Beschreibung des Oberamts Nürtingen/Kapitel B 23

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23. Ober-Ensingen,

evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde III. Cl. mit 829 Einwohnern (darunter 1 katholischer), 1/2 Stunde nordöstlich von Nürtingen an der Aich und an der Straße von Nürtingen nach Stuttgart und Eßlingen, Sitz eines Revierförsters. Ober-Ensingen hat eine ziemlich milde, aber durch die Überschwemmungen der Aich sehr gefährdete Lage. Die Felder, deren verhältnißmäßig wenige sind, liegen zerstreut und zum Theil sehr uneben; der Boden ist bisweilen leicht und sandig, meistens aber schwer mit vorschlagendem Lehm. Brodfrüchte werden nicht zureichend erzeugt; von sonstigen Boden-Erträgnissen sind Gespinnstpflanzen, besonders Hanf, und neuerlich auch Rauhkarden zu nennen. Der Wieswachs ist vergleichungsweise wichtiger und von besonderer Güte. Ackerpreise 200–600 fl. Wiesenpreise 300–500 fl. Der Weinbau hat hier eine Dauer von kaum 100 Jahren erreicht und nie eine namhafte Ausdehnung gewonnen. Durch den Abraum und Schutt, der aus den Steinbrüchen seit Jahrhunderten weggeschafft und aufgethürmt wurde, waren nach und nach die (schon auf der Karte sichtbaren) Grubberge entstanden, die man um 1750 anfing mit Reben zu bepflanzen. Da aber die Erfolge selten günstig waren, so zog man es neuerlich vor, die Weinberge mit ganz unbedeutenden Ausnahmen zum Kleebau und zur Obstzucht zu benützen. Letztere erweitert und verbessert sich sehr. Pferde werden etwas mehr als in den meisten Nachbarorten gehalten und zur Feldarbeit verwendet. Der Rindviehstand ist nach Haltung und Zucht dem mittelmäßigen beizuzählen. Die Schafzucht war früher weit beträchtlicher als jetzt; sie erträgt 175 fl. Pacht in die Communkasse. Geflügel wird viel gehalten.

Historische Erwähnung verdient der hiesige Seidenbau (s. o. S. 81). Wichtig waren schon in älteren Zeiten und sind noch immer die berühmten hiesigen Werk- und Mühl-Steinbrüche (s. S. 54). Gegenwärtig sind deren fünf im Bau. Es bricht weiter oben an den Thalwandungen ein feiner Sandstein, der zu Quadern dient, auch bisweilen zu Wetzsteinen verarbeitet wird. Der tiefer liegende | rauhe und sich sehr verhärtende Sandstein gibt vortreffliche Mühlsteine, die in großer Menge gebrochen, hier behauen und nach verschiedenen Gegenden, besonders aber nach Oberschwaben, Bayern, in die Schweiz und ins Österreichische ausgeführt werden. Man rechnet, daß jährlich, wenn die Witterung das Geschäft begünstigt, gegen 200 Stück Mühlsteine gebrochen und 1000–1500 Wagen Bausteine, Marksteine, Tröge etc. verkauft werden können. Einer der besten dieser Steinbrüche liegt übrigens schon auf der Markung Hardt und ist Staatseigenthum, aber an Ober-Ensinger Privaten verpachtet. Gute Hafnererde findet sich in der Nähe der Steingruben, auch Streusand kommt zum auswärtigen Verkauf.

Der Ort zählt neben einigen Wohlhabenden viele Arme, die bei dem Mangel an Grundbesitz an den Arbeitsverdienst in der nahen Stadt und Taglohnen in den Steinbrüchen gewiesen sind. Denn seit Rösler schrieb (Beiträge etc. III., 140): „Äcker und Wiesen sind für die Inwohnerschaft hinlänglich,“ haben sich die Verhältnisse sehr geändert; während 1786 der Ort 374 Seelen zählte, leben jetzt deren 829 hier. Die Weber, dann die Maurer und Steinhauer machen das zahlreichste Gewerbe aus. Es sind hier 3 Schildwirthe, eine sehr frequente Mahlmühle, eine Hanfreibe, eine neu angelegte Säg- und Öl-, eine neu eingerichtete Öl- und Gyps-Mühle und ein Gemeinde-Backhaus. Die Gemeinde hat einigen Grundbesitz, namentlich einen Laubwald in gutem Stand. Sämmtliche Zehnten bezieht der Staat. Zehntfrei und bloß staatsteuerpfichtig sind 533/4 Morgen Äcker, Wiesen und Länder, zum (innern) Schloßgut gehörig. Das Fischrecht in der Aich gehört Privaten.

