrt hatten. Sie riefen den Lehrling herbei und der Löwe gebot ihm, das Pferd unter sie zu theilen, denn sie waren darüber in Streitigkeit gerathen. Da sprach der Lehrling zu den Thieren also: „Dir, o Löwe, gebe ich die Haut des Pferdes, der Windhund mag mit seinen scharfen Zähnen die Knochen verspeisen, der Rabe soll das Aas des Pferdes haben und die Ameise mag in seinem Kopfe ihr Winterquartier aufschlagen.“

Mit dieser Theilung waren die Thiere zufrieden, und als der Lehrling eine Strecke weiter gegangen war, kam der Windhund hinter ihm hergesprungen und sprach: „Du sollst noch einmal zu meinem Herrn, dem Löwen, kommen.“ Nun denkt der Lehrling nicht anders, als daß er jetzt sterben soll. Aber der Löwe sagt: sie hätten vergessen nach der Schuldigkeit zu fragen wegen des Theilens. Der Lehrling antwortete zwar: das sei gern geschehen; aber der Löwe spricht: wenn er nicht fordern wolle, so gebe er selbst, sowie der Windhund und der Rabe ihm etwas von seinem Haupte. Wenn er das riebe, so wäre er das Thier, von dessen Haupte er das empfangen hätte, was er eben riebe, und auch die Ameise gebe ihm die Macht, ihre Gestalt anzunehmen, so oft er es wünsche. Das gefiel dem Lehrling, und er rieb sogleich die [26] Haare des Windhundes und sprang als Windhund davon. Nun, denkt er, soll mir Niemand mehr die Augen ausstechen, denn ich würde ihm gleich als Windhund entschlüpfen. Er läuft eine ganze Strecke weit, da kommt er an eine Stadt, verwandelt sich wieder in einen Menschen und geht hinein. Es war aber die Stadt voller Trauer und der Lehrling brachte bald in Erfahrung, daß an diesem Tage die Prinzessin in einer Wolkensäule abgeholt werden solle. Als er nach dem Markte kam, saß auch die Prinzessin schon dort auf einem Sessel und wartete, daß die Wolkensäule käme und sie abhole. In dem Augenblicke flog die Wolkensäule nieder auf den Markt, hüllte die Prinzessin ein und flog mit ihr davon. Als der Lehrling das sah, verwandelte er sich in einen Raben und flog der Wolkensäule nach. Die aber ließ sich endlich vor einem großen Schlosse nieder, aus dem trat eine große Gestalt heraus, ließ die Prinzessin ein und schloß die Burg wieder zu. Die große Gestalt aber, welche ein verwünschter Prinz gewesen ist, sagte der Prinzessin, wenn sie etwas begehre, so möge sie rufen: Mann ohne Leef![5] draußen vor dem Thore verwandelte sich nun der Lehrling aus dem Raben in die Ameise und kroch so durch Thür und Thor ins Zimmer der Prinzessin. Als er im Zimmer war, nahm er seine menschliche Gestalt an. Da rief die Prinzessin erschreckt: Mann ohne Leef! Sogleich erschien der Mann ohne Leib, und der Lehrling kroch als Ameise unter den Stuhl der Prinzessin. Der Mann ohne Leib erscheint, sieht aber Niemand und versichert die Prinzessin, daß hier niemals ein Mensch herkomme. Nachdem der Mann ohne Leib das Zimmer verlassen hat, erscheint die Ameise von neuem in menschlicher Gestalt und winkt der Prinzessin Stillschweigen zu. Sie flieht in einen Winkel [27] des Zimmers, hört aber den Lehrling jetzt stillschweigend an. Der sagt, er wolle sie erlösen, und verwandelt sich vor ihren Augen in einen Löwen, in einen Windhund, einen Raben und eine Ameise, damit sie Vertrauen zu seinen Künsten faßt und in Zukunft nicht mehr vor ihm erschrickt.

Die Prinzessin berieth von jetzt an häufig mit dem Lehrling, der sich stets in eine Ameise verwandelte, so oft er den Mann ohne Leib kommen sah, wie sie erlöst werden könne, und der Lehrling gab ihr den Rath, den Mann ohne Leib einmal über seine ganze Verwünschung auszufragen. Nun hat die Prinzessin einen Tag um den andern den Mann ohne Leib lausen müssen und dabei fragte sie ihn denn einmal aus, wie es mit seiner Verwünschung stände und wie sie selbst erlöst werden könnte. „Du bist sehr kühn“, antwortete ihr der Mann ohne Leib auf ihre Frage, „doch will ich dir Alles der Wahrheit gemäß sagen. Unten im Thale, das du aus dem Fenster des Schlosses erblickst, steht eine Riesenhütte. Der Riese, der darin ist, muß getödtet werden; aus seinem Leibe springt dann ein Hase hervor und der Hase muß auch getödtet werden; aus ihm flattert eine Taube hervor, die Taube muß auch getödtet werden. Die Taube hat ein Ei in sich, das Ei muß ohne mein Wissen auf meinem Kopfe zerschlagen werden, dann sind wir Beide, du und ich, erlöst.“

Der Lehrling hat Alles als Ameise mit angehört, und als der Mann ohne Leib das Zimmer verlassen hat, will er sogleich als Rabe aus dem Schlosse fliegen und mit dem Riesen kämpfen. Die Prinzessin weint bitterlich und will ihn anfangs nicht ziehen lassen, doch er läßt sich nicht halten und fliegt als Rabe davon.

Sobald er vor dem Schlosse war, verwandelte er sich in einen Menschen und stieg ins Thal hinab. Unterwegs begegnete ihm eine alte Frau, die fragte, wohin er denn wolle. [28] „Ich will den Riesen tödten“, antwortete er. Da sprach sie: „So will ich dir ein Schwert geben, und wenn der Riese einen Waffenstillstand verlangt, so soll ein Brot aus der Luft geflogen kommen, das mußt du auffangen und essen.“

Jetzt ging der Jüngling zur Riesenhöhle und forderte den Riesen zum Kampfe heraus; der aber spottete seiner und wollte anfangs gar nicht mit ihm kämpfen. Als sie dann aber doch einander gegenüber standen, schlug der Riese beim ersten Hiebe mit seinem eisernen Stabe fehl und der Lehrling hieb ihm unterdessen mit seinem Schwerte in den Arm. Deshalb mußte er sich den Arm verbinden und um Waffenstillstand bitten, und sowie er das Wort aussprach, gedachte der Lehrling an das Brot, rieb die Hundehaare und wurde ein Windhund. Das Brot kam auch richtig schon durch die Luft geflogen, und schnapp hatte es der Windhund im Maule und verzehrte es. Es stärkte ihn aber so, daß er als Mensch sogleich von neuem den Riesen zum Kampfe herausforderte. Der hatte unterdessen den Arm verbunden und sprang grimmig auf den jungen Menschen los. Allein der rieb die Löwenhaare, sprang dem Riesen brüllend entgegen und tödtete ihn mit der ungeheuern Kraft, die das Brot ihm verliehen hatte. Als der Riese todt war, verwandelte er sich wieder in einen Menschen, schnitt ihm den Bauch auf und husch sprang der Hase heraus und lief den Berg herunter. Der Lehrling setzte als Windhund hinter dem Hasen her, packte ihn im Genick und schnitt ihm dann neben der Riesenhöhle mit seinem Schwerte den Balg auf. Sowie der geöffnet war, flog auch schon die Taube davon. Der Lehrling aber verwandelte sich in einen Raben, holte sie ein, packte sie und flog mit ihr nach dem Schlosse zum Fenster der Prinzessin hinein. Dort tödtete er die Taube, nahm das Ei heraus und gab es der Prinzessin.

Am andern Tage mußte die Prinzessin den Mann ohne [29] Leib wieder lausen. Da schlug sie ihm plötzlich, ohne daß er's ahnte, das Ei auf dem Kopfe entzwei, und da war der Mann ohne Leib erlöst und es wurden Pauken und Trompeten gehört. Jetzt aber sprach der Mann ohne Leib: die Prinzessin ist mein. Allein die wollte den Glockengießer heirathen, der ihr Erlöser war. Sie einigten sich nun alle Drei dahin, daß der Vater der Prinzessin entscheiden solle, wem seine Tochter angehöre, und reisten miteinander nach der Heimat der Prinzessin, wohin der Lehrling schon früher als Rabe einen Brief von ihr gebracht hatte mit der Nachricht, daß sie noch am Leben sei. Einstmals fuhren sie zusammen über ein Wasser und der Glockengießer neigte sich über den Kahn, da warf der Mann ohne Leib ihn sogleich hinein und er ertrank. Darüber war der Mann ohne Leib hoch erfreut, die Prinzessin aber weinte über den Tod des Glockengießers. Als die Beiden nun miteinander zum Schlosse des Königs kamen, bestimmte der, daß zum Andenken an den Glockengießer alle Tage in das Wasser geschossen werden solle, in dem er ertrunken war. Wie nun die Soldaten des Königs, um den Glockengießer zu ehren, zum dritten Male in das Wasser geschossen hatten, kam ein weißes Männchen aus dem Wasser herauf und sprach: „Werft nur den Mann ohne Leib in das Wasser hinein, daß er ertrinkt, so wird der Glockengießer wieder lebendig aus dem Wasser hervorkommen.“

Da wurde der Mann ohne Leib in das Wasser geworfen, und gleich darauf tauchte der Glockengießer ganz munter daraus hervor. Jetzt stellte der König eine große Hochzeit an und der Glockengießer heirathete die Prinzessin. [30]

7. Soldat Lorenz.

Es war einmal ein Soldat mit Namen Lorenz, der diente bei einem Könige. Drei Mal kam in der Nacht auf seinen Posten ein Geist und kündigte ihm an, daß er seinen Abschied nehmen und ihm nachfolgen solle, um König zu werden. Als der Geist in der dritten Nacht kam, hatten ihm seine Kameraden gesagt, er solle auf ihn feuern. Das Gewehr aber versagte ihm und der Geist sprach: wenn er ihm nicht gehorche, so koste es sein Leben. Er solle immer gen Morgen gehen, da würde er Anweisung erhalten, was er weiter zu thun habe.

Am vierten Tage verlangte der Soldat seinen Abschied, den er auch erhielt. Lorenz reiste nun mehrere Tage; die Lebensmittel, die er mitgenommen, wurden all, und mit dem Hunger kamen Zweifel, ob wirklich der Geist ihn gerufen habe.

So rückte der Abend heran, und er legte sich schlafen auf einen Ameisenhaufen; da kamen in der Nacht die Ameisen und stachen ihn. Mehrere tödtete er und wollte endlich ein Feuer anzünden, um sie alle zu verbrennen. Da schrien sie: „Lorenz, verschone dein Volk, du weißt nicht, wie es dir dienen kann.“ Ei, denkt er, wenn dir die Ameisen dienen können, so läßt du sie leben, geht also sogleich in der Nacht weiter und verschont sie.

Als es weiter auf den Tag kam, gelangte er an einen Teich mit vielen Enten. Auf die eine davon legte er aus Hunger an, denn er gedachte sie sich in seinem Feldkessel zu kochen. Da schrien die Enten: „Lorenz, verschone dein Volk, du weißt nicht, wie es dir dienen kann.“ Da ging [31] Lorenz hungrig am Wasser herunter, und gegen Sonnenuntergang sah er von weitem zwei Jungfern sich baden. Als er näher kam, schaute ihn die eine der Jungfrauen an und sprach: „Der ist unser Erlöser.“ Da fragten sie ihn nach seiner Reise, und er erzählte, daß er darum sich aufgemacht habe, weil der Geist ihm zugerufen habe, er solle König werden. Ehe die Jungfrauen von ihm fortschwammen, sprach die, welche bisher schon das Wort geführt hatte: „Zwei Aufgaben mußt du lösen, dann sind wir erlöst und du wirst König. Sieh her, jetzt werf' ich ein Bund Schlüssel ins Wasser; hole sie wieder vom Grunde hervor, - das ist die erste Aufgabe, welche du lösen mußt.“ Damit waren beide Jungfern verschwunden. Lorenz stand staunend am Wasser und hielt es für unmöglich, daß er hinab könne, um die Schlüssel zu holen. Plötzlich aber kamen viele Enten an und fragten, warum er so traurig wäre. Da sagte er: Ach, er könne vor Hunger und Traurigkeit kaum mehr reden; doch möchten sie das Bund Schlüssel heraufholen, das die Jungfer ins Wasser geworfen habe.

Da verschwanden die Enten, und bald kam eine von ihnen wieder mit dem Bund Schlüssel empor. Das brachte sie Lorenz und bedankte sich noch bei ihm, daß er sie vorher nicht geschossen hatte. Als Lorenz die Schlüssel in der Hand hielt, stieg sogleich ein Schloß aus dem Wasser empor und stand gar stattlich am Ufer. Und als Lorenz auf das Schloß zuging, kam die zweite der nackten Jungfern. Sie schüttete tausend Scheffel Rübensamen vor dem Schlosse umher und sagte, wenn er die in einen Sack zusammengesucht hätte, so möge er die Schlüssel in das Schloß stecken. Da war die Jungfer verschwunden und Lorenz hatte noch immer nichts gegessen. Er rang seine Hände und warf sich vor Hunger auf der Erde umher. Plötzlich erschienen viele, viele Ameisen und die eine fragte, was ihm fehle. Lorenz erzählte, daß [32] er den Rübensamen wieder in einen Sack lesen solle, und da wurden die Ameisen auf einmal so geschäftig und lasen den Rübensamen alle in einen Sack. Lorenz brauchte nur den Sack zuzubinden. Auch bedankten sich die Ameisen, weil er sie in jener Nacht nicht verbrannt habe. Nun steckte Lorenz den einen der Schlüssel ins Schloß der Burg und öffnete die Thür. Wie er eintrat, kamen die beiden Jungfern auf ihn zu, bewirtheten ihn aufs kostbarste und Alles war voll Freuden und Musik, und Ameisen und Enten waren sämmtlich Diener der beiden Jungfern, welche verwünschte Prinzessinnen waren. Da heirathete Lorenz die erste der beiden Jungfern, die aus dem Wasser zu ihm gesprochen hatte, und lebt als ein mächtiger König noch voller Freuden mit ihr bis auf den heutigen Tag.


8. Der Prinz und der Zauberer.

Es war einmal ein Prinz, der trieb sich alle Tage in Wirthshäusern umher und verzehrte all sein Geld. Darüber hatten seine Aeltern große Sorgen, weil sie alle Augenblicke eine lange Rechnung zu bezahlen hatten, die sich gewöhnlich sehr hoch belief, denn ihr Sohn hatte auch eine ganze Menge lustiger Kameraden, die mit ihm zechten. Nun wußten die Aeltern keinen Rath, wie sie dem Dinge abhelfen wollten und zuletzt wurden sie einig, ihn in die Fremde zu schicken. Sie thaten dies auch und der König, sein Vater, gab ihm tausend Thaler und ließ ihn damit in die Welt ziehen. Er ritt auf seinem prächtigen Hengste fort, der lief so schnell, daß er, als es Abend ward, in eine Stadt kam, die schon zwanzig Meilen von seines Vaters Schloß entfernt lag. Da ging er in das Wirthshaus und ließ sich eine prächtige Tafel bereiten. [33] Als er sich satt geschlemmt hatte, wollte er Karten spielen, aber in dem Orte kannte kein Mensch das Spiel, welches er spielen wollte. Darüber war er sehr ungehalten und drohte Alles todt zu schlagen, wenn sie ihm keinen Spieler anschafften, der mit ihm dieses Spiel spielen könne. Als er eben noch so lärmt und tobt, kommt noch ein Fremder in dem Wirthshause an, welcher sich auch sogleich geneigt zeigt, jenes Spiel mit ihm zu spielen. Sie fangen an zu spielen und der Königssohn gewinnt eine Zeit lang immer fort, wird übermüthig, setzt zuletzt sein ganzes Geld ein und verspielt Alles auf einmal. Da ist er in großer Noth, denn er kann seine Zeche nicht bezahlen, weil er sein Pferd und seine Kleider außer den allernothwendigsten verspielt hat. Er bittet daher den Fremden, doch für ihn die Zeche zu bezahlen und ihm Pferd und Kleider und etwas Geld wiederzugeben. Dazu will sich der Fremde anfangs nicht verstehen, geht aber zuletzt doch den Handel unter der Bedingung ein, daß er sich an dem und dem Tage da und da stelle und sich ihm zum Eigenthum übergebe mit Leib und Seele. Der Königssohn weiß keinen andern Ausweg und nimmt die Bedingung an. Am andern Morgen zieht er betrübt ab. Unterwegs begegnet ihm ein altes Weib, das fragt ihn, warum er so traurig wäre. Er gibt ihr ein Stück Geld und sagt: sie könne ihm doch nicht helfen; sie bittet ihn aber, es ihr zu sagen, und er thut es, und da sagt sie: wenn es weiter nichts wäre, dafür wolle sie schon Rath schaffen. Und sie gibt ihm ein Paar gläserne Pantoffeln und sagt zu ihm: er solle nur immer gerade ausgehen und wenn er ans Ende des Weges käme, dann solle er die Pantoffeln hinter sich werfen. Alsdann würden drei Wege da sein, davon solle er den, welcher links führe, gehen; alsdann würde er an einen Teich kommen, darin würden drei Jungfrauen baden, zwei schwarze und eine weiße. Da solle er hingehen ins Schilf und der [34] weißen die Kleider wegnehmen und sich damit verstecken. Wenn sie dann aus dem Bade käme und fände ihre Kleider nicht, so würde sie anfangen zu fluchen und zu drohen, er aber solle sich nicht daran kehren, sondern ruhig sitzen bleiben. Bald darauf würde sie freundlich werden und bitten und flehen, und sagen: sie wolle Dem, der ihre Kleider wiederbrächte, gut thun. Dann, aber früher nicht, solle er sie hingeben, denn dann würde sie ihm, wie sie versprochen hätte, auch helfen.

Er ging nun fort und traf Alles so, wie die alte Frau gesagt hatte. Zuerst hörte der Weg auf, da warf er die Pantoffeln hinter sich und da hatte er wieder drei Wege vor sich. Da ging er den, der links führte und kam auch an den Teich, wo drei Jungfern, zwei schwarze und eine weiße, badeten. Ihre Kleider lagen alle in der Reihefolge am Ufer, in der sie im Wasser schwammen. Er versteckte sich im Schilf und stahl der weißen die Kleider. Wie sie nun aus dem Wasser stiegen und die weiße ihre Kleider nicht fand, fing sie fürchterlich an zu fluchen und zu drohen, aber er kehrte sich nicht daran, sondern blieb ruhig sitzen. Wie die Weiße nun sah, daß Fluchen nichts half, legte sie sich aufs Bitten und bat und versprach Dem, der ihre Kleider wiederbrächte, sie wolle ihm auch helfen. Da gab der Königssohn die Kleider heraus und sie nahm ihn mit in ihres Vaters Haus. Der Vater war aber ein Zauberer und derselbe, der mit dem Königssohne in dem Wirthshause Karten gespielt hatte. Nun gab ihm die Weiße ein ganz anderes Aussehen (denn sie konnte auch zaubern), sodaß der Vater ihn nicht erkannte, und sagte zu ihm: er solle bei ihrem Vater um sie anhalten. Dann würde er sagen: „Ja, er müsse aber ein Jahr treu bei ihm dienen, dann könne er sich eine unter seinen Töchtern wählen.“ Es geschah auch Alles, wie die Weiße gesagt hatte, und er diente ein Jahr bei dem Zauberer. [35] Nun durfte er sich eine von den drei Töchtern des Zauberers zur Frau aussuchen und die Weiße sagte zu ihm: sie würden alle schwarz angezogen sein, sodaß er sie nicht unterscheiden könne, er müsse sie aber wählen, sonst wäre es sein Unglück, darum solle er zusehen, wie er ihr Schooshündchen mit ins Zimmer hineinnehmen könne, und wenn sie hineingeführt würden, solle er es loslassen; an wem es dann heraufspränge, das wäre sie. Also hat er es angestellt und hat auch richtig die Weiße getroffen. Nun wird Hochzeit gehalten, aber sie hatten von jetzt an immerfort viel zu leiden von dem Zauberer und seinen beiden andern Töchtern. Nach einiger Zeit mußte der Alte einmal eine lange Reise machen und befahl den beiden Schwarzen, ja auf diese Beiden Acht zu haben, daß sie nicht entwischten. Als er fort ist, verwandelt die Weiße sich und ihn in zwei Tauben und so fliegen sie bei Nacht fort. Wie sie eine Strecke fort sind, bemerken es die beiden Schwarzen. Da verwandelt sich die eine in einen Adler und fliegt hinter ihnen her. Als die Weiße das sieht, verwandelt sie ihn in einen Baum und sich in einen Apfel; da die Schwarze weiter nichts sieht, fliegt sie wieder heim und erzählt, daß sie einen Baum und einen Apfel daran gesehen. Da sagt die Andere: sie hätte nur sollen den Apfel bringen, der Baum hätte schon kommen sollen; sie wolle nun auch einmal fort. Sie fliegt also dahinter her, und als die Weiße sie erblickt, verwandelt sie den Prinzen in eine Kapelle und sich in einen Priester. Als die Schwarze das sieht, kehrt sie auch wieder um. Unterdeß ist der Alte wieder nach Hause gekommen und die Beiden erzählen ihm das. Da sagt er zu Der, die zuletzt wiedergekommen ist: Du hättest nur sollen den Priester bringen, die Kapelle wäre schon von selbst gekommen. Er macht sich nun auch auf. Als die Weiße ihn in der Ferne erblickt, verwandelt sie den Prinzen in einen großen Teich und sich in eine Ente, die darauf schwimmt. [36] Der Alte verwandelt sich aber in einen großen Ochsen und säuft den Teich aus. Wie er ihn aber bald aus hat, da platzt er und sie sind erlöst.

Das Mädchen fragte nun den Prinzen, ob er denn wol wüßte, wo sie jetzt wären, und als er es nicht wußte, sagte sie: er wäre jetzt nahe bei seines Vaters Schlosse. Nun war der Prinz voller Freude und sagte, sie wollten gleich hingehen und Hochzeit halten. Sie aber sagte: das könne noch nicht geschehen, erst müsse er noch eine Prüfung bestehen. Er möge hingehen ins Schloß und da ein Jahr und einen Tag lang kein Wort sprechen, Niemand küssen und sich von Niemand küssen lassen, noch nicht einmal von einem Hunde, sonst vergäße er sie. Das that er auch nicht; er ließ sich von seinen Aeltern, als er nach Haus gekommen war, ein Zimmer ganz allein geben, und auf dieses Zimmer eine Tafel bringen, wo er immer aufschrieb, was er haben wollte. Aber wie ihn sein kleiner Schooshund in die Augen bekam, sprang der vor Freuden an ihm herauf und küßte den Prinzen, und hierdurch vergaß er augenblicklich seine Braut. Aber gesprochen hat er noch immer nicht. Seine Aeltern wußten nicht, was das zu bedeuten habe, wählten ihm aber eine Braut nach ihrem Gutdünken aus und meinten, wenn er erst gefreit habe, werde sein sonderbares Wesen sich bessern. Der Prinz ließ Alles geschehen.

Als nun der Tag der Hochzeit herannaht, kommt seine Erretterin und hat sich in eine Sängerin verkleidet, und läßt fragen, ob sie zu des Prinzen Hochzeit nicht spielen dürfte. Der Prinz schreibt sein Jawort auf die Tafel, nur soll sie erst Probe ablegen auf seinem Zimmer. Aber statt daß sie in der Probe singt, macht sie Verwandlungen: zuerst einen Apfelbaum mit zwei Aepfeln, da merkte der Königssohn noch nichts; dann macht sie eine Kapelle und einen Priester darin, aber er erinnert sich noch immer an nichts; [37] da machte sie einen Teich und eine Ente darauf und einen Ochsen, der das Wasser aussoff. Da besinnt er sich und springt auf mit den Worten: „Ach, meine Erretterin, ach, meine Erretterin!“ Da jagt er die zweite Braut fort und heirathet seine Erretterin. Hätte er nicht wenigstens das Stillschweigen bewahrt, so würde das wol schwerlich jemals haben geschehen können.


9. Der Jude und das Vorlegeschloß.

Es war einmal ein gar starker Jüngling, der ging auf Reisen, und als er eine Zeit lang gereist war, kam er in eine Wildniß; da begegnete ihm ein Jude, der fragte, wohin er wolle. „Er wolle in die Welt und seines Gleichen suchen in der Stärke.“ Er solle mit ihm gehen, sagte der Jude, er wolle ihn glücklich machen. Der Jüngling geht mit ihm und sie kommen vor eine alte Burg, um die herum ist ein großer eiserner Zaun. Vor dem Schlosse bleiben sie eine Weile stehen, da thut sich ein unterirdischer Gang auf. Als der Jude das sieht, schickt er den Starken hinein, auf daß er ihm ein Schloß heraushole, das drinnen im Burggebäude an einer alten Thür hängt. Und wie der Starke drinnen ist, sieht er eine Jungfrau, die fragt ihn, wie er doch hinein käme. Er antwortet, es hätte ihn ein Mann hierher geschickt, um ein Schloß herauszuholen. Nun sagt die Jungfrau, wenn er ihr Erlöser sein wolle, so solle er's haben. Das sagte er ihr sogleich zu und fragte, auf welche Weise er sie erlösen könne. Darauf erwiderte sie: drei Nächte lang dürfe er nicht schlafen und müsse an der Stelle sitzen bleiben, wo sie ihn hinweise. In der ersten Nacht würden Geister kommen, in [38] der zweiten Schlangen und in der dritten wieder Schlangen, alle würden sich bemühen, ihn vom Stuhle zu werfen, und wenn er das geschehen lasse, so sei sie für ewig verloren. Wenn er aber der Gewalt der Schlangen und der Geister widerstände, so sei sie erlöst.

Der Jüngling verspricht hierauf, aus Leibeskräften allen diesen Angriffen Widerstand zu leisten, und die Jungfrau weist ihm am Abend der ersten Nacht sein Zimmer an, darauf steht nichts als der Stuhl. Auf den muß er sich hinsetzen, und die Jungfrau verläßt ihn. Um elf Uhr aber füllt sich das ganze Zimmer mit Geistern, und der eine Geist will ihn immer noch lieber vom Stuhle werfen als die andern. Er aber wankt und weicht nicht, und so vergeht die erste Nacht. Am hierauf folgenden Tage erscheint die Jungfrau, bringt ihm Speise, belobt ihn für die schon bewiesene Ausdauer und spricht ihm Muth ein für die Zukunft. In der zweiten Nacht erscheinen die Schlangen und schlingen sich um die Stuhlbeine, als wollten sie den Stuhl umwerfen. Der Jüngling aber sitzt auch dabei fest auf seinem Platze. Um drei Viertel auf zwölf Uhr steigt nicht weit von ihm ein Sarg auf, da kriechen die Schlangen hinein und sind verschwunden. Am Tage zeigt sich wieder die Jungfrau, bringt ihm Speise und Trank und spricht ihm Muth ein. Sie fügt hinzu: er solle in der nächsten Nacht, wenn die letzte Schlange im Sarge wäre, hingehen, geschwind den Deckel aufheben und Das, was darin läge, umarmen und dreimal küssen. Er ist auch richtig in der dritten Nacht wieder am Platze. Allein die Schlangen sind jetzt noch wilder und ungestümer als in der zweiten Nacht. Doch verschwinden sie wieder alle in den Sarg, sobald es zwölf schlägt. Von dem Sarge hebt er den Deckel auf und sieht darin ein Ungeheuer, das umarmt er und küßt es dreimal. Als er es zum dritten Male geküßt hat, erhebt sich ein [39] lautes Freudengeschrei. Da steht auf einmal das Ungeheuer als die Jungfrau vor ihm, die ihn in die Burg gewinkt hat, und das war keine gewöhnliche Jungfrau, sondern eine Prinzessin von Geblüt, der gehörte die ganze verwünschte Burg, und die Burg ist ein Königsschloß gewesen, und die Schlangen waren ihre Dienerschaft, und die ganze Dienerschaft war nun auch erlöst. Das schäkerte alsbald in Küche und Speisekammer umher, und dazu erhob sich auf dem Herde bald ein behagliches Feuer, das briet einen Braten gar bedächtig auf beiden Seiten braun. Auf dem Thurme blies auf einmal der Thürmer die lustigsten Stücklein, denn der war nun auch mit erlöst. Jetzt hätte der Jüngling das Schloß von der alten Thür nehmen und zu sich stecken sollen, allein er vergaß es in seinem Glücke und ließ es hängen. Der Jude aber wartete draußen nicht mehr, sondern war längst fortgegangen, denn er glaubte, der Starke sei umgekommen gleich Andern, die er vor ihm schon in das Schloß geschickt hatte.

Schon am andern Tage hielten der Jüngling und die Prinzessin ihre Hochzeit, und sie lebten nun miteinander als König und Königin. Und der König herrschte über die ganze Wildniß, durch die er einst geschritten war, ehe er vor die Burg kam, und sie war voll von Hirschen und Rehen und Jägern, Hirten und Heerden. Da zog er oftmals hinaus auf die Jagd, denn das Burgthor, das früher verschlossen gewesen war, stand nun auch weit offen, wie es dem Thor einer Königsburg geziemt.

Und so hat er auch einmal wieder draußen seine Freude am Waidwerk, da kommt der Jude des Wegs vor die Burg mit seinem Bündel und spricht: „So bin ich doch schon so oft gekommen des Wegs und habe noch nimmer gesehen den Rauch aufsteigen aus dem Schornstein, und habe noch nimmer gesehen offen das Thor, und habe noch nie gehört, daß der Thürmer auf dem Thurme hier bläst sein Lied.“ Neugierig [40] geht er in die Burg hinein und bittet um die Erlaubniß, sich dort besehen zu dürfen. Er erhält die Erlaubniß und sieht das Schloß noch an der alten Thür hängen, das der Starke hat hängen lassen, und weil gerade Niemand auf ihn achtet, so nimmt er's herab. Wie er nun an dem Schlosse versuchsweise krickelt (denn er kannte seine Eigenschaften gar wohl), kommen sogleich viele Geister an und fragen, was er beföhle. Da spricht er: „Ich befehle, daß diese Burg sogleich hinter dem Berge steht, wo weder Sonne noch Mond hinscheint, und daß ich da mit der jungen Königin allein sein will. Ihr Geister sollt uns bedienen, wenn ich euch mit dem Schlosse herbeizaubere, die ganze Dienerschaft auf der Burg aber sollt ihr bei Wasser und Brot in den Burgthurm sperren. Ich werde die schöne Königin heirathen und werde mit ihr wohnen hinter dem Berge, wo weder Sonne noch Mond scheint. Das wird eine Lust werden.“

Die Geister verneigten sich tief, und das war eins, zwei, drei, da stand die Burg auch schon hinter dem Berge, wo weder Sonne noch Mond scheint, die Dienerschaft aber war bei Wasser und Brot ins Burgverließ gesperrt. Im Zimmer der Königin brannten ein paar Wachskerzen, da trat der Jude zu ihr und verkündigte ihr, daß sie ihren Gatten nimmer wiedersehen solle und daß er selbst sie zu heirathen gedächte. Darüber vergoß die Königin viele Thränen und sie weigerte sich standhaft, dem Juden die Hand zu reichen. So verging Tag auf Tag, und der Jude ward nicht müde, die Königin mit seinen Anträgen zu bestürmen. Deshalb weinte sie immer fort vor Scham und Zorn, und ihr Antlitz war ganz von Thränen geröthet.

Nicht lange nachdem das Schloß hinter den Berg versetzt war, wo weder Sonne noch Mond hinscheint, kehrte der König zurück von der Jagd. Als er sieht, daß die Burg [41] mit der Königin verschwunden ist, wirft er sich auf den Boden und klagt und winselt wie ein Kind. Endlich ermannt er sich und geht auf gut Glück eine Strecke weit, um Kunde von seiner Burg und seiner Gattin zu erforschen. Wie er noch nicht weit gegangen ist, sieht er einen Riesen. Ihm erzählt der König, daß er hier in der Nähe eine Prinzessin und eine Burg erlöst habe, und die seien jetzt beide miteinander verschwunden. Der Riese erwidert: er wolle sehen, ob er ihm nicht Bescheid geben könne, wo die Burg geblieben sei. Pfeift also auf dem Finger, und es kommen die ganzen Thiere. Der Hund, der Hahn, auch der Hirsch, das Reh und der Hase kommen heran, die Vögel des Waldes hüpfen herbei, der Adler, das Rothkehlchen, der Fink und Alle. Die fragt der Riese, ob sie nicht wüßten, wo die Burg geblieben sei, die da gestanden hätte; sie wissen aber nichts davon zu berichten. Zuletzt kommt noch eine wilde Katze hinten nach, die fragt der Riese auch, und die war gerade in einen Baum der Burg gegenüber geklettert, als der Jude kam, und sagte: die Burg stände hinten, wo nicht Sonne und Mond hinschienen, der Jude habe sie von den Geistern dahin versetzen lassen; und der sei auch dort und lasse der Königin keine Ruhe und wolle sie heirathen, das Gesinde aber liege gefangen im Thurme. Da sprach der Riese: Sie wären ihrer drei Riesen, das seien Brüder und von denen sei er der jüngste. Wenn der König zu dem Berge reisen wolle, wo nicht Sonne noch Mond hinschiene, so käme er zu dem zweiten Riesenbruder nun zunächst, und der dritte Bruder, nämlich der älteste, zu dem er von da aus hinkäme, wohne dicht vor dem Berge. An den zweiten Bruder gibt ihm der Riese einen Brief und geht seiner Wege. Als er noch eine Strecke weit von der Wohnung des zweiten Riesen entfernt ist, kommt der schon auf ihn ein und will ihn zerreißen. Wie er aber den Brief gelesen hat, zeigt er ihm den Weg [42] zu dem dritten Bruder und gibt ihm wieder an diesen ein Schreiben mit. Der beherbergt ihn in seiner Höhle eine Nacht, weil er gerade den Abend eintrifft, und beschreibt ihm, wie er über den Berg käme, hinter dem weder Sonne noch Mond schiene. Er gibt ihm Pilgerkleidung und ein Blatt und sagt ihm, wenn er das Blatt in den Mund nähme, so wäre er unsichtbar. So tritt der König seine Reise nach dem Berge an, und als er hinüber ist und vor der Burg steht, kommt der Jude heraus und fragt: woher er käme. Er sagt, er sei ein armer Pilger, wie er sähe, habe sich verirrt und bäte ihn flehentlich, daß er ihn zurecht weise. Nun hat den Juden dort im Dunkeln hinter dem Berge die Langeweile geplagt bei den fortwährenden Thränen der Königin, er läßt den Pilger also ein, bringt ihm Speise und Trank und läßt sich von ihm etwas erzählen aus dem Lande jenseits des Berges, und gedenkt der Zeiten, wo er selbst als armer Schacherjude noch sein Bündel oft im heißen Sonnenschein daher trug und am Schabbesabende mit seiner Rebekka im Mondenschein spazieren ging. Er hatte sie mit ihren Kindern im Stich gelassen, als ihn die Geister mit der Königin in das Land versetzten, wo weder Sonne noch Mond hinscheint, und er dachte, daß vielleicht eben jetzt die Sonne die schmutzigen Gesichter seiner sechs Buben beschiene, oder daß vielleicht in diesem Augenblicke seine Rebekka gerade sänge: Guter Mond, du gehst so stille! während er hier hinter dem Berge sitze, da nicht Sonne noch Mond hinschiene. Und da wurde der Jude immer weichherziger und erkundigte sich nach dem Mann im Monde, als ob's sein bester Freund gewesen wäre, und nach der Sonne erkundigte er sich so genau, als ob sie eigentlich aus der Judengasse stammte und mit ihm in die Judenschule gegangen wäre.

Da fragte ihn der König, wie denn hier hinten eine so schöne Burg hinkäme, wo weder Sonne noch Mond hinschiene. [43] Sogleich nimmt der Jude wieder eine ernsthafte Miene an, und weil der König ihn auch fragt, ob er hier allein wohne, so sagt er: ja, er sei hier allein, aber er habe eine unsichtbare Bande, die sehr stark sei; er solle sein Mahl verzehren, das vor ihm stehe, und sich beeilen, daß er fort käme. Er sei gern immer allein und habe nicht gern Besuch, und wen er zum Hause hinauswerfen ließe, dem thäte kein Finger wieder weh. Da that der König, als wolle er sich jetzt entfernen, nahm aber das Blatt in den Mund und dadurch ward er unsichtbar, und der Jude meinte, daß er schon fort sei. Der König muß aber in der Burg die ganze Nacht umherstehen, und es fügt sich nicht, daß er zu seiner Frau kommen kann.

Am andern Morgen schläft der Jude noch, die Frau aber weint in ihrer Kammer laut über ihr Schicksal und über ihren Mann. Da tritt der zu ihr und sagt: Gott habe ihn hierher geschickt, um sie abermals zu erlösen, und nimmt das Blatt aus dem Munde, sodaß er ihr sichtbar wird. Da fällt die Königin ihm um den Hals und küßt ihn. Als sie nun noch rathschlagen, wie sie sich des Juden entledigen können, kommt der eben auf die Kammer, denn er hat gehört, wie sie miteinander sprechen, und weil er so schnell kommt, hat der König nicht gleich sein Blatt im Munde. Da ist der Jude sehr zornig, weil er ihn nun auch sieht. Sie ergreifen einander, der Jude faßt nach dem Schlosse in seiner Tasche, aber ehe er das noch in der Hand hält und die Geister damit herbeirufen kann, hat ihm schon der Starke mit seinem Schwerte das Haupt gespalten. Nun bekommt der König das Schloß in die Hände, dreht es und die Geister erscheinen. Sie fragen, was er begehre, und er befiehlt, daß sie zuerst selbst die Dienerschaft aus dem Thurme befreien und fügt hinzu: alsdann wolle er, daß die Burg wieder auf der Stelle stände, wo er sie erlöst habe. Auch [44] gab er ihnen auf, noch den Juden hinter dem Berge zu verscharren, wo nicht Sonne noch Mond hinscheint, was auch geschah. Darauf fielen Alle, die in der Burg waren, in einen sanften Schlummer, und unterdessen brachten die Geister in wenigen Augenblicken die Burg wieder an die alte Stelle. Da hat der König nachher lange Zeit mit Segen regiert und hat in großem Ansehen gestanden.


10. Der Geist des Ringes und der Geist des Lichtes.

Eine arme Witwe hatte einen Sohn, der verlor sich an dem Tage, wo er funfzehn Jahre alt war, im Walde. Nach einer Weile fror ihn sehr, da kam ein Mann, der zündete ein Feuer an, damit sie sich daran wärmen könnten. Als sie sich eine Weile gewärmt hatten, war ein feuriges Loch in die Erde gebrannt. Da sprach der Mann zu dem Knaben, er solle in das feurige Loch steigen, dann käme er vor eine eiserne Thür, vor der läge ein feuriger Löwe, den solle er nicht fürchten, sondern durch die Thür hindurchgehen. Dann käme er an einen Ort wo ein Tisch stände, auf dem wäre ein Licht und neben dem Lichte läge ein Ring. Auch stände ein Apfelbaum bei dem Tische, davon solle er sich einen Sack voll Aepfel pflücken, dazu das Licht und den Ring nehmen und sobald als möglich den Rückweg antreten. Der Knabe that Alles, wie ihm geheißen war; als er aber wieder an die Thür kam, war sie zugeschlagen. Darüber weinte der Knabe bitterlich und die Thränen fielen auf den Ring, den er an den Finger gesteckt hatte; dazu rang er die Hände, und wie der Ring dabei sich ein wenig am Finger drehte, erschien der Geist des Ringes und fragte, was er wolle. [45] Der Knabe fiel vor Schrecken zur Erde nieder. Als er aber wieder zu sich selbst gekommen war, sagte er, daß er hier heraus wolle. Der Geist des Ringes erwiderte, in seiner Macht stände es nicht, ihn hier wieder heraus zu führen, er solle an dem Lichte scheuern, dann käme der Geist des Lichtes, der habe höhere Macht als er und würde ihn hinaus geleiten. Der Knabe that wie ihm geheißen war, da erschien der Geist des Lichtes und führte ihn hinaus.

Der Knabe ging nun nach Hause und dort stellte er das Licht bei Seite. Aus den Aepfeln in seinem Sacke waren Steine geworden, die schüttete er in einen Winkel und achtete ihrer nicht. Nach einer Weile hatte er mit seiner Mutter nichts zu essen; da fing sie an das Licht zu scheuern, denn sie gedachte es beim Zinngießer zu verkaufen. Darauf erwiderte er, das solle sie nicht thun, sie solle sich wünschen was sie wolle, er werde es bringen. Da wünschte sie, sich einmal ordentlich satt zu essen. Sogleich setzt er eine Reihe silberner Teller mit Speisen auf, die er nur immer so recht geschickt aus der Hand auf den Tisch fliegen ließ, und die Mutter rief auch ihren Sohn zum Essen herein. Als sie gegessen hatten, trugen sie das Geschirr zum Silberarbeiter, der ihnen für jeden Teller fünf Thaler zahlte. Und so scheuerten sie täglich an dem Leuchter und das silberne Geschirr, das der Geist des Lichtes brachte, blitzte und blänkerte, und sie schleppten es täglich zu dem Silberarbeiter, der ihnen abnahm, so viel sie davon brachten.

Nun kam der Tag, wo auch die Prinzessin funfzehn Jahre alt wurde, und sie wurde, eingehüllt in ein seidenes Gewand, an diesem Tage in der Stadt umhergetragen, und der König ließ bekannt machen, daß kein junger Bursche sich dürfe auf der Straße sehen lassen, während seine Tochter im Seidengewand umhergetragen würde. Allein der Sohn der Witwe wagte sich doch hinaus, und nachdem er die Königstochter [46] gesehen hatte, ging er sogar zum Könige und begehrte sie zum Weibe. Da verwunderte sich der König und sprach: „Du hast den Tod verdient, weil du es gewagt hast, gegen mein Gebot auf die Straße zu gehen und meiner Tochter ins Antlitz zu schauen. Nur wenn du im Stande bist, drei schwere Aufgaben zu lösen, sollst du das Leben behalten und die Königstochter zur Gemahlin haben. Zum ersten mußt du ihr die allerkostbarste Morgengabe herbeischaffen, die es nur gibt. Fürs zweite mußt du mir vier Lastthiere voll Geld bringen, und neben mein Schloß ein anderes Schloß bauen, das muß aber viel schöner sein als meines, und was an meinem Schlosse von Eisen ist, muß an deinem Schlosse von Messing sein.“ Und damit kehrte die Frau zu ihrem Sohne heim.

Da scheuerte der junge Mensch in der nächsten Nacht an dem Leuchter. Sogleich erschien der Geist des Lichtes; er offenbarte ihm, was der König verlangt hätte, und bat ihn um Rath, was er wol der Königstochter zur Morgengabe geben sollte. Nun brachte der einen goldenen Becher herbei und rieth ihm, den von den Steinen zu füllen, welche noch immer im Winkel lagen, das werde die kostbarste Morgengabe von der ganzen Welt sein. Das that er auch, und als seine Mutter in der Frühe des Morgens mit dem Becher zum Könige kam und der König schüttete den Becher vor der Königstochter aus, waren es nichts als Edelsteine. Darüber war der König und die Königstochter hoch erfreut, und als nun Beide ans Fenster traten, stand das neue Schloß seinem Schlosse schon gegenüber und war viel schöner anzusehen als seines und glänzte gar prächtig in der Morgensonne. Da staunte der König und stellte sogleich die Hochzeit an. Der Sohn der Witwe heirathete jetzt die Prinzessin, und sie wohnten miteinander mit der alten Frau in dem kostbaren Schlosse. Als nun der Schwiegersohn des Königs einmal [47] auf die Jagd gegangen und auch seine Mutter eben nicht in dem prächtigen Schlosse war, kam der frühere Miethsherr der Witwe mit vielen Lichtern, die er umgehängt hatte, vor das neue Schloß und rief aus: wer ein altes Licht hätte, dem gebe er drei neue für das alte. Er hatte nämlich bemerkt, wie der junge Mensch und seine Mutter mitunter an dem Lichte gerieben hatten und wie dann der Geist des Lichtes gekommen war. Als die Königstochter nun seinen Ausruf vernahm, brachte sie schnell das alte Licht herbei, erhielt drei neue dafür, und der Mann warf sobald als möglich die neuen Lichter von sich und ging mit dem alten in die weite Welt. Die Königstochter aber, weil sie an diesem Tage ihren Vater noch nicht gesehen hatte, ging mit den Lichtern in der Hand erst einmal in das alte Schloß, ehe sie in das neue zurückkehrte. Sobald aber das alte Licht fort war, verschwand auch das neue Schloß vor den Augen der Königstochter.

Als der junge Mensch zurückkehrte und erfuhr, was geschehen war, drehte er sogleich seinen Ring, und es erschien der Geist des Ringes. Den schickte er hinter dem Betrüger her, der sich sehr schnell davongemacht hatte, und hieß ihn dem das Licht abnehmen und es wiederbringen. Da machte sich der Geist des Ringes auf und brachte alsbald das alte Licht wieder. Der junge Mensch aber rieb jetzt an dem Lichte, da erschien der Geist des Lichtes und baute das Schloß schöner wieder auf als es gewesen war. Von der Zeit an hat er das alte Licht sorgsamer verwahrt, und hat mit der Königstochter bis an sein Ende glücklich in dem prächtigen Schlosse gelebt, ist auch nach des Königs Tode selbst ein gar mächtiger König geworden. [48]

11. Die Riesen und das Stippfeuerzeug.

Es war einmal ein Schusterjunge, der lief aus der Lehre und wollte in die weite Welt gehen. Er kam aber an einen alten verfallenen Bergstollen, vor dem stand eine Hexe und sprach: sie wolle ihn im Korbe in den Schacht hinablassen, damit er ihr Das heraufhole, was dort auf einem Tische stände. Sie ließ also den Schusterjungen im Korbe in den Schacht, und in dem Schacht war ein Kupfergang, ein Silberholgang und ein Quergang. In dem Quergange aber stand ein Tisch, daran saß ein Kerl, der hatte Krallen an Fingern und Füßen, und vor ihm stand das Stippfeuerzeug. Der Kerl gab dem Schusterjungen zu dem Stippfeuerzeug noch Kupfer, Silber und Gold, und jetzt ließ der sich von der Hexe wieder heraufziehen. Als er oben war, gab er der Hexe das Kupfer, behielt aber das Silber, das Gold und das Stippfeuerzeug für sich. Nun reiste der Schusterjunge weiter und war mit dem Golde und dem Silber auf einmal ein gemachter Mann. Wenn er aber in das Feuerzeug stippte, so kamen jedes Mal zwei Riesen und fragten: „Mein Herr, was befehlen Sie?“

Einstmals kam er in die Königsstadt, da stippte er des Nachts auch in sein Feuerzeug, und als die beiden Riesen herbeisprangen und fragten: „Mein Herr, was befehlen Sie?“ da antwortete er: „Ich will, daß die Prinzessin in ihrem Bette zu mir kommt.“ Es dauerte auch gar nicht lange, da brachten die beiden Riesen die Prinzessin im Bette zu dem Schusterjungen; und so mußte es von der Zeit an in jeder Nacht geschehen.

Als der König von der Prinzessin erfuhr, was mit ihr [49] zur Nachtzeit vorging, befahl er, daß ein schlecht zugebundener Beutel mit Erbsen unter ihrer Bettsponde befestigt würde, damit man an den Erbsen, welche herausfielen, sehen könne, wohin die Prinzessin gebracht würde. Allein unterwegs bemerkten die Riesen den Beutel mit Erbsen, und nachdem sie das Bett der Prinzessin in ihre Kammer zurück gebracht hatten, lasen sie die Erbsen alle wieder auf, sodaß Niemand sehen konnte, wo die Prinzessin gewesen war. Ebenso machten sie es in der nächsten Nacht, wo der König befohlen hatte, daß ein schlecht zugebundener Beutel mit Linsen unter dem Bette der Prinzessin befestigt würde, und nicht Eine Linse blieb auf dem Wege liegen.

Als in der folgenden Nacht die Riesen das Bett der Prinzessin brachten, lamentirten sie sehr und sprachen: „Mein Herr, jetzt hat Ihr letztes Stündlein geschlagen. Der König hat eine Kuhblase mit Blut anfüllen und unter die Bettsponde der Prinzessin binden lassen, und das Blut, das aus der Kuhblase tröpfelt, können wir Riesen nicht aufwischen. Dadurch wird der König morgen früh erfahren, wo die Prinzessin in der Nacht gewesen ist, und er wird Sie hinrichten lassen.“ Am andern Morgen drangen auch richtig die Soldaten des Königs zu dem Schusterjungen ein und nahmen ihn gefangen. Es wurde ein Schaffot von Gold erbaut und darauf sollte er sterben. Ehe er aber den Kopf auf das Schaffot legte, bat er sich noch aus, daß er vor seinem Ende noch eine Pfeife rauchen dürfte. Das wurde ihm gewährt, er zog sein Stippfeuerzeug aus der Tasche und stippte hinein, als wollte er hernach die Pfeife in Brand setzen. Da erschienen sogleich die beiden Riesen und fragten: „Mein Herr, was befehlen Sie?“ Er aber befahl ihnen, den König gefangen zu nehmen und ins Gefängniß zu werfen. Und da war auf einmal der Schusterjunge König, ließ den alten König auf dem Schaffot enthaupten und freite die Prinzessin. [50]

12. Die sieben Frauenbilder und der König der Todten.

Es war einmal ein König, der hatte noch nicht lange regiert, da kam in der Nacht eine Erscheinung an sein Bett und redete ihm zu, daß er aufstehen und ihr nachfolgen solle. Er aber blieb ruhig liegen. Die Erscheinung kommt in der nächsten Nacht wieder, er erhebt sich auch jetzt nicht von seinem Lager und so kommt sie auch in der dritten Nacht. Da ist der junge König schon munter, als sie kommt, denn er hat der Sache nachgedacht und ist entschlossen, ihr zu folgen. Wie der König sich ankleidet, spricht sie: Er solle auch Hacke und Geschirr mitnehmen, denn er müsse an einem großen freien Platze etwas aufroden.

Der König sucht in seinem Schlosse das Geschirr, nimmt es über die Schulter und folgt der Erscheinung. Die führt ihn auf einen großen freien Platz und weist ihn an, dort aufzuroden. Der junge König, der sehr stark gewesen ist, beginnt mächtig mit Hacke und Schaufel zu arbeiten, und in großen Tropfen rinnt ihm der Schweiß von der Stirn. Endlich stößt er auf große Eichenbohlen, die er nicht heben kann, und da blickt er zum ersten Mal von seiner Arbeit auf, um die Erscheinung zu fragen, was er nun thun soll, aber die ist verschwunden.

Darauf geht der König in tiefen Gedanken aufs Schloß zurück und schickt zu dem alten treuen Diener seines Vaters. Der war nach dem Tode des alten Königs in die Stadt herunter gezogen und da lebte er behaglich von dem Gelde, das ihm ausgesetzt war, wie nun so ein alter treuer Diener auf seine letzten Tage von seinem Gnadengehalte lebt. Der [51] alte Diener kam am Stabe daher gewankt und sagte auf Befragen darüber, was wol die Ursache der Erscheinung gewesen wäre, aus, daß der verstorbene König Freundschaft mit dem Könige der Todten gehabt und ein Vermächtniß mit ihm gestiftet hätte, und daß damit die Erscheinung zusammenhängen werde. Wenn der junge König ihm folgen wolle, so getraue er sich wol noch den Weg nach dem Schlosse zu finden, wo der König der Todten wohne, denn er habe seinen Vater oft dahin begleitet.

So ging der junge König zu dem Könige der Todten, und der alte Diener hinkte am Stabe als Wegweiser neben ihm her. Durch Wildniß, Gestrüpp und Dornenhecken gelangten sie zu dem alten verfallenen Schlosse, wo der König der Todten wohnte. Da sah es aus wie in einem verwünschten Schlosse, denn es war Alles mit Moos bewachsen, der Wallgraben und das Thor, das alte verfallene Schloß selber mit dem Burgthurme, die Hausflur, der Rittersaal, alle Zimmer, die Stühle und Tische darin, die Leuchter, ja selbst die Weinkannen und das andere Geschirr, das da umherstand. Es war aber kein verwünschtes Schloß, denn der König der Todten ging darin umher als Hausherr, kam auf sie zu und fragte nach ihrem Begehren. Sie sahen sogleich, daß er bei guter Laune sei, und wie der junge König erzählt hatte, was ihm begegnet war, sagte er: Die Erscheinung sei der Geist seines Vaters gewesen, der habe einen großen Schatz unter seine Gewalt gegeben, den solle der Sohn nach seinem Tode lösen, und wenn sie ein wenig warten wollten, so wolle er sogleich einen Spiegel herbeiholen, dessen er dabei bedürfe.

Hierauf verläßt sie der König der Todten auf kurze Zeit und kommt dann mit dem Spiegel wieder zurück. Jetzt eröffnet er dem jungen König, es wäre ein unermeßlicher Reichthum in dem Schatze, den sein Vater ihm habe aufheben [52] lassen. „Es sind sechs große weibliche Bilder von Gold, sprach er. Das siebente aber mußt du, o König, zuvor selbst dazu suchen, ehe du die sechs goldenen Frauenbilder erhältst, und es muß schöner und besser sein als die sechs goldenen. Mache dich also auf und suche das siebente Frauenbild, das schöner ist als die sechs goldenen. Nimm den Spiegel und gehe in die Welt, und triffst du ein Mädchen an, das schön ist und dir gefällt, so blicke in den Spiegel. Der Spiegel zeigt sie dir alsdann ganz wie sie ist, und hat sie nur einen einzigen Fleck am Körper, so bring sie nicht her, sonst kostet es dich dein Leben. Ist ihre Schönheit aber ganz fleckenlos, so führe du sie zu mir als das siebente und schönste Frauenbild.“

Darauf ging der junge König mit dem getreuen Diener seines Vaters aus dem moosbewachsenen Schlosse. Vor dem Thore trennten sie sich voneinander; der alte Diener wankte in seine Stadt zurück und der junge König zog in die weite Welt, und da ist er weit und breit umhergezogen, hat viele Weiber angetroffen, die ihm sehr wohl gefallen haben, und hat er dann in den Spiegel geschaut, so hat jede ihren Fleck gehabt. (Ein Donnerwetterspiegel, daß der die Flecke hat angesagt!)

