Braut und Gattin

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Autor: A. v. W.
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Titel: Braut und Gattin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14-18, S. 177–180, 189–192, 205–209, 217–220
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[177]
Braut und Gattin.
Von A. v. W.
I.
Das Marienbild.

In dem wild romantischen Thale, das Spaa mit seinen Heilquellen einschließt, stand noch im Jahre 1840, ungefähr eine halbe Stunde von dem Badeorte entfernt, eine kleine, der Jungfrau Maria gewidmete Capelle. Das armselige, aus Holz gebaute Kirchlein lehnte sich an eine schroffe Felswand, aus deren Spalten herab großblätteriges Schlingkraut hing, das verwitterte Dach wie mit einem Mantel bedeckend. Eine Treppe von vier Stufen führte zu dem verrosteten Eisengitter, durch dessen Stäbe man das mit Flittern und bunten Kleidern geschmückte Bild der Gebenedeieten auf einem kleinen Steinaltar erblicken konnte. Man legte dem Gnadenbilde mancherlei Wunderkräfte bei, und deshalb kamen nicht selten fromme Landleute, um durch inbrünstige Gebete Erlösung von irgend einem Uebel zu erflehen.

Ein prachtvoller Juliabend hatte sich auf das Thal herabgesenkt, die scheidende Sonne vergoldete mit glühendem Scheine die felsigen Bergrücken, und die Hitze des Tages nach einer angenehmen, erquickenden Kühle, als eine höchst elegant gekleidete junge Dame die Stufen der Kapelle hinaufstieg, vor dem Gitter niederkniete, die mit zarten Handschuhen bekleideten Hände fromm zusammenlegte, und still zu beten begann. Zwei Minuten später erschien eine zweite Person, die vorübergehen wollte, aber plötzlich stehen blieb, als sie die knieende Dame erblickte. Diese Person war ein junger Mann in Jagdkleidern, ein Jäger, wie ihn die pariser Mode nur erschaffen kann. Ein zierliches Gewehr an grünem Bande hing über seiner Schulter, an der Seite trug er eine elegante Jagdtasche und ein glänzendes Pulverhorn. Eine Art Tyrolerhut und ein krauser, schwarzer Schnurrbart gaben dem schönen gebrannten Gesichte jene interessante Romantik, die man in den Bädern um jene Zeit zur Mode erhoben hatte, vorzüglich in Spaa, wo deutsche, französische und englische Elegants sich den Rang streitig zu machen suchen.

Der Jäger konnte nur das Profil der betenden Dame sehen, aber er mußte sich bewundernd eingestehen, daß sie ein zartes, reizendes Gesicht hatte. Schwarze Locken quollen unter dem leichten italienischen Strohhute auf den weißen Shawl herab, der wie angegossen auf den vollendet schönen Formen des Oberkörpers lag,.

„Eine Dame hier vor dem Bilde?“ flüsterte der Jäger verwundert vor sich hin. „Den Kurgästen scheint sie nicht anzugehören, wenigstens erinnere ich mich nicht, sie in Spaa gesehen zu haben – ich muß wissen, wer das fromme Wesen ist! Ob sie wirklich von dem Glauben an das Bild getrieben wird, von dem man sich erzählt, daß es kranke Herzen und kranke Körper heilt?“

In diesem Augenblicke ließen sich Schritte auf dem von Gebüschen versteckten Fußpfade vernehmen, der zu dem Badeorte führte. Der Jäger trat rasch hinter einen von der Capelle vielleicht zehn Schritte entfernten Strauch, von wo aus er deutlich den ganzen Raum vor dem Kirchlein übersehen konnte, ohne bemerkt zu werden. Kaum hatte er sein Versteck eingenommen, als die Gestalt eines langen, hagern Mannes auf dem Platze erschien, Sein bleiches, bereits durchfurchtes Gesicht verrieth eine freudige Ueberraschung, als er die betende Dame erblickte, und es war nicht zu verkennen, daß er sie hier zu finden gehofft hatte. Leise trat er ihr näher, zog seinen eleganten Filzhut, und sah lächelnd zu der Betenden empor, die das Geräusch seiner Schritte nicht bemerkt zu haben schien, denn ruhig verharrte sie in ihrer Stellung. Nach zehn Minuten erhob sie sich, warf ein Geldstück in die Blechbüchse, die mit eisernen Klammern an der Kapelle befestigt war, und stieg die Stufen der Treppe hinab. Der hagere Mann grüßte, ergriff zwanglos die Hand der Dame und zog sie an seine Lippen.

„Fräulein Amalie, Sie sind ein Engel“ sagte er entzückt, „Sie besitzen alle Eigenschaften, die das Herz eines fühlenden Mannes mit Bewunderung und Ehrfurcht erfüllen.“

Amalie war leicht erschreckt, als sie den Mann im schwarzen Fracke und ehrerbietig den Hut in der Hand tragend erblickt hatte. Ihr zartes Gesicht mit den lebhaften Augen überzog eine feine Röthe.

„Bei Ihnen, Herr von Funcal,“ sagte sie mit einem zauberischen Lächeln, das auf jeder der Lilienwangen ein Grübchen erscheinen ließ, „bei Ihnen darf ich wohl voraussetzen, daß meine einsamen Wallfahrten zu diesem Gnadenbilde nicht bespöttelt werden. und deshalb zürne ich Ihnen nicht, daß Sie mir heute gefolgt sind!“ sagte sie hinzu, indem sie züchtig die Blicke zu Boden senkte.

„Ich bekenne gern, daß mich nicht der Zufall, sondern die Absicht geführt hat, die liebenswürdige Amalie zu sehen. Ich wußte, daß sie sich aus dem Hotel entfernt, daß sie diesen Weg eingeschlagen hatten.“

„Denselben, den Sie Morgens bei Sonnenaufgang wählen, um hier zu beten,“ sagte die junge Dame.

Herr von Funcal setzte seinen Hut auf die Stufe der Steintreppe; dann ergriff er mit beiden Händen die kleine, niedliche Rechte der Dame.

„Amalie,“ sagte er mit bebender Stimme, „wir stehen hier, fern von dem Treiben der vergnügungssüchtigen Badewelt, an einsamer, [178] heiliger Stätte. Ich glaube zu fest an eine allwaltende Vorsehung, als daß ich unser Zusammentreffen in dieser hehren Stunde für ein Werk des Zufalls halten sollte – Amalie, lassen Sie mich Ihnen bekennen, warum ich hier jeden Morgen zu der heiligen Jungfrau bete!“

„Ich errathe es!“ flüsterte sie. „Sie bitten um die vollkommene Kräftigung Ihrer Gesundheit –“

„Dieses Gebet hat die Heilige, die dem Quelle dieses Thales Heilkraft verleiht, bereits erhört, denn ich fühle eine Kraft und ein Wohlsein in mir, daß ich auf ein langes Leben hoffen darf –“

„Nun, mein Herr, um was bitten Sie denn jetzt?“ fragte Amalie leise.

„Darf ich es offen bekennen?“

„Ich weiß nicht, aus welchem Grunde Sie meiner Erlaubniß bedürfen.“

„Nun denn, so will ich Ihnen in Gottes Namen sagen, daß ich die heilige Jungfrau anflehe, sie möge in Ihrem Herzen eine Neigung zu mir erwecken, die mir erlaubt, Ihnen meinen Namen, mein Vermögen und mein ganzes Leben zu Füßen zu legen!“

„Mein Herr! Mein Herr!“ stammelte Amalie in einer reizenden Verwirrung,

„Ach, Amalie,“ rief Herr von Funcal, indem er ihre Hand an sein Herz drückte und einen unbeschreiblich frommen Blick zum Himmel sandte, „ich würde mit rettungslos krankem Gemüthe auf meine Güter zurückkehren, wäre es mir nicht vergönnt, die Hoffnung mit mir zu nehmen, Sie dereinst meine Gattin vor Gott und der Welt zu nennen, und wo fände ich eine würdigere?“ fügte er in frommer Rührung hinzu. „Unsere Herzen sympathisiren in der Hingebung zu Gott und der heiligen Jungfrau – Amalie, es ist nicht zu leugnen, Gott hat uns für einander bestimmt; er hat mich deshalb bisher mit einer an Verachtung grenzenden Gleichgültigkeit gegen das weibliche Geschlecht ausgerüstet, damit ich Ihnen, dem frommen Mädchen, ein reines unbeflecktes Herz zubringen soll. Als ich Sie das erste Mal an der Quelle sah, die nur den Guten Gesundheit giebt, begann die Rinde der Gleichgültigkeit zu schmelzen, und heute ist sie bei dem Strahle Ihres himmlischen Auges völlig verschwunden. Jetzt erkenne ich, was zu meinem Glücke noch fehlt: Amalie, wandeln wir Hand in Hand durch das dornenvolle Leben, beten wir vereint zu Gott, und er wird unsern Pfad mit Rosen schmücken!“

Die junge Dame hatten gesenkten Blicks die begeisterte Rede des frommen Mannes angehört, und es entging dem Lauscher nicht, daß sie auf das wirklich reizende Geschöpf, in dem sich die zarteste Anmuth mit der reinsten Unschuld zu vereinen schien, einen nicht geringen Eindruck hervorgebracht. Eine Dame von Welt, in der sich die Lebenslust noch kräftig regt, würde einen solchen Bewerber, der außerdem noch das Doppelte ihres Alters zählte, mitleidig belächelt haben – Amalie aber schlug züchtig und verschämt die Augen auf, sah gerührt den frommen Liebhaber an, und flüsterte:

„Mein Herr, Ihr bedeutungsvoller Antrag, so hoch er mich auch ehrt, kommt mir so unerwartet, daß ich Ihnen in diesem Augenblicke keine Entscheidung geben kann. Erlauben Sie daher, daß ich mit Gott und meinem Herzen zu Rathe gehe, ich werde mich nicht von Ihnen trennen, ohne das Resultat Ihnen mitgetheilt zu haben. Ich bin eine Waise, meine Aeltern starben früh und hinterließen mir nur ein kleines Vermögen, das ich jetzt zur Kräftigung meiner Gesundheit verwenden muß –“

„Amalie, Sie werden Ihr Vermögen unangetastet lassen! Ich wache über Sie und werde so lange als Ihr Freund für Sie sorgen – –“

„Verzeihung, mein Herr!“ stammelte sie bestürzt.

„O, sie müssen mir gestatten, daß ich die Pflicht des Christen übe!“

Die Ankunft eines Dieners unterbrach das Gespräch. Herr von Funcal bot Amalie den Arm und verschwand mit ihr auf dem Wege nach Spaa. Der Jäger trat aus seinem Verstecke hervor.

„Fritz!“ rief er.

„Gnädiger Herr!“ antwortete der Diener. „Ich warte seit einer halben Stunde bei dem Forsthause.“

„Wo ist der Wagen?“

„Er hält dort auf der Straße.“

Indem der Jäger an den Stufen der Kapelle vorüberging, bemerkte er einen weißen Gegenstand auf der Stufe der Steintreppe, wo die junge Dame gebetet hatte. Er holte ihn – es war ein feines Batisttuch, das ein kleines Damenportefeuille umwunden hielt. Der neugierige Jäger, auf den die unzweifelhafte Besitzerin einen tiefen Eindruck ausgeübt und den Wunsch nach näherer Bekanntschaft angeregt hatte, würde den Fund sofort untersucht haben, wenn ihm die tiefe Dämmerung nicht daran gehindert hätte.

„Ein Anknüpfungspunkt ist gefunden!“ dachte er lächelnd. „Ich bin Fatalist, wie Herr von Funcal - die Vorsehung will, daß ich mit der reizenden, seltsamen Wallfahrerin in nähere Berührung trete.“

Er steckte die beiden Gegenstände in seine Jagdtasche und ließ sich von dem Diener zu dem Wagen führen, der ihn in kurzer Zeit nach seiner Wohnung in Spaa brachte.




II.
Der Spielsaal.

Es war gegen Mitternacht. Das aus elenden Hütten und prachtvollen Hotels zusammengesetzte Spaa erschien wie ausgestorben; ruhig leuchtete der Mond auf die stillen Gassen und leeren Promenaden herab. Die Nacht war schwül und ein fernes Wetterleuchten durchzuckte von Zeit zu Zeit das tiefblaue Firmament, das wie ein sternbesäeter Teppich über dem schmalen Thale hing. Um diese Zeit trat ein Mann aus dem ersten Hotel des Ortes, durchschritt die Straße und eine Seitenallee, und blieb endlich vor einem langen Pavillon stehen, durch dessen mit Jalousien geschlossene Fenster helles Licht blickte. Eine tiefe Stille, wie in der Umgebung, herrschte auch in dem glänzend erleuchteten Gebäude.