Den hiesigen Armen machte die verwittwete Hofmarschallin Caroline Freifrau Waldner von Freundstein-Coligny, geb. Freiin von Vietinghof, welche eine Reihe von Jahren im hiesigen Schlößchen wohnte († 1845 in Homburg auf der Höhe), eine Stiftung von 1200 fl. (W. Jahrbücher 1846, Heft I. S. 83.)

Das Dorf ist in der Ausmündung des Aichthales eben gelegen und nur auf der Nordseite an die jähen Grubberge und an die steilen, mit Obstbäumen bewaldeten Höhen angelehnt, etwas weitläufig gebaut und von Nürtingen her freundlich sich ankündigend. Die Pfarrkirche, zugleich Mutterkirche von Hardt und Zitzishausen, ein altes, kleines, unansehnliches Gebäude, hat 1727 eine Hauptreparatur erfahren. Die Baulast trägt observanzmäßig, da der Heilige unvermöglich ist, der letztere nur zu 1/3, zu 1/3 die Gemeinde und zu 1/3 die Gemeinden Hardt und Zitzishausen. Bis 1723 war die Parochie ein Filial des Diakons in Nürtingen. | (Binder 732, Günzler, Nürtinger Spital, S. 65). Der Hospital dotirte in dem genannten Jahr eine eigene Pfarrstelle und richtete eine Pfarrwohnung ein, wie derselbe noch jetzt Eigenthümer des Pfarrhauses ist. Das Patronat aber ist 1811 an den Landesherrn übergegangen. Der Begräbnißplatz umgibt die Kirche. Das Rathhaus ist alt, das Schulhaus aber neu und schön gelegen. In der Schule, an welcher ein Lehrer und ein Gehülfe unterrichten, sind bis jetzt noch die Kinder von Hardt gewiesen. Eine steinerne Brücke führt über die Aich.

Ober-Ensingen hatte zwei Schlößchen, das sogenannte äußere, gegen Nürtingen und das innere. Jenes war früher in den Händen verschiedener adeliger Besitzer (im 17ten Jahrhundert der Herren von Gaisberg), wurde aber vor ungefähr 30 Jahren in ein angenehm gelegenes Privatwohnhaus mit Garten umgeschaffen. Das innere Schlößchen steht am nordöstlichen Ende des Ortes in einem ziemlich großen Garten mit einer schönen Aussicht gegen Nürtingen. Es gehörte den Herren von Neuhausen, und wurde 1640 an Michael von Grün, Obervogt in Kirchheim, verkauft, von welchem es in verschiedene andere Hände kam. Längere Zeit war es Privatgut des Herzogs Karl. Bis unlängst war es im Besitz den nun verstorbenen Freiherrn Heyer von Rosenfeld. 1558 hatte es laut einer im Schloß befindlichen Inschrift Wilhelm von Neuhausen wieder aufbauen lassen.

Ganz untergegangen aber ist die alte Burg, die ihre Stelle auf der Nordseite über dem Orte hatte, wo noch jetzt die Burggärten daran erinnern. Östlich daneben stand eine Capelle.

Über diese nördlich vom Dorf gelegene Höhe zog sich die Römerstraße nach Köngen, weiterhin gegen Unter-Ensingen unter dem Namen „der grasige Weg“ verfolgbar. In den Steinbrüchen, wo er vorüberführt, fand man Münzen, Thongefäße und Holzkohlen in Grabkammern, auch angeblich einen Mammuthsknochen. (Mittheilung des Herrn Hofdomänenrath v. Gok.)

