Bilder aus Spanien/Im Paradiese Südspaniens

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Textdaten
Autor: Fritz Wernick
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Titel: Im Paradiese Südspaniens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 752-758
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bilder aus Spanien.

1.0 Im Paradiese Südspaniens.
Von Fritz Wernick.

Die südspanische Landschaft trägt einen Oasen-Charakter. Die Araber, die einst aus dem nahen Afrika in das Land gedrungen sind, um hier ein Reich zu gründen, haben die Landschaften des Orients, unabsehbare Wüstenstrecken, in denen paradiesische Gartenfluren eingeschlossen liegen, natürlich nicht mit über’s Meer bringen können. Und doch haben sie, ihre Betriebsamkeit, ihre Cultur, den Charakter der südspanischen Landschaft bestimmt. Die Oasen, die aus meilenweiter Oede lachend und üppig hervorleuchten, sind einzig ihr Werk. Die christlichen Nachfolger haben nur erhalten, was die Mauren vor länger als einem Jahrtausend geschaffen. Nicht einförmig, nicht gleichmäßig nach bestimmter Schablone. Der Lage, dem Boden, dem Klima trägt die Cultur überall Rechnung. Wenn wir, von Nordosten kommend, Spanien betreten, bei Barcelona, bei San Sebastian oder mitten im Baskenlande, so scheint die Landschaft jenseit der Pyrenäen kaum von der südfranzösischen verschieden. Weder hochromantisch noch üppig, weder von malerischer Wildheit, noch von paradiesischer Anmuth erscheinen die catalonischen Hügelzüge und Thalgelände, das bergige Aragonien, das Golfland des biscayischen Meerbusens. Nichts Charakteristisches dort; fast fühlt der Wanderer sich enttäuscht, der an seine Vorstellungen, seine Träume von Spanien denkt. Aber das ändert sich, je weiter wir nach Süden kommen.

Rhede von Alicante.
Nach dem Gemälde von R. Monleon. Photographieverlag von B. Schlesinger in Stuttgart (J. Laurent u. Co. in Madrid).

Valencia gewährt uns zuerst das, was wir bisher vergeblich erhofft und gesucht haben. Die Eisenbahn führt durch eine Sandebene zwischen Gebirge und Meer von Barcelona, von Taragona her. Felsblöcke sendet das eine, dürren Sand das andere dieser Flur. Trümmer alter gothischer Bauwerke, Burgen, Hospize, wenige Reste aus römischer Zeit, kaum kenntlich mehr, ragen aus dieser Ebene hervor. Das blaue Meer, das graue in der Sonne flimmernde Kalksteingebirge allein geben der Landschaft Reiz. Die dünne Ackerkrume, die sich im Laufe der Jahrhunderte gebildet, ernährt hier und dort Getreidefelder, Fruchtbäume, die aber den Charakter der Sandwüste kaum zu ändern vermögen. So kommen wir über den Ebro, kommen an Murviedro, der Stätte des antiken Sagunt, vorüber. Dann aber beginnt die Oase, die Wüste wandelt sich in ein üppiges Paradies. Kahles Gebirge, blaues Meer umrahmen Gefilde, in denen der Johannisbrodbaum neben der Palme, der Oelbaum neben Feigen und Maulbeeren kräftig gedeihen. Doch erscheinen diese Bäume nur als Einzelwesen, die Palmen beschatten die niedrigen, hellfarbig angestrichenen, mit Stroh gedeckten Bauernhäuser, der Johannisbrodbaum scheint oft als Grenzmarke zwischen den einzelnen Besitzungen gepflanzt. Orangen füllen die Flur meilenweit mit saftigem Laubgrün, mit köstlichem Dufte. Die Orange beherrscht den Boden um Valencia fast durchweg. Von Station zu Station fahren wir meilenweit durch einen einzigen Orangenhain, der von aufbrechenden Blüthen und goldenen Früchten betäubenden Duft unserer Wagenreihe sendet. Kein Gebiet rings um das küstenreiche Mittelmeer erfreut sich solch einer Fülle der edlen aromatischen Frucht, wie diese spanische von Meer und Gebirgen umschlossene Oase, die „Huerta“, der „Garten“ von Valencia.

