Beytrag zur Charakteristik des Lippeschen, Ritbergischen und Paderbornischen Bauern

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Autor: Ludwig Friedrich August von Cölln
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Titel: Beytrag zur Charakteristik des Lippeschen, Ritbergischen und Paderbornischen Bauern
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aus: Westphälisches Magazin zur Geographie, Historie und Statistik
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Erscheinungsdatum: 1784
Verlag: Buchhandlung der Gelehrten
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Erscheinungsort: Dessau und Leipzig
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[105]
3. Beytrag zur Charakteristik
des
Lippeschen, Ritbergischen und Paderbornischen
Bauern.




von Cölln,
Prediger zu Oerlinghausen.




Allgemeiner Charakter.

So thätig als im südlichen Theile von Teutschland, ist das Volk in diesen Gegenden nicht. Aber arbeitet es einmal; so beschickt es auch ungleich mehr als ienes. Es ist schwer zu rühren; ist es aber gerührt, so kann man auf die Fortdauer seiner Empfindung bauen. Es liebt den Rausch; in Schlaghändeln siegen, jagen, und schöne Pferde und starken Arm haben, ist ihm Ehre. Treu und bieder ist es im Ganzen noch. Verrathen ist ihm Schande und Stehlen die größte unverzeihlichste Sünde. Es ist verschloßen, und zur Menschenscheue sehr geneigt; theilet sich schwerlich und sehr spät mit; aber denn auch mit aller Fülle des Herzens. Seine Leidenschaften äußern sich nicht bald, aber thun sie es; so sind sie über alle Vorstellung heftig.

Zum Sektirwesen ist das Volk allgemein genommen nicht geneigt; religiöse Empfindeley wird wenigstens in einem Jahrhundert in diesen Gegenden nicht allgemein werden, und ob es wol sehr am Geistlichen hängt; so hat sich doch die Liebe zur Sektirerey nie so fest bey ihnen einnisten können, als in andern Ländern. – Es hat ein lebendiges Gefühl von Freyheit, und besteht oft mit einem unerträglichen Steifsinn auf sein Recht. Es ist, als wenn das Volk und seine Obrigkeit, eine Convention geschloßen hätten, sich beständig zu widersprechen, und unaufhörlich zu zanken.

[106] Es sieht größtentheils seine Herrschaft für seinen Feind an, der ihm nie wohl wollen kann, und das ist traurig. Wehe dem! der dieß Mißtrauen des Volks veranlaßte, das nun oft die heilsamsten Verordnungen zernichtet, und die besten Projecte zu nichte macht. So lange dies Mißtrauen nicht gehoben wird, ist euer Bemühen, Verordnungen zu machen, ihr Herren! eine herzlich vergebene Arbeit. –

Verschiedenheit im Charakter des Volcks der obengenannten Länder.

Der Lipper ist unter diesen am meisten gebildet, hat aber ungleich mehr Gefühl von Freyheit und Steifsinn auf sein Recht, als der Ritberger und Paderborner. Ein außerordentliches Mißtrauen und Bangigkeit, daß von seiner Obrigkeit ihm zu nahe geschehen mögte, ist bey ihm Zug des Charakters, das denn oft dem besten Willen seiner Obern Fesseln anlegt. Eine bessere Erziehung, wofür jetzt mit allem Eifer gesorgt wird, ist ein Hauptmittel, dies Volck geschmeidiger und milder zu machen.

Der Lipper sieht außerordentlich auf Ehre. Wer freundlich mit ihm redet, sein radotiren oft geduldig anhört, mit Freundlichkeit ihm den Hut aufsetzen heißt, wenns unter freyem Himmel ist, der kann viel von ihm haben; wer es aber in diesen wirklich unbedeutenden Dingen versieht, dem traut er nicht. Wenn Jemand Theil an seinem Schicksal nimmt, zu ihm in sein Haus geht, mit seinen Kindern sich viel zuschaffen macht, seine Früchte, und sein Vieh besieht, dem kann er nichts abschlagen, und der kann Wunder thun. Greift mans so an, so mögte er einen auf den Händen tragen. Er respectiret einen solchen Mann, und thut gern was er ihm sagt. Hingegen der geringste Schein von Verachtung bringt ihn auf, und dann ist er zu allem fähig. Ich rede aus Erfahrung.