Ob Adalbertus de Ensingen, welcher mit seiner Gemahlin Adelheid um 1160 für eine lebenslängliche Präbende Kloster Hirschau mit 52 Mark Silbers beschenkt (Cod. Hirsaug. S. 93, ed. Stuttg.), nach Ober-, Unter-Ensingen oder nach Ensingen, OA. Vaihingen gehöre, bleibt zweifelhaft.

Im Jahr 1438 verkaufen Hans und Ulrich v. Sperberseck Gebrüder Burgstall und Dorf Ober-Ensingen mit Zugehör, Vogtei und Vogtrecht für 3000 fl. in Gold der Gräfin Henriette von Württemberg, welche zu Nürtingen ihren Wittwensitz hatte; diese gibt diesen Besitz ihrer Tochter, Gräfin von Katzenellenbogen auf Lebensdauer. Unter Herzog Christoph bekam Wilhelm von Newhausen, Hofrichter, den | hiesigen Burgstall zu Lehen und ließ ihn von Grund auf neu aufbauen (Mütschelin, Landbuch).

Das Dorf ist der Geburtsort des sehr verdienten Obersten Karl August Friedrich v. Duttenhofer, königl. württembergischen Ober-Wasserbaudirektors (geb. 3. Dec. 1758, gest. 16. Dec. 1836, s. Elben, schwäb. Chronik 1837, S. 657 u. f.). Es gehörte ins alte Amt und ins Gericht Nürtingen. Einer durch Württemberg zu verleihenden Caplanei wird 1526 gedacht; auch der große Zehnte stand der Herrschaft zu. In Beziehung auf die bereits erwähnten Steinbrüche verdient noch angeführt zu werden, daß bereits im Jahr 1475 geklagt wird, daß den bei Echterdingen gegrabenen Mühlsteinen das Zeichen der hiesigen Mühlsteine eingehauen werde (Sattler III. Forts. 127). Herzog Eberhard gab daher 1496 eine Ordnung, wonach Schultheiß und Gericht zwei geschworene Schauer zu bestellen hatten „über alle Gruben des Fürstenthums, welche bei ihren Eiden in allen Gruben die Mühlsteine beschauen und rechtfertigen und was sie nicht kaufmannsgut erfinden, von Stund an zerschlagen“ sollen. Ein Herr Rudolf von Ensingen, welcher wohl hieher gehört, wird noch 1319 als Zeuge in einer Denkendorfer Urkunde genannt. Über die alte Burg über dem Orte enthalten die Lagerbücher von 1526 keine Spuren; dagegen erwähnen sie des von Württemberg verliehenen Burggrabens im Dorf (also der innern Burg) und des Württemberg zuständigen Burggartens mit Burgscheuer vor dem Dorf. Die innere Burg kam (s. oben) 1438 von den Sperberseck an Württemberg und brannte nach Bericht von 1535 bald darauf ab. Hans von Sperberseck suchte 1558 die Belehnung bei Herzog Christoph nach, starb aber vor derselben, worauf der oben gedachte v. Neuhausen von ihm belehnt wurde. Nach der Inschrift im Hofe baute er 1558 die Burg von Grund wieder auf; sie sagt: Castellum hoc ad Achae et Nicri confluentiam, imperii rom. limitem (ut fertur) antiquitus conditum, incendioque ante... hominum memoriam devastatum et vetustate collapsum. Rudolph von Neuhausen sagte aber 1643 dieses Lehen auf, worauf dasselbe sein Schwager Michael von Grün empfing. Als Kunkellehen kam es 1691 an Johann Ferdinand von Zelion und 1736 an die Tochter eines Oberstlieutenants Gerhard Ferber. Im Jahr 1799 war es im Besitze der verwittweten Herzogin Francisca von Württemberg. Die äußere Burg baute Heinrich Schickard um 1600–1620 wieder auf (s. Lebensbeschr. 1821, S. 19). Wir finden sie im Besitze des 1619 verstorbenen Bernhard Moser von Filseck; Veronica von Gültlingen, die Wittwe seines Enkels, Christoph Ludwig, war noch 1690 im Besitze. Ums Jahr 1775 findet sich Karl August, Freiherr v. Palm, auf Ober-Ensingen.



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