Der nächtliche Spaziergänger war Albrecht von Beck, derselbe, den wir als Jäger bei der Marienkapelle erblickt haben. Albrecht war der letzte Sprosse einer edeln ungarischen Familie, das reiche Erbe, das er vor drei Jahren übernommen, sicherte ihm ein freies, unabhängiges Leben, und wir finden ihn jetzt in Spaa, das er aus Neigung zu seinem Sommeraufenthalte gewählt hatte, weil er hier die Zerstreuungen des fashionablen Badelebens zu finden hoffte. Wir enthalten uns, die Vorzüge und Schwächen seines Charakters zu schildern, da sie der Leser aus seinen Handlungen kennen lernen wird. Aber wenn wir jetzt berichten, daß er sich am Eingange des Spielsaales befand, so wolle man nicht etwa glauben, Albrecht folge seiner Neigung zum Spiele; er hatte nur das Hotel verlassen, um sich zu zerstreuen, um seine Gedanken von der reizenden Amalie loszureißen, die auf ihn einen tiefen Eindruck ausgeübt hatte. Die Bewerbung des Herrn von Funcal, der ihr aus frommer, christlicher Nächstenliebe sein Vermögen angeboten, ihr, der nach ihrem eigenen Geständnisse unbemittelten Dame, hatten ihn mit Befürchtungen erfüllt, denen seine schnell erwachte Liebe auch noch die Eifersucht beifügte. Er hielt Herrn von Funcal entweder für einen Narren, für einen Mystiker, oder für einen Gleißner, für einen jener Roué’s, denen keine Maske zu schlecht ist, wenn es sich um die Befriedigung einer Leidenschaft handelt. Und wahrlich, Amalie war wohl im Stande, eine heftige Leidenschaft zu entzünden, sie besaß Jugend, Anmuth und Liebenswürdigkeit genug, um das Prinzip der besten und schlechtesten Handlungen zu sein. Ihr Gebet vor dem Marienbilde war offenbar ein Beweis von ihrem kindlich frommen Gemüthe – sollte Herr von Funcal die Maske der Scheinheiligkeit gewählt haben, um das gute Kind zu bethören? fragte sein Argwohn. Vielleicht! Aber sie ist auch schön genug, um das Herz eines Priesters in seinem Gelübde schwanken zu machen! antwortete die Eifersucht. Wenn nun Amalie selbst eine Abenteuerin wäre? Wenn sie nach dem reichen, frommen Bewerber ihre Angelhaken auswürfe, indem sie die fromme Wallfahrerin spielt? Rechtfertigte das naive Bekenntniß ihrer Armuth diese Annahme nicht? Warum vertröstete sie auf eine entscheidende Antwort? Eine Dame von Takt hätte sich anders benommen. Oder sollte sie wirklich zu dem langen Manne eine Neigung fühlen?

Diese Zweifel, Befürchtungen und Annahmen hatten Albrecht in einen Zustand versetzt, der ihn lebhaft wünschen ließ, daß die Zeit gekommen sein möge, wo er der jungen Dame das Portefeuille überreichen könnte. Er war, trotz der Ermüdung von der Jagd zu aufgeregt, um schlafen zu können. Es gab in der Nacht keine andere Zerstreuung als die, die sich im Spielsaale bot. Albrecht [179] entschloß sich daher, ihn zum ersten Male zu besuchen. Ueber eine schmale Hausflur trat er in ein Vorzimmer, wo ihm ein Diener Hut und Stock abnahm. Dann öffnete er eine Thür, und der junge Mann befand sich in dem Spielsaale. Eine ängstliche Stille, nur von dem Klingen des Geldes, dem Rollen der Kugel und der ausdruckslosen Stimme des Banquiers unterbrochen, herrschte in dem weiten, glänzenden Raume, obgleich er mit vielleicht fünfzig Personen angefüllt war, die sich in Gruppen um zwei Spieltische drängten.

Albrecht trat zu dem Roulet. Die Mehrzahl der Spielenden bestand aus Damen. Er prüfte den bunten Kreis, der gespannt den grünen Tisch umstand, und wer beschreibt sein Erstaunen, als er unter den aufgeregten Gesichtern auch das ruhig lächelnde der reizenden Amalie bemerkte. Sie war ohne Hut, und Albrecht konnte jetzt, bei der hellen Beleuchtung, die wirklich blendende Schönheit in der Nähe betrachten. Die arme Amalie, die er vor einigen Stunden betend vor dem Gnadenbilde gesehen, stand jetzt ruhig lächelnd an dem Spieltische, und dabei lag so viel Ruhe in ihren schwarzen Augen, wenn der Croupier ihre verlorenen Goldstücke einzog, daß man hätte glauben mögen, sie habe an dem Verluste ein kindliches Wohlgefallen.

Der Anblick der spielenden jungen Dame versetzte den Edelmann in ein schmerzliches Entzücken, er vermochte nicht, sein Augen wieder von ihr abzuwenden. Wie rein, wie edel waren ihre jungfräulichen Züge! Und wenn selbst das Spiel zu einer Leidenschaft bei ihr geworden, man hätte nicht glauben können, daß sie auf ihrem Herzen laste, denn ihr ganzes Wesen drückte Anmuth und kindliche Unschuld aus. Eine natürliche Grazie verschönte alle ihre Bewegungen. Die kleine Alabasterhand spielte mit den Goldstücken, als ob sie den Werth derselben nicht kannte. Sie betrachtete mit demselben reizenden Lächeln den Verlust als den Gewinn. Welch eine stolze, von reichen Haaren umflossene Stirn sah der berauschte Albrecht; welch ein herrlicher Blick strahlte aus dem großen dunkeln Auge; wie zart und rosig war ihr Teint! Die Formen des schlanken, eleganten Körpers, eng von einem weißen Mousseline-Oberrocke eingeschlossen, waren bewunderungswürdig. Es lag Alles in diesem himmlischen Wesen, was einen Dichter zur Begeisterung, und einen Frauenhasser zur glühendsten Leidenschaft hinreißen kann. Aber in ihr lag auch das unbekannte Wesen des Weibes, die unter dieser trügerischen Hülle verborgene Seele, die Seele Eva’s, alle Schätze des Bösen und Guten, Anmaßung und Entsagung, kalte Bosheit und warme Liebe!

„Wenn sie mit dem Gelde des Herrn von Funcal spielte!“ dachte Albrecht, und ein kalter Schauer durchrieselte seinen heißen Körper.

Er ging leise durch den Saal, um den langen blassen Mann zu suchen, da ihm die Eifersucht zuflüsterte, er müsse in der Nähe Amaliens sein; aber die Argusblicke des berauschten Albrecht suchten ihn vergebens, Herr von Funcal war nirgends zu sehen. Mit einer Art Beruhigung kehrte der junge Mann zu dem Roulet zurück, und diesmal wies ihm der Zufall einen Platz dicht neben Amalie an. Er zitterte, als unwillkürlich seine Hand den üppigen Arm berührte, der wie rosig durch die weiße Hülle schimmerte. Hätte nicht das Spiel die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden, meist bejahrter Leute, in Anspruch genommen, man würde seine Verfassung auf seinem Gesichte gelesen haben.

Amalie hatte Unglück; ehe zehn Minuten verflossen, war die seidene Börse leer, die vor ihr auf dem Tische lag. Ein einziges Goldstück hielt sie noch zwischen den niedlichen Fingern. Die Kugel rollte; aber die schöne Spielerin, die bisher ohne zu wählen eine Farbe besetzt hatte, hielt diesmal an sich, und Albrecht glaubte in ihrem Gesichte die Unschlüssigkeit zu bemerken, ob sie den letzten Ducaten wagen sollte oder nicht. Die Kugel rollte wieder, mit leise zitternder Hand setzte Amalie auf schwarz, dann beobachtete sie starren Blicks das Rad, die kleine Kugel machte die letzten Sprünge – „roth!“ rief der Banquier, und das Goldstück verschwand in der Hand des Croupiers.

Mit wehmüthigem Lächeln sah Amalie auf die blinkenden Goldstücke, die von Neuem auf der grünen Fläche erschienen, und dabei drückte sie die schlaffe Börse in der niedlichen Hand, Albrecht fühlte das innigste Mitleiden mit dem reizenden Geschöpfe, als er eine Thräne in ihrem Auge erscheinen sah.

„Sie haben Unglück gehabt!“ flüsterte er.

Schmerzlich lächelnd sah sie ihn an und zuckte mit den Achseln, als ob sie sagen wollte:

„Wer kann dafür? Es läßt sich nicht ändern!“

Einige Personen verließen den Saal, und Albrecht, der fürchtete, auch Amalie würde folgen, suchte das angeknüpfte Gespräch fortzusetzen, um sie zu fesseln.

„Das Glück wird Ihnen nicht immer abhold sein!“ sagte er leise. „Man muß der blinden Dame Beharrlichkeit entgegensetzen.“

Amalie sah ihren Nachbar mit einem unbeschreiblichen Blicke an. Dann antwortete sie lächelnd:

„Wollen Sie nicht den Versuch wagen, mein Herr, ob sich diese Regel bewährt?“

„Ich bin nicht disponirt zum Spielen; wenn sie aber statt meiner die Prüfung unternehmen wollen, so biete ich Ihnen meine Börse an. Wir theilen Gewinn und Verlust!“ fügte er hinzu, indem er seine volle Börse auf den Tisch legte.

Ein Freudenstrahl, der aus dem dunkeln Auge blitzte, verklärte das Gesicht der jungen Dame. Es lag in dem Antrage Albrecht’s so wenig Verletzendes, da sie auch den Verlust theilen sollte, daß sie ohne Bedenken antwortete:

„Gut, mein Herr, ich gehe den Pact ein, und gebe der Himmel, daß ich Ihnen Glück bringe!“

Mit einer wahrhaft kindlichen Freude schickte sie sich wieder zum Spielen an. Aber trotz des Scharfsinnes, den Albrecht anwendete, um einen Begriff von ihrem Charakter zu erhalten, vermochte er dennoch nicht zu errathen, ob sie vor Vergnügen oder Beschämung erröthete, als sie die Börse öffnete und die Goldstücke auf den Tisch schüttete; er konnte sich vielmehr einer Anwandlung von Entzücken nicht erwehren, als er seine Börse unter ihren reizenden Händen sah. Mit einer liebenswürdigen Ungezwungenheit machte sie nun die Sätze. Sie gewann. Leuchtend vor Vergnügen schob sie die geliehene Börse bei Seite, und spielte von dem gewonnenen Gelde.

„Verdoppeln Sie!“ flüsterte Albrecht.

„Sie wollen es?“

„Ich bitte darum!“

„Hier sechs Louisd’or!“ sagte sie, und ihre kleine Hand warf die Goldstücke auf roth.

„Schwarz!“ rief der Banquier.

Der Einsatz ging verloren. Amalie hatte anhaltendes Unglück – nach einer Viertelstunde war die Börse leer, und die junge Dame sah ihren Nachbar mit betrübten Mienen an.

„Ich bin Ihre Schuldnerin!“ sagte sie mit bewegter Stimme. „Nennen Sie mir die Summe, die Ihre Börse enthielt.“

„In diesem Augenblicke kann ich sie nicht angeben,“ antwortete Albrecht verlegen; „ich werde aber morgen genau meine Kasse berechnen – –“

Beide traten von dem Spieltische zurück. Albrecht bot ihr seine Begleitung an.

„Ich werde sie annehmen,“ antwortete sie erröthend, „denn Sie müssen wissen, wo Ihre Schuldnerin wohnt.“

„Unter dieser Bedingung würde ich auf das Glück Verzicht leisten –“

„Sie werden mich nie wieder beim Spiele treffen!“ fügte sie, ihn unterbrechend, mit einem Seufzer hinzu.

„Um so mehr Grund, daß ich mich heute so spät als möglich von Ihnen trenne.“

Sie betraten das Vorzimmer. Amalie empfing von dem Diener Hut und Shawl, nahm Albrecht’s Arm an und verließ mit ihm das Spielhaus. Schweigend durchgingen sie die einsamen Alleen. Der junge Mann fühlte, wie der Arm seiner Begleiterin leicht erbebte. Ein Meer von Gedanken wogte in ihm, und er faßte den Beschluß, das Geheimniß der unbekannten Schönen zu ergründen, es möge kosten was es wolle. Vor dem ersten Hause der beginnenden Straße blieb Amalie stehen.

Hôtel à la Couronne!“ sagte sie. „Nr. 10 ist mein Zimmer.“

Nach diesen Worten flog sie die Stufen hinan und zog die Glocke. Die Thür öffnete sich und Amalie verschwand. Zwei Minuten später erhellten sich zwei Fenster des ersten Stocks. Albrecht trat so weit von dem Hotel zurück, daß er beobachten konnte. Noch zehn Minuten bewegten sich die Schatten zweier Frauen in dem Zimmer, dann erlosch das Licht, und Albrecht, das Bild des reizenden Mädchens tief im Herzen tragend, ging nach seiner Wohnung.


[180]
III.
Das Portefeuille.


