Benutzerin:Zabia/Bücher/Christmette
„Tausend, tausend! Ist das eine Kälte, das Holz im Ofen könnt’ gefrieren! Es schneidet Einem fast das Gesicht auseinander und die Haut bleibt schier hängen, wenn man das Thürschloß anfaßt! Ich mein’, ich höre die Füchse bellen, dort drüben am Waxenstein!“
Es war die Hauserin vom Brunnhofe, welche auf diese Weise mit sich selbst plauderte; sie stand unter der Thür des Hauses, hauchte sich in die erstarrenden Hände und blickte nach allen Richtungen umher in der schneebedeckten, dämmerverhüllten Wintergegend. Das Bild war, wie es vor Wochen gewesen, voll einfacher schweigender Erhabenheit, nur die Farbengebung war eine andere – das Grün der Matten und Hänge war zum hellen eintönigen Weiß geworden, von welchem nur strichweise die graubraunen laublosen Buchenstämme sich abhoben oder die Tannenwälder mit ihrem schwarzdunkelnden Grün, oder die blauen Schatten, mit welchen die Häupter und Schluchten der Berge sich selbst abzeichneten auf dem lichten gleichgespannten Grunde. Wieder verriethen nur noch die fernen Rauchsäulen, wo das Leben des Dorfes um Heerd und Ofen zusammengeflüchtet war; nichts ließ sich vernehmen, als manchmal ein dumpfer Knall, wenn droben im Bergwald ein Stamm unter der Schneelast brach oder der See den Eispanzer zu sprengen suchte, in den er eingezwängt war – über all’ dem ein frischer klarer Himmel, an dessen Saum ein winterliches Abendroth erkaltete.
„Schaust Dich nach dem Wetter um, Hauserin?“ fragte es von unten nach der Schauenden herauf, die eben kopfschüttelnd in’s Haus zurückkehren wollte. „Das giebt einmal kalte Feiertage – ich weiß schier seit meiner Jugend nimmer, daß wir solche Weihnachten gehabt haben …“
„Wer bist?“ fragte die Hauserin entgegen und machte einige Schritte gegen das Geländer; der an der Oberfläche gefrorene Schnee trug sie nicht und brach unter ihren Schritten ein. „Die Boten-Lisel!“ sagte sie dann, als sie der Redenden ansichtig geworden; es war ein altes Mütterchen, über und über und doch nur dürftig verhüllt, das Gewand war bereift und auf dem Tuch vor dem Munde lag eine Eiskruste vom Athem gebildet. In der einen Hand trug die Alte einen starken Stock mit Eisenspitze, mit der andern hielt sie einen Strick, an den ein kleiner Schlitten gebunden war, bepackt mit allerlei Bündeln, Körben und kleinem Geräth, daß es eine ziemliche Beschwer sein mochte, die Last so fortzuschleifen durch den tiefen Schnee und auf all’ den holperigen Wegen. Wohl hatte die Frau sich dabei Hülfe und Unterstützung zu schaffen gewußt, denn neben ihr war ein Hund vor den Schlitten gespannt, ein schwarzes zottiges und unscheinbares Thier, aber was es ihr ersparte, mochte auch nicht viel bedeuten, denn der Hund war als solcher nicht viel jünger als seine Herrin; er schien müde und hatte den Augenblick des Stillstands sofort benutzt, sich ausruhend in den Schnee zu legen.
„Bist auch noch unterwegs?“ fuhr die Hauserin fort. „Du arme Haut! Und in dem dünnen Gewande da! Komm doch morgen zu mir – ich hab’ einen alten Mantel liegen und eine warme Hauben – die kannst haben …“
„Vergelt’s Gott!“ erwiderte die Botin, „ich kann’s wohl brauchen. Die inwendige Wärm’, die fangt halt an, so völlig auszugeh’n in mir und da friert’s Eins bis in die Knochen hinein! Hab’ mich in Miesbach verhalten drinnen, weil ich der Wirthin ihr neues Camisol hab’ mitbringen sollen, da hab’ ich warten müssen, bis es fertig geworden ist. Wir kommen alle Tag ein bissel langsamer vom Fleck … ich und mein Bläß da! Gelt, Alter?“ sagte sie und wandte sich nach ihm; der Hund kroch ihr näher, als ob er Wort und Blick verstünde, und leckte der Herrin die magere froststarre Hand. „Ja, ja – das machen die Jahr’ – aber es thät Alles nicht so viel, wenn das arge Wehthun und das Reißen nit wär’ im linken Fuß! Den hab’ ich mir einmal verstaucht und seitdem – auf Lichtmeß jährt sich’s wieder, da sind’s volle sieben Jahr – seitdem spür’ ich das Wetter daran und könnt’ einen Kalendermacher abgeben alle Stund’… Heut’ ist’s wieder recht bös und drum mein’ ich schier, die Kält’ dauert nimmer lang … Ich will machen, daß ich noch über den See hinüber komm’…“
„O, damit hat’s keine Gefahr!“ erwiderte die Hauserin. „Der See ist fest zu – sie sind gestern noch drüber gefahren mit einem vierspännigen Holzwagen!“
„Ja, ja,“ sagte die Alte mit bedenklichem Kopfschütteln, „gestern und heut’! Was kann nicht Alles gescheh’n zwischen gestern und heut’! Das Eis kann weich werden über Nacht und es ist mir schon ein paarmal gewesen, als wenn mich so ein warmer flanderischer Wind anblasen thät, und das Reißen, das Reißen! Aber ich muß mich tummeln, daß ich noch in’s Dorf hinüber komm’ … morgen will ich mich schon einstellen, will gute Feiertag wünschen und den Mantel holen und die warme Hauben … Gute Nacht derweil, Hauserin! Gehst doch auch in die Metten hinüber?“
„Das versteht sich!“ erwiderte die Hauserin und ging. „B’hüt Gott derweil, Lisel – komm’ gut heim!“
Sie machte einige Schritte gegen das Haus und gewahrte jetzt erst, daß der früher frostharte Schnee unter ihr einsank. „Schau,“ dachte sie, „der Schnee will ableinen (schmelzen) – könnt die Alte am End’ doch Recht haben, daß sich die Kälten brechen will … Wenn nur der Schwager heim käm’! Wo er sich wieder verplauscht haben wird! Ich will nur das Essen vom Feuer stellen, sonst brat’ Alles ein! Der Vestl hat sich auch noch nicht seh’n lassen – aber der rührt eh’ nichts an, bevor der Vetter daheim ist …“
Kopfschüttelnd und wie suchend ging sie um das Haus herum, die Gräd’ entlang, welche gegen den Grasgarten und dessen Obstbäume hinlief, durch das vorspringende Dach vor Wind geschützt und vom Schnee frei gehalten. Sie spähte unter den dunklen Baumgruppen durch die Dämmerung herum und ihr vorsichtiges Stillstehen zeigte bald, daß sie gefunden, wonach sie gesucht.
Unter den Bäumen, an einer von Hecken eingeschlossenen Stelle, stand Sylvester und streute Brodkrumen und allerlei Sämereien auf den Schnee.