Endlich als der König nun schon gar weit umhergereist ist und keine getroffen hat ohne Fleck, kommt er eines Abends spät vor ein Dorf. An dessen Ende auf der Anhöhe vor dem Orte sieht er schon von Ferne ein Licht brennen, geht darauf zu und bittet um ein Nachtquartier, was ihm auch mit Freuden gewährt wird. In diesem Hause aber hat der Dorfhirte gewohnt, der hat eine Tochter gehabt von achtzehn Jahren. Die Leute tragen Milch und Brot auf, das schmeckt dem König, der sehr ermüdet gewesen ist, sehr köstlich. Da tritt die Tochter des Hirten herein, die war so wunderschön von Antlitz und Gestalt, und der König verliebte sich in sie. [53] In der Frühe des andern Morgens, noch ehe der Hirt aufgestanden ist, um das Vieh auszutreiben, blickt er schon in seinen Spiegel und, siehe da! der Spiegel zeigt ihm, daß die Schönheit der Hirtentochter fleckenlos ist. Da hält er sogleich bei dem Hirten um sie an und bittet, daß dieser seine Tochter mit ihm ziehen lassen möge. Der Hirt glaubt anfangs, der König wolle seiner spotten, der aber versichert, daß er seine Tochter ehren und lieben werde, und daß er deshalb keine Sorge zu tragen brauche.

Da gibt der Hirt ihnen den Segen und sie gehen miteinander in das Schloß zum König der Todten. Der nimmt die Hirtentochter bei der Hand, führt sie in die Gemächer seines Hauses ein und spricht: „Jetzt, o König, gehe wieder hin und grabe den Schatz vollständig auf.“

Und siehe! wie der junge König wieder auf den Platz kommt, vermag er die Bohlen mit leichter Mühe zu heben, als ob es Federn gewesen wären. Als er sie abgeworfen hat, steigt er in ein Gewölbe, das die Bohlen verdeckt haben und das Gewölbe glänzt von Gold, Silber und Edelgestein. In dem Gewölbe aber steht auch ein kleiner kostbarer Tisch, darauf liegt ein Schlüssel und ein kleines sauberes Briefchen. Der junge König erbricht den Brief und darin steht geschrieben, alles Gold, Silber und Edelgestein in diesem Gewölbe sei für ihn aufgehoben, einen noch größern Schatz aber werde er finden, wenn er mit dem Schlüssel, der auf dem Tische läge, die Thür aufschlösse, die er in dem Gewölbe sähe.

Der junge König küßte diesen Brief, den sein Vater vor seinem Ende an ihn geschrieben hatte, nahm den Schlüssel und schloß die Thür auf.

Sowie er in das Zimmer eintritt, sieht er da die sechs goldenen Frauenbilder stehen, die nun ihm gehören und gar prächtig glänzen. Mancher Mann, der hier hergeführt wäre, [54] hätte gewiß geglaubt, etwas Schöneres gäbe es nicht auf der ganzen Welt, denn schon Manchen hat das Gold auf Erden verblendet. Und so stand auch der Königssohn einen Augenblick wie geblendet vor den goldenen Frauenbildern, die mehr werth waren denn alle die Schätze seines Reichs, und die ihn anschauten, als würben sechs stolze Königstöchter um seine Gunst und jede wollte ihm ein ganzes Königreich zubringen mit ihrer kalten Hand.

In demselben Augenblicke aber öffnet sich auch eine andere Thür desselben Zimmers und durch diese tritt der König der Todten ein. Er führt die Hirtentochter am Arm und spricht zu dem jungen König: „Hier, o König, empfange zu den sechs goldenen Frauenbildern das siebente Frauenbild, und freue dich mit ihm, denn es ist viel schöner als sie.“ Da empfing der junge König seine Gattin aus der Hand des Königs der Todten und pries die Weisheit seines Vaters, weil er das lebende Frauenbild weit über die sechs goldenen gesetzt und ihm die sechs goldenen Bilder erst für die Zeit bestimmt hatte, wo er das lebende gefunden hatte. Nun heirathete er die Hirtentochter und nahm die sechs goldenen Frauenbilder als Hoffräulein mit zu Hofe.


13. Gevatter Tod.

Es ist einmal ein Mann gewesen, dessen Frau kommt nieder mit ihrem siebenten Kinde. Nun ist aber dieser Mann sehr arm gewesen, und deshalb hat keiner auf dem breiten Steine stehen und bei dem Kinde Gevatter sein wollen, und er hat nicht gewußt, wovon er die Kosten der Taufe bezahlen [55] soll. Da geht er betrübt in den Wald. Auf einmal bietet ihm Einer die Zeit und fragt ihn, was ihm fehle. Ach, das möchte er Keinem sagen; es wolle ihm ja doch Keiner helfen. „Nun, warum denn nicht? Er solle ihm sein Anliegen offenbaren, vielleicht könne er ihm doch helfen.“ Da sagt er es denn, daß seine Frau mit dem siebenten Kinde niedergekommen sei und daß er kein Vermögen habe, es taufen zu lassen, und daß diesmal Niemand auf dem breiten Steine stehen wolle seiner Armuth wegen. Der Fremde scheine ihm ein honnetter Mann zu sein; wenn er ihm den Gefallen thun wolle und seinem Kinde zur Christenheit verhelfen, wolle er's ihm sein Lebenlang gedenken.

„Wißt Ihr denn auch wer ich bin? Ich bin der Tod.“

„Ach, das soll mir ja große Ehre sein, Herr Tod. Solche Ehre ist wol noch Keinem widerfahren.“

„Nun, es ist mir lieb, daß Ihr Vertrauen zu mir habt. Ich wäre ohnehin Euer Gevatter geworden. Ich stehe bei allen Kindern Gevatter. Aber weil Ihr mich denn zum Gevatter bittet, was andere Leute nicht thun, so will ich auch meinem Pathkinde ein Pathengeschenk verehren. Ist's ein Knabe oder ein Mädchen?“

„Ein Knabe.“

„Gut, ich will bei der Taufe zugegen sein und das Kind über die Taufe heben.“ Darauf gibt er dem Manne die Hand. Wie der ihm wieder die Hand gegeben hat, ist auf einmal der Gevatter verschwunden, und wie der Mann seine Hand aufmacht, ist ein Goldstück darin.

Er geht aber doch mit betrübtem Herzen heim und denkt: ist der Tod dein Gevatter, so wird's wol aus sein mit deinem armen Kinde. Kommt nach Hause und sagt seiner Frau, daß er einen Gevatter gefunden, und daß der ihm ein Goldstück zum Einbund verehrt hat. Seine Frau fragt ihn, wie der Gevatter heiße, aber er sagt, er wisse [56] es nicht; der Gevatter wolle aber bei der Taufe sein und das Kind über die Taufe heben. Damit beruhigt sich die Frau.

Nun gut! Wie die Aeltern mit der Kindsfrau auf den Gevatter warten, läßt sich Keiner sehen und sie gehen endlich voll Angst nach der Kirche. Da an der Kirche steht ein langer hagerer Mann in ganz schwarzer Kleidung, der hat ein blasses Gesicht gehabt. Und der Kindtaufsvater erkennt ihn, daß es der Gevatter Tod ist. Und der Gevatter sagt, solle er das Kind über die Taufe heben, so müßte es auch seinen Namen haben. Also gehen sie in die Kirche, und wie der Prediger fragt nach dem Gevatter, nennt sich der Gevatter: Ich heiße Tod. Der Pfarrer verwundert sich und sagt, so ein Name sei ihm doch in seiner Gemeinde nicht bekannt. „Glaub' ich wol, ich bin der bekannte Tod von Gräberfeld.“ Der Pastor schüttelt den Kopf, sagt aber nichts. Als gefragt wird bei der Taufe, wie das Kind genannt werden soll, sagen sie „Tod“. So hat der Knabe den Namen Tod erhalten.

Als sie aus der Kirche heraus sind, sagt der Gevatter: Nun sollten sie nur ihr Kind gut halten und zur Schule schicken und Medicin studiren lassen, und wenn der Sohn ausstudirt habe, so wolle er ihn besuchen.

Der Knabe wächst heran, kommt in die Schule, ist fleißig und hat ganz herrlich gelernt, und hat einen so guten Kopf gehabt und sich immer so gut betragen, daß alle Menschen ihre Freude daran gehabt haben, und vornehme Leute nehmen sich seiner an und lassen ihn studiren.

Da studirt er Medicin. Wie er fertig ist auf Universitäten und schon abreisen will nach Hause, denkt er: es ist doch recht sonderbar von deinem Gevatter, daß er dir den Namen Tod hat geben lassen und daß er verordnet hat, du sollst Medicin studiren. Wer wird dich zum Arzt annehmen, [57] wenn er weiß, daß du Tod heißest? Indem er so denkt, tritt auf einmal ein Mann herein: „Guten Tag, lieber Pathsohn. Es ist Zeit, daß du mich auch kennen lernst; ich bin der Gevatter Tod. Nun höre, was ich dir sage, und richte dich danach. Wenn du in ein Haus gerufen wirst zu einem Kranken, so will ich auch da sein, und du sollst mich sehen, aber weiter Keiner. Stehe ich nun zu den Füßen des Krankenbetts, so kannst du nur getrost verschreiben was du willst, der Kranke wird gesund. Wenn ich aber zum Kopf des Kranken stehe, dann kannst du auch verschreiben was du willst, aber es wird nichts helfen.“ Der junge Doctor Tod sagt, er will's halten, und empfiehlt sich seinem Herrn Gevatter zu Gnaden; der aber verschwindet. So kommt der Doctor Tod nach Haus und sagt nichts davon, was ihm sein Gevatter geheißen hat. Bald darauf wird er zu einem Kranken gerufen. Wie er ins Zimmer tritt, sieht er seinen Gevatter zu den Füßen des Kranken stehen. Da sagt er zu den Leuten, sie sollten nur ohne Sorge sein, er wolle den Kranken schon gesund machen. Und richtig kommt es so; der Kranke wird gesund. So wird er noch zu mehrern Kranken gerufen und immer hat der Gevatter zu den Füßen gestanden. So hat denn der junge Doctor Tod gut heilen gehabt. Nachher kommt er auch zu einem Patienten, da steht der Gevatter zum Kopfe desselben. Da hat er den Leuten gleich gesagt, es sei hier alle Kunst vergeblich, der Kranke sei nicht zu retten. Und so ist er weggegangen. Die Leute haben dann einen andern Arzt genommen. Aber der Kranke ist immer wirklich gestorben, wenn's der Doctor Tod vorhergesagt hat. Dadurch ist er nun gewaltig in Ansehen gekommen, Alles hat den Doctor Tod zum Arzt haben wollen und er hat unmenschlichen Reichthum davon gehabt.

Einstmals wird er auch in ein vornehmes Haus gerufen, da steht der Gevatter Tod dem Kranken zum Haupt. [58] Da ruft er die Leute bei Seite und sagt, der Kranke sei nicht zu retten. Die Leute beschwören ihn um Gotteswillen, er möge doch den Kranken retten, denn wenn er stürbe, so seien sie verloren; ja sie fallen ihm zu Füßen und bitten und flehen so beweglich, daß er endlich sagt, nur ein einziges Mittel wisse er, aber es sei gefährlich für ihn selbst. Dabei sieht er nach seinem Gevatter hin und winkt ihm mit den Augen. Aber der rührt sich nicht vom Flecke und macht ihm ein böses Gesicht zu. Da thut er, als ob er sich entfernen wolle und winkt den Leuten, daß sie ihm vor die Thür folgen sollen. Draußen da sagt er ihnen, sie sollten sich ans Bett machen und es so geschwind wie möglich umdrehen. Darauf gehen die Leute hinein und drehen das Bett geschwind herum. Wie der Doctor dann wieder ins Zimmer tritt, steht der Gevatter zu den Füßen des Kranken, droht aber seinem Pathsohn mit dem Finger und sieht ganz mürrisch aus. Der aber setzt sich hin und verschreibt und sagt, nun sei der Kranke gerettet.

Wie er aus dem Hause tritt, auf dem Wege, ist der Gevatter bei ihm; der ist sehr zornig und spricht: „Das ist gegen die Ordnung, was du gethan. Es hat ein anderer für den Kranken sterben müssen.“ Zuletzt versöhnt sich der Tod mit seinem Pathen, aber nur zum Schein, und sagt: er solle mitkommen, er wolle ihm einmal sein Haus zeigen.

So führt ihn der Gevatter aufs Feld und da verbindet er ihm die Augen und führt ihn mit sich. Wie er ihn lange hin und her geführt hat, nimmt er ihm das Tuch von den Augen, und da sieht denn der Doctor, daß er mit seinem Gevatter in einem großen schwarzen Saale ist. Hier, sagt der Gevatter, ist meine Wohnung, und nun will ich dich auch umherführen und dir Alles zeigen. Darauf führt er ihn in einen andern Saal, der ebenfalls schwarz beschlagen ist. Da stehen unzählige Kerzen in Reihen beieinander und [59] hintereinander, einige noch ganz hoch und frisch angezündet, andere halb, andere fast ganz herabgebrannt.

„Aber lieber Pathvetter“, sagt der Doctor, „was hast du für eine Menge Lichter! Was brennst du denn so viele Lichter?“

„Das sind Lebenslichter“, sagt der Pathe. „Sieh, jeder Mensch hat so ein Licht. Wenn er geboren wird, so wird es angezündet. Wenn aber das Licht abgebrannt ist, so muß der Mensch sterben.“

„Ei so zeig mir doch auch einmal mein Lebenslicht, ich möchte wol wissen, wie lange ich noch zu leben habe.“

„Das kann ich dir wol zeigen.“

So zeigt er ihm sein Lebenslicht, so brennt das so kleine. Sagt er: „Warum brennt denn das so kleine?“ - „Die da groß brennen, leben lange, die da klein brennen, sterben bald.“

„Pathe, störe[6] mir mein Licht, daß ich noch lange lebe, ich bin ja dein Knecht.“ - „Sohn, das mußt du selbst thun.“ - Also thut der's, da fällt er hintenüber wie ein Huhn und ist todt; er hat's beim Stören versehen und das Licht ausgelöscht.


14. Das weiße Männchen und die Jungfrau.

In einer Waldung wohnte ein Mann, der hatte bei seiner Geburt den Zettel erwischt, wo auf beiden Seiten nichts steht, darum war er sehr arm und mußte im Walde sein Brot suchen. Eines Morgens ging er auch ins Holz, betete und jammerte um seine Nahrung, da kam ein weißes Männchen [60] und fragte ihn, was er da ankte und seufzte. Da stellte er alle seine Noth vor. So sagte das weiße Männchen: er solle von Allem genug haben, wenn er nach vierzehn und drei Viertel Jahren ihm geben wolle, was er nach drei Viertel Jahren bekäme. Der Mann willigte ein und hatte seitdem von Allem die Hülle und die Fülle, und so kam die Zeit heran, da erhielt seine Frau ein kleines Mädchen. Das Mädchen wuchs wie Wasser an Leibeskraft und Verstand. Der Alte aber gedenkt daran, daß nun die Tochter dem weißen Männchen gehört, und daß bald die Zeit kommt, wo es sie hinwegholen wird. Er wird tiefsinnig und Mutter und Tochter fragen ihn, warum er sich mit so vielen Gedanken plage. Er aber will es erst nicht bekennen, was er für einen Pact mit dem Männchen gemacht hat, endlich bekennt er es doch. Der Tag kommt heran, er versteckt die Tochter und denkt, das weiße Männchen soll sie schon suchen, bis es sie findet. Da kommt in der Mittagsstunde eine Kutsche mit vier Schimmeln und das weiße Männchen sitzt darin. Es fragt nach dem Mädchen, die Mutter aber sagt: das wäre nicht zu Haus. Das weiße Männchen steigt aus der Kutsche, geht hin wo das Mädchen verborgen ist, nimmt es, setzt es in die Kutsche und wie ein Wind sind sie entflohen. Es bringt das Mädchen in ein großes Schloß, überliefert ihm ein Bund Schlüssel und sagt, wie es sich zu verhalten hat; verbietet ihm aber eine Kammer, auf die es bei Verlust seines Lebens nicht gehen soll. Das junge Mädchen war neugierig, wie nun junge Mädchen sind, hörte auch Musik auf der Kammer, schaute durchs Schlüsselloch, konnte aber so nichts sehen. Am andern Morgen steckte es den Schlüssel ein, schloß auf und schaute ein wenig hinein, da sah es viele viele Lichter. Die Musik aber ward immer schöner. So steckte es den Kopf tiefer hinein und erblickte viele Todte und einen Lebendigen, der mitten [61] unter den Todten war und die Lichter besorgte, der war der Tod und die Lichter waren Lebenslichter. Das weiße Männchen aber wußte gleich (denn es wird wol selber der Tod gewesen sein), daß das Mädchen auf der Kammer gewesen war. Nun fragte es das Mädchen dreimal, ob es auf der Kammer gewesen wäre, und das Mädchen sagte immer nein. Da wird das weiße Männchen so ärgerlich, nimmt es und geht mit ihm auf eine hohe Klippe, da stürzt er es herunter.


15. Elend währt bis an den jüngsten Tag.

Die Apostel Petrus und Paulus machten einmal zusammen eine Reise, und als es Abend wurde, kamen sie miteinander an ein prächtiges steinernes Haus, darin wohnte ein reicher Geizhals. Die Apostel fragten eine Magd, welche im Bache vor diesem Hause Zeug spülte, ob sie dort übernachten könnten. Die Magd sagte, das werde ihr Herr aus Geiz nimmermehr zugeben, erbot sich aber, die Fremden zu ihrem Bruder zu bringen, der ein armes Bäuerlein war. Er hieß Elend, hatte nicht Weib und Kind, und wohnte gleich nebenan in einer dürftigen Hütte.

Das Bäuerlein hüpfte vor Freuden fast bis an die Decke seiner niedern Stube, weil es einmal zu einem Besuch kam. Es bot den beiden Aposteln sogleich an, daß sie sich Beide in sein Bett legen sollten, und wollte selbst auf dem harten Boden der Stube übernachten. Allein der Apostel Paulus sagte: „Leg du dich nur mit Petrus ins Bett, denn ich muß ohnehin die Nacht aufbleiben, weil ich zwei Briefe zu schreiben habe, den einen an die Korinther und den andern an den Timotheus; der hat einen so schwachen Magen, da will ich [62] ihm schreiben, daß er sich den Durst mit Wein stillen soll.“ Da legte sich der Bauer mit Petrus ins Bett, und der Apostel Paulus schrieb an die Korinther und an den Timotheus. Am andern Morgen aber sagten die Apostel zu dem Bäuerlein, daß es sich eine Gnade ausbitten sollte. Da sagte es: es hätte nichts in seinem ganzen Vermögen als einen Birnbaum und von dem würden ihm so oft Birnen gestohlen. Da hätte es nun den sehnlichen Wunsch, daß Niemand, der auf den Baum heraufstiege, ohne seine besondere Erlaubniß wieder herunter könnte.

Du wünschest sehr mäßig, sprachen die Apostel, und deine Bitte soll erfüllt werden. Darauf gingen sie ihres Weges.

Es dauerte aber nicht lange, da saß einmal des Morgens der reiche Geizhals, der dem Bauer gegenüber wohnte, auf dem Birnbaume. Der hatte wollen in der Nacht dem Armen Birnen stehlen und schrie gewaltig, als er sah, daß er von dem Baume nicht wieder herunter konnte. Elend aber klatschte vor Freuden in die Hände, als er seinen reichen Nachbar auf dem Birnbaume erblickte, und rief alle Nachbarn herbei, daß sie ihn dort sitzen sähen. Endlich versprach der reiche Geizhals, daß er ihm jeden Sonntag Mittag durch seine Schwester ein Huhn im Topfe schicken wolle. Da klatschte der Bauer Elend von neuem in die Hände, und ließ den Geizhals sogleich vom Birnbaume herunter. Von dieser Zeit an hat der Bauer auch richtig jeden Sonntag sein Huhn im Topfe gehabt, solange seine Schwester und der reiche Geizhals lebten.

Die waren aber Beide schon gestorben, als eines Tages auch zu Elend der Tod kam. Das Bäuerlein war jetzt schon ganz zusammengekrümmt, wie nun so ein Bäuerlein auf seine alten Tage eben ist. So saß der Elend auf der Bank vor seinem Hause, und als der Tod erschien, war er ganz [63] freundlich, daß einmal wieder Jemand zu ihm kam. Als nun der aber sagte, daß er der Tod sei, da sprach Elend: „Lieber Tod! ich habe nur den einen Wunsch, daß ich noch vor meinem Ende einmal Birnen von meinem Birnbaume essen kann. Hättest du nicht auch ein Lüstchen darauf?“ (Hier schmunzelte der Tod ein wenig, denn er hatte wirklich ein Lüstchen zu Birnen.) „Nun denn“, fuhr der Bauer Elend fort, „so steige hinauf auf den Birnbaum und hole uns ein Gericht Birnen herunter, ich selber bin schon steif und kann nicht mehr hinaufkommen.“

Der Tod kletterte nun auf den Birnbaum und wollte die Birnen herunter holen. Als er aber oben war und sich die Taschen voll gesteckt hatte, merkte er, daß er nicht wieder herunter konnte. Da kam der Bauer aus seinem Hause und klatschte wieder vor Freuden in seine Hände, daß er den Tod auf seinem Birnbaume gefangen halte. Endlich aber ließ er ihn laufen unter der Bedingung, daß er zu ihm nicht wieder kommen dürfe.

Darum lebt Elend noch bis auf den heutigen Tag, und stöhnt und seufzt, läßt sich's dann aber auch einmal wohl sein an seinen Birnen. Und ich fürchte sehr, der Vetter Juchheidom stirbt und Elend lebt bis an den jüngsten Tag, obschon ihm doch am Ende im Grabe wohler wäre als hier auf der Erde.


16. Der alte Fritz und der Schnappsack.

Es war einmal ein alter Soldat, der wurde genannt der alte Fritz, der hatte nur noch drei Sechser in seinem ganzen Vermögen und damit ging er in die Welt. Nun wollte [64] Petrus einmal prüfen, ob der alte Fritz wol ein gutes Herz hätte, setzte sich als Krüppel an den Weg, wo dieser alte Soldat vorbeikam und streckte ihm die Hand entgegen. Da gab ihm der sogleich den ersten Sechser. Wie er dann wieder eine Strecke weit fort ist, sitzt da Petrus wieder am Wege und hat die Gestalt eines noch jämmerlichern Krüppels angenommen. Gleich faßt der alte Fritz in die Tasche und gibt ihm den zweiten Sechser. Darauf hat Petrus noch einmal am Wege gesessen, und das dritte Mal hat er am allerjämmerlichsten ausgesehen. Da ist der alte Fritz nicht faul und gibt den letzten Sechser hin. Nun steht auf einmal Petrus selbst vor ihm und gibt ihm die Macht, drei Wünsche zu thun. Und wiewol er zugleich von Petrus ermahnt wurde, das Beste nicht zu vergessen, so wünschte er sich doch nichts als eine Pfeife Toback, ein Spiel Karten und einen Schnappsack, wo er hinein wünschen konnte, was er wollte. Seine Pfeife brannte sogleich, wie er sich das gewünscht hatte, und das Spiel Karten und der Schnappsack waren auch sogleich vorhanden. Der alte Fritz aber verirrte sich noch am Abend desselbigen Tages im Walde, und kletterte endlich, um sich umzuschauen, auf einen hohen Baum. Da sah er nicht sehr weit davon in einem alten Schlosse mitten im Walde ein Licht brennen, und damit er die Richtung nicht verfehlte, so warf er den alten dreieckigen Hut, den er auf dem Kopfe hatte, in der Richtung, in der das Schloß lag, vom Baume herunter. So fand er sich glücklich nach dem Schlosse; das war ganz leer und darin wollte er übernachten. Das Licht, das ihm von Ferne den Weg gezeigt hatte, stand auf dem Tische, daneben setzte er sich auf einen Stuhl und wartete ab, was geschah, wie sehr auch eine alte Frau, die in dem Schlosse war, ihn ermahnte, weiter zu gehen, weil es sonst sein Tod sein würde. Nach einiger Zeit klopfte es an die Thür, und der alte Fritz rief: [65] „Herein, wenn es Solo spielen kann.“ Sogleich kamen zwölf Geister herein, davon setzten sich drei mit ihm zum Spiel, einer davon hatte einen Pferdefuß und einen Menschenfuß, und im Gesicht Knopfaugen; dazu trug er einen dreieckigen Hut, einen großen Mantel und einen großen Stock; das war der Oberste der Teufel. Als das Solospiel aus war, faßten ihn alle zwölf Geister an und wollten ihn erwürgen, er aber wünschte sie alle in seinen Schnappsack, darin fingen sie an sich zu prügeln. Da holte er einen Pfahl herein und schlug die zwölf Geister in dem Schnappsack windelweich. Dann ließ er sie fliegen und sie flogen alle nach der Hölle zu.

So ging er weiter, und endlich kam der Tod zu ihm und wollte ihn holen. Da wünschte er den Tod auch in den Schnappsack. Als er den aber nach vielen Jahren einmal wieder öffnete, um zu sehen, ob der Tod gestorben sei, sprang er heraus, denn er hatte sich von einigen Brotkrumen genährt, die in dem Ranzen waren. Die Menschen hatten unterdessen oft gesagt: was heißt doch das, daß gar keine Leute mehr sterben? Kaum aber war der Tod aus dem Schnappsack, so brachen hier und da große Seuchen aus, und er raffte alle Menschen hinweg, die er durch seine Gefangenschaft zu tödten verhindert gewesen war. Nur zum alten Fritz kam er niemals wieder, denn er fürchtete sich vor dem Schnappsack. Aus Dem aber war jetzt ein steinalter Mann geworden, der sehnte sich nach dem Tode. Da ging er zu Petrus vor die Himmelsthür, der aber wollte ihn nicht hineinnehmen, weil er sich das Beste zu wünschen vergessen hatte, nämlich die ewige Seligkeit. Da kam einmal ein Teufel an, der unter den Zwölfen in dem alten Schlosse nicht mitgewesen war, und wollte ihn mitnehmen. Er folgte ihm bereitwillig, als er aber mit ihm vor die Hölle kam, standen da die andern zwölf Teufel herum, die er in seinem [66] Schnappsacke geprügelt hatte und hatten Maulaffen feil. Die erhoben ein großes Geschrei, denn sie fürchteten, daß er sie von neuem prügeln würde. Sie schlugen ihm also die Höllenthür vor der Nase zu.

Nun wird erzählt, da hätte der alte Fritz einen alten Schimmel genommen, den er gehabt hat, und wäre mit Gewalt in den Himmel hineingeritten, und wie sehr auch Petrus darüber lamentirt hätte, so hätte ihn unser Herr Gott doch darin behalten.


17. Der Schmied in der Hölle.

Ein Schmied machte sich auf mit seinem dicken Hammer und ging auf dem breiten Wege nach der Hölle zu. Als er hinkommt, ist da vor der Hölle so ein rundes Glas, da guckt er hinein. Da sieht er, daß da vier Teufel am Tische sitzen und spielen Solo. Da ruft er ihnen zu, daß er mitspielen wolle, sie aber verriegeln vor ihm die Thür. Da schlägt er mit seinem dicken Hammer dagegen, daß die Thür mitten in die Hölle hineinfliegt. Also fuhren die vier Teufel jeder in eine Ecke. Nun sagt er, sie sollten nur herkommen und mitspielen. Da sagen die Teufel: hier in der Hölle hätten sie kein Geld, wer gewönne, der solle jedesmal den schlechtesten Spieler todtschlagen mit dem dicken Hammer des Schmieds. Sie hofften aber, daß der Schmied am schlechtesten von ihnen Solo spielen würde. Also ist aber dieser Schmied so ein barbarischer Solospieler und gewinnt. Nimmt den Hammer und schlägt einen Teufel todt und spricht: „Da liegst du.“ Also fängt er mit den Dreien wieder an Solo zu spielen. Er gewinnt wieder. Nimmt er seinen dicken Hammer und [67] schlägt wieder einen auf den Kopf. „Du gehst gewiß nicht wieder umher“, sagt er. Also fängt er wieder an mit den Zweien Solo zu spielen. Da gewinnt er aber wieder. Nimmt er seinen dicken Hammer und schlägt den einen wieder auf den Kopf und sagt: „Da streckt er alle vier.“ Nun hat er nur noch einen, da ist das der jüngste Teufel von den allen zusammen. Spielt er wieder, und er gewinnt wieder. Den schlägt er auch noch todt und läßt sich von des Teufels Großmutter angeloben, daß wir niemals wieder einen Teufel in die Hölle bekämen. Sagt zu den Seelen, die da braten, sie könnten nun weggehen in den Himmel. Gehen die Seelen auch ab, gehen in den Himmel. Der Schmied der lebte da lange in der Hölle, wird ihm da zuletzt zu einsam, geht ins nächste Dorf, legt da achtundvierzig Brennereien an. Kommt einmal an so eine große Eiche, da steigt er hinein. Da hat sich ein Teufel versteckt, der gerade auf der Erde gewesen ist, wie der Schmied mit den andern Teufeln Solo gespielt hat, der sitzt in der Eiche und grunzt, kann unten nicht heraus und oben nicht. Er läßt ihn in der Eiche sitzen; als die aber umgehauen wird, fliegt der Teufel heraus. Wie er hinkommt in die Hölle, ist seine Großmutter und Alles weg. Da hat dieser Teufel sich selbst ums Leben geholfen, und es soll immer noch kein Teufel und keine ordentliche Hölle wieder sein.


18. Der Bauer und der Teufel.

Es war einmal ein Bauer, der hatte eine alte Frau, war selbst schon alt und bekam mit derselben noch ein Kind. Er hatte aber nichts, davon er das Kind konnte taufen lassen, [68] und schämte sich, bei seinem Alter sich etwas zur Kindtaufe zu borgen. Endlich ging er zu seinem Amtmann und bat diesen, ihm soviel zu Korn zu geben, daß er davon eine Kindtaufe bereiten könne. Der Amtmann schalt ihn anfangs wegen seiner Bitte aus, dann versprach er ihm das Korn unter dem Beding, daß der Bauer einmal bei seiner Leiche Wache hielte, wenn der Amtmann früher stürbe als der Bauer. Mein Bauer denkt in seinen Gedanken: ich bin alt und der Amtmann ist jung, wenn der stirbt, so lieg' ich schon längst im Grabe. Verspricht also dem Amtmann was er wünscht, nimmt sein Korn und hält Kindtaufe. Nicht lange danach aber stirbt der Amtmann. In der ersten Nacht nach seinem Tode sitzt der Bauer bei der Leiche und hält Wache. Da kommt der Teufel und bittet flehentlich, er möge doch das Bettlaken von der Leiche herunternehmen und ihm den Amtmann zeigen. Der Bauer sagt: nicht anders, als wenn er ihm eine Truhe mit Geld hole. Bald darauf kommt der Teufel mit der Truhe. Aber mein Bauer ist schlau, fragt den Teufel, aus welchem Hause er die Truhe geholt habe, und schilt ihn dann aus, indem er zu ihm sagt: die Truhe habe er seiner Schwester gestohlen und dies Geld würde er ohnehin einmal von ihr geerbt haben. Ueber diesem Zanken kräht der Hahn und der Teufel muß die Truhe mit Geld im Stiche lassen. Am zweiten Abend kommt der Teufel wieder und bittet den Bauer flehentlich, ihm den Amtmann zu zeigen; mein Bauer verlangt dafür wieder eine Truhe mit Geld, und sogleich schafft sie der Teufel zur Stelle. Der Bauer aber sagt, die Truhe habe er seiner Schwägerin gestohlen, welche er einmal beerben würde; er wolle ihn betrügen, und für dies Geld zeige er ihm den Amtmann nicht. Wiederum mußte der Teufel die Truhe beim Hahnenkrähen im Stiche lassen. Am dritten Abend, in der Nacht vor dem Begräbniß, kommt der Teufel wieder und bittet [69] ihm den Amtmann zu zeigen. Der Bauer ist jetzt reich genug, sagt dem Teufel aufrichtig, daß er ihm den Amtmann unter keiner Bedingung zeigen werde, und fragt ihn treuherzig, warum er ihn denn nur sehen wolle. Nun wird der Teufel gleichfalls aufrichtig und vertraut ihm an: wenn er den Amtmann nur sähe, so gehöre er auch schon ihm. Er ziehe ihm dann geschwind die Haut ab, hänge sie sich selbst um und ginge in der Haut des Amtmanns spuken. Dann würden sich die Leute verwünschen und verschwören, daß der Amtmann spuken ginge, und Alle, die sich so verschwören und verwünschen würden, gehörten dann ihm. So verwünschten und verschwörten sich die Leute oft, daß Dieser und Jener nach seinem Tode umginge; allein das müsse der Bauer ja nicht glauben, das sei er, der Teufel, der in der Haut der Leute spuke.


19. Der goldene Becher, die goldene Tischdecke und die goldene Trompete.

Es waren einmal ein Unteroffizier und zwei Soldaten, die sollten die Löhnung holen aus der Kriegskasse für die ganze Compagnie, geriethen aber mit dem Gelde in ein Wirthshaus und verspielten das ganze Geld, denn nicht umsonst sagt man vom Würfelspiel:

Es ist ein Ding von Elfenbein,
Fliegt wie ein Vögelein,
Verzehrt den Müller und den Mühlenstein,
Den Bauern, das Roß und den Hof.

Da mußten die Soldaten die Flucht ergreifen und wurden unterwegs in einem Wirthshause an der Landstraße mit [70] einem Spielmann bekannt, der hielt sie frei mit Allem, spielte ihnen auf einer goldenen Trompete die schönsten Stücke vor, trank ihnen aus einem goldenen Becher zu und deckte ihnen jeden Mittag ein goldenes Tischgedeck auf, wovon sie aßen. Nachdem nun der Musikant in dem Wirthshause eine Zeit lang Alles für sie bezahlt hat, gibt er ihnen auf, binnen drei Tagen zu rathen, woraus dies Alles sei, der goldene Becher, das goldene Tischgedeck und die goldene Trompete, und kündigt ihnen an, wenn sie es binnen drei Tagen nicht errathen könnten, so würde es ihnen schlimm ergehen.

Da zogen die drei Soldaten ganz tiefsinnig umher und sannen nach, woraus die drei Dinge wol seien. Der Unteroffizier aber begegnete einer alten Frau, die fragte, was ihm fehle. Er antwortete zwar, sie könne ihm doch nicht rathen, aber sie erwiderte: Alles wüßte man nicht, er möge ihr nur sagen, was ihm das Herz drücke, und abwarten, ob sie ihm doch vielleicht helfen könne. Da gestand der Unteroffizier ihr Alles und die Frau sprach zu ihm: „So geh denn dort auf den Berg hinauf, da kommst du auf einen grünen Platz, da steht eine hohle Eiche, in der steige hinunter und mache dir an der Seite ein kleines Loch hinein, sodaß du Alles sehen und hören kannst. Doch verhalte dich ruhig und gib genau Achtung, denn es werden wol ihrer zwölf Teufel nach der Eiche kommen, die werden sich befragen, was der Eine und was der Andere ausgerichtet hat. Da werden sie auch wol von der Aufgabe reden, die der Spielmann Euch gestellt hat, denn dieser Spielmann ist der König dieser zwölf Teufel.“

Der Unteroffizier that, wie die alte Frau ihm gerathen hatte. Er saß noch gar nicht lange in der Eiche, da kamen die zwölf Teufel an, und der Teufelskönig sprach seine Freude aus, weil er den drei Soldaten nun bald würde den Hals umdrehen können. „Was hast du ihnen denn für eine Aufgabe [71] gestellt?“ fragte einer der andern elf Teufel. Da antwortete der Teufelskönig: „Sie sollen rathen, woraus der goldene Becher ist, aus dem sie trinken, das goldene Tischgedeck, wovon sie essen, und die goldene Trompete, worauf ich ihnen Musik machte. Und das werden sie nimmermehr errathen, daß ich als Trompete des Wirths Katze, als Tischdecke eine Pferdehaut und als Becher einen Pferdekopf gebrauche.“ Der Unteroffizier hörte noch manches Andere in der Eiche mit an. Als die zwölf Teufel auseinander gegangen waren, kehrte er zu seinen Kameraden in das Wirthshaus zurück.

Die Frist, welche der Spielmann den drei Soldaten gegeben hatte, war jetzt abgelaufen. Als es Mittag war, stellte er sich wieder bei ihnen in der Wirthsstube ein mit der Trompete, dem Becher und der Tischdecke. Er fing auch wieder an, die schönsten Stückschen zu spielen, allein der Unteroffizier rief ihm zu, er solle ruhig sein, sie wollten es nicht mehr hören, wie er auf der Katze des Wirths Musik mache. Da erschrak der Teufelskönig, nöthigte sie aber doch noch von seiner goldenen Tischdecke zu speisen und aus seinem goldenen Becher zu trinken. Da schrie der Unteroffizier: „Wir essen von keiner Pferdehaut und trinken aus keinem Pferdekopf.“ Als der Teufel so vernahm, daß sie Alles wußten, fing er furchtbar zu brüllen an, flog zum Wirthshause hinaus und nahm im Fortfliegen ein Fenster mit, das können sie heutiges Tages noch nicht wieder einsetzen. [72]

20. Der Teufel und die Handwerksburschen.

Es waren einmal vier Handwerksburschen, die litten große Noth, da kam der Teufel an und erbot sich für sie zu sorgen. Nach einiger Zeit wollte er das Anrecht geltend machen, das er dadurch auf sie gewonnen hatte. Sie aber verlangten, daß er ihnen vorher noch eine Aufgabe lösen solle, und das mußte er auch eingehen, weil die Handwerksburschen es in ihrem Contract hatten, den sie mit ihm gemacht. Da gab der älteste Handwerksbursche, der ein Zimmermann war, dem Teufel auf, er solle sich vor einen Wagen spannen und darauf dreißig Stamm Bauholz vom Walde her in die Stadt fahren. Das war aber dem Teufel ein Spaß und er jagte ordentlich mit dem Bauholze in die Stadt hinein, als wären vier stattliche Hengste davor, spannte sich dann vom Wagen los und drehte dem ältesten Handwerksburschen den Hals um. Der zweite Handwerksbursche war von Profession ein Steinmetz, der hatte schon lange vorher sich damit abgegeben, Steine auf dem Berge vor der Stadt zusammenzutragen, und als jetzt der Teufel ihm den Hals umdrehen wollte, sagte er ihm: er müsse erst die Steine alle wieder dahin bringen, wo er sie sorgfältig weggetragen habe. Da entsteht ein heftiges Brausen, die Steine sind wieder an dem Orte, wo sie früher gelegen haben, und der Teufel dreht auch dem zweiten Handwerksburschen den Hals um. Jetzt kam die Reihe an den Dritten. Der war ein gelernter Wagner und verlangte, der Teufel solle eine Kutsche mit drei Rädern nehmen und ihn so darin durch die Stadt fahren, daß allemal dicht vor den Hufen der Pferde und unter dem Wagen die Straße mit [73] lauter blanken Thalern gepflastert wäre, sowie sie darüber hinführen. Hinter der Kutsche aber solle er die Thaler sogleich wieder wegreißen, und dazu solle er noch während des Fahrens die vierte Achse, an der kein Rad sitzen dürfe, tragen. Auch das führte der Teufel aus, die Kutsche jagte auf drei Rädern durch die Stadt, vor den Hufen der Pferde und unter dem Wagen hat Alles von harten Thalern geblitzt und geblänkert, die dritte Achse aber ruhte auf der Schulter des Teufels, der sprang jeden Augenblick einmal darunter hervor und riß dicht hinter der Kutsche das Geld auf, mit dem die Straße gepflastert war. Dadurch gewann der Teufel auch den Wagner und drehte ihm den Hals um. Nun war nur noch der vierte Handwerksbursche übrig, der ein gelernter Töpfer war. Der nahm den Teufel vorher mit ins Wirthshaus, und ließ sich vom Wirth einen irdenen Teller geben. Mit dem irdenen Teller in der Hand öffnet der Töpfer das Fenster, läßt den Wind von draußen auf den Teller fahren, hält den Teller mit dem Winde dem Teufel hin und sagt: „Kannst du da einen Knoten in den Wind auf dem Teller machen, ehe er verfliegt, so sollst du mir auch noch den Hals umdrehen.“ Das kann der Teufel nicht, flieht zum Fenster hinaus, läßt aber einen solchen Gestank nach sich, daß in der Stadt dazumal viele Menschen erstickt sind.


21. Der Teufel auf dem Heuwagen.

Es war ein Mann, der hatte so viele Kinder, und wußte für die vielen Kinder kein Brot zu schaffen. Da ging er ins Holz, da begegnete ihm der Teufel. Da fragt der Mann, ob er ihm kein Geld schaffen könne, und da sagt der Teufel: Ja, wenn der älteste Sohn aus der Schule [74] käme[7], ob er ihm den geben wollte? Da sagt der Mann: Ja. Als der Junge aus der Schule ist, muß er mit seinem Vater mit, da nimmt der Junge ein Gesangbuch mit, und wie sie auf den freien Platz im Walde kommen, wo der Teufel einst seinen Vater getroffen hat, da beschreibt der Junge so viele Kreuze um sich her in der Erde, da setzt er sich hinein und liest. Sein Vater aber geht betrübt wieder nach Hause. Da kommt der Teufel auf den Platz im Walde gefahren, und sitzt oben drauf auf einem Fuder Heu und hat zwei Mäuse vor so einen großen Heuwagen gespannt. Der Junge liest aber immer fort und sieht nicht hin nach dem Heuwagen mit den Mäusen. Wenn er geguckt hätte und hätte gelacht, dann hätte er mit gemußt mit dem Teufel. So aber hat er können wieder nach Hause gehen und ist mit seinen Aeltern und seinen Geschwistern steinreich gewesen von dem Gelde, das der Teufel seinem Vater gegeben hat.


22. Samiel und der Fischer.

So ist denn auch einmal ein König gewesen, der hat Lust gehabt Fische zu essen und befiehlt seinem Fischermeister, er solle Fische fangen. Der kann aber keine Fische fangen, und weil er den Zorn des Königs fürchtet, wenn er keine Fische bringt, so ruft er beim Fischen immer: Samiel hilf! Endlich kommt ein Mann in grünem Rock und grüner Mütze, der fragt, ob das sein Ernst sei, daß Samiel ihm helfen solle. Der Fischer bejaht es, und der in grünem Rock und grüner Mütze sagt: er wäre Derjenige, den er gerufen habe. Wenn [75] er ihm später seinen Sohn geben wolle, könne er Fische haben so viel er wolle. Darauf machen sie einen Pact, den der Fischer mit seinem Blute unterschreibt, und er bekommt seine Fische.

Als nun die Zeit herankam, wo der Grüne den Sohn des Fischers abholen wollte, zog der in die weite Welt. Bald traf er zwei Menschen, die stritten sich um einen alten Hut, welcher Den, der ihn aufsetzte, unsichtbar machte. Die machten ihn zu ihrem Schiedsrichter, er aber nahm den Hut in die Hand und setzte ihn auf. Da konnten sie ihn nicht mehr sehen und er schlich sich davon. Nachdem er eine Strecke weit gegangen war, kam er zu zwei Menschen, die sich um einen Reitsattel schlugen. Der trug einen jeden so schnell wie ein Vogel fliegt durch die Luft. Er hatte jetzt seinen Hut abgenommen, da machten sie ihn wieder zum Schiedsrichter. Er aber setzte sich wie aus Spaß auf den Sattel und flog davon. Nun war er mit dem Hut und dem Sattel vor Samiel sicher.

Er kam aber an ein Schloß, da lagen zwei Löwen davor. Hier ging er die Treppe hinauf, und oben winkte ihm ein versteinerter Mann zur Thür hinein. Er geht hinein, legt sich hin und schläft ein. Da kommt eine Prinzessin und sagt, er solle sie erlösen. Drei Nächte lang würden ihn die Geister quälen, er dürfe aber keinen Laut von sich geben. Das versprach er ihr, und da kniffen ihn die Geister in der Nacht mit Zangen. Die Prinzessin aber erschien ihm am ersten Tage im schwarzen und am zweiten Tage im weißen Kleide. Als der Fischerssohn in der dritten Nacht alle Folterqualen überstanden hatte, da ertönte Musik und Hurrah, und da war die Prinzessin erlöst, und der steinerne Mann, der ihr Diener gewesen ist, war auch erlöst. Sie aber heirathete den Fischerssohn, und sie haben lange glücklich und in Freuden gelebt. [76]

23. Jungfer Schön.

Es war in einer Stadt ein wunderschönes aber armes Mädchen. In das verliebte sich ein Kaufmann und freite sie. Weil aber die Kaufleute viel Geld als Mitgift gebrauchen, so übergibt sie sich vor der Hochzeit dem Teufel. Nun bringt ihr der Teufel ein großes Vermögen unter dem Beding, daß sie in einem Jahre ausmitteln müßte, was er noch für einen Namen habe, sonst soll sie ihm verfallen sein. Allein nun ist das Jahr bald um und sie weiß den andern Namen des Teufels noch immer nicht. So liegt nun eines Nachts vor der Stadt ein Schäfer in seiner Hütte, der wacht einmal auf und sieht nicht weit von der Hütte ein Feuer. Dem Feuer geht er an einem Berge nach und sieht verschiedene Gestalten darumher tanzen. Eine davon springt besonders lustig um das Feuer herum und singt:

Dat is gaut, dat is gaut,
Dat de Jungfer Schön nich weit,
Dat eck Hipche, Hipche heit.[8]

Der Schäfer geht den andern Tag zu der Kaufmannsfrau und erzählt, was er gesehen und gehört. Sie aber merkt sich den Namen, und als das Jahr ganz herum ist, kommt der Teufel und sie nennt den Namen: Hipche. Da war der Teufel geprellt und die Jungfer Schön lebt glücklich und reich mit ihrem Kaufmanne, und ihr Handel breitete sich aus über Land und Meer von dem Gelde, das sie dem Teufel abgenommen hatte. [77]

24. Die Teufelsmühle und die Zwergmühle.

I.

Es war einmal ein Vielfraß, der aß, um satt zu werden, einen Braukessel voll Erbsen und drei Neunpfundbrote. Er hatte aber nichts als tolle Streiche im Kopfe. Zuerst vermiethete er sich zu vier Pferden bei einem Bauer, der jagte ihn aus dem Dienste, weil er beim Holzfahren mit den übrigen Knechten, die am Morgen früher in den Wald gefahren waren als er, seinen Schabernack trieb. Darauf kam er in eine Teufelsmühle, die noch kein Mühlknappe lebend wieder hatte verlassen dürfen. Der Müller nahm ihn als Mühlknappen an, sagte ihm aber alsobald, daß es in der Mühle nicht richtig sei. Der Vielfraß machte nun in der Nacht ein großes Feuer um die ganze Mühle herum an. Plötzlich treten zwölf Personen ein und stellen sich um das Feuer. Der Mühlknappe bestellt seine Mühle und erstaunt, als er die vielen Personen um das Feuer herum vorfindet. Nun ist es Zeit, sagen die. Antwortet einer: Meister muß den Angriff thun. So greift der zu mit dem dreieckigen Hute und auch mit dem großen Pferdefuße. „Wollt ihr hier mir etwas thun, so geht euch eure Lende drauf“, sagt der Mühlknappe. Er setzt Den, der ihm etwas thun will, auf einen Mühlstein und schleift ihm die Lende ab. Alle verschwinden sie vom Feuer zum Schornstein heraus und schreien laut: Der ist mehr als wir Teufel alle zusammen!

[78]

II.

In einer andern Mühle konnte der Müller keinen Mühlburschen behalten und versprach dem, der die Mühle von zwölf Zwergen befreite, die alle Nacht dort hinkamen, seine Tochter zur Frau. Da kam ein alter Soldat, als der die erste Nacht in der Mühle wachte, erschienen auch gleich die zwölf Zwerge, die hatten ihren Sitz da, wo Korn aufgeschüttet wurde, speisten aber um Mitternacht am Mühltische, der auf einmal mit den schönsten silbernen und goldenen Geschirren gedeckt war. Da warf der alte Soldat mit einem Trumm[9] nach ihnen, da waren auch gleich vier Zwerge todt. Die andern ergriffen die Flucht, hinter denen schoß er drei Pistolen ab und hörte, wie sie einander zuriefen: Laßt nur den alten Großvater Trutram nicht im Stich! Seit dieser Zeit sind die Zwerge nicht wieder in die Mühle gekommen und der alte Soldat hat des Müllers Tochter geheirathet.


25. Die Verächter des Heiligen.

Es waren einmal an einem Orte zwei Pfarrer, die waren den ganzen Tag über miteinander betrunken. Einstmals vergaß sich der eine Prediger so weit, daß er einem Kranken, zu dem er gerufen wurde, statt der Oblate harten Käse und statt des Weines dicke Milch beim Abendmahl gab. Gleich darauf ging er mit dem andern spazieren. Da kamen sie an ein Loch in der Erde, und da gab der ihm in der Trunkenheit aus Scherz einen Stoß, sodaß er ins Loch fallen [79] mußte. Das Loch aber hatte keinen Grund, und so fiel er bis auf einen grünen Platz, der vor der Hölle war. Da jagte immerfort ein Jäger nach einem Stück Wild, konnte aber nicht reden. Auf dem grünen Platze floß auch ein Wasser und an dem Wasser stand ein Mädchen splitterfasernackt und wusch auf, das konnte auch nicht reden. Auf dem Rasen waren auch Musikanten, die machten immerfort Musik, und Tänzer und Tänzerinnen waren dabei, die tanzten immerfort, als wär's unter der Linde im Dorfe. Aber auch die Musikanten und die Tänzerinnen waren stumm.

Auch stand ein Ruhebett auf dem grünen Platze, darauf lag schon der andere Pfarrer, der ihn heruntergestürzt hatte, und neben ihm brannte auf einem Tische ein großes Kirchenlicht, davon tröpfelte ihm ohne Unterlaß Wachs auf die bloße Brust. Der aber erklärte ihm Alles, als ob er schon viele Jahre dort sei, und sprach: „Der Jäger hat einmal am Sonntage gejagt, darum muß er nun auf dem grünen Platze in der Hölle immerfort jagen so eifrig, daß er nicht reden kann. Das Mädchen hat einmal unter der Kirche aufgewaschen, so eifrig, daß sie einem Vorübergehenden, der ihr: Guten Tag! gesagt hat, nicht einmal dankte; darum steht sie splitterfasernackt am Bache, ist stumm und wäscht immerfort auf. Die Musikanten und die Tänzer haben unter der Kirche gespielt und getanzt, darum spielen und tanzen sie hier immerfort und können auch nicht reden.“

Der Pfarrer sagte ihm auch, wie er noch einmal aus der Hölle herauskommen könne, wenn er durch drei eiserne Thüren ginge, und rieth ihm, sich vor dem Teufel zu verstecken, wenn er den mit einer Seele ankommen sähe, die er eben hätte holen wollen. Das that er denn auch und kam glücklich noch einmal auf die Erde. Da zeigte es sich aber, daß er volle fünfhundert Jahre fortgewesen war. [80]

26. Der Bauer in jener Welt.

An einem Orte hatten sie einen schlechten Pfarrer und einen noch schlechtern Amtmann, darum waren sie der Geistlichkeit und dem Jus gar abhold. Dort sagte einmal ein Bauer zum Pfarrer: „Ich hatte einen merkwürdigen Traum. Mir war, als wäre ich gestorben und käme eben in jener Welt an. Ich wollte gleich in die erste Thür gehen, aber da rief mir Petrus zu: Ja, mein lieber Bauer, da kommst du nimmermehr herein! Da ist Niemand drein als die heilige Dreieinigkeit und die zwölf Apostel. Du mußt schon weiter heruntergehen. So sprach der Apostel Petrus und ich kam an die nächste Thür, sah durchs Schlüsselloch, und das schien der eigentliche Himmel zu sein für die Menschen, da waren aber lauter alte Weiber darin. Ich mußte also bis an die nächste Thür gehen und da sah ich, daß es in dem Zimmer schon nicht mehr so recht geheuer war. Denn es waren lauter dicke Pfarrer darin, die schnauften und prusteten und wischten sich immerfort den Schweiß vom Gesicht.“

Als der Pfarrer, der selbst einer von der dicken Sorte war, das hörte, wurde er sehr ärgerlich, ließ den Bauer stehen und ging zum Amtmann, um ihn zu verklagen. Der Amtmann ließ den Bauer alsobald vor sich rufen, um ihn über seine lästerlichen Reden zu vernehmen. Da sprach der Bauer: „Der Pfarrer hat mich ja noch nicht einmal auserzählen lassen. Da ich in dieses Zimmer auch nicht hineingehörte, so ging ich an die nächste Thür und dachte: irgend wo mußt du doch sein, trat also sogleich ein. Aber da war ich in diesem Zimmer schon vollständig in der Hölle, und der Teufel schürte das Höllenfeuer ohne Unterlaß. Es [81] waren aber in diesem Zimmer nichts als Juristen. Ich dachte, du mußt nun doch hier bleiben unter den Juristen, damit du endlich einmal ein Unterkommen findest, und pflanzte mich ohne Umstände in einen Großvaterstuhl, der recht breit und majestätisch in der Mitte des Zimmers stand. Aber da kam ich schön an! Denn der Teufel fuhr mit der Ofengabel auf mich los und schrie: Erkennst du denn den Stuhl nicht, und siehst du nicht, daß der für den Herrn Amtmann in Bereitschaft steht?“

Bei diesen Worten fuhr der Amtmann von seinem breiten Lehnstuhle auf, der Bauer aber rief ihm zu: „Ruhig Blut, Herr Amtmann! Setzet gefälligst doch zu dem Protokoll, das Ihr da schon aufgeschrieben habt, hinzu: ›Wie der Teufel auf den Hansjochen losfuhr, da wachte der auf, es hat ihm Alles nur geträumt‹, - und dann will ich sehen, wer mir dafür etwas anhaben kann.“


27. Die Geschenke der Klagefrau.

Es waren einmal vier Brüder, die dienten miteinander dem Könige und standen eines Tages alle Vier Wache hinter dem Königsschlosse. Das Königsschloß aber stieß auf dieser Seite an einen schönen blauen See, und da es gerade ein heißer Sommertag war, zog der jüngste Bruder zuerst seine Soldatenkleidung aus, legte sie mit seinem Gewehr und seinem Degen an den See und schlüpfte hinein ins Wasser, um sich zu baden, und das thaten ihm die drei andern Brüder nach. Wie sie nun eine Zeit lang im Wasser geplätschert und sich ein wenig erquickt hatten, kommt da die Königskutsche angefahren und darin sitzt der König. Da steigen die Soldaten [82] geschwind aus dem Wasser heraus, haben aber nur Zeit, ihre Tsackos aufzusetzen, die Degen umzuhängen und das Gewehr in den Arm zu nehmen, und stellen sich im Uebrigen ganz nackend nebeneinander auf hinten am Königsschlosse und präsentirten also vor seiner Majestät, ihrem allergnädigsten König und Herrn.