Eine lange, einförmige Fahrt bringt uns dann in den Küstenbezirk des weinberühmten Alicante. Wieder Wüste, wieder Oase. Beides

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Dattel-Ernte bei Elche. Originalzeichnung von R. Püttner.

[754] aber von anderem Charakter. Das zerklüftete Kalkgebirge tritt hier an’s Meer. Die Küstenbildung behält von jetzt ab fast ununterbrochen die gleiche Physiognomie bis zu dem letzten, südwestlichsten Vorsprunge unseres Welttheils, der Felsenfeste von Gibraltar. Ein solches befestigtes, weit in die Brandung hinausspringendes Felsenriff beherrscht auch den Hafen von Alicante. Kahl und schroff, unersteiglich, unbezwinglich ragt diese natürliche Warte hinaus in’s Meer, die Bucht schützend, die zu ihren Füßen tief in’s Land dringt. Unwirthbar, öde, schroff, schimmernder Stein über flimmerndem Wasser bleibt der Strand fortan, so sehen wir ihn die tiefe Hafenbucht von Cartagena weit umschließen, so erheben seine zerklüfteten Wände sich über Almeria, so breitet er seine nackten Arme aus um den Golf von Malaga. Einförmig müßte die schaurige Romantik dieser Gebirgsöde werden, wenn die Steinwüste nicht ebenfalls ihre Oasen bärge, heimliche, entzückende Paradiese.

Das erste, eigenthümlichste, schönste erreichen wir in Elche. Das Gebirge streckt sich westlich von Alicante wieder weit in’s Land zurück, so weit, daß wir nur seine, blauen Linien am Horizonte sehen. Durch eine einförmige, wellige Ebene jagt die Postkutsche mit uns auf der Straße nach Murcia. Für das Auge des Naturfreundes bedeutet diese ärmlich bestellte Flur auch kaum mehr als eine Wüste. Meer und Gebirge sind verschwunden. Da, nach zwei langen Fahrstunden, sehen wir vor uns die Palmenwälder von Elche liegen, ein Stück Oase aus der Sahara auf spanischem Boden. Elche ist der einzige Bezirk in Europa, in dem die Palmen nicht nur zur Zierde, sondern um ihrer Erträge willen gezogen werden. Von der einzigen ersten Palme, die der Kalif Abdurrahman einst aus Afrika gebracht, um sie am Ufer des Guadalquivir bei Cordoba zu pflanzen, sollen diese Wälder abstammen. Jene ist längst verschwunden, Elche hat seine Palmenhaine bewahrt seit einem vollen Jahrtausend.

Diese weit von allem großen Verkehr entlegene Palmencolonie hat sich noch mehr bewahrt, sie erscheint heute noch wie eine völlig arabische Ansiedelung, ein Stück vergessenes Maurenland. Die hohen schuppigen Schafte des schlanken Baumes verbergen in ihrem Schatten gänzlich den stillen Ort. Kleine weiße Häuser, scheinbar dachlos, geformt wie Würfel, liegen zerstreut in dem lichten Haine. Freundlich spielen die Strahlen der Sonne durch die Laubwedel auf dem grünen Grunde, den Gerstenfelder, Blumen, blühendes Kraut mit dichtem Teppich bedecken, den Aloe und stacheliger Cactus einfriedigen. Die braunen Menschen, knapp mit weißem Hemde und kurzer weißer Leinenhose bekleidet, die rothe Schärpe breit um den Leib gewunden, bedienen geschäftig die Bäume, die sie nähren. „Die Palme muß den Kopf im Feuer, den Fuß im Wasser haben“, sagt, ein arabisches Sprüchwort. Das Feuer sendet die heiße Sonne, Wasser aber führt man ihr zu. Der Gebirgsbach, den eine maurische Bogenbrücke überspannt, liefert es. Kreuz und quer ist der Boden durchfurcht, ein ganzes Netzsystem von Rinnen über ihn gezogen; das füllt man, um den ewig durstigen Baum zu tränken. Hier schnürt man Zweige fest zusammen, damit sie bleichen, welken, um für den nächsten Palmsonntag, kunstvoll gewunden, als Osterpalmen an den Markt gebracht zu werden. Ganz Spanien kauft zu dem heiligen Zwecke Palmenzweige aus Elche, die man an den Balcon eines jeden Hauses befestigt findet. Der geweihte Zweig soll alle bösen Mächte fern halten. Dort klettert ein flinker Geselle mit affenartiger Behendigkeit den biegsamen Schaft hinauf, um mit scharfem Messer die süßen Fruchtbündel abzuschneiden. Elche allein versorgt das Land mit Datteln. Die Palmenoase ist eines der märchenhaft schönen Landschaftsbilder Spaniens, von denen selbst die lebhafteste Phantasie sich keine Vorstellung machen kann.