Der Ritberger würde an herzlicher Treue und mildem Wesen beyde übertreffen, wenn seine Verfassung, Bildung und Vervollkommnung zum Zweck hätte. Er ist überaus dienstfertig und ehrlich, er zeigt dem irrenden Wanderer gern den Weg, läßt seine Arbeit drum liegen, und schlägt angebotene Belohnungen aus, da in andern Gegenden noch oft das Volk aus Plaisantrie, den Irrenden noch tiefer in die Irre führt.

[107] Der Paderborner ist der rohste, über alle Vorstellung sinnlich, abergläubisch und intolerant.

Lebensart im Essen, Trinken, Schlafen und Kleidung.

Der Lippische, Paderbornische und Ritbergische Bauer liebt starke, schwer verdauliche Speisen. Gewöhnlich ißt er viermal des Tages. Des Morgens ein Frühstück, (Imbt)[1] des Mittags, des Nachmittags, (Vesperbrodt) und des Abends. Letztere Mahlzeit ist die stärkste, und heißt Nachtmisse. Nach eingenommener Abend-Mahlzeit legt er sich gleich zu Bette. Die Handwerker und Fabrikanten arbeiten[WS 1] Abends beym Lichte, und leben wie der Städter. Morgens steht er um 2, höchstens 3 Uhr auf, und verrichtet sein Hauptgeschäfte in den Morgenstunden. Er mißt seine Zeit nach dem Lauf der Sonne, dem Hahnengeschrey, und bey der Nacht nach dem Lauf des Sieben-Gestirns, und des großen Bären den er Peiterstab (oder Petristab) nennt. Auch findet man jetzt schon in vielen Häusern Uhren, die jene Zeitmessung überflüßig machen.

Die Kleidung ist nach den Gegenden und Dörfern sehr verschieden, so daß man an der Kleidung sehen kann, aus welcher Gegend der Mensch ist der sie trägt. Die männliche Kleidung ist indeß ziemlich gleich, die weibliche ist verschieden. Im Ritbergischen besteht der größte Putz in vielen Falten des Halstuchs, und der Röcker. Im Lippischen ist es ein goldner Gürtel um den Leib, und eine Mütze mit breiten goldnen Tressen besetzt. Das Haar wird bey den Frauensleuten unter der Haube in der Mitte des Kopfs zusammen gebunden. Eine Reihe bernsteinerne Korallen ist ein wesentliches Erforderniß zum vollkommnen Putz, je größer und schwerer, je besser.

Wohnungen.

Ihre Wohnungen sind dauerhaft, aber höchst einfach und ihrem Character angemessen. Wer eine sieht, hat sie alle gesehen. Geht man in die große Thür, so trit man auf die weite Flur. An der einen Seite sind die Kuhställe, an der andern die Ställe für die Pferde, und Knechte, denn den Namen Kammern verdienen diese Behältnisse nicht. Ueber den [108] Ställen sind Futterkammern für beydes Vieh. Am Ende der Flur ist der Feuerheerd; über ihn eine bretterne Bühne (Asse) die den Rauch auffängt, auf welcher Westphalens Schweine-Schinken so gut durchräuchert werden. Wer einen Schonstein machen läßt, ist ein Sonderling. Hinter dem Feuerheerd ist die allgemeine Wohnstube, und daneben die Schlafkammer der Herrschaft des Hauses und ihrer Kinder; drüber die Behältnisse für reines Korn und übrigen Victualien.

Ein großer Theil der Bauern wohnt einzeln, hat um sein Haus sein Feld liegen, und ziemlich entfernte Nachbaren. So viel öconomische Vortheile diese Einrichtung auch haben mag, so erschweret sie doch die Bildung seines Geistes. Gesellschaft macht milde, und wann des Menschen Intereße zu wenig mit des Nachbars Intereße verwebet ist, so bleiben viele gesellige Empfindnisse unentwickelt.

Ueberdies da nach der Einrichtung manches Haus seinen eignen Viehhirten halten muß, da in andern Ländern ein Hirt das Vieh des ganzen Dorfs hütet, so geht vielen Kindern die beste Zeit ihren Geist bilden und entwickeln zu lassen, hinter dem Vieh verloren.[2]

Vergnügungen.