Allein der König verstand das Ding unrecht und war kaum in das Königsschloß eingetreten, als auch schon die Häscher herauskamen, um die vier Brüder auf ihrem Posten zu greifen und gebunden vor den König zu führen. Die hatten unterdessen ihre Soldatenkleider wieder angelegt und wie sie die Häscher kommen sahen, warfen sie ihre Waffen weg und flohen in den Wald. Dort hielten sie sich den ganzen Sommer und Herbst über in einer Hecke[10] verborgen und nährten sich kümmerlich von Beeren und Wurzeln, weil der König in seinem Zorn den ganzen Wald mit Häschern umzingelt hatte, um sie einzufangen. Eines Tages im Spätherbste zündeten sie hier auch, wie sie zu thun pflegten, in der Hecke ein Feuer an, da kam ein Klageweib zu ihnen, um sich zu wärmen, und als sie sich gewärmt hatte, gab sie dem ältesten Bruder einen Beutel - so oft er in denselben hineingriff, zog er eine Pistolette hervor. Am andern Tage kam das Klageweib wieder. Als sie sich gewärmt hatte, gab sie dem zweiten Bruder eine Trompete, wenn er da hineinblies, so mußten unzählige Soldaten zu seinem Dienste herbeieilen. Am dritten Tage kam die Klagefrau abermals. Als sie sich in der Hecke am Feuer gewärmt hatte, gab sie wieder einem der Brüder - das war der jüngste - einen Hut. Wenn er diesen aufsetzte und beföhle etwas, sagte sie, so müßte es geschehen. Am vierten Tage kam die Klagefrau noch einmal, und nachdem sie sich gewärmt [83] hatte, reichte sie dem dritten Bruder, der noch nichts erhalten hatte, einen Mantel. Wenn er diesen umhing, so konnte er sich mit seinen Brüdern hin versetzen, wohin er wollte. Nun brauchten die vier Soldaten nicht länger im Walde zu bleiben, und sie flogen gleich nach Lüneburg, denn das ist doch ein Ort, wo man für sein Geld was haben kann. Wup waren sie in Lüneburg. Da nahm der älteste Bruder einen ganzen Tag lang Goldstücke aus dem Beutel, und dafür kauften sie sich die prächtigsten Kleidungsstücke und goldene Uhren, und Ringe an alle zehn Finger. Sodann kauften sie sich vier prächtige Pferde und einen schönen Wagen, ließen aber die Hufe der Pferde nicht mit Eisen beschlagen, sondern mit Stahl, und ebenso ließen sie stählerne Reifen um die Wagenräder legen. Dazu mietheten sie nun einen Kutscher, der die Pferde lenken mußte, und außerdem einen Bedienten und eine Köchin, die ihren Sitz beieinander hoch oben hinter dem Wagen hatten. So fuhren sie durch die Welt mit fortwährendem Juchheiraßaßaßa, und wo sie hinkamen, da mußte ihnen die Köchin ihre Lieblingsspeisen bereiten. Mit den vier Pferden und den Rädern, die mit Stahl beschlagen waren, hatte es ganz andern Zug als mit andern Wagen und Pferden.

Einstmals fuhren sie auch so dahin und jagten an dem Königsschlosse vorbei, wo sie alle Vier nackend vor dem König das Gewehr präsentirt hatten. Der stand am Fenster und erkannte sie natürlich nicht wieder, und Niemand auf dem Schlosse erkannte sie wieder. Der König aber wurde sehr neugierig, was das für junge Herren wären, die so prächtig durch die Welt kutschirten, und schickte einen Reiter hinter ihnen her, der mußte sie fragen, ob sie denn nicht von königlichem Geblüte wären. Auch mußte er bestellen, wenn das der Fall wäre, so möchten sie doch nicht so an seinem Schlosse vorbeijagen, sondern hübsch bei ihm zu Hofe kommen, [84] wie es sich für Prinzen gezieme. Der Jüngste, dem die Königstochter, welche an einem andern Fenster als der König gestanden hatte, von Ansehen gar wohl gefallen, sagte sogleich, das sähe man ihnen doch wol an, daß sie Prinzen von Geblüte seien, sie seien die vier Prinzen von Gronefend. Und so fuhren alle vier Brüder mit zu Hofe.

Mit dem Könige wurden sie bald gut bekannt, und spielten immer mit ihm Karten, denn die meisten Menschen hatten nicht Geld genug, daß sie mit dem Könige Karten spielen konnten, weil der nicht um einen Mathier oder Mariengroschen, sondern stets um viele, viele feine Gülden spielte. Als er aber sah, daß der älteste Bruder, das war der mit dem Säckel, beim Spiel mehr Geld habe als er selbst, hielt er alle Vier für Spitzbuben und fing an sie zu schelten. Da schalten sie den König wieder, der aber trat ans Fenster, stieß ins Horn und bald umgaben ihn seine Reisigen. Da stieß der zweite Bruder auch in seine Trompete; da kam eine ungeheure Heeresmacht an, und bald war die Schar der Reisigen um ihn her noch viel größer als um den König. Ihre Soldaten standen in der schönsten Schlachtordnung da, der alte Blücher hätte sie nicht besser aufstellen können, und alle die Kanonen und Flintenläufe waren gerade auf des Königs Soldaten gerichtet. Als der König aber sah, wie gut ihre Armee war, machte er mit ihnen einen Waffenstillstand. Da war nun Alles in schönster Ordnung: der Vorposten von dem Heere der vier Brüder stand dem Vorposten von dem Heere des Königs gerade gegenüber, und hinter ihnen rauchten zu beiden Seiten unzählige Wachtfeuer. Da wurde den ganzen Tag über von den Soldaten gekocht. Die Generale und die übrigen Offiziere der vier Brüder aber, sowie die des Königs wohnten in schönen Zelten während des Waffenstillstandes, und die Zelte, die den Generalen der vier Brüder gehörten, waren noch viel schöner als die der [85] Generale des Königs. Da hättet ihr sehen sollen, wie an dem See hin bis nach dem Walde, wo die vier Brüder sich einstmals verstecken mußten, die blanken Waffen von den Soldaten der beiden Heere in der Sonne glänzten!

Unterdessen fing der König wieder an, mit den vier Brüdern Karten zu spielen, denn das war ihm lieber als Alles auf der Welt. Und unter dem Spiele, wie einst die Karten von neuem vertheilt wurden, sagte er einmal zu dem zweiten Bruder, der die Trompete von der Klagefrau erhalten hatte: „Was hilft es, daß wir uns noch ferner befehden und unsere Heere gegeneinander kämpfen lassen? Entlaß du deine Soldaten, wir wollen den Waffenstillstand in einen dauerhaften Frieden verwandeln, und ihr vier Brüder sollt euch an meinem Königshofe über nichts wieder zu beklagen haben.“ Da trat der zweite Bruder, der das Horn hatte, ans Fenster, öffnete es ein wenig und winkte seinem Obergeneral mit den Händen, daß das Heer entlassen sei. Da war das ganze Heer verschwunden und der Obergeneral mit, und da spielten die vier Brüder weiter mit dem Könige Karten.

Allein die Prinzessin war nun einmal neugierig geworden, was es für eine Bewandtniß habe mit den vier Brüdern, da sie gesehen hatte, wie so viele Regimenter Soldaten plötzlich angekommen waren, als der zweite Bruder ins Horn stieß, ohne daß man wußte, woher sie kamen und wohin sie gingen, als sie verschwanden. Sie gab sich also eines Tages ins Gespräch mit der Köchin der Brüder und suchte sie auszuforschen. Die aber sprach:

„O gnädigste Prinzessin, das ist mir ein lustiger Dienst bei den vier Brüdern. Die Trompete des zweiten Bruders und ihre Wirkungen habt Ihr gesehen. Aber wisset, daß der dritte von ihnen noch einen Zaubermantel hat und der erste einen Geldsäckel, der unerschöpflich ist. Nur [86] der Jüngste ist ein armer Tropf und lebt nur von seinen Brüdern, wenigstens habe ich nichts Außerordentliches bei ihm wahrgenommen. Eins muß ich Euch aber noch sagen, nämlich daß die vier Brüder eigentlich gar keine Prinzen sind, sondern nur die entlaufenen Soldaten Eures Vaters, welche einmal nackt vor ihm auf Wache präsentirt haben.“ Dasselbe sagte nachher auch die übrige Dienerschaft der vier Brüder aus.

Als die Prinzessin erfahren hatte, daß dies die vier Soldaten seien, welche nicht lange vorher von ihrem Posten desertirt waren, eilte sie schnell zu ihrem Vater und beredete sich mit ihm, daß sie mit List ihnen ihre Zaubersachen rauben und daß dann der König sie ins Gefängniß werfen und bestrafen lassen solle. Die Prinzessin bestach also den Kutscher und den Bedienten der Brüder, und die brachten ihr nach einiger Zeit den Säckel, der niemals leer wurde, den Zaubermantel und die Trompete, auf deren Schall ein ganzes Heer von Soldaten herbeieilte. Diese Dinge versteckte die Prinzessin in ihre Kammer, und sobald der König erfuhr, daß die Brüder ihrer Zaubersachen beraubt seien, sagte er ihnen auf den Kopf zu, daß sie seine entlaufenen Soldaten seien. Darauf ließ er sie gefangen nehmen und in den Thurm werfen. Es hatte aber der jüngste der vier Brüder seinen Wunschhut noch auf dem Kopfe, von dem die Dienerschaft der vier Brüder nichts gewußt hatte.

Also wünschte er erst einmal Speck und Wurst herbei, sowie sie in dem Thurme waren und hungrig wurden, und wie er es wünschte, so kam eine ganze Speckseite an, und dann kamen ganze Piepwürste und Knackwürste und Alles was man sich an Würsten nur wünschen kann. Schmeckte auch Alles, als ob es lauter Göttinger Wurst wäre. Da wünschte der Soldat auch Wein dazu, und weil die vier Brüder am Königshofe ein Weinmaul bekommen hatten, so [87] wünschte er gleich für jeden Bruder die Sorte, die er am liebsten trank, dem einen Tokayer, dem andern Johannisberger, dem dritten Burgunder und sich selber wünschte er Champagnerwein. Und so machte er es alle Tage, nur daß er sich und seinen Brüdern am andern Tage statt Speck und Wurst schon Schweinebraten, und an dem folgenden Tage nichts als Wildbraten wünschte. Da hättest du wol auch mit in dem Gefängnisse sitzen mögen? Das glaub' ich wol, Hasenbraten und Hirschbraten schmecken besser, als was sonst des Knipps Frau kocht. - Einmal bekamen sie auch oben im Gefängniß Besuch von der Klagefrau.

Jede Nacht aber, wenn die andern drei Brüder schliefen, dann stand der vierte, dem der Wünschhut gehörte, auf, setzte ihn auf den Kopf und wünschte sich auch noch die Königstochter herbei. Und da that es dann allemal einen Knack und dann kam ein großes Himmelbett durch die Wand und ließ sich auf dem Boden des Gefängnisses nieder. Wenn der Soldat die Vorhänge des Himmelbettes auseinander schlug, so lag die Königstochter darin.

Die Königstochter sträubte sich zwar immer gar sehr, zu dem Soldaten zu kommen, aber was konnte sie gegen ihre Bettsponde machen, die wie besessen war? Wie sie es eine Zeit lang so getrieben hatten, wurde ihr zuletzt himmelangst, weil sie keine Nacht Ruhe hatte. Deshalb sagte sie dem Soldaten einmal, wenn er sie des Nachts auf ihrer Kammer lassen wolle, so werde sie ihm den Mantel, die Trompete und den Säckel, kurz Alles, was sie seinen Brüdern mit List abgenommen hatte, einhändigen; sie habe die Trompete und den Säckel unter ihrem Kopfkissen und den Mantel unter ihrem Unterbette versteckt.

Dem Soldaten hatte das Leben mit seinen Brüdern im Gefängnisse, besonders weil ihn die Prinzessin immer besuchen mußte, so viel Vergnügen gemacht, daß er noch gar [88] nicht daran gedacht und nicht versucht hatte, auch die Geschenke seiner Brüder herbeizuwünschen, um dann mit Hülfe des Zaubermantels in ihrer Gesellschaft zu entfliehen. Kaum war aber der Prinzessin jenes Wort entschlüpft, als er sogleich auch ihre Sachen unter dem Kopfkissen ihres Bettes hervorzog. Darauf sprach er zu der Königstochter: wenn sie es verlange, so werde er sie jetzt auf ihre Kammer zurückziehen lassen, allein wenn er ihr rathen solle, so ließe sie sich diesmal nicht von ihm dahin zurückversetzen, denn man könne nicht wissen, wo nun das ganze Königsschloß bliebe, da seine Brüder wieder in Besitz der Zaubersachen seien, und da sie ihrer Diener und ihrer Köchin, welche noch im Schlosse wären, auch nicht schonen würden, weil sie wol wüßten, daß sie von ihnen verrathen seien.

Da fing die Königstochter bitterlich an zu weinen; doch der mit dem Wünschhute kehrte sich an Weiberthränen nicht und weckte den zweiten Bruder, dem die Trompete gehörte. Der stieß auch gleich ins Horn, da kamen viele Reisige an, die mußten den König mit seinen Räthen und Generalen, sowie das ganze Königsschloß, in Grund und Boden schlagen. Bei dem Lärm, der daraus entstand, wachte der dritte Bruder, dem der Zaubermantel gehörte, von selber auf und nahm ihn um, und wie die Königstochter das sah, fiel sie dem Bruder mit dem Wünschhute um den Hals und bat ihn, daß er sie doch mitnehmen möchte, weil sie in diesem Lande Niemand mehr hätte. Da wurde die Prinzessin von den vier Brüdern mitgenommen, und nun fuhren alle Fünf im Zaubermantel davon.

Seitdem heißt's wieder bei den vier Brüdern: immer lustig, lustig, lustig! Denn warum? weil sie den Säckel bei sich haben, worin das Beste steckt. Wenn sie sich aber einmal wieder an einem Orte festsetzen, so werden sie mir's schreiben, und dann wird wieder was zu erzählen sein. [89]

28. Das Reh, die Löwin und der Bär.

Ein Schmied hatte drei Söhne, die dienten dem Könige. Von ihnen war Einer sehr stark, muthig und wild. Wie der einmal im Vorzimmer des Königs während der Nacht Wache stand, kamen Löwin und Bär; sie klopften an die Wand, zogen einen Tisch hervor und die Löwin sprach: Tischlein decke dich für zwei Mann. Da standen die schönsten Speisen auf dem Tische und Löwin und Bär fraßen sich satt. Dann schoben sie den Tisch wieder in die Wand und verschwanden. Hierauf kam ein Reh, das klopfte auch an die Wand, nahm den Tisch heraus, und als das Reh gefressen hatte, stellte es den Tisch wieder in die Wand. Da nimmt der Soldat auch den Tisch heraus, indem er an die Wand klopft, und sowie er heraus ist, heißt er das Tischlein sich decken, und nachdem er gegessen hat, läuft er damit fort. Er kam aber zu einem Einsiedler und bat ihn um ein Nachtlager. Das wurde ihm gewährt, und der Soldat setzte den Tisch in die Stube und sprach: Tischlein decke dich für zwei Mann. Da standen Wein und Speisen vollauf auf dem Tische, und der Schmiedssohn aß sich mit dem Einsiedler satt. Am andern Morgen, als er aufbrechen will, sagt der Einsiedler zu ihm: „Wollen wir nicht tauschen? Ich habe hier eine alte Holster[11], wenn ich zu der sage: Dreißigtausend Mann Soldaten heraus, immer heraus, so marschiren dreißigtausend Mann Soldaten mit Gewehr und Gepäck heraus. Ich kann aber von der Holster hier in meiner Einsamkeit keinen Gebrauch machen, und das Tischlein [90] wäre mir lieber.“ Da nahm der Soldat die alte Holster für das Tischlein-deck- dich. Als er aber eine Strecke weit fort war, sprach er zu der Holster: Dreißigtausend Mann Soldaten heraus, immer heraus! Da marschirten auch richtig dreißigtausend Mann Soldaten mit Gewehr und Gepäck heraus; denen befahl er, ihm sogleich sein Tischlein- deck-dich von dem Einsiedler wieder zu holen. Es dauerte auch gar nicht lange, da kamen die dreißigtausend Mann schon mit dem Tischlein-deck-dich daher und verschwanden wieder in der Holster wie ein Hund, wenn er seine Pflicht gethan hat, in der Hundehütte.

Am Abende dieses Tages kam der Schmiedssohn wieder zu einem Einsiedler, und erhielt von ihm die Erlaubniß, bei ihm zu übernachten. Sie speisten miteinander von dem Tischlein-deck-dich, und das gefiel dem Einsiedler wieder gar wohl. Deshalb sprach er am andern Morgen zu dem Schmiedssohn: „Ich habe hier einen alten Hut, der macht unsichtbar, und wenn man ein Stück davon abreißt, so ist es eine Kanone und das Stück wächst immer wieder an. Mir nützt es nichts und ich würde dir gern den Hut für das Tischlein-deck-dich abtreten.“ Da gab der Schmiedssohn wiederum das Tischlein-deck-dich hin. Als er aber eine Strecke weit fort war, riß er ein Stück von dem Hute ab und gleich war's eine Kanone. Die richtete er gegen die Hütte des Einsiedlers, und als der die Kanone auf seine Hütte gerichtet sah, brachte er ihm sogleich das Tischlein-deck-dich zurück.

Am Abende dieses Tages kam der Schmiedssohn wieder zu einem Einsiedler, dem gefiel das Tischlein- deck-dich abermals sehr wohl, und er gab ihm am andern Morgen einen alten Mantel dafür, mit dem er durch die Luft fliegen konnte. Als der Schmiedssohn eine kleine Strecke weit mit dem Mantel davongeflogen war, nahm er seine Holster von der Schulter und rief: Dreißigtausend Mann Soldaten heraus, [91] immer heraus! Da kamen wieder die dreißigtausend Mann Soldaten aus der Holster heraus marschirt, nahmen dem dritten Einsiedler das Tischlein-deck-dich fort, brachten es dem Schmiedegesellen und marschirten in Reih und Glied wieder in die Holster hinein.

Am Abend des vierten Tages kommt der Schmiedssohn zu einem Einsiedler, der gibt ihm am nächsten Morgen für das Tischlein-deck-dich einen Stock und spricht: „Was du mit dem Stocke anrührst, ist dir getreu. Steckst du den Stock in die Erde, so entsteht sogleich vor dir ein großes schönes Schloß. Wenn du dann aber hier an der einen Stelle des Stockes drückst, so verschwindet es. Wenn du das Schloß aus dem Stocke entstehen läßt, so ist darin auch Speise und Trank vollauf vorhanden. Ich gebrauchte daher dein Tischlein-deck-dich gar nicht, aber weil ich ein Einsiedler bin, und gelobt habe, nur in meiner Hütte zu wohnen, so darf ich nicht in das Schloß hineingehen, wo die kostbaren Speisen sind, und deshalb kann mir der Stock nichts nützen. So nimm denn also den kostbaren Stock und laß mir dein Tischlein-deck-dich dafür.“

Diesmal ließ der Schmiedegesell dem Einsiedler das Tischlein-deck-dich, hing den alten Mantel um und flog mit der Holster, dem Hut und dem Stock sogleich bis vor des Königs Schloß, in dem er Wache gestanden hatte. Da steckte er den Stock in die Erde, und sogleich entstand daraus ein großes schönes Schloß. Als der König das sah, bot er seine ganze Heeresmacht auf, um das Schloß zu zertrümmern, das seinem Schlosse gerade gegenüber stand. Allein der Schmiedssohn rief sogleich seiner Holster zu: Dreißigtausend Mann Soldaten heraus, immer heraus! und von dem alten Hute riß er einen Fetzen nach dem andern ab, und jedes Stück war eine Kanone. Da entstand eine große Schlacht zwischen der Heeresmacht des Königs und des Schmiedsohnes, aber [92] die dreißigtausend Mann Soldaten, die aus der Holster hervorkamen, und die Kanonen, die aus den Fetzen des alten Hutes entstanden, trugen den Sieg davon über die Soldaten des Königs.

So mußte der König mit dem Schmiedssohn Frieden schließen, und der ließ seine Soldaten wieder in die Holster marschiren. Allein der König meinte es nicht redlich mit dem Schmiedssohne, und die Königin hieß eine ihrer Kammerjungfern sich an ihn anschmeicheln und erforschen, woher er seine Macht hätte. Der Schmiedssohn merkte recht gut, warum sie zu ihm kam, darum drückte er an dem Stocke und sogleich war das Schloß verschwunden. Nun zog er den Stock aus der Erde und berührte die Kammerjungfer damit, und da ward sie ihm getreu. Sogleich steckte er den Stock wieder in den Boden hinein und das Schloß stand wieder an der alten Stelle. Und nun wohnte er mit der Kammerjungfer in dem Schlosse und sie blieb ihm getreu. Die Königin aber zürnte ihr gar sehr, weil sie die Geheimnisse des Schmiedssohnes nicht verrieth. Einstmals lud sie die Kammerjungfer zu sich und vergiftete sie mit einer schönen Frucht, die sie ihr darbot.

Nach einiger Zeit schickte die Königin ihre zweite Kammerjungfer zu dem Schmiedssohne, die wußte sich wieder an ihn anzuschmeicheln, und der vergaß diesmal, sie mit dem Stabe zu berühren. Bald erfuhr sie von ihm, woher er seine Macht habe, und wie sie es wußte, nahm sie in der nächsten Nacht die Holster, den Hut und den Mantel, und damit schlich sie aus dem Schlosse. Vor dem Schlosse des Schmiedssohnes drückte sie an dem Stabe, und da war es auf einmal verschwunden und er lag auf der bloßen Erde. Die Kammerjungfer aber brachte alle die Zaubersachen der Königin.

Nun stieg der Schmiedssohn betrübt auf einen Berg, [93] der der Königsburg gegenüber lag. Da kam das Reh wieder, das er gesehen hatte, als er im Vorzimmer des Königs Wache stand. Es gab ihm ein Stück Eisen und sprach, damit solle er auf eine Eiche steigen. Bald würde die Löwin unter die Eiche kommen, der solle er das Eisen auf den Kopf werfen, sodaß sie todt wäre. Hierauf würde der Bär kommen und auf die Eiche zu klettern versuchen, dem solle er das Eisen, das er unterdessen wieder auf den Baum geholt haben müsse, auch auf den Kopf werfen. Dann solle er die Thiere verbrennen, und während er dies thäte, würde es selbst, das Reh, ihm die Sachen wiederbringen, die ihm die Kammerjungfer der Königin geraubt hätte.

Der Schmiedssohn that, wie das Reh ihm geheißen hatte. Aus der Asche der Löwin und des Bären aber entstand ein Schloß, und der Bär war ein Prinz und die Löwin eine Prinzessin, die waren jetzt miteinander erlöst und feierten in dem Schlosse ihre Hochzeit.

Nun zeigte es sich auch, daß das Reh eine Kammerjungfer war, die hat der Schmiedssohn gefreit und sie begleitet ihn auf seinen Fahrten, die er jetzt mit dem Zaubermantel, dem Hut, dem Stock und der Holster macht. Letzthin ist er bei Paris gesehen worden, da hat er aus den Kanonen, die er von seinem Hute abgerissen hat, als Freischütz nach der Sonne und dem Mond geschossen. Er muß sie aber doch beide noch nicht getroffen haben, denn sonst wäre schon ein Loch darin. [94]

29. Das getreue Roß.

Ein König hatte drei Söhne, die sahen einander im Aeußern zum Verwechseln ähnlich. Denen gab er Geld, und damit zogen sie in die weite Welt und übers Meer. Es war aber ein Ungescheuter darunter, der ging in dem fremden Lande vom Wege ab. Da stand er auf einmal vor einem Schlosse, konnte aber nicht ins Thor, denn die Zugbrücke war aufgezogen. Außerhalb der Zugbrücke stand ein alter Pferdestall, und darin war ein altes dürres Pferd, das sprach: er solle ihm doch einmal einen Scheffel Hafer holen, dann würde er auch ins Schloß können. Es hieß ihn den Schlüssel der Vorratskammer des Schlosses von der Wand nehmen, und wie er den herabnahm, entstand ein Donnern. Sogleich ging die Zugbrücke nieder, und der Ungescheute ging ins Schloß, öffnete die Vorrathskammer mit dem Schlüssel und holte dem Pferde einen Scheffel Hafer. Als er den dem Pferde gegeben hatte, ging er wieder ins Schloß, denn die Zugbrücke war noch immer niedergelassen, und das Pferd rief ihm noch nach: er möge es hier draußen nicht vergessen, wenn er im Schlosse etwas Gutes fände. Als er aber in dem alten Schlosse eine wunderschöne Prinzessin findet, geht er mit ihr zum Thore hinaus und denkt nicht mehr an das alte dürre Roß in dem verfallenen Pferdestalle.

Unterwegs fällt es ihm wieder ein, und als er auf einem Kreuzwege seine beiden Brüder trifft, läßt er die Prinzessin bei ihnen und eilt zurück, um das Pferd nachzuholen.

Als er an das Schloß kommt, ist die Zugbrücke wieder aufgezogen, das Pferd steht aber noch in dem alten Stalle. [95] Es ruft ihm schon von weitem zu: „Jetzt kommst du, o Königssohn, um mich nachzuholen, und unterdessen entführen deine falschen Brüder mit Gewalt die Prinzessin; sie sind schon mit ihr auf dem Meere. Nimm aber den Schlüssel zur Vorrathskammer des Schlosses herunter und hole mir wiederum einen Scheffel Hafer heraus.“

Als der Königssohn den Schlüssel von der Wand des Stalles nahm, entstand wiederum ein Donnern. Auch war sogleich die Zugbrücke niedergelassen und er holte den Hafer wie das erste Mal. Während dann das Pferd den Hafer fraß, hieß es ihn wieder in das Schloß und durch das Schloß hindurch in den Schloßgarten gehen, und sich dort von einem Baume wunderschönes Obst abbrechen, doch dürfe er nicht mehr als drei Mal nach den Früchten des Baumes werfen. Der Königssohn fand den Baum im Garten, es fiel aber bei jedem Wurfe nur ein Apfel herunter. Die drei Aepfel waren so schwer und so hart, es ist aber nichts als schieres Holz gewesen.

Als er wieder zu dem Pferde kam, hieß ihn das die drei Aepfel einstecken und seinen Rücken besteigen, um mit ihm seine Brüder zu verfolgen. Er besteigt also das alte Roß und sie gelangen ans Meer. Als das Pferd am Meere steht, thut es einen Sprung, wie ihn kein junges Füllen auf der Weide hätte thun können, und da ist es mit dem Sprunge sogleich mitten im Meere drin und schwimmt mit seinem Reiter durch das Meer. Der wird nach einer Weile hungrig und das Pferd sagt, er solle den einen Apfel über den Kopf werfen. Wie er das gethan hat und sich umsieht, steht ein schönes Schloß hinter ihm. Da sagt das Pferd, er solle es hier an das Schloß binden und hineingehen und essen; wenn er aber länger als eine Viertelstunde ausbliebe, so wären sie beide verloren.

Als er ins Schloß kommt, steht ein Tisch da und eine [96] Dame fragt, was er befehle. Er bittet sich nun aus, was er essen und trinken will, und sogleich wird es gebracht. Nachdem er gegessen hat, will ihm die Dame noch das Schloß zeigen und er hätte sich gern darin besehen; aber er mußte hinaus eilen, denn seine Zeit war abgelaufen und das Pferd wäre sonst von dem Ringe abgerutscht, woran er es hatte anbinden müssen. Als er das Pferd losgebunden hatte, war auch das Schloß verschwunden, und nun schwammen sie wieder durchs Meer.

Nach einer Weile wurde der Königssohn abermals hungrig; da mußte er den zweiten Apfel über den Kopf werfen, und sogleich steht wieder ein Schloß hinter ihm. Das Pferd gibt ihm jetzt eine halbe Stunde Frist, warnt ihn aber länger zu bleiben, weil sie sonst beide verloren wären. Der Königssohn findet diesmal den Tisch sogleich mit Speisen und mit Weinen besetzt, als er aber aufstehen will, erscheint eine Prinzessin und sagt, er müsse sie erlösen. Sie verwandelt sich vor seinen Augen in eine Eidechse, und da muß er der Eidechse einen Kuß geben. Dann verwandelt sie sich in eine Otter, und da muß er sie als Otter küssen; und hierauf verwandelt sie sich in einen Lork, und da muß er sie auch als Lork küssen. So hat er die Prinzessin auch wieder erlöst, und sie bittet ihn flehentlich, daß er bei ihr bleiben und sie heiraten solle. In dem Augenblicke aber, wo sie erlöst ist, war auch schon seine Zeit abgelaufen, und er sprang rasch hinaus zu seinem Pferde, das schon fast ganz von dem Ringe abgerutscht war.

Wie er das Pferd bestiegen hatte, war das Schloß verschwunden und sie ritten weiter durchs Meer. Nach einer Weile wurde der Königssohn von neuem hungrig, und wiewol er sehr besorgt war, was später auf dem Meere aus ihm werden solle, so mußte er doch auch den letzten Apfel wieder über den Kopf werfen. Da stand wieder ein Schloß [97] hinter ihm, und das Pferd gab ihm diesmal eine Stunde Frist, warnte ihn aber länger zu bleiben, weil sie sonst Beide verloren wären. Nach dem Essen ging er im Schlosse umher, denn er hatte diesmal Zeit, um sich darin zu besehen. Er kam in ein Zimmer, darin schlief eine Prinzessin, die erlöste er abermals, und als sie auf ihrem Lager die Augen aufgeschlagen hatte, wollte sie ihn in ihren Armen festhalten. Im letzten Augenblicke aber riß er sich doch von ihr los, und das Pferd war wieder fast ganz von dem Ringe abgerutscht. Als er es bestiegen hatte, war das Schloß verschwunden, und sie schwammen wiederum durchs Meer.

Einige Zeit darauf stieg das Roß mit seinem Reiter ans Ufer. Es eröffnete ihm nun, wenn er nach Haus käme, so würden ihn seine Brüder bei seinem Vater verleumden und dann würde er in eine Löwengrube geworfen und darin müßte er drei Vierteljahre zubringen. In die Löwengrube aber solle er seine Flöte mitnehmen, die er sehr gut zu blasen verstand, und wenn er fleißig darauf spiele, so würde ihm kein Thier etwas thun. Hierauf hieß ihn das Pferd, es an einen Baum im Eichenholze binden und ihm wieder einen Scheffel Hafer bringen.

Wie seine Brüder ihn kommen sahen, verleumdeten sie ihn sogleich bei seinem Vater und sprachen, er sei ein lüderlicher Mensch geworden. Die Prinzessin aber, welche sie ihm entführt hatten, war nicht mehr bei ihnen, sondern war nach einem großen Schlosse entflohen, das ihr auch gehörte und das viel schöner war als das alte, woran das Pferd angebunden war.

Der König ließ den Ungescheuten auf die Verleumdungen seiner Brüder hin sogleich ergreifen und in die Löwengrube werfen. Da bat er sich nur aus, daß er seine Flöte mitnehmen dürfe, und wie er die in der Löwengrube spielte, schmeichelten die Thiere sich mehr und mehr an ihn. Sie [98] ließen ihn am Leben und er nährte sich mit von dem Fleische, das ihnen vorgeworfen wurde.

Um diese Zeit aber verlangte die schöne Prinzessin in dem schönen Schlosse sehnlichst nach ihrem Erlöser. Sie ließ deshalb einen Weg zu dem Schlosse machen, der war in der Mitte mit Sammet ausgeschlagen und auf beiden Seiten ordinär. Als der Weg fertig war, schickte sie zu dem Könige und ließ ihn auffordern, den einen von seinen Söhnen, der ihr Verlobter sei, zu ihr zu senden. Da sendet ihr der König seinen ältesten Sohn. Als der den Sammet sieht, der zu ihrem Schlosse führt, thut es ihm leid darum und er reitet an der Seite der Straße, wo gewöhnlicher Weg ist, daran erkennt sie, daß es nicht der rechte ist, denn der hätte gewiß in seiner Liebesbrunst nicht darauf geachtet, den Sammet zu schonen. Sie schickte ihn also wieder fort. Hierauf sendet ihr der König seinen zweiten Sohn, der reitet auch wieder an der Seite des Weges. Da schickt sie auch den wieder nach Hause und droht dem Könige, mit ihren Truppen sein ganzes Königreich zu überziehen und in Feuer und Flammen zu setzen, wenn er ihr nun nicht den dritten Sohn sende. Wäre er nicht mehr am Leben, läßt sie dem Könige sagen, so wolle sie zum wenigsten seine Knochen haben.

Da ließ der König seinen Löwenbändiger kommen, der sollte in die Löwengrube steigen und die Gebeine seines jüngsten Sohnes herausholen. Als er aber in die Löwengrube kam, blies der Ungescheute die Flöte und alle Löwen hörten ihm andächtig zu. Da war große Freude in dem Lande, weil die Leute nun sicher waren vor dem Zorne der mächtigen Prinzessin.

Als der Ungescheute aus der Löwengrube kam, dachte er zuerst an sein treues Pferd, das noch im Eichenforste stand. Er nahm einen Scheffel Hafer und brachte ihm den. [99] Das Pferd aber bat ihn, ihm den Kopf abzuhauen, und wie er das nach einigem Weigern that, stand da vor ihm auch ein schöner Prinz.

Der Ungescheute nahm jetzt ein Pferd aus seines Vaters Stalle und ritt nach dem prächtigen Schlosse seiner Braut. Er achtete nicht des kostbaren Sammets, sondern jagte in seiner Liebesbrunst auf der Mitte des Weges daher, sodaß die Fetzen des Sammet in der Luft herumflogen. Daran erkannte die Prinzessin, daß er der Rechte war. Sogleich wurde die Hochzeit angestellt, der Ungescheute wurde ein mächtiger König und seine falschen Brüder mußten zu seinen Füßen um Gnade bitten.


30. Die Männchen und die Bauernsöhne.

I.

Es war einmal eine Prinzessin, die hatte ein Gesicht wie Milch und Blut so wacker, und Hände so weiß wie Schnee, und solche Prinzessinnen verlangten in alten Zeiten immer viele Ritter zu heirathen. Weil aber immer der Rechte nicht kam, beredete sie sich mit ihrem Vater und setzte aus drei Kränze, und wer die drei Kränze bekäme, den wollte sie zum Gemahl nehmen.

Nun war im nächsten Dorfe von der Königsstadt aus ein Bauer, der hatte drei Söhne, davon galt der jüngste für einfältig. Die beiden ältesten bekamen Pferde und ritten als Zuschauer mit ihrem Vater an dem Tage, welchen der König festgesetzt, auf das Kranzreiten. Der jüngste muß zu Hause bleiben und soll den Stall reinigen. Als er [100] aber in den Stall kommt, steht da ein schwarzes Pferd und davor ein weißes Männchen, das gibt ihm Ritterkleidung und sagt: er sollte sich auf das Pferd setzen, er sei Der, der den Kranz der Prinzessin erhalten könne, solle aber beim Kranzreiten mit Niemand reden. Der Junge setzt sich auf das Pferd und das Pferd jagt, als ein Vogel fliegt, nach der Stelle, wo der Kranz ausgegeben wird. Da waren viele Ritter, aber keiner davon konnte ihn im Reiten einholen, und so gewann er auch den Kranz. Dann jagte er schnell nach Hause, lieferte im Stalle Alles an das weiße Männchen ab und das verschwand damit. Am zweiten Tage reitet der Vater mit den ältesten beiden Söhnen, die den Bruder nicht erkannt haben, wieder auf die Augenweide. Als der dritte wieder in den Stall kommt, steht da ein Schimmel und das weiße Männchen ist wieder dabei und sagt: hier hätte er wieder ein Pferd, dazu solle er wieder die Ritterkleidung anlegen, aber ja mit Niemand reden. Er thut Alles, was das weiße Männchen befiehlt und erhält auch den zweiten Kranz. So gelangt er glücklich nach Hause, bringt den Schimmel in den Stall, das weiße Männchen ist wieder da, sagt auch zu ihm, die Kränze solle er ja verwahren, daß sie nicht abhanden kämen. Den dritten Tag solle er wieder Vater und Bruder vorweglassen und dann solle er wiederkommen, das würde noch ein heißer Tag für ihn sein. Darauf verschwindet das weiße Männchen von neuem mit Roß und Ritterkleidung.

Er that aber so wie das weiße Männchen befahl. So kam der dritte Morgen, wo Vater und Bruder wieder abzogen und dem dritten Bruder aufgaben, die Mahlzeit zu bereiten, damit sie zu essen fänden, wenn sie nach Haus kämen. Als sie aber fort waren, ging der in den Stall, da war das weiße Männchen wieder mit einem Bleßfuchse, kleidete ihn wieder als Ritter an und sprach: heute würde [101] er den dritten Kranz erhalten, aber die Ritter würden nach seiner Ferse schießen, um ihn zu zeichnen; dazu habe die Prinzessin den Befehl ausgegeben, weil sie nicht wüßte, wer er sei und wohin er gehöre. Er möge aber nicht ängstlich sein, sie schössen ihn nicht todt, und der Schuß würde nur zu seinem Glücke dienen.

Der Bauernsohn gewann auch diesmal den Kranz, aber nun hatten alle Ritter einen Kreis geschlossen, um ihn nicht durchzulassen. Doch das Fuchspferd floh wie ein Pfeil durch sie hindurch. Da schossen sie ihm nach und so erhielt er den Schuß in den linken Hacken. Wie er vor den Stall kam, da war das weiße Männchen gar sehr geschäftig, es hatte schon die Stallthür aufgemacht, zog ihm die Ritterkleidung ab, legte ihn im Hause ins Bett und befahl dann: den Vater möchte er sogleich zum Arzte schicken, daß der ihn verbinde, und verschwand.

Der Vater aber zürnte, als er nach Hause kam und kein Feuer auf dem Herde lodern sah, und als er seinen jüngsten Sohn im Bette erblickte, da sagte er, er werde ja wol faulkrank sein. Nun sagte der Sohn, er hätte einen Schuß, der müßte verbunden sein, und der Vater spottete: „Du alberner Junge, du wirst mir einen schönen Schuß im Bein haben! Wer heute seinen Schuß im Bein hat, der ist ein gemachter Mann, er freit die Königstochter und bekommt das Königreich. Der Teufel hat dich doch nicht dort gehabt, daß die Ritter auf dich geschossen haben?“ Der Arzt wird aber geholt, verbindet ihm den Hacken, ist sehr verwundert über den Schuß im Beine des Bauernsohnes und breitet seine Verwunderung in der ganzen Welt aus.

Alsobald kommt eine Kutsche vom Königshofe und holt den Bauernsohn dahin ab, nachdem zuvor auch die drei Kränze bei ihm gesucht und im Ausladeholz im Stalle gefunden sind. [102] Nun ist die Prinzessin aber nicht mit diesem Bauernburschen zufrieden gewesen. Der König sagt, sie hätte es einmal ausgegeben um die Kränze, also wollten sie ihn krönen. Aber die Königstochter beruhigt sich noch immer nicht, läßt eine Mauer bauen, die war zwölf Fuß hoch und nicht mehr als sechs Quadratfuß lang, da sollte er in einer bestimmten Zeit vierundzwanzigmal herumjagen, und wenn ein Anderer darauf ritte und der wäre glücklicher als er, so wollte sie Den freien. Sie hoffte aber, er würde herunterstürzen und mit seinem Pferde den Hals brechen.

Die Königstochter war aber so schön, daß sogleich viele Ritter sich mit ihren Rossen auf die Mauer drängten, die stürzten Alle herunter und brachen den Hals.

Am zweiten Tage sollte der junge Bauer der Erste sein. Am Abende vorher sagte ihm der alte König, er solle sich das beste Pferd in seinem Stalle auswählen. Allein er konnte die ganze Nacht nicht schlafen und in der letzten Stunde kam das weiße Männchen und sprach: es hätte ihm in den Marstall unter die Pferde des Königs ein Pferd hingestellt in die Ecke, das würde schon auf der Mauer gehen können. Er solle aber das Beste nicht vergessen, wenn er den Sieg davongetragen hätte und zu seinem Glück gelangt wäre.

Der Bauernsohn wählt sein Roß im Marstalle des Königs, thut als suche er lange hin und her, läßt dieses und jenes Pferd auf den Königshof herausführen, hat aber an allen so viel zu tadeln wie ein Roßkamm, wenn er Pferde aufkauft, und geht endlich noch einmal in den Stall hinein und sagt, so würde er wol das hinterste Pferd nehmen müssen, das schiene ihm noch das beste. Das ist aber das von dem weißen Männchen gewesen. Am andern Morgen wurde das Gerüst wieder an die Mauer gestellt, an dem die übrigen Reiter mit ihren Pferden mühsam emporgeklimmt [103] waren, und die Stallknechte kamen herzu, um das Pferd langsam am Zügel auf dem steilen Wege die Mauer hinan zu führen. Aber das lief das Gerüst hinan wie eine Katze. Alle Minister und Räthe sahen ihm zu, denn es war für das ganze Land von Wichtigkeit, ob das Pferd herabstürzen würde, und wenn es sich droben erhielt, so ward der Bauernsohn König.

Wie das Roß des weißen Männchens auf der Mauer war, da war es, als wäre es als Füllen dort auf der Mauer von seiner Mutter geworfen, als wäre es dort gesäugt und sein Lebtage geweidet worden, denn es machte ganz curiose Sätze, sodaß alle Minister und Räthe sich des Todes verwunderten und der alte König, der ein Pferdekenner war, sagte, er habe nicht geglaubt, daß er ein solches Pferd in seinem Marstall habe. Und so galoppirte es vierundzwanzigmal mit dem Bauernsohne um die Mauer herum, und warf dabei immer ganz vergnügt den Kopf auf und ab, und als beim vierundzwanzigsten Male die Stallknechte wieder das Gerüst, das unterdessen weggenommen war, an die Mauer legten, um das Pferd mit dem Bauernsohne herunter zu lassen, da sprang es, wie eine Katze, mit seinem Reiter von der Mauer herunter mitten unter die Stallknechte, sodaß die vor Schrecken das Gerüst zu Boden fallen ließen.

Wie nun der Bauernsohn wieder unten auf der Erde war, da gab ihm der König das Königreich und als Gemahlin seine Tochter, die weigerte sich jetzt nicht länger, den Bauernsohn zu freien. Als der ihre Hand ergriff und mit der Linken noch das Roß des weißen Männchens am Zügel hielt, da drängten sich die Reitknechte, um es ihm abzunehmen, und siehe da! mitten unter den Reitknechten war auch das weiße Männchen, das wurde fast von ihnen erdrückt, drängte sich aber doch durch und nahm es ihm ganz [104] ehrerbietig aus der Hand und führte es wieder in den königlichen Marstall. Wie es ihm aber den Zügel aus der Hand nahm, da flüsterte es ihm wieder leise zu: „Vergiß das Beste nicht!“ Da ließ der Bauernsohn das weiße Männchen aus dem Stalle holen und machte es zu seinem obersten Minister, und hat mit seiner Hülfe gar weise das Land regiert, und das ist das Beste gewesen, und das Andenken dieses Königs war gesegnet bei Kind und Kindeskind.


II.

Ein andermal war auch ein Vater, der hatte gleichfalls drei Söhne, davon waren wieder zwei klug, der dritte aber war fromm und einfältig. Der Vater aber gab ihm eines Tages einen Sack zu tragen und schickte ihn in die weite Welt. Der Dumme ging traurig und kam in einen großen Wald. Da verlief er sich und setzte sich unter einen Baum und fing bitterlich zu weinen an. Auf einmal kam ein graues Männchen und fragte ihn: Was weinst du denn? Ach, sagte er, mein Vater hat mich in die Welt geschickt, und ich habe mich verlaufen und weiß nicht wohin und kann mich nicht zurechtfinden. Da führte ihn das graue Männchen aus dem Walde und gab ihm einen goldenen Schlüssel und sagte: Hebe ihn auf, und wenn du in Noth bist, wirst du ein Loch finden, wo du ihn hineinstecken kannst. Der Dumme bedankte sich und ging weiter, und er kam an den Hof eines Königs, da vermiethete er sich als Küchenjunge und blieb daselbst. Und der König hatte eine schöne Tochter, die hatte viele Freier. Sie war aber sehr stolz und wollte keinen von ihnen Allen. Da ließ der König einen Glasberg bauen, [105] hoch und steil und ganz glatt, und setzte die Prinzessin oben darauf, und ließ bekannt machen, wer auf den Berg hinaufreiten und seiner Tochter einen Kranz vom Kopfe nehmen könnte, der sollte sein Reich haben und seine Tochter zur Frau bekommen. Da kamen am bestimmten Tage viele Prinzen und vornehme Herren, und wollten auf den Berg reiten und die schöne Prinzessin heirathen. Wie sie aber hinauf reiten wollten, fielen sie Alle herunter, weil der Berg sehr glatt war, zerschlugen sich Arme und Beine und Viele blieben todt liegen. Da wollte Niemand mehr reiten, und die Prinzessin wartete bis zum Abend. Der Einfältige aber hatte sich sterblich in die schöne Prinzessin verliebt, ging traurig auf dem Felde spazieren und dachte: Hätte ich doch ein Pferd und schöne Kleider, ich wollte wol auf den Glasberg reiten! Da stieß er mit einem mal mit dem Fuß auf etwas Festes und es klang hohl, und wie er hinsah, war auf der Erde eine eiserne Thür und ein Schlüsselloch. Da zog er seinen goldenen Schlüssel, den ihm das Männchen gegeben hatte, aus der Tasche, und wie er ihn hineingesteckt hatte, sprang die Thür auf und er sah eine Treppe, da stieg er tief hinab und kam in eine Kammer, da hingen die schönsten Kleider an den Wänden mit Gold und Silber und Edelsteinen, und er ging weiter in die zweite Kammer, da sah er große Haufen von Goldstücken, und Silber und kostbare Steine auf der Erde liegen, und in der dritten Reihe standen eine Menge Pferde, und das schlechteste war schöner als die in des Königs Marstall. Da zog sich der Dumme ein schönes Kleid an, das war von Silber, steckte sich aber die Taschen voll silberner Thalerstücke, und nahm ein weißes Pferd und ritt heraus und schloß die Thür wieder zu, und da rief's: Komm noch zweimal wieder! Und er ritt an den Glasberg und Niemand kannte ihn, und Alle fragten: Wer ist der fremde Prinz? Und dem Trompeter, der vor [106] dem Glasberge stand, gab er die ganze Hand voll Thaler, und wie er an den Berg kam, gab er seinem Pferde die Sporen, und heida flog's auf den Berg, und er nahm der Prinzessin den Kranz von dem Kopfe und sprengte auf der andern Seite hinunter und über die Leute weg und war verschwunden, und ritt zu der Thür hin, und zog die schönen Kleider aus und die seinen an, und ging an den Hof zurück in die Küche, und der König wartete und kein Prinz kam. Da ließ er bekannt machen, wer den Kranz hätte, der sollte sich melden. Als am andern Tage der König und die Prinzessin sich zu Tische setzten, da trug der Dumme als Küchenjunge die Suppe auf, und er warf in die Schüssel den Kranz, und wie der König eingießen wollte, stieß er auf Etwas und zog den Kranz heraus; da wurde er böse, und ließ untersuchen, wer den Kranz hineingelegt hätte, aber sie erriethen nicht, daß der Küchenjunge es gethan hatte. Und weil sich Niemand fand, der den Kranz in die Suppe geworfen hatte, ließ der König zum zweiten male bekannt machen, wer auf den Glasberg reiten und seiner Tochter den Ring vom Finger ziehen könne, der sollte König werden und seine Tochter zur Frau haben. Als der Dumme das hörte, ging er wieder auf das Feld hinaus, und bald stieß er wieder mit dem Fuße auf die eiserne Thür, da steckte er wieder seinen goldenen Schlüssel in das Schlüsselloch, ging hinein und stieg die Treppe hinab. Da zog er ein goldenes Kleid an, nahm ein schwarzes Pferd und steckte sich die Taschen ganz voll Gold. Wie er abzog, rief's ihm nach: Komm noch einmal wieder. So ritt er wieder an den Glasberg, gab dem Trompeter eine Hand voll Gold, sprengte auf den Berg, zog oben der Prinzessin den Ring vom Finger und sprengte noch lustiger wieder herunter als das erste Mal. Wiederum war er verschwunden und brachte sein Roß und sein Kleid wieder dahin, wo er es hergenommen [107] hatte. Dann warf er wieder als Küchenjunge den Ring in die Suppe, und weil der König nicht wußte, wer es gethan hatte, ließ er bekannt machen, wer auf den Glasberg hinaufreiten und seiner Tochter den Schuh vom Fuße ziehen könne, solle sie heiraten und König werden. Da ging der Dumme wieder aufs Feld an die eiserne Thür, legte ein Gewand an, das ganz von Edelsteinen glänzte, steckte auch viele Edelsteine in die Tasche und nahm ein geflecktes Pferd. Wie er nun aus der Thür war, schlug sie mit gewaltigem Krachen hinter ihm zu, und es rief hinter ihm her: Komm nicht mehr wieder! Der Dumme gab dem Trompeter die ganze Hand voll Edelsteine, war im Nu auf dem Berge, zog der Prinzessin den Schuh vom Fuße, und jagte auf der andern Seite wieder herunter. Wiewol nun die Stimme ihm zugerufen hatte, er solle nicht mehr wiederkommen, so wollte er doch sogleich wieder nach der Thür eilen, um in der Höhle sein Kleid abzulegen und das gefleckte Pferd einzustellen. Aber er fand jetzt die Thür gar nicht mehr wieder, und wie er noch nach ihr suchte, kam die Prinzessin ohne Schuh daher, und zog mit ihrem Gefolge um den Glasberg herum, um nach dem Königsschlosse heimzukehren. Da erkannten Alle den Ritter, der der Königstochter den Schuh vom Fuße gezogen hatte, und sie sahen auch, wie er den Schuh noch in der Hand hielt. Da wurde der Küchenjunge König und heirathete die Prinzessin, und wenn sie noch nicht gestorben sind, so leben sie heute noch. [108]

31. Der Brunnen.

Ein Vater war krank und sagte zu seinen drei Töchtern: „Im Brunnen am Walde ist gut Wasser, holet mir davon, daß ich gesunde.“ Da ging die Erste an den Brunnen, da tönte daraus eine Stimme, die sprach: „Nimmst du mich, so gebe ich dir Wasser.“ Da ging sie, ohne Wasser aus dem Brunnen zu haben, wieder heim und schickte die Zweite. Als die Zweite an den Brunnen kam, tönte die Stimme wieder: „Nimmst du mich, so gebe ich dir Wasser.“ Da ging die Zweite heim und schickte die Dritte; die hatte ihren Vater am liebsten von Allen. Als nun die Stimme wieder sprach: „Nimmst du mich, so gebe ich dir Wasser“, da gab sie das Jawort, bekam Wasser aus dem Brunnen und da wurde ihr Vater gesund. Als das aber geschehen war, da klopfte es an die Stubenthür, und es kam ein Ding herein mit Stacheln wie ein Igel und wollte über Nacht bei der dritten Schwester bleiben. Die weigerte sich anfangs, mußte aber endlich Ja sagen, da ging das Ding hinter den Ofen, schüttelte sich und warf die stachlichte Haut ab und sprang als ein schöner Prinz ins Bett. Da verbrannten die Schwestern das Igelfell und da stand der Igel am andern Morgen als ein stattlicher Prinz auf und war ein Prinz und blieb ein Prinz. Er sprach aber zu der dritten Schwester: „Du wirst erst für immer mit mir vereint werden, wenn du einen eisernen Stock und einen eisernen Schuh abgelaufen und ein eisernes Körbchen voll Thränen geweint hast, auch über einen Glasberg gegangen bist.“ Da war der Prinz verschwunden, sie aber zog aus ihn zu suchen. Sie kam auf ihrer Wanderschaft an einen Stern, [109] der gab ihr eine Nuß, dann kam sie an den Mond, der gab ihr wieder eine Nuß, dann kam sie an die Sonne, die gab ihr auch eine Nuß. Wie sie nun über den Glasberg gekommen war, den eisernen Stock und die eisernen Schuhe abgelaufen, auch das eiserne Körbchen voll Thränen geweint hatte, da kam sie an ein Schloß, da fand sie ihren Bräutigam als König, der wollte bald mit einer Andern Hochzeit halten. Sie aber vermiethete sich auf dem Schlosse als Hirtenmädchen. Eines Tages öffnete sie die Nußschale, die sie von dem Stern bekommen hatte und zog ein wunderschönes Kleid heraus, das glänzte wie Sternenschein, das bot sie der Braut des Königs an, und als sie nach dem Preise fragte, sprach sie: „Es ist mir nur feil, wenn ich eine Nacht mit dem Könige in seiner Kammer sein darf.“ Das gestattete ihr die Braut des Königs und nahm das Kleid, gab aber dem Könige einen Schlaftrunk, sodaß er die ganze Nacht fest schlief und seine erste Braut nicht mit ihm reden konnte. Am andern Tage öffnete sie die zweite Nußschale, die sie von dem Monde erhalten hatte und zog noch ein schöneres Kleid daraus hervor; das glänzte wie Mondenschein. Sie verkaufte es wieder an die Königsbraut und diese mußte ihr dafür gestatten, die Nacht in der Kammer des Königs zu verweilen. Aber der König hatte zuvor wieder einen Schlaftrunk empfangen und sie konnte wieder nicht mit ihm reden. Am folgenden Tage öffnete sie die Nuß, die sie von der Sonne erhalten hatte, und zog das allerschönste Kleid daraus hervor, das strahlte wie lauter Sonnenschein. Dafür ließ die Königsbraut, die den andern Tag Hochzeit halten und dieses Kleid als Brautkleid tragen wollte, sie noch einmal die Nacht mit dem König allein. Dem aber sagte am Abend sein treuer Diener, daß schon zwei Nächte hindurch ein schönes Mädchen bei ihm im Zimmer gewesen sei, und daß er einmal den Trank ausgießen [110] möge, den ihm seine Braut wol auch diesen Abend geben würde, wenn das Mädchen wieder käme. Da gossen sie den Trank in eine lederne Tasche, und als das fremde Mädchen wiederkam, fand sie den König wach und er erkannte sie sogleich wieder. Von Stund an mochte er von seiner zweiten Braut nichts mehr wissen, verjagte sie und heirathete die erste.