Am Wege, im Schatten liegt eine einfache Posada. Im offenen Flurraum hat die Wirthin einen Tisch gedeckt zum Frühstück. Malven und Rosen, Purpurnelken, Ranunkeln, Orangenblüthen hat sie zu hohen Pyramiden gewunden, um die Tafel zu schmücken. Mit Datteln und Feigen, Nüssen und saftigen Birnen versorgt die Flur sie. Zur Seite liegt der Herd, gebaut aus bunt bemalten Azulejos, den glasirten Fayenceplatten, die kein Volk schöner zu fertigen verstand als die spanischen Araber. Neben dem blanken Kupfergeschirr lehnen die Krüge von gebranntem Thon, ohne Fuß, ohne Henkel. Das Wasser verdunstet, und indem es durch ihre Poren dringt, erhält es sich kühl trotz der Hitze. Auf den Holzkohlen des Herdes rösten saftige Hammelfleischschnitte, die wir als schmackhafte Cotelettes verspeisen.

Die Landschaft bietet an Naturschönheiten nichts, sobald wir den Ort verlassen haben. Immer aber, wo wieder, ein Dorf, ein Flecken am Horizonte auftaucht, umgiebt ihn eine Palmenoase. Das ist ein Eigenthümliches der spanischen Landschaft, daß sie meist am anmuthigsten, heitersten, schönsten wird in der Nähe menschlicher Ansiedelungen. Wo immer in dem ehemals von Arabern besiedelten Lande eine Stadt, ein Flecken, ein Dorf liegt, da umgiebt es eine herrliche Gartenflur, eine Huerta, wie sie hier, eine Vega, wie sie weiter in Andalusien heißt.

Je dünner der Palmenhain, desto malerischer erscheint er. Erst wenn jeder Einzelstamm gegen den tiefblauen Himmel, gegen den falben Kalkstein des Gebirges sich abzeichnet, erkennen wir die vornehme Grazie dieses Kindes der Tropen. Und das Gebirge tritt wieder näher, ganz nahe, je mehr wir uns Murcia nähern. Auf seinen untersten Stufen lagert, weit verstreut unter Palmen, ein Städtchen. Arabisch oder spanisch? wir wissen es nicht. Die weißen Häuserwürfel, die Kuppeln, die eine Moschee oder Kirche überwölben, die schlanken Thürme, die ebensowohl Minarets sein könnten, machen das zweifelhaft. Die Palmen erst recht, die den Berg hinan zwischen den Häusern stehen. Die Palme liebt die Nähe des Menschen, fast niemals sehen wir sie in freiem Felde allein.

