Beschreibung des Oberamts Heidenheim/Kapitel B 8

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8. Gemeinde Gerstetten.
Diese begreift 1) den Marktflecken Gerstetten mit dem Mäderhaus, und 2) den Weiler Heuchstetten, zusammen mit 1745 Einwohnern auf zwei Markungen von 10.046 M. Flächengehalt, [1] | Dieser Bezirk gehört ganz der rauhen Alp an und ist der höchst gelegene des Oberamtes. Südwärts senkt er sich gegen Bräunisheim (Oberamt Geislingen) und Altheim (Oberamt Ulm) ab, von welchen Gemeinden er durch das Sacken- und Gassenthal [2] geschieden ist; nördlich begränzt ihn das (Zwerch-) Stubenthal, das bei Heuchstetten seinen Anfang nimmt. Das ganze Gelände ist rauh und wasserlos, und die zahlreichen Mulden und Thälchen, die es durchziehen, sind Trockenthäler. Ausgedehnte Waldungen (36811/2 M., darunter 159 M. Nadelwald) bedecken die Nord- und Ostseite. Die Äcker (5601 M., darunter 2127 M. Wechselfelder und 106 M. unkultivirt wegen schlechten Bodens) liegen theils, und zwar zur größeren Hälfte, eben, theils an sanften Abhängen. Dinkel und Haber sind bei weitem die vorherrschenden Getraidearten, und zwar von guter doch nicht ausgezeichneter Qualität. Der Durchschnittsertrag an Dinkel kann auf 6-7 Sch. p. M.[3] höchstens angenommen werden. Die Brache wird ungefähr zu 1/3 und größtentheils mit Kartoffeln und dreiblätterigem Klee angebaut. Der Flachs mißräth sehr häufig, daher ist sein Anbau nicht von Belang. Mehr ist der Bau von Sommerreps im Zunehmen. Der niedrigste Preis eines Morgens Ackers ist 1 fl., der mittlere 50 fl., der höchste 200 fl. Der Wiesenbau ist beschränkt (177 M.), der Ertrag nicht sehr ergiebig (15-18 Centr. Heu und Öhmd p. M.), doch die Qualität des Futters sehr gut. Durch Verbesserung sind die Wiesen in neueren Zeiten mit wenigen Ausnahmen zweimädig gemacht worden. Der Preis eines Morgens ist 100-200 fl. Ausgezeichnet ist der Stand der Waldungen des Staats (16941/2 M.), mittelmäßig der der Gemeinde- und Privatwaldungen. In letztern wird neuerlich besonders auf Anpflanzung von Nadelholz gesehen. Waldwaide findet nicht statt. – Die Pferdezucht zu verbessern sind mehrere Landwirthe eifrig bedacht; bis jetzt wird sie noch von den benachbarten Gemeinden der Ulmer Alp übertroffen. Der Zustand der Rindviehzucht ist befriedigend und wird immer mehr zu heben gesucht, worin einige Bürger mit aufmunterndem Beispiel vorangehen. Stallfütterung ist allgemein, nur theilweise besteht noch Herbstweide. Die Schafzucht ist durch eine sehr gute Weide begünstigt, welche mit einheimischen Schafen beschlagen wird und 900-1000 fl. Pacht abwirft. Die Anzahl der spanischen Schafe ist nicht unbedeutend, übrigens dieser Zweig der Viehzucht mehr | im Abnehmen als Zunehmen begriffen. – Die Gewerbe betreffend, so wird Weberei sehr lebhaft, und zwar auf 116 Stühlen betrieben, von welchen 56 auf eigene Rechnung arbeiten. Das Produkt, glatte Leinwand von mittelfeiner und feiner Qualität, wird auswärts, namentlich nach Bayern und Baden, verkauft. Die Lohnweber sind größtentheils mit Baumwollenweberei für Heidenheimer Fabriken beschäftigt. Sonst beschränkt sich der Gewerbebetrieb auf den gewöhnlichen örtlichen Bedarf. Schildwirthschaften sind drei, Bierbrauereien ebenfalls drei, Ziegelei eine vorhanden. Eine Ölmühle, die durch Pferde getrieben wird, hat ziemlich viel Beschäftigung. [4] Als Nebenerwerb ist das fleißige Sammeln von Erd- und Himbeeren zu erwähnen, welche von mehreren ärmeren Familien zum Verkauf nach Ulm gebracht werden. Im Ganzen ist der Wohlstand der Einwohner nur mittelmäßig zu nennen. Einzelne Bürger haben ansehnliche Bauerngüter, allein ihre Anzahl vermindert sich, da das Vertheilen der Güter immer mehr überhand nimmt. Thätigkeit und Sparsamkeit sind hervorstechende Eigenschaften der Bewohner. [5] Der Menschenschlag ist gesund und kräftig. Ein seit einiger Zeit bestehender Liederkranz wirkt vortheilhaft auf die Bildung der Jugend. Das Gemeindevermögen von Gerstetten (Heuchstetten hat eine eigene Vermögensverwaltung) ist ansehnlich und macht Umlagen entbehrlich; es hat liegende Güter im Werth von 272.435 fl. Schafweide, Pförchgerechtigkeit und Hellerzinse im capitalisirten Betrag von 28.382 fl. 40 kr., zusammen 300.817 fl. 40 kr. Davon gehen 3400 fl. Schulden. Die bürgerlichen Nutzungen bestehen in 1/2 M. Gemeindereute, und in 1/2 M. Krautland für jeden Bürger, und für ungefähr 80 Bürger je in einem Klafter Holz sammt Reißig; für die übrigen besteht diese Reichung je in der Hälfte. [6] – Den Großzehnten bezieht der Staat, welcher in Folge der Besoldungsverwandlung der Pfarrei auch den Kleinen- und Heuzehnten übernommen und von 1843/60 um jährl. 