„Da bist Du ja!“ sagte sie, „hab’ mir doch gar nit einbilden können, wo Du steckst. Thust heut’ noch den Vögeln aufstreuen, wo sie doch alle schon lange schlafen …“
„Sie werden doch früher wach, als Unsereins,“ erwiderte Sylvester, ohne sich umzuwenden, und fuhr in seiner Beschäftigung fort, „es ist, daß sie morgen ihr Futter schon bereit finden …“
„Ich muß mich nur über Dich wundern,“ begann die Base, „was Du davon hast! Ist Dir doch sonst nicht eing’fallen, darum zu sorgen, ob die Finken und die Meisen und die Gimpeln was zu fressen haben im Winter – unser Herrgott hat ihnen die große Tafel gedeckt, wo sie alleweil ein paar Bröseln finden, und es fällt kein Vogel vom Baum, ohne sein’ Willen – Sonst hast doch wenigstens ein halb Dutzend Schlaghäuseln aufg’stellt und hast sie gefangen; hat’s doch oft in der Stuben und in Deiner Kammer ausgeschaut, wie bei einem Vogelhändler …“
Sylvester wandte sich mit rasch abwehrender Geberde, er schien etwas erwidern zu wollen und doch im Augenblick sich anders zu bedenken. „Ich habe mir’s überlegt,“ sagte er, langsam dem Hause zuschreitend, „warum soll ich den Thierl’n ihre Freiheit nehmen, in der sie so lustig sind? Ich kann mir’s einbilden, wie das thut, wenn man eingesperrt ist und kann nimmer hinaus, wie man’s gewohnt gewesen ist …“
Die Frau schritt bedächtig hinter ihm. „So, so?“ murmelte sie. „Hast Dir’s anders überlegt?“ Und unwillkürlich mußte sie des Wortes der alten Lise gedenken, wie das Eis weich werden könne über Nacht, wenn es der warme flanderische Wind anweht. „Was hab’ ich Dir nur sagen wollen?“ fuhr sie, wie ablenkend, fort. „Ja – richtig! Schon zwei Tag’ hab’ ich den Mader gespürt … man sieht die Spur ganz deutlich über den Zaun nach dem Hühnerstall zu – Du solltest aufpassen und ihn zusammenschießen, eh’ er uns ein Dutzend Hendeln abkragelt …“
„Ich will’s dem Hies sagen,“ erwiderte Sylvester bedächtig, „er soll sich auf die Pass legen …“
„Der Hies? Warum thust Du’s nit selbst?“
„Weil …“ rief er und hielt inne; die Antwort schien ihm Ueberwindung zu kosten. „Weil ich nicht kann … meine Büchs’ ist nicht im Stand … es ist ‘was zerbrochen dran!“
Während des Gesprächs waren sie im Hause angekommen; der Bursche trat, als wollte er einer Fortsetzung ausweichen, in die Küche, wo auf dem Heerde ein erlöschendes Feuer glomm; er setzte sich in die Ecke, nahm ein Scheit und den mächtigen Schnitzer dazu und begann so emsig Spähne zu schneiden, als thue es noth, noch eilig sein Tagewerk fertig zu bringen. Die Base machte sich am Heerde zu schaffen, blinzelte aber immer nach ihm hin und konnte sich wieder nicht enthalten, vor sich hinzubrummen oder nach dem landüblichen Ausdruck „ein bissel laut zu denken“! „Ja, ja,“ meinte sie, „zerbrochen kann was sein – aber nit am Gewehr …“
Einige Secunden war es still – dann trat sie sachte hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter „Laß ein gescheidtes Wort mit Dir reden, Vestl,“ sagte sie. „Du gefallst mir gar nit mehr …“
„Warum?“ fragte er kurz und ohne aufzublicken. „Thu’ ich was Unrecht’s?“
„Unrecht’s! Was nit gar! Du bist ein braver Bursch’, Du halt’st den Vetter in Ehren, denn Du thust, was er verlangt hat! Du hast keine Büchs’ mehr angerührt seit der Sichelhenk, bist bei keinem Jagen mehr gewesen, bei keinem Schiesset .… Du hast kein Wirthshaus mehr g’seh’n, kein’ Kegelstatt und kein’ Tanz … Du arbeit’st den ganzen Tag und arbeit’st für ihrer Drei …“
Sylvester hielt mit Schnitzen inne und sah sie an. „Also bin ein ordentlicher Mensch, ein richtiger Bauer? Red’ Basel, ich möcht’s von Dir hören, daß ich ein richtiger Bauer bin.“
„Das bist, Vestl,“ bestätigte sie eifrig. „Das müßt’ Dir Dein Feind nachsagen … Du bist überall Der Erste, wo’s Zugreifen heißt, und der Letzte, der die Händ’ in Schooß legt … und doch bist der alte Vestl nimmer! Der Bub’, der den Kopf sonst so hoch ‘tragen hat und daher’gangen ist, als wenn ihn der Boden brennen thät! Du bist stat und red’st nix und deut’st nix und wann’s Feierabend ist, kannst im Zwielicht dasitzen und vor Dich hinschau’n, ganze halbe Stunden lang … Was hast, Vestl? Darf die alte Basel, die Mutterstell’ vertreten hat an Dir, nit wissen, was Dich druckt?“
„Mich?“ fragte er abgewandt und scheu wie zuvor. „Wüßt’ nit, was mich drucken sollt’.“
„Red’ nit die Unwahrheit!“ fuhr die Frau wieder fort, „es nützt Dich doch nichts. Wenn Du Dich aber so anstellst, dann will ich, wenn ich auch nur eine alte Frau bin, Dir sagen, was vorgeht in Dein’ jungen Gemüth! Du bist harb (unwillig) auf Dich selbst und bist zu stolz, es Dir selber einzugestehen …“
Er stieß ein kurzes Lachen aus, das ziemlich gezwungen klang.
„Dein hölzernes Gelachter macht mich nit irr’, Vestl! Ich weiß doch, was ich weiß, harb bist auf Dich selber und das von wegen nichts Andrem, als von wegen der Brautschau …“
Sylvester lachte nicht mehr.
„Ich hab’ Dir’s gleich im Anfang gesagt, es ist ein Frevel, was Du Dir von dem Musikanten hast aufschwatzen lassen. Aber Du in Dein’ leichten Sinn hast es nit für möglich gehalten, daß Dein übermüthig’s Herz sich auch rühren kann … Drum hat Dir unser Herrgott gezeigt, daß er kein’ Spaß mit sich treiben laßt; er hat Dir gezeigt, was er kann – er hat Dir gezeigt, was er für Dich bestimmt hat gehabt und aufgehoben, und hat Dir’s wieder genommen. Du hättest können einen Schatz heben, aber Du hast ihn beschrieen und nichts ist Dir übrig ‘blieben, als der Verdruß über dich selber …“
„Es ist nit wahr, Basl … es ist nit das, was mich aus einander bringt – wenn ich es doch eingesteh’n muß … es ist das Gered’, das dumme Gered’, das überall herumgeht. Der Muckl, die Schwatz-Mirl, hat Alles ausgeplauscht; Jedes weiß davon und ich kann mich nirgends mehr seh’n lassen. Ich fürcht’, es thät mich wer fragen oder spötteln oder gar Trutzliedeln singen auf mich und das gäb’ ein Unglück … denn ich thät’s nit leiden!“
„Ja, ja,“ sagte die Hauserin nickend, „es ist schon was an dem, was Du sagst, aber das Wahre, die Hauptsach’ ist’s doch nit. Es nutzt Dich nichts, wenn Du vor mir Verstecken spielst, ich seh’ Dir in’s Herz, als wenn Du ein Fensterl unterm Brustfleck hätt’st … Nit, daß die Leut’ davon reden; daß das Dirn’l Dich abgetrumpft hat, das ist, was Du nit verwinden kannst. Spreiz’ Dich, so viel Du willst, ich weiß doch, die Clar’l hat Dir’s angethan und wenn sie Ja gesagt hätte, Du thät’st die Leute wohl reden lassen, mein’ ich alleweil …“
„Nein, Basel,“ rief der Bursche, der immer erregter zugehört, und warf den Schnitzer weg, „Du bist doch auf dem Holzweg… Ja, sie hat mir gefallen, ich will’s nit leugnen, das Herz ist mir auf’gangen und ich hab gemeint, ich seh’ einen Engel stehen, vorn an der Evangeliseiten, aber das ist lang vorbei, verbissen und verwunden und verscherzt, sie hat mir die Leviten gelesen, daß mir die Augen auf’gangen sind sperrangelweit! Du sagst, ich wär’ übermüthig? Sie ist’s, Basel, Niemand als sie, wenn sie glaubt, sie darf einem richtigen Burschen und Bauern sein ehrlich’s Wort vor die Füß’ werfen, wie man kein’ Bettelmann einen Pfennig hinwirft! Und Du sagst selber, ich bin ein richtiger Bauernbursch!“
„Alles wahr, aber verdenken kann ich’s dem Madel doch nit,“ erwiderte die Frau, „g’rad viel kann sich ein Madel nit darauf einbilden, wann ihr ein Mannsbild einen Antrag macht, nit weil sie ihm gefallt und weil er sie gern hat, sondern weil sie das Loos ‘troffen hat … aber wer weiß, ob der erste Unwillen ihr nit lang vergangen ist? Ob es ihr nit auch geht wie Dir und ob sie nit anders reden thät, wenn Du ihr jetzt ein Wort vergönnen thät’st …“
