Beschreibung des Oberamts Neresheim/Kapitel B 8

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Dirgenheim,
mit Kreuthof.
Gemeinde III. Kl. mit 193 Einwohnern; – Kath. Pfarrei. 41/2 Stunden nordöstlich von der Oberamtsstadt.
Am westlichen Saume des sog. oberen Rieses hat der freundliche, mit Obstbaumgärten umgebene Ort in einem mäßig eingefurchten | Thälchen eine angenehme und etwas geschützte Lage. Die zum Theil ansehnlichen, meist einstockigen Bauernhäuser sind in die schmale Thalebene und an den leicht ansteigenden Thalgehängen unregelmäßig und weitläufig hingebaut; sie bilden malerische Gruppen, aus denen der altehrwürdige Thurm schwerfällig hervorschaut.

Im nördlichen Ortstheil liegt erhöht in dem ummauerten Friedhof die dem h. Georg geweihte kleine Kirche mit dem nicht hohen, monströsen, im spätromanischen Stil erbauten Thurme, dessen unterstes Stockwerk die Stelle des Chors vertritt; dasselbe ist mit einem von Konsolen ausgehenden kraftvollen Rippenkreuzgewölbe überspannt und hat niedrige Strebepfeiler an den Ecken. Das obere Stockwerk zeigt romanische Doppelfenster. In der Neujahrsnacht von 1834 auf 1835 verlor in einem heftigen Sturm der Thurm seinen oberen Theil und somit auch sein ursprüngliches Verhältniß; es wurde hernach ein vierseitiges Zeltdach aufgesetzt. Auf dem Thurme hängen zwei unzugängliche Glocken. Das Innere des Langhauses, zu dem von dem Chor ein spitzer Triumphbogen führt, enthält in neuer gothischer Fassung ein altdeutsches Gemälde, das Obertribunalrath v. Holzinger, ein geborener Dirgenheimer, der Kirche einverleibte.

Auf dem Begräbnißplatz steht ein ruinoses Kapellchen und am südlichen Ende des Orts die St. Annakapelle mit achteckigem Dachreiter auf dem First; über dem nördlichen Eingang ist die Jahreszahl 1557 und auf einer Steinplatte Anno 1696 Melchior Jaumann J. M. angebracht; vermuthlich ließ Jaumann die Kapelle an der Stelle einer früheren erbauen. Die Baulast hat der 210 fl. betragende Fonds des Erbauers.

Ganz in der Nähe der Kirche liegt sehr freundlich mit schöner Aussicht das ansehnliche 1758 erbaute und 1836 im Innern sehr verbesserte Pfarrhaus mit Scheune, Garten und Hofraum; das frühere 1668 erbaute Pfarrhaus wurde bei dem großen Brande im Jahr 1758 eingeäschert. Die Unterhaltung der Kirche und des Pfarrhauses ruht auf der Gemeinde.

Das zweistockige Schulhaus, 1838 auf Kosten der Gemeinde mit einem Aufwand von 3000 fl. neu erbaut, enthält ein Lehrzimmer; für den Gemeinderath ist ein Zimmer im Wirthshaus gemiethet.

Die Landstraße von Ellwangen nach Nördlingen geht an der Südseite des Orts vorüber; von ihr gehen auf der Markung die Landstraße nach Wallerstein und eine Vicinalstraße nach Kirchheim ab.

Gutes Trinkwasser liefern 3 öffentliche und 16 Privatpump- und Schöpfbrunnen, die in ganz trockenen Jahrgängen so sehr nachlassen, daß das Wasser aus nie versiegenden Feldbrunnen geholt werden muß. Durch den Ort fließt ein kleiner Bach und füllt daselbst eine Wette; außer diesem entspringen auf der Markung noch zwei | weitere Bäche, die sich bald vereinigen und alsdann den Namen Brühlgrabenbach erhalten. Etwa 1/4 Stunde nördlich vom Ort lag der abgegangene, nun in Wiesengrund umgewandelte Klosterweiher.