32. Königskind.

Es war einmal ein Pilger aus Paris mit Namen Clemens, der kehrte vom heiligen Grabe zurück und gerieth unter die Räuber. Weil sie aber sahen, daß er ein Pilger war, so thaten sie ihm nichts zu Leide und verkauften ihm ein Kind, das sie einer Amme geraubt hatten, die in einer Kutsche mit einem königlichen Wappen gesessen hatte, und ließen ihn seines Weges weiter ziehen nach Paris. Der Pilger nimmt das Kind auf den Rücken und reist mit ihm mehrere Tage. Weil es ihm aber so schwer wird, so gereut ihn der Kauf fast. Doch sieht er an den Zügen des Kindes, daß es gewiß ein Königskind sein müsse, und so nimmt er es mit nach Haus. Da hat seine Frau auch einen Knaben, die Beiden ziehen sie nun miteinander auf und lassen sie miteinander unterrichten. Dann aber soll das angenommene Kind ein Fleischer werden, und das eigene ein Geldwechsler. Nun ist es dort in Paris Sitte gewesen, daß der Fleischerlehrling beim Anfang seiner Lehrjahre dem Meister zur Begrüßung einen Ochsen mitbringen muß. Der Pflegevater Clemens gibt also dem Königssohn einen fetten Ochsen mit, und damit macht er sich auf den Weg zum [111] Fleischer. Auf dem Wege begegnet ihm ein Ritter mit seinem Pferde, dem ruft er zu: „Edler Ritter, könnten wir nicht tauschen? So ein junges muthiges Pferd muß ich haben, nehmt meinen Ochsen dafür.“ Der Ritter tauscht mit ihm, nimmt den Ochsen und er bekommt das Pferd.

Als er mit dem Pferde nach Hause kommt, ist der Pflegevater Clemens sehr unzufrieden. Er aber sagt, das Pferd habe er noch einmal nöthig und der Alte beruhigt sich endlich, weil dieser Tausch im Grunde denn doch noch nicht so übel war.

Nun muß er seinem Bruder das Geld in die Häuser nachtragen, wenn der wechselt für seinen Lehrherrn. Und als er einmal eine große Tracht Geld hinter seinem Ziehbruder herschleppt, begegnet ihm ein Vogelsteller mit der Vogelkiepe, der hat einen Vogel im Bauer, der singt so viele wunderschöne Lieder und auch von einem Königssohne in der Fremde, der bald ein Held werden würde. Da fragt er, ob er wol den Vogel bekommen könne.

Ja, sagt der Vogelsteller, mein lieber Bursche, wenn du das Geld hergibst, das du da in dem Sacke daherträgst, so kannst du dafür den Vogel bekommen.

Da gibt er das Geld hin und nimmt dafür den Vogel.

Als er aber mit dem Vogel nach Hause kommt und sagt, daß er die Last Geldes dafür hingegeben hat, wird der Pflegevater Clemens so böse, daß er ihm das Leben nehmen will. Die Pflegemutter aber verwendet sich für ihn, und so wird ihm noch einmal vergeben, und er braucht auch seinem Bruder das Geld nicht mehr nachzutragen, weil er nicht dazu zu gebrauchen ist. Er that daher nichts weiter, als daß er sein Pferd fütterte und verpflegte und seinem Vogel ein paar Samenkörner hinschüttete. Der Vogel aber singt die schönsten Loblieder auf ihn, daß er aus königlichem Geblüte wäre und bald, ja bald als Held dastehen [112] würde, und singt immerfort von einem Riesen, den er überwinden, von einem schönen Rosse und einem schönen Weibe, das er gewinnen würde.

In kurzer Zeit rückt nun der Türke an, der will mit den Franzosen Krieg führen. Der Türke hat aber dazumal drei wunderbare und auch kostbare Dinge bei sich geführt. Das eine war ein gar prächtiges Stutenroß und das andere die Tochter des Sultans, die so schön war, wie die Franzosen noch kein Frauenzimmer gesehen hatten. Das dritte endlich war eine Riese, der berühmte sich und that gar gewaltig groß und schickte einen Brief aus dem Lager in die Stadt und fragte an, wer es sich unterstände mit ihm zu fechten. Der König selbst fragt seine Ritterschaft: wer die Kühnheit hätte mit dem Riesen zu kämpfen. Es war aber keiner unter ihnen, der es sich unterstand, weil Allen im Kampfe mit dem Riesen sicherer Tod zu drohen schien. Indeß sattelte Clemens' Pflegesohn sein Roß, und wenn das auch noch lange nicht so schön war als das Roß des türkischen Sultans, so erschien er doch darauf als ein tadelloser Ritter. Einen verrosteten Harnisch hatte er angezogen und einen alten Degen umgethan, der in der Rumpelkammer bei seinem Pflegevater stand, und rief den Riesen unverzagt zum Kampfe heraus. Verwundert stand der König von Frankreich mit seinen Rittern auf der Stadtmauer und sah dem Kampfe des Jünglings mit dem Riesen zu.

Plötzlich hieb der Riese Clemens' Pflegesohn das Pferd nieder. Da sprang er rasch wieder auf und hackte dem Riesen zuerst einen Arm, darauf aber den Kopf ab. Den hielt er an den Haaren fest und lief damit zur Stadt. Der Pförtner mußte rasch das Thor hinter ihm zuschlagen, weil die Türken ihn so eifrig verfolgten, er aber gelangte glücklich mit dem Kopfe des Riesen in die Stadt [113] und sogleich schlug ihn der König zum Ritter. Nun freute sich der alte Clemens gar sehr, suchte auch auf jede Weise seinem Pflegesohn Dienste zu leisten und that so zu sagen was er ihm an den Augen absehen konnte. So schlich er sich denn auch einmal ins Türkenlager und spionirte da herum, um ihm Bericht zu erstatten. Da stand die Tochter des Sultans vor dem Zelte ihres Vaters, und vor dem Zelte wurde auch eben das Roß des Sultans in der Sonne gestriegelt, denn das mußte nun immer vor des Sultans Augen geschehen, weil es sein einziger Trost nach des Riesen Tode war, das schöne Roß zu betrachten. Und da sah Clemens wie schön Beide waren, die Stute und die Tochter des Sultans, und als er heimkam, da berichtete er's seinem Sohne, dem Ritter, daß der Türke etwas so Schönes habe an Reitpferd wie an Tochter. Und sie berathschlagen sich, wie er das Beides auch könne zu sehen bekommen, und der Ritter läßt sich vom Könige von Frankreich als Botschafter in das Türkenlager schicken. Er gelangt vor das Zelt des Sultans, der aber erkennt ihn nicht wieder als Den, der seinen Riesen erschlagen hat. Vor dem Zelte stand wieder die Tochter des Sultans, um frische Luft zu schöpfen, und nicht weit davon wurde die Stute in der Sonne gestriegelt, und so sah der Ritter Beides, das Reitpferd und des Sultans Tochter. Das Reitpferd lobte der Ritter gar sehr, das schmeichelte dem Türken nicht wenig, und so sprach der Königssohn endlich: der Sultan möge ihm doch erlauben einmal das Pferd zu besteigen, er wüßte gern, wie es sich darauf säße und wie sich's auf so einem türkischen Pferde ritte. Der König läßt behutsam das Pferd vor ihn führen und der edle Ritter setzt sich auf. Anfangs wankt er im Sattel hin und her, wie ein gar ungeschickter Reiter. Plötzlich gibt er aber dem Roß die Sporen und jagt aus dem Lagerfelde. Da verwundern sich [114] die Türken gar sehr, am meisten aber die Tochter des türkischen Sultans. Doch sprach sie kein Wort, sondern sah ihm nur gar lange nach, wie er mit der Stute davonjagte, und ging dann stillschweigend ins Zelt. Viele Türkenoffiziere dagegen jagten hinter ihm drein, sie konnten ihn aber nicht einholen, denn das ist so ein Pferd gewesen, daß in funfzehn Stunden dreißig Meilen damit abgemacht sind.

Der König von Frankreich freute sich sehr über diese neue Heldenthat des Ritters. Aber einige Tage später kündigte der Türke um das Pferd die Schlacht an, denn das Pferd war dem Sultan beinahe theurer als seine Tochter. Als das erste Scharmützel stattfand, ging der Ritter verkleidet zum Zelte des Sultans und raubte ihm sein einziges Kind. Glücklich gelangte er mit ihr nach Paris und gab sie seinem Pflegevater in Verwahrung.

Da nun die Tochter des Sultans in den Händen der Franzosen war, schloß der Sultan eilig Frieden, denn sein Kind war doch sein einziger Trost, seit er seinen Riesen und sein Reitpferd verloren. Der König von Frankreich legte die Regierung nieder und machte den edeln Ritter, der des Sultans Tochter geraubt hatte, zum Könige und zu seinem Nachfolger, weil er selbst kinderlos war. Der Sultan mußte als Freund der Hochzeit beiwohnen und kehrte dann in die Türkei zurück. Der junge König von Frankreich lebte aber gar herrlich, denn wenn er es müde war, mit der Tochter des Sultans zu scherzen, so setzte er sich auf sein türkisches Reitpferd, und da that ihm Eins immer wohler als das Andere. [115]

33. Der Bäckerlehrling.

Es war einmal ein dreister Bäckerlehrling, den wollten die Bäckermeister zu fürchten machen, schickten ihn in der Nacht, als sie einmal beisammen waren, noch nach Bier aus und lauerten ihm dann am Wege auf, ihn zu erschrecken. Er aber schlug den einen Bäckermeister mit der Bierkanne auf den Kopf, daß er todt am Wege liegen blieb. Da mußte der Bäckerlehrling am andern Morgen aus der Stadt entfliehen und als er eine Strecke weit gegangen war, gelangte er in ein Gewölbe, wo er zu übernachten beschloß. Als es gegen elf Uhr hin kam, wurde aus dem Gewölbe eine lange Kegelbahn; auch traten elf Männer herein und fingen an zu kegeln, der Bäckerlehrling aber setzte ihnen die Kegel auf. Um zwölf Uhr war Alles verschwunden, der Lehrling aber ärgerte sich, daß er kein Geld fürs Kegelaufsetzen bekommen hatte. Er blieb den Tag über in dem Gewölbe, und am nächsten Abende ging wieder Alles so, wie das erste Mal: der Bäckerlehrling stellte wiederum den elf Männern die Kegel auf und bekam abermals kein Geld dafür. Er blieb nun auch noch den folgenden Tag dort im Gewölbe, und aus dem wurde Abends um elf Uhr wieder eine Kegelbahn. Diesmal aber wollte er sich mit der Bezahlung besser vorsehen, darum ergriff er um drei Viertel auf zwölf Uhr den König aus der Mitte der Kegel, lief damit hinauf zu den elf Männern und wollte seine Bezahlung haben. Alle schauten ihn starr an und Niemand vermochte ihm zu antworten. Da schlug er sie mit dem Kegelkönig Alle zum Gewölbe hinaus, schlief die Nacht ruhig darin und setzte den andern Morgen seine Reise fort, nahm aber den Kegelkönig unter dem Arme mit. [116] So war er mehrere Jahre lang schon in der Welt umhergezogen und kam einstmals vor dem Schlosse vorbei, da schaute der König heraus. Er hatte sich aber ein gelbes Schild machen lassen, das er vor der Mütze trug und worauf geschrieben stand: daß er sich vor Nichts fürchte. Als der König das las, winkte er ihn zu sich herauf und sprach: „Wie du siehst, steht meinem Schlosse gegenüber noch ein älteres Schloß. Darin ist es nicht geheuer, und herrscht eine Verwünschung darin; wenn du die lösen kannst, so sollst du die Prinzessin zur Gemahlin haben.“

Da ließ sich der Bäckerlehrling den Abend in das alte Schloß führen, und die Thür wurde hinter ihm verschlossen. Er aber setzte sich hin und rauchte eine Pfeife Taback. Nachts um elf Uhr entstand ein großer Lärm; sechs Männer kamen auf ihn losgestürmt und fragten, was er hier wolle. Er antwortete, das werde er ihnen sogleich zeigen, griff nach dem Kegel und schlug auf die sechs Männer los, bis sie verschwunden waren. Jetzt öffnete sich über ihm die Decke, und es kamen vier Männer mit einem Sarge herein. Von dem hoben sie den Deckel ab und verschwanden. Es lag aber ein König in dem Sarge, der richtete sich auf und bat den Bäckerlehrling: er möge ihm doch sein Bein wiedergeben, welches er ihm in dem Gewölbe weggenommen habe; denn der Kegelkönig sei sein Bein gewesen. Da antwortete der Bäckerlehrling: wenn er versprechen wolle, niemals wieder hierher zu kommen, so solle er das Bein wieder haben, und der König erwiderte: wenn er das Bein habe, so käme er nicht wieder. Da gab er das Bein hin, und der König zeigte ihm aus Dankbarkeit, da er nun wieder ordentlich stehen und gehen konnte, alle Merkwürdigkeiten des alten Schlosses. Er ging nämlich, nachdem er aus dem Sarge gestiegen war, mit dem Bäckerlehrling an der Wand entlang, und drückte an einem Knopfe, sodaß [117] der ganze Boden niedersank und Beide mehrere Lachter tief mit herunterrutschten. Als sie unten waren, wurden mehrere Gänge sichtbar. In den einen Gang führte ihn der König, da hat Alles geblitzt und geblänkert, und der König wies ihm hier die verwünschten Schätze, und da sah er unzählige Tonnen voll Silber. Im andern Gange hingen alte Kriegsmonturen, im dritten Gange waren nichts als Todtenköpfe. In diesem Gange verschwand der König, und dem Bäckerlehrling ging sein Licht aus, doch fand er die Stelle, wo er drücken mußte, damit der Fußboden wieder in die Höhe ging. Oben stand das Feuerzeug im Fenster, da zündete er sein Licht wieder an und ließ sich dann noch einmal nieder, um den dritten Gang näher in Augenschein zu nehmen. Jetzt aber lagen statt der Todtenschädel nichts als Goldklumpen darin. So war der Bäckerlehrling ein reicher Mann, ließ sich mit dem Fußboden wieder in die Höhe und rauchte noch eine Pfeife, bis die Wache kam und das verwünschte Schloß öffnete. Die Wache aber staunte, als sie ihn noch am Leben fand, denn es hatten schon Viele, die hier übernachtet hatten, durch die Geister ihr Leben verloren. Der König wachte jetzt selbst noch zwei Nächte lang mit ihm in dem alten Schlosse, und als in beiden Nächten die Geister nicht wieder erschienen, hielt er sein Wort und gab ihm seine Tochter zur Frau. Und ich war auch mit auf der Hochzeit und saß oben an der Ecke.


34. Der Zaubergürtel.

Es war einmal eine Witwe, die hatte einen Sohn und heirathete einen Zauberer. Um den Sohn zu tödten, stellte seine Mutter sich krank, und damit sie genese, schickten sie [118] ihn aus Stachelbeeren zu holen, am Stachelbeerbusche aber ließ der Zauberer ihm einen Bären mit zwei Jungen entgegentreten, der sollte ihn tödten. Aber der Jüngling fand unterwegs eine Schachtel, darauf stand geschrieben: hierin läge ein Gürtel, wer den umschnalle, hätte zwölf Riesenkräfte. Den schnallte er um, und als ihm der Bär mit zwei Jungen entgegentrat, drückte er ihm den Hals ein, die beiden jungen Bären aber setzte er auf seine Schultern. Wie er nun mit den Stachelbeeren nach Haus kam und auf jeder Achsel einen jungen Bären trug, stellte sich seine Mutter noch einmal krank und sie schickten ihn nach Quisselsbeeren[12] und ließen ihm vor dem Baume einen Löwen mit zwei Jungen entgegentreten. Dem drückte er auch den Hals ein, nahm auf jede Schulter einen jungen Löwen und brachte die Quisselsbeeren so nach Hause. Da erforschte seine Mutter das Geheimniß mit dem Gürtel, sein Stiefvater aber entwandte ihm den Gürtel heimlich, als er ihn in die Schachtel gelegt hatte, dann stach er ihm die Augen aus und sie verstießen ihn. Der Blinde nahm aber mit sich auf der rechten Axel einen jungen Löwen und auf der linken einen jungen Bären, und so kam er in eine Höhle, da erlöste er eine Prinzessin, der mag es wol bestimmt gewesen sein, daß sie erlöst wäre, wenn ein Blinder käme mit einem jungen Löwen und einem jungen Bären auf der Schulter. Nun führte ihn die Prinzessin aus der Höhle und sie zogen miteinander durch die Welt, er hatte aber immer einen jungen Löwen und einen jungen Bären auf der Schulter. Da sah die Prinzessin einen Hasen, der war auch blind, rannte den Berg herunter und lief dabei an alle Bäume an, bis er im Thal zu einem Wasser kam. Da tauchte er die Augen hinein und lief dann auf dem geradesten [119] Wege den Berg hinauf, weil er sehend geworden war. Da führte den Blinden die Prinzessin auch an das Wasser, er aber mußte den Löwen und den Bären von der Schulter nehmen und das Haupt hineintauchen. Sogleich war er sehend, ging zu seinen Aeltern, bestrafte sie für ihre Schlechtigkeit, band den Gürtel um, der in der Schachtel auf dem Tische stand, und lebte von der Zeit an in Macht und Glück mit der Prinzessin.


35. Von bösen und von guten Feen.

I.

Es war einmal eine böse Fee, die heirathete einen König und aß des Mittags nur mit einem Ohrlöffel und tadelte ihren Mann, weil er so viel äße. Der aber lauerte ihr einmal heimlich auf und sah, daß sie mit elf Andern auf dem Gottesacker die Todten aufrodeten, wovon sie dann aßen. Am andern Mittag aß sie wieder bei Tische mit dem Ohrlöffel und tadelte ihren Mann wegen seines vielen Essens. Da warf er es ihr vor, daß sie selbst sich auf dem Kirchhofe satt äße. Als er Das gesprochen hat, steht sie auf, verwünscht ihn in einen Hund und will ihn zwischen die Thür klemmen. Er aber lief fort und sie konnte ihm nur eine Pfote klemmen, sodaß er als Hund lange auf drei Beinen laufen mußte. Der Hund aber kam zu einem Bäcker, und wenn das Dienstmädchen Semmeln wegnahm, so gab er es zu verstehen und der Bäcker merkte, wie verständig er war. Wurde ihm Geld gebracht und er glaubte, es sei ungültig, so brauchte er es nur dem Hunde zu zeigen: der war als König auf dem guten Gelde abgebildet [120] und sah nur auf das Bild, und wenn es da nicht gültig war, so schüttelte er mit dem Kopfe. Eines Tages zeigte der Bäcker dem Könige auch ein Geldstück, da schüttelte der als Hund auch mit dem Kopfe. Da erstaunte die alte Frau, welche das Geld gebracht hatte, und bat den Bäcker um die Erlaubniß, den Hund mit zu ihrer Tochter zu nehmen. Die aber konnte sogleich mit ihm reden und sagte zu dem Hunde, er sei ein alter braver König, sie bedaure ihn, daß er eine solche Frau bekommen hätte. Sie gab ihm nun ein Glas mit Wasser und sprach: er solle zu seiner Frau hinschleichen und ihr von rückwärts das Wasser über den Kopf gießen. Dabei solle er aussprechen, worin sie verwünscht sein solle.

Da ging der König aus dem Hause der jungen Zauberin als Mensch mit dem Glas Wasser zu seiner Frau. Hätte Die ihn kommen sehen, so wäre er für alle Zeiten wieder in einen Hund verwünscht gewesen. Aber es gelang ihm, ihr das Wasser von rückwärts über den Kopf zu gießen, und dabei verwünschte er sie in ein schwarzes Pferd. Da war sie ein schwarzes Pferd, und er jagte sie so lange bis sie stürzte, und es war, als ob er flöge auf dem Pferde, und als er in ein fremdes Land mit ihr hineinjagte, haben die Leute auf ihn mit Steinen geworfen und ihn bepfuit als einen Pferdeschinder. Er aber, als er das schwarze Pferd zu Tode geritten hatte, heirathete die junge Zauberin, und er lebt noch heutiges Tages mit ihr in Lust und Freuden.


II.

Auch ist einmal ein Graf gewesen, der hatte seine Gattin verloren und heirathete eine Fee. Die erste Frau hatte ihm zwei Prinzen geboren, denen gönnte die zweite nicht Speise [121] und Trank. Als einst der Graf nicht zu Hause ist, verwünscht sie die beiden jungen Grafen in zwei Schwäne, die saßen so traurig auf dem Dache des Grafenschlosses. Wie der Graf nach Hause kommt, fragt er nach seinen beiden Söhnen. Die Fee wird sehr verlegen darüber, und da sie durch ihre Kunst stärker war als der Mann, sagte sie ihm endlich, sie hätten sich ungezogen betragen und wären deshalb von ihr in zwei Schwäne verwünscht. Darüber machte ihr der Graf große Vorwürfe, da verwünschte sie ihn auch noch, da war er halb Mensch, halb Marmor. So mußte er mehrere Jahre auf der Stelle sitzen, wo er in Marmor verwünscht war, die beiden Schwäne aber waren immer bei ihm. Da kam aber eine andere Fee, die bat er einmal um Gotteswillen um Hülfe, und sie machte ihn wieder zum Menschen. Diese Fee wußte, daß die andere sich mit dem Diener des Grafen hielt. Darum gab sie ihm ein Glas mit Wasser, das sollte er ihr über den Kopf gießen, wenn sie mit seinem Diener beisammen wäre, aber ohne daß sie es merkte, denn, wenn sie es sähe, so würde er wieder zu Marmor. Er traf es glücklich, daß die Fee mit ihrem Buhlen zusammen war; sie mußte nun sein, was er in dem Augenblicke wünschte. Und er wünschte, daß sie ein Vogel sei, da flog sie als Vogel in die Luft und der Graf war ihrer los. Nun ging der Graf zu der ersten Fee, die ihn erlöst hatte, und bat um seine Söhne. Da bringt sie ihm seine Söhne und verwandelt sie aus Schwänen zu Menschen. Diese gute Fee heirathete nachher der Graf, und wenn sie noch nicht gestorben sind, so leben sie heute noch. [122]

36. Die schöne Magdalene.

Es wohnte einmal in einem einsam liegenden Wirthshause eine Wirthin, die war eine Witwe und hatte eine Tochter, die hieß die schöne Magdalene. Die Jungfer aber war so hübsch im Gesichte, daß sich bald ein Liebster aus der Stadt einfand. Der wollte das Mädchen sobald als möglich freien, aber die Mutter, die noch in ihren besten Jahren war, hätte den Bräutigam gern selbst gefreit, und weil er nun immer so gern mit den schönen runden Armen ihrer Tochter spielte, so entschloß sie sich kurz und besprach sich mit dem Scharfrichter, daß der der schönen Magdalene die Arme abhauen solle, um sie dem Bräutigam dadurch zuwider zu machen. Die Mutter führte nun die Tochter in einen Wald, wo der Scharfrichter auf sie lauerte und der schönen Magdalene beide Arme abhackte. Während nun der Scharfrichter noch mit der Mutter die beiden runden Arme der schönen Magdalene im Rasen verscharrte, lief die von ihnen fort und verschwor sich, nie und nimmer wieder vor ihrer Mutter Augen zu kommen. So ging sie unter großen Schmerzen in der Waldung weiter. Endlich kam sie aus der Waldung heraus und gelangte an einen hohen Berg. An dem stieg sie hinauf, da erblickte sie oben ein Schloß und einen großen Schloßgarten. Sie ging auf das Schloß zu und suchte in den Schloßgarten zu gelangen, kam auch endlich über den Zaun und in den Garten. Als sie da herumging, stand der Prinz vor dem Fenster im Schlosse und sah ihre Schönheit, bemerkte aber zugleich, daß sie keine Arme hatte. Er rief seine Mutter herbei und sagte: Ei, Mutter, sieh einmal, was für ein schönes Weib in [123] dem Garten ist, aber es hat keine Arme! Die Königin sah nun auch vom Fenster das schöne Mädchen ohne Arme in dem Garten herumflattern wie einen prächtigen Schmetterling. Weil sie nun auch gewahrte, daß ihr Sohn ein Auge auf sie hatte, so sprach sie: Geh hin und hole das Mädchen zu uns herauf aufs Schloß. Da ging der Prinz zu ihr in den Schloßgarten. Als das Mädchen nun sah, daß der Prinz auf sie zukam, wollte es entfliehen. Aber der holte sie ein und nahm sie mit sich aufs Schloß. Nun fragte des Prinzen Mutter sie aus, wo sie ihre Arme verloren habe und woher sie käme. Weinend erzählte sie Alles, was mit ihr geschehen war, und der Prinz verliebte sich in sie, bekannte auch gegen seine Mutter, daß die schöne Magdalene seine Geliebte werden solle. Die Mutter aber liebte ihren Sohn gar sehr, und weil sie sah, wie schön das Mädchen war, willigte sie sogleich ein, stellte die Hochzeit an und ließ ihren Sohn zum König krönen. Sie lebten nun sehr glücklich miteinander, aber bald mußte der junge König in den Krieg ziehen. Unterdessen gebar die schöne Magdalene einen kleinen Prinzen. Die Mutter des Königs, die darüber sehr fröhlich war, wollte ihm diese Nachricht mittheilen, schrieb einen Brief und schickte damit ihren treuen Diener ab. Der Diener kam unglücklicherweise in das nämliche Wirthshaus, aus dem die schöne Magdalene stammte. Die Wirthin, welche noch immer keinen Mann bekommen hatte (denn der Bräutigam ihrer Tochter war ihr nicht wieder ins Haus getreten, seit diese verschwunden war), fragte ihn nach ihrer Gewohnheit sehr genau aus und merkte aus seinen Reden von der Königin ohne Arme, daß aus ihrer Tochter eine Königin geworden war. Sie gab dem Bedienten einen Schlaftrunk in den Wein, nahm seine Briefschaften, erbrach sie und schrieb einen falschen Brief an den König des Inhalts, daß seine Frau einen jungen Pudelhund [124] geboren hätte und daß sie selbst, die alte Königin, vor dem Winseln des Hundes in der Nacht nicht schlafen könne. Der Prinz aber freute sich doch darüber, daß sie geboren hatte, und schrieb sogleich an seine Mutter, sie möchte seine Gemahlin gut halten und gut bewirthen, bis er wieder nach Hause käme, und den jungen Hund, den möchte sie aufbewahren. Der Knecht kehrte auf dem Rückwege auch wieder bei der alten Wirthin ein. Die war neugierig, was der König auf den Brief geantwortet habe, gab ihm wieder einen Schlaftrunk in den Wein und wie er fest schlief, erbrach sie zum zweiten Male seine Briefschaften. Da schob sie dann wieder einen falschen Brief unter, darin stand, daß die Mutter von Stund an seine Gemahlin verweisen möge. Wolle sie nicht fort, so würde er sie bei seiner Rückkehr von Schindershand fortbringen lassen, denn er habe sich eine andere Gemahlin erwählt, die er mitbringen würde. Die alte Königin war sehr traurig, als sie den Brief erhielt; die junge Königin aber wurde neugierig und ließ nicht ab, bis ihr die alte Königin erzählte, was ihr Sohn geschrieben habe. Von Stund an wollte die schöne Magdalene aus dem Schlosse fort, die alte Königin aber mußte ihr das Kind in ein Gewand wickeln und auf den Rücken binden. So zog sie wieder aus in die weite Welt.

Nach einiger Zeit kam sie wieder in einen dichten Wald, wo zur Seite sich ein Thal ausdehnte. Ihr Kind, das sie auf dem Rücken trug, wimmerte und sie konnte es nicht stillen, denn sie vermochte es mit dem Armstumpf nicht zu regieren. Da vernahm sie ein furchtbares Brüllen ganz in ihrer Nähe, und sie sah, daß es ein Löwe war. Der hob die Pfote auf, als er sie erblickte, und daran merkte sie, daß er sich einen Dorn in den Fuß getreten hatte. Da öffnete sie mit dem Munde das Bündel, worin sie das Kind auf dem Rücken trug und ließ es neben sich zur Erde niedergleiten. [125] Die schöne Magdalene kniete vor dem Löwen nieder und wollte mit dem Munde dem Löwen den Dorn aus dem Fuße ziehen, aber es gelang ihr nicht. Da hörte sie plötzlich eine Stimme. Sie sah sich im Walde um, erblickte aber Niemand und hörte auch nichts mehr. Bald ertönte die Stimme von neuem und nun vernahm sie deutlich die Worte: „Schöne Magdalene, geh hinunter ins Thal, setze dich auf die Knie in dem Wasser und tauche deine Schulterblätter hinein, so wirst du deine Arme wieder erhalten.“ Die schöne Magdalene mußte nun ihr Kind neben dem Löwen liegen lassen.

Wie die schöne Magdalene ins Thal hinab kam, hörte sie schon das Wasser im Gebüsch rieseln. Sie kniete darin nieder und tauchte ihre Schulterblätter hinein, und wie sie diese herauszog, saßen ein paar runde schöne Arme daran. Da eilte sie zu ihrem Kinde, das der Löwe unterdessen wie ein Erzengel bewacht hatte. Zuerst hob sie das mit den Armen auf und reichte ihm die Brust, und der Löwe harrte geduldig, bis sie es gesäugt hatte. Dann aber legte sie es wieder auf den Boden nieder und zog dem Löwen den Dorn aus der Pfote. Hierauf nahm sie ihr Kind wieder auf den Rücken, ging am Wasser herunter, der Löwe aber schritt nun immer hinter ihr und dem Kinde her und folgte ihr auf den Fersen. Sie suchte wiederum das heilsame Wasser im Thale auf, in das sie ihre Schulterblätter getaucht hatte, denn sie meinte, es werde sie zu einer menschlichen Wohnung führen. Als die Nacht hereinbrach, da kam sie vor ein Haus, da ging sie hinein und darin standen zwei Stühle und ein gedeckter Tisch mit Speise. Als sie sich etwas erholt hatte, kam ein weißes Männchen, dem graute gewaltig vor dem Löwen, denn er lag der schönen Magdalene gerade zu Füßen. Die schöne Magdalene rief ihm zu, vor dem Löwen brauche er sich nicht zu fürchten, [126] da trat das weiße Männchen näher und fragte sie, woher sie käme. Sie aber verhehlte nichts was sie erlebt hatte. Da erklärte das weiße Männchen, sie solle dort bleiben und es wolle schon für sie Sorge tragen. Wenn sie Hunger habe, solle sie nur sagen:

Tischchen decke dich,
Gläschen fülle dich, -

so würde Alles ankommen, was nur ihr Herz begehre. Das that sie auch, und so oft sie es sagte, kamen die leckersten Speisen und die kostbarsten Weine, und obenein stand noch etwas Marzipan auf dem Tische. So lebte sie einige Zeit in dem Hause, und war in der Regel dort ganz einsam, denn das weiße Männchen war meistens auswärts. Unterdeß kam ihr Gemahl wieder aus dem Kriege und vernahm Alles was mit ihr geschehen war. Nun stellte der König, der um seine Magdalene keine Ruhe hatte, eine große Jagd an, hatte auch selbst das Glück, am Abende in jenem Hause das Licht schimmern zu sehen, nachdem er sich von seinen Dienern und Genossen verirrt hatte. So kam er vor das Haus, klopfte an und die schöne Magdalene erkannte ihn sogleich an der Stimme. Allein der Löwe wollte nicht leiden, daß der König zu der jungen Frau hereinkäme. Da schlug sie den Löwen, da wurde er still und der König trat herein. Der fragte woher sie sei und warum sie in diesem kleinen Hause wohne. Sie aber bekannte Alles was mit ihr geschehen war. Da erkannte sie der König als seine Gemahlin und war voller Freude, daß mit der schönen Magdalene ein Wunder geschehen war und daß sie ihre Arme wieder erhalten hatte, und nun erst eine rechte Frau mit zwei schönen runden Armen aus ihr geworden war. Die Arme küßte er ihr inbrünstiglich und dann küßte er die Königin wieder auf den Mund, und so trieben sie es gar lange. [127] Die erste Nacht blieb der König mit seiner Frau in dem Hause des weißen Männchens. Am andern Morgen nahm er sie und zog mit ihr nach seinem Schlosse, und da ging der Löwe gar majestätisch auch mit zu Hofe. Mit seiner Mutter aber berathschlagte der König, was wol die alte Wirthin für einen Tod sterben solle. Die schlug vor, sie solle in eine Tonne gesteckt werden, die sollte mit Nägeln ausgeschlagen und dann den Berg hinabgerollt werden. Und so ist die Alte in der Tonne den Berg heruntergerollt, und die Raben, die es sahen, riefen: Krack! krack! damit wollten sie sagen: Das geschähe von Rechtswegen.

Der König aber schickte sein ganzes Hofgesinde aus nach den kostbarsten Armspangen, die nur auf der Welt zu haben seien. Da brachte ein Page das Kostbarste, was an Armspangen je gesehen war, und das legte der König selbst um ihre Arme. Das Beste war aber doch, daß die Königin ihren Mann nun auch ordentlich wie eine andere Frau in den Arm nehmen konnte.


37. Was ist der Mensch?

Nicht weit von Seesen liegt ein einsames Wirthshaus, ich glaube es heißt der neue Krug, der Vetter Juchheidom aber kennt es, denn der hat manches Glas dort geleert. Da diente eine Magd, die war treu und rechtlich. Da fiel es der Herrschaft einmal ein zu reisen, und das Mädchen blieb allein zu Hause. Nun hatte das Mädchen wol einen Bräutigam, der es jeden Abend bis um zehn Uhr besuchte, denn um zehn Uhr schob sie ihn jedesmal als eine sittsame Magd zur Thür hinaus und duldete nicht, daß er länger blieb. Den dritten Tag nach der Abreise der Herrschaft reinigte sie das [128] ganze Haus. Der Bräutigam aber wollte den Abend wieder dableiben, und bat und bettelte so viel, aber sie schob ihn endlich zur Hausthür hinaus und begleitete ihn dann noch eine kleine Strecke weit nach Seesen zu. Unterdessen haben sich Räuber ins Haus geschlichen und sind ins schönste Zimmer des Hauses gegangen. Darin standen Tische, deren Decken hingen auf die Erde herab, darunter versteckten sie sich alle sechs.

Nachdem aber die Magd an diesem Tage das ganze Haus gereinigt, hatte sie sich noch heiß Wasser aufgesetzt, denn sie hatte sich vorgenommen, sich an diesem Abende ein kleines Fest zu geben und sich einmal am ganzen Körper zu waschen und zu reineviren, wie jedes ordentliche Mädchen das wol einmal thut, wenn sie so ganz mutterseelenallein und ohne Zeugen im Hause ist. Wie sich das Mädchen nun am ganzen Körper gewaschen und abgetrocknet hat, kommt ihr ein Lüstchen an, sich so vor dem großen Spiegel in der Staatsstube zu besehen. So geht sie vor den großen Spiegel in dieser Stube, weiß aber nicht, daß die sechs Räuber unter den Tischdecken verborgen sind. Nun tritt sie vor den großen Spiegel hin und weil sie sieht, wie schön sie ist, und doch denkt, daß sie einmal sterben muß, sagt sie für sich: Was ist der Mensch? Von den sechs Männern ließ sich keiner etwas merken. Die Magd aber ging wieder hinaus, zog ein warmes Hemd an und legte sich ins Bett. Als die Räuber meinten, sie schliefe fest, kamen sie hervor, raubten von Allem das Beste und trieben es mit Maulthieren fort. Morgens kamen Leute aus der Stadt, die den Eseltreibern begegneten, achteten aber nicht auf sie. Als sie an dem Hause vorbeikamen, stand Alles offen und war leer. Da wurden sie aufmerksam, gingen hinein und fanden das Mädchen, das in diesen Tagen wenig Arbeit hatte, noch schlafend auf seiner Kammer. Als die erfuhr, was geschehen sei, [129] wollte sie sich anfangs das Leben nehmen, wurde aber durch gute Leute getröstet, und auch die Herrschaft that dem Mädchen nichts, weil es immer treu und redlich gewesen war. Auch verschmerzte die Herrschaft nach mehrern Jahren den Verlust ganz und gelangte wieder zu schönem Wohlstande.

Nun kam aber nach Jahr und Tag das Mädchen einmal in ein anderes Wirthshaus, da saßen an der Tafel herum mehrere Männer und spielten Karten. Als sie das Mädchen sahen, begann der Erste zum Zweiten: „Was ist der Mensch?“ und so sagte immer Einer nach dem Andern zu seinem Nachbar: Was ist der Mensch? Das Mädchen besann sich, daß es dies an jenem Abend gesagt hatte, kam nach Hause und erzählte Alles seinem Herrn, und auch ihm war es sogleich klar, daß dies die Räuber gewesen seien, die ihn vor Jahr und Tag bestohlen hatten, und er zeigte Alles der Obrigkeit an. Sogleich wurden mehrere Mann Wache hingeschickt, und die Räuber ergriffen und gekoppelt. Sie mußten nun Alles bekennen, auch wo ihre Räuberhöhle war, und darin fanden sich so viele Schätze, daß die Herrschaft Alles, was sie in jener Nacht verloren hatte, in Gelde wieder erhielt, die Magd eine reichliche Belohnung als Heirathsgut bekam, und noch Vieles an die Armen verschenkt werden konnte.

Wenn die Leute bei Seesen aber am Galgen vorbeigingen, dann krächzten die Raben: Was ist der Mensch? und dazu flogen die Armensünderleichen der Diebe im Winde. [130]

38. Die drei Gähner.

Es war einmal eine Frau, welche die Angewohnheit hatte, an jedem Abend erst dann zu Bette zu gehen, wenn sie dreimal vor Müdigkeit hatte gähnen müssen. Diese Frau saß eines Abends an ihrem Spinnrocken, da kletterte ein Dieb am Hause in die Höhe und sah vorsichtig durch die Fensterscheibe, denn er hatte sich mit zwei andern Dieben verabredet, in der Nacht hier einzubrechen. In diesem Augenblicke mußte die Frau zum ersten Male gähnen, und dabei zählte sie und sagte vor sich hin: „Das war der Erste.“ Sie meinte eigentlich, das sei der erste Gähner gewesen, aber der Dieb vor dem Fenster meinte, sie zähle die Diebe, die hier in der Nacht einbrechen wollten, und es sei Alles verrathen. Darum sprang er rasch wieder an dem Hause herunter und lief davon. Nicht lange, so kam der zweite Dieb, kletterte auch an dem Hause in die Höhe und sah ebenfalls durch die Fensterscheibe. In dem Augenblicke mußte die Frau zum zweiten Male gähnen, und da zählte sie wieder und sprach: „Das war der Zweite.“ Da war der zweite Dieb sehr erschrocken, sprang an dem Hause herunter und lief davon. Nach einiger Zeit kam der dritte Dieb, der wollte sich auch vorher überzeugen, wie's in der Stube aussah, kletterte deshalb ebenfalls an dem Hause in die Höhe und blickte durch die Fensterscheibe. Da mußte die Frau zum dritten Male gähnen und da zählte sie: „Das war der Dritte.“ Auch dieser Dieb meinte nicht anders, als daß die Frau die Spitzbuben zählte, die bei ihr einbrechen wollten, und daß das ganze Haus inwendig voll Gendarmen sei, um ihn mit seinen Kameraden in der Nacht zu empfangen. Er sprang [131] also schnell an dem Hause herunter und lief davon. Die Frau aber, weil sie drei Mal gegähnt hatte, stand nun auf, legte sich zu Bette und schlief die ganze Nacht hindurch sanft und ungestört.


39. Daumgroß.

Es war ein Kerl, der hieß Daumgroß und war auch nur daumgroß. Der ging einmal auf die Wiese, um sich Blumen abzupflücken, und da kam der Grasmäher und mähte ihn mit ab, und da wurde Daumgroß mit dem Heu getrocknet und eingefahren, auf die Heubanse gebracht und mit dem Heu der Kuh vorgeworfen, die fraß ihn mit auf und Daumgroß war immer noch nicht todt. Er wohnte nun in der Kuh wie in einem schönen großen Hause, trieb allerlei Scherze, und als das Stallmädchen die Kuh Abends milchte, sprach er:

Strip, strap, strull,
Dei Emmer dei is vull;
Ga hen un lang den Tower,
Dei Emmer dei geit ower[13].

So trieb Daumgroß es jedesmal, wenn die Kuh gemolken wurde, und das Mädchen wurde dadurch ganz furchtsam und getraute sich gar nicht mehr sie zu milchen. Da beschloß der Herr, die Kuh schlachten zu lassen, und als sie geschlachtet war, kam eine Bettelfrau, das war eine von der leckrigen und naschhaften Sorte, der schenkte der Herr, [132] weil sie so sehr darum bat, das Eingeweide, worin Daumgroß saß. Sie nahm das Eingeweide in ihren Korb und ging weiter im Dorfe herum betteln. In dem Dorfe aber ist es Mode gewesen, wenn ein Bettler nichts hat haben sollen, so haben sie gesagt: „Tröste dek Gott[14].“ Also hat der Daumgroß in dem Eingeweide gesessen und hat vor jeder Thür gerufen: „Tröste dek Gott“, und die Bettelfrau ist dann immer gleich weiter gegangen. Sie geht von Haus zu Haus und wird ganz betrübt, weil es überall heißt: „Tröste dek Gott“, freut sich aber auf die Eingeweide und macht, daß sie nach ihrer Wohnung kommt. Als sie nun die Eingeweide gekocht auf dem Tische stehen hat, kommt noch eine andere Bettelfrau dazu, die ist auch so leckrig und bettelt gleich los, daß sie ihr soll die Hälfte abgeben. Da steigt der Daumgroß auf einmal an der Kaldaunenschüssel in die Höhe, sieht diese zweite Bettelfrau grimmig an und ruft aus vollem Halse noch einmal: „Tröste dek Gott! tröste dek Gott!“ und darauf stirbt der liebe Daumgroß, denn das Kochen hat er doch nicht gut vertragen können. Die beiden Bettelfrauen aber haben gezittert und gebebt am ganzen Leibe, und alle Bettler und Vagabonden trauten sich anfangs gar nicht wieder betteln zu gehen, denn wenn sie danach ausgingen, so war es ihnen, als hörten sie immerfort rufen: „Tröste dek Gott! Tröste dek Gott!“ [133]

40. Kiekam's Haus und die Bettelkinder.

Es war ein Mann mit Namen Kiekam, der baute sich ein Haus, da war die Mauer von Zucker, die Wände waren von Pfeffernüssen, die Fenster von Honigkuchen und das Dach von Zwiebäcken. Da kam nun ein kleiner Betteljunge und ein kleines Bettelmädchen, die aßen von dem Hause, und wenn sie an dem Hause waren, so sprach das zu ihnen: „Knabbre mich, knabbre mich.“ Doch einstmals erwischte Kiekam die Kinder auf seinem Zwiebackdache und warf sie in den Teich. Die Bettelkinder krochen aber aus dem Wasser wieder heraus und kamen an einen Backofen, daran wärmten sie sich, denn sie waren über und über naß; auch waren sie im Wasser wieder sehr hungrig geworden. Da sprach der Backofen zu den Bettelkindern: „Schaufle mich, schaufle mich, die Semmeln wollen verbrennen.“ Da fuhren die Kinder mit dem Schaufelbret in den Ofen hinein, und hatten viele, viele Semmeln darauf. Es dauerte gar nicht lange, so kam auch eine Kuh daher, die schrie immerfort: „Milche mich, milche mich, die Milch will auslaufen.“ Da milchten die Bettelkinder die Kuh und brockten sich die Semmeln in die Milch, und aßen die Milch und die Semmeln miteinander. Und da waren sie satt und blieben satt und sind heute noch satt und sind doch noch nicht todt, sondern leben noch. [134]

41. Die lustige Hochzeit.

Ein reicher Bauer hatte eine arme Braut und wollte mit ihr Hochzeit halten. Da wurde von den Schwiegereltern ein Schwein geschlachtet halb und das noch einmal halb, und als nun die Hochzeit beginnt, fragt nun die Nachbarin die Braut: was sie denn für Hochzeitsleute hätten? Da sagt sie: „Den Schinder, den Büttel und den Bettelvogt, das Uebrige sind lauter gemeine Leute.“ Und da geht die Hochzeit vor sich, und da spielte der Schinder, der Büttel und der Bettelvogt eine große Rolle. Das arme Vieh aber wurde bis in den Tod hinein mit dem Futter vergessen, und weil der Stall ganz nahe an der Stube gewesen ist und das liebe Vieh in der Nacht gar zu hungrig wird, so sagt die Kuh zu dem andern Vieh: sie wollten auch auf die Hochzeit gehen, damit sie auch etwas zu essen bekämen. Das andere Vieh aber hat den Muth nicht dazu und sagt: wir wollen ein jedes erst einmal rufen, dann wird ja wol Jemand kommen. Da ruft zuerst die Kuh drei Mal hintereinander: „Is dei Hochtiet noch nich balle ute?[15]“ Der Hühnerhahn ist noch am zufriedensten, denn als die Braut aus der Kirche gekommen war, hatte er sich der Braut in den Weg gestellt und gekräht: „Kuck mik ook an!“[16] und da hatte sie ihn wirklich angesehen. Darauf hatte er sich mit seinen Hennen auf den Stallboden zu den Enten geschlichen und pickte die Körner auf, die noch da herumlagen, und da sagten die Hühner und die Enten zueinander: „Et gift noch immer [135] wat, wat, wat[17].“ Die Gänse waren auch nicht weit, ich glaube gar die wurden anzüglich gegen die Jungfer Braut, denn sie sprachen: „Schnatter de schnatter het miene Gans, is dat nich en schönen Danz?“[18] Das Schwein fängt an zu quieken, der Hund an zu bellen, die Katze redet hochdeutsch und sagt vor der Hochzeitsstube: „Mach mir auf, mach mir auf!“ Der Ochse schüttelt zu der ganzen schlechten Wirthschaft den Kopf und sagt: „Hum, hum!“ Der Esel schreit: „A nu, a nu!“ und meint, ei nun sollten sie ihm doch ins Drei-Teufels Namen endlich zu leben bringen. Das wurde nun zuletzt, da Niemand auf das liebe Vieh hörte, eine so schöne Musik, daß sie getrost hätten die Spielleute nach Haus schicken und nach der Hungermusik tanzen können, die von der Musikantentafel im Viehstalle kam, gereichte ihnen aber nicht zur Ehre, und wenn du einmal freist, sollst du auch des lieben Viehs nicht vergessen.


42. Die beiden Pflugeisen.

Ein Bauer kaufte zwei Pflugeisen auf dem Markte, die nahm er mit nach Hause; da fing das eine Pflugeisen sogleich an zu arbeiten und arbeitete ohne Unterlaß auf dem Felde, das andere aber lag müßig an der Wand im Stalle. Nach längerer Zeit kamen die beiden Pflugeisen einmal wieder zusammen; da war das Pflugeisen, das im Stalle da lag, ganz rostig geworden, und beneidete das andere, weil [136] es so blitzblank war. Ja, sprach das zu dem rostigen Pflugeisen, wenn du so fleißig gearbeitet hättest wie ich, so wärst du auch blänker. - Daraus ist zu lernen: Arbeit macht blank, aber Faulheit macht ruppig.


43. Von einem Reisenden, der die Weisheit Gottes ergründen wollte.

Es war einmal ein kluger Mann, der ging auf Reisen und wollte die Weisheit Gottes ergründen. Mehrere Jahre war er deshalb gereist, da kam er an ein Meer. Da sah er Jemand, der mit einem Eimer ohne Boden aus dem Meere Wasser schöpfte. Den fragte er, warum er das thäte. Antwortet der: er wolle das Meer leer schöpfen.

„Das wäre nicht möglich.“

„So gut als das nicht möglich sei, sei auch nicht möglich, daß er die Weisheit Gottes ergründen könne.“ Damit war die Gestalt vor seinen Augen verschwunden.

Der kluge Mann setzte seine Reise fort und kam zu einem Kohlkopfe, der war so groß, daß ein Regiment Soldaten darunter Schutz finden konnte. Darauf kam er an einen großen Kessel, den hatten zwei Schmiede in Arbeit, und der zweite Schmied fragte, ob der erste Schmied schon weit von ihm fort wäre. Der Kessel aber war so groß daß der eine Schmied den andern nicht klopfen hörte, und in dem Kessel sollte der große Kohlkopf gekocht werden. Als der kluge Mann das erfuhr, zweifelte er selbst, ob er die Rathschläge Gottes erforschen würde, und ging fort in tiefen Gedanken. Als er mehrere Tage gegangen war, fand er eine Reisegesellschaft von sechs Männern. Mit diesen setzte [137] er gemeinschaftlich die Reise fort. So kamen sie in ein Land, da wurden sie alle Sieben gefangen. In diesem Lande aber regierte ein Mann, der war zwölf Fuß hoch und sechs Fuß breit und hatte nur Ein Auge, das war so groß wie ein Käsenapf und saß mitten vor dem Kopfe. Diesem wurde einen Tag um den andern einer von den Reisenden zum Verzehren gebracht. Und nun waren Alle aufgezehrt außer Dem, der die Weisheit Gottes ergründen wollte und noch einem andern. Mit diesem andern berathschlagte er, wie sie sich retten könnten. Da machte er in der Nacht ein Eisen glühend und stach dem großen Manne im Schlaf das Auge aus. Darauf liefen sie fort. Nachdem sie mehrere Stunden gelaufen sind, kommt der große Kerl mit großen Schritten hinter ihnen her, kann sie jedoch in seiner Blindheit nicht finden. Nun gelangen sie in ein Land, da wird der kluge Reisende zum Rathsherrn ernannt, und er muß als Rathsherr auch ein Weib nehmen. Es ist aber Sitte in diesem Lande, daß, wenn Jemand gefreit hat und die Frau stirbt zuerst, der Mann lebendig mit ins Grab muß, wobei ihm ein kleines Brot mitgegeben wird. Nun stirbt dem Rathsherrn die Frau und er muß mit ihr ins Grab. Auf der einen Seite aber grenzt die See an das Todtengewölbe. Wie der kluge Mann nun in der Nacht schlaflos dasitzt und etwas von dem Brote verzehrt, kommt ein Seethier und holt sich einen Todten. Er hängt sich an dieses Seethier und das geht mit ihm in die See. Wenn er jetzt noch lebt, so sucht er in der See noch die Weisheit Gottes. Davon ist aber weiter noch kein Bescheid gekommen. [138]

44. Der goldbehängte Rappe.

Es war einmal ein armer Ritter, der gerieth unter die Falschmünzer, die wagten es nicht, ihn zu morden, weil dann große Nachforschungen nach den Mördern angestellt wären, und ließen ihn ziehen, und versprachen ihm einen mit Goldstücken über und über behängten Rappen, wenn er sie nicht anzeigte. Das that der arme Ritter auch nicht, vergaß seiner Pflicht gegen König und Vaterland, die Verbrecher mit zu verfolgen, und freute sich lange Zeit auf den goldbehängten Rappen, bis einmal ein Bote kam, der bestellte ihn an einen einsamen Ort. Der arme Ritter ging zu Fuß dahin, und als er hinkam, hielt da ein Reiter, der hatte noch ein zweites Pferd am Zügel, einen Rappen gar wild und prächtig. Der war über und über mit Goldstücken behangen, die klangen so eigen, wenn der Rappe sich nur ein wenig von der Seite bewegte und nach einer Fliege schlug. Die Zügel des Rappen aber warf er dem gewissenlosen Ritter zu und sagte: das Roß mit Goldstücken behangen schickten ihm die Falschmünzer zur Belohnung für seine Verschwiegenheit, und ließen ihm sagen, daß sie jetzt des Geldes genug hätten und mit ihren Schätzen als angesehene Männer in fremde Länder reisten. Damit sprengte der Reiter davon.

Der Ritter aber bestieg den goldbehängten Rappen und wollte voller Freude mit ihm heim reiten, denn er hatte noch nie ein so herrliches Roß gehabt. Wie er aber dem Thiere die Sporen in die Seiten drückte und das einen Sprung that, da klangen die Goldstücke so mächtig, daß der Rappe sich hoch aufbäumte, mit dem Ritter davonlief und ihn endlich, weil die Goldstücke bei dem Laufen immer stärker [139] klangen und zuletzt läuteten wie Glocken, in einen Abgrund warf und am Felsen zerschmetterte. - So müsse es Allen ergehen, welche den König zu Schaden bringen, den Hehlern wie den Stehlern.


45. Der Muttermörder.

Es war eine arme Witwe, die hatte einen großen bösen Sohn, dem mußte sie täglich eins von ihren Hühnern schlachten und kochen, damit er nur arbeite. Das Huhn aß der gottlose Sohn jeden Tag ganz allein, und die alte Mutter erhielt nichts davon. Nun hat aber eine arme Witwe nicht so viel Hühner auf ihrem kleinen Hofe als ein Amtmann, und es dauerte gar nicht lange, da hatte der gottlose Sohn alle Hühner verzehrt bis auf eine einzige Henne. Diese Henne ihm auch noch zu schlachten, weigerte sich die Witwe, und darüber wurde ihr Sohn so zornig, daß er sie erschlug.