Wenige Tage später wandern wir durch die Thalflur von Murcia, eine meilenweite Huerta, von der wilden Segura durchströmt. Murcia ist heute nichts weiter als eine große, allem Verkehr entlegene Landstadt. Erst seit ganz kurzer Zeit wird es von der Eisenbahn berührt, vorher führten nur schwierige Gebirgspfade in den einsamen Thalgrund. Dort sehen wir an Markttagen das spanische Landvolk in seiner vollen Ursprünglichkeit. Arabisches Blut rollt wohl noch allen in den Adern, den kräftigen Söhnen des Gebirges, den schlanken Bebauern der Thalflur. Hier sind wir mitten im Lände, in einem Gebirgskessel, rings von hohen, kahlen Felsenwällen umgeben. Der Gegensatz zwischen dem paradiesischen Thalgarten und der hochromantischen Gebirgswüste der schroffen Sierra wird hier vermittelt durch mildere Abhänge, freundliche Hochthäler, durch Vorhügel, denen weder Bäume noch Ackerfelder fehlen. Es birgt eine gemäßigte Zone sich zwischen die halbtropische Pflanzenpracht, die den Thalkessel der Segura füllt, und jene Höhen, auf denen nur das langhalmige Spartogras wächst, nur Schafheerden von den Kräutern, die in Spalten und Schluchten wurzeln, kümmerlich Nahrung finden, wo nur der Bergmann den Adern von Blei, Kupfer und Silber nachspürt, welche die wilde Sierra durchziehen. Diese Dreitheilung der Landschaft bestimmt auch die verschiedene Art, selbst die äußere Erscheinung des Volkes, welches die Umgebung von Murcia bewohnt. Der Hirt, nothdürftig bekleidet, die grellstreifige Manteldecke um die Schulter geschlungen, steigt von den Gebirgen nieder, er bringt seine Lämmer zu Markte, nimmt trockenen Stockfisch, eine Tasche voll gelber Kichererbsen, ein Bündel Knoblauch, kaum etwas Brod mit hinauf in seine Einöde. Es ist gerade Osterzeit. Seine Lämmer finden schnell Käufer. Der Spanier will nicht nur einen Braten haben zum Feiertage, er muß auch seinem Kinde ein lebendiges Osterlämmchen schenken, mit Flittergold, künstlichen Blumen, Bandschleifen festlich herausgeputzt. Auf allen Straßen Südspaniens begegnet man den Kleinen, die ihr Osterlamm an rothem Bande mit sich führen, in der andern Hand ein Bündel blühendes Kraut, um dem Lieblinge Futter zu reichen. Der Hirt bleibt nicht lange im Thale, in der Stadt. Er zieht mit seinem Erlöse hinauf in die unzugänglichen Berge, macht vielleicht Rast im Schatten einer Palme, hinter einer Aloehecke, neben einem Cactus, verzehrt seine gesottenen Kichererbsen, die größte Delikatesse für dieses genügsame Volk, dem die köstlichsten Früchte fast in den Mund wachsen, und steigt weiter hinauf. Er kennt gewiß die Tropfsteingrotten genau, findet die Höhlen von glänzenden Krystallen, die fern im Hochgebirge liegen, das jetzt von Bergleuten durchforscht und zerbohrt wird. Hier beginnen die reichen Metalladern, die immer stärker werden nach Süden und Westen hin. Mächtige Lager von Silber und Blei, von Salz und Schwefel birgt das Innere der Sierra hier, weiter bei Almeria, und Kupfer wird nirgends in so großer Masse zu Tage gefördert, als aus den Minen von Rio Tinto, westwärts hinter Sevilla. Aus diesen Metallquellen haben Phönicier, Römer, Mauren bereits geschöpft. Jetzt sind es meist Ausländer, Engländer, Belgier, Franzosen, Italiener und Deutsche, welche die Schätze des spanischen Bodens heben. Die lässigen Spanier haben zuerst das Holz ihrer Wälder [755] verbrannt, um das Mineral zu schmelzen. Jetzt überlassen sie es englischem Unternehmungsgeiste, entweder Steinkohlen herzuführen oder die Erze als Ballast in die Schiffe zu stauen, die dem waldarmen Lande Holz zum Bauen und zu Weinfässern bringen, um das Mineral daheim billiger schmelzen zu lassen.

An dem Fuße jener Hochgebirge Murcias, in Senkungen, auf geschützten Hochflächen wachsen Getreide, Obstbäume, da gedeiht der Weinstock. Der Landmann nennt diese mittleren Zonen Seccanos, trockenes Land, im Gegensatze zu dem künstlich überrieselten Thalkessel der Segura. Diese Fluren müssen sich mit der Feuchtigkeit begnügen, die ihnen der Himmel gelegentlich sendet. Da schmücken volllaubige Bäume die Abhänge, da liefert der warme Fruchtboden mehrfache Ernten in langem Sommer, der im Februar beginnt, im November kaum endet.

Elche.
nach einer photographischen Aufnahme.