Die körperlich kräftigen Einwohner sind geordnet und treiben vorzugsweise Feldbau, während die Gewerbe nur den allernöthigsten Bedürfnissen dienen; eine Schildwirthschaft ist vorhanden. Die Vermögensverhältnisse sind im allgemeinen mittelgut; der vermöglichste Bürger besitzt 100 Morgen, der sog. Mittelmann 20–25 Morgen und die unbemittelte Klasse 1–3 Morgen Grundeigenthum.

Die mittelgroße, mit Ausnahme der Ödungen, ganz für den Feldbau benützte Markung hat eine kräftig wellige mit einigen kleinen Thälchen durchfurchte Lage und einen sehr fruchtbaren, etwas schweren Boden, der theils aus Lehm und Mergel, theils aus den Zersetzungen des weißen Jura besteht und in trockenen Jahrgängen ergiebiger ist als in nassen. Ein Steinbruch im weißen Jurakalk ist für Straßenmaterial angelegt; er gehört theilweise der Gemeinde und trägt dieser etwa 40 fl. jährlich ein. Das Klima ist ziemlich mild und Hagelschlag gehört zu den Seltenheiten.

Die Landwirthschaft wird mit Anwendung verbesserter Ackergeräthe gut und fleißig betrieben; zum Anbau kommen Dinkel, Haber, Gerste, Roggen, viel Kartoffeln und Ackerbohnen, weniger Erbsen, ziemlich viel Futterkräuter und Flachs, welch letzterer sehr gut gedeiht, aber meist im Ort verbraucht wird. Der Verkauf von Getreidefrüchten, namentlich Gerste, ist sehr beträchtlich. Der ausgedehnte Wiesenbau liefert gutes Futter. Mit vielem Fleiß betreibt man die Obstzucht und sieht dabei hauptsächlich auf spät blühende rauhere Mostsorten und Zwetschgen. Der Obstertrag wird im Ort verbraucht. Die Schafweide auf Allmanden wird nebst der Brach- und Stoppelweide an einen fremden Schäfer um 5–600 fl. jährlich verliehen; den Pferch benützen die Ortsbürger unentgeltlich.

Was die Viehzucht betrifft, so ist die der Pferde gering, die des Rindviehs aber gut; man züchtet die sog. Rieserrace und hat einen Farren von gleicher Race aufgestellt. Im Spätjahr wird das Vieh noch ausgetrieben. Der Handel mit Vieh ist nicht bedeutend. Schafzucht treibt nur ein Landwirth, der 100 Stück Bastarde auf auswärtigen Markungen laufen läßt. Von Bedeutung ist die Geflügelzucht, namentlich die Gänsezucht; es wird ein namhafter Handel mit Gänsen, besonders mit gemästeten, getrieben.

Als besondere Stiftung ist zu nennen die von Pfarrer Fischer herrührende Armenstiftung von 3000 fl.

Von Spuren aus der Vorzeit haben wir anzuführen: eine Römerstraße von Nördlingen nach Zipplingen lief über den nordöstlichen Theil der Markung; zunächst an derselben, etwa 1/4 Stunde nordöstlich vom Ort, kommt die Flurbenennung „Birken“, d. i. Bürgen | vor, was vermuthen läßt, daß hier irgend eine römische Befestigung oder ein römischer Wohnplatz stand. An dieser alten Straße lag auch 1/2 Stunde nördlich von Dirgenheim der im Mittelalter abgegangene Ort Stolzenberg (s. hier. unten). Außer diesem scheinen auf der Markung noch einige Wohnplätze (Höfe) gestanden zu sein; auch die Volkssage, der Ort sei früher größer gewesen und liege schon auf der dritten Stelle, nämlich anfänglich südlich vom gegenwärtigen Ort in der Nähe des sog. Eulen- oder Eigelsteins, daselbst kommt auch der Flurname „Flecken“ vor, später nördlich vom Ort bei der sog. Flachsdörre, – ist entstanden ohne Zweifel durch das Auffinden von Ruinen, vielleicht römischen Ursprungs. Das Schloß, welches die früher im Ort ansäßigen Adeligen inne hatten, ist spurlos verschwunden.

Zu der Gemeinde gehört der 1/8 Stunde nordwestlich von Dirgenheim gelegene Kreuthof.

