Bilder vom Nil
I. Ein Blick in und auf Kairo.
Es gibt einen Ort in Egypten, welcher heute noch alle Wunder dieses Wunderlandes in sich vereinigt und von Hundert und andern Hunderten der Abendländer aufgesucht wird, um innerhalb seiner Mauern Märchen und Traumbilder mit leiblichen Augen schauen zu können: dieser Ort ist Kairo. Keine einzige Stadt von allen, welche ich kenne, hat ihren alten Ruhm, ihre alte Dichtung, ich möchte sagen ihr märchenhaftes Sein in gleicher Weise bewahrt, als Khahira, „die Siegende“, Maheruhset, „die von Allah Beschützte“. Sie ist heute noch eine siegende Stadt und hat wohl Recht, siegesstolz zu sein; denn sie besiegt jeden, auch den trockensten Menschen, mit ihrem unendlichen Reiz, mit ihrem Leben, ihrem Sagenklang und Märchenduft. Kairo wird Jedem gerecht, bietet Jedem eine Gabe; darum läßt es auch bei Jedem eine Erinnerung in der Seele zurück, welche nach kurzer Frist den Geist fast allein zu beschäftigen weiß und mahnt und mahnt, doch noch einmal von dem Nektarbecher zu schlürfen, dessen Duft noch im Nachwirken berauscht.
„Man kann von Khahira ohne Uebertreibung sagen, daß es wenige andere Orte in der Welt mit so viel Zauber und Sinnbestrickung geben kann. Für den Abendländer hat das Leben in ihren Mauern einen niemals endenden Reiz. Nirgends in der Fremde kann er sich so wohl, nirgends sich so von allen beengenden Verhältnissen befreit fühlen, als hier.
Khahira wirkt durch ihre Umgebungen, wie durch ihre Bauart, durch Natur und Kunst zugleich, durch ihr Klima, ihre Luft, ihre gefällige, natürliche Lebensart, ihren tausendfältigen Wechsel, ihr Volk und dessen [?]Sprache, und endlich durch ihre Erinnerungen von der Sündfluth an bis zu dem laufenden Jahr, durch die magnetische Anziehung, welche von all’ den Wunderstätten, von den Pyramiden, von Heliopolis, den Chalifengräbern und der Stadt der Todten, der sie überthürmenden und beherrschenden Veste, dem Nil und seinen immergrünen Gärten, auf die Seele ausströmt.“
Kairo kann die Heimath vergessen lassen; denn es webt fort und fort seine Banden und Fesseln um Den, welcher in ihm verweilt; und darin besteht eben der Zauber, daß er es nicht einmal weiß, wie fest er in ihnen liegt. Es geht die Rede: „Unter Palmen wandelt Keiner ungestraft!“ – sie mag wohl
[69][70] auf Kairo bezogen werden; denn Keiner von Allen, welche in Kairo waren, vermag es, eine unaussprechliche Sehnsucht zu beschwichtigen, welche ihn immer und immer wieder nach jenen Palmen zieht. Mag ihm auch früher die traute, frische Heimath im rosigen Lichte erschienen sein: wenn er in ihr Kairo’s und seiner Palmen gedenkt, will ihm die Sonne der Heimath kalt, und sie selbst farblos dünken. Deshalb weiß ich es auch nicht, ob ich Jemand rathen darf, den Wanderstab zu nehmen, um nach Kairo zu ziehen: ich weiß es ja aus Erfahrung, daß er zu den goldenen Bildern der Erinnerung jene Sehnsucht gleichsam als Strafe mit sich bringt, eine kurze Zeit unter Palmen gewandelt zu haben.
Kairo ist nicht wie andere Städte, welche man mit flüchtigen Worten beschreiben kann; denn Kairo kann überhaupt nicht beschrieben werden; es muß sich selbst beschreiben Demjenigen, welcher Wochen, Monate, Jahre lang in ihm lebt und immer sich bestrebt, mehr und mehr mit ihm Eins zu werden. Dem Fremden bleibt Kairo ewig fremd, eben weil es eine Stadt der Wunder ist; erst dem Eingewohnten wird es verständlicher, – vollkommen vertraut aber nie. Denn jeder neue Tag in seinen Mauern bringt neue Wunder mit sich: der Tag von gestern ist nicht der von heute. Ich darf mich freuen, viele Monate in der Maheruhset gelebt zu haben, nicht aber rühmen, sie zu kennen. Dazu gehört ein in Kairo Geborenwerden, mit ihm Verwachsensein, und ein arabischer Geist, welcher jeden märchenhaften Eindruck zum vollen Märchen mit allem seinem Glanz und Schimmer weiterspinnt. Deshalb füllt der aus Kairo stammende Märchenerzähler die farbenprächtigen Gebilde seiner Einbildungskraft so oft mit schlichten Beschreibungen Kairos aus; er weiß es oder fühlt es unbewußt, daß seine Vaterstadt an und für sich selbst eine Wundersage auf Erden ist. Wenn nun ich versuche, Einiges über Kairo mitzutheilen, so kann das offenbar nichts nur halbwegs Vollständiges sein. Das, was ich mit Worten auszudrücken bestrebt sein werde, sind verschiedene, bunt an einander gereihte Bilder, wie sie gerade in meiner Erinnerung aufdämmern; ihnen fehlt aller Glanz, alle Farbenfrische der Wirklichkeit: – wer auch könnte diese ihnen wieder geben! Ich kann nur kurze, flüchtige Blicke auf Etwas thun lassen, an welchem das Auge immer und immer haften möchte.