Die Ackersleute der Seccanos sehen stattlicher aus, wenn sie zu Markte nach Murcia kommen mit Karren voll Grünfutter, mit den dicken Bohnen, die nächst der Kichererbse am beliebtesten sind. Die Jacke mit Reihen kleiner blanker Knöpfe, die kurze Hose ebenfalls mit Knöpfen besetzt, der pralle Strumpf, die rothe Leibbinde, der ringsum aufgeschlagene Hut, der das um den Kopf geschlungene rothbunte Tuch halb bedeckt, geben den schönen braunen Gestalten ein malerisches Ansehen. Tief unten am Strome breitet die „Huerta“, der Garten von Murcia, sich aus. Hier giebt es weite Reisfelder, hier trägt der Boden noch im Schatten des Orangelaubes, des Oelbaums, der Palmen köstliche Feldfrucht, feine Gemüse, hier fächelt der laue Wind das Blatt schlanker Eukalypten, die Flur von Murcia gehört zu den üppigsten Spaniens. Die Segura und die Bäche, die von den nahen Bergen herabrinnen, tränken mittelst eines kunstvoll verzweigten Geäders von Rinnen das weite Gartenland, besiedelt von zahllosen Dörfern, die im Schatten des immergrünen Laubes sich verstecken. Dieser Thalkessel ist vor wenigen Jahren, wie bekannt, von einer furchtbaren Ueberschwemmung heimgesucht worden. Die Segura braust aus dem Gebirge hervor, durchfließt den meilenbreiten Thalgrund und wird dann wieder in ihrem unteren Laufe enger zwischen Felsmassen gezwängt. Als Regengüsse und gleichzeitige Schneeschmelze nun dem Strome ungeheure Wassermengen zuführten, als auch aus den Bächen der Gebirge gelbe Fluthen herabbrausten, vermochte das Bett des Stromes den Andrang der Wasser nicht zu fassen und abzuführen. Plötzlich verwandelte sich der Thalkessel in einen einzigen stürmisch bewegten See, aus dem kaum die Häupter der Bäume, die höher gelegenen Hütten hervorguckten. Der Anblick muß fürchterlich gewesen sein. Längst haben die Fluthen sich verlaufen, heute prangt die Flur wieder in überschwenglicher Pflanzenfülle. Nur die elenden, von Lehm zusammengebackenen Häuser sind aufgelöst in kleine Häufchen Unrath, die jetzt an Stelle der Dörfer unter Oelbäumen, Orangen, Eukalypten liegen.

Der äußerste Süden, die herrlichste Pflanzenfülle grüßt uns aus dem Golflande von Malaga. Da stehen wir auf andalusischem Boden. Dazwischen wechselt die Landschaft kaum ihren Charakter. Nun treten die Spuren maurischer Cultur immer entschiedener hervor. Auf schroffen Felshöhen liegen die Trümmer arabischer Castelle, verlassene Alcazars; zinnengekrönte Mauern, Umwallungen zusammengeschmolzener Städte, ziehen über Berg und Thal. Die Rebengärten von Almeria, Haine von Orangen, Feigen, Mandeln liegen tief eingebettet zwischen den wirren Verästelungen der Alpujares, der von Bleiminen durchzogenen Sierra de Hador. Wo nichts mehr wachsen will, da erntet der Bergsteiger wenigstens das wilde Spartogras, aus dem spanische Weiber hoch im Gebirge Decken flechten zu Vorhängen, zur Ausstattung der steinernen Fußböden, das in riesigen Ballen nach England verschifft wird, um in der Papierfabrikation verwendet zu werden. Wechsel, Gegensätze überall in diesem wunderbaren Lande, überall ernste Romantik neben paradiesischer Anmuth, überall Denkzeichen der fremden Völker, die diesen Boden nach einander beherrscht haben, der Römer, der Mauren, der katholischen Eroberer. Milder, anmuthiger, weicher fast wird der Charakter der spanischen Landschaft im Golf von Malaga. Das hohe Gebirge, das ihn einschließt, tritt weit zurück, läßt ein breites hügeliges Vorland frei, dessen Gehänge hoch hinauf mit grüner Pflanzendecke überzogen sind. Ein Fluß, der aus dem andalusischen Gebirge hervorbricht, erquickt die herrliche Landbucht, aus der die Stadt stolz hervorragt. Um die entzückende Landschaft von Malaga [756] kennen zu lernen, hat deutsche Gastlichkeit mich liebenswürdig unterstützt. Fast der gesammte Weinhandel und die Weinindustrie befindet sich hier in deutschen Händen. Malaga führt nicht nur aus, was es selbst hervorbringt, es sammelt auch die Erzeugnisse des Hinterlandes, um sie zuerst zu verarbeiten, dann zu verschiffen. Hoch hinauf im Gebirge gedeiht in diesem warmen Klima der Oelbaum; selbst die Rebe liefert droben in den Bergen noch gute Ernten. Der edelste, feinste, kostbarste Wein wächst aber unmittelbar um die Stadt, all den Hügeln, die amphitheatralisch die Landschaft umschließen. Der will gesondert, verschieden bearbeitet sein. Die Spanier sind dazu zu lässig; deutsche Betriebsamkeit ist hier seit einer langen Reihe von Jahren für die beste Ausbeutung der Bodenproducte eingetreten. Der deutsche Consul, Herr Adolf Pries, ein geborener Rostocker, zeigte mir seine Lager, die am Strande, in einem Eukalyptus-Walde sich befinden. Da liegen die Kelterräume , in die während der Lese aus der nahen Landschaft, etwa 30 bis 35 Tage hindurch, täglich 1000 Centner Trauben geliefert werden. Die edelsten kommen aus den Bergen der großen Grundbesitzer, die den Weinbau auf ihren Gebieten in neuester Zeit sehr gehoben haben und sich eine genaue Sortirung der Trauben angelegen sein lassen. Da wächst der echte Malaga, jener köstlich süße, aromatische Feuersaft, der kaum einen ebenbürtigen Genossen findet unter allen Weinen der Welt.