Ihre vornehmste Vergnügungsart sind die sogenannten Döhnten (Gastereyen) auf welcher jeder Gast dem Gastgeber ein Geschenck machen muß. Hochzeiten, Aufrichtung eines neuen Gebäudes, Kindtauffen, Mergelfahren, neue Fenster einsetzen, und noch unwichtigere Vorfälle, sind Veranlassungen zu diesen höchst verderblichen Gastmählern. Zu dem Mahle werden 8 Tage vorher die Gäste mit vieler Feyerlichkeit eingeladen. Am Tag des Gastmahls erscheint jeder mit einem Geschenck für die Küche; dann setzt sich alles um lange Tische her, genießt ein Frühstück, Anbiß genannt. Hierauf wird eine ordentliche Mahlzeit gegeben, die mehrentheils aus Fleisch besteht, je mehr Fleisch, je köstlicher das Mahl. Bier und Branntewein müssen im Ueberfluß da seyn. Ist die Mahlzeit genossen, so ziehen sie sich mit dem Aufwärter ums Tischtuch, und lassen es nicht eher abfolgen, bis Toback, Nüsse und Obst zum Desert gegeben [109] ist, das denn oft dem Gastgeber im Frühling und Sommer in Verlegenheit setzt. Indeß sind sie auch zufrieden, wenn er nur 2 oder 3 Nüsse auf den Tisch wirft, aber etwas muß da seyn. Drauf tummelt sich das junge Volk nach einigen Geigen herum, das sie Tantzen nennen, indeß die Alten mit einem Krug Bier sich ums Feuer, oder in die Sonne setzen, und politische Kannengießer machen. Kommt der Abend, so giebt jeder geladene Gast, in ein bedecktes Becken eine Summe Geld, das gehörig aufgeschrieben wird. Die Nachricht behält der Gastgeber, und wird er wieder zur Döhnte gebeten, so giebt er grade so viel, nicht einen Heller mehr oder weniger, als er nach Anzeige seiner Schrift von seinem vormaligen Gaste, der ihn wieder einladet, bekommen hat. Es wäre gegen diese Vergnügungen nicht viel einzuwenden, wenn sie nur nicht so oft kämen, und nur Hochzeiten dazu veranlaßten. Jetzt aber geht viel Zeit damit verloren. Indüstrie und Frügalität werden seltenere Tugenden, und Luxus verbreitet sich dadurch schneller unter das Volk. Der schlechtere Haushälter findet hier Mittel sich zu erholen, und ungestraft einige Zeit vom Fleiß seiner Nachbaren zu leben. Denn ein Geladener darf aus Point d’honneur nicht wegbleiben. Daher kommts denn, daß schon selbst dem Volk diese Gastmähler zur Last werden, und es Einschränkung wünscht. Die Hochzeiten sind unter allen die feyerlichsten, und bey denselben hat der Bauer manche sonderbare und oft viel bedeutende Gebräuche. Die Braut oder der Bräutigam der auf einen Hof heyrathet, wird zu der künftigen Wohnung von seinen Verwandten begleitet; indeß die Verwandten des andern Theils grade zu ins Haus gehen, wo die Hochzeit gehalten wird. Komt der Zug unter Trompeten oder Waldhörnerklang an, so reitet einer voraus, der ihn anmeldet, und zufragt, ob man willkommen sey? Ist man mit Brautschatz und Morgengabe zufrieden, die des Tages vorher abgeliefert werden muß, so heißt es: Ja, und der Zug fährt mit Jauchzen, Schießen und Musik auf den Hof. Der Bräutigam empfängt die Ankommenden mit einem Bierglas voll Brandtewein, welches wenn es ausgeleert ist an den Giebel des Hauses geworfen wird. Ist man mit der Morgengabe nicht zufrieden, so muß der Zug halten, und es wird accordirt, ob man das Fehlende ersetzen wolle, oder nicht. Der Fall tritt selten ein, weil es für eine große Schande gehalten wird; indeß hab ich ihn schon zweymal erlebt. Komt eine Braut auf den Hof, [110] so darf sie nicht nach gewöhnlicher Sitte durchs Thor kommen, sondern durch eine Hecke, oder niedergerissenen Zaun, der gleich wieder zugemacht wird; das soll die Braut erinnern, daß sie hübsch zu Hause bleiben und nicht viel auslaufen soll. Der Bräutigam giebt der ankommenden Braut ein Brodt, wovon sie ein Stück abschneidet, und als ein Heiligthum bewahrt, das übrige aber an umstehende Arme verschenkt. Dies soll bedeuten, daß die Ehefrau freygebig und milde, aber auch immer so fürsichtig und weise seyn soll, daß sie selbst das Nöthige behalte.