Kairo liegt zwischen dem Nil und der Wüste, von seinen drei ziemlich weit von ihm entfernten Vorstädten, Bulakh, Altkairo und Djiseh, umgeben, der Stelle, auf welcher das alte Memphis lag, gegenüber. Der Barmherzigkeit eines Kriegers verdankt es seinen Ursprung. Amru, Emir und Feldherr des Chalifen Omahr, hatte sein Zelt in der Gegend des heutigen Altkairo oder Fostat aufgeschlagen, und konnte es bei seinem Aufbruche nicht wegnehmen lassen, weil eine Turteltaube ihr Nest in ihm angelegt und gerade noch nackte Junge hatte. Das Zelt blieb also stehen und wurde von den Zurückbleibenden seines Heeres in Besitz genommen; andere Zelte und Hütten entstanden neben ihm, und allgemach bildete sich eine Stadt an jener Stelle. Sie wurde von der erst dreihundert Jahre später gegründeten Massr el khahira bald überflügelt, und diese bei fernerem Wachsthum nach und nach mit allen ihren schmückenden Namen belegt. Der Araber nennt sie mit Stolz die siegreiche, von Gott beschirmte, begnadete und geliebte Hauptstadt, die Mutter der Welt; ihre Söhne jauchzen auf, wenn sie dort ihrer gedenken, und jubeln, wenn ihnen das Geschick verstatten will, zu ihren Thoren zurückzukehren.
Vom Nile aus sieht man nicht viel von der gewaltigen, mehr als eine halbe Quadratmeile bedeckenden, hundertfach überthürmten Stadt; nur die höchst gelegene Moschee auf der Festung zeigt dem Auge ihre himmelanstrebenden, säulenartigen Minarets und die von ihnen umstandenen Kuppeln, deren äußere Hülle ein von dem arabischen Geiste gepflückter und von der arabischen Hand gebundener Blüthenstrauß und deren Inneres ein Abbild des Himmels ist, mit goldener Schrift und erhabenen Zeichen, welche letzteren dem Gläubigen Lehre geben, wie sein freudenreicher Himmel zu erschließen sei. Diese im Licht des Südens gleichsam aufjauchzenden Bauwerke sind für den Ankommenden Werksteine und Wahrzeichen der Pracht, welche sich ihm offenbaren will, wenn er das innere Stadtthor durchschritten haben wird.
Kairo bietet einen Blumenstrauß in Stein aus der Ferne und einen zweiten Willkommensgruß aus Blumenmunde beim Eintritte. Denn der erste Platz, zu dem man gelangt, ist ein prächtiger Garten voll Duft und Farbe, die Esbekie. Er ist ein wunderherrlicher Spaziergang der Söhne und Töchter der Begnadigten, lieblich bei Tage, lieblicher noch bei Nacht. Der Ankömmling durcheilt ihn gewöhnlich mit stürmischer Hast, weil die Luft, die er einathmet, ihm die Dichtung in der Seele erleben läßt, und er es kaum erwarten kann, sich in das Reich der tausend märchenhaften Geheimnisse und geheimnißvollen Märchen zu stürzen; auch ich werde jetzt dasselbe thun, verspreche aber gewiß zu ihm zurückzukehren: denn ich gedenke eben einer jener auf der Esbekie verlebten Vollmondsnächte, deren Schimmer mir nicht erblichen ist, sondern fast noch strahlenderen Glanz gewonnen hat, einer jener Nächte, in welcher die wunderbare Zauberei der alten Märchenstadt gleichsam handgreiflich vor Augen tritt und die ganze Seele umstrickt.
Jedoch bedarf Kairo der Nacht gar nicht zu solcher Umstrickung; es zieht seinen Zauberkreis auch bei Tage um Herz und Sinn. Man muß nur einen Ritt zu Esel durch seinen Muhski und verschiedene Basare nach dem befestigten Schlosse des Vicekönigs machen, um davon die innigste Ueberzeugung zu gewinnen. Mir ist der erste Ausritt in Kairo noch lebhaft gegenwärtig. Ich war in einer andern Welt, ich kam mir vor, wie Einer, der von dem betäubenden Haschisch genossen und nun im trunkenen Traume wirre, bunte, fremde Bilder sieht; ich wußte nicht, ob ich meiner Sinne noch mächtig war. Erst viel später gelang es mir, die einzelnen Bilder zu sondern, zu prüfen und in der Seele nachzuzeichnen. Solch ein Gewimmel, wie ich hier sah, solch ein Gesumme, wie es in meine Ohren tönte, solch ein Gewoge, wie es mich umfloß, war mir auch nicht einmal im Traume vorgekommen. Licht, Sonne, Wärme, Himmel, Menschen und Thiere, Minarets und Kuppeln, Moschee und Haus, Palmenhäupter, welche dazwischen Grüße herabnicken, wunderbare Bogenthore mit köstlichem Spitzengewebe in Stein und Gyps, im frischem Schatten stehende Brunnen mit malerischen Gruppen Derer, welche sie umlagern, unnachahmlich geschnitzte Erkergitter, welche weit mehr verrathen, als sie zeigen wollen, und hunderterlei andere Dinge noch, für welche ich gar keine Namen habe, geben die Farben und Striche zu dem Wunderbilde, welches sich vor mir entrollte.