854 fl. an die Gemeinde verpachtet hat. Die Gülten von den Hof- und Lehengütern (Erblehen) bezieht zum Theil der Staat, zum Theil das Hospital Geislingen und die | Stiftungspflege Gerstetten. Die Frohnen und Lasten, welche auf der Gemeinde ruhten, hat diese abgelöst, und zwar die Oster- und Herbststeuer, jährlich 38 fl. 51 kr. Holzfuhrlohn für den Burgvogt auf Hellenstein, jährlich 8 fl. 17 kr. Jagdfrohndienst, zusammen jährlich 15 fl. 41 kr. Weiter wurden abgelöst, Hundsthaler jährlich 30 kr., Gebäudeabgaben 3 fl. 4 kr. Aufgehoben aus dem Hirtenstab 7 fl. 5 kr. Gewerbeconcessionsgelder 14 fl. 13 kr. Heuchstetten hat abgelöst Oster- und Herbststeuer 2 fl. 51 kr. 3 Hlr. Jagdfrohnen 2 fl. 19 kr. 4 Hlr. 1) Gerstetten, evangelisches Pfarrdorf mit Marktgerechtigkeit, 31/2 geom. St. südwestlich von Heidenheim entfernt, ist Sitz eines Amts-Notariats und eines praktischen Arztes, und zählt 1602 Einw. Der Ort zieht sich in einer Ausdehnung von beinahe 3/8 Stunden den sogenannten Ziegelberg, einen der höchsten Rücken der ganzen Umgegend hinan. Ein Drittheil der Häuser liegt auf der nach allen Seiten freien Höhe selbst, und hat die höchste Lage unter allen größeren Ortschaften des Oberamts; ein Drittheil liegt am nordwestlichen sanften Abhange, das dritte, oder das sogenannte Unterdorf, in der Niederung. Die scharfe, oft von den heftigsten Stürmen bewegte Luft, und der schnelle Wechsel der Temperatur sind besonders für den Nichteinheimischen leicht nachtheilig. Wohngebäude finden sich 241. Die lange Hauptgasse hat ein ziemlich gutes und reinliches Aussehen. Mehrere neuere Häuser ausgenommen hat der Ort die gewöhnliche, an sich nicht unzweckmäßige Bauart der Alporte, niedrige Häuser mit Strohdächern, der Winde wegen nah an einander gereiht, und breite Gassen. Was diesem Flecken ein besonderes Ansehen giebt, sind seine zwei Kirchen, in welchen alle Gottesdienste alterniren. Die eine, die alte Pfarrkirche, steht am untern Ende des Orts. Die Zeit ihrer Erbauung ist unbekannt, eine bedeutende Erweiterung erfuhr sie um’s Jahr 1585. Sie ist feucht, kalt und ziemlich unfreundlich. Der Thurm hat 1842 ein gutes Aussehen und eine mit Blech bedeckte, schöne Kuppel erhalten. Baulast und Cultkosten trägt die Heiligenpflege. Ein Begräbnißplatz, der die Kirche umgiebt, wird nicht gebraucht. Bei weitem vortheilhafter nimmt sich die obere Kirche aus, die 1774 auf Betrieb des damaligen Pfarrers Wieland an der Stelle einer kleinen Kirche zu St. Michael auf Gemeindekosten erbaut wurde. Sie ist sehr hell und heiter, einfach, aber geschmackvoll decorirt, und nimmt unter den hübschesten evangelischen Kirchen des Landes eine der ersten Stellen ein. An ihrer Ostseite erhebt sich ein 1786 in gefälligem Styl erbauter hoher Kuppelthurm, von welchem, da er auf dem höchsten Punkt des Ortes steht, eine weite Aussicht nach allen Seiten, südlich bis an die Hochalpen sich ausbreitet. Die | Die Kirche wurde dem Heiligen als Eigenthum überlassen, der jetzt die Baulast und Cultkosten trägt. Im Ganzen hat die Stiftungspflege 12.000 fl. an Capitalien und 3000 fl. Gülten im Capitalwerth. Darunter sind einige Armenstiftungen begriffen, von welchen zeitweise Brodaustheilungen an die Armen bestritten und ärmere Schulkinder mit Büchern versehen werden. Das im J. 1712 neu und solid gebaute, 1823-25 theilweise erneuerte Pfarrhaus steht bei der obern Kirche und ist mit seinen Nebengebäuden Staatseigenthum. Ebenfalls in der Nähe dieser Kirche ist 1840 ein neuer Begräbnißplatz angelegt worden. In der Mitte des Dorfes baute die Gemeinde 1824 ein ansehnliches Schulhaus, das zugleich zum Rathhaus dient. Die Schule hat drei Klassen und besteht nur für Gerstetten selbst. Schulstiftungen sind nicht vorhanden.