Dieser Sohn wurde nachher auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Und als er auf dem Scheiterhaufen saß und die Flammen schlugen an ihm empor, da hat er so hell geschrien, und da ist ein Wind gekommen, der hat sein helles Geschricht über das ganze Land hingetragen, und da haben alle Leute das Juchen des Muttermörders vernommen und sind erschrocken, denn schaurig war es anzuhören. Zu der Zeit stand in diesem Lande, wo sie dieses Juchen gehört hatten, das vierte Gebot hoch in Ehren, und die alten Mütterchen waren so geachtet, wie es ihnen von Gott und Rechtswegen gebührt, und wurden so dreist, daß eine alte Frau ohne Umstände ihrem erwachsenen Sohne eine Maulschelle [140] gab, wenn er zu einem Mädchen auf die Freit ging, das ihr nicht gefiel.


46. Der Mann im Rauch.

Es waren einmal zwei Räuber, die wohnten in einer Höhle im Walde, von da aus brachen sie in der Nacht in die Häuser auf den Dörfern ein. Einstmals aber standen sie am Eingange des Waldes, wohin sie sich mitunter an schönen Tagen wagten, und schmauchten ihre Pfeifen. Da fuhr ein Wagen vorbei, darin saß der junge Herr Graf vom Schloß mit seiner Frau, die hatten eben Hochzeit gehabt und küßten sich so vielmals, und kehrten sich dabei gar nicht an die Räuber, die am Eingange des Waldes standen. Da wollte den Räubern ihre Pfeife nicht mehr schmecken, denn sie wünschten sich auch eine Frau.

Sieh da, da kommt eben ein Saufaus in den Wald, und weil die Räuber ihn kannten, so versprachen sie ihm viel Geld, wenn er ihnen seine Frau verkaufen wolle. Das leuchtete dem Mann ein, sie gingen noch etwas weiter in den Wald in die Nähe der Räuberhöhle, er erhält das Geld und macht selbst den Vorschlag: er wolle seinen Rock ausziehen und hier über den Busch hängen, dann wolle er seine Frau in den Wald schicken, die solle ihn holen, und dann sollten die Räuber hinter dem Busche hervorspringen, sie greifen und in ihre Höhle tragen.

Gesagt, gethan. Die Frau verwundert sich wol, da ihr Mann ihr sagt, sie solle seinen Rock von dem Busche holen, wo er ihn habe hängen lassen, weil sie aber gut und folgsam ist, und weil ihr Mann in der Trunkenheit schon [141] manchmal Dinge gemacht hatte, über die sein Weib in ihrem keuschen, schlichten und nüchternen Sinne sich sehr verwundern mußte, so geht sie doch in den Wald, wo er ihr den Busch, der an einem Kreuzwege war, genau bezeichnet hat. Da begegnet ihr aber ihr Bruder, der war der Jäger bei dem Grafen auf dem Schlosse und fragte, was sie im Walde thun wolle. Er verwunderte sich sehr, weil sie sagte, daß ihres Mannes Rock am Busche hinge, den solle sie holen, und folgte ihr von weitem nach und gab Achtung, ob sich da wol nichts begeben würde. Wie sie nun aber nach ihres Mannes Rock griff, da sprangen auf einmal die Räuber hinter dem Busche hervor. Zum Unglück hatte der Jäger all sein Pulver auf ein Reh verschossen, das ihm an dem Tage so oft in die Quere gekommen war; aber er hetzte alle seine Hunde auf die Räuber, und wie sie auch ihn selbst sahen, da entflohen sie eiligst.

Der Jäger aber nahm seine Schwester nun mit auf das Grafenschloß, und da jammerte es ihrer die junge Gräfin und den Grafen, und weil die Schwester des Jägers von ihrem Manne schwanger war, so durfte sie dort heimlich ihr Wochenbett halten und genas zweier wunderschönen Knaben. Und weil die Gräfin ihre Freude an den schönen Kindern hatte und der Graf den Rabenvater strafen wollte, so gab der ein großes Fest, und dazu lud er auch den Mann der Frau ein. Der hatte gesagt, seine Frau habe sich im Walde erhängt und war von dem Gelde der Räuber ein reicher Herr geworden und gar stolz und vornehm, und hielt mit lauter Baronen Umgang. Als ihm aber nun der Wein schon etwas zu Kopfe gestiegen war, da fragte ihn der Graf: was wol der Mann an seiner Frau und seinen Kindern verdiente, der so und so an ihr handelte. Und da spricht er sich in der Betrunkenheit selbst sein Urtheil und sagt: ein solcher Mann müßte in den Rauch gehängt [142] werden und da elendiglich umkommen. Und wie er gesprochen hatte, so geschah ihm auch, und wurde in den Rauch gehängt und mußte da elendiglich umkommen. An den Knaben aber hat nachher der Graf Vaterstelle vertreten, sie wuchsen später mit seinen eigenen Söhnen heran und wurden wackere Jäger auf dem Schlosse wie ihr Oheim.


47. Vom Schneider Hosenblank.

Es war einmal ein Schneidergesell mit Namen Hosenblank, der schrieb mit goldenen Buchstaben an seinen Hut: er habe neun im Unzorn todtgeschlagen. Das war aber also zugegangen. Der Schneider saß zur Sommerzeit in der Herberge, da flogen so viele Fliegen um die Biergläser und auch in das Glas dieses Schneidergesellen hinein, da wurde er so zornig, daß er mit der Fliegenklappe auf einmal neun Fliegen im Unzorn todt schlug. Darum ließ er sich den Hut machen, blieb aber an dem Hute der Herbergsmutter noch einen Gutengroschen schuldig.

So reiste er mit dem Hute nun weiter in die Welt, und aller Orten, wo er durchkam, fürchteten sich die Leute gewaltig vor ihm. Da kommt er auch in die Königsstadt, da fährt der König an ihm vorbei, der liest, was an seinem Hute steht, läßt ihn vor sich kommen und fragt ihn, ob er denn so ein starker Mann sei.

„Ja, das wäre er.“

Gibt ihm also auf: er hätte eine Räuberbande auf seiner Landesgrenze, die solle er tödten. Dafür verspricht ihm der König Geld genug; aber der Schneider sagt: er sei ein Königssohn und thäte es nur, wenn er seine [143] Tochter haben solle. So verspricht ihm der König seine Tochter zur Gemahlin, wenn er die Räuber tödten könne, gibt ihm ein Pferd, Pistolen und einen Degen. Als er in die Gegend kommt, wo die Bande sich gemeiniglich aufhält, sitzen die Räuber Alle an einem Wasser und essen gerade Mittagsbrot. Da sie aber von Ferne an seinem Hute lesen, daß er neun im Unzorn todtgeschlagen hat, sagt der Räuberhauptmann: das sei ihr Todtmacher, und da springen Alle vor Angst ins Wasser. Da hängt er einige davon, wie sie als Leichen wieder im Wasser empor kommen, im Walde bei den Beinen auf, und den andern schneidet er die Köpfe ab, und sagt zum Könige: einigen von den Räubern hätte er lebendig den Kopf abgehauen und die andern lebendig bei den Beinen aufgehängt. Da gibt ihm der König seine Tochter zur Frau.

Und siehe, die Königstochter war die Einzige, die es gemerkt hatte, daß es mit dem Muthe des Schneiders nicht so weit her war, und sie mochte ihn daher nicht ausstehen. Legte also jede Nacht, wenn sie miteinander zu Bette gingen, ein scharfes zweischneidiges Schwert zwischen sich und den Schneidergesellen. Da lag aber der Schneider nun immer und rief und jammerte, sobald er glaubte, die Königstochter schliefe: er sei der Herbergsmutter noch einen Gutengroschen schuldig, denn sein Gewissen war in den langen Nächten wach geworden, und er machte sich allerlei Gedanken bei der schönen Königstochter. Die Königstochter aber schlief nicht, sondern sie hörte gar wol was er sprach und erfuhr dadurch, daß er ein Schneider war, nahm das zweischneidige Schwert und hackte ihm den Kopf ab, und da war's mit dem Schneider vorbei. [144]

48. Der König von Papierland und von Kummerland.

Es war einmal ein lustiger Student, der wurde von der hohen Schule relegirt, weil er seinem Jugendübermuthe zu sehr den Zügel schießen ließ. Seine Bücher und Alles, was seine ohnehin armen Aeltern ihm mitgegeben hatten, als er auf die hohe Schule ging, war schon längst verkauft, und so zog er an einem rauhen Tage im dünnen Sammetröckchen und mit einer kleinen Studentenkappe bedeckt, in die weite Welt. Nachdem er eine Zeit lang gegangen war, kam er in den Wald, und da fror ihn gar sehr und die Nacht brach auch herein, und er wußte nicht, wo er sein Haupt hinlegen sollte. Da sah er auf einmal im Walde ein Häuschen stehen, und da stand eine alte Hexe in der Thür, die winkte den jungen Burschen zu sich, der ging auch richtig zu ihr ins Haus. Darauf wies sie ihm sein Nachtlager an, und er schlief die ganze Nacht hindurch und erhob sich neugestärkt am andern Morgen, um weiter zu ziehen. Da wollte ihn die alte Hexe nicht unbeschenkt ziehen lassen und gab ihm einen Mantel, der ihn unsichtbar machte, so oft er ihn umhing, einen Ring, der ihn allwissend machte, wenn er ihn an den Finger steckte, und eine Wurzel, vor der alle Thüren aufsprangen. Die Wurzel steckte der Student in seine Rocktasche. Den Mantel hing ihm die Hexe gleich selbst um und dabei sprach sie: „Es schadet nichts, wenn er dich jetzt sogleich auf deiner Reise auch unsichtbar macht, er hält doch warm und schützt dich vor dem Frost, der dich in dem dünnen Röckchen gewaltig plagen würde.“

Von nun an sann der Student auf nichts als tolle [145] Streiche. Er begab sich sofort in die Königsstadt und da ging er geradeswegs nach der Schatzkammer. Diese sprang denn auch vor seiner Springwurzel sogleich auf und schloß sich wieder hinter ihm zu, und weil ihn wegen seines Mantels Niemand sah, so bemerkte es nicht einmal die Wache vor der Schatzkammer, daß sich die Thür aufthat. Und so holte der Student am hellen Mittage so viel Geld aus der Schatzkammer, als er nur tragen konnte, und er ging von nun an Tag für Tag dahin, um sich die Taschen zu füllen. So lebte er als ein gar großer Herr in der Residenz, und wenn er den Mantel nicht um hatte, so erschien er gar prächtig gekleidet. Oft aber ging er in seinem Mantel unsichtbar am hellen Tage über die Straße, und dann sah er den Frauen so kühn und keck ins Gesicht, daß ihn die Männer gewiß vor Eifersucht erschlagen haben würden, wenn sie es gewußt hätten. Aber daran war's ihm noch nicht genug. Er schlich sich auch einmal zu dem Könige in seinem Mantel, und dem stahl er Krone und Seitengewehr, ohne daß er es merkte, denn er sah ja Niemand neben sich.

Das war dem König natürlich nicht einerlei, er berieth sich insgeheim mit seinen Ministern, und nach ihrem Vorschlage berief er nach der Sitzung die Prinzessin zu sich und sprach zu ihr also: „Mein Kind, wir wollen ein großes Fest veranstalten und dazu alle Welt einladen. Wer dann am Abende, wenn Alle in unserm Garten lustwandeln, an dich herantritt und dir einen Kuß gibt, dem mache so leise als möglich mit Kohle einen Strich ins Gesicht, denn der ist der Kühnste von Allen, die zu dem Feste kommen, und der hat ganz gewiß auch meine Krone und mein Seitengewehr geraubt - ein Anderer hätte sich's nicht unterstanden. So komme ich wieder zu Krone und Seitengewehr, welche ich auf jeden Fall wieder haben muß, und du kommst zu einem Kusse, den ich dir sonst nicht eher gestatte, als bis zu deiner [146] Verlobung mit einem mächtigen Prinzen.“ Und so wurde alle Welt zu dem Feste eingeladen.

Während der König aber so mit seiner Tochter gesprochen, hatte der Student gerade den Ring am Finger, den ihm die Hexe gegeben hatte, und da wußte er jedes Wort, das der König zu der Prinzessin sprach. Auf den Abend, als es dunkelte, gingen Alle in den Lustgarten des Königs, um zu lustwandeln. Und da ging immer ein Hofherr mit einer Hofdame, und selbst der alte König führte seine Frau Königin am Arm.

Wiewol nun der Student gar begierig war, der Königstochter einen Kuß zu geben, so hatte er doch, wie die Gesellschaft in den Garten ging, erst seinen Mantel umgenommen und ging unsichtbar von einem Herrn zum andern und malte jedem Herrn einen Strich, dem alten König aber zweie. Dann warf er den Mantel ab und suchte die Königstochter auf.

Sie war die Einzige in der Gesellschaft, die allein ging. Einsam lustwandelte sie etwas abseits in den dunkeln Gängen und wartete, ob nicht Jemand käme, der den Muth hätte, sie zu küssen, wie ihr der alte König befohlen hatte. So trat der Student zu ihr und gab ihr einen herzhaften Schmatz. Sogleich malt ihm die Königstochter mit Kohle einen Strich ins Gesicht. Wie aber Alle aus dem Garten wieder in den hellerleuchteten Königssaal ziehen, da ist der Student nicht der Einzige, der einen Strich im Gesicht hat, sondern alle Hofräthe und alle Offiziere, von dem ältesten General bis zu dem jüngsten Fähnrich, der noch nicht einmal das Offizierexamen bestanden hatte, trugen ihren schwarzen Strich. Den dicksten Strich hatten die Minister des Königs gerade unter der Nase, und die sahen einander gar curios an, als sie das merkten, denn jeder von ihnen dachte, daß sein Herr College die Königstochter geküßt hätte. [147] Als die Königstochter im Saale die vielen Striche sah und bemerkte, wie jeder Hofrath und jeder Lieutenant sogar seinen Strich hatte, da verhüllte sie ihr Antlitz aus Scham vor ihrem Vater. Endlich sah sie diesem ins Gesicht, und da sah sie, daß der König zwei Striche hatte, und das sah in dem Augenblicke auch der König durch einen der vielen großen Wandspiegel, und darüber mußte er mit seiner Tochter herzlich lachen. Denn die Prinzessin war der Augapfel des Königs und er allein küßte sie jeden Tag.

Nun hätte die Königstochter aber gar zu gern gewußt, wer sie an diesem Abende in dem Laubgange geküßt hatte. Denn der Kuß des Studenten hatte ihr gar wohl behagt und viel besser geschmeckt als die Küsse ihres Vaters, den sie herzlich liebte. Daß einer der Männer, die beim Feste zugegen waren, sie wirklich geküßt hatte, verhehlte sie ihrem Vater nicht, und der König war sogleich überzeugt, daß es der nämliche Wildfang gewesen sei, der ihm aus Uebermuth Krone und Seitengewehr geraubt habe. Weil nun aber der König die Krone, die schon seine Väter auf dem Haupte getragen hatten, um jeden Preis wieder haben wollte, und weil auch das Seitengewehr, das er so lange geführt, ihm gar lieb geworden war, so besprach er sich mit seiner Tochter und seinen Ministern, und machte bekannt, daß Derjenige, der ihm seine Krone und sein Seitengewehr zurückbrächte, die Prinzessin zur Frau haben solle. Da verschwand der Student auf kurze Zeit vom Feste, und bald darauf brachte er des Königs Krone und sein Seitengewehr. Der König sprach zu ihm, als er ihm das wiederbrachte: wer so kühn sei, der müsse doch auch wol von königlichem Geblüte sein, und sah seinen künftigen Schwiegersohn fragend an. Da antwortete der Student: Mein Vaterland ist Kummerland, und mein Königreich ist Papierland; der König aber, weil er einmal sein Wort gegeben hatte, forschte [148] nicht weiter nach, wo dieses Land lag. Da wurde noch an demselben Abende die Verlobung des Studenten mit der Prinzessin gefeiert, und wenn die Prinzessin dem Studenten bei jedem Kusse, den er ihr an diesem Abende gab, noch einen Strich ins Gesicht gemalt hätte, so wäre er zuletzt gewiß so schwarz im Gesicht gewesen wie ein Schornsteinfeger.


49. Der gelehrige Dieb.

In einer Stadt wohnten ein Paar alte Leute, die hatten einen Sohn, der wollte ein Dieb werden. Der Vater war zwar dawider, konnte aber nichts dagegen thun und mußte ihn ziehen lassen. So ging der Sohn in die weite Welt. Nach einiger Zeit begegneten ihm drei Männer, die trugen Mäntel, und Degen darunter. Die fragten ihn, wohin er wolle, und er antwortete, er sei in die Welt gegangen, um ein Dieb zu werden. Die Männer erwiderten, da habe er's gut getroffen, denn sie seien selbst Diebe und lauerten soeben einem Fleischermeister aus der Stadt auf, der mit drei Ochsen des Wegs kommen würde. Er möge sogleich einmal den Versuch machen, ob er dem mit List die Ochsen abnehmen könne, ohne ihm ein Haar zu krümmen. Sie würden in der Nähe bleiben, um ihm behülflich zu sein; doch dürfe der Fleischermeister gar nicht merken, daß ihm die Ochsen gestohlen seien, denn der sei ein Rathsherr und führe das Wort auf dem Rathhause, und wenn der wüßte, daß ihm die Ochsen gestohlen wären, so würde er einen so gewaltigen Lärm schlagen, daß die ganze Stadt, und der hochwohlweise Magistrat voran, sich mit Heugabeln bewaffnete, um die Diebe aufzusuchen und zu tödten.

[149] Der junge Mensch macht schnell seinen Plan, läßt sich den Degen des einen Räubers geben, und diese entfernen sich eine Strecke weit. Den Degen versteckt er im Moor, die Scheide aber behält er und beginnt am Rande des Morasts hin und her zu suchen. Während dem kommt auch der Fleischer mit den drei Ochsen daher, den ruft er an und fordert ihn auf, ihm den Degen suchen zu helfen, welchen er aus seiner Scheide verloren habe. Der Fleischer benutzt die Gelegenheit, seine Ochsen ruhen zu lassen und hilft ihm suchen. Allein der junge Dieb richtet es so ein, daß sie sich allmälig immer mehr von dem Moore entfernen und zuletzt suchend über eine Anhöhe steigen, über welche der Weg führt. Wie sie nun jenseit des Hügels sind, bleibt er plötzlich stehen und sagt: „Potz Blitz, da hab' ich meine Geldkatze neben dem Moor liegen lassen, wo ich einen Augenblick ruhte, die muß ich geschwind holen, das wäre ein schöner Fund für einen Bettelmann, nichts als blanke Pistoletten sind darin, die ich zu meinem Vetter über Feld tragen sollte. Er baut sich ein neues Haus, und das kostet Geld, da hat mein Vater ihm ein Sümmchen vorschießen müssen.“ Und damit ist er von dem Fleischermeister fort, der ganz ruhig hinter dem Berge stehen bleibt und auf ihn wartet.

Die Räuber hatten unterdessen aus ihrem Versteck hinter einem Busche die drei fetten Ochsen mit lüsternem Auge betrachtet, und konnten sich kaum enthalten, hervorzuspringen und sie ohne Weiteres fortzutreiben. Doch bezähmten sie ihre Raubgier, weil sie sich gar zu sehr fürchteten vor dem angesehenen Rathsherrn, dem Fleischermeister, wenn er den Diebstahl merkte, und auch weil sie abwarten wollten, was für eine List ihr neuer Kamerad als Probestück zu Tage bringen werde. Der aber lief an den Moor, zog rasch den Degen heraus an der Stelle, wo er ihn versteckt hatte, und hackte den drei fetten Ochsen die Schwänze ab. Die steckte [150] er nun mitten in den Moor hinein, sodaß die Schwanzenden wie Büschel daraus hervorschauten. Dann winkte er den Räubern, daß sie die Ochsen wegtreiben möchten. Die eilten sogleich herbei, und jeder ergriff seinen Ochsen am Strick. Nun gingen von der Gegend, wo der Moor war, viele Wege ab, und jeder führte über einen kleinen Hügel. Da schlugen die Räuber den Weg ein, der am wenigsten betreten war, und der führte auch am schnellsten über einen Hügel, hinter dem der Rathsherr, wenn er an den Moor zurückkam, sie nicht mehr sehen konnte.

Die drei fetten Ochsen mit den abgeschnittenen Schwänzen wanderten also etwas langsam in ihrer Weise der Räuberhöhle zu. Während dem trat der junge Dieb wieder zu dem Fleischermeister, der sich ein wenig auf den Rasen hingelegt hatte, und der Fleischermeister fing noch einmal an, mit ihm nach dem Degen zu suchen, welchen er jetzt neben die Ochsen gelegt und den der Räuber, dem er gehörte, dann in der Hand mit sich genommen hatte. Er wußte auch den Fleischermeister noch in ein Gespräch über fette Ochsen zu verflechten, das sich sehr lang hinzog und gab ihm mancherlei Rathschläge, wo das beste Rindfleisch in der Kuhhaut zu kaufen sei, bis es endlich nach langer lieber Zeit dem Fleischermeister einfiel, doch auch einmal nach den drei Ochsen am Moor zu sehen, für die er schon sein schönes Geld bezahlt hat.

Der junge Dieb begleitet ihn zurück; allein die Ochsen sind verschwunden. Da zeigt der Dieb ihm die drei Schwänze, die aus dem Moore hervorstehen. Der Fleischermeister aber schreit Ach und Weh, und ruft: „Meine Ochsen sind in den Moor gerathen und darin versunken. Gewiß leben sie noch, denn gerade so heben die Ochsen die Schwänze in die Höhe, wenn sie wild werden. Könnte man sie doch an den Schwänzen wieder herausziehen! Aber es wäre eine Versündigung, [151] wenn wir auf den Moor gehen wollten, wo wir ganz gewiß auch versinken würden.“

Darauf kehrte der Fleischermeister nach der Stadt zurück und der junge Dieb schlug den Weg ein, der ihm von den Räubern bezeichnet war. Er fand sie mit ihren Ochsen noch hinter dem Hügel gelagert, über den sie getrieben waren. Denn bis sie über die Anhöhe hinüber waren, hatten sie die langsamen Stiere zuletzt mit ihren Degen zur Eile antreiben müssen, sodaß an einigen Stellen unter ihrer braunen Haut das Blut hervorquoll, und deshalb mußten sie ihnen Ruhe gönnen, sobald sie die Anhöhe hinter sich hatten und von dem Fleischermeister nicht mehr gesehen werden konnten.

Nachdem der junge Mensch sich dort auch neben den Ochsen zu den Räubern gelagert und mit ihnen tüchtig ihrer Feldflasche zugesprochen hatte, die mit gutem Wein gefüllt war, trieben sie die zum Weiterschreiten an, doch verließen sie alsbald die Straße und trieben auf unwegsamen Pfaden der Räuberhöhle zu. Langsam und mühsam schoben sich die fetten Thiere durchs Gebüsch, das die Räuberhöhle in weitem Umkreise umgab, und oft blieben sie im Gezweig hängen und die Räuber mußten es vor ihnen mit ihren Degen abhacken.

Endlich gelangten sie aber doch zu der Höhle, die war gewaltig groß und in der Vorhalle stellten sie die drei Ochsen auf. Die waren dort schon seit mehrern Stunden erwartet und die Räubermagd warf ihnen Gras vor, das sie auf Geheiß des Räuberhauptmanns schon im voraus am Morgen für sie hatte schneiden müssen. Die Ochsen fingen sogleich an zu fressen, und wie sie mit den Mäulern so im fetten Grase wühlten, da trat aus der hintern Höhle der Räuberhauptmann heraus, der sah aus wie ein ansehnlicher und ganz behaglicher Mann, hatte eine kleine Käpselmütze auf und rauchte aus einer langen Pfeife. Er war schon [152] ein ältlicher Herr, betrachtete die Ochsen und freute sich gar sehr über sie. Sogleich aber stellten ihm die Räuber ihren jungen Kameraden vor. Anfangs mahnte ihn der Hauptmann von seinem Vorhaben, ein Dieb zu werden, ab und sagte, daß es doch ein Geschäft sei, wobei Einem zahlreiche Geschöpfe, von den Landreitern bis herunter zu den Hofhunden, bei Tag und Nacht nachstellten. Wenn man freilich erst selbst ein Räuberhauptmann sei, setzte er wohlgefällig hinzu, und daheim in der Höhle sitze und den Räubern commandire, die bei Tag und Nacht umherstreifen müßten, dann sei man wenigstens vor den Hunden sicher. Aber die Landreiter, das seien Sapperloter, vor denen sei nicht einmal ein Räuberhauptmann in seiner Höhle sicher. Er wisse nicht, ob auf die Dauer der Diebstahl ein sicheres Brot bleiben werde, denn wenn erst neben jedem Hasen ein Landreiter zur Deckung hergaloppirte, dann würde man wol schon den Beutel aufthun müssen, wenn man nur einmal was Gutes schnabuliren wolle, und das sei doch unerhört.

Der junge Mann ließ den Räuberhauptmann ruhig ausreden und erwiderte, daß er sich einmal vorgenommen habe, ein Räuber zu werden. Und als der Hauptmann von seinen Gesellen erfuhr, was er dem Fleischermeister schon für einen Streich gespielt habe, und daß der glaube, seine Ochsen seien ihm im Moor versunken, da streckte er ihm die Hand entgegen und rief: „Topp! sind auch die Schwänze der Ochsen weg, du bist willkommen in der Räuberhöhle.“

Als der junge Mann einige Zeit bei den Räubern gewesen war, kam er eines Abends nach Hause und da sagte ihm der Hauptmann: In Hamburg wohne ein reicher Kaufmann, und er habe Nachricht bekommen, daß der große Vorräthe an kostbaren Schmucksachen, wie Perlen und Edelgesteine, und die schwersten Seidenstoffe auf seinem Lager habe. Der [153] müsse jetzt bestohlen werden, und er habe es ihm zugedacht, den Diebstahl auszuführen. Er übernahm den Auftrag und bekam die schönsten Kleidungsstücke, wie sie ein Dieb, der sich in Hamburg will sehen lassen, nun einmal haben muß. Am andern Morgen aber wartete eine prachtvolle Kutsche, die mit vier stattlichen Hengsten bespannt war und die der Räuberhauptmann bestellt hatte, vor dem Gebüsch, das die Räuberhöhle umgab. Da trat der junge Räuber aus dem Gebüsch hervor wie ein großer Herr, stieg in die Kutsche, und fort ging's mit den vier Hengsten in sausendem Galopp. Wie sie eine Strecke weit gefahren waren, kam ein wunderlicher Mann daher quer über das Feld, der hatte einen Strohkranz um den Leib gebunden und trug eine Krone von Papier. Da hieß der Räuber den Kutscher die Pferde anhalten, und fragte den Mann mit dem Strohkranz und der papiernen Krone, wer er sei. Der antwortete: „Ich bin der König von Maroccoco“; auf alle andern Fragen aber erwiderte er nichts als: „J-a.“ Als nun der Räuber hörte, daß der sich einbildete, er sei der König von Marocco, und nichts sagte als Ja, das er noch dazu so aussprach, wie ein Esel sein Ja ausspricht, da sagte er geschwind zu ihm: „Wollen Eure Majestät nicht hier neben mir in meinem Wagen Platz nehmen? Es thut Einem doch leid, einen solchen Mann zu Fuß übers Stoppelfeld einhertraben zu sehen. Also belieben Eure königliche Majestät nur einzusteigen.“ Am Abende dieses Tages kehrten sie in einem Wirthshause nicht weit vor den Thoren von Hamburg ein. Da ließ der Räuber dem Könige von Marocco gut zu essen und zu trinken bringen, sodaß der in seinen dummen Gedanken meinte, es gebe doch auf der ganzen Welt kein schöner Leben, als König von Marocco zu sein. Am andern Morgen saßen sie Beide wieder im Wagen, die vier Hengste schnauften noch vor Vergnügen an dem genossenen Hafer mit den Mäulern, und so [154] rollte die Kutsche gar bald zu den Thoren von Hamburg ein und hielt dann auf der lebhaftesten Straße in der Stadt vor dem Kaufmannshause, das der Räuber bestehlen sollte, und das das größte in ganz Hamburg war.

Als die Kutsche mit den vier Hengsten dort vorfuhr, sprangen alle Diener, die in dem Geschäft waren, heraus, denn sie dachten: wer mit vier Pferden vorfährt, der kauft gewiß mehr als eine Schürze von Nesseltuch. Sie halfen also dem Räuber und Dem mit der Papierkrone und dem Strohkranz aus dem Wagen, und führten sie in den großen Laden. Da standen nun die Diener Alle ehrerbietig umher, rieben sich ein wenig die Hände und lächelten dazu und warteten, daß die Fremden zuerst das Wort ergreifen möchten. Da sprach auf einmal der mit dem Strohkranz und der Papierkrone: Ich bin der König von Maroccoco, und alle Diener verneigten sich fast bis zur Erde. Der Räuber aber sprach: „Er kann nicht ordentlich deutsch, darum muß ich seine Geschäfte für ihn führen. Seine Tochter will den Kaiser von China heirathen (bei diesen Worten nickte der König von Marocco freundlich mit dem Kopfe), und weil er gehört hat, daß hier ein so großes Kaufmannshaus sei, wie nirgends mehr auf der ganzen Welt (hier verneigte sich der Handelsherr und alle Diener machten's ihm nach), so will er hier seine Einkäufe zur Hochzeit machen.“ Und da nickte der König von Marocco zum zweiten Male mit dem Kopfe und sagte J-a dazu, denn es war ihm, als sei Alles wahr, wie der Räuber es sagte, und im Stillen hatte er oft schon darüber nachgedacht, wenn er so von Gott und aller Welt verlassen über die Stoppelfelder dahinschritt, ob es nicht das Gescheiteste sei, seine Tochter, die Prinzessin von Marocco, an den Kaiser von China zu verheirathen. Seine Tochter aber war ein Bettelmädchen, das mit einem Orgeldreher im Lande herumzog. [155] Sogleich waren alle Diener beschäftigt, vor dem Räuber die kostbarsten Stoffe aufzurollen, und der Handelsherr selbst holte die prächtigsten Geschmeide von Gold und Demanten herbei. Daraus suchte sich der Räuber das Beste aus, zeigte es dem König von Marocco vor, und dieser sagte immer J-a. Damit meinte er, das sollte gekauft werden, und freute sich schon, wie strahlend seine Tochter am Hochzeitmorgen neben dem Kaiser von China einherschreiten würde.

So packt der Räuber einen ganzen Koffer voll, und der Kaufherr freut sich nicht wenig, daß der König von Marocco mit seiner Waare so zufrieden scheint. Als aber der Reisekoffer gefüllt war, fragte der Räuber den König von Marocco, ob er diese Waaren nun in den Gasthof bringen solle, wo sie übernachtet hätten.

J-a, sagt der König von Marocco.

Ob er denn auch das Geld mitbringen solle, setzt er hinzu.

J-a, antwortet der wieder.

Wie der Reisekoffer auf den Wagen gehoben wird, greifen alle Diener des Handelshauses mit an, und der Handelsherr selbst schnallt die Riemen zu, mit denen er hinten am Wagen des Räubers befestigt wird. Dabei flüstert ihm der Räuber zu: er möge den König von Marocco in seine Stube führen und gut bewirthen, bis er wieder käme, denn der bezahle gut. Damit steigt er ein und die vier Hengste jagen im Galopp zum Thore hinaus nach der Räuberhöhle zu.

Als die Kutsche wieder vor dem Buschwerk anlangte, das die Räuberhöhle umgab, standen dort zwei Räuber bereits auf Wache, nahmen den Koffer in Empfang und trugen ihn in die Höhle. Dort aber machte der Räuberhauptmann, weil er, wie gesagt, schon etwas bei Jahren war, ihn gleichfalls zum Räuberhauptmann, und übertrug ihm das [156] ganze Commando über die Bande. Und von jetzt an spazierte er selbst mit der langen Pfeife unter den aufgespeicherten Schätzen in der Räuberhöhle umher, lebte wie ein großer Herr und that nichts weiter, als daß er den Räubern Befehle ertheilte wie ein General.

Dem Kaufmann in Hamburg aber wurde die Zeit zu lang, bis der Geschäftsführer des Königs von Marocco zurück kam. Er ging auf der Straße auf und nieder, allein die Kutsche mit den vier Hengsten, worin der junge Räuber saß, kam nicht zurück. Da ging er in die Stube, wo der König von Marocco mit Austern und Champagnerwein bewirthet ward, und drohte, daß er ihn vor den Richter führen würde, wenn sein Geschäftsführer nicht bald zurückkehre. Der aber schrie wie wüthend, als er vom Richter hörte: „Ich bin der König von Maroccoco.“

Der mit dem Strohkranze und der Papierkrone weigerte sich am andern Morgen, gutwillig mit vor den Richter zu gehen. Deshalb mußte der Kaufherr auf die Polizei schicken, die ihn mit Gewalt hinbringen sollte. Als er aber merkte, daß die Polizei ihm Gewalt anthun wolle, warf er ihr grimmige Blicke zu und rief immerfort: „Ich bin der König von Maroccoco.“ Sie traute sich darum anfangs gar nicht, ihn anzugreifen; endlich aber faßte sie sich ein Herz, und wie sie ihn über die Straße vor den Richter führte, rief er noch immerfort: „Ich bin der König von Maroccoco.“ Da rissen einige andere reiche Handelsherren das Fenster auf und riefen dem Kaufmann, der den König von Marocco vor den Richter führen ließ, zu: „Ei, ei, einem solchen Manne solltet Ihr doch wol ein paar Jahre Credit geben, was soll denn aus unsern Handelsbeziehungen mit Marocco werden, wenn der König von Marocco hier so vor den Kopf gestoßen wird?“

So kam der Gefangene vor den Richter, da antwortete [157] er auf alle Fragen nur J-a. Und wenn sie ihn in Hamburg noch nicht frei gelassen haben, so sagt er vor Gericht noch immer J-a.


50. Vom langen Winter.

Ein kluger Mann hatte eine dämliche Frau. Der kaufte er einen Ochsen und trug ihr auf, während er im Sommer und Herbst auf Reisen gehen mußte, ihn fett zu füttern für den langen Winter. So oft er einmal nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau: „Weib, denke an den langen Winter! Füttere mir den Ochsen recht, damit er etwas Festes vorfindet, wenn er kommt, und greife mir das Geld nicht an, das ich hier in den Schubkasten lege, denn das ist auch für den langen Winter.“ Und so geht er denn wieder in seinen Geschäften auf Reisen.

Wie der kluge Mann fort ist, da kommt an einem schönen Tage im Herbst einmal ein Fleischer zu der Frau und fragt: ob sie keinen Ochsen zu verkaufen hätte. Die Frau schaut ihn an und sieht, daß er sehr lang und groß ist und fragt, wer er denn sei. „Ich bin der Fleischermeister Winter“, antwortet er, „für mich wird gar mancher Ochse fett gemacht.“ „Also der lange Winter“, ruft die Frau aus und sagt: ja, wenn er der lange Winter wäre, da hätten sie auch einen Ochsen für ihn, er möge nur mit in den Stall kommen, sie wolle ihm das Thier sogleich übergeben. Sie gehen also miteinander in den Ochsenstall, und der lange Winter klopft den Ochsen so recht wohlgefällig auf sein braunes Fell und sagt: das wäre doch einmal etwas für ihn, so etwas von Ochsen wäre lange nicht für ihn gemästet [158] worden. Da wird die Frau ganz gerührt, daß der lange Winter mit ihrem Ochsen so zufrieden ist und sagt: „Ach, lieber Herr Winter, wenn Ihr wüßtet, wie oft ich an Euch gedacht habe, so oft mein Mann fort war! Den ganzen Tag hab' ich den Ochsen gepflegt und gewartet, damit Ihr ein gutes Stück Fleisch fändet, wenn Ihr kämet. Mein Mann sagte mir aber auch jedesmal, wenn er hier war: Frau, denke an den langen Winter. O, der hält große Stücke auf Euch, das könnt Ihr mir glauben.“ Der lange Winter kneipte die Frau ein wenig in die Wangen, und sie wurde in ihrem Herzen ganz glücklich darüber, von einem solchen Manne so geehrt zu werden. Da glaubte der Fleischer, jetzt sei der Augenblick gekommen, wo er mit der Frau über den Preis abschließen müsse. Er bot ihr wenig genug, weil er sie so gut gelaunt sah. Aber die Frau sagte: „Was denkt Ihr von uns? Das ist mir und meinem Manne an der Wiege nicht gesungen, daß wir Ochsen für Geld fett machen sollen, das thun wir nur aus Liebe. Ja, ja, aus Liebe für Euch, Herr Winter, haben wir den Ochsen fett gemacht. Wir haben auch Geld für Euch gespart, kommt mit herein in die Stube, in der Schublade da liegt es, es werden so nach und nach funfzig Thaler geworden sein.“

Der Fleischermeister staunte, ließ sich aber den Ochsen gefallen und folgte der Frau in die Stube, auch die funfzig Thaler in die Tasche zu stecken. Wie sie in die Stube kamen, sagte die Frau: „Herr Winter, Ihr seid doch wirklich sehr lang. Ich bitte, stellt Euch einmal da an die Thür, damit ich Euch ordentlich messen kann.“ Der große Fleischermeister stellte sich auch richtig an die Thür. Die Frau aber nahm etwas Kreide, stieg auf einen Stuhl und machte einen Strich über seinem Kopfe an die Wand. Dann klatschte sie in die Hände und sprach: „Es ist mir lieb, daß ich Euch gemessen habe. Es wird immer so viel vom langen Winter [159] gesprochen, und wenn nun wieder auf den die Rede kommt, so kann ich doch auch mitsprechen und sagen: so und so lang ist er, o, den kenn' ich recht gut.“

Nun muß sich der lange Winter in den Lehnstuhl setzen, die Frau aber eilt in die Küche, knickt Holz und macht ihm einen Kaffee. Den trinken sie miteinander aus und die Frau ist sehr vergnügt, daß sie nun auch sagen kann, der lange Winter hat einmal bei ihr Kaffe getrunken. Darauf zählt sie ihm die funfzig Thaler vor, und die steckt er in die Tasche. Nun hilft sie ihm auch noch den Ochsen von der Krippe lösen und sieht dem langen Winter noch eine Zeit nach, wie er so wohlgemuth mit ihrem Ochsen und ihrem Gelde dahin zieht. Bald darauf kam eine andere Frau zu ihr, der sollte sie etwas abkaufen. Da sagte sie ganz schnippisch: „Ich habe jetzt kein Geld. Wenn man Bekanntschaft hat mit dem langen Winter, wie mein Mann und ich, so kann man sein Geld besser gebrauchen.“

Das war nun Alles recht gut. Als aber der kluge Mann nach Hause kam, und die Frau ihm mit der Botschaft entgegensprang, daß der lange Winter dagewesen sei, und daß sie ihm den Ochsen und das Geld geschenkt habe, da war er sehr unglücklich, denn er sah alle seine Hoffnungen, den Winter hindurch mit seiner Frau zu bestehen, auf einmal gescheitert. Er sagte zu ihr: „Von jetzt an sind wir geschieden, ich will nichts mehr mit dir zu schaffen haben und so lange gehen, bis ich einen dümmern Menschen antreffe, als du bist. Hab' ich den gefunden, so komme ich wieder zu dir. Bis dahin aber leb' wohl.“

Er macht sich also wieder auf den Weg und geht eine ganze Strecke weit, findet aber nirgends einen dümmern Menschen als seine Frau. Endlich blies der Wind schon ganz winterlich übers Stoppelfeld, und da kommt eine Frau Amtmannin auf einem Schimmel daher geritten. Da bleibt [160] er stehen und sieht fortwährend gen Himmel. Nun ist eine Frau Amtmannin auch neugierig, so gut wie eine Tagelöhnerfrau, und will wissen, was in der Welt vorgeht. Darum hält die Dame ihren Schimmel an und fragt: was er denn da machte und warum er fortwährend gen Himmel sähe. Er aber winkte ihr: sie solle nur ruhig sein, er sei soeben vom Himmel gefallen und müsse das Loch in Acht nehmen, wo er herausgefallen sei, damit er wieder hineinkönne, denn hier auf der Erde könne er doch nicht bleiben, das sei nichts für ihn, wer erst einmal im Himmel gewesen sei, dem komme es hier zu ledern für.

Wie die Frau Amtmannin das hört, fragt sie sogleich: wenn er aus dem Himmel sei, ob er dann ihren Sohn nicht kenne, der vor zwei Jahren gestorben wäre. Ja, sagt er, den kenne er wol, dem ginge es oben schlecht, denn weil er vom Lande sei und mit der Wirtschaft Bescheid wüßte, so müsse er oben Futter schneiden. Darüber fängt die Frau Amtmannin gewaltig an zu lamentiren, daß ein Amtmannssohn im Himmel Futter schneiden müsse. Sie sagt, das hätte sie nicht gedacht; ob sie ihrem Sohne denn wol nicht mit etwas Geld unter die Arme greifen könne? Sie hätte hier einen Beutel mit tausend Thalern, den sollte sie von ihrem Manne ihrem Stiefsohne bringen, der fortwährend in großer Geldverlegenheit sei; wenn sie aber wüßte, daß ihrem verstorbenen Sohne damit geholfen werden könne, so würde sie ihm auf der Stelle den Beutel mit in den Himmel schicken, denn er sei doch von ihrem eigenen Fleisch und Blut, und ihr Stiefsohn könne warten. Der kluge Mann sagt: das Geld wolle er schon besorgen, er sähe ihren Sohn im Himmel alle Tage. Die Frau gibt ihm also den Beutel; er sagt: da er nun einmal auf der Erde sei, so wolle er doch hier auch seine Verwandten einmal besuchen. Das Loch im Himmel, woraus er gefallen sei, hätte er sich genau gemerkt, [161] und darauf könne sie sich verlassen, morgen um diese Zeit habe ihr Sohn im Himmel schon das Geld in Händen. Und damit geht er seiner Wege. Die Frau aber reitet nach Hause und verkündigt ihrem Manne hocherfreut, daß sie Gelegenheit nach dem Himmel gefunden und ihrem rechten Sohne die tausend Thaler mitgeschickt hat. Was will der Amtmann thun? Er besteigt sogleich den Schimmel, um Den zu verfolgen, der seiner Frau die tausend Thaler abgeschwatzt hat, und weil er ein sehr praktischer Mann gewesen ist und gern zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat, so steckt er von neuem tausend Thaler ein, die will er bei der Gelegenheit seinem noch lebenden Sohne überbringen.

Wie der kluge Mann den Schimmel wieder ankommen sieht, versteckt er seinen Beutel mit den tausend Thalern vor einer Hecke und geht ganz langsam. Als der Amtmann bei ihm ist, fragt er, ob er hier Niemand so recht gefährlich laufen sehen, es habe hier Einer seiner Frau tausend Thaler abgenommen, der müsse hier wol an ihm vorbeigerannt sein. O ja, sagt der kluge Mann, es sei Jemand daher gerannt, als ob der Jäger hinter ihm wäre, und wie er den Schimmel gesehen, da sei er mit einem Satze durch die Dornhecke dort gesprungen und dahinter müsse er sich wol versteckt halten. Da dankt ihm der Amtmann vielmals, daß er ihm so gute Auskunft gegeben hat, und sagt: Jetzt will ich den Halunken schon fassen. Er steigt von seinen Schimmel herunter, bittet den klugen Mann, ihm den Schimmel ein wenig zu halten, und klemmt seinen dicken Amtmannsbauch mühsam durch die Dornhecke hindurch. Wie er mit ganz zerfetztem Rocke endlich hindurch ist und auf jener Seite der Dornhecke den Spitzbuben sucht, holt der kluge Mann den Beutel mit den tausend Thalern wieder hervor, die er versteckt hat, und thut sie zu den neuen tausend Thalern, die der Amtmann seinem Sohne hat wollen [162] bringen und die er im Mantelsacke hat stecken lassen. Darauf besteigt er den Schimmel, jagt heim zu seiner Frau und verkündigt ihr, daß er einen Amtmann und eine Amtmännin gefunden hat, die noch dümmer seien als sie. An dem Tage, wie er zurückkam, fiel der erste Schnee in diesem Jahre, und als nun der rechte lange Winter kam, da fand er mehr als der unrechte Winter gefunden hatte, und der kluge Mann lebte an den langen Winterabenden recht vergnügt mit seiner dämlichen Frau. Der Amtmann aber, wie er an jenem Tage zu seiner Frau kam, sprach zu ihr: „Frau, nun hab' ich unserm Sohne die andern tausend Thaler auch noch mitgegeben und auch den Schimmel, damit er doch oben auch retten kann, wie die andern Engel, für welche er Futter schneiden muß.“ Das war die Amtmännin gar wohl zufrieden, denn sie meinte, es schicke sich nicht für einen Engel, der ein Amtmannssohn sei, daß er im Himmel zu Fuß gehe.


51. Frauenlist über alle List.

Eine Frau war so schlecht, die wollte ihren Mann blind machen und fragte ihre Nachbarin, wie sie das anfangen solle. Ei, sagte die Nachbarin, da lasse sie ihn nur immer das Obere von Allem wegessen und esse sie selber das Untere, dann muß der Mann ganz dürr werden, seine Säfte vertrocknen und das Augenlicht geht ihm aus. Nun ließ die Frau den Mann auch richtig immer das Obere essen und sie aß das Untere. Da wurde sie so dürr wie eine Spindel und der Mann wurde so dick, daß er mit Händen und Füßen nicht den Boden berührt haben würde, wenn er sich [163] auf den Bauch gelegt hätte. Dabei war er aber doch gar behende, und seine Augen waren auch so hell wie noch nie.

Weil aber die Nachbarin ihm den Anschlag seiner Frau verrathen hatte, so stellte er sich doch nach einiger Zeit blind, um zu sehen, was sein Weib im Schilde führe. Da sagt die Frau eines Tages: „Heute ist gar schönes Wetter, darum wollen wir ein wenig auf dem Teichdamme spazieren gehen.“ Damit nimmt sie ihren Mann bei der Hand und führt ihn auf den Teichdamm. Wie sie eine Zeit lang da hin und her spaziert sind, sagt die Frau: „Lieber Mann, dort seh' ich unsere Nachbarin gehen, mit der hab' ich zu reden, bleib einmal auf dieser Stelle stehen, ich werde gleich wieder hier sein.“

Und damit läßt sie ihres Mannes Hand los, geht eine kleine Strecke weit fort und nimmt einen ordentlichen Anlauf, um ihn in den Teich zu stoßen. Der Mann aber sieht das Alles recht gut, tritt ein wenig bei Seite, als seine Frau mit ausgespreizten Händen auf ihn zuschießt, und siehe da, die Frau fliegt selber in den Teich und ersäuft.

Da war aber noch ein anderer Mann dabei, der sah das auch mit an und mochte auch vielleicht so eine kluge Frau zu Hause haben; der sagte nachher zu diesem Ehemanne: „Ja, Frauenlist geht doch über alle List!“


52. Die beiden Eheleute.

Hielten einmal zwei Leute miteinander Hochzeit, die machten miteinander aus, wer etwas Dummes beginge, sollte über den Stuhl gezogen werden und vom Andern was hinten aufgezählt erhalten. Am Tage nach der Hochzeit läßt die [164] Frau die Speise anbrennen, da zieht der Mann sie übern Stuhl und zählt ihr was hinten auf. Dann geht er fort mit dem Korbe, will Hühner und Eier verkaufen. Fliegen die Hühner aus dem Korbe auf die Bäume im Walde, nimmt der Mann die Eier, wirft damit nach den Hühnern und will sie herunterjagen, hat aber die Hühner nicht wieder bekommen und ist die Eier nun auch noch los gewesen. Wie er nach Hause kommt, zieht die Frau ihn über den Stuhl und nun bekommt der Mann seine Stripse. Und so haben sie es fortgetrieben, sind aber doch nicht klüger davon geworden.


53. Der strenge Mann.

Es war einmal ein Mann, der heirathete die Tochter des Predigers, und nach der Trauung sagte der Prediger zu ihm: er müsse seine Tochter erst ordentlich ziehen, sie zum Fleiß anhalten und ihren Eigenwillen brechen, er selbst sei zu gut gegen sie gewesen, bat ihn aber zugleich, er solle seiner Tochter den Schimpf nicht anthun, daß er sie schlüge. Allein der Mann sah bald, daß seine Frau ohne Schläge nicht gebessert werden könne. Da holte er sich einen rechtschaffenen Knüppel aus dem Holzlande und so oft sie nun eine Speise verdorben hatte oder ungehorsam war, sagte er: „Die Katze soll die Schläge dafür haben.“ Dann mußte seine Frau die Katze auf den Rücken nehmen, und dann schlug er darauf los, bis die Katze halbtodt war und die Frau stürzte. Nun schämte sich aber auch die Frau, ihrem Vater zu bekennen, daß sie Schläge bekomme, und ihren Mägden und ihren Freundinnen sagte sie auch nur, wenn die die Streiche gehört hatten, daß ihr Mann die Katze prügle. Als das [165] aber eine Weile so gedauert hatte, ging die Frau in sich, that in Allem den Willen ihres Mannes und lebte mit ihm in Frieden und in Glück.


54. Die drei kunstreichen Mädchen.

Drei Mädchen waren auf der Wiese und machten Heu. Da kam ein Hase aus dem Walde, rief nach seiner Gewohnheit, wenn er in Angst ist: „Wäsche! Wäsche![19]“ lief am Waldrande hin über die Wiese und die Mädchen legten mit ihren Harken auf ihn an. Da fiel ein Schuß und der Hase lag in seinem Schweiße. Die drei Mädchen aber fingen sogleich an sich darüber zu streiten, denn jede behauptete, aus ihrer Harke sei der Schuß gekommen, und ihr gehöre der Hase.

In dem Augenblicke aber schoß auch schon ein Jagdhund aus dem Walde hervor auf den Hasen los, der rief noch einmal nach seiner Wäsche und war todt. Der Jäger, der hinter dem Busche gestanden und von da aus den Hasen geschossen hatte, trat auch auf die Wiese heraus und wollte ohne Weiteres den Hasen in seine Jagdtasche stecken.

Da waren die Mädchen auf einmal einig untereinander und sprachen: dem Jäger gehöre der Hase auf keinen Fall, eine von ihnen hätte ihn bestimmt mit der Harke geschossen. Der Jäger aber sprach: „Das sind mir seltsame Dinge! Hat man je so etwas gehört, daß ein Hase mit der Harke geschossen ist, und noch dazu von jungen Mädchen! Wie einfältig doch diese Dinger sind! Ha ha ha ha!“

Indessen die Sache kam endlich vor den Richter, und [166] der beschied die drei Mädchen und den Jäger zu gleicher Zeit vor sich. Der Richter schüttelte den Kopf über die Aussage der Mädchen, die aber sprachen: „O, Herr Richter, urtheilt nicht zu voreilig! Erlaubt vielmehr, daß jedes von uns drei Mädchen Euch ein Kunststück vormache. Danach werdet Ihr fürs erste ersehen, daß unsere Kunst wol groß genug ist, um mit der Harke einen Braten schießen zu können, und fürs zweite sollt Ihr danach auch entscheiden, welcher von uns drei Mädchen der Hase gehört.“

Der Richter willigte ein, und die drei Mädchen gingen nun im Hause des Richters umher, um sich aus der Wirthschaft zusammenzuholen, was jede zu ihrem Kunststücke gebrauchte.

Da bin ich doch neugierig, was da herauskommen wird, sagte der Richter unterdessen zum Jäger, der verdrießlich auf dem Stuhle saß. Indem kam das Jüngste der drei Mädchen zurück mit einer Handvoll Senf und auch mit einem Spiel Würfel. Das Beides that sie in eine Büchse und schüttelte es gut durcheinander. Dann warf sie auf den Tisch, was in der Büchse war, und siehe da! sie hatte den höchsten Wurf gethan, der nur gethan werden konnte und, was das Beste war, in jedem Auge lag ein Senfkorn.

Darüber verwunderte der Richter sich gar sehr, und als die zweite Dirne wieder hereinkam, sprach er: „Ihr Mädchen, den Braten habt Ihr schon gewonnen, jetzt wollen wir nur noch sehen, ob eine von Euch diesen Wurf durch ein anderes Kunststück überbietet.“ Da ging der Jäger ärgerlich davon.

Das zweite Mädchen hatte eine Handvoll Haselnüsse gefunden. Davon knackte es eine auf, steckte den Kern in ihren Busen und schlug sich dann mit der Hand hinten an die Lenden. Da flog der Nußkern aus ihrem Busen heraus und das Mädchen fing ihn hinten in den Falten ihres [167] Rockes wieder auf, nahm ihn heraus, zeigte ihn dem Richter, knackte dann wieder eine Nuß, steckte den Kern wieder in den Busen, schlug sich abermals an die Lenden und fing ihn wieder hinten auf, und so fort, immer Schlag auf Schlag. Darüber lachte der Richter, daß er sich den Bauch halten mußte, und das Mädchen mußte endlich mit ihrem Kunststück aufhören, damit er nicht vor Lachen erstickte.

Unterdessen wälzte die Dritte ein Tönnchen Wein ins Zimmer, hob es auf den grünen Tisch, brachte Flaschen, ein Maß und einen Eimer herbei, nahm auch eine Nähnadel, wo du und ich nicht einmal einen Faden hätten einziehen können, ohne die Spitze am Lichte zu brennen, und was denkst du wol, was sie nun machte? Den Wein ließ sie in einen Eimer laufen, dann hielt sie die Nadel wie einen Trichter über die Flaschen und füllte eins, zwei, drei die ganzen Flaschen durch das Nadelöhr mit Wein, ohne daß ein einziger Tropfen von dem Wein vorbeilief.