Bey der Trauung behauptet der Bräutigam mit dem strengsten Ernst seien obern Platz, und leidet nicht, daß die Braut ihre Hand auf die seinige lege; sondern es heißt: Mannshand oben. Sonst ist der Bräutigam Aufwärter so lange die Hochzeit währt. Er darf sich nicht zu Tisch setzen, muß aufwarten, und seine Gäste bedienen. Doch das dauert nur einen Tag.

Die recht großen Hochzeiten dauren 2 Tage, am Ende des zweiten Tags, wird die Hochzeit mit einem sonderbar bedeutenden Tanz geschlossen. Alle Gäste männlich und weiblich, fassen die Enden eines Tuchs an, so daß zwei und zwei ein Tuch zwischen sich haben, und die ganze Gesellschaft durch die Tücher eine Reihe ausmacht. So tanzen sie erst das Feuer aus, drauf durch Stuben und Kammern, durch Ställe und Gärten, und dann im ganzen Dorfe herum. Voraus Musikanten und Koch; hintennach der Aufwärter mit einem zusammengewickelten Tuch, der Klumpsack heißt. Dieser prügelt die Langsamen, ruft woher sie tanzen sollen, verweist sie oft in die beschwerlichsten Gegenden. Sie müssen seinem Befehl immer bestimmt gehorchen. Haben sie sich auf diese Art bis zum Umfallen ermüdet, so ist die Hochzeit aus, und jeder wandert seine Straße. Indeß nimt diese Sitte ab; und ich hab es nur 3 mal in meinem Dorfe gesehen.

Erziehung.

Ihre Kinder werden hart erzogen, und laufen bey der rauhsten Witterung oft halb nackt herum. So bald es ihr Alter erlaubt, nehmen sie Theil an den Arbeiten des Hauses. Die Weber und Spinner gebrauchen sie zu ihrer Arbeit, und der Landmann beschäftiget sie mit Viehhüten.

[111] Bildung des Geistes scheint ihnen im Ganzen etwas sehr überflüssiges zu seyn. Schulanstalten halten sie größtentheils für eine Auflage, und haben die Vorstellung, als wenn ihre Kinder nur darum zur Schule gehen müßten, um den Schulmeister zu ernähren. Jedoch sind die Handwerker und Fabrikanten geneigter ihre Kinder bilden zu lassen, als die großen Bauern und Meyer.

Der Erziehungsfehler ihre Kinder durch Schreckmittel zu beruhigen, und im Zaum zu halten, ist bey ihnen gemein. Das Volk meiner Gegend insbesondere hält alle Kinderspiele für einen Beweis des moralischen Verderbens. Spiele die oben in Deutschland selbst noch Jünglinge spielen, wie Wettlaufen, Jägerspiel u. d. gl. sind hier contra decorum.

Provinzial-Tugend und Laster.

Wohlthätigkeit ist allerdings eine Provinzial-Tugend. Der Bettler findet allenthalben seine Herberge, und ihn gut behandeln ist Sitte. Selbst die sonst stolzesten Bauern halten es für Ehre, einen Armen zu pflegen, zu reinigen und oft die eckelhaftesten Arbeiten an ihm zu verrichten. Vor einigen Monaten wurde hier eine Frau begraben, die 25 Waisenkinder erzogen hatte. Wird ein Geringer krank, so wird er allgemein verpflegt. Man schickt ihm Speise aus den benachbarten Häusern, und macht sich ein Vergnügen draus, armen Kindern freye Kost zu geben.

Ehrlichkeit ist immer noch Provinzial-Tugend. Es ist hier unauslöschliche Schande ein Dieb zu seyn. Auch ist hier die Anzahl eingezogener Diebe ungleich kleiner, als in den südlichen Gegenden Teutschlands.