„Khahira ist die bunteste, keckste Mosaik und Musterkarte aller Völker, Lebensarten und Zeiten, ein riesenhaftes Museum, von allen möglichen und unmöglichen Gestalten, Formen, Bruchstücken und Vollgemälden der Bildung, der Sitte, der Künste, der Wissenschaften, des Glaubens, der Gläubigkeit und Ungläubigkeit, des Paradieses und der Wüste. Drei Erdtheile berühren sich hier mit ihren Stirnen und senden ihre Bewohner, ihre Reisenden, Gelehrten, Künstler, Abenteurer, Kaufleute, Vergnügten und Mißvergnügten hierher zu einem großartigen, wunderbaren Stelldichein.“
Ein ewig neu sich bildender und verschlingender Knäuel von seltsamen, bunten Gestalten füllt alle Straßen, welche selbst wiederum wahren Mißbrauch treiben mit Licht und Schatten, Helle und Dunkel, Stein und Holz, Fülle und Reichthum, Einfachheit und Armuth, gewesener, gegenwärtiger und werdender Pracht. Paläste wechseln mit Hütten, Neubauten mit in Schutt zerfallenen Häusern, einfache Lehmwände mit Mauern und Thoren, an denen eine überschwängliche Bildungsfähigkeit des Geistes alle ihre Erzeugnisse, Bildungen, Schöpfungen verschwendet zu haben scheint; die freien Plätze sind von düsteren Waarenhallen und lichtvollen Moscheen eingerahmt, deren Kuppeln wie wunderbare Kronen der Wunderstadt, deren schlanke, drei vielfach gegürtete Thürme wie ungeheuere Leuchter erscheinen, von denen neues Licht zu dem schon vorhandenen, hundertfach verschiedenen ausströmen kann, und zu Zeiten auch wirklich ausströmt. Einige Straßen sind breit und gerade, andere eng und krumm. Von den breiten sind mehrere oben mit Matten, Tüchern oder Bretern überdeckt, und diese Decke läßt nur hier und da blendende Lichtstrahlen herabfallen, welche jedoch selten bis auf den Boden gelangen. Dort herrscht ein heimliches Halbdunkel, zu welchem die oben einfallenden Lichter eine wunderliche Malerei in unbeschreiblichen Farbentönen liefern. In den engeren Straßen und Gäßchen ist jene Bedeckung unnöthig. Die Häuser springen hier mit jedem Stockwerke weiter vor und treten schon in der Mitte ihrer Höhe so nah zusammen, daß man von dem Erker des einen aus mit der Hand nach den, Erker des gegenüberstehenden langen kann. Unten ist die Straße eben so breit, daß ein beladenes Kameel durchgehen kann, oben blaut nur ein schmaler Streifen Himmel herein. Im Mittelpunkte der Stadt gewinnen die Gäßchen noch ein ganz anderes Ansehen durch die Kaufläden, welche sich hier ununterbrochen an einander reihen.
[71] Und weiter und weiter führt uns der schaukelnde Trab unseres Reitthieres: Moscheen und Brunnen, Basare und Kaufhallen, Kaufhäuser und Bäder, wunderbare Erkergitter und unbeschreibbare Bogenthore erscheinen und verschwinden uns. Die Vertreter von allerlei Volk ziehen an uns vorüber, wie Traumgestalten. Helle wechselt mit Dunkel, Schatten mit sonnigem Licht. Es ist unmöglich, Alles zu betrachten, alle Schönheiten herauszufinden, alle Wunder zu entdecken; denn die Fülle von Dem, was das Auge fesselt, ist gar zu groß. Da öffnet sich endlich der Blick; die Straße hat uns auf den Platz el Rumelie geführt, welcher von malerischen, zum Theil halbzerfallenen Prachtgebäuden umgeben und stets von nicht minder anziehenden Menschengruppen belagert ist. Von hier aus führt eine breite, festgestampfte Straße in Bogen zu dem Thore der Veste hinan.
Innerhalb der Mauern dieser Veste „durchirrt der Fremdling mit beängstigtem Herzen und zögerndem Fuße Ruinen und Neubauten, Schutthaufen und Prachtpaläste; hier sieht er Felsenbrunnen, die bis zum Nilspiegel herabreichen, und Minarets, welche sich in den Wolken zu verlieren scheinen und wie ungeheuere Leuchter um das Heiligthum der Kuppel gestellt sind“; hier glaubt er den Klagelaut umgebrachter Frauen und das Wuthröcheln meuchlings gemordeter Männer und selbst in den Tönen des Soht noch geisterhafte Klänge zu hören.
Aber nicht die Veste soll unsere Seele gefangen nehmen und fesseln, in die Ferne soll sie schweifen auf golden und silbern schimmernden Wegen. Treten wir auf einen der Strebepfeiler über die Festungsmauer hinaus, und schauen wir auf das sich unten ausbreitende Gemälde, bis die Seele trunken geworden ist und Gedichte uns im Herzen keimen, zu denen wir nur weder die Worte noch die Reimesblüthen finden können.