Ein ritterlicher Burgsitz ist verschwunden, es stammt aber von da Reinhard v. Dirgenheim, dessen Güter zu Ederheim vor 1369 an Werner von Emershofen gekommen waren. Conrad Fuchs von Zipplingen heißt 1340–56 „zu Dirgenheim ges.“ und 1376 Wilhelm v. Zipplingen zu Dürgenheim ges. [1] Der Nördlinger Bürger Heinrich gen. Glutscherbe verkaufte einen Hof zu D. um 24 Pfd. Heller an’s Kloster Zimmern 1286; anderes blieb in Nördlinger Händen. Kl. Kirchheim hatte auch Besitzungen und vertauschte 1281 ein Gütlein an die Herrn von Hürnheim, welche ritterliche Dienstmannen damit belehnten. Wilhelm Brun genannt von Röttingen verkaufte seinen Antheil an Vogtei und Kirchsatz dem Bopfinger Spital 1379. Konrad v. Ellrichshausen, wahrscheinlich ein Enkel des Fuchs von Zipplingen, verkaufte 1395 einen Hof und 14 Selden samt Dorfrecht und Flurlehen um 250 fl. dem Kloster Christgarten, welches noch 1525 und 29 etliche Wiesstücke kaufte. Karl Martin v. Mergentheim verkaufte 1481 für 112 fl. Güter zu Dirgenheim und Benzenzimmern an Graf Ludwig v. Oettingen. An diese Grafen kamen durch die Reformation auch die Besitzungen von Zimmern und Christgarten und sogenannte Vohenstein’sche Lehengüter zu Dirgenheim und Utzmemmingen; 1 Selde besaßen die Herren v. Schertel zu Utzmemmingen.

Bei der Oettingen’schen Grundtheilung von 1694 bekam die Wallensteiner Linie Dirgenheim, trat aber 1703 an’s Kloster Kaisersheim | 1 Hof und 5 Selden tauschweise ab und überließ 1711 gegen 5000 fl. diesem Stifte die niedere Gerichtsbarkeit u. s. w. über seine Unterthanen, samt den ötting. Steuern.

Irrungen wegen einer Hofstatt zwischen den Herren v. Jagstheim und Oettingen wurden 1574 vertragen. Die Dorfsherrschaft behauptete Oettingen-Wallerstein, Bopfingen hatte aber ein eigenes Bürgermeisteramt. Unter Württemberg wurde der Ort zuerst der Schultheißerei Kerkingen zugetheilt, erst 1842 zur selbstständigen Gemeinde erhoben.

Dirgenheim hat im 30jährigen Krieg schwer gelitten, später wiederholt durch große Brände, 1658, 1752 und 58.

Den Kirchsatz kaufte das Bopfinger Spital zum Theil von Wilhelm Brun 1379, den Rest 1452 von einigen Nördlinger und Gmünder Bürgern. Am Zehenten hatte auch der Pfarrer Theil. Nach der Reformation mußte Bopfingen doch einen katholischen Priester aufstellen, weil Oettingen-Wallerstein als Dorfsherrschaft das forderte. Als aber König Gustav Adolf die Grafschaft Wallerstein dem General Hoßkirch geschenkt hatte, versuchte Bopfingen die Reformation einzuführen, bis 1634. 1643 schloß Bopfingen mit dem Pater, Beichtvater zu Kirchheim, einen Vertrag über Versehung der Pfarrei Dirgenheim; der ganze Zehente ertrug damals 7 Malter, 1644 10 Malter aller Früchte zusammen.

1665 wurde die Kirche wieder hergestellt, 1662 ein eigener Pfarrer berufen und 1774 der Kirchsatz an das Kl. Kirchheim vertauscht, gegen das Patronat der Stadtpfarrei zu Bopfingen.



  1. Mit C. v. Zipplingen processirte 1343 Gerung v. Emershofen gegen Benzenzimmern über die Viehweide auf dem Stolzenberg (wo ein Hof gestanden) und zu Dirgenheim, G. v. Emershofen war also ein Mitbesitzer von Dirgenheim.


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