Nach einer ziemlich schlaflos verbrachten Nacht verließ Albrecht sein Bett. Das Portefeuille Amaliens war der Gegenstand seiner ersten Aufmerksamkeit. Lange hielt er das zierliche Buch mit der feinen Stickerei in seiner Hand, und wäre nicht der Drang nach Aufklärung so mächtig in ihm gewesen, er würde die Indiscretion nicht begangen haben, es zu öffnen. Amalie von Paulowska waren die ersten Worte, die er fand, sie standen mit Gold gestickt auf schwarzem Grunde. Der Name deutete also eine Polin an. Außer einer österreichischen Banknote von hundert Gulden fand er noch eine Karte mit der Aufschrift, Alphons von Funcal. Er hatte nicht mehr erfahren als er schon wußte. Sorgfältiger als sonst machte er heute seine Toilette, und bald befand er sich in der Hauptallee, wo er sie unter der glänzenden Menge von Kurgästen zu finden hoffte. Aber weder Amalie noch Herr von Funcal war zu entdecken. Die Zeit der Morgenpromenade verstrich, die Alleen wurden leer, und Albrecht hatte nichts weiter erlangt als die beunruhigende Vermuthung, daß der fromme Liebhaber in seinen Bewerbungen glücklich gewesen sei. Um zehn Uhr stand er vor dem Hotel à la couronne. Er stieg die Treppe hinan und suchte das Zimmer Nr. 10. Auf sein Klopfen forderte eine Frauenstimme zum Eintreten auf. Der junge Mann öffnete, und – Amalie trat ihm entgegen. Wie bestürzt grüßte sie den Besuch. Albrecht war wie geblendet von der Schönheit der Dame, und verwirrt suchte er durch gewöhnliche Phrasen seinen Besuch zu entschuldigen, ohne des eigentlichen Grundes zu erwähnen.

„Sie finden mich in einer traurigen Verfassung, mein Herr!“ sagte sie mit ihrer weichen, kindlichen Stimme.

„Ist Ihnen ein Unglück begegnet?“ fragte Albrecht, indem er sich auf dem ihm gebotenen Stuhle niederließ.

Amalie nahm auf einem kleinen Sopha ihm gegenüber Platz.

„Ich möchte es in diesem Augenblicke so nennen, und Ihnen gegenüber ein doppeltes Unglück.“

„Wie, mir gegenüber?“

„Nach dem Verluste, den ich diese Nacht gehabt, kann ich leicht in den Verdacht gerathen, als wollte ich einen nichtigen Grund suchen für – –“

Sie stockte und eine tiefe Röthe überflammte ihr Gesicht.

„Einen Grund – wofür?“ fragte Albrecht, der kaum seiner Sinne noch mächtig war.

„Ich muß es Ihnen bekennen, mein Herr,“ sagte sie mit gewaltsamer Fassung, „denn Sie haben Ansprüche an mich, die ich befriedigen muß. Ja, es muß scheinen, als wollte ich einen Grund suchen für meine Zahlungsunfähigkeit!“

„Ist es das?“ fragte Albrecht mit einem schmerzlichen Lächeln. „Wie bedauere ich, mein Fräulein, daß ich als ein ungeduldiger, wohl gar misstrauischer Gläubiger erscheinen und Ihnen einige peinliche Augenblicke bereiten mußte.“

„Wenn auch das nicht,“ flüsterte sie beschämt. „Ich bin Ihnen fremd, Sie sahen mich am Spieltische –“

„Und ich preise den Zufall, der mir dies Glück verschaffte.“

Sie verneigte sich schweigend mit einer bewunderungswürdigen Grazie.

„Sie vindiciren mir durch Ihre Annahme das Recht einer Forderung,“ fuhr Albrecht fort.

„Und was fordern Sie?“

„Daß Sie mir offen mittheilen, was Ihnen den Aufenthalt im Bade trübt. Nur unter dieser Bedingung halte ich es für gestattet, länger zu verweilen; ich würde, wenn Sie mich als einen Gläubiger betrachten, nicht einen Augenblick mehr – –“

Amalie sah ihren Besuch mit treuherzigen Blicken an. Sie befand sich in diesem Augenblicke durch einen Zufall, der nur schönen Frauen widerfährt, in einer Verfassung, die alle ihre Reize in dem hellsten Lichte zeigte. Nicht die einfache, geschmackvolle Toilette, nicht die für eine junge Dame ungewöhnlichen Verhältnisse oder die besondere Schönheit ihrer Körperformen verliehen ihr ein zauberisches Interesse, sondern die Mischung von Treuherzigkeit, Ueberraschung und Verschämtheit, die sich in ihren Blicken und Zügen aussprach.

„Sie wollen es?“ flüsterte sie. „Ich vermisse mein Portefeuille. Nicht wahr,“ fügte sie lächelnd hinzu, „das ist eine so gewöhnliche Ausrede, daß man Anstand nimmt, sich ihrer zu bedienen, selbst wenn man in der That den Verlust erlitten hat. Ich kehrte gestern von einem Spaziergange zurück – mein Portefeuille mit dem Inhalte meiner ganzen Kasse war dahin, mir blieb nichts als meine Börse mit einigen Ducaten. Da giebt mir ein Dämon den Gedanken ein, mit der kleinen Summe mein Glück im Spiele zu versuchen, um so rasch als möglich den Verlust zu ersetzen – jetzt, mein Herr, werden Sie mein Erscheinen an dem grünen Tische zu nehmen wissen.“

Daß sie die Wahrheit gesagt, wußte Niemand besser als Albrecht, der Finder des Portefeuilles. „Was aber bleibt ihr von der kleinen Summe,“ fragte er sich, „wenn sie die Spielschuld, die ich ihr als ein Geschenk nicht anzubieten wage, getilgt hat? Eine Ausgleichung ist nicht zu umgehen, wenn ich ihr den Fund zurückerstatte.“

„Sie haben ein Taschenbuch verloren?“ fragte er.

„Ja, mein Herr!“

„Das trifft sich gut –“

„Wie?“

„Ich habe eins gefunden.“

Amalie zuckte leise zusammen.

„Es trägt den Namen Amalie von Paulowska in Gold auf schwarzem Grunde,“ sagte sie.

„Ich habe es nicht geöffnet, mein Fräulein, da ich fremdes Eigenthum ehre.“

„Es war in ein weißes Tuch geknüpft!“ rief sie rasch aus.

„Hier ist es!“

Albrecht überreichte beide Gegenstände. Sie dankte durch eine graziöse Verneigung. Dann öffnete sie das Taschenbuch und präsentirte ihm die Banknote.

„Meinen Antheil an dem Verluste!“ sagte sie lächelnd.

„Ich bedauere, daß ich ihn nicht annehmen kann!“ „Warum? Warum?“ fragte sie lebhaft.

„Weil es mir unmöglich ist, den Inhalt einer Börse zu ermitteln, den das unglückliche Spiel verschlungen hat – selbst nicht annähernd!“ fügte er hinzu.

„Mein Gott, was ist da zu thun? Ich kann doch nicht Ihre Schuldnerin bleiben –“

„Sie machen mich zu Ihrem Schuldner.“

„Wie wäre das möglich?“ fragte sie erstaunt,

„Indem Sie mir das Taschenbuch als ein Andenken an Spaa und an das kurze Glück unsers Kennenlernens verehren. Ich setze dabei voraus, daß es Ihnen selbst nicht etwa ein theueres Andenken ist.“

„Es ist meine eigene Arbeit – hier ist das Buch!“ Albrecht küßte die schöne Hand der reizenden Geberin und verbarg das Buch in seiner Brusttasche. Nun erzählte er, wo er es gefunden.

„Ich pflege an dem Marienbilde meine Andacht zu verrichten!“ flüsterte sie. „Gestern ward ich gestört, und meine eilige Entfernung trägt die Schuld an dem kleinen Unglücke“,

„Sie verschweigt die Anwesenheit des Herrn von Funcal,“ dachte Albrecht. „Und es ist ja natürlich, da sie nicht verbunden ist, mir ihre Herzensgeheimnisse zu offenbaren.“

[189] Amalie zeigte sich nun in einer so reizenden kindlichen Unbefangenheit, daß sich in Albrecht’s Brust die Leidenschaft für sie mit jeder Minute mehrte, die er in ihrer Nähe zubrachte. Sie schien mit einer übernatürlichen Macht begabt zu sein, die ihn zur Bewunderung und Liebe zwang. Kokett, ohne daß sie es wußte, errang sie einen raschen und sichern Sieg. Ihr Lächeln fesselte, und ihre Blicke berauschten. Ihre harmonische Stimme verlieh den Worten jenen Zauber, der sich in allen ihren Bewegungen aussprach. Wie schmerzlich ward Albrecht berührt, als sie ihm mittheilte, daß sie in einigen Tagen nach Aachen abreisen würde, um ihren Onkel zu erwarten, der um diese Zeit von Wien dort eintreten müsse.

„Ich habe,“ fügte sie hinzu, „den vergangenen Winter bei einer Tante in Brüssel verlebt. Auf den Rath der Aerzte ging ich vier Wochen nach Spaa, um einem Nervenleiden vorzubeugen, dessen Keim ich in mir trage. Und wahrlich, ich muß bekennen, daß die Luft dieses Thales mich wunderbar gestärkt hat, ich werde Spaa nie vergessen.“

Albrecht konnte kein Mißtrauen mehr in Amalie setzen, er hielt nicht nur die Annäherung Funcal’s für sehr natürlich, er würde auch jeden Fehler gerechtfertigt haben, den dieser Engel begangen hätte. Er schlug einen Spaziergang durch die schattige Brunnenallee vor – ihre Bereitwilligkeit dazu schien eine Herablassung zu sein, die ihn mit einem freudigen Stolze erfüllte. Sie rief durch eine Glocke ihre Kammerfrau, mit deren Hülfe sie Hut und Shawl anlegte. Beide machten einen Spaziergang von einer Stunde. Als Albrecht von ihr schied, nahm er die Gewißheit mit sich, daß die Bewerbungen des Herrn von Funcal ohne Erfolg bleiben würden.

Vier Tage verflossen, und immer noch dachte Amalie nicht an die Abreise. Albrecht war selig, denn nach den Erfahrungen, die er in dieser Zeit gemacht, konnte nur er der Grund zu der Verzögerung sein.

„Sie darf nicht allein reisen,“ dachte er; „ich begleite sie nach Aachen. Bin ich nicht Herr meiner selbst?“

Herr von Funcal schien verschwunden zu sein.

Es war am Morgen des fünften Tages, Albrecht schickte sich an, Amalie durch die Promenade zu begleiten, als sein Diener in das Zimmer trat und ihm eine Karte überreichte. Ueberrascht las er den Damen Alphons von Funcal.

„Wer übergab sie?“

„Der lange blasse Herr, nach dem ich seit einigen Tagen vergebens Erkundigungen eingezogen habe. Er bittet um eine Unterredung.“

„Ich bin bereit, ihn zu empfangen.“

Der Diener ging, um Herrn von Funcal eintreten zu lassen. Der blasse Mann trug elegante schwarze Kleider, so daß seine kostbaren Brillanten deutlicher hervortraten. Er grüßte mit kalter Höflichkeit.

„Herr Albrecht von Beck?“ fragte er.

„Er steht dem Herrn von Funcal gegenüber.“

„Und ich hoffe, als ein Mann von Muth und Ehre!“ sagte der blasse Mann, indem er die stechenden Blicke seiner grauen Augen fest auf Albrecht heftete.

Dieser trat verwundert einen Schritt zurück.

„Mein Herr, sollten Sie an dem Letztern zweifeln, so finden Sie mich bereit, das Erstere zu bewähren.“

„Es wird sich bald zeigen, ob ich mich in meiner Erwartung täusche,“ sagte Herr von Funcal mit großer Ruhe und Kaltblütigkeit. „Sie haben sich auf eine geschickte Weise in den Besitz eines Gegenstandes gesetzt, aus dem sich zarte Beziehungen zu einer Dame herleiten lassen, die unter meiner Obhut steht. Ich ersuche Sie, mir das Portefeuille Amaliens von Paulowska zurückzugeben

Und Herr von Funcal begleitete diese Worte mit so furchtbaren Blicken, als ob er den vor Zorn bebenden Albrecht durchbohren wollte.

„Mein Herr“ antwortete der junge Mann mit bebender Stimme, „obgleich ich Sie in diesem Augenblicke zum ersten Male spreche, so habe ich doch allen Grund, Sie für einen Wahnsinnigen zu halten. Sie kennen mich nicht, und doch zeihen sie mich einer ehrlosen Handlung, für die ich die Mystification einer jungen liebenswürdigen Dame halte, die in ihrer Einfalt sowohl den Worten scheinheiliger Gleißner, als denen raffinirten Roué’s Glauben schenkt. Wer giebt Ihnen das Recht, ein Geschenk zurückzufordern, das ich mir zwar erbeten, aber das mir Amalie ohne den geringsten Zwang ertheilt hat? Wer giebt Ihnen das Recht, frage ich, eine völlig unabhängige Dame vertreten zu wollen, die einen Mann Ihrer Art verlacht, wenn sie ihn nicht bemitleidet? Entfernen Sie sich, lieber Herr, ehe ich meine Ansicht von Ihnen ändere!“

Herr von Funcal lächelte wie ein Mensch, der zu stolz ist, um seine Ueberlegenheit zerschmetternd wirken zu lassen, der es verschmäht, einen Schwachen zu vernichten.