Gerade unter uns, vor uns und neben uns breitet sich die Stadt mit ihren vierhundert Moscheen und wohl sechshundert schlanken, zwei- oder mehrfach gegürteten Thürmen, eine wirre, gestaltenreiche Häusermasse, lebendig, tausendfarbig im Lichte der Nachmittagssonne erscheinend, von ihren Vorstädten umlagert, wie eine gütige Mutter von lieblichen Kindern. Ein grüner Saum von Palmenkronen schließt sie ein; hier und da tritt auch ein frischer Palmenhain in das wirre Häusermeer selbst herein. Dann folgt ein weites, in der Fülle des wasserreichen Südens schwelgendes Land, auf welchem das Grün alle nur denkbaren Schattirungen zu einem Wunderteppich zusammengewebt hat, von welchem sich Häuser und Mauern, wüste Plätze und silberne Wasseradern wie eingestickte Bilder abtrennen. „Im Südwesten nun führt die Wasserleitung des Nils Fluthen in das Land; und majestätisch treibt der geheimnißvolle, zur Gottheit erhobene Strom seine Wogen der Insel Rodah entgegen, welche wie ein grünes Bollwerk und Wehr oder wie eine schwimmende Opfergabe von Blumen und Früchten der alten Khahira entgegenduftet. Dem paradiesischen Eilande schließen sich die Pflanzungen Ibrahim-Pascha’s in Fostat an: aber in dem ungeheuren Prachtbilde erscheinen diese grünen Massen nur wie ein Smaragd auf dem flüssigen Silber des segenspendenden Stromes, welcher, gleichsam einem unbekannten Nichts entquollen, sich wiederum in’s Nichts zurückwandeln muß. Aber an seinen vorübereilenden, sich ewig bildenden und ewig verschwindenden Wogen stehen als Gegensatz im fortwährenden Strom der Zeiten, die in’s Meer der Ewigkeit münden, die in vollem Sonnenlichte marmorweiß schimmernden Pyramiden massenfest wie der Felsen, auf dem sie fußen.“ Und hinter ihnen dehnt sich nun wieder ohne Ende die Wüste, vor deren verderbendem Flugsande sie das in aller Farbenpracht glühende Mittelbild schützen sollen und schützen.
Da steht man fest im Anschauen und vergißt des Ortes und der Zeit. Stunde auf Stunde entrollt; die Sonne neigt sich zum Schlafengehen. Goldner werden ihre Strahlen, purpurner färbt sich ihr Duft. Neuer Glanz, neue Farben treten zu den alten. Die Stadt kleidet sich in ein wunderbares Festgewand, die Palmen trennen sich schärfer von dem goldenen Grunde. Wie Abendroth leuchtet der Strom, ein Abglanz des Paradieses legt sich auf Fruchtfeld und Wüste. Funkelnde Lichter werden wach, tiefdunkle Schatten heben sie nur um so schärfer hervor. Allgemach senkt sich der Abend auf die Tiefe. Häuser und Kuppeln und Thürme verschleiern sich langsam und leise. Schon berührt der untere Rand der Sonnenscheibe den Wüstensand. Nur die Zinnen des Gebirges und die höchsten Spitzen der Minarets funkeln und glänzen noch im vollen Sonnenlichte; die vergoldeten Halbmonde auf den Thürmen schimmern wie ihr Urbild am Himmel. Tiefer senkt sich die Sonne, mehr und mehr verschwimmt die Ferne. Jetzt ist sie verschwunden, und in demselben Augenblicke ertönt von oben herab der Gesang des Muëddihn. Wie eine Stimme aus der Höhe erklingen die Worte, welche zum Gebet mahnen – auch in dem Herzen des Hörers klingen sie wieder. Mag er beten, in welcher Sprache und in welcher Weise er will, mögen ihm Worte zu Gebeten werden, oder mag ihm das Erschauete wie ein großes goldenes Buch erscheinen, in welchem er Gebete liest, ohne es zu wissen: die Stimmung seiner Seele ist die, welche ein Gebet hervorruft. Und wenn dann der Gesang des Mahners schon lange verklungen, wenn unten der Schimmer der Dämmerung, der Glanz dem Nebel wich, wenn der Strom seine Dünste entsendet, wie Rauch, wenn die Palmen mit dem Hauche der Nacht zu flüstern beginnen, und die Menschenkinder da unten stiller werden und ihren Häusern zuwandeln: da klingt und wogt es noch immer im Herzen wie Musik – und Klang und Farbe verschmelzen in Einem, daß man sie nimmer zu trennen weiß, so groß ist der Einhall. Aber wie in den bewahrenden Porphyr der altegyptischen Tempel der Meisel Bilder eingrub für alle Zeiten und alle Völker, so hat sich die zaubervolle Wunderstadt fest eingegraben im Herzen, und noch nach Jahren klingt dem Beschauer der Name wie eine tonreiche Weise, erscheint ihm das wunderbare Bild klar und fest, wie die Pyramiden, die Sinnbilder des Gedankens: Auch schon hienieden kann und darf es Unwandelbares geben!!
