Beschreibung des Oberamts Maulbronn/Kapitel B 15
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Die an der Stelle eines Holzkirchleins 1721 erbaute Kirche liegt frei mitten im Dorf, rechts an der Straße nach Wiernsheim, umschattet von drei sehr schönen, alten hochwipfligen Linden; sie ist ein ganz einfaches Gebäude mit geradlinigen Fenstern, zweistockigem Thurm im Osten, und halbsechseckig schließender Westwand. Das Innere macht einen recht hübschen freundlichen Eindruck. Unter der im Westen angebrachten Kanzel befindet sich die Grabplatte des als Führer der Waldenser im Juli 1699 mitgekommenen Pfarrers Jean Giraud, mit folgender Inschrift: Subter hanc petram venerandi domini Johannis Giraud, pastoris confessiorisque dum in vivis erat vigilantissimi corpus jacet, qui quidem per quinquagenta quinque annos munere pastorali functus est primo apud Helvetiorum reformatorum copias, secundo in Pedemontii vallibus, tandem in ducatu Wirtembergensi, qui et jam per IV. annos in Mommeliani horribili carcere propter in Christo Jesu fidem retentus fuit, anno aetatis octoginta quinque obiit 9. Mai anno Christi 1724. An der Kanzeltreppe liegt ein Stein mit der Inschrift: Scipion Arnaud obiit 6. Jan. 1729. Auf dem mit einem achtseitigen Zeltdache bekrönten Thurme hängen zwei Glocken, gegossen von Heinrich Kurtz in Stuttgart 1861 und 1858. Die Unterhaltung der Kirche steht der Gemeinde zu. Der von schönen Bäumen beschattete, ummauerte Friedhof liegt westlich bei der Kirche; an seinem Thorbogen steht 1781.
Das hübsche zweistockige Pfarrhaus, auch in der Nähe der Kirche, ward 1858 erbaut und ist zu 2/3 von Pinache, zu 1/3 von Serres zu unterhalten. Das Schul- und Rathhaus, errichtet 1812, enthält neben den Gelassen für den Gemeinderath ein Lehrzimmer und die Wohnung des Schulmeisters.
Gutes Trinkwasser liefern 7 Pump- und 2 Schöpfbrunnen. Der beste Brunnen, 80′ tief, liegt dem Pfarrhaus gegenüber. In trockenen Jahren tritt zuweilen Wassermangel ein; das Wasser muß dann aus Wiernsheim geholt werden. Auf der Markung ist nur eine Quelle vorhanden, der sog. Hungerbronnen im Wiesenthal Rivoire, der zeitweise stark fließt. Um das Dorf her liegen 5 kleinere Weiher, die den Wasserbedarf für das Vieh liefern.
Die Vicinalstraßen von Dürrmenz nach Wiernsheim und von Groß-Glattbach nach Öschelbronn kreuzen sich im Ort.
Die Einwohner, Nachkommen der im Jahr 1699 eingewanderten Waldenser, sind meist schwarzhaarig, von bräunlicher Gesichtsfarbe, etwas weniger kräftig als die ursprünglichen Bewohner der Umgegend, | aber ebenso ausdauernd und gewandter als jene und können sowohl in ihrem Äußern als im Charakter ihre romanische Abstammung nicht verläugnen; auch sind die Tugenden ihrer Voreltern, (Gottesfurcht, Aufopferungsfähigkeit, Fleiß und Ordnungsliebe) in vielen Familien noch zu treffen. Die Erwerbsquellen bestehen hauptsächlich in Feldbau und Viehzucht, dann in etwas Kleingewerben und bei einem Theil der Ärmeren in Fabrikarbeit. Leineweberei und Linnenspinnerei wird sowohl zum eigenen Bedarf als auch zum Verkauf betrieben. Eine mit Erfolg betriebene Ziegelei liefert gute Ziegel und vortrefflichen Kalk, wozu die Steine aus den hiesigen Kalksteinbrüchen bezogen werden. Zwei Schildwirthschaften, eine Speisewirthschaft, und zwei Kramläden bestehen. Die Einwohner haben wenig Vermögen, doch finden sie alle ihr Auskommen. Der begütertste Bürger besitzt 40, der Mittelmann 12, die ärmere Klasse 2–3 Morgen Feld; gegenwärtig bedarf Niemand einer Unterstützung von Seiten der Gemeinde.Die sehr kleine, ziemlich ebene Markung hat im allgemeinen einen fruchtbaren Boden, der vorherrschend aus Lehm besteht, theilweise ist er mit Thon vermischt, naßkalt und weniger fruchtbar; an einzelnen Stellen treten die Zersetzungen des Muschelkalks auf und liefern einen leichten kalkhaltigen Boden.