Eisenbahn durch die Sierra Nevada.
nach einer photographischen Aufnahme.

Junge Andalusierinnen treten die Beeren mit den Füßen aus; im Nebenraume fertigen Böttcher die Fässer aus amerikanischem Holze. Das eigene Laud ist zu waldarm, tief im Inneren füllt man den Wein wie im Orient in Häute von Ziegen, Schafen, Kälbern, weil es an Fässern vollständig mangelt. Die Berge um Malaga liefern nicht nur den Wein, der diesen Namen trägt, dort wächst auch der gezehrte, trockene Xeres , ein zuckersüßer Muscat, und der Pedro Ximenes, den man aus halbgetrockneten, rosinenartigen Beeren keltert und an jene Industrien verkauft, die daraus süßen Ungarwein machen. Das Land ist bis hoch hinauf mit Oelwäldern bedeckt, und da jeder Baum in guten Jahren bis fünfundsechszig Liter Oel liefert, so mag man daraus die Fülle der andalusischen Oelernten ungefähr ermessen. Das Oel voll ganz Andalusien strömt hinab nach Malaga, um von hier verschifft zu werden. Orangen und Feigen, frische Trauben und Rosinen werden aus diesen Lagerräumen auf die Frachtschiffe verladen.

Ein Ausflug in die Umgegend von Malaga verändert wieder das Bild. Im niederen Grunde, der reichlich mit Wasser getränkt werden kann, hat das Zuckerrohr alle anderen Früchte verdrängt. Durch unübersehbare Rohrfelder führt uns der leichte Wagen des deutschen Gastfreundes. Die dicken Halme, gefüllt mit süßem Safte, bilden ganze Wälder. Einzelne standen noch aufrecht, anderswo hatte man sie bereits geschnitten, tiefer im Grunde trieben schon neue Schößlinge aus der alten Wurzel hervor. Jedoch nicht nur die landwirtschaftliche Ausnutzung des Bodens bewundern wir in der Gartenflur der Golflandschaft von Malaga. Hier zuerst sehen wir auch Landhäuser rings an den Abhängen der Berge, schmucke weiße Häuser mit Balconen, offenen Hallen, Lusthainen, Springbrunnen, Gärten.

Fast jeder Kaufmann der Handelsstadt besitzt so eine Sommerfrische. Dorthin zieht er im April, erfreut sich an dem üppigen Grünen und Blühen von Pflanzengebilden, die wir in Europa sollst kaum mehr in freier Erde finden, am Kaffeestrauch und Indigobaum, an Kampher, Bananen, Bambusgebüsch, an Cacao, Cederstämmen, chinesischen Nelken, Sensitiven aus Brasilien. Das haben Seefahrer einst mitgebracht, das gedeiht hier wie in der Heimath. Die Meerluft sendet erfrischenden Hauch in diese Ansiedelungen, helles kühles Gebirgswasser quillt überall reichlich hervor. Im Juli aber beginnt die Hitze unerträglich zu werden. [757] Dann flüchtet der Besitzer zur Stadt zurück, hinter die dicken Mauern der alten Araberpaläste, in denen der moderne Kaufherr sich wohnlich eingerichtet hat. Dann spenden kaum noch die täglich genommenen Seebäder augenblickliche Erquickung.