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„Schwarz, doch lieblich ist der Kaffee, wie das Mägdlein, das braune,
Welches bei Tage den Sinn erheitert, bei Nacht aber den Schlaf scheucht,
lieblicher noch ist der Tabak und wahres Bedürfniß dem Manne,
Der mit den Wolken des Rauchs die Wolken der Sorge hinwegbläst.“ –
So singt ein alter, arabischer Dichter von Kaffee und Tabak, den beiden Lebensbedürfnissen der Männer des Morgenlandes. Es liegt ein eigner Sinn in der Bitte des Arabers, welcher einen am Wege sitzenden Raucher mit den Worten angeht: „Ja achui etíni schwëet neffis“ – „Mein Bruder gib mir etwas Seele.“ Jedenfalls ist Das echt arabisch gedacht: denn wie der Kaffee nach arabischen Begriffen das einzige Getränk ist, welches den sterblichen Leib so recht eigentlich erquicken kann, betrachtet man den Tabak, [181] dessen Genuß durch den Rauch gleichsam vergeistigt wird, als die einzige Erfrischung des Geistes. Beide Genüsse stehen außerordentlich hoch in den Augen aller Mahammedaner, und so ist es kein Wunder, daß nicht blos in allen Städten, sondern auch in allen Dörfern sich Räume finden, in denen Leib und Seele erquickt werden können.
Dazu kommt nun noch, daß der Morgenländer die Freuden der Geselligkeit und Häuslichkeit nur in geringem Maße kennt. Sein geselliges Umgehen beschränkt sich blos auf das eine Geschlecht: der Mann ist von der Vereinigung der Frauen ebenso streng ausgeschlossen, als die Frau von einer Versammlung der Männer. Ein männlicher Gast, der in einem Hause einspricht, wird von dem Hausherrn im Diwahn, ein weiblicher von der Herrin des Hauses in, Harehm empfangen, und selten nur weiß der andere Theil, wenn der eine Gatte Besuch empfangen hat, oder scheint es wenigstens nicht wissen zu wollen. Mit dieser sorgsam beachteten Sitte
fällt ein großes Stück des Lebens hinweg, und die Gastfreundschaft, diese dem Mahammedaner so heilige Tugend, gelangt eigentlich gar nicht zur Vollblüthe. Selbst in der Familie ist der Umgang beider Geschlechter auf eine gar geringe Zeit beschränkt; denn Mann und Weib genießen sich nur dann, wenn sich der Eheherr im Harehm befindet.
Wir Abendländer würden uns unter solchen Umständen schadlos zu halten suchen. Wir haben unsere Wirthshäuser, unsere so beliebten Stammkneipen, unsere Bierwirthschaften, Weinstuben und andere derartigen Anstalten und würden eben nicht lange in Zweifel bleiben, wohin wir uns zu wenden haben, um uns zu erholen, oder mit andern Worten ein Stückchen Zeit todtzuschlagen. Der Mahammedaner, wenigstens der strenggläubige, hat keine Kneipe und muß sich anderweitig zu entschädigen suchen. Wenn auch Hafis, der Süßmundige, des Wortes der Propheten vergessend, das Weinhaus in seinen Liedern hocherhebt und auf die Narrethei der Kuttenträger weidlich schimpft, weil sie den süßen Saft der Trauben und die Freuden, die er dem Menschen zu bieten weiß, als Teufelswerk betrachten und alle gläubigen Adamssöhne vor diesem, der tiefsten Hölle Entstammten, väterlich warnen; oder wenn Harihri von Bisra mit gleichberedtem Munde des Wirthshauses oder der Schenke Freuden besingt: solche Freigeister gelten als dem Teufel mit Haar und Haut, Leib und Seele Anheimgefallene und sind dem wahren Gläubigen ein Gräuel ohne Gleichen. Uebrigens glaube ich, daß die morgenländischen Dichter nicht einmal Erfahrenes besingen, sondern mehr die Träume ihrer regen Einbildungskraft wiedergeben, wenn sie so frevelhafte Worte niederschreiben, wie Harihri:
„Denn Wein ist der Glättstein
Des Trübsinns, der Wetzstein
Den Stumpfsinns, der Bretstein
Des Sieges im Schach.
Ja, Wein ist der Meister
Der Menschen und Geister,
Der Feige macht dreister,
Und stärket was schwach;
Der Krankes gesund macht,
Hohlwangiges rund macht,
Verborgenes kundmacht,
Und Morgen aus Nacht.“
Man ist auch geneigt, solche Lieder, obgleich man sie als Frevel betrachtet, dem liebenswürdigen Frevler zu verzeihen, und lebt der festen Meinung, daß er vor seinem Ende noch mit gläubiger Seele die Alles sühnende Glaubenswort: „Es gibt nur einen Gott und Mahammed ist sein Prophet!“ mit seinem letzten Seufzer verhaucht und sich dadurch das begründetste Recht erworben haben wird, im Paradies mit den schönsten Huris Becher auf Becher des besten Weins zu leeren.
Der strenge Gläubige meidet alle den Leib berauschende Genüsse; denn „das Gegohrne“ ist ihm verboten. Aber seine Seele darf er tränken lassen und seinen Leib erfrischen mit Dem, was Gesetz und Sitte geheiligt hat; darum geht er mit Lust nach dem einen Orte, welcher dieses erlaubt, wenn er nach des Tages Last und Mühe der süßen Ruhe des Leibes und der Erholung der Seele pflegen will: nach dem Kaffeehause.