„Ich?“ rief Sylvester aufspringend. „Ich sollt’ noch einmal hinsteh’n vor die trutzige Dingin und ihr wohl gar ein gutes Wort geben? Eher sterben! Ja, ich hab’ sie gern gehabt, zu tiefst von Herzensgrund gern, aber sie glaubt’s ja nit, daß ich ein Herz hab’! Sie glaubt, daß ich gar nit weiß, daß ich keine Ahnung davon hab’, was das heißt, Jemand gern haben … und sie soll Recht haben in ihrer Gescheidtheit! Sie soll sehen, daß ich wirklich kein Herz hab’, daß ich sie und die ganze Narrethei vergessen kann, als wie …“
„Red’ nit so daher,“ unterbrach ihn die Alte, „wenn Du Dich im Spiegel anschau’n könntest, dann würd’st sehen, daß Dein Geschau’ zu denen Reden nit stimmt! Du hast die Narrethei nit vergessen … aber wenn Du mit dem Madel nit reden willst, was meinst dazu, wann ich’s probiren thät und thät’ anklopfen – weißt, so ganz fein und von der Fern?“
„Basel,“ rief der Bursche noch erregter, „um Alles in der Welt, thu’ das nit! Wenn Du mich nur ein bissel gern hast, thu’s nit! Schau, wenn ich wüßt’, daß Du das thät’st, heut noch ging’ ich aus dem Haus und morgen aus dem Dorf!“
„Na, na, ist schon wieder Feuer im Dach?“ erwiderte sie lachend. „Wenn Du’s nit haben willst, ich kann die Hand davon halten, ich kann’s bleiben lassen! … Aber wie soll’s nachher mit Dir werden, armer Bub’?“
„Sorg’ nit, Basel,“ entgegnete er sich zusammennehmend mit anscheinender Ruhe. „Ich werd’s wohl zwingen, ich will tüchtig arbeiten, Tag und Nacht arbeiten, daß ich’s bei Tag vergess’ und bei Nacht verschlaf’ vor Müdigkeit … Ich hab’ einmal zug’schaut, wie das wilde Feuer eingeschlagen hat im Wald und wie der Forstner es an’gangen ist, daß er’s überwältigt hat … mit’m Löschen wär’ nichts ausgericht’ gewesen, aber so haben wir weit herum einen Graben ‘zogen um die Brandstatt und haben das Holz ausgehau’t rings herum; was drinnen war, das haben wir verloren ‘geben und es hat einige Tag’ gedauert, bis Alles niedergebrennt g’wesen ist zu lauter Aschen und Kohlen, aber das Feuer ist nit drüber hinaus gesprungen und d’rum herum ist der Wald steh’n blieben, frisch und grün … So will ich’s auch machen, Basel … aber der Hund rebellt draußen! Der Vetter kommt heim, ich hör’ ihn schon, wann er so schreit, ist er übel aufgelegt, da will ich ihm lieber aus dem Weg gehen…“ Kaum war er durch die Hinterthür aus der Küche geschlüpft, als der Brunnhofer schon die Hausthür aufgerissen hatte und den Schnee von den Füßen stampfend durch den Gang herangepoltert kam. Er trug eine erwürgte, übel zerzauste Henne in der Hand. „Hab’ ich’s nit alleweil gesagt,“ rief er die Hauserin an, „der Mader wird so lang um den Taubenkobel und um den Hühnerschlag herumschleichen, bis er ein Unglück angerichtet hat? Glücklicher Weis’ bin ich just daher gekommen und hab ihn versprengt und hab’ ihm das Hendel da noch abg’jagt! Wo ist der Vestl? Warum hat er dem Mader nit aufgepaßt? Warum hat er ihm keine Fallen aufg’stellt? Warum hat er ihn nit erschossen?“
„Na, sturmt’s wieder?“ entgegnete die Hauserin mit gelassenem Lachen. „Der Bub’ wird bald gar nit mehr wissen, was er thun und lassen soll, daß er’s recht macht! Erst soll er kein’ Stutzen mehr anrühren und nachher soll er wieder auf den Mader Jagd machen!“
„Will mich die Schwagerin trotzen?“ fragte der Bauer und zündete paffend die ausgegangene Pfeife wieder an. „So ist’s nit gemeint, das weiß sie recht gut! Ein richtiger Bauer muß auch umzugehen wissen mit einem Schuß, damit er dem Schelmenvolk und dem Raubzeug Eins auf den Pelz brennen kann, wenn’s noth thut! Darum kann er doch ein Bauer sein und braucht keinen Jäger zu spielen! Aber wo ist der Bub’? Er soll herkommen, gleich auf der Stell’! Ich will meinen Zorn an ihm auslassen!“
„Wie kann ich wissen, wo er steckt?“ sagte die Schwägerin gleichgültig. „Hat lang gewartet auf den Schwager, von wegen dem Essen; dann ist er fort, wird ihm wohl die Zeit lang geworden und der Appetit vergangen sein!“
„Mir ist er auch vergangen,“ brummte der Alte, „der Verdruß bringt mich noch um mit dem Buben, wenn nit ein End’ hergeht!“
„Ich begreif’ den Schwager nit, wie soll er denn ein End’ machen?“
„Ja, wenn ich das selber wüßt’! Glaubt die Schwagerin, ich thät dann lang mit der Stang im Nebel herumfahren? Sternsacra, das ist ja das Kreuz und das Elend! Es ist wahr, er hat mir den Willen gethan mit dem Jagen und Schießen, aber jetzt soll er mir auch mit dem Heirathen den Willen thun und soll nit herumgehen, als wenn ihm die Hennen das Brod genommen hätten! In der ganzen Gegend ist Alles voll von der Geschicht’ mit seiner Brautschau; jetzt soll er’s auch durchfechten und soll zeigen, daß er Schneid’ hat und ein Madel zu kriegen weiß und wenn sie sich noch so harb anstellt und noch so schiech! Ich kenn’ das Madel, sie ist sauber, ist fleißig und ordentlich und wann sie auch nichts hat, als wie sie geht und steht, sie bringt was in’s Haus, was mir abgeht, ein’ guten Humor und ein lachend’s, ein freundlich’s Gesicht …“
„Wann der Schwager mit ihr ist, wie mit uns,“ entgegnete die Hauserin, „dann vergeht ihr das Lachen in den ersten vierzehn Tagen! Wann der Schwager freundliche Gesichter sehen will, muß er nit selber den ganzen Tag herumgeh’n, wie ein verlegen’s Donnerwetter!“
„Na, die Schwagerin wird doch nit empfindlich sein wollen,“ lachte der Bauer, „und wird ihr Gesicht vergleichen mit dem von der Kohlenbrenner-Clar’l? Und kurz und gut, er hat sie sich ausgesucht und soll sie mir in’s Haus bringen, so will ich’s haben! Das ist eine Brunnhoferin, wie ich sie mir ein’bildt und gewünscht hab’, da geht ein ganz anderes Leben an, wann die kommt!“
„Da wird der Schwager schon müssen Geduld haben,“ sagte die Hauserin, nicht ganz ohne Gereiztheit, „da ist nichts zu machen, der Vestl ist in der Sach’ einmal zu bockbeinig und will von der Clar’l nichts mehr wissen und wenn nit vielleicht mit ihr eher ein g’scheidtes Wort zu reden ist …“
„Sternsacra,“ brach er wieder los, „das ist ja eben mein Verdruß und mein Elend, daß das Madel, wenn’s möglich ist, noch bockbeiniger ist, als der Schlingel von einem Buben! Ich will’s der Schwagerin nur eingesteh’n … ich hab’ mir’s auf heut’ verspart gehabt, auf den heiligen Abend, da bin ich hinüber in die Kohlhütten, mit dem Madel zu reden, und g’rad komm’ ich davon her! Ich hab’ Zwiesprach’ mit ihr gehalten und hab’ ihr zugeredt, der Herr Pfarrer könnt’s nit besser machen und nit eindringlicher, aber es hat Alles nix genutzt, sie ist steif und fest dabei ‘blieben und hat Nein g’sagt! Es ist mir wohl vorkommen, als wenn sie alleweil die Augen voll Wasser hätt’ dabei, aber sie war nicht zu bewegen! Sie thät’ sich Sünden fürchten, hat sie gesagt, auf eine solche Art und Weis’ in heiligen Eh’stand zu treten! …
Sünden fürchten! Wahr ist’s ja, so recht sauber ist die Art und Weis’ nit … wie ihm solches Zeug nur einfallt, dem Kreuzkopf, dem verzwickten! … aber das ist ja doch nix als Spreizerei! Die ganze Welt ist verkehrt, sonst hat man Teufelsnoth g’habt, die jungen Leuteln auseinander zu halten: die Zwei sollten zusammen können und möchten’s heimlich auch, und wenn sie sich noch ärger verstellen, und die wollen nit! Thät Noth, man thät’ sie mit Gewalt zwingen zu einander!“
„Ich denk’ halt,“ sagte die Hauserin, als sie zu Worte kommen konnte, „das muß man den jungen Leuten selber überlassen und der Zeit!“