„Ich sehe, ich habe mich getäuscht!“ antwortete er mit einer eisigen Ruhe, die durch das Lächeln furchtbar ward. „Darum muß ich zu Mitteln meine Zuflucht nehmen, die ich aus Rücksicht für Sie gern unberührt gelassen hätte. Um als Cavalier die Formen [190] der Höflichkeit nicht zu verletzen, beschäftige ich mich zunächst mit Ihrer Person.“

„Mein Herr, meine Geduld ist zu Ende!“ rief wuthbebend Albrecht. „Zwingen Sie mich nicht –“

„Ich werde Sie zur Geduld zwingen!“ sagte Funcal, indem er wie besänftigend seine lange, hagere Hand ausstreckte. „Hören Sie mich fünf Minuten an und Ihre Pulse werden langsam klopfen. In Tyrol, nicht weit von einem stattlichen Rittersitze, liegt ein einsames Forsthaus. Der Rittersitz, glaube ich, heißt Hegerswyl, und die Tochter des Försters, eine liebliche Alpenblume, hieß, wenn ich nicht irre, Katharina. Von dem Schlosse schlich allabendlich ein junger Mann nach dem Forsthause, wo Katharina seiner in einer duftenden Laube wartete. – Beide liebten sich mit der Schwärmerei der Jugend, und der Sohn des Schloßbesitzers, der es seines Vaters wegen nicht wagen durfte, offen um die reizende Katharina zu freien, ließ sich, unter dem Beistande des verblendeten Försters, heimlich mit ihr trauen, und schwor, sie der Welt als seine Gattin vorzuführen, wenn der adelstolze Vater das Zeitliche gesegnet habe. – Nicht wahr, Sie hören mich doch ruhig an?“ fragte der blasse Mann den erstarrenden Albrecht. „So fahre ich fort: der alte Freiherr von Beck starb nach einem Jahre, und sein Sohn trat zwar den unbeschränkten Besitz seiner Güter an, aber die arme Katharina blieb, was sie war, die verführte Tochter des Försters. Kennen Sie diese Geschichte, Herr von Beck?“ fragte höhnisch lächelnd Herr von Funcal.

„Ich kenne sie!“ antwortete Albrecht, der sich wieder gefaßt hatte.

„Nun, so müssen Sie auch wissen, daß der junge Baron nie wieder nach Hegerswyl zurückgekehrt ist, daß seine heimliche Gattin ihm einen Sohn geboren, und daß sie –“

„Den Schluß werde ich liefern, mein Herr!“ unterbrach ihn heftig der junge Mann. „Ich weiß, daß Katharina sich von einem Pfaffen bethören ließ, daß sie mit ihm entfloh, und daß die Betrogene in Wien starb. Der junge Baron, mein Herr, der Gründe hatte, seine Verheirathung noch einige Zeit zu verschweigen, hat nicht Katharina – sie hat ihn verrathen!“

„Die Tochter des Försters war ein redliches Gemüth.“

„Ganz recht, aber ihr Verführer war ein Schurke, und ihm messe ich die Schuld an ihrer Untreue und ihrem Tode bei. Ich habe ihr verziehen, Herr von Funcal –“

„Weil sie todt ist? Ah, sie hat einen klugen Streich gemacht, daß sie starb – nicht wahr? Im Tode verzeihen Sie ihr – was würden Sie thun, wenn sie noch lebte?“

„Diese Beharrlichkeit!“

„Antworten Sie mir!“

„Sind Sie mein Inquisitor?“

„Nein, aber der Bote, der Ihnen die Nachricht bringt, daß Katharina noch lebt!“

Albrecht schwieg einen Augenblick, während ein mitleidiges Lächeln seinen Mund umspielte.

„Herr von Funcal, an mir scheitern Ihre Intriguen,“ sagte er dann. „Hoffen Sie nicht, daß Sie mich durch diese Erfindung einschüchtern – aber vernehmen Sie, daß Amalie die Hülfe Ihrer christlichen Nächstenlieben nicht annimmt, auch wenn Sie ihr das Geheimniß meiner ersten Verheirathung mittheilen. Mir scheint, Sie setzen wenig Vertrauen in die Kraft der Gebete, die Sie vor dem Marienbilde verrichten, da Sie Ihren Nebenbuhler mit solchen Waffen zu vertreiben suchen. Noch heute wird Amalie Alles erfahren, und weigert sie sich dann, meine Hand anzunehmen, so ziehe ich mich vor dem frommen Manne zurück. Damit Sie aber sehen, daß ich ein Mann von Muth bin – an meiner Ehre erlaube ich Ihnen, Ihnen, Herr von Funcal, zu zweifeln – so werden Sie mir bis diesen Mittag den Beweis liefern, daß Sie kein Lügner sind. Und zu diesem Zwecke erwarte ich Sie mit Ihren Waffen bei der Marienkapelle. Wählen Sie Degen oder Pistolen – mir gilt es gleich, Sie werden mich gerüstet finden.“

„Ich bin kein Freund des Zögerns,“ sagte Herr von Funcal, „zumal wenn es sich um meine Ehre handelt.“

„Gut, so gehen wir gleich nach der Kapelle!“ rief der erregte Albrecht. „Hier sind Pistolen, hier Degen –“

„Mit den Waffen später, Herr Baron! Zunächst liefere ich andere Beweise.“

„Wie? Sinkt Ihnen der Muth?“ rief lachend der junge Mann.

„Diese Frage erlaube ich mir später an Sie zu richten; für jetzt öffnen Sie Amaliens Portefeuille, trennen Sie das schwarze Blatt, und Sie werden ein Billet finden, das Ihnen für jetzt den geforderten Beweis liefert. Oeffnen Sie, es gehört wenig Muth dazu.“

Albrecht stutzte; aber zu neugierig, den Ausgang der Sache zu erfahren, trat er rasch zu einem Secretär und holte das Portefeuille hervor, das er bei seinen Kostbarkeiten aufbewahrte. Herr von Funcal beobachtete ihn; und wahrlich, wäre er den Blicken seines Basilisken-Auges begegnet, er würde die Gefahr erkannt haben, die ihm drohte. Er entfernte die kleine silberne Nadel, die das schwarze Blatt mit dem Namen Amaliens an die perlengestickte Decke heftete, und das Billet, von dem der Blasse gesprochen, fiel ihm in die Hände. Bestürzt las er die von seiner eigenen Hand geschriebenen Worte:

„Katharina, Du bist mein Weib! Heute noch weiß es nur Gott und der Priester, der uns für die Ewigkeit verbunden hat; aber bald soll es die Welt erfahren, daß Du die Herrin von Hegerswyl bist. Zage nicht und vertraue Deinem Albrecht!“

In sprachlosem Erstaunen starrte er die Zeilen an. er erkannte nicht nur seine Züge, er erinnerte sich auch, daß dies die letzten Worte waren, die er an Katharina gerichtet hatte. Betrug war demnach unmöglich. Wie hatte Herr von Funcal sein Geheimniß erfahren? Wie war dieses Blatt in Amaliens Portefeuille gekommen, das sie, nach ihrer eigenen Aussage, selbst gestickt hatte? Welche Beziehungen mußten hier obwalten? Diese Fragen durchkreuzten wie Blitze seinen Kopf. Als er die Blicke erhob, spielte der blasse Mann gleichgültig mit dem kostbaren Diamantringe an seinem hagern Finger.

„Mein Herr,“ sagte Albrecht, „dieses Blatt beweis’t nur das, was ich nie geleugnet habe, nie leugnen werde; aber wo ist der Beweis, daß Katharina noch lebt“

„Wenden Sie gefälligst das Blatt, Herr Baron!“ war die ruhige Antwort.

Albrecht that es und er las die Zeilen:

„Erinnere Dich Deiner heiligen Pflicht, Albrecht! Jahre sind verflossen und Du hast Dein Weib nicht anerkannt. Eile zurück, so bald Du dieses Blatt gesehen hast, denn die Verzweiflung nagt an dem Herzen Deiner Katharina. Am Pfingstabend des Jahres 1840.“

„Am Pfingstabende wurden wir getraut,“ dachte er bestürzt, „und dies ist ihre Handschrift!“

Die magnetischen Blicke Funcal’s schienen den jungen Mann verschlingen zu wollen, als er fragte:

„Nun, Herr Baron, bin ich ein Lügner? Begreifen Sie nun, daß ich Sie kenne? That ich unrecht, wenn ich mich an Ihren Muth und an Ihre Ehre wandte? Wie leicht die Heirathsgedanken bei Ihnen entstehen, und wie leicht Sie sie ausführen! Noch lebt Ihre erste Gattin, und schon wollen Sie eine zweite nehmen. O, ich begreife Ihre Leidenschaft, denn Amalie ist ein Engel, in dessen Glanze alle Frauen der Erde verschwinden wie die Sterne vor der blendenden Sonne. Zögern Sie noch, mir das Portefeuille zurückzugeben?“

„Ja!“ rief Albrecht entschlossen. „Wählen Sie die Waffen, mein Herr; der Sieger wird der Besitzer des Portefeuilles und vielleicht auch der reizenden Amalie sein.“

„Gut, um Mittag also bei der Kapelle.“

„Nicht um Mittag, Herr von Funcal, Sie werden mich auf der Stelle begleiten! Ich halte Sie für einen Schurken –“

„Genug, ich begleite Sie! nehmen wir jene Pistolen, sie mögen entscheiden, wer Amalie sagt, daß ihretwegen ein Duell stattgefunden hat.“

Albrecht rief seinen Diener. Ruhig und still wurden die Vorbereitungen getroffen. Der Wagen fuhr vor, und eine halbe Stunde später befanden sich die beiden Duellanten am Platze. Man betrat die einsame Thalschlucht hinter der Kapelle, die zwar schmal, aber sehr lang war. Albrecht lud die Pistolen und präsentirte sie seinem Gegner. Herr von Funcal wählte eine derselben, indem er fragte:

„Tragen Sie das Taschenbuch bei sich?“

„Ja!“

Die Duellanten nahmen ihre Plätze ein, nachdem man festgestellt, daß nur eine Kugel von beiden Seiten gewechselt werden solle.

[191] „Ich gebe Ihnen den ersten Schuß,“ sagte Herr von Funcal in einem höhnenden Stolze, als er die weite Entfernung sah, die sein Gegner abgemessen hatte.

„Und ich nehme ihn an!“ rief Albrecht, indem er zu zielen begann.

Der Baron war ein guter Schütze; das Pistol krachte, und trotz der Entfernung, die einen Treffer sehr zweifelhaft zu machen schien, brach Herr von Funcal zusammen. Albrecht eilte zu ihm. Die Kugel hatte die rechte Seite verletzt – das Blut rann aus der schwarzen Weste des Blassen, der mit einem sardonischen Lächeln sagte:

„Sie zielen gut, Herr Baron! Ich durfte es von dem Schwiegersohne eines tyroler Försters erwarten!“

Dann fiel er ohnmächtig zurück, ohne einen beißenden Spott auszusprechen, der ihm noch auf den Lippen schwebte. Albrecht rief seinen Diener, mit dessen Hülfe er den Verwundeten in den Wagen schaffen wollte. Da schlug Herr von Funcal die schwarzen Augen wieder auf.

„Lassen Sie mich!“ sagte er abwehrend. „Ich liege gut hier – das Moos ist weich. Aber senden Sie mir den Priester jener Kapelle – er ist jetzt dort, er läutet die Glocke!“

Und wirklich ließen sich in diesem Augenblicke die Schläge einer Glocke vernehmen. Albrecht sandte seinen Diener ab.

„Sagen Sie Amalie,“ flüsterte der Verwundete, „wie Sie mich verlassen haben.“

„Und haben Sie mir nichts von Katharina zu sagen?“

„Sie werden auch ohne mich mehr erfahren, als Ihnen lieb ist! Entfernen Sie sich – ich sehe den Priester kommen!“

Der Geistliche übernahm den Verwundeten, und Albrecht, der seinen gefährlichen Gegner für tödtlich verwundet hielt, fuhr nach Spaa zurück. Er hatte Muße und Ruhe genug, einen Entschluß zu fassen. Sein erster Weg war zu Amalie. Ihr Zimmer stand offen. Eine Magd war beschäftigt, es zu ordnen.

„Wo ist die Dame?“

„Vor einer Stunde abgereis’t, mein Herr!“

„Wohin?“ fragte der überraschte Baron.

„Ich weiß es nicht.“

„Hat sie Aufträge zurückgelassen?“

„Nein!“

Albrecht eilte in sein Hotel. Eine halbe Stunde später saß er in seinem Wagen, der, mit drei Extrapostpferden bespannt, eilig auf der Straße nach Aachen fortrollte.




IV.
Intriguen.

Albrecht von Beck hatte gehofft, die entflohene Amalie unterwegs noch einzuholen; aber trotzdem die Reise mit Windesschnelle von Statten ging, trotzdem in allen Hotels und Posthäusern genaue Nachfrage gehalten – es war keine Spur zu entdecken. Wollte er der Befürchtung nicht Raum geben, daß Amalie mit dem Herrn von Funcal, den er für einen raffinirten Abenteurer hielt, einverstanden und in Spaa zurückgeblieben sei, so mußte er annehmen, daß sie eine andere Straße gewählt hatte. In diesem Falle war ein Wiederfinden in Aachen möglich. Der arme Albrecht zermarterte sein Gehirn mit tausend Vermuthungen; aber jemehr er sich die Einzelnheiten der Erlebnisse in Spaa wiederholte, je mehr glaubte seine Liebe daran, daß die junge Dame aus Besorgniß vor einem Eclat das Bad verlassen habe. Amalie lebte in seinen Herzen und in seinem Kopfe. Mit der Beharrlichkeit seines Charakters faßte er den Entschluß, nach Spaa zurückzukehren, wenn er in Aachen kein Resultat erreichen sollte; dort lag Herr von Funcal an seiner Wunde darnieder, und wäre er noch am Leben, so hoffte er mit ihm Unterhandlungen anzuknüpfen. Die Angabe, daß Katharina nicht gestorben sei, hielt er für eine Mystification, und er zweifelte nicht daran, ihr mit Hülfe seines Reichthums auf den Grund zu kommen.