[182] Ein arabisches Kaffeehaus ist freilich ein ander Ding, als ein europäisches. Ihm fehlt der äußere Glanz, der unnütze Schmuck, welcher die unsrigen kennzeichnet. Sein Werth liegt tiefer. Selbst in den größten Städten darf man sich unter einem Kaffeehause nur einen höchst einfachen Raum denken, mit dessen Ausschmuck keineswegs Luxus getrieben worden ist. In den besuchtesten Straßen Kairos sieht man es einem Kaffeehanse nur durch die vor demselben stehenden, höchst einfachen, aus Palmenblattstielen zusammengebauten Sitzbänke an, daß es ein Kaffeehaus ist, und das Innere desselben ist nichts mehr und nichts weniger als eine einfache Halle, in deren Ecke der Heerd sich befindet und um welche rings herum breite, selten mit Polstern belegte Steinbänke laufen. Ein Springbrunnen in der Mitte des Hauptraumes, geweißte Wände, geschnitzte Fenster oder gar jene tropfsteinähnlichen Gypsgehänge, die sich zu wunderlichen Kuppeln an der Decke wölben, sind sehr seltne Ausnahmen. Sehr häufig ist das Kaffeehaus eine Hütte, so erbärmlich, so zerfallen, daß man kaum wagt, sie zu betreten; nicht selten ist es weiter nichts, als ein Heerd, um welchen Bänke stehen, unbegrenzt von Wänden oder Mauern und überdacht vom blauen Himmel allein. Aber Dem mag sein, wie ihm wolle: sein Werth beruht nicht auf äußerem Schein, sondern liegt tiefer. Der Morgenländer findet Das im Kaffeehause, was er sucht, nämlich Erholung und Erquickung für Leib und Seele; vor Allem aber findet er wirklichen, unverfälschten Kaffee, der mit dem Schandgebräu, welches uns unter demselben Namen in deutschen Kaffeehäusern vorgesetzt wird, auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit hat. Ich glaube, daß es mancher Leserin, selbst einer solchen, die die Bohnen zu den Tassen gewissenhaft abzählt, lieb sein dürfte, wenn ich hier mit ein paar Worten zu beschreiben versuche, wie wirklicher Kaffee bereitet wird; denn – zu meiner großen Schande sei es gesagt – ich bin durch meine Reisen im Morgenlande ein so großer Barbar geworden, daß ich das deutsche Gebräu noch immer nicht als Kaffee anerkennen kann. Kaffee wird bereitet aus den besten Bohnen, in den vornehmeren Kaffeehäusern aus denen, welche in der Gegend von Mocha gewachsen sind. Niemals werden mehr Bohnen gebrannt, als den Tag über verbraucht werden sollen. Die gebrannten Bohnen werden nicht gemahlen, sondern zu dem feinsten Pulver gestoßen, welches durch die engsten Maschen eines Haarsiebes hindurch gehen kann. Von diesem Pulver rechnet man auf eine unserer Tassen fünf gehäufte Theelöffel! Wenn man nun zu kochen versteht wie ein arabischer Kaffeebereiter, erhält man sicherlich ein gutes Getränk.
Wie aber bereitet der Araber diesen Kaffee? Treten wir ein in ein Kaffeehaus, um Dies zu erfahren. Am Heerde steht der Wirth, jedes Winkes seiner Gäste gewärtig. Große, blankgeputzte Kupferkannen stehen vor ihm über dem Feuer. In ihnen siedet das Wasser, welches der Mann verwenden will. Auf Bänken und Matten, die über dem Boden gebreitet sind, sitzen und kauern die Gäste, die einen spielen Schach, die andern schwatzen vertraulich; wieder andere vergnügen sich einzig und allein mit dem langen Tschibuk oder schlürfen den geläuterten Rauch der Tschische oder Wasserpfeife, welche oft nur aus einer ausgehöhlten Kokusnuß mit Mundstück und Kopfaufsatz besteht.
„Friede sei mit Euch!“
„Mit Dir sei der Friede des Allbarmherzigen; sei willkommen, Fremder, nimm vorlieb!“
Der Ehrenplatz wird leer, und wir säumen nicht, auch dieses Zeichen der Gastfreundschaft dankbarlichst anzuerkennen.
„Eine Tafle Kaffee!“
„Bei meinem Kopf und bei meinen Augen, Herr, sogleich.“
Und augenblicklich nimmt der Mann von den vielen langgestielten, Kupferkännchen, welche von 1/5 bis zu 2 Tassen unseres Maßes fassen dürften, dasjenige, welches genau so viel Wasser aufnehmen kann, als er zu dem Kaffee nöthig hat, den wir bedürfen, füllt es mit dem bereits kochenden Wasser an und schiebt es in die glühenden Kohlen, ohne den langen Stiel aus seiner Hand zu lassen. Einen Augenblick später siedet das in ihm enthaltene Wasser, und der „Khahwedji“ thut nun die nöthige Anzahl gehäufter Löffel des Pulvers in das Kännchen, rührt das Pulver gehörig um, bringt es wieder auf das Feuer, läßt es noch einmal aufkochen, nimmt die nöthige Anzahl jener kleinen Täßchen, geht auf uns zu, reicht Jedem von uns ein Täßchen und füllt es mit dem schäumenden duftigen Getränke, in welchem das feine Pulver sich gleichsam aufgelöst hat. Der Trank ist bitter, aber so köstlich, wie er nur immer fein kann, und wer einmal in seinem Leben solchen Kaffee getrunken hat, dem widersteht der unsrige für immer. Das kann ich versichern, obgleich ich nicht umhin gekonnt habe, mit saurer Miene schon manche Tasse schlechten Kaffee zu loben.