„Hat sich was zu überlassen!“ rief er wieder ärgerlich. „Als wenn keine Zeit zu verlieren wär’! Das Gered’, und das Gefrag’ und das Geschau’ ist dem Madel schon zuwider worden, die Mutter ist wieder wohlauf, die Clar’l will fort, morgen, in aller Früh; sie will wieder hinein zu ihren Gefreundten in Tirol und will nit eher wieder kommen, als bis kein Mensch mehr daran denkt und bis der Vest’l geheirath’ hat… Aber meinetwegen, ich will mich auch nichts mehr d’rum kümmern… Warum soll ich mir die Feiertag’ verderben lassen! Darnach ist auch wieder eine Zeit und wenn ich mir einmal was in Kopf gesetzt hab’, dann führ’ ich’s doch durch, es wird auch für die Hacken noch ein Stiel zu finden sein! Jetzt aber richt’ sich die Schwagerin zusamm’, ich geschirr’ die Fuchsen ein und schieb’ den Rennschlitten heraus: wir wollen nach Schliers hinüberfahren in die Metten … wir machen den Weg über Westerhof… Der See kracht alle Augenblick’, als wenn eine Kanon’ losg’schossen wurd’, ich denk’, es ist gescheidter, wir bleiben auf dem Land…“
Bald hernach flog klingendes Schellengeläut die Straße nach dem Dorfe hin, in weitem Bogen das Seegestade umkreisend. Es ging auf Mitternacht; blauschwarze Finsterniß senkte sich wie ein undurchdringlicher Vorhang vom Himmel herab, kein Sternlein durchblitzte sie, das Schneelicht allein diente dazu, die Wege etwas zu erhellen; dagegen kamen von allen Seiten, die Höhen nieder und aus den Büschen hervor, helle feurige Punkte aufgetaucht, wie Irrlichter oder riesige Leuchtkäfer, es waren die Kienfackeln und Laternen, die den andächtigen Kirchfahrern leuchteten auf der Wanderung zu dem nächtlichen Gottesdienste. Das ist ein lieber, heilig gehaltener Brauch, und wen nicht Krankheit zu Hause hält oder Alter oder wer nicht die Hauswache hat, der unterläßt kaum denselben zu üben. Das gab manch’ wunderbares Bild, wenn hier und da eine Schaar aus dem Dunkel, aus Gebüsch oder Ebene auftauchte, roth beschienen von dem Fackelschein, der die wankenden Streiflichter über die Schneefläche breitete und an den Stämmen der Bäume hin; dann schritten sie Alle, tief verhüllt, bald ernst und schweigend, bald auch in lautem Wechselgebet vorüber, um nach einigen Augenblicken wieder im Dunkel zu verschwinden. Durch die erhabene Nacht und ihr Feier-Schweigen aber tönte das Glockengeläut wie ferner Gesang von unsichtbaren Lippen: ein Lobgesang voll gewaltiger Melodie, die Geburt dessen verkündend, mit dem das Heil in die Welt gekommen und die versöhnende Liebe.
Die Pfarrkirche vermochte kaum die Schaar der zudrängenden Beter aufzunehmen; wenn die Kirchenthür sich aufthat, flammte das Licht der Altäre hinaus in das doppelt nächtliche Dunkel umher, den Nahenden entgegen, wie das Thor der himmlischen Einigkeit aufspringen mag vor dem, der erwachend angewandelt kommt aus der Grabnacht der Erde.
Auch die schöne Köhlerin fehlte nicht; aber diesmal stand sie nicht wie beim Erntefest an dem kerzenflammenden Altar – unter dem Chore, hinter einer Säule hatte sie das dunkelste Plätzchen ausgesucht, um ihrem Gebete obliegen zu können, ungestört von Blick und Wort der Andern, die nicht immer Schick und Ort beachten, wo es gilt, dem Muthwillen Luft zu machen oder heimlicher Bosheit. In kindlicher Unbefangenheit legte sie sich, all’ ihr Leid und all’ ihre Sorge dem Himmel dar und betete um die Wiederkehr der arglosen Heiterkeit, die noch vor kurzer Zeit ihr so eigen gewesen war, wie dem Vogel der Flug und der Gesang. Es war ihr schwer im Herzen und unruhig im Sinn; der Besuch des alten Brunnhofer und was er ihr gesagt, war doch tiefer gedrungen, als sie zeigen mochte, auch fiel es ihr schwer, daß sie nach kaum ein paar Wochen Aufenthalt wieder fort sollte aus der Heimath, in der es ihr, sie wußte selber nicht warum, so gut zu gefallen anfing, wie noch nie, dann aber konnte sie’s wieder nicht verwinden, daß sie zum Spiel und Gespött gemacht worden; sie grollte dem, der ihr das angethan und sie abermals hinaustrieb in die Fremde, und doch konnte sie auch nicht vergessen, daß es ja nur auf sie ankam, immer zu bleiben, bei ihm zu bleiben und wenn auch der Verstand ihr immer zuflüsterte, daß es nur ein leeres Wort sei, dem sie nicht glauben dürfe … im Herzen klang es doch wieder und wieder nach, wie er vor ihr gestanden und sie so aufrichtig angeschaut und gesagt hatte … „Schau, ich hab’ Dich so viel gern…“
– – – Als das Hochamt mit der dreifachen Messe zu Ende und vom Chore herab das einfache Lied der Hirten verklungen war, wogte die Menge wieder in’s Freie; trotz der Eile aber entging es Manchem nicht, daß der Hirtengesang ist den frühern Jahren anders geklungen habe, als heuer. „Sonst, sagten und fragten sie untereinander, „ist der Muckel dabei gewesen und hat zu dem Gesang und zu der Orgel auf seinem Klankenett geblasen, daß es sich angehört hat, als wär’s eine Hirtenschalmei, und daß man geglaubt hat, man stehe wirklich mit den Hirten an der Krippe! Hat doch noch nie gefehlt, es muß was Besondres dazwischen gekommen sein, daß er heut’ nicht mit geblasen hat, der Muckel!“
Beschleunigten Schrittes wanderten die Leute den Häusern zu, denn nach langer Fastenzeit winkte dort ein reichlicher Imbiß aus Fleisch bestehend, das außerdem nur zu den heiligen Zeiten auf dem Tische des Bauern erscheint. An diesem Tage aber hat jedes Haus, das es nur irgend vermag, seine Schüssel mit Braten oder Mettwurst, in den wohlhabenden wird ein lange für diesen Tag herangemästetes Schwein gestochen und in allen Formen verspeist. Auch im Wirthshause war es gedrängt voll; es gab genug des jungen ledigen Volks, das sich da zusammenfand, und auch mancher Hausvater fühlte sich bewogen einzutreten und sich mit Weib und Hausgenossen durch ein Glas wärmenden Kirschgeist oder kräftig-bittern Enzian zu stärken für die weite Heimwanderung in dem kalt anbrechenden Wintermorgen.
Der Ehren- und Eckplatz in der großen Gaststube war schon von Anfang besetzt. Da saß die Kramer-Waben im höchsten Staat, neben ihr der Vater, zwischen Beiden der Clarinetten-Muckel, und nun wußten die eintretenden Kirchgänger wohl, warum er heute zum ersten Male gefehlt bei dem Hirtengesang. Vor der Gesellschaft standen in unordentlicher Fülle Krüge und Flaschen, Gläser und Schüsseln durcheinander, und das fette Gesicht des Dicken glänzte wie die würfelartig eingeschnittene Schwarte des duftigen Schweinebratens vor ihm. Er ließ es sich weidlich schmecken und schien nichts dawider zu haben, daß seine Nachbarin zur Linken ihm geschäftig die besten und saftigsten Bissen auf den Teller legte, während der Nachbar zur Rechten ihm unermüdlich immer wieder das Glas füllte und, was leer geworden, um neuen Vorrath vertauschen ließ. Dennoch stahl sich in manchen Augenblicken, wo es unbemerkt möglich war, sein forschender Blick seitwärts, wie der eines Gefangenen, der nach einer Gelegenheit zu entwischen umherspäht; hatte er aber die Unmöglichkeit wahrgenommen, so kehrte er zu den Schüsseln zurück und machte sich darüber her mit dem Todesmuthe eines Verurtheilten, dem man zur Henkermahlzeit auftischt, was nur gut und theuer ist. Der alte Krämer, dessen Fröhlichkeit ein unwiderlegliches Zeugniß ablegte für das, was er schon geleistet, war in seinem rosenfarbensten Humor: er wollte offenbar seinen Reichthum zeigen und ergötzte sich an dem stummen Erstaunen der Bauern an den nächsten Tischen, wenn er immer nach dem Allerbesten rief, den gebrachten Wein mit Zunge und Gaumen schlürfend prüfte wie ein gewiegter Kenner, und endlich, um der Zecherei die Krone aufzusetzen, nicht ruhte, bis der Wirth im Kellerwinkel noch ein paar von der letzten Primiz oder Kirchweihe übrig gebliebene Flaschen mit blanken Blechhelmen herbeischleppte und die knallenden Stöpsel den verdutzten Zuschauern um die Köpfe flogen.