Es war gegen Mittag, als der Reisewagen in das Thor von Aachen fuhr. In den Straßen wogten Tausende von Menschen, und große und kleine Prozessionen erschienen bei dem Klange der Glocken. Der Wagen mußte mehr als einmal halten, um in dem Menschenstrome nicht ein Unglück anzurichten. In dem Gasthause erfuhr der Reisende, daß die Heiligthümer des Doms der gläubigen Menge zur Verehrung gezeigt würden. Albrecht befand sich in der alten deutschen Kaiserstadt zur Zeit der sogenannten Heiligthumsfahrt, die alle sieben Jahre wiederkehrte. Das Fest war für ihn nicht nur ohne Interesse, es kam ihm selbst sehr ungelegen, da die fast überfüllte Stadt ihm die Erreichung seiner Absicht erschwerte. Nach dem Mittagsmahle begann er seine Forschungen. Sie blieben den ersten wie den zweiten Tag ohne Erfolg. Der glühend Liebende verlor die Hoffnung nicht, er tröstete sich mit dem Gedanken, daß Amalie nicht so rasch gereis’t sei als er. Am dritten Tage früh begab er sich zu der Elisenfontaine, einem heißen Sprudel, in deren Nähe die Kurgäste ihre Morgenpromenade zu machen pflegen. Ein reges Leben herrschte unter den Hallen und in der Allee. Es wogten Kurgäste, fromme und neugierige Wallfahrer durch einander.

Der Baron trat in ein Kaffeehaus, frühstückte und las dabei die Brunnenliste. Er fand keinen Namen, der ihm bekannt war. Mißmuthig begann er seine Wanderung von Neuem. In dem Augenblicke, als er den Platz betrat, hielt ein eleganter Ghig unter den Bäumen an. Der Jockey, ein Neger, sprang von dem Sitze, ergriff den Zügel des prachtvollen Rappen und wartet. Albrecht befand sich unter den Zuschauern, welche die Equipage mit Interesse betrachteten und darauf harrten, den glücklichen Besitzer derselben kennen zu lernen. Plötzlich erschien ein alter, schlicht gekleideter Herr, der am Arme ein junge Dame führte. Beide bestiegen den Wagen. Der Jockey reichte der Dame die weißen Zügel. Bei dieser Gelegenheit wandte sie den Kopf und Albrecht erkannte Amalie. Auch sie mußte ihn erkannt haben, wie von einer jähen Bestürzung ergriffen, sah sie ihn einen Augenblick an, dann ließ sie dem ungeduldigen Pferde die Zügel schießen, und der leichte zweiräderige Wagen rollte die Straße entlang. Noch einmal blickte sich Amalie um, dann verschwand sie zwischen den Bäumen. Albrecht wußte nicht, welchem der erwachenden Gefühle er sich überlassen sollte.

„Sie war es!“ flüsterte er. „Wer aber ist ihr Begleiter?“

Da ging der schwarze Jockey an ihm vorüber. Hastig berührte er die Schulter des Negers, der ihn verwundert ansah.

„Wem gehört der Wagen? Wer ist Dein Herr, Freund?“

Der Neger fletschte die Zähne und zuckte die Achseln als ob er entweder sagen wollte, ich verstehe Sie nicht, oder, ich kann Ihnen keine Auskunft geben.

„In welchem Hotel wohnt Dein Herr?“ fuhr Albrecht dringender fort. „Wie heißt er?“

Es erfolgte dieselbe Antwort. Doch ehe der Baron seine Frage wiederholen konnte, flüsterte eine Stimme dicht an seinem Ohre:

„Alphons von Funcal!“

Albrecht wandte sich. Ein wahrer Koloß von einem Manne stand vor ihm. Und welches Gesicht saß zwischen seinen breiten Schultern, von denen die eine etwas höher war als die andere. Unter starken buschigen Brauen, die offenbar geschwärzt waren, blinzelten ein Paar hellgraue, geschlitzte Augen. Die spitze Stirn war bleich und gerunzelt. Die kurzen Haare einer fuchsbraunen Perrücke, wohlpomadisirt, lagen dicht an den langen Schläfen. Eine dünne, fast eckige Habichtsnase saß zwischen herabhängenden welken Backen, die sehr glatt rasirt waren. Der breite Mund ward von schmalen, bläulichen Lippen gebildet, und das wie die Wangen welke Kinn ruhte behäbig in einer weißen Halsbinde. In den großen Ohren erglänzten kleine gelbe Knöpfchen. Seine Kleidung bestand aus einem weißen Filzhute, einem abgetragenen kaffeebraunen Rocke, gelben Nankingpantalons, weißen Strümpfen und Schuhen mit kleinen silbernen Schnallen. Die rechte Hand hielt ein großes spanisches Rohr.

Jeder andere würde diese kolossale Karrikatur bewundert haben; der Baron befand sich nicht in der Verfassung dazu.

„Funcal?“ wiederholte er gedehnt und ungläubig, denn der in Spaa Verwundete war ein langer, hagerer Mann von achtundvierzig Jahren – dieser hier ein Greis von vielleicht sechzig und von mittler gedrungener Gestalt. Und Amalie war bei ihm? „Irren Sie auch nicht?“ fragte er.

„Gewiß nicht, mein Herr!“ antwortete der Koloß, lächelnd auf ihn herniederblickend.

„So kennen Sie ihn?“

„Ziemlich genau. Das Fest der Heiligthümer wird alle sieben Jahre gefeiert, und das gegenwärtige ist das siebente, das dieser Portugiese besucht.“

[192] „Wann ist er angekommen?“

„Gestern um Mittag."

„Ist Ihnen die junge Dame bekannt?“

„Ich habe Gründe, sie für seine Tochter zu halten.“

Der Baron glaubte sich diesem Manne anschließen zu müssen. Sein Aeußeres verrieth Dürftigkeit, und deshalb lud er ihn zu einem Frühstücke ein. Der Mann mit der Habichtsnase zog seinen Hut und nahm die Einladung an. Nach wenigen Minuten saßen Beide beim Champagner.

„Wie ich Ihnen bereits gesagt,“ berichtete der Koloß, „so ist Herr von Funcal alle sieben Jahre in Aachen acht Tage anwesend, außer dieser Zeit sieht man ihn nicht. Man weiß, daß er ein Portugiese und enorm reich ist. Um die Reliquien zu verehren, unternimmt er die weite Reise, ein Beweis von seiner bewunderungswürdigen Religiosität.“

„Das ist nicht zu leugnen“ sagte der Baron. „Aber wer ist die Dame und in welcher Beziehung steht sie zu ihm?“ fragte er, von Unruhe gefoltert.

„Das müßte man zu erfahren suchen“ murmelte der braune Gast, dem die Aufregung des verliebten Barons nicht entging.

„Trinken Sie, mein Bester! Noch eine Flasche!“

Der Koloß verschlang den Champagner.

„Ich stehe zu lhren Diensten," sagte er, als die zweite Flasche geleert war. „Mir kann es nicht schwer fallen, die gewünschte Auskunft zu erhalten. Ich verspreche sie Ihnen," sagte er mit einem Lächeln, das Zuversicht einflößte. „Hier ist meine Hand."

„Ich verspreche Ihnen zehn Louisd’or, wenn Sie erforschen, wo die Dame wohnt!“ sagte der Baron. „Ich habe sie bereits in Spaa gesprochen, und habe ihr hier eine wichtige Nachricht mitzutheilen. – Wo finde ich Sie?“

Boule d’or Nr. 9.“

„Sie sehen mich wieder, sobald der Abend dämmert.“

Albrecht von Beck war allein. Das Geheimnißvolle, das Amalie umgab, machte sie ihm noch reizender und seine Liebe quälender. Mit dem festen Vorsatze, Vermögen und Leben daran zu setzen, um Gewißheit zu erhalten, verließ er das Kaffeehaus. Müde und matt kehrte er um zwei Uhr in sein Hotel zurück. Sein Diener übergab ihm ein Billet, das ein Knabe für den Gast auf Nr. 9 gebracht hatte. Das Billet enthielt folgende Zeilen:

„Mein Herr! Es geht Alles vortrefflich. Halten Sie sich diesen Abend neun Uhr bereit, es wird Sie zu dem gewünschten Ziele führen – Barchon.“

Um die bezeichnete Stunde erschien Barchon. Die Nacht war völlig angebrochen, als beide Männer das Hotel verließen, schwarze Gewitterwolken verdunkelten den Horizont. Albrecht war vorsichtig gewesen, er hatte sich mit einem Dolche bewaffnet und seinem Diener Befehl ertheilt, so zu folgen, daß er ihn stets im Auge habe. Barchon führte seinen Begleiter durch das Thor aus der Stadt. Dann schlug er einen Weg ein, der sich eine Zeit lang zwischen hohen Hecken hinzog. Plötzlich zeigte sich an einem Teiche ein stattliches Gebäude. Die zuckenden Blitze spiegelten sich in der ruhigen Wasserfläche ab.

„Hier wohnt der Portugiese!“ flüsterte Barchon. „Was gedenken Sie nun zu thun?“

„Ich will die Dame sprechen, und soll es in seiner Gegenwart geschehen!“

„Gut, so folgen Sie mir!“

Man trat zu dem Hause, in dessen erstem Stocke einige Fenster erleuchtet waren. Barchon zog einen Schlüssel hervor und öffnete die Thür. Der aufgeregte Albrecht bemerkte diesen Umstand nicht, er folgte schweigend seinem Führer über die Hausflur und stieg die Treppe zu dem Corridor des ersten Stockes hinan, der durch eine Lampe matt erhellt wurde.

„Wo ist mein Diener?“ fragte der Baron, den in diesem Augenblicke das erste Mißtrauen beschlich.

„Ich werde dafür sorgen, daß er in Ihrer Nähe bleibt!“ flüsterte Barchon zurück. „Uebrigens fürchten Sie nichts, mein Herr; der Portugiese, ein schwacher Greis, liegt um diese Zeit schon im Bette. Hier ist das Zimmer der jungen Dame - Sie werden sie ohne Zweifel allein finden.“

„Kennen Sie ihren Namen?“ fragte der Baron, um sich zu vergewissern, daß er sich nicht geirrt habe.

„Ich hörte sie Amalie nennen.“

„Gut, erwarten Sie meine Rückkehr!“

Albrecht öffnete die Thür und trat in ein dunkles Vorzimmer. Ein heller Blitz erleuchtete den Raum, und gleich darauf ließ sich der erste Donner vernehmen. Dann ward eine Thür geöffnet und eine Dame in einem weißen Nachtmantel erschien.

„Betty! Betty!“ rief sie leise.

Albrecht erkannte die liebliche Stimme Amalie’s; seiner nicht mehr mächtig, trat er ihr rasch entgegen. Mit einem unterdrückten Schrei flog sie erschreckt in das Zimmer zurück.

„Ich bin es, Amalie, Ihr Freund, Ihr glühender Verehrer!“ rief er leise, indem er ihr folgte.

„Sie, mein Herr, Sie?“ fragte sie mit bebender Stimme.

„Konnten Sie zweifeln, daß ich Ihnen folgen würde? Amalie, es giebt kein Hinderniß, das mich von Ihnen trennen kann – ausgenommen Ihr eigener Wille!“ fügte er hinzu, indem er ihre zarte Hand ergriff und sie an seine Lippen drückte.

Jetzt schien sich das reizende Mädchen seiner Nachttoilette zu erinnern. Sie kreuzte die vollen runden Arme, die nur halb von feinen Spitzen bedeckt waren, auf dem erregten Busen, der wie Schnee durch den dünnen Flor des Mantels schimmerte. Die aufgerollten Locken bildeten einen Kranz um das liebliche Köpfchen. Wie wunderbar schön war das vor Scham und Verwirrung erröthende Mädchen! Amalie wagte kaum die Blicke emporzuschlagen.

[205] „Ich sah Sie diesen Morgen bei der Fontaine!“ stammelte sie. „Mein Gott, wie froh bin ich, daß es keine Täuschung war! Und dennoch mußte ich daran glauben.“

„Amalie, dann setzen Sie wenig Vertrauen in mich!“ sagte Albrecht im Tone sanften Vorwurfs. „Nach unserer letzten Unterredung in Spaa hätte ich Ihre heimliche und schnelle Abreise für unmöglich gehalten.“

Sie warf einen seelenvollen Blick auf den Baron.

„Für unmöglich?“ fragte sie weich.

„Oder sollte ich anmaßend genug gewesen sein, ein Glück vorauszusetzen, dessen ein Anderer würdiger gewesen?“

Sie trat rasch zu ihrer Toilette und holte einen Brief hervor.