Provinziallaster ist allerdings Unmäßigkeit, besonders Trunkenheit. Jedoch hat sich nach dem siebenjärigen Kriege, der auf die Sittlichkeit dieser Gegend sehr viel Einfluß hatte, vieles verändert. In meinem Kreise, der nicht klein ist, sind mir nur 3 Säuffer bekannt. –

Bey dem landbauendem Volk ist ein unerträglicher Stolz gegen alle geringere. Sie fühlen zu sehr, daß sie den ersten Nahrungsstand haben. Die Meyer[3] haben wahren Ahnenstolz, verheyraten nicht gern ihre [112] Kinder auf Bauerhöfe, und ergreifen iede Gelegenheit ihre Superiorität den andern fühlen zu lassen. Indeß haben viele den Titel Meyer, der in alter Zeit allerdings vielbedeutend war, usurpiret. Auf die Bildung der Meyerkinder müßte vorzüglich gesehen werden, weil sie vor andern einen größern Wirkungskreis bekommen. Sie werden aber am allerwenigsten gebildet, weil die Meyerkinder aus sonderbarer Eitelkeit nicht gern unter die andern kommen, auch sich nicht gern mit den andern in eine Klasse stellen lassen. Dadurch wachsen sie isoliret auf, und viele gesellige Empfindnisse bleiben ungeweckt.

Diese Klasse des Volks ist am steifsinnigsten auf ihr Recht, und hängt vor andern am Schlendrian der Vorwelt.

Religion und Sittenlehre.

Die Meinung, daß Seeligkeit ein Ding sey, daß sich durch einige Stoßgebäte am Lebensende und nach erhaltenem Sakramente gewinnen liese, ist hier fast allgemein. Eigentlich dünkt sich das hiesige Volk alle Verstorbenen selig, außer die gestohlen, abgepflügt, abgegraben, oder versprochen und nicht Wort gehalten haben. Diese müssen nach seiner Meynung zwischen Himmel und Erde schweben, und spuken. Viele glauben Christus sey ein Name Gottes; daß er aber Mensch gewesen sey, ist vielen eine fremde Idee. Und man hat mich treuherzig gefragt: war wirklich auf der Erde einmal ein Mensch der Jesus Christus hies?

Andere denken sich beym Namen Christus ein Osterlamm, ein wirkliches Lamm, das am Freytage geschlachtet, und darauf an Ostern in die Sonne gesetzet sey, wo es den ersten Ostertag tanze, und bey Sonnenuntergang zu sehen sey. Diese Meynung habe ich insbesondere in der [113] Senne im Gange gefunden, wo wegen gänzlichen Mangel an tüchtigen Schulen die Roheit und Unwissenheit unglaublich groß ist. In Absicht der Sittlichkeit ihres Nächsten sind sie sehr tolerant; nur mit Diebstahl, Betrügerey, falschen Eidschwören, und auch Ehebruch verstehen sie keinen Spas. Ein Dieb und Ehebrecher hängt sich und seinen Nachkommen einen unauslöschlichen Fleck an.

Hat ein Mädchen den Namen, daß sie ausschweift, und wohl uneheliche Kinder zur Welt gebracht; so bekommt es eben darum noch wohl einen Mann; ist es aber nur im Verdacht, daß es Garn nicht vollgehaspelt, oder sonst im kleinsten etwas veruntreuet hat, so bleibt es sitzen. Wenn ein Jüngling sich wirklich verlobt hat, und er erfährt etwas von Unehrlichkeit, so trit er zurück. Und doch giebts wohl nirgends weniger treues Gesinde, als in den benachbarten Städten. Und das kommt daher, weil auf dem Lande dem Gesinde kein Brodt oder Speiseschrank verschlossen werden darf; kommen sie in die Stadt, und finden alles verschlossen, so werden sie Näscher, und um das Bedürfniß ihren starken Appetit zubefriedigen, suchen sie sich so gut zu helfen, wie sie können. Ueberdies hält der größte Haufe diese Art zu naschen für keine Sünde, weil Christus gesagt hat, was zum Münde eingehet, sündiget nicht.