„Zeit und Weil’ ist ungleich!“ rief der Krämer und schlug auf den vollen Geldgurt um seinen Bauch, daß es klingelte. „Die Zeiten muß man ehren, damit sie Einen wieder ehren! Man macht nicht alle Tag Stuhlfest! Nicht wahr, Vettermann?“ fuhr er mit einer Art freundlicher Herablassung gegen den Wirth fort, der eben eine neue Tracht frisch abgebräunter Leberwürste auf den Tisch setzte und mit höflichem „Wohl bekomm’s“ die grüne Schlegelkappe lüftete. „Was will man machen, wenn man Kinder hat! Einmal muß man doch daran denken, daß man sich in die Ruh’ setzt und läßt die jungen Leut’ ihr Glück probiren – na, Unsereiner kann’s ja thun! Freilich, mir hätt’s nit pressirt und meiner Waben noch weniger – aber der da, mein Schwiegersohn, hat keine Ruh’ mehr gegeben und hat’s abs’lut haben wollen, daß wir heut’ schon hinein sind auf’s Landgericht und haben Richtigkeit gemacht … Hat wohl gedacht, der Silberfisch könnt’ ihm noch auskommen oder abgefangen werden! Hat mir ja das Haus schier niedergerennt … Red’ Schwiegersohn!“ schloß er und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite, „ist’s etwa nit so, wie ich sag’?“
Der Musikus hatte den Mund voll und konnte als Antwort nur einen brummenden Ton hervorbringen, der eben so gut als Nein gedeutet werden konnte, wie als Ja; er machte eine hastige Bewegung, denn es hatte ihm inwendig einen Stich gegeben, wie damals, als er auf den Stufen zur Kirchhofthüre gesessen und die Jungfern mit ihrer Ehrenführerin vorüber ziehen sah. Die Bauern aber steckten die Köpfe zusammen und zischelten und lachten; der Bräutigam sah gar nicht aus, als ob er so besonders stürmisch gewesen, und wenn sie es auch nicht laut erzählten, weil der Reichthum doch überall einen gewissen, mindestens äußerlichen Respect findet, so erzählten sie sich heimlich mit um so größerer Lustigkeit das gerade Gegentheil von dem, was der prahlende Krämer gesagt. Wußte doch fast jedes Kind, daß es der Krämer gewesen, der auf Anstiften der Tochter nicht geruht, bis er den Clarinettisten, der vor ihm hergelaufen war wie ein Hase beim Treibjagen, in’s Netz gescheucht hatte. „Die Geschichte mit der Brautschau gab den Anlaß dazu, wie es einen bessern und willkommneren nicht hätte geben können, denn das Gerede war überall verbreitet und wenn es wo gefehlt hätte, sorgte die schneidige Waben redlich dafür, daß es immer wieder frischen Anlauf und neue Nahrung fand und daß der alte Krämer, wo er sich nur befand, daheim oder im Wirthshaus, auf der Reise oder auf dem Jahrmarkt, nichts Anderes zu hören bekam, als die Geschichte vom Clarinetten-Muckel, der seine Tochter zur Braut gewählt und nun doch sitzen lassen wolle, bis ihm endlich die Galle stieg und er schwor, der Geschichte ein Ende zu machen. „Ich hab’ ihm einmal den Weg gezeigt aus meinem Hause hinaus,“ rief er, „jetzt will ich ihm den Weg hinein zeigen und wenn es mich den letzten Kronthaler kosten sollte!“
Den kostete es nun eben nicht, aber es war immerhin kein kleines Stück Arbeit, hinter dem Flüchtigen her zu sein „wie der Teufel hinter der armen Seele“. Wenn er unbemerkt in ein Wirthshaus zu schlüpfen gedachte, verging keine Viertelstunde und es trat der Krämer in die Stube; galt es, irgendwo zum Tanze aufzuspielen, so war das erste Gesicht, das er von seinem erhöhten Sitze aus erblickte, das seines Verfolgers, der ihm mit höhnischer Freundlichkeit den Krug zubrachte, damit er ihm Bescheid thun solle auf die Gesundheit seiner Braut. Wenn es dann anging, drückte er ihn in eine Ecke hinein und floß über von lockenden Versprechungen des Reichthums und behaglichen Wohlergehens oder er kramte allerlei Schreckbilder aus, um durch Einschüchterung zu erreichen, was etwa der Verführung trotzen zu wollen schien. Er fabelte ihm vor, daß er ihm einen Injurien-Proceß an den Hals werfen werde, weil er seine Tochter in der Leute Mund gebracht und sie nicht wieder zu Ehren bringen wolle – er ließ ihn merken, daß der gestrenge Herr Landrichter auf dem Punkte stehe, sich der Sache anzunehmen und ihm das Musikmachen zu verbieten, denn einem Menschen, der sich erlaube, Spaß zu treiben mit so heiligen Dingen, könne man nicht erlauben, bei den Vergnügungen ruhiger und gesitteter Landbewohner auch nur die Clarinette an den Mund zu setzen. Die Tochter ließ es ebenfalls nicht fehlen, sich zur rechten Zeit einzufinden und die Liebenswürdige zu spielen, daß er manchmal sich erst besinnen mußte, warum er sich denn so sehr sträube, sich ihr gefangen zu geben, denn die schneidige Waben verstand es, so sanft zu reden, als wäre sie gar nicht im Stande, ein böses Wort auszusprechen, und streichelte ihn wie ein schnurrendes Kätzlein, das die Krallen einzieht. Das war mehr, als der Clarinetten-Muckel zu ertragen vermochte; er fing an, blaß zu werden und vom Fleische zu fallen, und glaubte sogar zu bemerken, daß der dünne Haarkranz um seine Platte beginnen wolle, noch dünner zu werden. Die unablässige Verfolgung und Hetze raubten ihm die Ruhe und gewohnte Gemüthlichkeit und verdarben jeden Spaß – er mußte sich diesen Widersacher vom Halse schaffen, wenn er nicht zu Grunde gehen sollte, und da er ihn nicht zu besiegen vermochte, entschloß er sich, zu ihm überzugehen. Er ward allmählich unempfindlicher gegen die Sticheleien, die er von Andern zu hören bekam, daß er wohl thue, eine reiche Frau zu nehmen, die zu dem Gelde auch gleich die Geldcasse mitbringe, oder daß er nicht mehr nöthig habe, in den Wirthshäusern herumzuziehen, weil nun die Frau ihm selber zum Tanz aufspielen werde – sein Widerstand ward immer schwächer und schwächer und zuletzt hatte er eingewilligt, ohne eigentlich Ja gesagt zu haben.
An Neckereien fehlte es auch diesen Abend nicht.