Das Reisen ist nicht leicht im südlichen Spanien. Ein Maulthierritt, ein tüchtiger Marsch in die pfadlosen Berge ließe sich schon ertragen. Es fehlt da droben aber fast gänzlich an gastlichen Stätten, an Unterkommen und Beköstigung. Der Spanier ißt schon in dem tiefen Culturlande fast gar kein Fleisch, er zieht Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst und Süßigkeiten aller thierischen Nahrung vor. Oben in den öden, wenig bewohnten Landschaften kennt man Fleischgerichte kaum. Auch streifen dort in Massen Schmugglerbanden durch die Gebigswildniß. Bewaffnete Trupps ziehen von Gibraltar oder von einsamen Küstenplätzen hinauf, schleppen Waaren in die kleinen Nester und sind bei ihrem gefährlichen Handwerk ziemlich verwegen geworden. Nicht Straßenräuber von Beruf, lassen sie doch oft die Gelegenheit nicht unbenutzt, eine Börse zu leeren, einen fetten Fang zu thun.

Cordova.
Originalzeichnung von R. Püttner.

Das verleidet Manchem die Streifzüge in jene unwegsamen Felsenbezirke, die, von jähen Schluchten zerrissen, erst in dem Vorgebirge von Gibraltar ihren Abschluß finden. Da thut denn die Eisenbahn gute Dienste. Von Malaga aus dringt sie hinauf in die Berge, die der Guadalhorce, der kleine den Golf bewässernde Fluß, durchreißt. Es gehört diese Strecke zu den gewaltigsten Bahnbauten Europas. An malerischen Reizen, an wilder Hochgebirgsromantik ist sie allen Alpenbahnen, die ich kenne, überlegen. Erst fahren wir durch anmuthiges reich bebautes Vorland, durch Zuckerplantagen, Orangenhaine, blühende Gefilde. Plötzlich verrammelt eine senkrechte, grauflimmernde Felswand den Weg. In schmaler Rinne, in engem Spalt bricht der Fluß durch dieselbe. In diesem Spalt klettert die Eisenbahn hinauf. Aber Riffe, Nadeln, vereinzelte Klippen folgen. Unten in düsterem Schlunde brüllt der schäumende Fluß. Wir sehen ihn kaum, wir hören ihn nur. Wegträger von schlankem Eisengerippe spinnen sich von einer Nadel zur anderen, Brücken schweben über den Steinbrüchen, in die Wände der Felsspalte hat man den Schienenweg eingeschrammt, er schwebt fast immer über der Tiefe (vergl. die Illustration auf S. 756).

Bricht die Straße einmal durch den Stein, um breiteren Boden zu gewinnen, so sehen wir wohl eine alte Maurenfeste von der Felsnadel aus die Umgebung und den alten Saumpfad beherrschen, sehen den Guadalhorce in hastigen Sprüngen von der oberen Bergstufe hinab in die Tiefe setzen, wo sein Wasser in stäubendem Gischt zerschellt. Aller Pflanzenwuchs hat hier aufgehört. Nur die Zwergpalme kriecht in niedrigem Fächergebüsch den kahlen Stein hinan, mit ihrer Wurzel den Felsen bröckelnd. Erst wenn der Blick wieder freier wird, tritt der geschäftige Pionier der südlichen Pflanzenwelt, die Cactus Opuntia hinzu, die ihre Wurzeln tief in den Steingrund treibt, dem Wasser den Weg öffnet, die Verwitterung beschleunigt. Nach kaum zweistündiger Fahrt ist die Höhe erklommen, eine völlig andere Welt umgiebt uns.