Grobe Ausschweifungen der Wollust sind auch hier nicht ganz unbekannt; man hört iedoch nicht häufig von ihnen. Einigemal habe ich Exempel von Sodomie gehöret; nur von Kindern, die wegen des engen Beysammenseyns und Indelicatesse der Eltern, das Ehewesen der Eltern sahen, und in ihren Spielen als Spiel nachmachten, ohne den Unterschied der Geschlechter zu wissen; so habe ichs wenigstens bey der Untersuchung entdeckt.

Onanie ist hie und da im Gange, und die sie treiben, lassen sich durchaus nicht überzeugen, daß es Sünde und schädlich sey. Jedoch wird dieser Reitz zur Ausschweifung durch tägliche Beschäftigungen und Ermüdung bey den meisten gedämpft.

Uneheliche Umarmungen sind bey ihnen eben nichts sündliches; aber das geschändete Mädchen sitzen lassen, ist bey ihnen ein seltener Fall. In meiner Gemeinde, zu welcher 12 Bauerschaften eingepfarret sind, habe ich in 2 bis 3 Jahren nur 2 bis 3 uneheliche Kinder getauft.

[114] Ihre Ehe geht mit der Verlobung an, und die Trauung ist nur öffentliche Bestätigung. Da kann denn oft 4 Wochen nach der Hochzeit Kindtaufe seyn, wofür im Lippeschen, wenn ich nicht irre, 8 Rthlr. Strafe unter dem Titel propter anticipatum concubitum erlegt werden muß. Ihre Ehen werden in vielen Gegenden nur aus Bedürfniß, und nach dem Werth der Mitgabe geschlossen. Ein Schrank, ein Tellerbret u. d. gl. kann einen Ehekontract zerschlagen.

Ehescheidungen sind bey ihnen selten; selbst Ehebruch scheidet selten. Denn ob zwar am Ehebruch große Schande hängt; so läßt sich doch nicht oft das Ehepaar, ihres gemeinschaftlichen Interesse wegen, dadurch trennen.

Ihre Begrüßungen sind edel und einfach. Sie geben sich die Hand, drücken sie herzhaft, und dieses Drücken wird dem Kenner sehr charakteristisch. Es ist ein Zeichen ob Luxus und Ziererey zunimt. Die Meyer z. B. drücken größtentheils die Hände nicht mehr. – Man kann es mit dem Handgeben leicht versehen. Giebt man z. E. seine Hand im Handschuh; so halten sie dies für eine große Beleidigung, eben so, wenn man einen oder den andern in der Gesellschaft vorbey gehet. Aberglauben ist bey ihnen sehr allgemein. Wahrsagerweiber, die mit Weyhwasser heilen; Segen sprechen sind Orakel des Volks. Gegen Aerzte haben sie Mißtrauen, woran theils religiöse Irrthümer, theils das zu entfernte Wesen mancher Aerzte Schuld ist. Ein gewisser Fatalismus und der Gemeinspruch: Gott ist der beste Arzt: verhärtet manchen so sehr, daß er durchaus keinen Rath sucht. Gespenstermährchen und Hexenhistorien verschwinden täglich mehr.

Ich kenne hier viele denkende Männer, die glauben, das Volk neige allgemein hier zum Aberglauben, aber Unglaube wäre seine Sache nicht. Aber meine Erfahrung komt damit nicht überein. Ich habe selbst von vielen gehöret: daß alle Religionslehren nur blos in der Absicht gelehret würden, um die Leute im Zaum zu halten.

Manche lassen sich von Unsterblichkeit und ewigen Leben nichts einreden. Wie der Baum fällt so bleibt er liegen ist gemeines Sprichwort.

Es ist Zeit, ihr Volkslehrer, aus dem süßen dogmatischen Schlaf zu erwachen, und die alten Postillen mit weisern Predigten fürs Volk zu vertauschen.

[115]
Sprache.