Auf den Kaffee folgt die Pfeife. Den Tschibuk führt der Morgenländer, oder vielmehr sein Diener, bei sich, die Tschische besitzt der Wirth in hinreichender Anzahl. Er versteht sich auch meisterhaft darauf, den in ihr zu verwendenden Tabak zu reinigen, einzuweichen und die feucht Masse dann in Brand zu setzen, und bringt das Geräth uns eigenhändig, das Mundstück, welches eben an seinen Lippen hing, mit der harmlosesten Miene von der Welt an seiner Hand oder seinem Rockärmel abwischend, um es uns appetitlich zu machen. Das Knattern und „Quallern“ unserer Tschische verstärkt nur die gemüthliche Rauchmusik, welche in dem Kaffeehause herrscht; niemals entwickelt sich ein so unerträglicher Qualm, wie wir ihn in unseren Kaffeehäusern zu ertragen gewöhnt sind: der wohlduftige Rauch, welcher aus dem Kopfe des Tschibuk’s oder der Tschische aufsteigt, schwimmt vielmehr in leichten Wölkchen durch die offenen Fenster in die Straße hinein und würde auch, wenn er das Zimmer erfüllte, nimmermehr zugleich jenen unerträglichen Gestank unserer Cigarren mit sich bringen. Da lernt man sich wohlfühlen in kurzer Zeit und empfindet bald eine Behaglichkeit, welche mit Nichts verglichen werden kann.
Gewöhnlich geht es ziemlich still her im Kaffeehause. Es bilden sich bestimmte Gruppen, und Jeder spricht in der ruhigernsten Weise der Morgenländer, ohne viel Geräusch und Lärm zu verursachen. Zudringliche Hausirer oder arme Bettler treten selten in das Innere ein, um die Gäste zu behelligen, und selbst diese sind ziemlich schweigsam. Allein es gibt schon Zeiten, wo das Kaffeehaus ein anderen Leben gewinnt. Das ist vorzüglich im Fastenmonate Ramadtahn, in welchem der Gläubige die Nacht zum Tage macht, ohne doch den Tag in Nacht umwandeln zu können, wie er es gern thun möchte. Sein Gesetz gebietet ihm, zu fasten, von dem Augenblicke an, wo der erste Rand der Sonnenscheibe über den Gesichtskreis sich erhob, bis zu dem, an welchem der letzte im Sande der westlichen Wüsten versunken ist. Das ist ein schweres Stück Arbeit, und es gehört ein recht gläubiges Gemüth dazu, um die Kasteiung des sterblichen Leichnams nicht allzuschwer zu empfinden! Nun gibt es unter den Mahammedanern, wie unter uns, Strenggläubige, die das starre Wort eben so festhalten, wie unsere Rechtgläubigen: sie versagen sich während des Tages nicht nur das Essen und Trinken, sondern sogar den Genuß des Rauchens; sie halten es für eine Sünde, die Zahnbürste anzuwenden, welche sie sonst immer bei sich führen, oder an einem Halme zu kauen, um hierdurch die Speicheldrüsen zu nöthigen, den vertrockneten Gaumen zu befeuchten.
Wenn sie nun nach der durchschwelgten Nacht, da sie keine geistigen Getränke zu sich nehmen, auch nicht gerade von einem so echt zünftigen, abendländischen Katzenjammer befallen werden, leiden sie doch in ihrer Weise noch mehr als Einer, welcher von jener Plage heimgesucht wird, und sehen auch wirklich so katzenjämmerlich-elend aus, daß den mitfühlenden Menschen – zu welchen ich mich rechne – das Herz in der Brust weh thut. Wenn dann der Abend herannaht, welcher Erlösung bringen soll von der Qual des Tages, da sammelt sich in und vor dem Kaffeehause eine bunte Schaar. Langsam kommen die ehrwürdigen, ihre Gläubigkeit im Gesicht tragenden Gestalten angeschlichen; schwankenden Schrittes bewegen sie sich so schwach und erbärmlich, daß man fürchtet, sie hinfallen zu sehen; mit einem Seufzer lassen sie sich auf eine der Bänke fallen, mit einem Seufzer blicken sie nach oben; seufzend antwortet der Khahwedji, welcher das Feuer zur hellen Gluth anfacht und nur in dem Singen der Kanne über demselben einigen Trost zu schöpfen scheint. Er bereitet Alles vor, für den rechten Augenblick; denn jede Minute ist jetzt kostbar, jede qualvoller, als früher eine Stunde. Aller Augen sind nach dem Minaret gerichtet oder, wenn man dieses nicht sehen kann, nach dem Gesicht Dessen, welcher eine Taschenuhr besitzt.