Ein großer, besonders 1842 recht fühlbar gewordener Übelstand ist für den bevölkerten Ort sein Mangel an Brunnquellen. Zwar wurden 1825 im sogenannten „Egelsee“ 1/8 St. vom Ort zwei neue Brunnen gegraben, aber auch diese vermögen nicht, die Einwohner vor großer Noth zu bewahren, da sie in jedem trockenen Sommer versiegen, wo dann das Wasser 2-3 Stunden weit geholt werden muß (s. oben Dettingen).

Markt hält Gerstetten des Jahres einmal, und zwar den ersten Tag Krämer-, den folgenden Tag Viehmarkt. Eine Staatsstraße führt nicht durch den Ort. Von Vicinalwegen ist der erheblichste der nach dem Stubenthal und Heidenheim. In älteren Zeiten führte ein Postweg über hier von Giengen nach Schalkstetten und Geislingen, und hier soll sich eine Zeitlang eine Post befunden haben. Auch war ehemals in Gerstetten namhafter Salzhandel und eine Salzniederlage.

Dieser Marktflecken erscheint zuerst im J. 1152 in der Bulle Papst Eugens II. unter den Orten, wo Kl. Neresheim Güter besaß, welche Graf Adelbert von Dillingen zu schirmen hatte; in der päpstlichen Kanzlei ist er in der hierauf bezüglichen Urkunde Gebestettin geschrieben worden (Wahre Gestalt der Vogtei von Neresheim S. 461, v. Raiser, Lauingen 45). Im J. 1262 kommt vor ein Ulricus decanus de Gerstetten, Siegler der Urkunde des Kl. Lorch für Albertus minister de Gerstetten (Urk. im königl. St.-A.). Gerstetten theilte in Beziehung auf die Landeshoheit, unter welcher es stund, die Schicksale der Herrschaft Hellenstein. Einmal, im J. 1381, war der Ort nebst dem Kirchensatz und Vogtrecht daselbst durch die Gräfin Anna von Helfenstein, geb. Gräfin von Öttingen, an Albrecht von Rechberg versetzt gewesen (Urk. im rechberg. Archiv). Nach den Lagerbüchern des 15. und 16. Jahrh. hat Gerstetten Marktrecht, wie die von Gmünd und „wer zieht gen Gerstetten, der ist und | heißt der Herrschaft Burger und hat Burgerrecht. Daselbst gibt kein Mensch der Herrschaft Heidenheim weder Leibsteuer, Leibhennen, Hauptrecht, Todtfäll noch Brautläuf. Die Herrschaft hat hier ein Halsgericht und bezieht Umgeld, Steuer und Frevel.“ Der Pfarrsatz wechselte laut Urk. von 1404 zwischen dem Kl. Elchingen und den Grafen von Helfenstein (zuletzt den Herzogen von Württemberg). Um die Kirche machte sich die oben genannte Gräfin Anna von Helfenstein verdient, indem sie mit Gutheißen des Abtes von Elchingen und Ulrichs von Ringingen, Kirchherrn zu Gerstetten, eine Pfründe zum h. Nicolaus stiftete (Urk. vom 20. Aug. 1396). Der Großzehnte in Gerstetten war zwischen dem Pfarrherrn des Ortes und Kloster Elchingen getheilt. Im Jahr 1567 verkaufte der Abt und Convent dieses Klosters ihre 4/9 des Zehnten zu Gerstetten nebst Sölden und Gütern zu Hermaringen, Fleinheim und einer Söld in Gerstetten um 4826 fl. 45 kr. an Herzog Christoph von Württemberg (Staatsarchiv). – Im 30jährigen Kriege litt der Ort ungemein durch die verheerendsten Einquartirungen und Durchzüge, im J. 1635 brannte er ganz ab; wie dies Alles umständlich in der von dem ehemaligen Pfarrer Schlayß in den Jahren 1622-35 sorgfältig geführten Pfarrchronik angemerkt ist. Als er allmählig aus der Asche sich wieder erhob, wurde er mehrere Jahre, bis 1657, von Heldenfingen aus pastorirt.