Da sann der Richter eine Weile nach und sprach: „Hier ist es sehr schwer, eine Entscheidung zu treffen. Ich gebe aber der Aeltesten von Euch drei Mädchen den Hasen, weil sie zugleich etwas Nützliches mit ihrer Kunst gethan und den Wein bei der Gelegenheit auf Flaschen gefüllt hat. Auch war ihr Kunststück am sinnreichsten, denn ich habe dabei immerfort an den Bibelspruch gedacht: Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, eher wird ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen, als daß ein Reicher ins Himmelreich kommt. Hier, nimm deinen Braten, und hier (dabei schenkte der Richter einen Krug voll von dem Wein) das trinke mit deinen Gespielinnen auf meine Gesundheit, und nun haltet Euch brav.“ [168]

55. Die drei messingenen Becken.

Es waren einmal drei Schwestern, zu denen sagte ihr Vater: „Meine lieben Töchter, eine von euch muß jetzt heirathen und die andern Beiden sollen noch warten. Da stehen drei messingene Waschbecken, darin wascht euch die Hände, und welcher von euch dann zuerst die Hände an der Luft trocknen, die soll zuerst einen Mann haben.“ Da wuschen die drei Schwestern sich die Hände und dann setzten sich die beiden ältesten, legten die Hände in den Schoos und betrachteten sie ohne Unterlaß, ob sie noch nicht trocken seien, denn sie sehnten sich sehr nach dem Manne. Die jüngste Schwester aber ging sehr unruhig in der Stube auf und ab und rief immer fort: „Ich mag aber keinen Mann, ich will in meinem Leben nicht freien!“ Dabei schlenkerte und schleuderte sie vor Aerger und Verdruß, daß das Heirathen auch sie betreffen könne, die Hände, und da dauerte es gar nicht lange, da waren sie trocken, und die beiden ältesten Schwestern blickten immer noch in den Schoos und ärgerten sich, daß ihre Hände noch naß waren. Also mußte die Jüngste den Mann nehmen, und die beiden Aeltesten bekamen ihn nicht.

Es ist auch einmal ein Mädchen gewesen, das wollte bei der Trauung vor dem Altar noch nein sagen, als der Pfarrer sie fragte, ob sie den Mann wolle. Da fing aber der Bräutigam bitterlich an zu weinen. Als die Braut sah, wie der Bräutigam weinte, sagte sie: Nun, wenn es denn nicht anders sei, so sollten sie ihr den Mann nur hergeben. Und damit wurden sie getraut. [169]

56. Zu Ranze Tanze.

Ein alter Mann heirathete eine junge Frau, die hatte schönes, schönes Ringelhaar. Die Frau wollte zu Ranze Tanze gehen, das wollte der alte Mann durchaus nicht gestatten. Die Frau ging darum aus der Hinterthür, da rief der alte Mann: „Junge Frau, wenn du willst zu Ranze Tanze gehen, mußt du dein schönes, schönes Ringelhaar hier lassen, daß sich die jungen Männer nicht darin verlieben.“ Da fing die junge Frau dem alten Manne eine Fledermaus im Garten, that die in eine kleine Schachtel und reichte sie ihm durchs Fenster. Als der nun im Dunkeln die Schachtel öffnete, flog die Fledermaus zum Fenster hinaus, und der alte Mann jammerte: „O weh, o weh, jetzt seh ich meiner Frau ihr schönes, schönes Ringelhaar nicht wieder!“ Als aber die junge Frau von Ranze Tanze kam, sprach sie: „Was weinst du, mein lieber alter Mann? ich that dir ja mein Lebtage nichts zu Leide.“ „Ach“, sprach der alte Mann, „wie sollt' ich denn nicht weinen? Ist mir doch dein schönes, schönes Ringelhaar zum Fenster hinausgeflogen.“ Da lachte die junge Frau, zündete Licht an, nahm ihre Haube ab und zeigte ihm ihr schönes, schönes Ringelhaar. Darauf sprach der alte Mann: „Ei du junge Frau, das hätte ich nicht gedacht, daß dir dein schönes, schönes Ringelhaar zu Ranze Tanze nachgeflogen wäre. Es muß aber wol so beschlossen sein in Gottes Rath, daß eine junge Frau soll zu Ranze Tanze gehen, darum geh inskünftige nur immer hin und nimm dein schönes, schönes Ringelhaar gleich mit. Ich werde Gott bitten, daß er dir einen Engel mit zu Ranze [170] Tanze gibt, der dich behütet und bewahrt, denn ich alter Mann kann's nicht, das seh' ich nun klar.“


57. Der Lorberbaum auf der Haide.

Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.

Was saß an dem selbigen Baum? Ein wunderschöner Ast. Ast an dem Baum, Baum auf der Haid'. Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.

Was saß an demselbigen Ast? Ein wunderschöner Zweig. Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum, Baum auf der Haid'. Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.

Was saß an demselbigen Zweig? Ein wunderschönes Nest. Nest an dem Zweig, Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum, Baum auf der Haid'. Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.

Was lag in demselbigen Nest? Ein wunderschönes Ei. Ei in dem Nest, Nest an dem Zweig, Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum, Baum auf der Haid'. Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.

Was saß in demselbigen Ei? Ein wunderschöner Vogel. Vogel in dem Ei, Ei in dem Nest, Nest an dem Zweig, Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum, Baum auf der Haid'. Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.

Was saß an demselbigen Vogel? Eine wunderschöne Feder. Feder an dem Vogel, Vogel in dem Ei, Ei in dem [171] Nest, Nest an dem Zweig, Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum, Baum auf der Haid'. Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.

Was saß an derselbigen Feder? Ein wunderschönes Bett. Bett an der Feder, Feder an dem Vogel, Vogel in dem Ei, Ei in dem Nest, Nest an dem Zweig, Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum, Baum auf der Haid'. Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.

Was lag in demselbigen Bett? Eine wunderschöne Nonne. Nonne in dem Bett, Bett an der Feder, Feder an dem Vogel, Vogel in dem Ei, Ei in dem Nest, Nest an dem Zweig, Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum, Baum auf der Haid'. Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.

Was lag bei derselbigen Nonne? Ein wunderschöner Prinz. Prinz bei der Nonne, Nonne in dem Bett, Bett an der Feder, Feder an dem Vogel, Vogel in dem Ei, Ei in dem Nest, Nest an dem Zweig, Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum, Baum auf der Haid'. Dort auf jener Haid' steht ein Lorberbaum, träget Le la Laub, träget Laub.


58. Vierundzwanzig-Pfund-Buttermilch.

Eine alte Jungfer pflegte Folgendes zu erzählen:

Unsere Mutter war eine geborene Frauensperson und brachte in zwei Jahren achtundzwanzig Kinder zur Welt, nämlich sieben Mädchen, elf Knaben und zehn Jungen, unter den Jungen war auch der Vierundzwanzig-Pfund-Buttermilch. Unsern verstorbenen Mitbruder Vierundzwanzig-Pfund-Buttermilch [172] ließen wir fleißig zur Schule gehen, und ließen ihn das A-B- C-Buch vierundzwanzig Mal durch und durch studiren, aber im Kopfe hatte der arme Schelm doch nichts. Einmal wurde er krank, an Medicin ließen wir es nicht fehlen, nämlich Erbsen-, Kartoffel- und Bohnenstroh, davon mußte der arme Schelm täglich vier Himpten einnehmen. Wie er wieder gesund war, ging er einmal auf die Reise, da begegnete ihm eine Bauerfrau, die bittet er um ein Kohlenfeuer, weil ihn fror, und um ihre Tochter. Ein Kohlenfeuer hätte sie selber gern gehabt, und ach, sagt sie, meine Tochter hat noch kein Geld in ihrer Kiste, noch sonst etwas zu ihrer Ausstattung, und ist noch zu jung zum Freien. Auf dem Wege begegnet ihm später die Tochter selber. Da sagt er, was ihre Mutter gesagt hat, und das Mädchen erwidert: „Wenn das meine Mutter gesagt hat, so lügt sie als ein Kuhdieb und ein Speckdieb. Frag nur unsers Nachbars Knecht, der kann's bezeugen, wie alt ich bin, denn er war gerade bei mir, als ich achtzehn Jahre und zwei Minuten alt wurde. Und was mein Vermögen betrifft, so will ich dir sagen, was ich habe:

Zwei Daler un en Spinnrad,
Is dat nich awwol wat?[20]

Als der Vierundzwanzig-Pfund-Buttermilch das hörte, sprang er häuserhoch vor Freuden, stellte auch sogleich die Hochzeit an und lud die zehn Jungen dazu ein, die elf Knaben und sieben Mädchen aber nicht, der Schandbube. [173]

59. Burgemeister Ochs.

Es ist ein Bauer gewesen, der hat einen Ochsen gehabt. So hat er den ein paar Jahre gefüttert, da denkt er, du sollst den Dingerich vor die Blase bringen lassen, daß er fett wird und geschlachtet werden kann. Wie er mit dem Ochsen durch die Stadt geht, stehen drei Studenten vor dem Collegienhause, die sprechen: „Bauer, wo willst du mit dem Ochsen hin?“ Sagt er, den wolle er vor die Blase bringen. Sagen die, das sei aber schade um dies Thier, dem könnte doch was gelehrt werden. Ja, sagt er, wenn sie ihm nur etwas beibringen könnten, so wollte er ihn gern hier lassen; Kops hätte sein Ochse, das wüßte er. Sagen die Studenten: wenn er nur dafür bezahlen wollte, lehren wollten sie ihm schon etwas, der sollte der erste Mann in der Stadt werden. Er solle ihn nur hereinbringen in das Collegienhaus. Wie er ihn hereingebracht hat, fragt er, was sie dafür haben wollten, daß sie den Ochsen so gelehrt machten. Antworten die, er gäbe die Woche einen Gulden und jeden Tag einen Himpten Frucht. Ja, sagt er, das wollte er gern geben, sie sollten nur machen, daß sein Ochs ein angestellter Mann würde hier in der Stadt. Sie erwidern, in vierzehn Tagen möcht' er einmal wiederkommen, da sollt' er sehen, was es schon für ein Mann wäre. Ein paar Tage vorher, ehe die vierzehn Tage um sind, lassen die Studenten den Ochsen hungern. Wie sie meinen, daß der Bauer kommt, nehmen sie ein Buch und legen zwischen jedes Blatt ein paar Spierchen Hafer. Nun kommt der Bauer an. Na, spricht er, wie es denn mit seinem Ochsen ständ', ob er denn gut gelernt hätte. Ja, sagen die Studenten, das wäre ein Kerl, [174] so schön, wie er nur hier in der Stadt könnte angestellt sein; er solle einmal mit hinaus kommen. Vorweg macht sich einer von den Studenten hinaus und legt dem Ochsen das Buch in die Krippe mit den Haferkörnern, kommt dann wieder herein und nun gehen sie Alle mit dem Bauer hinaus in den Stall. Da liegt das Buch in der Krippe, der Ochs hat ein paar Tage gehungert und riecht den Hafer zwischen den Blättern. Sowie er den aber riecht, fängt er an danach zu schnuppern und von dem Schnuppern gehen die Blätter in dem Buche auf und nieder.

Na, sagen die Studenten zum Bauer, ob er denn wol sähe, was sein Ochse in dem Buche blättere. Der Ochse aber fängt an vor Hunger und Lüsternheit nach dem Hafer zu brüllen und macht: Uhu, uhu. Da sprechen die Studenten zum Bauer, nun hörte er's ja, da sänge er schon, der Ochs könnte mit in der Currende gehen, wenn ihm das nicht schon zu wenig wäre; das sei ein Mann in der Stadt wie er nur sein müßte.

Ja, sagt der Bauer, das hätte er gleich gedacht, das sei ein kluges, kluges Thier. Nun müsse der Ochs aber alle Tage zwei Himpten Frucht und jede Woche zwei Gulden Geld geben noch vierzehn Tage lang, damit er ordentlich fest würde, meinten die Studenten. Gut, sagt der Bauer.

Die Studenten füttern dem Ochsen die Frucht auf den Leib und dann schlachten sie ihn, das Geld aber stecken sie ohne Weiteres in ihre Tasche. Nun ist in dieser Stadt Einer gewesen, ein Burgemeister, der hat Ochse geheißen. Darauf haben die Studenten speculirt.

Wie die vierzehn Tage um sind, kommt der Bauer wieder an. Na, spricht er zu den Studenten, was denn sein alter Ochse machte. Ei, sagen die, der wäre ein angestellter Mann, er wäre Burgemeister in der Stadt. Ach, sagt er, das freute ihn doch, daß er so ein angestellter Mann geworden wäre, das hätte er gleich gedacht - das sei ein kluger [175] Ochs von jeher gewesen. Die Studenten entgegnen, er bezahle nun noch zehn Thaler drauf nach, daß sie seinen Ochsen bis zum Burgemeister gebracht hätten. Und der Bauer erlegt richtig die zehn Thaler und sagt: na, nun müßte er ihn doch aber auch einmal besuchen, den alten Ochsen.

Wie er hinkommt nach dem Hause des Burgemeister Ochs, liegt der noch in den Federn, wiewol es bald Mittag gewesen ist. Also fragt mein Bauer die Magd, ob denn der Herr Burgemeister noch nicht auf sei. Sie sagt, er würde nun bald aufstehen, er möge ein klein wenig warten. Dauert nicht lange, so steht der Burgemeister Ochs auf, und da kommt er auch richtig an und sagt zu dem Bauer: guten Morgen.

Guten Morgen, alter Ochse, spricht der Bauer.

He, spricht der Burgemeister, was er denn wollte.

He, spricht er, ob er ihn denn nicht mehr kennte, er hätte ihm so lange Gutes gethan. Damals hätte er freilich so lange noch nicht geschlafen als jetzt, sondern wäre vor dem Kuhhirten aufgewesen.

Na, spricht der Burgemeister, ob er nicht gescheit sei. Der Bauer sagt: Alter Ochse, du willst mich nur nicht mehr kennen, und ich habe doch so viel Geld an dich gewandt, daß du ein angestellter Mann geworden bist.

Da droht der Burgemeister mit Prison und der Bauer sagt: Da sähe man's, er hätte die Gutthat ganz vergessen, klopft ihm immer auf die Schulter und sagt:

„Ole Osse! ole Blesse!“[21]

Was will der Burgemeister thun? Mein Bauer läßt sich nicht davon abbringen, er muß ihn in Arrest setzen. Wie er in Arrest sitzt, erkundigt sich der Burgemeister, und da löst sich das Räthsel auf, daß die drei Studenten das [176] Geld und die Frucht hingenommen, den Ochsen aber geschlachtet und verzehrt haben. Da muß er den Bauer wieder loslassen.

Zu der Zeit aber müssen die Bauern noch dumm gewesen sein. Hat man je so etwas gehört, daß ein Ochse studirt hat? Damals haben die Bauern für einen Kopf Kohl zwei Pfennige genommen, jetzt sind sie klüger, darum nehmen sie einen Mathier.


60. Fleischermeister Irrlicht.

Es war einmal ein Fleischermeister mit Namen Irrlicht, der war anfangs sehr wohlhabend, wie er aber etwas älter ward, wurde er mehr und mehr kindisch und büßte dadurch fast sein ganzes Vermögen ein. Als schon das Haus ihm über dem Kopfe verkauft werden sollte, kam sein Sohn, der auch die Fleischerprofession gelernt hatte, von der Wanderschaft heim. Der war ein wohlgewachsener kräftiger Bursche geworden, und als die Gläubiger des alten Irrlichts sahen, wie verständig sein Sohn war, zwangen sie den Alten, daß er seinem Sohne sein Geschäft übergab und standen ab vom Verkaufe des Hauses und des Scharrens und warteten, ob der junge Fleischer das Geschäft seines Vaters nicht wieder auf einen grünen Zweig bringen könne. Der Fleischer nahm nun ein Weib, die war arm, aber tugendhaft, arbeitsam und rüstig. Ihr stand Alles gut, auch die weiße Schürze, die mit frischem Ochsenblut besteckt war, wenn sie im Fleischscharren war. Weil sie aber so sauber war als eine Fischersfrau nur sein kann, und sich mit den Hausfrauen so verständig zu unterhalten wußte, so wollte [177] alte Welt nur von ihr Fleisch kaufen. Dadurch hob sich das Geschäft nun bald ein wenig, die Beiden konnten wenigstens den Fleischermeister Irrlicht in seinem Alter ordentlich pflegen, sodaß es Dem an nichts fehlte und er den ganzen Tag spazieren gehen konnte, wenn sie selbst sich auch quälen mußten vom Morgen früh bis in die Nacht. Auch fehlte ihnen noch immer ein Stück Geld, das sie in ihr Geschäft stecken konnten, um es schwunghaft zu betreiben.

Der alte Irrlicht war nun schon ganz kindisch geworden. Eines Tages fuhr der junge Fleischermeister mit dem Schubkarren aufs Feld, um Klee zu holen für einen Mastochsen, der in seinem Stalle stand, aber noch nicht bezahlt war. Da lief der alte Irrlicht immer dicht hinterher, und hatte das ABC-Buch unter dem Arm und sagte, daß er mit dem Buche in die Schule gehen wolle. Sie kamen aber durch ein kleines Gehölz, darin sprudelte eine Quelle, und an der Quelle saß ein alter Schacherjude mit eisgrauem Barte. Der hatte sein Bündel neben sich gelegt und seufzte schwer, weil er es in der Mittagshitze hatte tragen müssen. Von dem Bündel hatte er schon viele Tücher losgewickelt, kramte darin hin und her und hatte Alles was darin war, an der Quelle ausgebreitet. Der junge Fleischermeister fuhr an ihm vorbei, und der alte Irrlicht trabte mit dem ABC-Buch immer hinterher. Als sie in das Kleefeld kamen, das hinter dem Gehölz lag, schnitt der junge Fleischermeister Futter für seinen Mastochsen, der alte Irrlicht aber sprang immer im Klee umher und fing an zu buchstabiren und zu singen, als ob er in der Klippschule wäre.

Nachdem der junge Fleischermeister die Karre voll Klee geladen hatte, machte der alte Irrlicht sein Buch zu und ging wieder immer hinter der Karre her mit seinem Sohne nach Hause. Mitunter sprang er auch wol ein wenig bei Seite und da fand er an der Stelle, wo der Jude gesessen [178] hatte, ein kleines Bündel mit Geld. Das war in dem großen Bündel eingeschlagen gewesen, welches der Jude keuchend unter dem Arm getragen hatte, und er hatte es hier an der Quelle vergessen, als er seine Tücher wieder zusammenschlug und mit schwachen Kräften seine Reise fortsetzte. Der junge Fleischermeister rief mit lauter Stimme durch den Wald nach dem Juden und lief eine Strecke weit auf dem Hauptwege dahin, um ihn noch aufzufinden. Der aber mußte wol einen ganz kleinen Seitenweg eingeschlagen haben und er fand ihn nicht. Da versteckte er das Bündel mit dem Gelde, das unterdessen der alte Fleischermeister bewacht hatte, in den Klee, und so fuhr er nach Hause.

Da bezahlte der junge Fleischermeister den Mastochsen, den er im Stalle stehen hatte und kaufte so viel neues Rindvieh dazu, daß in der ersten Zeit immerfort ganze Heerden zu ihm getrieben wurden, die er dann in Ställen bei seinen Nachbarn unterbrachte, und da dauerte es nicht lange, als sein Scharren so sehr in Flor war, wie kein anderer zehn Meilen in der Runde. Da wurde aber der alte Irrlicht neidisch auf seinen Sohn, wiewol er jetzt von dem noch besser gehalten wurde als früher. Es ärgerte ihn, daß sein Sohn mehr Glück und Verstand hatte als er selbst und er gönnte ihm das Geld nicht, das der Jude an der Quelle zurückgelassen hatte. Darum ging er vor den Richter und klagte, daß sein Sohn das Geld hingenommen hätte, das er gefunden habe. Der Richter fragte, wann er denn das Geld gefunden habe. Er antwortete, als er mit dem ABC-Buche in die Schule gegangen sei. Nun, sagte der Richter, das sei doch nicht möglich, damals habe er doch noch keinen Sohn gehabt. Und so behielt der junge Fleischermeister mit seiner Frau das Geld und sie verpflegten den alten Irrlicht, und hielten ihn in guten Ehren bis an sein Ende. [179]

61. Die Kaufmannsfrau als Oberst.

Es war ein Kaufmann in einer Stadt, der war sehr vermögend, verliebte sich in die Magd des Rathskellerwirthes, der ein Hagestolz war, und heirathete sie. Als seine Gattin hielt er sie gar hoch in Ehren, und nachdem sie ihm ein Knäblein geboren hatte, wurde er um so zärtlicher gegen sie und brachte ihr von der nächsten Messe ein kostbares Halsgeschmeide mit. Einige Zeit darauf saß der Kaufmann einmal des Morgens im Rathskeller und hatte sein Glas Wein vor sich stehen, da setzte sich der Wirth zu ihm und sprach: ob denn ihm wol seine Frau so treu bleibe, wenn er zur Messe reise, und ob er so rechten Glauben zu ihr hätte. Der Kaufmann antwortete: Zu der habe ich den völligen Glauben. Nun fängt der Gastwirth an: er wolle Alles verwetten, daß auch er die Liebe der Kaufmannsfrau genießen werde. Der Kaufmann antwortet: er setze sein ganzes Vermögen dagegen ein, daß der Wirth sein Weib nicht zur Untreue verführen könne. Nun, nun, erwidert der Gastwirth, Frauensleute sind wankelmüthig, und das könnte doch wol der Fall sein.

Nun ging in jener Stadt der Rath auch mitunter in sich und bedachte, wo man einen Guten trinkt, und dabei fiel dann das Auge desselben immer gleich auf den Rathskeller daneben und mit Recht: denn alle Leute waren darüber einig, daß dort der Wein viel besser sei als der Wirth, ja daß in der ganzen Stadt kein so guter Wein mehr geschenkt werde als im Rathskeller. Wie gesagt, darüber waren alle Leute in der Stadt einig, und ein ordentlicher Magistrat schwimmt nun einmal [180] nicht ohne Noth gegen den Strom, darum hatten die Rathsherren denn nach den Sitzungen so ihren Zug in den Rathskeller und traten auch jetzt eben wieder herein während des Gespräches zischen dem Kaufmann und dem Wirth.

Der Wirth stand auf und setzte zuerst vor den Bürgermeister, dann aber vor jeden der Rathsherren ein Viertelchen hin. Hierauf nahm er wieder Platz und berichtete, daß der Kaufmann soeben mit ihm eine Wette eingegangen sei über die Treue seines Weibes, bei der Jeder von ihnen sein ganzes Vermögen einsetzen wolle. Als der Kaufmann das hörte, machte er große Augen. Denn freilich verschlug es ihm in seinen Gedanken nichts, wenn er einmal die Treue seines Weibes verloren hätte, die für ihn das Kostbarste auf der ganzen Welt war, auch noch dazu sein Geld und Gut einzubüßen. Aber er hatte seine Frau viel zu lieb, um sie so in Versuchung zu führen, wenn er auch sicher hoffen durfte, den Sieg davonzutragen und das Vermögen des Wirthes zu gewinnen.

Der Bürgermeister schüttelte den Kopf, als er von dieser Wette hörte. Wie nun aber auch der Kaufmann sagte: so sei es nicht gemeint gewesen, da fing der jüngste der Rathsherren zuerst an zu sticheln auf ihn, daß er seiner Sache bei seinem Weibe doch nicht sicher sei. Darauf stichelten auch die andern Rathsherren und zuletzt konnte sich selbst der Herr Bürgermeister eines Lächelns nicht erwehren. Bei solchen Gesprächen über die Weiber wird dann in der Regel ein Glas Wein mehr getrunken als gewöhnlich, und so geschah es, daß zuletzt der Kaufmann und der Wirth ihre Wette feierlich abschlossen, und daß der ganze Magistrat als Zeuge des Abschlusses sich verpflichtete, dafür zu sorgen, daß Derjenige, der die Wette verlöre, auch wirklich dem Andern sein ganzes Vermögen abtrete. [181] Im Stillen dachten die Rathsherren doch, wie spitz sie sich auch geäußert hatten, daß der Kaufmann die Wette gewinnen würde, und sie hofften bei dieser Gelegenheit den Wirth aus dem Rathskeller und aus der ganzen Stadt loszuwerden. Denn die Kaufmannsfrau war als ein tugendsames Weib bekannt, und der Bürgermeister wußte sogar von seiner eigenen Frau, daß der Rathskellerwirth ihr vergeblich seine Anträge gemacht hatte, wie sie noch als Magd bei ihm diente. Alle aber verpflichteten sich, die Wette ganz geheim zu halten, und so erfuhr auch Niemand etwas davon außer Denen, die dabei zugegen waren, und nur der Gastwirth hielt dieses Versprechen nicht, wie wir bald erfahren werden.

Die Zeit kam heran, wo der Kaufmann wieder zur Messe reiste. Kaum war er aus der Stadt fort, so stellte der Wirth der Magd der Kaufmannsfrau nach. Eines Abends traf er sie beim Wasserholen am Marktbrunnen, und da versprach er ihr vierzig Thaler, wenn sie ihm erlaube sich vor dem Schlafengehen auf die Kammer der Kaufmannsfrau zu schleichen. Er versprach zugleich der Frau nicht ein Haar zu krümmen, sondern sich ruhig unter ihr Bett zu legen und wenn sie eingeschlafen sei, die Kammer heimlich wieder zu verlassen. Die Magd sträubte sich anfangs das zu thun. Der Wirth aber trat jeden Abend am Marktbrunnen zu ihr und erneuerte seine Bitten, und da die Magd nicht häßlich war, so versprach er ihr endlich hoch und theuer sie zu heirathen, wenn sie ihm bei seinem Vorhaben behülflich sei. Da ließ sie sich noch einmal von ihm geloben, daß er sogleich die Kammer der Kaufmannsfrau verlassen wolle, wenn er unter ihrem Bette hervorkröche. Hierauf führte sie ihn noch denselben Abend an der Hand im Dunkeln durch das Kaufmannshaus, das sehr verbaut, aber auch sehr groß und geräumig war, und in [182] dem überall Kisten und Tonnen umherstanden, wie das nun so in einem alten Kaufmannshause zu sein pflegt. Einmal rannte der Wirth gewaltig an eine Häringstonne an, sodaß er vor Schmerz laut aufschreien wollte. Allein die Magd kniff ihn so fest in den Arm, daß er im Augenblicke wieder zu sich selbst kam und das Schreien vergaß. So gelangten sie auf die Kammer der Frau und da kroch der Wirth unter das Bette.

Hierauf entfernt sich die Magd und nach einer kleinen Weile tritt die Kaufmannsfrau in die Kammer und trägt ihr Kind auf der Linken und in der rechten Hand hält sie eine Kerze. Die Kerze stellt sie auf einen kleinen Seitentisch und legt das Kind in die Wiege neben dem Bett. Darauf beginnt sie sich auszukleiden, und bevor sie ihr Nachtzeug anlegt, wirft sie auch das Hemd ab und nimmt ein frisches. Und dabei sieht der Gastwirth, daß sie ein Muttermal wie eine Linse groß an der Schulter hat. Hierauf zieht sie ihren Trauring vom Finger und legt ihn neben ein kleines Nachtlicht, das sie anzündet. Neben das Nachtlicht legt sie auch das Halsgeschmeide, das ihr der Kaufmann von der letzten Messe mitgebracht hat, und steigt ins Bett.

Als sie nach kurzer Zeit etwas schwerer Athem holt und der Gastwirth merkt, daß sie eingeschlafen ist, kriecht er unter dem Bette hervor, tritt gar leise auf und steckt den Ring und das Halsgeschmeide, das neben dem Nachtlichte auf dem Seitentische liegt, zu sich. Und darauf nahm er auch noch vom Stuhl das Hemde, das sie ausgezogen hatte und das die Anfangsbuchstaben von des Kaufmanns Namen trug. Und so verließ er die Kammer der Kaufmannsfrau.

An der Thür wartete seiner die Magd. Sie hatte ihr Ohr an das Schlüsselloch gelegt, und wie sie ihn durchs [183] Zimmer schleichen hörte, öffnete sie schon behutsam vor ihm die Thür, um ihn herauszulassen. Diese schloß sie dann ebenso vorsichtig wieder hinter ihm, und da sie das Hemde ihrer Herrin in seiner Hand sah, bestürmte sie ihn von neuem mit Fragen über Das, was er im Schilde führe. Er wollte auch jetzt ihre Neugierde nicht befriedigen; allein sie ruhte nicht, bis er ihr Alles bekannt hatte, und sie, die es früher mit ihrer Herrschaft nicht so übel gemeint hatte, wurde von dem Wirth in seinen schändlichen Betrug eingeweiht. Nachdem dies geschehen war, leitete sie ihn wieder behutsam an der Hand durch das Kaufmannshaus, schloß die Thür auf und ließ ihn hinaus, schwor ihm auch jetzt nochmals zu, reinen Mund zu halten und ihm und sich ihr Glück nicht zu verscherzen.

Als die Kaufmannsfrau am Morgen erwacht, glaubt sie, daß ein Dieb im Zimmer gewesen ist, schickt sogleich die Magd zum Goldschmied in der Stadt und läßt einen ähnlichen Ring wie ihren Trauring und einen ähnlichen Halsschmuck bei ihm bestellen als den, den ihr der Kaufmann von der letzten Messe mitgebracht hatte, denn sie fürchtete ihren Mann zu betrüben, wenn sie ihn merken ließe, daß ihr seine kostbaren Geschenke abhanden gekommen seien. Wie aber der Kaufmann von der Messe heimkommt, da steht der Rathskellerwirth schon in der Thür und ruft ihn an. „Nun kannst du erkennen, was treue Frauen sind“, spricht der Wirth zum Kaufmann. „Ich muß dir sagen, daß ich von deiner Frau alle Liebe genossen habe.“ Das lügst du! entgegnet der Kaufmann. Allein der Gastwirth bittet ihn sehr artig nur hereinzutreten. Da sitzt gerade auch wieder der ganze Magistrat beim Weinglase und vor ihm erklärt der Wirth öffentlich, daß er die Wette gewonnen habe, und spricht zum Kaufmann: „Hier habe ich Zeugen und Beweis - hier ist der Ring, hier der Halsschmuck [184] und hier das Hemde, das sie am Leibe trug und welches mit deinen Namensbuchstaben gezeichnet ist. Noch eins: hat nicht deine Frau ein Muttermal wie eine Linse groß auf der linken Seite, he? Habe ich Recht oder habe ich Unrecht?“ Als das von dem Muttermale kam, da blinzelten sich die Rathsherren Alle zu und gaben die Sache des Kaufmanns verloren. Der aber wandte das Hemd, den Ring und das Armband auf dem Tische hin und her und sprach wieder: „Unmöglich ist es wahr, das sage ich noch einmal, meine Frau ist nicht so gesonnen.“ Nun nimmt der Wirth wieder das Hemde, den Ring und das Geschmeide in die Hände und sagt: „Wenn Das nicht gelten soll, was soll dann gelten?“

Weil der Kaufmann nun nicht leugnen konnte, daß dies Alles seinem Weibe angehöre, so entschied der Rath sogleich, daß sein ganzes Vermögen dem Wirth anheim fallen solle. Der Kaufmann bittet nur noch, daß er zuvor seine Frau fragen dürfe, wie sie ihre Sachen und namentlich den Ring und das Halsgeschmeide verloren hat. Das wird ihm bewilligt unter der Bedingung, daß er sein Versprechen halten muß und Niemandem, selbst seiner Frau nicht, von der Wette etwas verrathen darf.

Der Kaufmann geht nach Hause, da tritt ihm seine Frau in ihrer ganzen Schönheit mit ihrem Knaben auf dem Arme und geschmückt mit dem Ringe und dem Halsschmucke, den sie sich bei dem Goldarbeiter in der Stadt hat verfertigen lassen, entgegen. Der Kaufmann sieht gar nicht, daß sie die Schmucksachen an ihrem Körper trägt, und fragt sogleich: „Kind, wo hast du deinen Ring, und wo hast du deinen Halsschmuck?“ „Hier ist der Ring“, antwortet sie und hebt dabei den Goldfinger auf. „Und hier ist der Halsschmuck“, fügt sie hinzu, ergreift seine Hand und führt sie an ihren Hals und an ihre Wangen. [185] Der Kaufmann ließ rasch wieder ihre Hand los, denn er hatte nun auf den ersten Blick gesehen, daß das ein anderer Ring und ein anderer Halsschmuck war als der, den er ihr gegeben. Er geht sogleich aus der Stadt, ohne weiter mit seiner Frau zu reden. Die aber läßt der Gastwirth, dem nun der Rath der Stadt wirklich das ganze Vermögen des Kaufmanns zuspricht, mit ihrem Kinde aus dem Hause treiben, ohne daß sie erfährt, wodurch ihr Mann sein Vermögen an den Gastwirth verloren hat. Der Wirth aber, mit dessen Umständen es schlechter stand, als die Welt wußte, und der ohne diese Wette gewiß bald hätte als Bettler die Stadt verlassen müssen, heirathete die Magd des Kaufmanns und lebte mit ihr von dessen Gut in Wollust und in Freuden.

Der Kaufmann sucht nun wieder eine Stelle als Handlungsdiener und wird Buchhalter bei einem Kaufmanne in einer fremden Stadt, und da er sparsam ist, sammelt er hier sich Hunderte. So wird er wieder wohlhabend. Die Frau aber verkauft Zuckergebackenes im Korbe und fragt: „Beleiwet Se wat von miener Waare, miene Herrens?“ Denn die Herren, und besonders die jungen, hatten noch immer ein Wohlgefallen an ihrer Schönheit und kauften ihr am liebsten etwas ab. Davon ersparte sie sich auch etwas und schickte ihren Sohn, der nun mehr und mehr heranwuchs, in die gelehrte Schule. Die Herren aber schäkerten mit ihr und tadelten ihren Mann, der in die weite Welt gegangen war. Doch sie vertheidigte ihn immer wacker, und daß sie sich mit den Herren nicht einließ, versteht sich von selbst. Denn wäre sie ein wenig locker gewesen, so hätte der Gastwirth sich gewiß nicht mit dem Hemde, dem Ringe und dem Halsgeschmeide begnügt.

Als ihr Mann so viel gesammelt hatte, daß er glaubte ein kleines Kaufmannsgeschäft wieder eröffnen zu können, [186] kehrte er in die Stadt zurück, ging aber, weil er einmal auf seine Frau mistrauisch war, nicht gleich zu ihr, sondern zuerst in das Wirthshaus zum goldenen Löwen. Wie er nun mit den andern Tischgästen an der Mittagstafel saß und gerade mit ihnen den Kaffee zum Nachtisch trank, öffnet seine Frau mit dem Körbchen in der Hand die Stubenthür und ruft herein: „Beleiwet Se wat von miener Waare, miene Herrens?“

Der Kaufmann erschrak mächtig, als er ihre Stimme hörte und erkannte, wie er sich umwandte, auch ihr Gesicht noch wieder, obgleich schon manches Jahr vergangen war, denn im Handumkehren erwirbt man keine Schätze in der Welt, wenn man nur fremdes Gut zu verwalten hat und Buchhalter ist. Er stand rasch auf, ging auf sie zu und kaufte ihr etwas ab, flüsterte ihr aber zugleich ins Ohr, daß er ihr noch mehr abkaufen würde, wenn sie am andern Nachmittage ihn allein auf seinem Zimmer besuchte. Er dachte schon daran, sie wieder zu sich zu nehmen als Hausfrau, wenn er sein Geschäft in dieser Stadt wieder eröffnete, und freute sich recht auf ihren Besuch.

Sie erschien auch wirklich mit dem Körbchen, in dem sie ihr Backwerk trug, denn sie hatte im Ernst nur geglaubt, daß er ihr etwas abkaufen wolle. Er fragte hin und her nach ihren Verhältnissen, gab sich aber nicht zu erkennen und schlang endlich den Arm um sie, sie zu küssen. Da verschwand sie rasch von der Stube, und der Kaufmann freute sich, daß seine Frau ihm jetzt so treu war, und beschloß nun sie aufzusuchen und sich wieder mit ihr zu vereinigen. Aber was sieht er, als sie mit ihrem Körbchen über die Straße geht? Da kommt ein schöner blutjunger Herr, dem gibt sie unaufgefordert aus ihrem Korbe Backwerk, das er nicht bezahlt, und dann gibt sie ihm auch noch auf der Straße einen Kuß, scheint ganz verliebt in ihn, [187] wie nun wol mitunter ältere Frauen von schlechten Sitten in jüngere Männer verliebt sind, und im Weitergehen blicken sich Beide noch oft nacheinander um und nicken einander zu.

Nun hatte zwar den Kaufmann der große Handelsherr, bei dem er als Buchhalter gestanden hatte, zum Abschiede vor aller Eifersucht gewarnt, und damals wurden solche Regeln, die man von Vätern, Vormündern und Dienstherren mit auf den Weg erhielt, noch viel pünktlicher befolgt als jetzt, denn der Vater sagte damals nicht zu dem Sohne: mein Sohn, ich dächte, du könntest das so machen, sondern er gab ihm vor jedem wichtigen Lebensabschnitte so gleichsam ein Gebot, wie der Herr den Juden auf dem Berge Sinai. Ein solches Gebot hatte der Kaufmann auch von dem Dienstherrn empfangen, nicht mehr eifersüchtig zu sein - aber als der sah, wie seine Frau einen so blutjungen Mann auf der Straße küßte, schlug er doch jene Regeln in den Wind, ergriff eine Pistole, die noch von der Reise her geladen war, und schoß sie auf die Straße ab hinter der Frau her. Darauf lief das ganze Haus zusammen und der Kaufmann rettete sich mit Mühe und Noth durch eine Hinterthür, die aus dem Garten ins Freie führte.

So mußte er nun schon wieder in die weite Welt ziehen. Bald darauf aber trat ein Krieg ein, da nahm er Dienste. Er suchte den Tod, allein er fand ihn nicht. Nachdem er schon lange Zeit in großem Elend als gemeiner Soldat gedient hatte (denn sein Geld hatte er bei seiner Flucht aus dem Wirthshause dort zurückgelassen), kam an sein Regiment ein neuer Oberst, der sah ihn unter den Soldaten und bestellte ihn zu sich auf sein Zimmer. Da trug er ihm an, ob er als Bursche bei ihm eintreten wolle. Diesen Vorschlag nahm er mit Dank an, denn er litt die [188] größte Noth bei seiner Löhnung, und so diente er dem Herrn Wettford, wie der Oberst sich nannte, so treu und redlich, wie wol nicht leicht ein Bediente seinem Herrn gedient hat. Dieser Herr Wettford aber ist Niemand anders gewesen als des Kaufmanns Frau. Aus Mitleid, weil der Fremde nach ihr geschossen hat, hat ihr der Löwenwirth das Geld eingehändigt, das der in der Eile auf seinem Zimmer hat zurücklassen müssen. Weil nun durch diesen Schuß in der Stadt aller Augen auf die Frau gerichtet sind, so ist sie aus der Stadt fortgezogen, hat sich und ihren Sohn von dem Gelde in aller Stille vollständig militärisch gekleidet und ist mit ihm in ein Regiment eingetreten. Mutter und Sohn gelangten nun in jener Kriegszeit zu hohen militärischen Ehren und nur der Mann, den sein Unglück ganz niedergedrückt hatte, war indessen gemeiner Soldat geblieben. Diesen hatte die schöne Kaufmannsfrau, wie sie ihn als Soldaten sah, sogleich erkannt; denn es war ihr schon, nachdem er auf sie geschossen hatte, deutlich geworden, daß das ihr Mann gewesen sei, der über den Kuß, welchen sie ihrem Sohne auf der Straße gegeben hatte, eifersüchtig geworden war. Der Kaufmann aber erkannte seine Frau in dem Obersten nicht wieder, und der verlangte eines Tages von seinem Burschen, daß er ihm seine Lebensgeschichte erzählen solle. Da erfuhr sie erst, wie der Wirth zum Rathskeller ihre Tugend verleumdet hatte, und beschloß sogleich ihre Unschuld zu beweisen und sein Vermögen aus den Händen des Betrügers zu retten.

Um diese Zeit war auch der Krieg zu Ende. Da nahm der Herr Wettford seinen Urlaub und reiste mit seinem Burschen in die Stadt und versprach ihm, jetzt auszukundschaften, ob seine Frau wirklich gegen ihn untreu gewesen oder ob der Wirth zum Rathskeller ihn betrogen habe. [189] Sie nahmen nun in der Stadt auf dem Rathskeller Quartier. Der Oberst macht sich mit dem Wirthe bekannt und leert eine Flasche guten Weins mit ihm, die auf Rechnung des Obersten geschrieben wurde. Da erzählt ihm denn der Wirth, nachdem der Herr Wettford viele lustige Streiche erzählt hatte, die er in seiner Jugend ausgeübt haben wollte, aber in Wahrheit niemals ausgeübt hatte, auch einmal die Geschichte, wie er den Kaufmann um sein Vermögen betrogen habe. Darüber will der Oberst sich fast zu Tode lachen und sagt dem Gastwirth: an diesem Abende würde seine Frau mit seinen Töchtern nachkommen, die seien alle gar nicht so zimperlich und hörten auch wol gerne einmal einen guten Spaß. Da möge er ihm doch den Abend Gesellschaft leisten und auch diese Geschichte wieder erzählen. Das verspricht der Wirth auch.

Der Oberst aber geht hin zu dem Bürgermeister und den Rathsherren und vertraut ihnen: sein Bursche sei jener Kaufmann, dessen Vermögen der Gastwirth wegen der Wette hingenommen habe. Er wisse nun, daß der Gastwirth dabei als Betrüger gehandelt habe, und um die Unschuld der Kaufmannsfrau an den Tag zu bringen und dem Kaufmann sein Vermögen wieder zu schaffen, möchte der ganze Magistrat der Stadt Frauenkleider anlegen und in einer Kutsche zu ihm gefahren kommen auf den Abend und sich für seine Frau und für seine Kinder ausgeben.

Das konnte der Rath dieses Städtchens dem tapfern Oberst, der bei dem Könige so viel galt, nicht abschlagen. So fuhr denn, als es ganz dunkel geworden war, eine Kutsche vor dem Gasthofe vor, darin der ganze Magistrat als des Obersten Frau und Töchter verkleidet saß. Der Herr Bürgermeister, der sehr ehrwürdig aussah, stellte die Frau des Obersten vor und die jungen [190] Rathsherren, von denen einige noch ganz rothbäckig und jugendlich aussahen, deine Töchter; waren das auch nicht dieselben Rathsherren mehr und war auch nur der Herr Bürgermeister noch der alte, so hatten sie doch Alle bei irgend einer Gelegenheit auf dem Rathhause unter dem Siegel der Amtsverschwiegenheit erfahren, wie der Kaufmann um sein Vermögen gekommen war, und so war es so gut als wäre es noch ganz der alte hochwohlweise Rath, der einst bei der Wette des Kaufmanns und des Gastwirthes im Rathskeller zugegen gewesen war.

Der Gastwirth sprang sogleich aus dem Hause und half ihnen aus dem Wagen, wobei er den wohllöblichen Magistrat der Stadt natürlich in der Dunkelheit nicht erkannte. Noch war der jüngste von den Rathsherren, der die jüngste Tochter des Obersten vorstellte, nicht aus dem Wagen heraus, da kam schon der Oberst langsam die Stufen heruntergestiegen und bot dem Herrn Bürgermeister so fein den Arm, wie nur jemals ein solcher Offizier seiner Gemahlin den Arm geboten hat, ja der König selbst hätte es mit seiner Königin nicht besser machen können. Auf dem Zimmer des Obersten saßen die Rathsherren und der Bürgermeister hinter Lichtschirmen, und da konnte der Gastwirth sie auch nicht erkennen, als er hereintrat.

So fing er denn bald an seine lustigen Geschichten zu erzählen, und wiewol er sich vor der Frau und den Töchtern des Obersten, die so schweigsam dasaßen, anfangs etwas genirte, so wußte ihn doch der Oberst gar bald gesprächig zu machen, und da fing er denn von selbst wieder an, die Geschichte von dem Kaufmann zu erzählen. Diesmal stellte sich der Oberst, als traue er dem Gastwirth nicht zu, daß er einen so schlauen Anschlag wirklich durchgeführt hätte, sondern als hielte er es für ein Märchen, das der Gastwirth sich ausgedacht habe. Da bringt der Gastwirth den Ring, [191] den Halsschmuck und das feine Hemd der Kaufmannsfrau herbei, legt das Alles auf den Tisch und sagt: Er hätte ja müssen mit Wahrheit belügen, darum hätte er dies Alles sich zu verschaffen gewußt. Und dabei verschwört er sich hoch und theuer, daß er es nur durch Betrug erlangt habe.

Wie der Bediente des Obersten, der immerfort aufwartete in der Gesellschaft, den Ring, den Halsschmuck und das feine Hemd der schönen Kaufmannsfrau sah und dazu den Wirth die Eide schwören hörte, daß er ihn nur betrogen habe, da konnte er sich nicht länger halten, sondern sprang auf ihn zu als wollt' er ihn ermorden. Allein der Oberst hielt ihn zurück, streifte die Montur von seiner Schulter herunter und zeigte Allen das Muttermal, das der Gastwirth in jüngern Jahren durch seine schändliche Hinterlist zum ersten male gesehen hatte. Der erschrak gar gewaltig darüber und auch der Bürgermeister und die Rathsherrn standen nun auf von ihren Sitzen, gaben sich zu erkennen und sagten zu dem Gastwirth, er sei ein Hallunke und solle das ganze Vermögen des Kaufmanns wieder herausgeben.

Das geschah auch, und weil der Gastwirth in allen Dingen ein lüderlicher Kerl war, so wurde ihm das Haus über dem Kopfe verkauft, um so das Gut des Kaufmanns wieder herauszubekommen. Wie der Oberst aber nachher mit seinem Burschen zuerst wieder allein gewesen ist, da sollen sie ganz anders miteinander gesprochen haben, wie sonst ein Oberst mit seinem Burschen spricht.

Nach kurzer Zeit aber wurde der Kaufmann wieder sehr ernsthaft und fragte, wer der junge Mensch gewesen sei, den sie geküßt habe, als sie an jenem Tage auf der Straße gegangen sei. „Es war unser Sohn!“ antwortete sie. „Weil ich mich an jenem Mittage länger als ich dachte [192] bei dir im goldenen Löwen verweilt, hatte er kein Mittagsbrot erhalten und mußte endlich ungegessen zur Schule gehen. Das that mir so leid, darum war ich doppelt zärtlich mit ihm und steckte ihm statt des Mittagsessens Backwaaren aus meinem Körbchen zu.“ Als sie das gesprochen hatte, fiel der Oberst sich mit seinem Burschen von neuem um den Hals, und von der Zeit an wurde der Oberst wieder eine schlichte Kaufmannsfrau und sein Bursche wieder ein angesehener Kaufherr, und nur ihr Sohn hat als Soldat fortgedient und ist an militärischen Ehren hinter seiner Mutter nicht zurückgeblieben.


62. Die hochmüthigen Mädchen.

I.

Die Stadt Wien liegt an der Donau; von ihr berichten alle Handwerksburschen, die des Wegs herkommen, daß sie dort nicht wissen, wie weh unglückliche Liebe thut, und daß die Mädchen dort ebenso kreuzbrave Leute sind als in Würzburg. Nur eine schöne Kaufmannstochter spielte dort ihren Liebhabern einmal übel mit, wovon ich jetzt berichten will.

Ihre Liebhaber waren drei Gesellen, ein Goldschmied, ein Sattler und ein Schneider. Die waren treu verbrüdert und zogen immer miteinander in den Straßen von Wien umher und sangen:

Lauter schöne Leut' sein wir,
Lauter schöne Leut'.
Wenn wir keine schönen Leut' nicht wären,
So könnten wir kein Geld verzehren.

[193]

Lauter schöne Leut' sein wir,
Lauter schöne Leut'.

Als sie das Lied zum ersten Male in Wien drein sangen, da stand die schöne Kaufmannstochter am Fenster. Die wußte dann alle Drei nacheinander an sich zu locken, zuerst den Goldschmied, sodann auch den Sattler und zuletzt auch noch den Schneider. Einem Jeden nahm sie das Versprechen ab, es nicht einmal seinem besten Freunde zu sagen. Das versprachen sie ihr auch Alle der Reihe nach, und so erfuhr der Goldschmied nicht, daß der Sattler und der Schneider, der Sattler nicht, daß der Goldschmied und der Schneider, und der Schneider nicht, daß der Sattler und der Goldschmied auch mit dem Mädchen bekannt seien.

Nun liebte aber die schöne Kaufmannstochter den Goldschmied am meisten, und weil sein Vater auch ein Goldschmied in Wien war und einen eigenen Laden hatte, so dachte sie auch wol mitunter daran, ihn zu heirathen, wiewol sie viel reicher war als er. Des Schneiders und des Sattlers, die weit her nach Wien hereingewandert waren, wurde sie nach einiger Zeit überdrüßig, und sie beschloß sie noch einmal recht zu quälen und sich ihrer dabei zu entledigen, um den Goldschmied zu heirathen. Den Goldschmied quälte sie auch, aber doch lange nicht so als die beiden Andern.

Eines Abends kam zuerst der Schneider zu ihr, da hatte sie den Kopf in die Hand gestützt und ihre Locken fielen ihr in ihr hübsches Gesicht hinein. Da fragt der Schneider, was ihr denn fehle, sie aber antwortet: er könne ihr nicht helfen. Da erwidert er: warum nicht, was thäte man denn nicht um eines Mädchens halben? Nun denn, sagt sie, so wolle sie ihm Alles gestehen. Sie habe sich dem Teufel ergeben, und müsse um elf Uhr Nachts auf des Bürgermeisters Grabe liegen, da würde sie der Teufel [194] holen. Wenn er sich nun auf des Bürgermeisters Grab legen wolle, so würde der Teufel kommen und dreimal mit ihm um den Kirchhof herum galoppiren. Dann aber würde er es merken, daß er sie nicht auf dem Rücken hätte, und würde ihn fallen lassen und die Flucht ergreifen. Da verspricht ihr der Schneider, sich des Abends auf des Bürgermeisters Grab zu legen und zu warten, bis der Teufel kommt. Hierauf geht er in das Wirthshaus, wo die drei Gesellen immer beisammen gewesen sind. Seine beiden Kameraden aber fand er noch nicht dort.

Zu der Kaufmannstochter kam bald nach dem Schneider auch der Sattler. Da hatte sie wieder den Kopf in die Hand gestützt, und als er fragte, was ihr fehle, antwortete sie auch dem: er könne ihr nicht helfen. Warum denn nicht, antwortet der Sattler, was thäte man denn nicht um eines Mädchens halben? Nun denn, erwidert sie, so wolle sie ihm Alles bekennen. Sie habe sich dem Teufel ergeben, der wolle sie diese Nacht holen und habe sie auf des Bürgermeisters Grab bestellt. Wenn sie hinkomme, so würde er sich auf ihren Rücken setzen und so auf ihr in die Hölle reiten, vorher aber erst dreimal mit ihr ringsum um den ganzen Kirchhof herumjagen. Wenn er nun um elf Uhr hinginge nach des Bürgermeisters Grabe, so würde der Teufel sich auf seine Schultern hucken und ihn dreimal in Galopp um den Kirchhof herumtragen. Wenn er ihn dann dabei recht zwicke mit den Händen, so werde der Teufel daran merken, daß sie es nicht sei, und ihn beim dritten Male abwerfen und allein zur Hölle fahren. Er werde ihren Auftrag ausführen und für das Zwicken möge sie ihn nur sorgen lassen, sagt der Sattler und geht auch ins Wirthshaus.

Kaum ist der Sattler aus dem Hause, so tritt auch [195] der Goldschmied zu der Kaufmannstochter herein, da stützt sie nicht den Kopf in die Hand, sondern springt gleich auf ihn zu, liebkost ihn und sagt: ob er ihr wol einen Wunsch erfüllen wolle. Der Goldschmied sagt auch: Was thäte man denn nicht um eines Mädchens willen? küßt sie und legt ihr ein Paar schöne Armspangen um, die er gerade an diesem Tage für sie fertig gemacht hat. Darauf sagt sie: sie hätte einen Vetter, der hätte um sie angehalten, aber sie möchte ihn nicht. Da hätte er sich aus Verzweiflung dem Teufel ergeben. Diese Nacht um elf Uhr würde der ihn vom Grabe des Bürgermeisters abholen, und zuerst dreimal mit ihm um den Kirchhof herum galoppiren. Da wünschte sie nun, daß Einer dabei wäre, der ordentlich aufhaute. Wenn der Teufel recht gehetzt würde, so würfe er zuletzt ihren Vetter ab, und das wäre ihr lieb, denn wenn sie ihn auch nicht möchte, so sähe man doch auch nicht gern einen Vetter zur Hölle fahren. Wenn aber der Vetter, der auf des Teufels Rücken säße, von den Peitschenhieben auch etwas abbekäme, und recht viel, das sei ihr ganz recht, denn sie möchte ihn nun einmal nicht.

Das leuchtete dem Goldschmied ein. Er liebkoste die Kaufmannstochter und sie versprach ihm, wenn er seine Sache gut mache mit der Peitsche, so wolle sie ihn heirathen. Da küßte er sie nochmals und ging zu seinen Kameraden ins Wirthshaus.

Die andern Beiden saßen schon beim Weine da. Als es gegen elf Uhr hinkam, da trank zuerst der Schneider sein Glas aus, ging stillschweigends auf den Kirchhof und legte sich auf des Bürgermeisters Grab. Bald darauf trank auch der Sattler sein Glas aus und ging ebenfalls stillschweigends nach dem Kirchhofe. Da ließ sich der Goldschmied noch eine Halbe Wein kommen, die trank er geschwind noch aus aufs Wohlsein seiner Schönen, dann nahm [196] er die Peitsche, die er sich bereits heimlich von einem Fuhrmanne geborgt und auf den Flur des Wirthshauses hingestellt hatte, und ging auch fort.

Wie er nun mit der Peitsche auf den Kirchhof kommt, hat der Sattler den Schneider schon auf dem Rücken und galoppirt mit ihm an der Mauer entlang, er war aber noch nicht zum vierten Theile herum, denn in Wien sind die Kirchhöfe groß. Der Sattler und der Schneider haben Jeder den Andern für den Teufel gehalten und darum kann man sich denken, wie die einander im Laufen und Rennen gezwickt und gepeinigt haben. Da fährt nun auch der Goldschmied mit seiner Peitsche auf sie los, und der Sattler und der Schneider denken nicht anders, als das müsse so sein und gehöre dazu, daß ein Höllengeist mit der Peitsche käme und zu dem Höllenmarsch tüchtig hinten aufhaue.

So galoppirt der Sattler dreimal mit dem Schneider herum, der Goldschmied sitzt ihnen fortwährend mit der Peitsche auf dem Nacken und Beide bekommen von ihm gleichviel Prügel. Ja, wenn ich's aufrichtig sagen soll, so bekam der Schneider noch mehr als der Sattler, denn der mußte dem Sattler den Rücken decken und der Goldschmied dachte: Es ist genug, wenn ich den armen Burschen vom Teufel befreie, eine tüchtige Tracht Prügel ist ihm wol zu gönnen, wenn er der Kaufmannstochter den Hof gemacht hat.