Ihre Sprache ist äußerst platt, und einem Oberdeutschen eben so schwer auszusprechen, als die Englische. Sie ist das größte Hinderniß, welches der Bildung des Volks im Wege steht, und so lange nicht mit Fleiß an Verbesserung und Ausbildung der Sprache gedacht wird, hilft aller Unterricht wenig. Die Volkslehrer und Richter reden eine dem Volke fremde Sprache, und das müssen sie, weil jedes Dorf seinen Dialekt, und jedes Kirchspiel die frappanteste Abweichung in Worten, Accent und Pronunciation hat. Es ist wohl wahr, daß das Volk anderwärts auch nicht Büchersprache redet; aber sie weicht doch nicht so weit von einander ab, daß sie sich nicht unter einander verstehen könnten. So aber ists hier nicht! Der Bauer versteht unter manchen hochdeutschen Wörtern grade das Gegentheil: Großmuth heißt bei ihm Hochmuth, Niederträchtigkeit ist ihm eine Tugend. Denn ein Niederträchtiger heißt bey ihm ein freundlicher demüthiger Mensch; Kleinnod heißt bey ihm kleine Noth, Klipschulden und kleine Plagen. Demuth, Sanftmuth nennt er Gelassenheit. Aergern heißt sich betrüben; eifern heißt sich grämen; lermen heißt schelten; treiben heißt plaudern; Strümpfe heißen Hosen, und Beinkleider, Büchsen.

Die Vokale werden selten rein, fast immer wie Diphtongen ausgesprochen. In Water, Akker ist der a ein a, sonst lautet er wie halb a, o, und e.

a) oe – e –       e) ei – e       e) ie, e

o) aeo – e

u) ui – e. Ohne Accent ist der Laut ohnmöglich auszusprechen, und auch dennoch muß der Laut gehöret werden, wenn man eine Idee davon haben will.

Man erlaube mir noch einige Provinzialwörter beyzufügen, die so sehr vom Bücherdeutsch abweichen, daß man sie für Wörter aus 2 verschiedenen Sprachen halten sollte.

Ameise Plattdeutsch Miegeimerken.
Abendmahl –       – Nachtmisse.
Biene –       – Imme.
Eifrig –       – Vernienig.

[116]

Eidere Plattdeutsch Eigedasse.
Fabeln –       – Fameltüten.
Frühstück –       – Ucht.
Hund –       – Rüe.
Hernach –       – Naedalling.
Kröte –       – Uesse.
Kirsche –       – Kesper.
Landstraße –       – Hellweg.
Maykäfer –       – Ekkernschaefer.
Mädchen –       – Lüet.
Mittewochen –       – Gaunsdach.
Mittagsruh –       – Naune.
Schleichen –       – Schlinkfiesen.
Stutzer –       – Hauchstrünserken.
Taufen –       – Kesen.
vorhin –       – Hanerken.
Ein Wankelmüthiger –       – Lichtfitk.
Ein Roßkäfer –       – Pavömmel.

Alles was ich hier gesagt habe, kann ich mit meiner Erfahrung beweisen. Ich habe Gutes und Böses ohne Partheylichkeit hingeschrieben, in der Absicht jeden Menschenfreund auf das Volk aufmerksam zu machen. Denn es bleibt ewige Wahrheit: kennt der Arzt den Kranken nicht, so kann er ihn nicht heilen.

Anmerkungen

  1. Indessen hat der Luxus den Kaffee eingeführet, der das sogenannte Imbt hier und dort aufgehoben hat.
  2. Im Ravensbergischen ist neuerlich die Einrichtung getroffen, daß kein Kind vor der Confirmation, das Vieh hüten darf. A. d. H.
  3. Meyer waren in ältern Zeiten Bediente des Regenten, die ihr Gut pro salario besaßen. Sie hielten im Lippischen einen Justitiarius, der [112] Frohne hieß. Ihrer waren im Amt Oerlinghausen, ehedem freyes Amt Barkhausen genannt, 4. zu Menkhausen 3. Sie hießen Amtsmeyer, und hatten ihre Beysitzer, die in der alten Sprache (Hipler) hießen, die aber jetzt auch den Namen Meyer usurpiret haben. Nächst dem Amtsmeyern, im Ravensbergischen Sattelmeyer genannt, und den Vollmeyern folgen die Halbmeyer, die 6 Pferde; dann die Großkötter die 4, 3, – 2 Pferde halten müssen; dann die Strassenkötter oder Brinksitzer die keine Pferde haben; hierauf die Kötter und Einlieger die zur Miethe wohnen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: arbeiteu