„Lissa ja achui?“ – „noch nicht, mein Bruder?“ – ist die schüchterne Frage eines nicht so Glücklichen, – „lissa!“ – „noch nicht!“ – die bedauernde Antwort. Endlich scheint ein Freudenstrahl über die Gesichter zu gleiten. „Fatal tekitein ja achuana!“ – „es fehlen noch zwei Minuten!“ „El hamdu lallahi!“ „Gott [183] sei Dank!“ – mit diesem Seufzer erleichtert sich die Brust. Wie bleiern schleicht die Zeit dahin, wie lange währen die zwei Minuten! Nochmals fragt einer: „Lissa?“ und wieder antwortet der Uhrenbesitzer, welcher das kostbare Werkzeug mit kindischer Besitzfreude betrachtet: „Lissa!“ Da mit einem Male ertönt hoch vom Minaret herab: „La il laha Allah, Mahammed rassuhl Allah!“ und von der Feste herab rollt ein Kanonenschuß über die Stadt. Man hört nur das eine Wort: „Allah!“ es sagt Alles; es übertrifft an Inhalt die gelehrtesten Auseinandersetzungen des gelehrtesten Professors; es spricht beredter, als die redseligste alte Jungfrau jemals sprechen kann; es ist ein feuriges Dankgebet, das aus dem tiefsten Herzen stammt, ein rosiger Hoffnungsstrahl, der in die verschmachtete Seele fällt. „Allah!“ Alle haben es gehört, Alle haben es nachgeseufzt, nur nicht der Kaffeewirth, denn er hat keine Zeit dazu. In dem größten Kännchen, welches er besitzt, hat er wohl zwanzig Täßchen Kaffee bereitet. Der flinkeste der Gäste erbietet sich, dieselben auszutheilen, und empfängt dafür die erste Tasse. Und nun eilen Beide, schnellfüßig wie Gazellen, von einem Gaste zum andern, um seinen Leib zu erfrischen; denn die Seele schwelgt bereits im Genusse aller möglichen Arten von Pfeifen, welche schon vor dem Kanonenschuß gestopft und angebrannt wurden. Manche greifen zuerst nach dem neben Jedem stehenden Wasserkruge; bei weitem die Mehrzahl aber bemeistert sich und wartet lechzenden Mundes auf die Tasse Kaffee. Diese und noch eine wird getrunken und wieder eine, und freudig blitzen die Augen, kräftig erhebt sich die Brust, federnder wird der Schritt, lebendiger jede Bewegung. Dann geht man zunächst nach Hause, um ordentlich zu essen; bald aber kommt man wieder, und das Kaffeehaus füllt sich bis auf den letzten Platz. Von dem schlanken Thurme herab flimmern und blitzen die Gürtel der brennenden Lampen; in den Straßen leuchten die buntfarbigen Laternen; im Kaffeehaus ist es hell und licht, trotz der schlechten Beleuchtung. Alles ist im eifrigen Gespräch, es summt wie in einem Bienenkorbe.
Da, mit einem Male, wird es still. Ein einfacher, schlichter Mann tritt langsam und würdevoll herein, nach allen Seiten hin den Gruß des Friedens spendend, und von allen Seiten ihn verschönt zurückerhaltend. „Khahwēdji, eine Tasse Kaffee!“
„Bei meines Vaters Haupt, sogleich, Du Gesegneter, Du Süßmundiger!“
Und bedächtig schlürft der Ankömmling die Tasse; dann aber beginnt er leise und eindringlich zu sprechen. Doch die Rede steigert sich mehr und mehr; lebhafter werden seine Bewegungen, glühender wird sein Blick, emsig und geschäftig webt er Blüthe auf Blüthe in das wunderbare Mährchennetz, welches er weiter und weiter spinnt. Kein Laut ist hörbar, Alles lauscht regungslos.
„Preist den Propheten, meine Brüder!“
„Wir preisen ihn nach Allah, dem Erhabenen!“
„Seine Gnade sei mit uns für und für!“
„Amen, o du Gesegneter!“
„Meine Brüder! Wißt, man erzählt sich, daß in alten Zeiten in der Begnadigten und Bewahrten, Siegreichen und Siegenden, in Kahira, unserer Mutter und der Mutter der Welt, ein Mann lebte, mit Namen Aali, des Glaubens Leuchte, welchen der Höchste hoch begnadigt hatte auf Erden – – –“
Die tiefste Stille ist eingetreten; die Wolken des Rauchs kräuseln sich sparsamer um die Häupter der Gegenwärtigen; denn das Mährchen hat zu reden begonnen durch seines Hohenpriesters Mund. Und wenn dann dieser selbst vergißt, daß er der Redende ist; wenn er nur noch als Werkzeug des in ihm dichtenden und schaffenden Geistes erscheint; wenn dem Hörenden seine bärtigen Lippen so rosig zu sein dünken, wie die einer Jungfrau; wenn er fort und fort Perlen verstreut, die in der Muschel des Ohres sich zum Geschmeide schnüren; wenn der glühendste Gedanke im schimmernden, überwältigenden Wort zu Tage tritt; wenn jeder der Zuhörer arbeitet und kämpft, um in seiner hochaufklopfenden Brust den Jubelruf der Befriedigung, das Aufjauchzen der berauschten Seele zu unterdrücken: dann schreitet sichtbarlich ein Genius mit goldnen Flügeln und in leuchtendem Gewande durch den einfachen Raum und gibt diesem Leben, Frische, Glanz und Schimmer, wie sie das prächtigste Kaffeehaus der reichsten Stadt der Erde nicht kennt; denn jener Genius, die Dichtung, ist hundertfach lebendig geworden und jubelt auf in Klang und Reim.
Das ist ein morgenländisches Kaffeehaus, und dies der Zauber, mit welchem es den Verstehenden zu bannen weiß. Was thut dabei der Raum?! Er ist vollkommen gleichgültig. Gerade die Kaffeehäuser ohne jeglichen äußeren Schmuck, die aus dem Stegreife erbaueten, wie wir sie nennen möchten, sind oft die alleranziehendsten, weil sie voller Dichtung und Leben sind.