Wie nun der Sattler dreimal mit dem Schneider um den Kirchhof herumgelaufen war und der beinahe fürchtete, der Teufel hätte das Abwerfen vergessen und würde nun ohne weiteres mit ihm zur Hölle fahren, da warf der Sattler den Schneider doch noch ab, der Goldschmied gab ihnen Beiden in diesem Augenblicke noch einen Peitschenhieb und dann liefen der Sattler und der Goldschmied nach entgegengesetzten Seiten hin davon. Der Schneider blieb noch [197] mehrere Stunden auf dem Kirchhofe liegen, denn er blutete von den Peitschenhieben. Endlich raffte auch er sich auf und schlich heim. So hatten der Sattler und der Schneider die Liebe zu der schönen Kaufmannstochter gebüßt, denn am nächsten Tage lag der Sattler, der sich fast mit dem Rennen unter der Last für sein Leben lang einen Schaden gethan hätte, so gut als der Schneider auf dem Krankenlager.

Der Goldschmied ging am andern Morgen zuerst zu der schönen Kaufmannstochter. Die ließ sich genau berichten, wie der Teufel mit dem Vetter auf dem Kirchhofe herumgetrabt sei und wie der Goldschmied auf Beide losgehauen hatte, und sie lachte aus vollem Halse, als er gestand, daß ihr Vetter, der dem Teufel den Rücken gedeckt habe, die meisten Schläge bekommen und wol noch mehr, als gerade nöthig gewesen, wenn es blos auf den Teufel wäre abgesehen gewesen. Denn von ihren drei Liebhabern hielt sie den Schneider am wenigsten werth. Den Goldschmied aber küßte und herzte sie wieder und versprach ihm von neuem, daß sie ihn heirathen wolle. Im Stillen hoffte sie, daß der Schneider und der Sattler an den Folgen des Teufelsrittes sterben würden und daß sie so von ihnen befreit wäre.

Der Goldschmied ging von ihr zum Sattler und da er ihn krank im Bette liegend fand, so setzte er sich zu ihm und vertraute ihm nach einer Weile, daß er sich soeben fest mit der schönen Kaufmannstochter versprochen habe. Da hättet ihr sehen sollen, wie der Sattler auf seinem Schmerzenslager in die Höhe fuhr. Er sagte ihm jedoch nichts weiter als daß er auch ihr Liebhaber gewesen sei. Da ging der Goldschmied, der ein ehrenfester Kerl gewesen ist, zu dem Schneider, wunderte sich, als er den auch im Bette fand, setzte sich aber doch ohne viel zu fragen ans Bett und vertraute ihm nach einer Weile: die schöne Kaufmannstochter [198] wolle ihn heirathen, er möge sie aber nicht, weil der Sattler auch ihr Liebhaber gewesen sei. Da hättet ihr nun erst sehen sollen, wie der Schneider in die Höhe fuhr! Er bekannte sogleich, daß er sich am verflossenen Abende auf des Bürgermeisters Grab gelegt habe, um den Teufel zu prellen und die schöne Kaufmannstochter zu retten. Dem Goldschmied waren nun alle Ränke der Kaufmannstochter klar und er verschwor sich hoch und theuer, sie niemals zu freien, wie sehr es ihm auch sonst zum Glücke gereicht hätte.

Als nun der Sattler und der Schneider wieder hergestellt waren, da gingen sie zu ihrer Erholung an einem wunderschönen Tage mit dem Goldschmied vor dem Thore spaziren und da stimmte der Schneider wieder das Lied an:

Lauter schöne Leut' sein wir,
Lauter schöne Leut'.

Da kam ein anderer Handwerksbursche, ein Schuhmacher, ihnen entgegen, der war gar häßlich von Aussehen und hatte in Hamburg sein Geld sitzen lassen und sich von Hamburg durchgebettelt bis herunter nach Wien. Dem konnte man es am Gesicht ansehen, daß er ein geriebener Kerl war, und den fragten die drei Gesellen, ob er sich wol getraue, den König von Marokko vorzustellen. Und wenn es der Kaiser von China wäre, antwortete der häßliche Schuster. Da nehmen sie ihn mit sich und führen ihn zu einem Juden, der leiht ihnen die kostbarsten Kleider, die legen sie dem Schuhmacher an und der muß sich für den König von Marokko ausgeben und bei dem Kaufmann um seine Tochter anhalten.

Als nun der Schuster zu dem Kaufmann kam und verkündigte, er sei der König von Marokko, wolle sich jetzt die Welt beschauen und dabei habe er seine Tochter am [199] Fenster sitzen sehen und käme, um sie zu werben, da war großer Jubel in dem Kaufmannshause und die Ladenjungen, die bei dem Kaufmanne im Geschäft waren, warfen die Ellen bis an die Decke des hohen Gewölbes empor vor lauter Vergnügen. Die Kaufmannstochter aber schlug den Goldschmied um den König von Marokko sogleich in den Wind. So wurde die Hochzeit gehalten, auf der Hochzeit aber war der König von Marokko lauter Holdseligkeit und Lustbarkeit, insonderheit erzählte er viel von seinen Reisen, wie auf der Reise von Zirizziko nach Zimezziko die Schiffe die Cholera bekommen hätten und wie gefährlich aber auch wie spaßhaft das gewesen sei. Allein nach der Hochzeit kroch der häßliche Schuster aus dem Gewande des Königs von Marokko hervor, wie ein Schmetterling aus seiner Puppe.

Als die schöne Kaufmannstochter am Morgen nach der Hochzeit erwachte, saß in der Brautkammer ein Ungeheuer da, das hatte eine schwarze schmierige Leinenschürze vor und hämmerte aus Leibeskräften auf ein Stück Leder. Anfangs rief sie um Hülfe; er aber meinte, sie solle nur ruhig sein und sprach: „Man kann ja nicht immer der König von Marokko sein.“ Die schöne Kaufmannstochter sagte zwar: wer Pech angreift, besudelt sich, und wollte ihn gern wieder los sein; allein er war nun einmal ihr Mann und blieb es, und so waren alle Drei an ihr gerächt, der Sattler, der Schneider und auch der Goldschmied, der ihr Augapfel gewesen war, den sie aber doch immer belogen hatte, sodaß er zuletzt seine besten Freunde halb todt schlagen mußte, und den sie auch sogleich vergessen hatte, als es hieß: da sei der König von Marokko, der wolle sie freien. Am Morgen nach der Hochzeit zogen der Goldschmied, der Sattler und der Schneider Arm in Arm durch die Straßen von Wien und da sangen sie unter den Fenstern der Kaufmannstochter wieder: [200]

Lauter schöne Leut' sein wir,
Lauter schöne Leut'.
Wenn wir keine schönen Leut' nicht wären,
So könnten wir kein Geld verzehren.
Lauter schöne Leut' sein wir,
Lauter schöne Leut'.

Und da klang vor Allen die Stimme des Goldschmieds so hell, daß der schönen Schustersfrau die Thränen von den Backen liefen, als sie es horte. Da bekam sie zum erstenmale Buxe mit dem Knieriemen. - Der Schuster saß jetzt recht im Glücke drin, dem hatte es in Wien besser geschlaunt als in Hamburg.


II.

Ein andermal ist auch ein Mädchen gewesen, als dessen Bräutigam auf der Wanderschaft war, setzte es sich in den Kopf, daß es eine vornehme Heirath machen wolle, und als er zurückkehrte, wollte es nichts mehr von ihm wissen. Was hat mein Handwerksgesell da zu thun? Er redet mit einem Lumpensammler und der verspricht das Mädchen für ihren Hochmuth zu bestrafen. Er verschafft sich also auf kurze Zeit sehr vornehme Kleidung und so geht er zu dem Mädchen ins Haus. Die ist sehr entzückt, als sie den vornehmen Mann erblickt, dem sie gleich ansieht, daß er auf Freiersfüßen geht, er aber thut als wäre er weit, weit her und als ob er kein Deutsch verstände, und sagt nichts als Britsche, Bratsche. So fragt sie ihn denn zuerst, ob er nicht ein reicher Engländer wäre, da sagt er: Britsche. Da sagt sie: „So seid Ihr wol ein polnischer Graf?“ Da [201] antwortet er: Bratsche. O Gott, ruft sie da aus, er ist ein polnischer Graf! Sie fragt ihn, wie denn sein Vorname sei. „Britsche.“ Und sein Zuname? „Bratsche.“ O Gott, wie süß, ruft sie aus, er heißt Britsche Bratsche. Da fragt sie ihn, ob er sie liebe: „Britsche.“ Und ob er sie freien wolle? „Bratsche.“ Und damit steckt ihr der Graf Britsche Bratsche einen Ring an den Finger, sie hat aber nicht gemerkt, daß der nicht von Gold, sondern nur von Messing gewesen ist.

Nun wird auch sogleich die Hochzeit angestellt und wie der Pape über den Beiden gewesen ist[22], steht auf einmal der Lumpensammler in seiner einzig wahren Uniform da im Zimmer - du weißt ja wol, wie so ein Lumpensammler aussieht mit der bunten Binnecke[23] an der Seite und der Pfeife im Munde, und damit bringt er seiner Frau ein Ständchen, wie nun ein Lumpensammler so die Straßen auf- und abbläst. Als die das hört, stürzt sie wüthend herein und fragt, wie er es wagen könne, der Gräfin Britsche Bratsche eine solche Musik zu machen. Da ruft er nur immer „Britsche, Bratsche“ in demselbigen Tone, wie der polnische Graf es gerufen hat, und britsch, bratsch schlägt er sie mit seinem Stocke über den Rücken. Und er schlug sie so lange, bis sie den Lumpensack aufhuckte, und führte sie so über die Straße, da mußte sie rufen: „Lumpen! Lumpen!“ und sie rief es mit gar kläglicher, weinerlicher Stimme und bei jedem Rufe bekam sie britsch, bratsch einen Schlag. Da trat auch der Handwerksgesell sie an und höhnte sie uns freute sich, weil sie sein Handwerk nicht ungestraft verachtet [202] hatte. Er gab dem Lumpensammler ein Stück Geld zur Ausstattung und ging zufrieden nach Haus und sang das Lied: „Ein Jeder lobt sich seinen Stand.“


63. Die Trommelschläger vom alten Fritz.

I.

Der König von Preußen, der alte Fritz, hatte Jahre lang einen Tambour gehabt. Wie der nicht mehr fortkann, weil er zu alt wird, sagt der König von Preußen, er müßte in Pension. Ja, sagt der alte Tambour, so möcht' er ihm doch aber eine Liebe thun und ihm die Trommel schenken, womit er so lange Jahre Freud und Leid erlebt hätte. Der König sagt, ja, die sollte er behalten. Nun nimmt er seine Trommel und zieht ab. Wie er einige Meilen gereist ist, kommt er in ein Wirthshaus und hat Hunger und Durst. Aus der Hinterstube kommt die Wirthin und die bittet er um ein Almosen, sie aber weist ihn sehr barsch ab und sagt, er möge weiter gehen. Da kommt das Dienstmädchen aus der Küche, winkt ihn zu sich und sagt zu ihm, er solle hineingehen und sich hinter den Ofen setzen, sie werde ihm schon etwas bringen.

Er geht also in die Hinterstube, stülpt seine Trommel um hinter dem Ofen und setzt sich darauf. Bald kommt das Dienstmädchen und bringt ihm zu essen. Da steht die Thür zur vordern Stube etwas offen und er sieht hindurch. Da kommt die Wirthin, die unterdessen in der Küche gewesen ist, deckt vorn den Tisch und trägt vom Schönsten und Besten auf, Braten, Wein und Alles. [203] Es dauert nicht lange, da kommt sie wieder herein und hat einen Pater unter dem Arme untergefaßt. Mit dem hat sie sich nämlich gehalten, so oft ihr Mann, der Wirth, nicht daheim gewesen ist, wie er auch diesmal gerade verreist gewesen. Die Zwei setzen sich miteinander hin, essen und trinken, und als sie gegessen und getrunken haben, sagt der Pater: sie wollten einmal miteinander tanzen, und da springen und laufen sie miteinander in der Stube herum wie närrisch. Da denkt der alte Tambour: Halt, die laufen ja Sturm, dazu mußt du Sturm trommeln. Also steht er auf, hängt seine Trommel um und fängt an Sturm zu trommeln. Wie der Pater und die Wirthin das Trommeln hören, läßt der Pater Hut und Stock im Stich und springt mit der Wirthin zur Thür hinaus, und fort geht es wie Gustav nach Amerika. Der Tambour aber geht in die Vorderstube und ißt und trinkt sich ordentlich satt, dann huckt er seine Trommel auf und macht sich heim zu Frau und Kind. Wie er heimkommt, ist Freude über Freude, daß er da ist, aber es fehlt ihnen am Besten und sie müssen Hungerpfoten saugen.

Also geht der Tambour hin, holt sich Ruthen und bindet sich ein rechtlich Bund Besen. Dieses Bund huckelt er auf, will die Besen verkaufen und geht damit gerade in das Wirthshaus wieder hinein, wo er einmal Sturm getrommelt hat. Wie er hineinkommt, ist aber der Wirth daheim. Da spricht der alte Soldat, ob er wol nicht könne die Nacht dableiben. Ja wohl, sagt der Wirth, er solle hereinkommen und seine Besen auf dem Hausflur absetzen - da hat so ein kleiner Tisch gestanden. Darauf legt er sie hin. Wie er hereinkommt in die Hinterstube, sitzt sie ganz voll Kaufherren, die große Frachtwagen mit Waaren bei sich geführt haben. Er sagt guten Abend, setzt sich, weil er nur ein armer Besenbinder gewesen ist, unten [204] an die Tafel hin und fodert schüchtern vom Wirth einen Trunk.

Die Kaufherren erzählen allerlei und endlich sagt der Wirth zum Besenbinder: er solle doch heraufrücken und auch Eins erzählen.

Nun gut, er rückt herauf und fängt an zu erzählen, wie lange er dem Könige von Preußen gedient habe und daß er ihn zum Abschied um die Trommel gebeten. Da habe der alte Fritz gesagt: ja wohl, mein Sohn, die kannst du mitnehmen. Da sei er in ein Wirthshaus gekommen, blitzweg, es sei gerade, als ob's dies sei, worin sie hier säßen ...

In dem Augenblick ruft die Wirthin aus der vordern Stube herein: sie wolle ihm Besen abkaufen. Als er herauskommt, verspricht sie ihm funfzig Thaler, wenn er ruhig sein wolle. Sie wär' es ja gewesen mit dem Pater, und dies Wirthshaus sei es auch gewesen, aber ihr Mann sollt' es nicht wissen.

Der Tambour läßt sich die funfzig Thaler geben und damit geht er herein.

Wie er hereinkommt in die Stube zu den reichen Kaufleuten, sagt er: Da hab' ich einen Besen verkauft für funfzig Thaler. Die Kaufherren sehen sich einander an und denken: wir haben nur für so und so viel Tausende Waaren und Pferde bei uns, und der hat gleich für den Besen funfzig Thaler bekommen?

Der Wirth aber dringt darauf, daß er seine Geschichte auserzählt, und der Tambour sagt: das wolle er auch. Fährt also fort: Die Wirthin in dem Hause hätte ihm ein Stück Brot verweigert, das Mädchen aber hätte ihn gespeist - blitzweg, es sei ihm immer, als ob's dies Wirthshaus sei.

[205] Da ruft die Wirthin wieder herein: er solle herauskommen, sie wolle Besen.

Wie er herauskommt, sagt sie: er solle doch ruhig sein, sie wolle ihm hundert Thaler geben. Sie wär's ja gewesen mit dem Pater; daß nur ihr Mann nichts höre!

Der Tambour sagt: sie möge nur hergeben, er wolle nichts sagen. Also gibt sie ihm hundert Thaler und er geht hinein in die Stube.

Wie er hereinkommt, sagt er: da hab' ich wieder einen Besen verkauft, und zählt die hundert Thaler auf die Tafel.

Die reichen Frachtherren sehen sich einander an und staunen noch mehr. Der Wirth aber sagt: na, nun solle er ihm nicht davonkommen, er solle auserzählen. Er hatte nämlich nun schon etwas Lunte gerochen.

Der Tambour fährt fort: das Mädchen habe gesagt, er solle sich in der kleinen Stube hinter den Ofen hinsetzen, es wolle ihm was bringen. Da wäre er hereingegangen, hätte seine Trommel umgestülpt und sich darauf gesetzt. Und blitzweg, es wäre ihm immer, als ob's dies Wirthshaus sei.

Also macht die Wirthin die Thür auf und ruft wieder er solle herauskommen, sie wolle Besen.

Wie er herauskommt, sagt sie: er möge doch ruhig sein, sie wollte ihm zweihundert Thaler geben, es sei ja dies Wirthshaus gewesen, aber ihr Mann sollt's nicht wissen.

Nun, sie möge nur hergeben, er sage nichts, antwortet der Tambour. - Ei, er habe ja schon so Vieles erzählt! Er nimmt die zweihundert Thaler und geht damit herein in die Stube.

Da hab' ich wieder einen Besen verkauft für zweihundert Thaler, spricht er zu den Kaufherren, und zählt die nun auf den Tisch. Die erstaunen noch mehr, der [206] Wirth aber sagt: er möge schnell erzählen, es sei ein schönes Räthslein, das gefiele ihm.

Der Tambour aber fährt fort: Da wäre die Wirthin hereingekommen, hätte vorn die Tafel gedeckt und Essen und Trinken aufgetragen. Dann hätte sie den Pater unterm Arm gehabt und darauf sich mit ihm hingesetzt zu essen und zu trinken. Und blitzweg, es wäre ihm immer, als wenn's dies Wirthshaus wäre.

Er solle herauskommen, sie wolle Besen, ruft die Wirthin und verspricht ihm dreihundert Thaler, lamentirt aber immer fort, weil er schon zu viel gesagt habe. Er verspricht von neuem, nichts zu verrathen, nimmt die dreihundert Thaler und geht hinein.

Da sagt er: hier hab' ich wieder einen Besen verkauft, und zählt das Geld hin.

Durch die Schar der Kaufherren läuft ein beifälliges Gemurmel, aber auch den Neid können sie nicht unterdrücken. Das ist ein Handelsmann! Alle Wetter! spricht einer zum andern. Was habt Ihr seiner Zeit für Euern Apfelschimmel bekommen, den Euch der Kaiser abnahm? nur hundert Pistoletten! Und was bezieht Ihr für den Oxhoft spanischen Weines? Ein Paar hundert Gulden! Und Der bezieht für seine Besen Hunderte von Reichsthalern! Und dabei ist er ein einfältiger Tambour, der seine Waare gewiß unter dem Handelswerthe verkauft, die Besen müssen excellent sein! Wenn die in unsere Hände kämen, damit wäre ein ausgezeichnetes Geschäft zu machen!

So sprachen die Kaufleute leise zueinander. Der Wirth aber drängte, daß der Tambour in seiner Erzählung fortführe, und der berichtete:

Nachdem die Wirthin mit dem Pater gegessen und getrunken, habe der Pater gesagt: Wir wollen einmal ein Spiel machen. Darauf hätten sie angefangen zu tanzen [207] und wären einander immer entgegengelaufen und zugleich wäre es ihm so gewesen, als hätten sie sich dabei im Fluge geherzt und geküßt. Und blitzweg, es wäre ihm immer, als ob's dies Wirthshaus wäre.

Er sollte herauskommen, sie wolle Besen, ruft die Wirthin wieder.

Ei, sagt sie zu ihm, er hätte nun fast schon Alles erzählt. Er möge doch ruhig sein, sie wolle ihm vierhundert Thaler geben.

Der Tambour nimmt die vierhundert Thaler, geht hinein und sagt: Hier hab' ich wieder einen Besen verkauft für vierhundert Thaler, hier liegt das Geld. Die Kaufleute staunen immer mehr. Der Wirth aber treibt ihn, seine Geschichte zu erzählen.

Ja, sagt er, da hätte er gedacht, die laufen ja Sturm, dazu mußt du trommeln. Von dem Trommeln aber sei er aufgewacht - da sei es ein Traum gewesen und er habe sich nicht einmal im Wirthshause befunden, sondern hinter einer Hecke gelegen, und vom Himmel herunter habe es genäßt und genebelt. Da habe er seine Trommel genommen und sei heimgegangen.

Der Wirth, der schon gefürchtet hatte von seiner Frau etwas Schlimmes zu hören, lachte unmäßig über diesen Traum, die Kaufleute aber hatten das Ende der Geschichte kaum erwarten können, um mit dem Besenbinder einen Handel zu schließen. Es war auf einmal, als wäre dies Wirthshaus die große hamburger Börsenhalle geworden, blos von wegen der Besen. Ein Kaufmann sagte: er wolle ihm seine zwei Pferde, seinen Wagen und für zweitausend Thaler Waaren geben, dafür verlange er nichts als ein Bund Besen.

Der Tambour sagt: Wie er denn nur ein solches Angebot thun könne? Er habe doch gesehen, daß der eine Besen funfzig, der andere hundert, der dritte zweihundert, [208] der vierte dreihundert, der fünfte vierhundert Thaler gekostet habe. Ei, da stecke ein schönes Geld in dem Bund Besen, das sei ihm für Pferde und Wagen und für etwas Kram mit nichten feil.

Da spricht ein zweiter Kaufmann: Er habe vier Pferde, einen vierspännigen Wagen und für viertausend Thaler Waare darauf; ob er dafür das Bund Besen haben könne.

Ei, sagt der Tambour, so möchte es drum sein. Nimmt Wagen und Pferde und fährt Alles nach Hause und ist durch seine Schäkerei ein steinreicher Mann geworden.

Mein guter Kaufherr huckt das Bund Besen auf und zieht nach der Stadt, wo gerade Markt ist. Die Frauen, die auf dem Markte hin- und hergehen, um einzukaufen, verwundern sich natürlich nicht wenig, als sie einen so ansehnlichen Mann mit Besen auf dem Rücken ankommen sehen. Der Kaufherr aber theilt seine Besen in fünf Häufchen ab, weil der Tambour fünf verschiedene Preise dafür bekommen hat. Als die Frauen kommen und rufen ihm zu: Freund, was kostet so ein Besen? da schmunzelt er, zieht die Schultern ein wenig ein und streckt die Hände vor, wie die Kaufleute beim Handel thun, und sagt: „Je nun, nachdem sie sind. Die hier kosten funfzig, die hier hundert, die hier zweihundert, die hier dreihundert und die hier vierhundert Thaler.“ Da fangen die Frauen an ihn auszuschelten und sagen, ein Besen kostet vier Pfennige, wolle er ihnen hier den Markt vertheuern, so solle ja gleich das Wetter dreinschlagen.

Der Kaufherr hat noch große Reden dagegen und antwortet: für einen Mathier habe er in seinem Leben keine Waaren feil gehabt, wer seine Besen nicht wolle, der möge seiner Wege gehen, sie gehörten ja ihm.

Und damit hatte er ein wahr Wort gesprochen: die [209] Besen gehörten ihm, Pferd und Wagen und für viertausend Thaler Waare gehörten aber dem schlauen Tambour. Als der Kaufmann, nachdem er den ganzen Tag über vergeblich auf dem Markte ausgestanden hatte, am Abend seine Besen aufhuckte und mit ihnen heim ging, kochte die Frau des Tambours gerade einen guten Kaffee, wozu sich die Bohnen auch unter den Frachtwaaren des Kaufherrn vorgefunden hatten, und da machten sich die beiden Alten recht lustig miteinander. Und das geschah an demselbigen Abende, da die Elbe brannte so lichterloh und die Bauern Stroh herbeitrugen, um damit zu löschen.


II.

Einmal lag das Militär vom preußischen Fritz in einer Stadt, da ist ein kleiner Tambour dabei gewesen, der hat sich verliebt in eine Kaufmannstochter. Der preußische Fritz hat das wohl bemerkt, und wie sie in einer andern Stadt im Lager sind, gibt er diesem Tambour eine kleine Krone und Kleidung, wie einem ordentlichen Prinzen. So muß er sich in einen Wagen mit vier Pferden setzen und nach der Stadt, wo die Kaufmannstochter wohnt, zurückjagen. Er steigt in einem Gasthofe dem Kaufmann gegenüber ab, läßt sich bei dem ordentlich anmelden und bekommt als Prinz die Kaufmannstochter zur Frau. Am Morgen nach der Hochzeit schickt aber der preußische Fritz die ganzen Tambours, welche bei dem Regimente noch gewesen sind, unter die Fenster des Kaufmannshauses, die trommeln immerfort:

Kamerad komm, Kamerad komm,
Kömmst du nicht, so hol' ich dich,
So kömmst du in Prison.

[210] Der Herr Prinz tritt nun wol ans Fenster und winkt seinen Kameraden verstohlen, sie möchten nur still sein. Weil die aber immerfort trommeln: „Kamerad komm, Kamerad komm“, so merken zuletzt Alle, daß der Prinz ein Tambour ist. Die Kaufmannstochter aber hat er behalten, dafür hat der preußische Fritz wol gesorgt.


64. Der Zaunkönig und die Hühnerwieke.

Die Vögel wurden auch einmal ehrgeizig, und dachten auch: „Högger rup, Junge![24]“ Sie machten also eine Wette, wer am höchsten fliegen könnte, und bestimmten, daß der Sieger in dieser Wette ihr König sein sollte. Da erhoben sich die Vögel alle mit ihren Flügeln von der Erde, und alsbald kribbelte und wibbelte es in der Luft von Vögeln, um die Köpfe der Menschen flogen die Enten, Hühner und Gänse, denn die dachten auch: „Högger rup, Junge!“ und hatten sich auch zum Fliegen aufgehoben. Aber auch neben den Dächern und neben den Baumspitzen und viel, viel höher hinauf, soweit das Auge sah, war alles voll Vögel. Ueber Allen schwebte die Hühnerwieke[25], auf ihren Schwanz aber hatte sich der Zaunkönig gesetzt, der dachte erst recht: „Högger rup, högger rup!“ und als die Hühnerwieke hoch oben in der Luft war, da flog er von ihrem Schwanze auf und erhob sich noch höher. Weil er nun so klein war, so wollten ihn die Vögel nicht zu ihrem König; sie sperrten ihn in ein Mauseloch und stellten die Eule als Wache neben ihn. [211] In dem Mauseloche brüstete sich der kleine Vogel noch und rief immerfort: „Ower de Heuhnerwieke! Ower de Heuhnerwieke![26]“ Die Eule aber war ein schlechter Wächter und nickte mit ihrem dicken Kopfe ein. Das benutzte der Zaunkönig sogleich, schlüpfte aus seinem Loche hervor und fuhr in einen Zaun. Seitdem hat er den Spottnamen Zaunkönig erhalten. Nach einem recht frischen Regen, da geh einmal so an einer nassen grünen Hecke vorbei, und wenn das Wasser dann in den Schleedornen tropft, dann kannst du den kleinen Vogel sich noch immer berühmen hören: „Ower de Heuhnerwieke! Ower de Heuhnerwieke!“ Die Eule aber darf sich seit der Zeit vor den Vögeln nicht mehr sehen lassen, und fliegt nur des Nachts auf. Dann fliegt sie vor die Häuser, wo ein Mensch sterben will; da setzt sie sich aufs Dach oder gegenüber und ruft: „Klewit, klewit!“ Oder sie sagt: „Geh mit, geh mit!“ Wenn sie das lange genug gerufen hat, und es ist ein schöner Büchenwald in der Nähe, so verschwindet sie in den Büchen; sonst versteckt sie sich auf dem Kirchthurme. Die Hühnerwieke aber ist ein Dieb und stiehlt sich manchen Braten von der Weide. Hast du nicht auch schon mitgerufen: „Wie-, Wie-Wittche!“ wenn sie hinter dem Dorfe über den jungen Gänsen schwebte? Dann schlägt ihr das böse Gewissen wegen des Diebstahls, den sie im Sinne hat, und sie hebt sich hoch in die Luft auf wie damals, wo der Zaunkönig von ihrem Schwanze aufflog, und fliegt davon. [212]

65. Der Ziehhirsch.

So ist denn auch einmal in den alten, alten Zeiten eine Königstochter gewesen, die war in einen Stabshornisten verliebt und steckte diesem immer viel Geld zu. Durch das Geld, was der Stabshornist aufzuwenden hat, wird der König aufmerksam, läßt ihn zu sich kommen und fragt ihn, woher er das viele Geld erhalte. - Das bekäme er von seiner Prinzessin. - Nun schließt der König seine Tochter ein und sagt dem Stabshornisten, wenn er jetzt noch zu ihr gelangen könne, do solle er sie heirathen und König werden. Weiß mein Stabstrompeter nichts Anderes zu thun, als daß er sich einen Ziehhirsch auf Rollen machen läßt, da legt er sich hinein und bläst alle die schönsten Stückschen, die der König gern hören mag. Der König fragt seinen General, ob er für gut befände, daß er den Hirsch kaufe, um seine gefangene Tochter damit zu erfreuen. Der General findet es für gut, und der König bezahlt viel Geld für den Hirsch an den Mann, der ihn hat auf Walzen ziehen müssen. Nun wird der Hirsch auf das Zimmer der Prinzessin gezogen und unterwegs bläst er wieder die schönsten Stücke. Als der König den Stabshornisten später im Zimmer der Prinzessin fand, gab er ihm seine Tochter zur Frau und machte ihn zum König. [213]

66. Der listige Soldat.

Zwei Soldaten standen auf Wache vor Königs Schlosse und im Gespräche wünschte sich der Eine General zu sein, der Andere aber wünschte sich zu der Prinzessin. Das hörte der König am Fenster des Schlosses, ließ also am andern Tage die beiden Soldaten vor sich kommen und fragte sie um ihre Wünsche. Sie bekennen dieselben; da macht der König den Einen zum General und verspricht dem Andern, ihn auf den Abend bei seiner Tochter anzumelden. Als der Soldat am Abende zu der Prinzessin kommt, stehen in ihrem Zimmer auf Befehl des Königs sechs Mann Wache, und dazu sind zwei große Kronleuchter angezündet. Der Soldat knüpft mit der Prinzessin ein Gespräch an, die aber antwortet ihn nichts als Nein, und der Soldat merkt, daß der König ihr befohlen hat, auf Alles was er zu ihr sagen würde, nur mit Nein zu antworten. Da beschließt er die Sache anders anzufangen und fragt: „Sollen denn die sechs Mann Wache dort stehen bleiben?“ Da antwortet die Prinzessin auch: Nein. Sogleich wendet sich der Soldat gegen seine Kameraden und commandirt: Rechts um, ab. - Da marschirten die sechs Mann Wache ab, und so stellte er noch mehrere Fragen, auf welche ihm die Antwort der Prinzessin, die nichts als Nein sagte, recht erwünscht war. Als ihn der König nachher noch im Gemach der Prinzessin fand, ward er sehr zornig. Weil er aber erfuhr, daß die Prinzessin genau den Willen ihres Vaters erfüllt und nichts als Nein gesagt hatte, so gab er den Soldaten der Prinzessin zum Manne, und der erbte nach seinem Tode die Krone und das Reich. [214]

67. Die Springwurzel und das Lichtchen.

Ein König hatte einen Soldaten, der konnte mehr als Brot essen und war der pünktlichste Soldat beim ganzen Regiment. Wenn nun der König Ursache hatte, einem Soldaten wegen Unordentlichkeit einen Verweis zu geben, so warf er immer diesen Soldaten vor und sagte: „Der bekommt nicht mehr Sold als ihr und hält sich doch viel besser in seiner Kleidung und in Lederzeug.“ „Ja“, sagten die Soldaten, „der kann auch hexen; wenn wir Das könnten, könnten wir uns auch viel besser und properer halten.“ Da entschließt sich der König einstmals, zu sehen, ob die andern Soldaten wahr gesprochen haben. Er macht sich auf und zieht so schlechte Kleider an als ein Bettler. So spricht er den Soldaten an, ob er nicht bei ihm übernachten könne. Da sagt der: das könne er wol, er müsse sich aber auf Stroh legen. Da legt sich der König auf Stroh; in der Nacht aber kommt der Soldat zu ihm und sagt: „Wir wollen einmal die Kramerladen flöhen.“ So gehen die Beiden des Nachts los, und als sie vor den ersten Laden kommen, springen die Thüren von selbst auf. Das hat aber daran gelegen, daß der Soldat eine Springwurzel gehabt hat, die hatte er in der Johannisnacht im Walde zwischen Farrenkraut weggeholt. Der Soldat nimmt das Geld aus dem Kasten, und der König sagt: „Nun, mach nur, daß wir fortkommen, sonst fassen sie uns noch.“ „Pah“, sagt der Soldat, „laß nur, ich will's auch erst zählen und nachrechnen!“ Da zählt der Soldat das Geld ganz ruhig und rechnet aus, wie viel davon durch Betrug erworben ist, und das nimmt er und gibt dem König die Hälfte davon, das Uebrige aber legt er wieder hin und [215] dann gehen sie fort. So machen sie es noch in zwei Kaufmannsläden. Beim letzten will der König Alles nehmen, da gibt ihm der Soldat eine Ohrfeige. Nachher sagt der Soldat: „Bruder, wir wollen erst einmal in des Königs Schatzkammer gehen.“ Wie nun die Beiden bei dem Schlosse ankommen, so schnarchen die Soldaten auf ihren Posten alle wie die Bären, die Thüren aber springen wieder von selbst auf und sie gehen hinein. Da weist der Soldat dem König alle die Vorrathsgelder. Der König aber ist begehrlich und will gleich zufassen. So holt der Soldat mit der Hand aus, gibt dem König wieder eine Ohrfeige und sagt: „Das ist das Geld, davon der König das Militär erhalten muß. Von jenem Haufen dort aber wollen wir etwas nehmen, das ist der Haufen, davon er seinen Hofstaat erhält.“ Von der Ohrfeige hat dem König ordentlich der Kopf gebrummt, deshalb wird er verdrießlich und marschirt ab. Am andern Tage aber läßt er den Soldaten auf sein Schloß kommen und sagt in seiner Königskleidung: „Höre einmal, Bruder, ich habe gehört, du könntest mehr als Brot essen; was hast du erst diese Nacht wieder für Streiche gemacht?“ „Ja“, sagt der Soldat, „ich kann freilich mehr als Brot essen; wenn ich was dazu habe, kann ich auch Butterfutter essen. Aber diese Nacht habe ich ruhig auf meinem Strohsacke gelegen und geschlafen.“ Da geht der König hin und zieht die Bettlerkleidung an, und kommt in dieser zurück. Da sieht der Soldat, daß es sein König gewesen ist, dem er die Ohrfeigen gegeben hat, fällt dem Bettler zu Füßen und bittet vielmals um Verzeihung, die er auch erhält. Nun will er seinen Dienst aufdanken, der König aber nimmt ihm nur die Springwurzel und das Geld ab, das er damit gewonnen hat, will ihn anfangs nicht ziehen lassen und bietet ihm jeden Tag einen Thaler Sold, wenn er bliebe. Allein der Soldat nimmt es nicht an, sondern verläßt sogleich die Stadt. [216] Als er nun über zwölf Stunden marschirt ist, kommt er in einen dicken Wald und will sich da ein Nachtquartier suchen. Er wählt sich also einen Baum auf einer steinernen Höhe aus und steigt hinauf, als er aber ein wenig eingeschlafen ist, fällt er herunter. Er steigt wieder hinauf, als er aber wieder oben ist, sieht er von ferne ein Lichtchen brennen, das will er holen. Er macht sich auf, muß aber erst drei Stunden lang marschiren, ehe er hinkommt wo das Licht ist. Wie er nun bei der Höhle angekommen ist, steht da eine alte Frau, die hat das Lichtchen brennen. Er sagt zu der Frau: „Sun Dag, ole Mäken[27]“, die Frau sagt wieder: „Gun Dag, ole Junge[28]“, und nöthigt ihn in die Höhle. Er geht hinein, da fragt sie ihn, ob er hungrig sei, und als er sagt ja, nimmt die Frau das Licht und streicht damit über den Tisch. Sogleich wird von unsichtbaren Händen der schönste Wein und die schönste Speise aufgetragen. Als er nun gegessen und getrunken hat, schläft die Alte ein, er aber nimmt das Licht und schlägt sie damit todt. Dann marschirt er freudig mit seinem Lichte wieder vorwärts. Als er eine Strecke weit gegangen ist, will er's probiren und wünscht sich ein ordentliches Frühstück. Das bekommt er auch und nun zaubert er sich mit dem Lichte eine Summe Geldes herbei. Da er das nun hat, marschirt er weiter. Nachdem er eine ziemlich lange Strecke gegangen ist, kommt er nach einer Stadt, wo viele Soldaten exerciren. Da nimmt er seinen Stock, denkt sich dabei das Gewehr und exercirt damit. Dies sieht ein Major, der kommt zu ihm und fragt, wo er denn her wäre. Er sagt dem Offizier seine Umstände. Da sagt der Major: er solle hier bleiben und Soldat werden, das will er aber nicht. Da [217] kömmt ein alter Soldat zu ihm, dem sagt er, er solle ihn ins beste Wirthshaus führen, das in der Stadt zu finden wäre, und gibt ihm einen Thaler. Allein der alte Soldat denkt: So einen Mann in schlechten Kleidern kannst du unmöglich ins beste Wirthshaus bringen, und bringt ihn in ein kleines Wirthshaus. Da sagt aber der Soldat, hier wolle er nicht bleiben, das wäre für ihn zu gering, er wolle in ein besseres Wirthshaus. Und nun erfüllt der alte Soldat seiner Wunsch, dafür gibt er ihm noch fünf Thaler. Als ihn die Wirthin sieht, sagt diese zu ihrem Manne: das wäre ja ein Bettler, den wollten sie nicht behalten. Der Wirth sagt aber: „In den schlechten Kleidern steckt manchmal ein besserer und auch reicherer Mensch als in den guten“, und führt den fremden Gast oben auf die Stube, wo ihm ein Dienstmädchen Waschwasser bringt. Dem Dienstmädchen gibt er sogleich dafür fünf Thaler. Als nun das Mädchen hinunter kommt, zeigt es den andern Dienstmädchen und den Kellnern sein Trinkgeld, da läuft der eine noch mehr hinauf als der andere, und sie bringen auch viele unnütze Sachen herauf, aber Jeder bekommt sein Trinkgeld. Als nun einstmals der Wirth selber hinauf auf die Stube kam, saß der früher so zerlumpte Soldat in der besten Majorskleidung da, und von den schlechten Kleidern war nichts weiter zu sehen. Darüber verwunderten sich Alle, die Wirthin aber freute sich und war froh, daß sie den Mann behalten hatten.

Nun wohnte nicht weit von diesem Wirthshause ein König, der hatte mehrmals den Major mit seinen goldenen Aufschlägen oder Ebeletzen[29] gesehen. Darum ließ er den Wirth zu sich kommen und fragte diesen darum, da beschied der Wirth den König, was es mit ihm sei. Darauf meinte der König: wenn der Soldat einen Wunsch erfüllen könnte, so könne er eine [218] von seinen Töchtern heirathen und später das Königreich erben. Läßt also den Major holen, stellt dem die Sache vor und verlangt, daß er in einem Tage eine Brücke über das tiefe Wasser machen solle. Da gibt der Soldat eine verwegene Antwort, und dafür läßt der König den Major vierundzwanzig Stunden beistopfen ins Loch. Sobald der Soldat im Loche sitzt, wird das ein hübscheres Zimmer als der König hat, auch wird von unsichtbaren Musici's die beste Musik gemacht, daß der König wol den Soldaten eher um der schönen Musik halber hat länger darin sitzen lassen, denn um der verwegenen Antwort willen. Sobald der Soldat aber aus dem Loche gelassen wird, ist das hübsche Zimmer verschwunden und die Musik wird nicht mehr gehört. Nun aber sagt der Major: nicht in einem Tage wollte er die Brücke fertig machen, sondern in fünf Minuten. Der König antwortet: so möge er nur gleich ans Werk gehen. Als der Soldat nun an das tiefe Wasser kommt, holt er sein Zauberlichtchen hervor, und in fünf Minuten ist die Brücke fix und fertig gewesen. Da hat er die Königstochter geheirathet und nachher das Königreich erhalten. Darüber sind die bösen Menschen so neidisch geworden, daß sie ihm einmal sein Lichtchen weggenommen und in das tiefe Wasser geworfen haben. Das hat aber der liebe Gott nicht haben wollen, das Wasser ist gleich klein geworden und er hat sein Lichtchen wiederbekommen. Da ist sein letzter Wunsch mit dem Lichtchen gewesen, daß er noch jünger von Gesicht wäre, und noch funfzig Jahre lebte, da ist er viel jünger und hübscher von Gesicht geworden, und hat noch funfzig Jahre in der höchsten Freude und Glückseligkeit mit seiner Frau gelebt und das Zauberlichtchen seinen Nachfolgern hinterlassen. [219]

68. Ein Windbeutel legt das Kartenspiel von einer guten Seite aus.

Ein Regiment machte einst an einem Sonntage Kirchenparade, ein Soldat setzte sich beim Eingange in die Kirche, und wie man dachte: er nehme ein Gebet- oder Gesangbuch, zog er ein Spiel Karten aus der Tasche und legte selbige auseinander vor sich her. Der Feldwebel, der dabei stand, saß ihm zu und befahl ihm, er solle seine Karten in die Tasche stecken und Solches nicht wieder thun; der Soldat aber gehorchte dem Feldwebel nicht, verantwortete sich auch nicht, sondern betrachtete sein Kartenspiel beständig. Während der Zeit war die Kirche wieder aus, der Feldwebel wartete vor der Thür auf den Soldaten, bis er aus der Kirche kam, führte ihn dann zu seinem Major und verklagte ihn um Das, was er in der Kirche gesehen hatte.

Der Major. Wie! Du hast dich unterstanden in der Kirche Karten zu spielen? Verantworte dich sogleich, oder du sollst ohne Gnade Gassen laufen.

Der Soldat. Wenn Sie mir gnädig erlauben, so werde ich mich hinlänglich verantworten. Die Kirche ist ein heiliger Ort und ich habe Niemand in seiner Andacht gestört, sondern Alle in Ruhe gelassen.

Der Major. Ich merke, du fütterst einen Windhund, rede die Wahrheit, oder ich schicke dich sofort in Arrest.

Der Soldat zog hierauf seine Karten wieder aus der Tasche, zeigte sie dem Major und sagte: Sobald ich ein As sehe, so denke ich, daß ein Gott ist, der Himmel und Erde erschaffen hat; eine Zwei: die zwei Naturen in Christo, nämlich die göttliche und die menschliche; eine Drei: die drei [220] Personen in der Gottheit; eine Vier: die vier Evangelisten, Matthäus, Marcus, Lucas und Johannes; eine Fünf: die fünf Wunden Christi; eine Sechs: daß Gott in sechs Tagen die Welt erschaffen hat; eine Sieben: daß er den siebenten Tag zum Ruhetag ausgesetzt hat; eine Acht zeigt mir an, daß die Acht in der Arche das Leben gerettet haben, nämlich: Noah, sein Weib, seine drei Söhne: Sem, Ham und Japhet und deren Weiber. Eine Neun zeigt mir die neun undankbaren, gesund Gewordenen, weil nur Einer für seine Gesundheit Gott gedankt hat; eine Zehn: die zehn Gebote Gottes, welche er Mose auf dem Berge Sinai gegeben hat. Wie nun der Soldat alle Karten durchgegangen war, nahm er den Kreuz- Bauer, legte ihn auf die Seite und sprach: dieser war nicht ehrlich, die andern drei sind Schinderknechte, welche Christum auf Befehl Pilati gegeißelt haben; das Herz zeigt mir an, daß Gott seine Kirche habe zum Gotteshaus bauen lassen; die Schellen zeigen mir, daß alle Kirchen viereckig sind; die Schippen zeigen mir den Speer, die Nägel und die Dornenkrone, welche Christo durch Mark und Bein gedrungen sind; sobald ich ein Kreuz sehe, stelle ich mir das Kreuz vor, an welchem Christus gekreuzigt ist; die Könige zeigen mir die Könige des Morgenlandes; die Damen deuten mir die Weiber, welche zum Grabe kamen, Christum zu suchen. Ich sage Ihnen, daß mir ein Spiel Karten sowol zu meiner Andacht dient als ein Gebet- oder Gesangbuch.

Der Major. Du sagst mir aber doch nichts von dem Kreuz- Bauer, welchen du auf die Seite gelegt hast, sondern sagst: er wäre nicht ehrlich.

Der Soldat. Mein Herr Major, wenn ich ohne Strafe soll davonkommen, so will ich es sagen.

Der Major. Sage nur her, mein Sohn, dir soll Nichts geschehen.

[221]

Der Soldat. Der Kreuz-Bauer, welchen ich auf die Seite gelegt und gesagt habe, er wäre nicht ehrlich, das ist der Verräther Judas, oder dieser Feldwebel, welcher hier steht und mich verklagt hat.

Der Major. Da, mein Sohn - und schenkte ihm einen Louisdor - trink meine Gesundheit, du bist der politischste Windbeutel, den ich je gesehen habe. Ich habe viele Leute gekannt, die die Karten studirt haben, sie haben aber Solches nicht gefunden was du mir jetzt gesagt hast.


69. Das harte Herz.

Es war einmal ein Pfarrer, der war so hartherzig und geizig, aber seine Frau war mildthätig und wünschte sehr, daß ihr Mann auch mildthätig würde. Das offenbarte sie dem Schulmeister und dieser sagte: Wenn ihr Mann mildthätig werden solle, so müsse er einmal mit ihm in den Wald gehen. Da beredete die Frau ihren Mann, daß er mit dem Schulmeister in den Wald gehe; der aber sagte zu ihm, er brauche nichts mit zu nehmen, er selbst nähme auch nichts mit; doch steckte er sich heimlich die Rocktaschen voll Brot und Wurst. So gingen denn die Beiden in den Wald; als sie aber noch nicht lange gegangen waren, wurde der Pfarrer hungrig und klagte es dem Schulmeister. Da pflückte der Schwämme ab, die gab er ihm zu essen, und that, als äße er auch davon; das war aber nur zum Schein und heimlich aß er Brot und Wurst. Da klagte der Pfarrer bitterlich, daß er nichts als Schwämme essen müsse, und der Schulmeister sagte immer nur: er äße ja selbst Schwämme und die armen Leute äßen auch Schwämme im Walde, wenn [222] sie kein Brot hätten. Das wiederholte er dem Pfarrer so oft er von neuem zu klagen anfing. Und so führte er ihn weit, weit in den Wald hinein.

Als nun aber der Schulmeister heimlich sein Brot und seine Wurst aufgezehrt hatte, führte er den Pfarrer an einem Bache hinab, der zu einer Mühle führte, und weil es gerade die Zeit des Abendessens war, so mußten sie sich sogleich mit dem Müller und der Müllerin zu Tische setzen. Da gab es Erbsen zu essen und das behagte dem Pfarrer gar wohl, aber der Schulmeister hatte ihm vorher gesagt, wenn er ihn auf den Fuß trete, so solle er aufhören zu essen, damit er nicht von den Erbsen Leibweh bekäme. Kaum aber hatte der Pfarrer ein paar Löffel voll gegessen, da kroch des Müllers Hund unter den Tisch und lief ihm über den Fuß. Da glaubte der Pfarrer, der Schulmeister habe ihn auf den Fuß getreten, damit er aufhören solle zu essen, und legte sogleich den Löffel hin. Als nun der Pfarrer und der Schulmeister in der Nacht auf ihrer Kammer lagen, wurde der Pfarrer so hungrig, daß er zu seinem Gefährten sagte, er müsse aufstehen und noch etwas von den Erbsen essen, welche übrig geblieben waren. Der Schulmeister aber sagte, er verspüre selbst noch Hunger und darum solle ihm der Pfarrer den Napf mit Erbsen mit vors Bett bringen. Auch band er ihm einen Band an die Hand, damit er sich wieder zu ihm auf die Kammer fände.

Kaum war der Pfarrer fort, so sprang der Schulmeister aus dem Bette, schlich sich auf die Kammer, wo der Müller und die Müllerin schliefen, und befestigte den Band am Bette der Müllerin. Der Pfarrer aber fand den Napf mit Erbsen im Dunkeln, denn da er sich bei Tische nicht satt gegessen, so hatte er ihn gierig mit den Augen verfolgt, als die Müllerin ihn wegnahm, und gesehen, wo sie ihn hinstellte. Als er sich nun satt gegessen hatte, dachte er auch an den Schulmeister [223] und nahm den Napf mit Erbsen und wollte ihn dem Schulmeister vors Bett bringen. Weil er nun immer dem Bande nachging, so kam er vor das Bett der Müllerin und hielt der die Erbsen an den Mund. Nun blies aber die Müllerin immer so mit dem Munde, weil sie im Schlaf etwas schwer Athem holte, und da glaubte der Pfarrer, daß der Schulmeister die Erbsen erst kalt blasen wolle. Das ärgerte ihn, weil sie schon ganz kalt waren, und darum rief er: Sie sind ja ganz kalt! und klatschte der Frau den ganzen Napf mit Erbsen ins Gesicht. Davon erwachte sie und auch der Müller erwachte, und sie warfen den Pfarrer bei Nacht und Nebel aus der Mühle hinaus.

Der Pfarrer ging nun allein im Walde fort und kam zu Räubern, die sperrten ihn in ihre Höhle mit vielen andern Gefangenen ein, auch sagten sie zu den Gefangenen: wenn sie zurückkämen, so sollten sie Alle zusammen geschlachtet werden. Nur das Dienstmädchen der Räuber blieb in der Höhle, und nach einer Weile sagte es zu den Gefangenen: wer von ihnen die dicksten Finger hätte, den wollte sie frei geben. Geschwind wiesen alle Gefangenen der Dienstmagd ihre Hände hin, und da zeigte es sich, daß der Pfarrer die dicksten Finger hatte. So kam der Pfarrer los aus der Räuberhöhle und die Andern wurden nachher von den Räubern geschlachtet. Er aber wurde seitdem gut und mildthätig. [224]

70. Die diebische Spinnstube.

Es war einmal ein Dorf, wenn da die Liebesleute in den Spinnstuben beisammen waren, so war es von alten Zeiten her Sitte, daß jeden Abend ein Paar in die Obstgärten einbrechen und für die ganze Gesellschaft Aepfel und Birnen stehlen mußte. Das traf denn auch einmal ein Pärchen, das sollte die schönen Birnen aus des Pfarrers Garten stehlen, die waren so mürbe wie Taffent. Die Braut will durchaus nicht mit in den Garten hinein und bleibt draußen am Zaune stehen, der Bräutigam aber steigt mit einem Sacke, den er mitgebracht hat, auf den Baum und fängt an ihn vollzusacken mit Birnen. Nun ist der alte Pfarrer, obgleich er nicht hat heirathen dürfen und keine Kinder gehabt hat, doch gar geizig gewesen; der kommt also mit der Leuchte aus dem Hause heraus und trägt einen Kessel voll Geld und hat den Teufel bei sich. Der Pfarrer kommt gerade unter den Birnbaum, da gräbt er ein Loch und weiß nicht, daß der Bräutigam oben im Birnbaume sitzt. Der Teufel schreit immerzu: „Hei kucket? hei kucket!“[30] aber der Pfarrer hat kein Arg daraus und läßt sich nicht stören. Endlich setzt er den Geldkessel in die Grube und macht mit dem Teufel aus: den Kessel solle Niemand heben können, bis ein junges Ehepaar in der Brautnacht splitterfaselnackt angeritten käme, die Pferde an den Zaun bände und den Kessel unter dem Birnbaume hervorgrübe. Beschwört auch den Teufel bei allen Höllenstrafen, daß er den Kessel unter keiner andern Bedingung hergeben soll und denkt: das geschieht in alle Ewigkeit [225] nicht. Darauf geht der Pfarrer mit dem Teufel fort, und der Bräutigam steigt vom Birnbaume herunter.

Sogleich vertraut er seiner Braut an, was er gesehen und gehört hat, und drei Wochen darauf hat das Paar schon Hochzeit. In der Brautnacht aber ritt es zusammen splitterfaselnackt durch die Gartenthür bis unter den Birnbaum, und es gelang ihm richtig, den Schatz zu heben.

Das junge Ehepaar kam auch glücklich mit dem Geldkessel nach Hause, und lud noch nachträglich die ganze Spinnstube zur Hochzeit ein; da sollen sie wieder von des Pfarrers Birnen geschmaust haben.


71. Teufelslohn.

Es war ein Knabe, der mußte den ganzen Tag über mit einem Karren, vor den ein Fuchspferd gespannt war, Mist fahren. Eines Abends war er so ermüdet, daß er sich neben den Karren auf die Erde legte und einschlief. In der Nacht erwachte er durch eine Kutsche, die vorbei fuhr; daraus schaute ein Herr hervor, der fragte, ob er einsteigen und mitfahren wolle. Da stieg der Knabe sogleich ein, der Herr aber war der Teufel und fuhr gerades Wegs mit ihm nach der Hölle zu.

In der Hölle mußte er dem Teufel dienen und die Hölle ausfegen. Auch hatte der Teufel sechs eiserne Töpfe dastehen, da mußte der Knabe immer je drei Holzkloben unterlegen. Dabei aber verbot er ihm in die Töpfe zu gucken, und das hielt der Knabe auch eine Zeit lang. Endlich hob er doch einmal einen Topfdeckel ab und da saß seine alte Großmutter, die noch nicht lange todt war, und die ihn [226] immer so viel geprügelt hatte, in dem Topfe. Die rief ihm sogleich zu, er möge doch etwas weniger Holz unterlegen, sie wolle ihm dafür auch einen guten Rath geben, nämlich wenn er den Dienst des Teufels einmal verließe und der Teufel frage ihn, was er als Lohn mitnehmen wolle, so solle er sich ein Bündel voll vom Auskehricht mitnehmen.