Es ist kühler, nordischer, ernster geworden. Der paradiesische Pflanzenwuchs hört auf. Die Palme, das Zuckerrohr, die Orange bleiben unten zurück, nur der Oelbaum und der Weinstock, die Granate und die Feige folgen uns auf die kältere Hochebene. An geschützten Stellen, in wohlgelegenen Gärten pflanzt man allenfalls noch den Orangenbaum; die Citrone braucht wärmere Luft. Nach Osten hin öffnet sich ein langes muldenförmiges Hochthal, flach von Hügelzügen auf beiden Seiten begrenzt, durchströmt von einem klaren Gebirgsflusse, der munter von Stufe zu Stufe niederspringt.

Hinten wird dieses Thal abgeschlossen von einem mit glänzendem Schnee bedeckten Gebirgsstock. Das ist das Thal des Genil, ist die Sierra de Nevada, aus der schon die Araber kostbaren Marmor, dunklen Jaspis, schimmernden Alabaster gebrochen haben; zu ihren Füßen liegt Granada. Hier zunächst entfaltet die südspanische Gebirgslandschaft die anmuthsvolle Seite ihres Charakters. Die schroffen Gegensätze sind gemildert. Die seitlichen Berge sind bis hoch hinauf mit Olivenhainen bedeckt, in dem Hochthal reift die Traube, da wächst der Maulbeerbaum, da spendet der Boden köstliches Obst, feine Gemüse, Getreide, Baumwolle, Flachs. Die Berge haben ihre Starrheit, der Thalgarten hat seinen Tropencharakter gemildert, das macht das Landschaftsbild harmonischer, lieblicher. Den Arabern hat auch die Vega von Granada ihre hohe Cultur zu danken.

Der Genil ist von ihnen durch diese Fluren geleitet worden, um jeden Bezirk zu ernähren und zu erfrischen. Auf der Höhe [758] der Alhambra erhebt sich, zu äußerst an den Rand des Burgfelsens vorgeschoben, ein alter maurischer Thurm. Er ist der Genosse des Migualete von Valencia. Seine Glocken verkünden das Oeffnen und Schließen der Wehre, die Vertheilung des Wassers auf die einzelnen Gründe. Nur einmal im Jahre dient der Vegathurm anderem Zwecke. An dem Gedächtnißtage der Eroberung Granadas durch die Christen, am 2. Januar, läuten die Glocken den ganzen Tag zum Andenken jenes Sieges der kriegerischen Isabella. Der Glöckner hat damit keine Mühe. Die jungen Andalusierinnen drängen sich herzu, denn der Glaube gilt, daß diejenige, die am lautesten die eherne Zunge erschallen läßt, im Laufe des Jahres den besten Mann bekomme.

Das Innere des Doms von Cordova.
Nach einer photographischen Aufnahme.

Die südspanische Landschaft haben wir in ihren Hauptrichtungen überblickt. Nach Sevilla und Cadiz zu wird sie eben, einförmig. Da strömt der breite Guadalquivir durch feuchte Wiesengründe, auf denen der Kampfstier in Wildheit aufwächst, da folgen die Ausläufer der Sierra Morena von ferne seinen Ufern. – Cordova liegt zwischen dem Flusse und dem Gebirge auf der Grenze von Andalusien. Eine über 200 Meter lange Brücke, ein Prachtbau der Mauren aus dem achten Jahrhundert, führt nach der Vorstadt Campo de la Verdas, wo sich ein wohl erhaltenes maurisches Castell erhebt. Die großartigste Sehenswürdigkeit der Stadt aber ist der berühmte Dom, eine maurische Moschee, und noch jetzt mit Vorliebe „La Mezquita“ genannt. 1100 (früher sogar 1200) schlanke Säulen von Marmor, Jaspis, Porphyr tragen die wunderbar schöne, aus achteckigen und runden, kunstvoll mit einander verbundenen Kuppeln bestehende Decke; 30 Säulenhallen laufen von Osten nach Westen und 16 von Norden nach Süden. Leider ist in diesem großartigen, überwältigend ernsten und schönen Raume nach spanischer Sitte ein Chor in die Mitte gebaut, was die Einheit des Ganzen wesentlich stört. Hier zum letzten Male sehen wir eine alte arabische Stadt, umgeben von einem Thalgarten, beschirmt von den Wänden des nahen Gebirges. Führt die Bahn uns hinauf über die Wände, so breitet die einförmige, traurige castilische Hochebene sich aus, eine traurige Culturwüste, in der es keine Oasen mehr giebt.