Das Klima ist ziemlich mild und gestattet noch einen namhaften Obstbau, der jedoch in neuerer Zeit, vermuthlich wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse, namentlich trockener Sommer, etwas zurückgegangen ist. Frühlingsfröste und kalte Nebel sind nicht häufig, dagegen ist die Gegend den rauhen Winden sehr ausgesetzt und Hagelschlag kommt häufig vor.
Die Landwirthschaft wird so gut als es die Verhältnisse erlauben betrieben, indessen läßt der beschränkte Futterbau eine ausgedehntere Viehzucht nicht zu, daher der nöthige Dünger, namentlich auch wegen Mangels an Streu, nicht erzeugt wird. Verbesserte Ackergeräthe, wie der Suppingerpflug, die Walze, die Repssämaschine, der Felg- und Häufelpflug haben längst Eingang gefunden. Von den gewöhnlichen Cerealien baut man vorzugsweise Dinkel, Haber und Gerste, ferner kommen zum Anbau, Kartoffeln, viel Futterkräuter (dreiblättriger Klee, Luzerne, Esparsette, Grünwicken), Angersen, Erbsen, Linsen, Hanf, Reps und Mohn; die beiden letzteren werden, jedoch in geringer Ausdehnung, auch nach außen abgesetzt. Von den übrigen Felderzeugnissen kommen etwa 200 Scheffel Dinkel, 300 Scheffel Haber, 15 Scheffel Gerste und 200 Scheffel Kartoffeln meist nach Baden zum Verkauf.
Der beschränkte Wiesenbau, dem keine Wässerung zukommt, liefert ein gutes Futter.
| Die Obstzucht beschäftigt sich hauptsächlich mit Mostsorten (Luiken, Fleinern, Goldparmänen, Welschäpfeln, Weinäpfeln, Knaus-, Brat- und Wadelbirnen). In günstigen Jahrgängen können gegen 2500 Simri Obst nach außen verkauft werden.An Waldungen besitzt die Gemeinde nur 12 Morgen, deren Ertrag blos für Schule und Rathhaus verwendet wird.
Die Brach- und Stoppelweide verpachtet die Gemeinde an einen Ortsschäfer um 150 fl. und die Pferchnutzung trägt ihr etwa 250 fl. jährlich ein. Überdieß hat die Gemeinde eigene Güterstücke, die ihr jährlich 210 fl. Pachtgeld eintragen.
Was die Viehzucht betrifft, so ist die der Pferde (Landschlag) gering, und die des Rindviehs wegen Mangels an Futter nicht sehr ausgedehnt, jedoch wird viel Sorgfalt auf dieselbe verwendet; man züchtet eine Kreuzung von Neckarschlag und Simmenthalerrace und hat 2 Farren (einen Simmenthaler und einen vom Neckarschlag) aufgestellt. Mit Vieh wird einiger Handel nach Baden getrieben.
Im Herbst und Winter laufen 200–250 Bastardschafe auf der Markung.
Die Stiftungspflege besitzt ein Vermögen von 740 fl.
Eine römische Straße von Vaihingen nach Pforzheim führt unter dem Namen „alter Postweg“ am nördlichen Ende des Orts vorüber. Die sog. Ulmerschanze, die von Dürrmenz herauf in der Nähe der Straße hinzieht, läuft an der Westseite des Orts vorbei und weiter nach Wiernsheim. Dann geht hier die Sage vom wilden Jäger, der von Iptingen gegen die Schanze hin gehört wird.
Die Waldenserkolonien Pinache und Serres wurden im Frühjahr 1699 gegründet (s. Groß-Villars) von der aus 117 Familien bestehenden Gemeinde Pinache (Ort am Cluson), wahrscheinlich unter Anschluß eines Theils der Gemeinden Lucerne und Queyras. Sie erhielten 200 Morgen von der Dürrmenzer Markung, 1300 von der Wiernsheimer, 50 von der Öschelbronner, 2–300 von der Großglattbacher, Iptinger und Mönsheimer. Der Vogt Greber bestellte einen von der Gemeinde gewählten Syndic nebst 6 Conseillers, einem Secretair und einem Sergeant, und konnte ihren Fleiß und ihr Geschick in Bebauung der Felder rühmen. Der erste Pfarrer der Gemeinde war Jean Giraud, frührer zugleich Kriegshauptmann (s. o.), sein Nachfolger seit 1724 Scipion Arnaud, wohl ein Sohn Heinrich Arnauds. Bis 1808 wurde nur französisch, dann bis 1812 abwechselnd französisch und deutsch, seitdem ausschließlich deutsch gepredigt. Ebenso wurde es mit der Schule gehalten.
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