Der Knabe merkte sich die Rede der Alten, legte aber, weil sie ihn im Leben so schlecht behandelt hatte, statt der drei Holzknorren nun sechs unter diesen Topf. Als der Teufel nach Hause kam, merkte er sogleich, daß der Knabe in den Topf geguckt hatte, und sprach: „Es ist dein Glück, daß du mehr Holz unter diesen Topf gelegt hast wie zuvor; hättest du von der Zeit an, da du hinein gucktest, weniger untergelegt, so wär' es dein Tod gewesen.“

Da der Knabe nun ausgedient hatte, fragte der Teufel ihn, was er zum Lohne haben wolle, und da nahm er den Auskehricht mit. Der Teufel aber brachte ihn wieder hin auf die nämliche Stelle, wo er ihn hatte einsteigen heißen, und daselbst stand auch sein Pferd noch vor dem Karren, wie er es verlassen hatte. Da lud er den Kehricht, der unterwegs zu lauter Gold geworden war, auf den Karren, fuhr mit seinem runden Fuhrwerk nach Hause und war von Stunde an ein reicher Herr.


72. Die Barbiermühle.

Es war einmal eine Mühle, darin wurden in jeder Nacht den Mühlknappen die Hälse abgeschnitten, sodaß der Müller gar keinen Mühlknappen mehr annehmen wollte. Nun kam aber doch noch einmal ein alter Mühlknappe, der war seines [227] Lebens schon längst überdrüssig, und wußte auch nicht, wo er übernachten sollte, denn die Mühle lag ganz allein, und war weit und breit kein Haus mehr in der Nähe, außer dem kleinen Häuschen neben der Mühle, das kaum so viel Platz hatte, daß der Müller darin schlafen konnte. Der Müller gab dem Mühlknappen endlich nach, und als dieser zwischen Elf und Zwölf in der Mühle noch wach war, trat auf einmal ein Mann mit einer weißen Mütze und einem weißen Hemde herein, er trug einen Scherbeutel unter dem Arm, war ganz complisant, setzte einen Stuhl in die Mitte der Stube und nöthigte den Mühlknappen mit vielen, vielen Bücklingen, sich darauf zu setzen. Der Mühlknappe konnte seinen Winken zuletzt nicht mehr widerstehen und dachte schon, daß sein letztes Stündlein geschlagen. Er sprach aber zu sich selbst: Wenn du hier barbirt wirst und es wird dir der Hals abgeschnitten, so sollst du doch vorher den Barbier bezahlen, damit du nach deinem Tode keine Schulden nachläßt. Er wendet also alle seine Taschen um und schüttelt zuletzt einen alten Kassenmathier[31] daraus hervor, den legt er für den Barbier auf den Tisch. Darauf schlägt der Barbier ordentlich Schaum wie sich's gehört, barbirt den Mühlknappen, ohne ihm dabei den Hals abzuschneiden, zieht dann aus der Decke einen Kasten hervor, den bis dahin Niemand gesehen hat, wirft den Mathier hinein, nimmt seinen Scherbeutel unter den Arm und verschwindet mit vielen Bücklingen. Als der Mühlknappe das am andern Morgen dem Müller erzählt, und sie miteinander hingehen, um den Kasten an einem Knopfe, welcher vorher auch von Niemand bemerkt ist, aus der Decke der Mühle hervorzuziehen, fällt der Kasten herunter, sobald sie nur den Knopf anrühren, und er ist so schwer von Geld gewesen, daß er den Müller sogleich todt [228] geschlagen hat. Da hat der Mühlknappe den ganzen Schatz gehabt und die Mühle dazu. Der Barbier aber ist seitdem nicht wiedergekommen, denn er hat früher einmal aus Habsucht in dieser Mühle als Barbier einem Müller den Hals abgeschnitten gehabt und das dadurch gewonnene Geld dort in der Decke versteckt, darum hat er müssen nach seinem Tode hier jeden Mühlknappen barbiren und ihm dabei den Hals abschneiden, bis einmal ein Mühlknappe so ordentlich wäre, daß er vorher das Geld auf den Tisch lege; das hat aber bis dahin Niemand gethan, und darum hat der habsüchtige Barbier allen die Kehle abgeschnitten.


73. Der Student am Halfter.

Es waren einmal zwei Studenten, bei denen war denn auch immer, wie man zu sagen pflegt, der Onkel nicht zu Hause, und darum fehlte es bei ihnen allezeit am Besten. Sie machten miteinander eine Reise und kamen an einer Waldecke vorbei, da lag ein Bauer, der hatte den Halfter eines Esels um den Arm gewunden und schlief. Da zäumte der eine Student den Esel ab und trieb ihn mit dem Stocke davon. Der andere aber legte sich den Halfter an und wartete, bis der Bauer aus dem Schlafe erwachte. Endlich fing der an sich die Augen zu reiben, blickte um sich und war nicht wenig verwundert, als er einen Studenten am Halfter hatte. Der Student aber bat ihn so beweglich, daß er ihn doch gehen lassen möchte, und erzählte: Weil er als Student so ein wilder Bursche gewesen sei, so habe sein Vater ihn einmal aus Zorn in einen Esel verwünscht, und als Esel sei er bei ihm in Dienst gekommen; derweil nun der Bauer geschlafen [229] habe, sei gerade die Zeit der Verwünschung um gewesen und da sei er wieder ein Student geworden. Da blieb dem Bauer nichts übrig, als daß er ihn laufen ließ, ja er wickelte sogar noch seinen Lederbeutel auf und gab ihm einen Zehrpfennig mit auf den Weg. Den andern Tag ging er in die Stadt auf den Markt und wollte sich einen neuen Esel kaufen. Da stand der Student, der den Esel davongetrieben hatte, und bot des Bauers Esel auf dem Markte zum Verkauf aus. Da glaubte der Bauer, daß der leichtsinnige Student schon wieder von seinem Vater in einen Esel verwünscht sei. „Wer dick kennt, dä köft dick nich“[32], sagte er leise zu seinem Esel, und ging hin und kaufte sich einen andern.


74. Das Viertel vom Wirth.

Ein Mann hatte drei Söhne, von denen erhielt jeder zweihundert Thaler und damit zogen sie in die Welt. Als der Vater von ihnen Abschied nahm, ermahnte er sie noch, sich vor rothen Haaren zu hüten. Die drei Brüder legten an diesem Tage noch eine tüchtige Strecke zurück, und den Abend kamen sie sehr müde und hungrig in ein Wirthshaus, da hatte der Wirth rothe Haare. Da wurde ein Linsengericht aufgetragen, das schmeckte ihnen so gut, daß sie zueinander sagten: „Davon ist jeder Löffel voll einen halben Louisdor werth.“ Der Wirth steht in der Nebenstube und hört das mit an, und zählt jeden Löffel voll, den die drei Brüder essen, das war fürwahr eine Kunst, aber dieser Wirth ist [230] ein solcher Rechenmeister gewesen, daß ihm kein Löffel voll entgangen ist, wie auch die drei Brüder mit ihren Löffeln hin und her fuhren. Am andern Morgen fragen die drei Brüder nach ihrer Rechnung, da sagt der Wirth, sie hätten sich die Rechnung am vorigen Abend über Tische mit den Löffeln in der Hand schon selbst gemacht. So müssen sie für jeden Löffel voll, den sie gegessen haben, einen halben Louisdor bezahlen, und denken jetzt erst daran, daß ihr Vater sie vor rothen Haaren gewarnt hat.

Nun setzen die drei Brüder ihre Reise fort. Nach einiger Zeit kommt ihnen ein bewaffneter Reiter, der ein hoher Offizier gewesen ist und feuerrothes Haar gehabt hat, entgegen. Als die drei Brüder das sehen, denken sie: hat schon der rothhaarige Wirth uns so übel mitgespielt, so bringt uns der rothhaarige Reiter gewiß den Tod. Also ergriffen sie eilig die Flucht, und liefen in einen nahen Wald. Da will der Reiter den Grund wissen, warum sie fliehen, und verfolgt sie. Mit seinem Pferde holt er sie auch bald ein, und nun gestehen sie, daß sie sich vor den rothen Haaren fürchten, und erzählen, was ihnen ihr Vater gesagt hat und was bei dem rothhaarigen Wirthe geschehen ist. Da nimmt der Reiter die drei Brüder mit sich, und zieht mit ihnen nach dem Wirthshause.

Der Wirth ist eben beschäftigt einen Ochsen zu schlachten. Da fragt der Reiter, ob er nicht ein Viertel abstände. Ei jawol, sagt der Wirth, und da gehen sie Alle miteinander in die Stube und wollen den Handel abschließen. Da klopft der Reiter den Wirth so ein wenig auf die Schulter und spricht: „Nun Herr Wirth, was soll das Viertel kosten?“ Da sagt der Wirth: sechszehn Thaler, und sogleich zieht der Reiter sein Schwert aus der Scheide und sagt: „Nun, weil wir Handels einig sind, so wollen wir das Viertel gleich abhauen“, er meinte nämlich die Schulter [231] des Wirths. Als aber Der sah, wie es gemeint war, wurde ihm himmelangst und bot dem Reiter viel Geld, wenn er ihm seine Schulter ließe. Da handelten sie so lange miteinander, bis der Wirth soviel auflegen mußte, als die drei Brüder für die Linsen bezahlt hatten. Das Geld schenkte der Reiter den drei Brüdern, und der Wirth war froh, daß er sein Viertel behielt.


75. Die Grafentochter.

Ein alter Graf hatte eine einzige Tochter, deren Bräutigam war nach dem gelobten Lande in den Krieg gegen die Ungläubigen gezogen. Nach einiger Zeit aber rüstete sich auch der Alte, mit seinen Leuten nach dem gelobten Lande zu ziehen, und weil seine Tochter sehr darum bat, so gestattete er, daß sie ihn auf dem Zuge begleitete. In der Nähe von Palästina wurden aber die Kriegsknechte des Grafen bereits von Feinden überfallen; der Graf befahl also seiner Tochter, unter dem Schatten eines Baumes sitzen zu bleiben, während er mit seinen Leuten die Feinde zurückschlug. Als aber das geschehen war und der Alte nach dem Baume zurückkehrte, hörte er nur noch den Hülferuf seiner Tochter, die mit vier verwilderten weiblichen Gestalten durch die Luft davon schwebte.

Der Bräutigam der Grafentochter hatte bereits erfahren, daß der Graf mit seiner Tochter im Anzuge sei, und so eilte er hocherfreut ihnen entgegen, denn er gedachte sich im gelobten Lande mit ihr zu vermählen und war überzeugt, daß seine Braut darein willigen würde, ja, daß sie nur deshalb nach dem gelobten Lande gekommen wäre, weil [232] sie vorausgesehen, was für eine Bitte er dort an sie und ihren Vater richten würde. Diesen fand er noch in großer Verzweiflung unter dem Baume, und nachdem er von ihm erfahren hatte, was geschehen war, suchte er selbst einen Zauberer auf und der sagte ihm: „Deine Braut befindet sich bei einem verwünschten Prinzen, wenn sie dem nicht die Hand reicht, so wird er sie in einen Steinfelsen verwandeln. Doch werde ich einen Luftballon verfertigen, der dich mit deinem Diener, welchen du bei dir hast, in sechs Stunden zum Schlosse des verwünschten Prinzen bringt, damit du selbst mit ihm reden kannst, ob deine Braut noch zu retten ist.“

Der Luftballon war bald bereit, der Ritter und der Diener ließen ihre Pferde bei dem Zauberer stehen und fuhren im Luftballon nach dem verwünschten Schlosse. Als sie dort ankamen, konnten sie anfangs gar keine Thür finden. Auf das Klopfen des Dieners riefen zwei Stimmen von innen: „Welcher Sterbliche stört uns in unserer Ruhe?“ Und sogleich wurde dem Diener der Hut abgenommen und es wurden ihm Hörner dafür aufgesetzt. Da lief der weinend fort und der Ritter mußte selbst anklopfen. Sogleich erschien der verwünschte Prinz, der weigerte sich anfangs, ihm die Grafentochter zurückzugeben, sagte aber zuletzt: wenn die Schwester des Ritters ihn heirathen wolle, so könne dieser seine Braut wieder erhalten.

Da fuhr der Ritter mit seinem Diener traurig in dem Luftballon zu dem Zauberer zurück. Allein der trat ihm freudig entgegen und sprach: seine Schwester sei entschlossen, dem verwünschten Prinzen ihre Hand zu reichen - die Propheten hätten es ja schon im Lande verkündigt, was der verwünschte Prinz zu ihm gesprochen, und so wisse seine Schwester auch bereits davon und habe ihre Meinung schon kund gegeben.

So war es auch in der That. Als der Ritter nun [233] mit seiner Schwester vor dem verwünschten Schlosse stand und anklopfte, um sie anzukündigen, trat der verwünschte Prinz heraus und fragte: ob sie entschlossen sei, ihm ihre Hand zu reichen. Das bejaht sie mit niedergeschlagenen Augen; aber er sagt, sie solle ihn ansehen. Das thut sie, und springt dann über seinen Anblick entsetzt zurück. Da fragt er, was ihr fehle. Sie aber antwortet: Nichts, er habe sie nur erschreckt, und dabei tritt sie ihm wieder näher. Sie reichen sich also die Hände; da wird aus ihm ein wunderschöner Jüngling. Die Grafentochter war jetzt schon in einen Steinfelsen verwandelt, allein von Stunde an erhielt sie ihre menschliche Gestalt wieder. Und ich denke doch, daß der Diener des Ritters am Hochzeitsfeste auch wieder seinen Hut statt der Hörner auf dem Kopfe getragen hat.


76. Das Schiff, das auf dem trockenen Lande geht.

Es war einmal eine Königin, die war eine Hexe und hatte drei Söhne, von denen galt der Jüngste als einfältig und mußte deswegen immer unter dem Tische sitzen. Eines Tages gab die Königin jedem der drei Brüder hundert Thaler und schickte sie aus, damit sie sähen, ob einer von ihnen das Schiff bringen könne, das auf dem trockenen Lande ginge.

Die beiden ältesten Brüder ließen aber den Einfältigen bald im Stiche, eilten ihm rasch voraus und kamen an ein Feld, wo sie beschlossen zu frühstücken. Als sie da saßen, kam ein kleines weißes Männchen und sagte, sie sollten ihm doch auch ein wenig zu essen abgeben. Sie aber gaben ihm nichts und das Männchen ging seiner Wege. Als sie weiter gingen, kamen sie an ein Wirthshaus, da kehrten sie ein und [234] tranken miteinander, denn daß sie das Schiff, das auf dem trockenen Lande geht, nicht gewinnen konnten, hatten sie bereits gesehen, weil ihnen Niemand darüber Auskunft geben konnte.

Als die beiden ältesten Brüder noch nicht lange fort waren, kam auch der Einfältige auf das Feld und setzte sich dort gleichfalls nieder, um zu frühstücken. Da kommt das kleine Männchen wieder daher und will etwas abhaben, und sogleich läßt der Dumme das Männchen mitessen. Das Männchen frühstückte nun tapfer, und als es den Dummen nach seiner Verrichtung fragte, antwortete der: er wolle ein Schiff holen, das auf dem trockenen Lande gehe. Das Männchen aber sagte: er möge sich nur hinlegen und schlafen, es wolle ihm schon eins bringen. So legte sich der Dumme hin und schlief ein; als er aber eine Weile geschlafen hatte, weckte ihn das Männchen wieder auf und ging mit ihm ein wenig bei Seite. Und siehe! da stand ein Schiff, das auf dem trockenen Lande ging, daran ist weder Pflock noch Nagel gewesen, und das gab ihm das Männchen für das Frühstück.

Als er mit dem Schiffe schon lange bei seiner Mutter war, kamen seine beiden Brüder aus dem Wirthshause zurück, und da konnten sie das Lied singen:

Herr Hans von Finkenstein
Hat all sein Geld vernuck-nuck-nuckt,
In lauter Bären-Schluck, Schluck, Schluck,

denn ihre Taschen waren leer.

Nach einer Weile schickte die Königin ihre drei Söhne wieder aus. Sie gab abermals Jedem hundert Thaler und sagte, sie wollte einmal sehen, wer von ihnen die feinste Stiege Leinwand heim brächte. Die beiden ältesten Brüder eilten dem Dummen voraus, frühstückten auf dem Felde, gaben aber dem weißen Männchen wieder nichts ab, das dort [235] wieder zu ihnen kam. Später aber kamen sie wieder an das Wirthshaus.

Während sie dort saßen, frühstückte auch der Dumme auf dem Felde, und das Männchen kam und aß mit wie das erste Mal. Danach fragte das weiße Männchen nach seiner Verrichtung. Und als er sagte, daß seine Mutter sehen wolle, wer von den drei Brüdern die feinste Stiege Leinwand brächte, hieß ihn das Männchen wieder sich hinlegen und einschlafen. Als er eine Zeitlang geschlafen hatte, weckte ihn das Männchen und da stand auch ein weißes Kätzchen da, das gab ihm eine Haselnuß und das Männchen sprach: „Mit der Haselnuß kehre zu deiner Frau Mutter heim, dann wird sich das Uebrige schon finden.“

Diesmal langten alle drei Brüder ziemlich zu gleicher Zeit an. Die beiden ältesten hatten für das Geld, welches sie in dem Wirthshause übrig behalten, noch immer Jeder eine recht feine Stiege Leinwand bekommen; der Dumme aber gab seiner Mutter die Haselnuß. Als die Königin die Nuß öffnete, war ein Gerstenkorn darin, und als sie das Gerstenkorn öffnete, war darin eine Stiege Leinwand. Die beiden ältesten Brüder wurden darüber sehr zornig, die Königin aber sprach: „Wenn mein jüngster Prinz auch die dritte Aufgabe am besten löst, so soll er König werden. Abermals gebe ich Jedem von euch hundert Thaler, damit ziehet noch einmal aus, und wer die schönste Prinzessin heim bringt, der soll König werden.“

Da zogen sie alle Drei wieder aus und es begab sich Alles wie zuvor. Als aber der Dumme wieder sein Frühstück mit dem Männchen getheilt und ihm seine Verrichtung erzählt hatte, hieß das ihn wieder sich hinlegen und schlafen, und als er nachher die Augen aufschlug, war das weiße Kätzchen wieder da, das ihm das vorige Mal die Stiege Leinwand gegeben hatte. [236] Das weiße Männchen aber sagte dem Dummen, daß er dem weißen Kätzchen die vier Pfoten und den Kopf abhauen sollte. Das wollte der Dumme zwar anfangs nicht, und ließ sich erst lange von dem weißen Männchen bitten, bis er ihm die eine Pfote abhackte. Da gab es einen gewaltigen Donnerschlag, und als er sich von seinem Schrecken erholt hatte und auf das Kätzchen blickte, sah er statt der abgehackten Pfote ein Menschenbein an ihrem Körper sitzen. Da hackte er dem Kätzchen schnell noch die andern Pfoten und den Kopf ab, und da stand auf einmal die schönste Prinzessin vor ihm, und das weiße Männchen war nun auch erlöst. Der Dumme aber heirathete die Prinzessin, und als er mit ihr zu seiner Mutter kam, kehrten eben auch die beiden Brüder aus dem Wirthshause heim, die hatten gar keine Prinzessinnen gefunden. Da hatte der Jüngste zwei Königreiche auf einmal, das eine bekam er von seiner Frau und das andere von seiner Mutter.


77. Der Stab, die wildlederne Hose und das Jubelhorn.

Es war ein Bauernsohn, der sollte die Müllerprofession erlernen. Weil ihn nun der Mühlknappe einmal so unbarmherzig prügelte, so ging er aus der Lehre und sein Vater brachte ihn als Lehrling zu einem Kaufmann in die Stadt, sagte ihm aber zugleich, wenn er auch dort wieder aus der Lehre liefe, so dürfe er nie wieder über seine Schwelle treten. Allein der Ladendiener des Kaufmanns prügelte den Bauernsohn noch unbarmherziger als der Mühlknappe, und da er das nicht ertragen mochte, zog er aus in die weite [237] Welt und kam in einen Wald, da begegnete ihm eine Fee, die gab ihm eine Ruthe und sprach: „Wenn du mit der Ruthe aufklopfst und dazu sprichst: Tischlein decke dich, so wird ein gedeckter Tisch vor dir stehen, mit so viel Speise und Trank, als dein Herz nur verlangen kann.“

Als der Bauernsohn mit der Ruthe noch etwas weiter gegangen war, begegnete ihm ein armer Mann und bat um etwas Speise. Da klopfte er mit seiner Ruthe auf den Boden und sprach: Tischlein decke dich, und sogleich stand ein gedeckter Tisch mit Speise und Trank vor ihm. Nachdem sie gegessen hatten, gab ihm der alte Mann aus Dankbarkeit eine wildlederne Hose, ein Jubelhorn und einen Stab. Dabei sprach er: „Wenn du in die Tasche der wildledernen Hose greifst, so wirst du stets ein Geldstück herausziehen, das Jubelhorn versammelt alles Wild um sich, wenn es geblasen wird, und der Stab kann die Unschuld der Weiber prüfen.“

Mit diesen neuen Geschenken ging der Bauernsohn weiter, kam zu dem Jäger des Königs und bot sich ihm als Jägerburschen an. Der Jäger des Königs aber sprach: „Es fehlt bei uns nicht an Jägern, sondern am Wild. Wenn Einer käme, der Wild herbeischaffen könnte, den würde ich sogleich in Dienst nehmen. Denke nur, bis morgen Mittag soll ich eine ungeheure Menge Wild geschossen haben für die Tafel des Königs, und es ist nicht einmal ein alter Hase aufzutreiben in der ganzen Gegend.“

„So nehmt mich nur als Jägerburschen in Dienst“, sprach der Bauernsohn, „für das Wild werd' ich schon sorgen.“ Da nahm der Jäger des Königs ihn in Dienst.

Am andern Morgen ging der Bauernsohn zuerst zum Frühstücken zu dem Jäger. Um zehn Uhr sollte das Wild geschossen sein und der Jäger trieb seinen Burschen immerfort an, jetzt mit ihm ans Werk zu gehen. Allein der [238] stand nicht von seinem Sitze auf und hielt den Jäger bei der Flasche fest, bis es Dreiviertel auf zehn Uhr war. Da gingen sie miteinander ein paar Schritte vors Thor hinaus und der Bauernsohn blies in sein Horn. Darauf kam das ganze Wild an, Hirsche, Rehe und Hasen und das Gevögel in der Luft. Der Jäger und der Bauernsohn konnten Beide nicht alles Wild schießen, das vorhanden war; sie tödteten aber so viel als für die Küche des Königs von Nöthen war, und das Uebrige ließen sie entspringen.

Als der König dieses Stücklein vom Bauernsohn vernahm, war er nicht damit zufrieden, daß er nur Jägerbursche bei seinem Hofjäger wurde, sondern er setzte ihn über den Hofjäger und nahm ihn zu seinem Jägermeister. Der Bauernsohn aber lebte bei Hofe so flott, als kein anderer Höfling leben konnte, denn er brauchte ja nur in seine wildlederne Hose zu greifen, um ein Goldstück daraus hervorzuziehen. Das gefiel dem Könige, und weil die Königstochter ein Auge auf den Jägermeister geworfen hatte, so versprach er sie ihm zur Frau. Als das bekannt wurde, kam aber zuerst die Kaufmannstochter, bei deren Vater der Bauernsohn als Lehrling gewesen war, mit einem kleinen Kinde auf dem Arm, zu dem Könige und sprach: „Dies ist das Kind des Jägermeisters, er ist mein Verlobter und darf die Prinzessin nicht heirathen.“

Der König rief den Jägermeister herbei, der aber hieß die Kaufmannstochter sich niederlegen, berührte sie mit seinem Stabe und sprach dabei: „Jungfer, wer ist bei dir gewesen?“ Da mußte sie der Wahrheit gemäß antworten: „Meines Vaters Ladendiener“, und da wurde sie mit Schimpf und Schande vom Königshofe heimgeschickt.

Darauf kam auch noch die Tochter des Müllers mit einem Kinde auf dem Arm und sprach zum Könige: „Dies ist das Kind des Jägermeisters, er hat mir die Ehe versprochen [239] und darf die Prinzessin nicht heirathen.“ Da ließ der König wiederum den Jägermeister herbeirufen, der aber hieß die Müllerstochter sich niederlegen, berührte sie mit seinem Stabe und sprach: „Jungfer, wer ist bei dir gewesen?“ Da mußte die Müllerstochter der Wahrheit gemäß antworten: „Meines Vaters Mühlknappe.“ Da wurde der König über die falschen Dirnen so erzürnt, daß er die Müllerstochter mit Hunden vom Königshofe hetzen ließ. Der Bauernsohn aber feierte am nächsten Tage seine Hochzeit mit der Prinzessin.


78. Die rothe Fahne und der Ring der Königstochter.

Ein reicher Kaufmann hatte einen einzigen Sohn. Der wurde nun immer älter und größer und wollte sich einmal ein halbes Jahr in der Welt umsehen. Der Vater konnte sich schwer von seinem einzigen Kinde trennen, mußte aber endlich nachgeben, und der Kaufmannssohn ließ sich selbst ein eigenes Schiff bauen, denn er wollte nichts sehen als das viele Wasser, das Gott gemacht hat und das dem Kaufherrn Reichthum und Güter bringt. Und als das Schiff nun fertig war, nahm er noch viel Geld und Gut, Pistolen und anderes Kram, und fuhr ganz allein auf seinem Schiffe davon.

Ein Vierteljahr war er wol schon so auf der See herumgefahren, da landete er doch einmal ans Ufer an. Er befestigte sein Schiff, stieg aus und ging im Freien herum. Sowie er nun in einer großen Ebene spazieren ging, sah er da einen Berg, an dem stieg er hinan, und dahinter sah er wieder eine große unabsehbare Ebene, die mit nichts als Korn bewachsen war. In dem Korn hin aber lief ein Weg, [240] und wie er eine Strecke weit in dem Wege zwischen hohem Korn gegangen war, vernahm er ein Gewinsel. Bald sah er zwei Kerle stehen, die hatten vier ungeheure Hunde bei sich, und sahen zu, wie die Tewen[33] einen Menschen zerreißen mußten, der auch schon ziemlich todt war.

Die beiden Männer aber sagten, als der Kaufmannssohn ihnen Vorwürfe machte: nicht weit von hier sei eine Stadt, wenn da Jemand so viel schuldig wäre, daß er gar nicht mehr bezahlen könne, so fiele er den Hunden zu Theil und die müßten ihn zerreißen. Hierauf sagt der Kaufmannssohn: sie sollten sogleich die Hunde anrufen, er wolle für den Mann bezahlen.

Da riefen die Kerle die Hunde an und trugen den Menschen, der schon halbtodt war, in die Stadt; der Kaufmannssohn aber folgte ihnen nach. In der Stadt brachten sie zuerst den Menschen ins Krankenhaus, und der Kaufmannssohn ließ einen Arzt rufen, der ihn wiederherstellen sollte. Dann ließ er sich von den Beiden zu den Gläubigern des Mannes führen, die gaben ihm alle von dem Gelde, das er ihnen aufzählte, die Hälfte zurück, weil sie es schon aufgegeben hatten. Unterdessen starb der Schuldner im Krankenhause an seinen Wunden.

Der Kaufmannssohn aber machte sich jetzt wieder auf zu seinem Schiffe, und als er auf dem Berge war, sah er, daß an sein eigenes Schiff noch ein anderes angehängt war, und daß aus dem einen Schiffe ins andere Männer hin- und hergingen. Gott's-Grund, denkt er, das sind Räuber, nimmt eine Pistole, die er aus dem Schiffe mitgenommen hat, und schießt ab. Sobald die Männer das hören, binden sie eiligst das fremde Schiff los und segeln schnell davon. Als aber der Kaufmannssohn nach seinem eigenen [241] Schiffe kommt, sitzen zwei Frauensleute darauf, das eine war ein wundervolles Weib, die andere ist denn so hübsch nicht gewesen. Sie erzählen ihm, daß sie von Räubern geraubt wären; als die Räuber das Schiff gefunden, wären sie darauf gestiegen und hätten sie auf das andere Schiff gebracht, weil es so schön eingerichtet wäre, seien aber dann durch ihn verstört und hätten sie hier mit dem Schiffe zurückgelassen.

Der Kaufmannssohn hing jetzt sein Schiff ab und stach wieder in See. Als sie nun noch alle Drei auf dem Wasser fuhren, verliebte er sich in die schönste der beiden Mädchen. Sie sagte ihm nicht wer sie sei, steckte ihm aber einen Ring an die Hand, und als sie ans Land kamen, ließen sie sich heimlich miteinander trauen, ehe sie zu seinem Vater gingen.

Der alte Kaufmann freute sich über die Ankunft seines Sohnes, war aber ein wenig mürrisch, weil der die beiden Weiber mitbrachte, und sprach: „Ei, ei, mein Sohn, die Wunder der Schöpfung wolltest du sehen und bringst zwei Weiber von deiner Lustreise mit? Wer weiß aber, was du für rauhes Gesindel auf dem Meere aufgelesen hast.“ Als nun das schöne Mädchen, mit dem der Kaufmannssohn heimlich getraut war, einen Sohn zur Welt brachte, wurde der Alte so zornig, daß er sie alle zusammen zum Hause hinauswarf. Der junge Kaufmannssohn brachte seine Frau mit dem Kinde und ihrer Begleiterin in einen Gasthof und reiste nach Hamburg, um dort von seinem Oheim sich Rath und Geld zu hohen. Als der Oheim nun seinen Ring betrachtet, den er selbst noch nicht einmal so genau besehen hat, weil er bis dahin noch nie von seiner Frau getrennt gewesen ist, liest er auf dem Ringe, daß seine Frau eine Königstochter sei. Sogleich bescheidet der Oheim seinen Bruder zu sich [242] und zeigt's ihm an, der aber nimmt jetzt seinen Sohn wieder mit heim und holt seine Schwiegertochter mit dem Kinde und der Dienerin aus dem Gasthofe wieder zu sich ins Haus. Jetzt erfuhren sie auch erst, daß die Andere nur die Dienerin der Frau des Kaufmannssohnes war, und der alte Kaufmann war nun hoch erfreut.

Nachdem aber sein Sohn eine Zeit lang glücklich mit der Prinzessin gelebt hatte, wünschte er doch auch den Vater seiner Gattin zu sehen und sie erlaubte ihm zuletzt, ihn zu besuchen, wenn er auf der Reise in Allem ihr Gebot erfüllen wolle. Das verspricht er ihr, sie aber setzt sich hin und stickt ihm eine rothe seidene Fahne und da hinein ihren Namen. Als sie ihm diese übergab, sprach sie: „So wisse denn, daß mein Vater über alle Schiffe zu befehlen hat, die in seinem Lande aus- und eingehen, und daß insonderheit alle Schiffe, die in seinem Lande Waaren und Früchte aufladen, an ihn das Geld dafür abliefern müssen. Kommst du nun hin in sein Land, so lade dein Schiff ganz voll von den kostbaren Früchten und Eßwaaren, die es dort gibt. Die rothe Fahne aber trage versteckt auf deiner bloßen Brust und wenn das Schiff ganz voll geladen ist, dann ziehe sie aus dem Busen hervor und stecke sie oben auf den Wimpel des Schiffes.“

Der junge Kaufmann versteckte die rothe Fahne an seiner bloßen Brust und fuhr wieder fröhlich aufs Meer hinaus.

Als er an das Land kam, wo sein Schwiegervater König war, sah er auch schon das Königsschloß am Meere, das dem Hafen gerade gegenüber lag. Im Angesichte des Königsschlosses aber begann er mächtig zu arbeiten, daß der Schweiß zu Boden rann, und lud sein Schiff so voll der kostbarsten Früchte und Güter, daß alle die andern Schiffer sich darüber verwunderten. Als nun das Schiff [243] voll war, zog der junge Kaufmann die rothe Fahne aus der Brust hervor und befestigte sie an des Schiffes Wimpel. Und da leuchtete die Sonne so schön auf dem Königsschlosse, und die goldenen Buchstaben glänzten vom Wimpel hinüber auf das Königszimmer. Wie nun der König an dem Schiffe im Sonnenglanze den Namen seiner Tochter erblickt, schickt er sogleich auf das Schiff und läßt den Eigenthümer des Schiffes zu sich führen.

Als der junge Kaufmann auf das Schloß kommt, fragt ihn der König sogleich: auf welche Weise er an diese Fahne gekommen sei. Er aber antwortet: die rothe Fahne habe er von seiner Frau geschenkt bekommen. Darob verwundert sich der König, läßt sich auch erzählen, auf welche Weise er seine Frau erhalten, und ist sehr erfreut, daß seine Tochter noch am Leben und am Wandel ist, und daß sie einen Sohn geboren hat.

Eine geraume Zeit mußte der junge Kaufmann bei seinem Schwiegervater bleiben. Dann befahl ihm der, heim zu fahren, das vollgeladene Schiff seinem Vater als ein Geschenk von ihm zu überbringen, und sein Weib und Kind zu ihm zu führen. Nun ist der erste Minister des Königs schon früher in die Prinzessin verliebt gewesen, doch sie hat ihn nicht heirathen wollen. Der erbietet sich, ihren Mann zu begleiten, damit die Königstochter in hohen Ehren aus der Fremde abgeholt werde. Das sind Alle zufrieden, auch der junge Kaufmann, weil er nicht wußte, wie der Minister seiner Frau nachgestellt hatte.

So holten sie denn also die Frau des jungen Kaufmanns mit ihrem Kinde und ihrer Dienerin in seiner Heimat ab. Als sie nun aber wieder auf der See waren, forderte eines Tages bei schönem Sonnenschein der Minister den jungen Kaufmann auf, auf das Verdeck zu steigen und sich dort mit ihm zu vergnügen. Er hatte aber nichts Anderes [244] vor als daß er ihn an die Hängebank bringen und des Lebens berauben wollte. Wie sie deshalb eine Zeit lang auf dem Verdeck hin und her gegangen waren, nimmt der Minister plötzlich einen Anlauf, gibt ihm einen Renner und wirft ihn ins Wasser. Zu der Frau aber sagte er, ihr Mann sei aus Unvorsichtigkeit ins Wasser gestürzt. Die weinte laut, aber auch der König wurde sehr traurig, als der Minister später ihm vortrug, was mit seinem Schwiegersohne geschehen sei. Nach einiger Zeit aber fing der Minister seine Bewerbungen wieder an und wollte die Prinzessin zur Liebsten haben; und wiewol sie selbst keinen Sinn dazu hatte, so wurde doch zuletzt der Hochzeitstag angesetzt.

Allein der junge Kaufmann war nicht im Meere ertrunken. Die Wogen hatten ihn wieder aus der Meerestiefe heraufgespült und er war glücklich bis ans Ufer geschwommen. Dort stieg er aus dem Meere, legte sich in das schöne Schilf, das da gestanden hat, und schlief vor Ermüdung ein. Ehe er einschlief, hat er noch gefürchtet, daß er dort in der Einöde verhungern müsse; als er aber erwachte, stand eine große, große Gestalt vor ihm, die fragte ihn: „Kennst du mich wol noch?“ Der junge Kaufmann aber kannte die Gestalt nicht und die Erscheinung sprach: „Ich bin der Mann, für den du die vielen Schulden bezahlt hast und der den Hunden zu Theil gefallen war. Weil du mir einst geholfen hast, so will ich jetzt dir wieder helfen. Lege dich jetzt zum Schlafe nieder, und wenn du erwachst, so wirst du hinter deines Schwiegervaters Stalle liegen. Dann gehe hin in den Stall und lege die Kleider eines Stallknechts an; darauf laß den König fragen, ob er nicht einen Splitterjungen zum Holzspalten nöthig hat. Wirst du dann angenommen, so nimm den Hackeklotz und trag ihn aus dem Holzstalle mitten auf den Hof und dort spalte das [245] Holz, aber ziehe ja den Ring nicht vom Finger, den dir die Königstochter gegeben hat.“ Damit verschwand die Gestalt und bald versank der junge Kaufmann wieder in einen tiefen Schlaf.

Als er erwachte, lag er hinter dem Stalle des Königs und that, wie ihm befohlen war. Er wurde auch wirklich als Splitterjunge angenommen, nahm seinen Klotz und trug ihn mitten auf den Hof. Munter hackte er nun drauf los, und am Abende trug er den Klotz und die Splittern in den Stall hinein, ohne daß sich etwas begeben hätte. Am zweiten Tage schien die Sonne so schön und wie er nun wieder Holz hackte und dabei mächtig mit den Händen ausholte, strahlte der Name der Prinzessin immer so von dem Ringe an seiner Hand nach dem Fenster des Schlosses. Die Prinzessin kam im Schlosse gerade vom Saale herüber nach ihrem Zimmer, da warfen die Strahlen des Ringes ihr immer so ihren Namen zu. Da verwunderte sie sich sehr, daß der Splitterjunge ihren Ring am Finger trug, und ging, es ihrem Vater zu verkünden. Der aber ließ sogleich durch einen Diener den Splitterjungen heraufholen und fragte ihn, woher er den Ring habe. Da antwortete der, den habe seine Gemahlin ihm geschenkt. Als der König nun weiter fragt, wo denn seine Gemahlin sei, erwidert er, das wisse er nicht und erzählt dem Könige, wie es ihm auf dem Schiffe ergangen ist; als er es erzählt hat, öffnet sich die Thür und seine Gemahlin tritt herein und da ist Freude über Freude gewesen. Der junge Kaufmann hat jetzt auch bessere Kleidung angelegt, ist aber von dem Könige und seiner Tochter noch einige Zeit vor dem Minister verborgen gehalten. Am andern Tage läßt der König alle Räthe zusammen laden und als sie nun Abends so sitzen, läßt er die Frage ausgehen: was wol Der verdiente, der schlecht genug wäre, daß er einen Mann [246] von der Frau hinweg ins Wasser stürzte? Sogleich erhob sich der Minister und war der Erste, der also sprach: „Der wäre werth, daß er von vier Ochsen zerrissen würde und an jedes Thor müßte ein Viertel von ihm aufgehängt werden.“

Damit hatte er sich selbst sein Urtheil gesprochen und war heftig erschrocken, als in diesem Augenblicke sich die Thür öffnete und des Königs Schwiegersohn leibhaftig hereintrat. Vergebens bat er um Gnade und schon am folgenden Tage geschah, wie er gesagt hatte. Der König aber ließ jetzt auch den alten Kaufmann zu sich holen, und da lebten sie allesammt miteinander glücklich und zufrieden. [247]

Anhang.


79. Die Schlacht der armen Söhnlein gegen die reichen.

Es war einmal eine arme junge Mutter, die wohnte mit ihrem Söhnlein in einem einsamen Hause, das stieß an ein großes Roggenstück.

Als das Söhnlein nun acht Tage alt geworden war, weckte es die arme Mutter ganz in der Frühe und küßte es und sagte: „Söhnlein, wach' auf, du mußt jetzt dein Glück in der Welt versuchen. Sie ist sehr groß, und manches arme Kind ist schon ein großes Herrlein drin geworden; - vielleicht wirst du auch einmal eines!“

Das hörte das arme Söhnlein sehr gern und lachte und rieb sich vergnügt die Händchen. Die arme Mutter aber nahm es und trug es hinaus vors Haus. Da stand ein Häslein, das in dem Roggenstücke wohnte, mit einem kleinen Sattel und einem kleinen Zaum. Da hob die Mutter ihr Söhnlein in den Sattel und gleich sprengte das Häslein mit ihm davon in die weite Welt.

Auf den Abend kamen sie an einen großen Wald. Es war aber in dem Walde ein ordentliches kleines Wirthshaus, [248] das war eigentlich ein Zwergpalast. Vor dem Wirthshause hielt das Häslein stille. Und die Wirthsleute waren Zwerge, die kamen und hielten dem kleinen Knaben den Steigbügel, daß er von dem Hasen heruntersteige und in das Haus ginge. Da gelangte er in den großen Saal, darin waren schon viele arme Söhnlein, die waren Jeder auf einem Häslein geritten gekommen, denen waren sie von ihren Müttern übergeben, um in die weite Welt zu reiten. Ihre Häslein aber standen in dem Stalle in einer langen Reihe nebeneinander, die Zwerge hatten jedem ein Kohlblatt in die Krippe geworfen und ihre Sättel und Zäume nebeneinander an den Wänden aufgehängt.

In dem Hause aber gaben die Zwerge den Söhnlein Zuckerbrot zu essen und süße Milch zu trinken und legten sie in feine saubere Bettlein. Den andern Morgen weckten sie die Knaben sehr frühe, und da ritten sie auf ihren Häslein weiter. Sie kamen aber auf eine große Wiese, neben der stand ein großes Haus, und da kamen auch die Söhnlein der reichen Leute daher, die waren auf ihren treuen Hunden spazieren geritten und hatten kleine Säbel und Patrontaschen umgeschnallt. Als diese die Söhnlein der Armen auf den Häslein daherkommen sahen, zogen sie ihre Säbel, als wollten sie gegen sie kämpfen, und da fingen auch die Hunde, auf denen sie ritten, zu bellen an, und da erschracken die Häslein und warfen die Söhnlein der Armen ins Gras. Da ritten die Söhne der Reichen als Sieger in die Stadt zurück. Aus dem großen Hause aber traten Männer heraus, die sahen sehr ernsthaft aus. Die hoben die Söhnlein der Armen auf und trugen sie ins Haus, und da schauten kleine Mädchen aus den Fenstern hervor, die klatschten in ihre Händchen, als sie die Knaben kommen sahen, und riefen ihnen schon von Weitem zu: „Schämt euch nicht vor uns, ihr kleinen Jungen, denn wir sind [249] auch auf der Wiese gefunden worden!“ Und da waren sie mit den kleinen Mädchen im Findelhaus.


80. Eisenbahnmärchen.

„Nun, das ist doch nur gut“, - hatte eine alte dicke Häsin gesagt, als die Eisenbahn von Braunschweig nach Harzeburg eröffnet werden sollte, - „nun, das ist doch nur gut, daß man jetzt rascher zur Stadt kommen kann als früher. Mit dem Laufen will es bei meinen Jahren nicht mehr so recht fort und man hat so mancherlei Einkäufe zu besorgen, denn die Töchter wachsen nachgerade heran und man muß an die Ausstattung denken. Und was man hier in Feld und Wald haben kann, ist doch nicht mehr so recht in der Mode, und ich kann es keinem hübschen jungen Hasen verdenken, wenn er in dieser Zeit von seiner Allerschönsten eine etwas bessere Mitgift verlangt. Kauft man doch auf der braunschweiger Messe so billig ein.“

So hatte die Alte gesprochen, und ähnlich dachten die andern Thiere des Harzwaldes. Als nun die Eisenbahn eröffnet war, welche so recht dicht an die Harzberge dran stößt, da waren gar viele Thiere gekommen und hatten wollen ein Billet lösen für die Fahrt zur braunschweiger Messe. Aber der Einnehmer sagte: „Habt ihr Häschen, ihr Kaninchen, ihr Hirsche und Rehe, auch wol einen Herrn? He? Habt ihr wol auch einen Herrn?“

Da mußten sie traurig die Augen niederschlagen, denn sie hatten keinen Herrn, und nach den Eisenbahngesetzen durften nur auf den Namen von Menschen Thierbillets ausgegeben werden. Sie gingen dann immer mismuthig hinweg [250] und blickten von ihren Wäldern und Feldern aus neidisch auf die Ochsen, die von den Fleischern brüllend daher geführt und so recht bequem in den Thierwagen gebracht wurden, und auf die Hunde, welche mit ihren Herren kamen und ebenda bereitwillige Aufnahme fanden.

Die Thiere im Harz hatten es sich aber nun einmal in den Kopf gesetzt, daß sie die Residenzstadt Braunschweig sehen wollten, und sie waren so neugierig geworden, daß sie ihren Plan so bald nicht aufgaben. Sogar die Vögel vom Harz, welche alle Jahre nach Braunschweig zur Messe gereist waren, wollten nun diese Reisegelegenheit benutzen: denn sie meinten, sowie kein Mensch mehr von Harzeburg nach Braunschweig mit Extrapost führe, sondern Alles auf der Eisenbahn, so müßten auch die Braunschweiger meinen, dem Vögelchen, das jetzt noch auf seinen Fittigen nach Braunschweig flöge, sei das Köpfchen verdreht. Ein munterer Finke, der immer an der Bahn herumspionirte, schnappte eines Tages von einem armen Arbeitsmann, der eben ein Billet gelöst hatte, die Worte auf: man reißt ja mehr am Schuhwerk ab, wenn man zu Fuße geht, als das Fahrgeld beträgt; und da er nun auf einem Baume, wo viele seiner Kameraden im Laube beisammen saßen, ganz keck mit der Behauptung hervortrat: man reiße ja mehr an den Federn ab, als ein Billet für den Thierwagen koste, so wollte von da an auch kein Vogel mehr auf dem ganzen Harz nach Braunschweig zur Messe fliegen. Auch behaupteten die Weibchen, es schicke sich gar nicht mehr jetzt nach Braunschweig zur Messe zu fliegen, was denn die Menschen dazu sagen sollten? Genug, es mußte Rath geschafft werden, und dazu bot sich wol Gelegenheit. Der Locomotivenführer nämlich kam mit seinem Zuge jeden Morgen gegen elf Uhr, und blieb in Harzeburg bis den Nachmittag, wo er zurückfuhr. Gewöhnlich setzte er sich dann mit seinem [251] Glase in die Laube im Garten eines Wirthshauses, welches dicht am Fuße hoher bewaldeter Berge liegt. Hier trank er tüchtig und hatte seine Freude an den bunten Vögeln auf den Bäumen, und an den Häschen, die hin und wieder durch den Zaun in den Kohl des Wirths schlüpften.

Dies benutzten die klugen Geschöpfe und brachten ihn durch ihr einschmeichelndes Wesen endlich zu dem Versprechen, daß er einmal einen Extrazug für die Thiere aus dem Harzwalde zur braunschweiger Messe veranstalten wolle.

An einem Sonntagmorgen stand er sehr zeitig auf in Braunschweig, schob die Locomotive aus dem Schuppen und hing eine Reihe von Thierwagen daran. In aller Frühe fuhr er ab, sodaß er hoffen konnte, schon zu rechter Zeit wieder zurück in Braunschweig zu sein, wenn der erste Zug für die Menschen abgehen mußte.

Auf den Wiesen und an den Bäumen glitzerte der Thau, und der erste Sonnenstrahl drang eben durchs Gebüsch, als die Locomotive im Felde am Fuße des Harzwaldes hielt. Das Wild und die Vögel waren noch nicht einmal alle wach, sie sprangen aber nun rasch auf aus Klee und Gebüsch und freuten sich über den schönen Sonntag-Morgen, auf den ihre Reise nach Braunschweig fiel.

Nun hättet ihr sehen sollen, wie die Hirsche und Rehe und alle die verschiedenen Vögel auf dem Dampfwagen Platz nahmen.

Aus dem Walde und aus den Feldern kamen sie herbei, die Hirsche sprangen, die Häschen kletterten, die Vögel flatterten herein. Die Locomotive pfiff, und es dauerte nicht lange, so waren sie Alle in Braunschweig.

Auf dem Bahnhofe in Braunschweig aber erging es ihnen schlecht, denn dort stand die Polizei und fragte: „Habt ihr auch wol einen Paß? he? he? Ihr Hirsche, ihr [252] Rehe, ihr Häschen, ihr Kaninchen, ihr Finken, ihr Drosseln, habt ihr auch wol einen Paß? he? he?“

Da erschraken die Thiere alle, denn keines von ihnen hatte einen Paß. Die Polizei aber wurde sehr böse und sagte: die Thiere, welche sich nicht legitimiren könnten, sollen Alle geschlachtet werden.

Da fingen die Thiere alle an zu weinen. Die Vögel aber sagten: sie seien hier schon so viele Jahre zur Messe hergekommen und hätten niemals einen Paß gebraucht. Das sei eine neue Manier, daß ein Vogel einen Paß haben solle, rief ein alter Reiher aus, und die Rohrsperlinge fingen an furchtbar auf die Polizei zu schimpfen.

Weil nun die Vögel sich darauf berufen konnten, daß sie schon sehr oft in Braunschweig gewesen waren und niemals einen Paß gebraucht hatten, so ließ man sie auch wieder fliegen, und sie machten, daß sie so schnell als möglich wieder nach dem Harzgebirge kamen. Die andern Thiere aber wurden unerbittlich geschlachtet, und die Kinder, welche in diesen Tagen über den Wildmarkt in Braunschweig gingen, freuten sich über das viele schöne Wild, das dort zum Verkaufe aushing; noch mehr aber freuten sie sich, wenn sie es des Mittags bei Tische gebraten vor sich sahen.


81. Weihnachtsmärchen.

Das Weihnachtsfest war nahe herangekommen und aus dem Walde gingen viele Tannen in die Hauptstadt des Landes bei dem schlechten Wege immer durch Dick und Dünn. Wenn Jemand sie fragte: wo wollt ihr Tannen [253] denn hin? so antworteten sie: wir wollen in die Stadt und den Herrn Christ loben.

Ein ganz kleines Tannenbäumchen, das im Walde neben seiner Mutter stand, lief immer hinter seiner Mutter her, als diese sich auch nach der Hauptstadt aufmachte, und folgte ihr immer nach, wie ein Füllen der Stute, oder ein junges Rehkalb der Hindin.

Als die Tannen des Abends im Dunkeln in der Hauptstadt angekommen waren, lagerten sie sich Alle unter die Fenster des alten steinernen Schlosses, das sie von einer Seite her vor Wind und Wetter schützen sollte, und es war schön anzusehen, wie die vielen grünen Tannen da beieinander lagen. Das kleine Tannenbäumchen aber, das sich neben seine Mutter gelegt hatte, fror gar sehr. Da kam der Wind und legte den Saum seines schneeweißen Mantels erst zu den Füßen der Tannen hin und breitete ihn dann ganz über sie aus. Den andern Morgen aber kam ein Sonnenblick und deckte den schneeweißen Mantel wieder ab. Da rieb sich das kleine Tannenbäumchen vergnügt die Augen und sah verwundert die große, schöne Stadt.

Aber bald wurde seine Freude getrübt, denn es kam ein Herr, der hieß sein Mütterlein mitgehen in sein Haus, das kleine Tannenbäumchen aber mußte zurückbleiben, denn es war zum Weihnachtsbaume noch viel zu jung und zu klein.

Als nun der Weihnachtsmorgen kam, da ging das kleine Tannenbäumchen ganz einsam in den nassen Straßen der Hauptstadt umher und weinte. Da sah es aber sein Mütterlein in einem großen, schönen Saale stehen. Es hatte viele Lichter in der Hand, die glänzten gar herrlich, und das Mütterlein war anzusehen wie ein schöner Engel.

Da freute sich das kleine Tannenbäumchen sehr und ging getrost weiter. [254] Es stand aber in einem Hause eine kleine Puppe am Fenster, wie es eben Tag wurde. Die winkte dem kleinen Tannenbäumchen, daß es zu ihr herauf käme, und fragte:

„Wie heißt du, kleine Tanne?“

„Ich heiße Waldgrüne“, antwortete das Tannenbäumchen. „Und wie heißt du?“

„Ich heiße Kindchen-küß-mich“, antwortete die Puppe.

Da wurden die Puppe und das Tannenbäumchen gute Freunde und blieben lange, lange Zeit beisammen.

Die kleine Tanne aber wuchs sehr schnell heran, da sagte Kindchen-küß-mich endlich zu ihr:

„Du bist so ein langaufgeschossenes Ding geworden, daß ich mich schäme noch mit dir über die Straße zu gehen; auch ist dir dein Röckchen aus grünen Zweigen viel zu kurz, es reicht dir ja noch lange nicht einmal bis ans Knie, so sehr hast du es verwachsen! Mir wäre das zwar einerlei, aber den Menschen fällt es doch sehr auf. Deswegen wäre das Beste, du gingest wieder zurück in den Wald.“

Da ging die Tanne wieder in den Wald. Dort aber war ihr Röcklein nicht zu kurz, sondern es war große Freude bei den andern Tannen, daß Waldgrüne wieder zugegen war.


  1. Die Vorrede zur sechsten Auflage der beiden ersten Bände der Grimm'schen Sammlung (1850) ergänzt, was im hoffentlich nun bald neu aufgelegten dritten Bande derselben (2. Aufl. 1822) zur Geschichte und Literatur des Märchens zusammengestellt ist; ein kürzerer Aufsatz von L. Bechstein über das Märchen und seine Behandlung in Deutschland findet in der „Germania“, 2. Band, S. 316-328, und eine vortreffliche culturhistorische Studie über die Gesetze, nach denen die Handlung im deutschen Volksmärchen vorschreitet, und über dessen Sittlichkeit in Nr. 16 der Zeitschrift „Die Grenzboten“ von 1852. In der Einleitung seiner vortrefflichen „Beiträge zur Mythologie“ (1. Band, 1851) weist J.W. Wolf im Märchenschatz unsers Volkes seinen alten Mythenschatz nach. Von demselben erschien auch soeben „Die deutsche Götterlehre, ein Hand- und Lesebuch“, hauptsächlich nach Jakob Grimm's über jedes Lob erhabener „Deutscher Mythologie“ (2. Aufl., 1844).
  2. In der gesegneten, fruchtbaren Magdeburger Börde.
  3. Schnell.
  4. Trumpf 'raus.
  5. Mann ohne Leib.
  6. Putze.
  7. Confirmirt würde.
  8. Das ist gut, das ist gut, daß die Jungfer Schön nicht weiß, daß ich Hipche, Hipche heiße.
  9. Ein Stück von einem Baumstamm.
  10. D.i. eine „Bucht“ oder Hütte.
  11. Jagdtasche.
  12. Kleine Waldkirschen.
  13. Strip, strap, strull, der Eimer der ist voll. Geh hin und hole den Kober, der Eimer der läuft über.
  14. Tröste dich Gott.
  15. Ist die Hochzeit noch nicht bald aus?
  16. Sieh mich auch an.
  17. Es gibt noch immer was, was, was.
  18. Schnatter die Schnatter heißt meine Gans, ist das nicht ein schöner Tanz?
  19. Frau Base! Frau Base!
  20. Zwei Thaler und ein Spinnrad, ist das wol nicht schon was?
  21. Alter Ochse! Alter Blesse!
  22. Nach der Trauung.
  23. Bandstreifen, wofür hauptsächlich die Lumpen „getauscht“ werden.
  24. Höher hinauf, Junge.
  25. Hühnerweihe.
  26. Noch über die Hühnerweihe.
  27. Guten Tag, altes Mädchen.
  28. Guten Tag, alter Junge.
  29. Epauletten.
  30. Er guckt.
  31. Mathier ist ein Vierpfennigstück.
  32. Wer dich kennt, der kauft dich nicht.
  33. Hunde.


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