In einer Ecke, dem Brauttische gegenüber, hatten sich einige Burschen bereit gesetzt und ließen sich Karten geben, zum Scheine nur, als ob sie ein Spiel machen wollten: im Ernste war der Tag zu heilig dazu. „Nun,“ riefen sie herüber und ließen die Blätter schwirrend durch die Hand gleiten, „wie ist’s, Clarinetten-Muckel? Uns fehlt der vierte Mann – willst nit ein Labet mitmachen?“
In den Augen des Gerufenen leuchtete es unwillkürlich auf, er mochte auch mit den Beinen unterm Tisch eine Bewegung gemacht haben, als verspüre er Lust, der Aufforderung nachzukommen; aber ein Puff, den ihm die Nachbarin zur Linken ebenfalls unterm Tisch versetzte, brachte ihn augenblicklich wieder zur Besinnung. Mit der andern Hand hielt sie ihm während dessen das gefüllte Glas hin, um mit ihr anzustoßen; sie lächelte ihn auf’s Freundlichste an und schalt ihn dabei leise tüchtig aus. „Untersteh’ Dich,“ sagte sie, „nur mit einem Aug’ zu Deinen alten Cameraden hinüber zu blinzeln – jetzt gehörst Du nirgends hin, als zu mir her!“
Ehe Muckl antworten konnte, rief es ihm schon wieder von anderer Seite zu. Die Kellnerin, eine runde lustige Dirne, die eben nebenan eine Ladung von Krügen absetzte, nickte mit der Vertraulichkeit einer alten Bekannten herüber. „Wirst wohl nit hochmüthig werden, Klankenetten-Muckl,“ sagte sie, „und wirst mich auch einladen zur Hochzeit? Ich mach’ Dir’s wett’ – ich mach’ auch nächstens Stuhlfest, da kannst mir dann einen neuen Landlerischen aufspielen dafür!“
Auch hier war dem Geplagten die Antwort erspart; ein Puff unterm Tisch von der andern Seite belehrte ihn, daß der Krämer ihn der Mühe überheben wolle. „Weißt was, Kathl,“ sagte er, „laß Dir die Musikanten aus der Stadt kommen, daß sie Dir zu Deiner Hochzeit aufspielen! Mein Schwiegersohn rührt kein’ Klankenett mehr an, daß Du es weißt – bei dem geht’s jetzt aus einem andern Ton, als daß er den Bauern noch was vorblasen müßt’!“
„Wie ist das?“ riefen Stimmen dagegen. „Sind wir ihm die Zeit her gut genug gewesen, daß er sein Brod verdient hat von uns? Und jetzt wär’s ihm zu gering, daß er uns Bauern was vorblasen sollt?“
„Das leiden wir nit!“ schrieen Andere. „‘Naus mit ihm! Packt’s ihn am Kragen und zieht’s ihn über’n Tisch – er soll uns was vorblasen und gleich jetzt, oder wir kehren den Stiel um und spielen auf, daß er dazu tanzen soll …“
Der glückliche Hochzeiter begann in gelinden Angstschweiß zu gerathen, denn die entrüsteten Bursche waren aufgesprungen und schrieen in gedrängtem Kreise lärmend auf die verdutzte Gesellschaft hinein – wer weiß, wozu es vielleicht noch gekommen, trotz der Heiligkeit des Abends, wäre nicht plötzlich vor dem Hause lautes ängstliches Rufen vernehmbar geworden. Es kam immer näher, es war deutlicher Hülferuf; Alles hielt inne und wandte sich der Thür zu, ein Knecht stürzte fast athemlos herein und brachte die Nachricht, es sei Jemand im See durch’s Eis gebrochen – man höre das grausliche Geschrei aus der Ferne, aber es traue sich Niemand hinein, denn das Eis sei mürb und brüchig, der See sei dort am allertiefsten und wer hineinkomme, zumal unter’s Eis, sei mit dem Andern rettungslos verloren.
Nur wenige Augenblicke und die Stube war fast geleert; Viele rannten hinab zum Seegestade, an welchem schon Einige rathlos schreiend durcheinander liefen. Es begann eben schwach zu grauen und über die beschneite Eisdecke hin war eine dunkle Stelle zu erkennen, von welcher der Hülferuf schon ermattet und in immer längeren Absätzen herüber kam. „Die Lise ist’s,“ tönte es den Kommenden entgegen, „der Stimme nach ist’s kein anderer Mensch, als die Botenlise! Sie ist Nachts im Dorf gewesen und muß auf dem Heimweg’ die ausgesteckte Bahn auf dem See verfehlt haben! So muß sie an ein Fischloch gekommen sein und ist eingebrochen!“
Ueber der unruhigen Menge, an einer etwas erhöhten Stelle, von der man den ganzen See übersah, stand unter dem weitverzweigten dunklen Gezweige eines mächtigen Buchenstammes eine dicht verhüllte weibliche Gestalt und starrte unbeweglich nach dem Orte des Unheils.
Jetzt wurden Fackeln gebracht; ihr Schein flackerte weit hinaus und beleuchtete denselben.
„Sie rührt sich auf einmal nicht mehr!“ sagte Einer, „sollte sie schon untergegangen sein …“
„Wär’ kein Wunder, wenn sie schon erstarrt wär’ in dem kalten Bad …“ rief ein Anderer, „aber das ist es nicht! Es ist schon Jemand draußen bei ihr …“
„Bei ihr draußen? Wer thät sich untersteh’n, da hinaus zu geh’n!“
„Es ist doch so – ich seh’s ganz deutlich, wie er sich niederbückt … er will sich auf den Boden niederlegen und auf dem Eis zu ihr hinrutschen …“
Der Ruf einer fernen Männerstimme ward vernehmbar.
„Hörst? … Er sagt, es soll Niemand nachgeh’n – das Eis sei zu schwach und trage die Last nicht …“
„Der kecke Mensch! Wer ist es nur?“
„Ich weiß nicht – aber ich mein’, ich wollt’s errathen, … es ist nicht leicht Einer, der so viel Schneid’ hat … es muß der Brunnhofer Vestl sein, mein’ ich!“
Die Vermuthung war vollkommen begründet. In der Unruhe seines Gemüths war er vom Hause fort und auf einem Umwege dem Dorfe zugewandert; er wollte Niemand begegnen, um ein Gespräch zu vermeiden, das ihn vielleicht nur erbittert haben würde; er wollte mit sich und seinen Gedanken allein sein, und sich durcharbeiten durch all’ die Sorgen und Hoffnungen in ihm. So war er zu spät an die Kirche gekommen, als der Gottesdienst bald zu Ende war, und konnte sich nur mit Mühe in eine Ecke hinter der Thür drücken – aber auch da litt es ihn nicht lange; als er den Blick erhob, traf er gegenüber auf eine knieende, in Gebet versunkene, ihm nur zu wohlbekannte Gestalt – eh’ sie ihn gewahr werden konnte, entrann er wieder der gefahrvollen Nähe und stürmte an den See hinab – in Nacht und Frost war es dem jagdgehärteten Burschen wohler, als in der dumpfen lichtstrahlenden Kirche; eine Wildfährte, die er im Zwielicht gewahrte, führte ihn den See entlang und gerade im rechten Augenblick zur Stelle, die ersten Hülfsrufe der Verunglückten zu vernehmen und zu ihrer Rettung bereit zu sein.
Ueber den Anwesenden lag die lautlose Stille angstvoller Erwartung.
„ … Jetzt ist er ganz nah’ dabei …“ flüsterte der Eine, „wenn sich die Frau um aller Heiligen willen nur ruhig hält, wenn er nach ihr faßt, sonst bricht der Eisrand – sie reißt ihn mit hinunter und sie sind alle Beide verloren!“
Sie schwiegen wieder; die Verhüllte droben unter der Buche drückte sich fest an den Stamm – die Hände streckte sie aus, als vermöchte sie, den Eisrand zu stützen, daß er nicht einbrach.
„Gott sei ewig Lob und Dank!“ rief es jetzt von allen Seiten, „er hat sie glücklich herausgebracht … er ist schon ein gutes Stück von dem Loche weg … jetzt ist die größte Gefahr überstanden! Herrgott, ist das eine Angst gewesen, vom bloßen Zuschau’n – ich denk’ meiner Lebtag d’ran!“
Freudig drängte Alles dem Kommenden entgegen, der das triefende erstarrte Mütterchen, einer Todten ähnlich, sichern Trittes und kräftigen Armes an das Ufer trug und dort sachte und sorgsam in den Schnee niederlegte. „Schafft ‘was her, daß man eine Tragbahre machen kann,“ sagte er ruhig, „die Alte muß gleich in’s Dorf hinein gebracht werden zum Bader, sonst bringt sie der Schrecken um und die Erkältung … sie ist so schon zwischen Leben und Sterben.“
Einige machten sich rasch daran, seine Anordnung auszuführen; Andere traten hinzu, gaben Vestl die Hand und klopften ihm auf die Schulter und rühmten ihn wegen seines Muthes und wegen seiner kaltblütigen Besonnenheit.
Die Gestalt auf der Anhöhe trat ganz vor, daß sie jeden Laut hören, jede Silbe verstehen konnte.
Sylvester wehrte das Alles ab. „Laßt mich in Ruh’ und macht nicht so viel Wesens,“ sagte er, „es ist nicht der Mühe werth, daß man davon redet! Wenn man ein bissel vorsichtig ist und sich leicht macht, ist es keine Kunst – da trägt das Eis noch mehr … Aber tummelt Euch, Leute, sonst stirbt mir die Alte unter den Händen …“
In dieser Beurtheilung des Zustandes der Geretteten aber irrte er sich doch; unerwartet begann sie sich zu regen, schlug die Augen auf und blickte irr wie fragend und suchend umher. Sie schien sich mit Schrecken zu besinnen, was mit ihr geschehen aber der Frost und das Entsetzen hatte sie der Sprache beraubt: sie vermochte nur, unverständliche Laute zu stammeln; dankstrahlend hing ihr Auge an Sylvester und sie riß seine Hand an sich, als wolle sie selbe an die Lippen drücken.