„Lesen Sie!“

Der Baron las: „Angebetete Amalie! Die Vorsehung hat es gewollt, daß ich ein Duell zu bestehen hatte. Mein Gegner ist zugleich Ihr gefährlichster Feind, denn er entbrennt in lasterhafter Begierde zu Ihnen und sucht Sie mit allen Künsten der Hölle zu umstricken. Noch lebt sein ihm angetrautes Weib, und schon richtet er die lüsternen Blicke nach Ihnen, die er durch Schmeichelworte und Lügen zu berücken hofft – die heilige Jungfrau, unsere Schutzpatronin, hat Sie vor Ihrem listigen Feinde sicher gestellt, denn der Baron von Beck athmet nicht mehr, er ist in dem Zweikampfe gefallen, zu dem er mich gewaltsam gezwungen. Vereinigen wir uns diesen Abend zu einer Wallfahrt nach dem Gnadenbilde, um gemeinschaftlich unser Dankgebet abzustatten. Nehmen Sie die Versicherung treuester Ergebenheit von – Alphons von Funcal.“

„Was ist das? Was ist das?“ fragte der überraschte Albrecht.

„Diesen Brief," flüsterte Amalie, „erhielt ich Mittags zwölf Uhr – um ein Uhr reiste ich ab," fügte sie bewegt hinzu, „da mich nichts mehr an Spaa fesselte, als eine traurige Erinnerung. Wenn ich jetzt meine Freude über Ihr Wiedersehen ausspreche, so habe ich keinen andern Grund, als daß Sie dem Leben und – Ihrer Gattin erhalten sind.“

„Amalie!“

„Auf einen Besuch, Herr Baron, habe ich nicht gerechnet!“

Sie nahm mit einer Verbeugung den Brief aus seiner erstarrten Hand, und verbarg ihn wieder in dem Kasten der Toilette.

„Himmel, welche geheimnißvolle Macht verfolgt mich!“ sagte Albrecht, der von seinem Erstaunen kaum zurückkommen konnte. „Das Duell hat wirklich stattgefunden, ich konnte ihm nicht ausweichen, da meine Ehre verletzt war und vielleicht auch meiner Sicherheit Gefahr drohte; aber nicht ich ward verwundet, sondern mein Gegner, der vielleicht in diesem Augenblicke nicht mehr athmet.“

„Herr von Funcal verwundet?“ fragte Amalie mit einem schmerzlichen Lächeln. „Wann fand das Duell statt?“

„Kurz vor Mittag.“

„Jener Brief ist von seiner eigenen Hand geschrieben, die ich genau kenne – wie ist es möglich, daß er ihn gleich nach dem Kampfe verfassen und absenden konnte? Da Sie an seinem Leben zweifeln, muß er schwer verwundet sein – – “

Der Baron begriff, daß Amalie nicht anders urtheilen konnte.

„Das ist allerdings seltsam!“ murmelte er verwirrt. „Ich begreife nicht, wie das möglich ist – aber, Amalie, wie der Brief die Lüge von meinem Tode enthält, die ich durch meine unverletzte Person constatire, so sind auch die übrigen Angaben falsch.“

„Sie wären nicht verheirathet?“ fragte Amalie mit einem hellen glänzenden Blicke.

„Ich war es! Eine unbesonnene Jugendschwärmerei ließ mich den Schritt ohne Vorwissen meines Vaters thun. Aber Katharina ist längst todt, und jenes Billet von ihr, das Sie kennen – “

„Das ich kenne, Herr Baron?“ fragte Amalie verwundert. „Sie erlauben mir die Versicherung, daß der Brief des Herrn von Funcal mir die erste Andeutung gab – hätte ich ahnen können,“ fügte sie mit beleidigtem Stolze hinzu, „daß Sie bereits durch heilige Bande gefesselt seien, ich würde Ihre zärtllche Annäherung mit Verachtung zurückgewiesen haben!“

Bei den letzten Worten zitterte ihre Stimme, und das feine Roth ihrer zarten Wangen verwandelte sich in Purpur. Albrecht hatte keinen Grund, an der Wahrheit dieser Entrüstung zu zweifeln.

„Jenes Billet,“ stammelte er verwirrt, „befand sich in dem Taschenbuche, das Sie mir als Andenken verehrten.“

„Unmöglich, mein Herr!“

„Verzeihung, mein Fräulein, wenn ich beharre! Aber ich würde es nicht gefunden haben, wenn es mir Herr von Funcal nicht bezeichnet hätte.“

„Herr Baron, welchen Plan verfolgen Sie mit mir? Soll ich an eine Mystification glauben? Mein Taschenbuch ist nie in den Händen Funcal’s gewesen – “

„Und dennoch fand ich unter dem schwarzen Blatte das Papier. Amalie, lassen Sie uns vereint forschen! Jener Funcal hält uns mit unsichtbaren Banden umschlungen – begreife ich doch selbst nicht, wie er die Ereignisse meines Lebens erfahren. Aber das ist mir klar, daß er mich als seinen bevorzugten Nebenbuhler betrachtet und kein Mittel scheut, mich aus dem Wege zu räumen. Amalie, ich liebe Sie heiß und innig – können Sie sich der Sphäre entrücken, der Sie bisher [206] angehörten, so werden Sie nicht mehr allein stehen, Sie werden bald den Namen einer geachteten Familie tragen, denn ich schwöre Ihnen, daß ich Herr meines Willens und meines Herzens bin. O, glauben Sie mir, ich stehe nicht mehr in dem Alter, wo man leichtsinnig verspricht und handelt – jetzt erst habe ich die wahre Liebe kennen gelernt – Amalie, entscheiden Sie über das Glück meines Lebens!“

Er sank zu ihren Füßen nieder und sah mit flehenden Blicken, die klar die Tiefe seiner Leidenschaft verriethen, zu ihr empor. Amalie ließ ihm ihre Hand, die er mit Innigkeit an sein Herz drückte. Sie schien sich einen Augenblick in dem Triumphe zu gefallen, den Baron zu ihren Füßen zu sehen. Plötzlich, wie von einer Erinnerung ergriffen, zuckte sie zusammen. Zugleich fragte sie:

„Was soll ich glauben? Herr von Funcal liegt verwundet in Spaa, während sein Brief mir Ihren Tod berichtet –?“

„Glauben Sie, was Sie sehen, Amalie!“

„Stehen Sie auf!“ bat sie ängstlich.

„Sprechen Sie mein Urtheil aus!“

„Mein Herr!“

„Haben Sie Verpflichtungen – Ihr Gatte wird sie als ein Mann von Ehre lösen!“

Ein Blitz zischte, und ein furchtbarer Donnerschlag erschütterte das Haus, daß die Fenster laut erklirrten. Der Kniende erhob sich. Da folgte ein zweiter, noch stärkerer Schlag. Die erschreckte Amalie schwankte – er umfing die Sinkende mit seinen Armen. Geschlossenen Auges lag das reizende Wesen an seiner Brust. Ihr zartes Wesen hatte plötzlich eine Lilienblässe überzogen, und ihre Pulse schienen still zu stehen. Albrecht war seiner Sinne nicht mehr mächtig; wie berauscht küßte er die fein geschweiften Lippen und drückte den wunderbar schönen Körper fester an sich. Er schwelgte in den Wonnen, die er in der zärtlichen Berührung dieses Engels fand. In dem Augenblicke, als er sie in dem Sopha niederließ, schlug sie die Augen auf. Verwirrt und beschämt entzog sie ihm ihre Hände. Da ließ sich Geräusch in dem angränzenden Zimmer vernehmen.

„Großer Gott!“ flüsterte Amalie, indem sie sich mit Anstrengung erhob. „Das hatte ich nicht bedacht!“

„Wer befindet sich dort?“ fragte Albrecht, in dem eine gräßliche Eifersucht erwachte.

„Findet man Sie hier, so ist es um mich geschehen!“

„Um Sie? Ich vertheidige Sie!“ rief der Baron, der sich seiner Waffe erinnerte.

„Dann bin ich für Sie verloren!“ flüsterte Amalie in einer unbeschreiblichen Angst. „Um Gotteswillen, entfernen Sie sich still und heimlich! Der geringste Verdacht bereitet mir ein schreckliches Loos! Wenn Sie mich lieben,“ bat sie mit Thränen in den Augen, „so verlassen Sie mich! Es giebt keine Waffe, mit der Sie mich in diesem Augenblicke vertheidigen können!“

„Amalie, lieben Sie mich?“ flüsterte er dringend.

„Sie sehen meine Angst, Herr Baron! Sie mag Ihnen als Antwort auf Ihre Frage dienen! Erwarten Sie Herrn Barchon, er wird Ihnen sagten, wo Sie mich morgen finden!“

In dem Nebenzimmer erklangen Schritte. Der Schrecken bleichte Amalie’s Gesicht – zitternd drängte sie den Baron zur Thür.

„Ein Pfand Ihrer Liebe!“ bat er.

Sie drückte ihm flüchtig einen Kuß auf die Lippen.

„Bewahren Sie mein Geschenk!“ flüsterte sie dann.

„Und ich sehe Sie hier wieder?“

„So wahr ich mein Glück von Ihnen erwarte! Vertrauen Sie mir – Sie werden Alles erfahren!“

Albrecht verschwand aus dem Zimmer, dessen Thür Amalie hinter ihm schloß. Er eilte über den Corridor die Treppe hinab. Auf der Hausflur traf er Barchon, der leise auf und ab ging.

„Nun?“ fragte er lächelnd.

„Sie werden mir morgen Nachricht von Amalie bringen. Jetzt begleiten Sie mich.“

„Ich bedauere, Herr Baron.“

„Warum?“

„Weil ich in Amalie’s Interesse hier bleiben muß.“

„Ich verdoppele die versprochene Summe; aber ich bleibe bei Ihnen.“

„Dann treten Sie in mein Wohnzimmer.“

Der lange Mann führte Albrecht in ein Zimmer des Erdgeschosses. Kaum waren sie eingetreten, als sich das schwere Gewitter zu entladen begann.




V.
Der Vormund.

Kaum war Amalie allein, als sich an der Thür, die zu dem Nebenzimmer führte, ein Klopfen vernehmen ließ.

„Es war hohe Zeit, daß er ging!“ flüsterte sie. „Wohlan, ich selbst werde die Krisis herbeiführen, um endlich klar zu sehen.“

Nachdem sie ihre Toilette flüchtig geordnet, öffnet sie die Thür. Ein Greis, in einen prachtvollen Sammetpelz gehüllt, trat ein. Forschend sah er durch das elegante Boudoir. Die Blicke der großen, hellen Augen verriethen deutlich seinen Argwohn.

„Das schwere Gewitter treibt mich aus meiner Kammer,“ sagte er. „Waren Sie allein, Amalie?“

„Ich stehe im Begriffe, meine Kammerfrau zu rufen.“

„Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen Gesellschaft leiste, bis das Gewitter vorübergezogen ist.“

Der alte Mann ließ sich in dem Sopha nieder. Amalie beobachtete ängstlich die Blitze, deren grelles Licht durch die herabgelassenen Vorhänge der Fenster drang.

„Es ist seltsam,“ begann der Greis. „Mir war, als ob ich in meinem halb wachen Zustande die Stimme eines Mannes hörte. Nicht wahr, Amalie, ich muß mich wohl getäuscht haben?“

„Herr Graf, glaubt Ihr Argwohn einen Todten in meiner Gesellschaft?“ fragte sie ironisch.

„Einen Todten, mein Kind! Die Gräber öffnen sich nicht wieder, wenn sie einmal geschlossen sind! Sie verzeihen meine Besorgniß, Amalie – die Todten fürchte ich nicht, aber die Lebendigen. Darum will ich die kurze Zeit meines Lebens benutzen, um Ihr Loos in jeder Beziehung sicher zu stellen.“

„Das heißt, mich und mein Vermögen einem Kloster zu übergeben?“

„Amalie, Sie verkennen immer noch meine Absicht. Als Ihr Vater starb, setzte er mich zum Administrator seines Vermögens und zum Vormunde seiner Tochter ein. Das Erstere verwalte ich mit gewissenhafter Treue, denn es ist zu einem großen Reichthume angewachsen – die Letztere entzog sich meiner Fürsorge, indem sie zu einer weltlich gesinnten Tante nach Brüssel ging. Steht mir auch Ihr Seelenheil höher als Ihr Vermögen, so habe ich dennoch darauf Bedacht genommen, Ihnen einen guten und braven Lebensgefährten zu verschaffen, der nicht minder für Ihr irdisches als für Ihr geistiges Wohl sorgt.“

„Das ist mehr als ich erwarten kann!“ sagte Amalie überrascht. „Ich werde indeß keinen Mann heirathen, der nur mein Vermögen im Auge hat.“

„Er liebt Sie Ihrer selbst wegen, mein Kind; er weiß nicht einmal, daß Sie Vermögen besitzen. Er lernte Sie in Spaa kennen und lieben.“

„In Spaa?“

„Und bewarb sich um Ihre Hand!“ sagte lächelnd der alte Graf.

Amalie dachte an die beiden Heiraths-Candidaten. Sie zweifelte nicht daran, daß der Graf den im Sinne hatte, der seinen Namen führte.

„Sie meinen Alphons von Funcal?“ fragte sie gespannt.