Zum Gericht und Stab von Gerstetten gehörte ein Weiler Maidstetten, welcher im J. 1556 noch vorkommt, aber jetzt ganz verschwunden ist. Ein noch früher eingegangener Weiler war Emmenstetten, dessen noch so genannte Felder auf diesseitiger Markung östlich vom Orte liegen (s. Kerler, Gesch. d. Gr. v. Helfenst. S. VII). Ebenso sind Erpfenhausen (3/4 St. nordöstl.), Negelstetten (jetzt Walddistrikt, 1 St. nordöstl.) und Steinhaus (Walddistrikt, 1/4 St. östlich von Heutenburg) nur noch in lagerbüchlichen Benennungen vorhanden. Wallbach, Berlingen und Lehrenberg, west-nordwestlich von Gerstetten, sind ebenfalls längst eingegangene bedeutende Höfe, deren Güter gegenwärtig zwar im Besitz von Gussenstadter Bürgern, jedoch zur Markung Gerstetten gehörig und hierher zehent- und steuerpflichtig sind.

2) Heuchstetten, Weiler, mit 143 evangelischen Einwohnern, Filialisten von Gerstetten, 1/2 St. nordwestlich von da, mit eigenem Gemeindevermögen, dessen wichtigsten Bestandteil 170 M. Waldungen und 54 M. Wechselfelder ausmachen. Eine eigene Schule, ein niedliches Häuschen mit einem kleinen Uhrthurm, hat diese Parzellargemeinde 1842 auf ihre Kosten mit Staatsunterstützung gebaut. Bis zum J. 1823 waren 4 Familien nach Gussenstadt eingepfarrt, wohin noch jetzt ein Theil des kleinen Zehntens gereicht wird. Das | Übrige gehört der Pfarrei Gerstetten, der Großzehnten dem Staat. Die bürgerlichen Beneficien sind dieselben wie in Gerstetten. Das Örtchen liegt vertieft am Anfang des Zwerch-Stubenthals.

3) Mäderhaus, einzelnes Haus mit 5 Einwohnern, Filialisten von Gerstetten, so genannt von den Holzmädern, von welchen es umgeben ist.



  1. Darunter ist auch der im Umfang der hiesigen Markung liegende Hof Heutenburg begriffen, wiewohl dessen Gemeindeverband mit Gussenstadt noch immer fortbesteht.
  2. Nicht Glasthal, wie auf dem topogr. Atlas-Blatt Nr. XX geschrieben ist.
  3. Nach den Notizen des Ortsvorstandes auf 7-8 Scheffel.
  4. Am westlichen Ende des Dorfes hatte der verstorbene Amtmann Lang eine Windmühle errichtet, die jedoch an mangelhafter Construktion und durch die auf dieser Alphöhe herrschenden heftigen Stürme litt, und 1822 wieder aufgegeben wurde.
  5. Gerstetten ist übrigens mit Sachsenhausen die Gemeinde des OA., wo uneheliche Geburten am häufigsten sind; 27 : 100.
  6. Über letzteres Verhältniß ist zur Zeit ein Rechtsstreit anhängig, der in zwei Instanzen dahin entschieden wurde, daß allen Activbürgern gleicher Anspruch auf die Holznutzung zustehe.
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