Eh’ er das zu hindern vermochte, verwandelte sich aber die Geberde des Dankes in eine Bewegung neuen Schreckens – mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in den See hinaus: ihre erregten Sinne vernahmen, was bisher in dem Drängen und Wirrsal des Ereignisses Niemand beachtet hatte.
Vom See her erscholl mattes Gewinsel.
„Was ist denn das?“ frug man. „Ist denn noch wer draußen im See? … Das ist doch keine menschliche Stimm’ …“
„Bläß’ …“ schrie die Alte plötzlich laut aufkreischend, „mein Hund, mein alter treuer Bläß’ … er liegt draußen im Wasser und kann nicht heraus … Bläß’, Bläß! O, er ist zu alt und zu matt … er geht zu Grund, wenn sich Niemand über ihn erbarmt …“
„Wie kommt denn das Vieh da hinaus?“ rief unwillig Einer von denen, die vom Ufer zugeschaut hatten. „Wird sich wohl nochmal Eins seinetwegen hinaus wagen sollen in die augenscheinliche Todesgefahr!“
„Der Hund,“ sagte Sylvester, „ist ihr wahrscheinlich nach, hat sie heraus ziehen wollen und ist drüber selber hineingefallen …“
„Ja, ja – so ist es,“ rief die jammernde Alte, welche den eignen gefährlichen Zustand ganz vergessen zu haben schien, „und dafür, daß er mich hat retten wollen, soll er zu Grund geh’n … Komm’, Bläß, komm …“ schrie sie mit Anstrengung, damit das Thier sie hören und sich selbst heraus arbeiten sollte.
Schwaches, klägliches Geheul war die Antwort.
„Er ist schon zu matt,“ sagte der Bauer wieder, „und das Eis ist zu glatt, an dem kann er sich nicht halten … macht, daß wir ins Dorf hinein kommen, sonst tragen wir Alle einen Denkzettel davon … Komm, Alte, gieb’ Dich drein, um den alten Hund ist doch kein Schad’.“
Sie wollten die Frau anfassen und weiter bringen, aber mit einer Kraft, die man ihr nicht zugetraut hätte, stieß sie Alle von sich und brach in herzzerreißendes Jammergeschrei aus … „Mein Bläß … mein treu’s Thier,“ rief sie, „ich kann ihn nit so zu Grund’ geh’n lassen – ich hätt’ keine ruhige Sterbstund’, wenn ich ihm so gedankt hätt’ für seine Treu’ und seine Anhänglichkeit … Ich bin nur ein arm’s Weib: ich hab’ nichts als ein goldens Ringel daheim, das hab’ ich mir aufgespart für die höchste Noth … ich geb’s her, wer mir den Bläß’ wieder bringt …“
Es regte sich Niemand, der Lust gehabt hätte, den Preis zu verdienen – das Heulen des Hundes klang noch einmal herüber; noch kläglicher als zuvor, es war die letzte Anstrengung vor dem Untersinken.
„So laßt’s mich selber hinaus,“ rief sie wieder und wollte sich aufraffen, „so viel Kraft werd’ ich noch haben, daß ich dem armen Hund helfen kann! Es ist das einzige Geschöpf, das mein gehört und das mich gern hat … Laßt’s mich los, Leut’, und halt’s mich nit – Ihr müßt gar nit wissen, wie das thut, das einzige Geschöpf verlieren müssen, das Ein’ gern hat …“
„Sei still, Alte,“ sagte Sylvester, dazwischen tretend, „behalt’ Dein Ringel – Du sollst Deinen Hund wieder haben …“
„Vestl …“ rief es von allen Seiten durcheinander … „Du wirst doch nicht …“ aber ehe Jemand gedacht oder vermocht hätte, ihn aufzuhalten, war er schon auf dem Eise und eilte mit sicher bemessenem Schritt der gefährlichen Stelle zu. In einiger Entfernung davon zog er die Jacke aus, ließ sich wieder platt auf das Eis nieder und schob, sich so langsam gleitend bis in die Nähe des Eislochs vor, dann warf er die Jacke davor hin, daß das Thier, sie mit den Zähnen packen und sich daran festhalten solle …
Am Gestade war es wieder still, wie im Grabe; die Verhüllte auf dem Hügel war in die Kniee gesunken, einem leblosen Bilde gleich.
„Alle Heiligen stehen ihm bei,“ flüsterte es jetzt durch die Runde, „wenn er nur kein Unglück hat, es wär’ doch jammerschad’ um den prächtigen Burschen … Jesus Maria, das Eis kracht … es bricht ein …“
Ein eigenthümlich knirschender Ton klang herüber – vom Hügel her gellte ein lauter Angstschrei …
Aber dem behenden gewandten Burschen war inzwischen das Wagstück dennoch gelungen: instinctmäßig hatte das Thier sich an der Jacke empor geholfen und rannte nun mit Freudengeheul der rufenden Herrin zu.
Sylvester warf einen Blick nach der Gegend, von woher der Schrei erklungen war; dann schritt er, die Versammlung am Ufer umgehend, die Seebahn dahin, in der Richtung der Heimath. Bald verloren sich auch die Leute vom Gestade und brachten die Alte, die von Dank und Freude überströmte, in das Dorf – die Verhüllte zögerte noch eine Weile, dann schlug auch sie den Weg gegen die Berghöhe ein.
Die beiden Wandrer gewahrten einander wohl in der herandämmernden Morgenhelle – sie schienen sich auch zu kennen und es war manchmal, als ob sie, unwillkürlich angezogen, sich näher kämen und sich zu begegnen wünschten; dann aber wirkte es wieder wie geheimnißvolle Abstoßung – sie flohen weit auseinander und schwanden endlich nach verschiedenen Seiten in Gebüsch und Wald.
Am andern Morgen, am fröhlichen Weihnachtstage schien es, als ob das ganze Thal, der Feier bewußt, sich in seinem schönsten Schmucke zu zeigen suchte. Der ganze Himmel glich einem blauen, lichtdurchflammten Krystall; eine erhabene ruhende Königin lag die Erde, in den weiten fleckenlosen Schnee-Hermelin gehüllt, und wie unschätzbares Geschmeide in ihrem Haar funkelten Reifdiamanten an jedem Aste und Reislein.
Das Gemüth des alten Brunnhofers wollte zu der allgemeinen Helle und Heiterkeit nicht stimmen; er hatte das mürrische Angesicht durch das Guckloch im Fenster der obern Stube gesteckt und hörte ziemlich verdrossen ein paar arm gekleideten Kindern zu, die dem alten Brauche gemäß vor dem Hause standen zum „Christkindl-Singen“. Sie trippelten mit den kleinen Füßen, denn es war wieder kalt geworden gegen den Tag, die Händchen hielten sie unter der Schürze und in der Tasche versteckt, die kleinen Gesichter waren frostgeröthet, aber die Stimmen klangen hell und frisch; sie waren wohlgemuth, denn sie hatten schon an einigen Häusern gesungen, und überall war die Aufnahme freundlich gewesen und die Gabe reichlich – was durften sie nicht erst an dem reichen Brunnhofe erwarten! Sie sangen das uralte Volkslied von den Hirten, die einander staunend erzählen, was sich in der heiligen Nacht Wunderbares begeben, und das da anfängt:
- „Holla, Jackel, was ist das?
- Ich mein’ schier, ich hör’ etwas –
- Was soll der G’sang bedeuten,
- ‘S ist zu fruh, zum Tag-Anläuten
Und dann wieder sprachen sie, den nahen Jahreswechsel voraus verkündend, den althergebrachten Volksgruß
- „Glückselig neues Jahr!
- Ein Christkind’l in ‘kraustem Haar,
- Auf ein’ goldenen Tisch
- Ein’ bachenen (gebacken) Fisch,
- Dazu ein Glasel Meth und Wein,
- Kann Bauer und Bäuerin lustig sein!“
„Ihr könnt mir gestohlen werden mit Eurem Glückwunsch,“ murrte der Alte. „Bei uns in der Einöd’ heroben giebts weder Bauer noch Bäurin, wo soll da das Christkind’l herkommen im ‘krausten Haar…“
Schon hatte er ein paar Pfennige in ein Papier gewickelt und wollte sie den Kindern zuwerfen, mitten in der Bewegung hielt er inne: vom Zaune her kam raschen Schrittes ein Mädchen, ein dichtes Tuch über Kopf und Schultern, in der Hand den Wanderbündel.