„Wäre er auch nicht mein Vetter, ich würde ihm dennoch Ihr Glück anvertraut haben. Er ist von edler Familie und besitzt einen vortrefflichen Charakter. Sie sehen, daß ich nicht eigensinnig darauf beharre, Sie in ein Kloster zu schicken. Jeden Zweifel an seiner wahren Liebe zu Ihnen hat er dadurch beseitigt, daß er Ihnen, der unbekannten Schönen, seine Hand antrug und dann mit einem gefährlichen Raufbolde sich schoß, um Ihre Ehre zu retten. Wie er schreibt, hat er den Sieg mit einer Wunde erkauft, die ihn noch einige Tage von der Reise abhält. Und welch’ eine wunderbare Fügung der allweisen Vorsehung liegt in allen diesen Verhältnissen. Alphons bittet mich, jedes Heirathsprojekt für ihn aufzugeben, da sein Herz bereits an einen Engel gefesselt sei. Wie wird er staunen, wenn er bei seiner Ankunft sieht, daß ich ihm das Mädchen seiner Wahl zuführe. Das ist kein Zufall, mein Kind, das ist ein [207] Fingerzeig Gottes, den man nicht unbeachtet lassen darf, ohne eine Sünde zu begehen. Alphons war das Werkzeug, dessen sich der Höchste bediente, um einen verrätherischen Ehemann zu bestrafen – Sie wissen, wen ich meine!“

„Also das ist es,“ dachte sie; „jetzt sehe ich klar!“

„Ich benutze den heutigen Abend, um Sie auf Ihre Zukunft vorzubereiten,“ fuhr der Graf fort. „Sie haben die Wahl zwischen Alphons und dem Kloster. Mein Wille ist der Ihres verstorbenen Vaters, und ehe das Fest der Heiligthümer vorüber ist müssen Sie eine Entscheidung getroffen haben. In den nächsten Tagen kommt Alphons – prüfen und wählen Sie!“

„Und wenn ich mich nun zu keinem von beiden entschließe?“ fragte Amalie, indem sie ihr Köpfchen keck emporhob.

Der Graf lächelte einen Augenblick still vor sich in; dann sagte er kalt und ruhig:

„Sie werden mich nicht zwingen, daß ich meine Hand von Ihnen abziehe und Sie im Namen Ihres Vaters enterbe. Hoffen Sie nicht auf Ihre Volljährigkeit, die in drei Monaten eintritt – denken Sie vielmehr daran, daß Ihre Mutter nicht die angetraute Gattin Ihres Vaters war. Er hat Ihnen seinen Namen gegeben; aber die Erwerbung seines Vermögens hängt von Ihrem Betragen ab, und dies hat der Erblasser meinem Urtheile unterstellt. Sie sehen, ich habe eine Gewissenspflicht zu erfüllen. Schlagen Sie die Hand meines Neffen aus, den ich nach meiner innersten Ueberzeugung für den einzigen Mann halte, der Sie im Sinne Ihres Vaters beglücken kann, so werden Sie den Schleier wählen müssen.“

„Und mein Vermögen?“

„Fällt nach der testamentarischen Bestimmung dem Kloster anheim, in das Sie eintreten.“

„Also in spätestens acht Tagen muß ich mich entschieden haben?“

„Ja.“

„Gut, Alphons selbst mag die Entscheidung von mir holen. Auf ein Kloster rechnen Sie nicht, Herr Graf!“

„Desto besser, Amalie, denn Ihr junges Leben hat noch Anwartschaft auf eine schöne Zukunft. Eine stille, fromme Ehe ist dem Herrn nicht minder wohlgefällig als das Klosterleben. Ich will schlafen gehen, denn das Gewitter ist vorüber. Der Himmel stärke sie in Ihrem guten Vorsatze! Gute Nacht!“

Amalie küßte dem Greise die Hand und führte ihn bis zu der Thür seines Zimmers.

„Ich müßte eine große Thörin sein, wollte ich dem frommen Grafen widersprechen!“ flüsterte sie. „Die Bewerbungen des Herrn von Funcal gaben mir den ersten Anlaß zum Argwohn, und siehe da, es bestätigt sich. Aber wie plump ist die Lüge von dem Tode des Barons ersonnen! Er soll todt bleiben, um mich den Händen meines Peinigers zu entziehen. Den unbesonnenen Schritt seiner ersten Verheirathung verzeihe ich ihm, denn er ist jung und schön, und – ich liebe ihn! Daß ich Albrecht in Spaa kennen gelernt, ist eine Fügung der Vorsehung, Herr Graf! Er ist zur rechten Zeit erschienen, um mir Hülfe zu gewähren. Der Baron liebt mich meiner selbst wegen, und ich kann nicht anders als seine Neigung erwiedern, Aber noch darf er nicht wissen, daß ich des schönen, stattlichen Jägers wegen das Marienbild besuchte; er soll, seiner Meinung nach, meine Liebe erst erwerben. Fast hätte ich aus Schmerz über seinen Tod mich in das Kloster begraben, und die List des frommen Funcal wäre gelungen. Onkel und Neffe spielen eine Karte, das ist klar! Die Liebe soll den beiden Herren das Spiel verderben. War die Nachricht von Albrecht’s Tode Lüge, so ist auch die Behauptung erlogen, daß seine erste Gattin noch lebt. Ich beginne kühn meinen Plan.“

Amalie schloß die Thüren und schrieb dann einen langen Brief. Es war noch sehr früh, als sie am nächsten Morgen einen Spaziergang durch den Garten machte. Herr Barchon, der Besitzer des Hauses, trat ihr entgegen, indem er ehrerbietig grüßte.

„Sind Sie zufrieden?“ fragte er lächelnd.

„Der Baron wird Ihnen meinen Dank abstatten.“

„Ist schon geschehen, mein Fräulein, und Sie sehen mich zu ferneren Diensten bereit.“

Beide traten hinter einen blühenden Akazienstrauch, so daß sie von dem Hause aus nicht gesehen werden konnten.

„Herr Barchon, ich spreche nicht mehr von dem geizigen Grafen, der dieses Jahr zum letzten Male in Ihrem Hause gewohnt hat, denn nach sieben Jahren liegt der alte gebrechliche Mann im Grabe –“

„Darum halte ich mich an die Jugend!“ sagte der Koloß. „Jeder Mensch ist Geschäftsmann, und ich vor Allen, der ich stets mit Sorgen zu kämpfen habe, um mir dieses Haus zu erhalten. Ich bin ein armer Mann, war früher Küster am Dome und beziehe eine kleine Pension –“

„Sie haben mir das gestern erzählt, Herr Barchon. Hier ist ein Brief – befördern Sie ihn so schnell als möglich an den Baron.“

„Ich fliege, gnädiges Fräulein! Und die Antwort?“

„Ich kenne sie schon! Verlassen Sie mich jetzt, damit man unsere Verschwörung nicht ahnt.“

Beide trennten sich. Eine halbe Stunde später befand sich Amalie wieder in ihrem Zimmer, und Herr Barchon schritt rüstig durch das Thor der Stadt.




VI.
Aufklärung.

Albrecht hatte zwei Tage verbracht, ohne Amalie zu sehen. Am dritten, gegen Mittag, erblicken wir ihn vor dem Hause des Herrn Barchon. Er zog die Klingel, und der pensionirte Küster öffnete.

„Wo ist der Graf?“

„Er ist vor einer Viertelstunde aus dem Dome zurückgekehrt; jetzt betet er in seinem Zimmer. Fräulein Amalie,“ fügte Barchon flüsternd hinhzu, „befindet sich mit ihrer Kammerfrau in dem Garten.“

„Wer meldet mich dem Grafen?“

„Sie werden im ersten Stocke seinen Diener treffen.“

Der Baron stieg die Treppe hinan. Auf dem Corridor traf er den Neger. Da er wußte, daß der Schwarze nicht Deutsch verstand, machte er ihm durch Geberden begreiflich, daß er dem Grafen angemeldet zu sein wünsche. Kaum war der Neger verschwunden, als der Graf, der seinen Neffen erwartet hatt, in der Tür erschien. Verwundert ließ er den Fremden eintreten.

„Herr Graf von Funcal?“ fragte Albrecht, sich nachlässig verbeugend.

„Derselbe! Und wer giebt mir die Ehre?“

„Ein Geschäftsmann, Herr Graf, dessen Name so unbedeutend ist, daß es sich nicht der Mühe lohnt, ihn zu nennen. Auf einer Reise in Tyrol ward ich von einer schweren Krankheit ergriffen, und ich mußte mich der wohlthätigen Pflege eines Klosters anvertrauen, das, von der Welt geschieden, in einem einsamen Thale liegt. Meine Wärterin war eine fromme Nonne, deren unermüdlicher Sorgfalt ich mein Leben verdanke.“

„Wozu diese Geschichte?“ fragte der Graf, indem er mit unsteten, ängstlichen Blicken den Baron maß.

„Man nannte die Nonne im Kloster Jungfrau Benedicta – früher aber hatte sie sich Melanie Rocheval genannt, sie war eine Elsasserin.“

„Mein Herr,“ sagte der Graf, „ich bin als Wallfahrer nach Aachen gekommen –“

„Um so mehr werden Sie geneigt sein, ein gutes Werk zu vollbringen. Ich bitte, hören Sie mich noch eine Minute an. Melanie erzähle mir, daß sie von Verzeiflung über eine unglückliche Liebe getrieben, den Schleier genommen habe. Ihr Kind, die Frucht dieser Liebe zu dem reichen Freiherrn von Paulowski, sei unter der Obhut ihres Verführers geblieben. Wie sie durch Zufall erfahren, habe später der Freiherr, von Gewissensbissen gefoltert, ihre Tochter adoptirt und sie zur Erbin seines Vermögens eingesetzt. Der Freiherr, der ein religiöser Schwärmer geworden, habe unter dem Einflusse eines Freundes gestanden, und diesen als Vormund seiner Adoptivtochter eingesetzt, als er plötzlich von einer unerklärlichen Krankheit befallen und rasch gestorben sei. Seit dieser Zeit verwaltet nun der Freund das Vermögen, und der Tochter des Verstorbenen zahlt er jährlich eine kleine Rente. Ich erfülle eine Pflicht der Dankbarkeit, Herr Graf, wenn ich mich jetzt bei Ihnen nach Amalie erkundige, denn meine Wohlthäterin hat mich beauftragt –“

„Genug, mein Herr!“ sagte plötzlich der Graf, der bis hierher vor sich hinstarrend zugehört hatte. „Ich weiß jetzt genug, [208] um zu begreifen, in welcher Absicht Sie mich aufgesucht haben. Ich bin allerdings der Vormund der liebenswürdigen Amalie, und wenn es Ihnen möglich ist, der frommen Benedicta eine Antwort zu bringen, so sagen Sie ihr, daß ich nicht nur bisher meine Pflicht streng erfüllt hätte, daß ich auch gesonnen sei, mich durch keine Rücksicht bestimmen zu lassen, um ein Haar davon abzuweichen. Uebrigens bin ich nur meinem Gewissen Rechenschaft schuldig, denn mein verstorbener Freund hat mich mit voller Gewalt ausgerüstet – –“

„Amalie entweder in ein Kloster zu schicken oder sie an einen Funcal zu verheirathen, der lüstern nach ihrem Vermögen ist!“ fiel Albrecht ein. „Billigt Ihr Gewissen, Herr Graf, daß Sie einem lebensfrohen Mädchen eine solche Wahl stellen?“

„Mein Herr!“ rief der Greis mit funkelnden Augen und in einem drohenden Tone.

„Verzeihung, Herr Graf, ich bin ja nur ein Bote, und Sie werden mir erlauben, daß ich meine Botschaft vollende. Nicht der Vater allein, auch die Mutter hat ein Recht an das Kind, und wie Sie jenes, so gedenke ich dieses geltend zu machen. Die arme Nonne ist gestorben, aber auch sie hat ein Testament hinterlassen, das sich in meinen Händen befindet.“

Der Graf antwortete ironisch lächelnd:

„So genügen Sie als Testamentsvollstrecker Ihrer Pflicht, mein Herr; und da ich nicht glaube, daß wir collidiren, so ist jede weitere Rücksprache überflüssig.“

Er verneigte sich, als Zeichen, daß der Besuch sich entfernen möge. Albrecht stellte sich, als ob er die Andeutung nicht verstände.