Es war die Köhlerin, auf der Wanderung aus der Heimath.
„Grüß’ Gott,“ rief er ihr zu, „willst nit einkehren auf dem Brunnhof? Ich mach’ mein freundlichstes Gesicht und Du hast es versprochen, wenn Du wieder vorbei kommst; und wenn der Bauer unter der Thür steht und Dich anlacht mit dem ganzen Gesicht…“
„Versprochen hab’ ich’s wohl,“ erwiderte sie stockend, „aber Du wirst mir’s wohl schenken müssen, Brunnhofer … es hat sich gar viel verändert seitdem…“
Der Bauer wollte antworten, aber er gewahrte im Augenblick, daß ein dunkles Roth die Züge des Mädchens überdeckte und daß ihr Blick auf einen andern Punkt gerichtet war, als auf ihn und sein Fenster. Eine Ahnung dämmerte ihm auf; hastig schloß er das Guckloch und eilte hinab.
Während des Gesprächs hatte Sylvester die Hausthür geöffnet und war betroffen auf der Schwelle stehen geblieben…
„Wenn ich Dir im Weg’ umgeh’ …“ sagte er mit schwankender Stimme, „sag’s nur, ich kann geh’n … aber schlag’s dem Vetter nicht ab; ich bitt’ Dich auch darum, kehr’ ein auf dem Brunnhof…“
Sie dachte zu enteilen und stand festgewurzelt; er wollte gehen und blieb doch an der Stelle, stumm sahen sie einander an; ungewiß, zweifelnd, halb unbewußt hob er die Arme – ein Zittern durchflog ihren Körper und das Wanderbündelchen glitt herab in den Schnee. Es war nicht zu sagen, wer dem Andern entgegengeeilt, aber in Mitten des Weges trafen sie zusammen und hielten einander umschlungen, fest, innig und wortlos.
„Sternsacra …“ sagte der Alte, der in die Thür getreten, und wischte sich die Augen.
„Willst jetzt einkehren auf dem Brunnhof?“ fragte Sylvester leise das zärtlich an seiner Brust emporblickende Mädchen.
„… Ja …“ flüsterte sie innig und ebenso leise.
„Und willst da bleiben?“
„Ja…“
„Bleiben – für Zeit und Ewigkeit?“
„Ja.“
„Und glaubst mir jetzt, daß ich weiß, was das heißt, Jemand gern haben von Herzens Grund? Und wie ist Dir der Glauben ‘kommen?“
„Heut’ Nacht, Vest’l,“ erwiderte sie mit leichtem Stocken, „ich hab’ Alles mit ang’sehn, drunten am See … wer das thut, einem armen alten Mutterl sein’ einzige Lebensfreud’ zu erhalten, der hat ein Herz und noch dazu ein recht gut’s…“
„Also vergeben und vergessen?“
„Alles!“
„Und wieder ist’s der See, der uns zusammen ‘bracht hat, wie das erste Mal! Jetzt ist er mir noch einmal so schön und mein’ Lieb’ zu Dir, die soll dauern, so lang noch ein Tröpfel Wasser in ihm ist…“
„Sternsacra,“ rief der Brunnhofer dazwischen und zwang sich zu lachen, um seine Rührung zu verbergen, „ich glaub’ hell-licht, sie nimmt den Buben blos deswegen, weil er einen alten Hund aus dem See ‘zogen hat…
- O Weiberleut, Weiberleut
- Seid’s nit zum Ergründen:
- Eh’ wollt’ i’ an Kreuzer
- Im Schliersee find’n!
He, Schwagerin,“ fuhr er fort und that einen gellenden Pfiff, „da komm’ die Schwagerin heraus, geb’ sie jedem von den Christkindlsängern da, die mir das Glück ang’sungen haben, einen Zwanziger und schau’ sie sich das Paar’l an und führ’ sie’s hinein in’s Haus; auf die Läng’ könnt’s doch zu kalt werden da im Freien, selber für die jungen Leut’!“
Die Frau trat herzu, nicht wenig erstaunt über die unvermuthete Wendung, doch desto mehr von ihr erfreut; mit lachendem Mund und thränenden Augen führte sie die Glücklichen in’s Haus, die selbst nicht wußten, wie ihnen geschehen war. „Gott sei Lob und Dank,“ sagte der Bauer leise zu ihr, indem sie hinter dem Paare hergingen, „nun kann ich, wenn’s in die Ewigkeit geht, dem Bruder Andrä doch sagen, daß ich Wort ghalten hab’ …“
„Redlich und ehrlich,“ erwiderte die Hauserin und schüttelte ihm die Hand, „ich mein’, er müßt’ jetzt schon vom Himmel ’runter schau’n und seine Freud’ daran haben!“ –
Zum Dreikönigstage war wirklich Hochzeit auf dem Brunnhofe und seit Menschengedenken war keine unter solchem Jubel gefeiert worden und solchem Zulauf; es hatte auch nicht leicht ein schöneres Paar gegeben, noch eines, das sich gefunden und geworben auf so seltene Art. So sehr auch der Clarinetten-Muckel unter dem Doppelpantoffel von Frau und Schwiegervater stand, hatte er es doch durchgesetzt, daß sie Alle mit zu Gaste waren beim Mahl, und ließ sich’s durch die saure Miene des Krämers nicht wehren, dem Cameraden aus der alten, lustigen, freien Zeit eine Ehre anzuthun und zum Brauttanz den versprochenen Landlerischen aufzuspielen.
Er übertraf sich selber dabei, der Ländler war einzig wie die ganze Hochzeit.
Als er vorüber war und der Bräutigam zu ihm trat, ihm dankend die Hand zu schütteln, flüsterte er ihm rasch und heimlich zu: „Du hast wohl Ursach’, daß Du mir dankst, Vestl, Du hast ein Röserl gekriegt, schön und frisch und schier gar ohne Dorn, aber das kann der beste Gärtner nit auseinander klauben, was ich für eine Blum’ erwischt hab’ …“
„Was giebt’s denn da für Heimlichkeiten auszumachen?“ fuhr die Waben, die ihren Mann keine Secunde aus den Augen ließ, dazwischen. „Darf man’s nit auch wissen?“
„O ja, warum denn nit,“ stammelte Muckel erschrocken. „Wir haben nur davon gered’t und uns darüber gefreut, daß die Brautschau so gut ausgefallen ist für ihn …“
„Für alle Zwei, will ich hoffen?“
„Versteht sich, Weiberl, versteht sich – für alle Zwei!“ erwiderte er mit süß-saurem Lächeln und folgte wieder zum Tisch, nicht ohne sehnsüchtigen Blick auf die Musikantenbühne und die geliebte Clarinette.
Diese sollte ihm aber nicht für immer entrissen bleiben; als der alte Krämer das Zeitliche gesegnet, gelang es ihm, seine Schneidige zu bereden, daß sie Haus und Hof verkauften und in den Markt zogen. Da war die Stelle des Marktthürmers oder Musikmeisters frei; Muckel erhielt sie und die Frau fügte sich darein, war er ja doch kein Musikant und Gesell mehr, sondern wohlbestallter Meister. Da hatte er nun wieder den alten lieben Trost, und wenn die Frau ihr Uebergewicht zu sehr geltend machte, wußte er, wohin er sich flüchten konnte.
Sein Ländler aber ist unvergessen; noch jetzt, nach mehr als fünfzig Jahren, darf bei keiner Hochzeit der „Brautschau-Landler“ fehlen, wenn auch Niemand den Namen des Urhebers kennt oder die Geschichte seiner Entstehung.
Einem fröhlichen Studenten, der auf fröhlicher Fußwanderung zu einer fröhlichen Bauernhochzeit kam, wurde Beides von einem uralten Bäuerlein erzählt, das mit dabei gewesen.
Auf dem Brunnhofe aber war mit Clar’l das neue Leben, das der Alte erwartet hatte, wirklich eingezogen; die junge Bäurin behielt ihr heiter lachendes Angesicht und es vergingen Wochen, in denen der verjüngte Alle sein Poltern ganz vergessen zu haben schien: Jetzt hausen längst deren Enkelkinder auf dem Gute, aber der Wohlstand und der Frohsinn sind dort daheim und bezeugen, daß sie gut eingeschlagen, die sonderbare Brautschau!