„Das kostbare Dokument,“ fuhr er ruhig fort, „verfügt allerdings nicht über ein Vermögen, aber es enthält eine Geschichte, die für Sie nicht ohne Interesse ist. Die Nonne erzählt nämlich, daß ein gewisser Arzt den Tod des Freiherrn auf wissenschaftlichem Wege herbeigeführt habe, um den von Gewissensbissen gefolterten Mann zu hindern, die als blödsinnig in ein Kloster geschaffte Melanie, die Mutter seines Kindes, als seine Gattin anzuerkennen. Daß er Amalie adoptirte, war leider nicht zu verhindern, auch das nicht, daß sie sammt ihrem Vermögen unter die Willkür dessen gestellt ward, der nichts weniger als ihr Glück beabsichtigte. Unterbrechen Sie mich nicht, mein Herr, wir kommen jetzt zu dem Interessantesten. Sie wollen mich ohne Zweifel fragen, wodurch die verbrecherische Absicht des Vormundes bewiesen wird? Benedicta liefert ihn durch ein Liebesbekenntniß, das ihr der getreue Freund des Herrn von Paulowski übersandte, und sie zweifelt nicht einen Augenblick daran, daß sie auch die Erbin des Vermögens geworden, wenn sie sich hätte entschließen können, dem unbegüterten Grafen von Funcal die Hand zu reichen. Sie weigerte sich, und nun wurde das alte Experiment mit untergeschobenen Briefen gemacht, welche die Untreue der armen Melanie darthaten, und dazu bezeichnet man einen Baron von Beck, dessen Güter an die des Freiherrn grenzen. Der Baron hatte damals seine Gattin durch den Tod verloren, und es wäre wahrlich kein Wunder gewesen, wenn er seine Blicke auf die liebenswürdige Melanie gerichtet hätte, um seinem einzigen Sohne wieder eine Mutter zu geben. Diese Briefe, die noch vorhanden sind, machten den Freiherrn fast wahnsinnig, aber der Freund verfolgte ruhig seinen Plan. Melanie verschmähte es, die Hand des Erbschleichers anzunehmen, sie ertrug geduldig ihr Schicksal. Sie starb zehn Jahre später als der Vater ihres Kindes. Der Verwalter des freiherrlichen Vermögens wollte sich nun auch in den Besitz desselben setzen, und zu diesem Zwecke mußte die Erbin entweder gewonnen oder bei Seite geschafft werden. Da erschien der fromme Neffe des Erbschleichers und warb um die arme Amalie, von der er genau wußte, wieviel Vermögen sie ihm zubringen würde. Zugleich aber erschien auch der Sohn des mystificirten Herrn von Beck, er sah Amalie, liebte sie und ward wieder geliebt. Dieser gefährliche Mann mußte aus der Welt geschafft werden, und dazu ward ein Duell contrahirt, dessen Ausgang Sie ohne Zweifel kennen. Amalie, durch den Tod des jungen Barons erschreckt und betrübt, verließ Spaa, theils um ihrem Bewerber zu entgehen, theils um die Zusammenkunft mit ihrem Vormunde nicht zu versäumen. Sie sehen, daß der Faden in dem künstlich erschaffenen Labyrinthe gefunden ist. Genügen diese Andeutungen nicht, Sie zu bewegen, der volljährigen Amalie ihr väterliches Erbe zu übergeben, so werden die vorhandenen Documente der Behörde überliefert.“

Der alte Graf verlor scheinbar seine Ruhe nicht. Die großen Augen seines feinen, mit Runzeln durchzogenen Gesichts warfen spöttische Blicke auf den jungen Mann, der erwartungsvoll vor ihm stand.

„Ich glaube annehmen zu dürfen,“ sagte er lächelnd, „daß kein anderer als der junge Baron von Beck sich die Freiheit nimmt, Drohungen mir gegenüber auszusprechen?“

„Sie irren nicht, mein Herr, ich bin der Baron von Beck.“

„Also der Liebhaber der schönen Amalie? Nicht übel! Ihre Familie ist mir bekannt, und daher weiß ich, daß der letzte Sprosse, Albrecht, bereits daran gedacht hat, sein Geschlecht fortzupflanzen. Man bezeichnet die Tochter eines Försters als die glückliche Gattin des Edelmanns. Die christliche Religion verbietet die Bigamie, mein Herr, und der Staat hat eine strenge Strafe darauf gesetzt.“

„Ich bitte, Herr Graf, betrachten Sie mich nicht als den Liebhaber Amaliens, sondern als den Boten der unglücklichen Benedicta, der Sie an die Pflichten erinnert, die Sie Ihrem Gewissen und der Ehre des Edelmanns schulden. Sie sehen, man durchschaut Ihre eigennützigen Pläne und tritt Ihnen energisch entgegen. Weigern Sie sich, als ein Mann von Ehre zu handeln, so wird man Sie zu zwingen wissen.“

Der Graf bat in höhnender Weise, die Unterredung abzukürzen, da er durchaus nicht geneigt sei, irgend eine Antwort zu ertheilen. Er fürchte, fügte er hinzu, eben so wenig die Angriffe eines verblendeten Thoren, als das Urtheil eines Gerichtshofes. Albrecht verließ das Zimmer und suchte Amalie auf. Vergebens durchstreifte er den Garten. Endlich traf er Barchon.

„Wo ist das Fräulein?“

„Auf meine Nachricht von Ihrer Ankunft hat sie sich sogleich in ihr Zimmer begeben.“

„So wird sie jetzt den Ausgang meiner Unterredung wissen!“ dachte der Baron.

In dem Zimmer des pensionirten Küsters schrieb er einige Zeilen an die Geliebte; Barchon versprach sie zu befördern. Noch stand Albrecht sinnend am Fenster, er konnte sich nicht entschließen, das arme Mädchen in den Händen des Peinigers zurückzulassen, der ohne Zweifel andere Zwangsmittel ersinnen würde, um seinen Plan durchzusetzen. In dem Briefe hatte er ihr vorgeschlagen, zu entfliehen. Sei sie seine Gattin, so könne er immer noch einen Prozeß gegen den Vormund einleiten.

„Ich werde Sie nicht weniger lieben, auch wenn Sie arm und verlassen meine Gattin werden!“ schloß das Billet.

Da fuhr der Reisewagen vor das Haus. Ein Diener sprang vom Bocke und öffnete den Schlag. Herr von Funcal, der in Spaa verwundete, stieg aus. Sein Gesicht war todtbleich, er stützte sich auf den Diener, der ihn langsam und vorsichtig die Treppe hinanführte.

„Kennen Sie ihn?“ fragte Albrecht, in dem die Eifersucht mit neuer Gewalt erwachte, obgleich sein Nebenbuhler einen Anblick bot, der ein junges Mädchen wenig reizen konnte.

„Das ist der Fremde, der schon vor vierzehn Tagen dem Grafen einen Besuch abstattete,“ murmelte Barchon. „Er kam Abends an und reis’te den folgenden Morgen wieder ab.“

„Weiter wissen Sie nicht von ihm?“

„Nein!“ versicherte der Küster.

Albrecht glaubte sich jetzt die Abwesenheit Funcal’s von Spaa erklären zu können. Der fromme Mann war in Aachen gewesen, hatte von dem Grafen die Notizen über Albrecht’s erste Verbindung mit Katharina und wahrscheinlich auch die Anweisungen erhalten, sich des gefährlichen Nebenbuhlers zu entledigen. Wie aber war das verhängnißvolle Papier in das Portefeuille gekomen? Wenn die Tochter des Försters, deren Schriftzüge er genau wieder erkannt hatte, wirklich noch am Leben war? Dann unterlag es keinem Zweifel, daß sie mit dem Grafen in Verbindung stand. Aber, fragte er sich weiter, wie konnte der verrätherische Vormund voraussehen, daß ich je Amalie kennen lernen würde?

„Herr Barchon,“ fuhr er plötzlich aus seinem tiefen Sinnen auf, „rechnen Sie auf eine glänzende Belohnung, wenn Sie auf der Stelle den Brief in Amaliens Hände bringen, wenn Sie den Grafen genau beobachten und mir von jedem Vorgange Bericht erstatten. Sorgen Sie dafür, daß die junge Dame nicht abreis’t, ohne vorher eine Unterredung mit mir gehabt zu haben. Vergessen Sie nicht, daß ich reich, sehr reich bin!“

[209] Er warf dem großen Manne seine Börse zu und eilte nach der Stadt zurück.

„Die Leidenschaft des Herrn Barons muß man benutzen!“ dachte Barchon, indem er lächelnd die schwere Börse in seiner Hand wog. „Verliebte sind großmüthig, wenn es sich um die Erlangung der Geliebten handelt. Der geizige Graf ist alt; wenn er mich jetzt verläßt, werde ich ihn nie wiedersehen. Wer kann es mir verdenken, daß ich mir neue Kundschaft suche? Herr Baron, Sie sind freigebig und reich, folglich sollen Sie gut bedient werden.“

Barchon stieg die Treppe hinan, um den Brief an Amalie zu besorgen.

[217] Albrecht hatte indeß das Hotel erreicht. Athemlos betrat er sein Zimmer. Kaum hatte er sich ein wenig erholt, als er den Diener rief. Fritz war ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, er stammte von den Gütern des Barons und diente seinem Herrn mit Treue und Anhänglichkeit. Der Baron hatte ihm stets sein volles Vertrauen geschenkt, und bis zu diesem Augenblicke lag kein Grund vor, ihm dasselbe zu entziehen.

„Sind sie krank, lieber Herr?“ fragte er besorgt.

„Warum?“

„Ihr Gesicht ist bleich, Ihre Augen sind trübe – es muß etwas Ungewöhnliches vorgegangen sein.“

„Vielleicht!“ sagte Albrecht. „Setze Dich dort auf den Stuhl und antworte mir genau auf alle Fragen, die ich jetzt an Dich richten werde. Sage mir die lautere Wahrheit, ohne zu fürchten, daß sie mich verletzt. Verschweigst Du mir aus irgend einer Rücksicht den kleinsten Umstand, so würde ich Dir zürnen müssen.“

Der Diener verbarg sein Erstaunen über die Aufregung des Barons. Erwartungsvoll ließ er sich auf den bezeichneten Stuhle nieder.

„Fritz,“ begann Albrecht, „versetze Dich in jene Zeit zurück, wo Du mein Bote nach dem Forsthause bei Heyerswyl warst –“

„Wo Sie mich mit Briefen und Bestellungen an die arme Katharina absandten?“ fragte Fritz mit einem Anfluge von Heftigkeit. Dann fügte er ruhig hinzu: „dieser Zeit erinnere ich mich noch so deutlich, als ob zwischen damals und jetzt einige Wochen lägen. Die arme Katharina!“ seuftzte er. „Ich kann sie nicht genug beklagen!“ murmelte er zwischen den Zähnen.

„Und wer trägt die Schuld an ihrem Unglücke?“ fragte Albrecht. „Wer veranlaßte sie, meine Schritte falsch zu deuten? Wer pflanzte den Samen des Argwohns in ihr Herz? Wer erfüllte meinen Vater mit Vorurtheilen, daß ich ihm meine heimliche Heirath verschweigen mußte, wenn ich seinen Zorn und seinen Fluch nicht auf mich laden wollte?“

„Kein Anderer als Prosper!“ murmelte Fritz. „Der schwarze Mönch allein trägt die Schuld an dem Unglücke. Als Sie im Auftrage Ihres Herrn Vaters die Reise nach Wien unternahmen, die Sie fast ein halbes Jahr vom Hause fern hielt, da habe ich dem Mönch oft in dem stillen Forsthause gesehen. Unter dem Vorwande, [218] Katharina zu trösten, war er mit ihr allein – ich belauschte sie einmal in der Laube. Da hörte ich, daß sie laut weinte und in die Worte ausbrach, „„ich bin sein Weib, ich kann es nicht glauben, daß er mich verlassen hat““. Es läßt sich denken, was diesen Worten vorangegangen war.“

„Das hast Du mir bereits erzählt, Fritz! Jetzt wiederhole mir die Einzelnheiten der Flucht – ich will sie heute noch einmal hören, ich muß sie hören, um mir ein Urtheil bilden zu können.“

„Sie hatten mir aufgetragen, Katharina während Ihrer Abwesenheit zu überwachen. Ich kam dem Auftrage pünktlich nach, und machte mir täglich in dem Forsthause zu schaffen. Lieber Herr, Katharina dauerte mich, sie war bleich geworden, von ihrer früheren Munterkeit war keine Spur mehr vorhanden, und still und in sich gekehrt schlich sie umher. Da trat ich eines Tags zu ihr und wollte sie durch einen Gruß von Ihnen, obgleich ich keinen erhalten hatte, trösten.“

„Auch von allen meinen Briefen ist Dir keiner zugekommen?“

„Nicht einer, Herr Baron.“

„Fahre fort!“

„Ich trat also zu Katharina, eben als sie sinnend in der Laube saß, wo Sie so oft mit ihr geplaudert hatten. Als sie mich sah, zuckte sie zusammen, als ob sie plötzlich von heftigen Krämpfen befallen würde – dann begann sie bitterlich zu weinen. Mit beklommenem Herzen richtete ich meinen erlogenen Gruß aus. „„Das soll ich glauben?““ fragte sie, indem ihr die Thränen über das Gesicht rannen. Glauben Sie es nur, Jungfer Katharina! sagte ich, denn ich wußte damals noch nicht, daß sie Ihre Frau war. „„Du lügst! Du lügst!““ fuhr sie wie eine Wahnsinnige auf. „„Und wenn Du die Wahrheit sagst, so will er mich nur bethören, damit ich schweigen und ihn nicht öffentlich anklagen soll! Doch das hat er nicht zu fürchten,““ fügte sie mit einem Lächeln hinzu, das mir Mark und Bein durchschnitt. „„Der Priester, der uns heimlich getraut hat, ist schon längst gestorben – aber nein, wenn ich auch Beweise hätte, ich würde nie gegen ihn auftreten. Mag er sein reiches Fräulein heirathen, das ihm der Vater bestimmt hat, ich werde ja nicht lange mehr leben!““ – Sie ging aus der Laube, und ich hatte nicht den Muth, ihr mehr zu sagen. Der Sommer verfloß, der Herbst kam, aber immer noch blieben Sie aus. Die Domestiken des Schlosses erzählten sich wirklich, daß Sie sich in Wien verheirathen würden. Da ging ich wieder eines Tages nach dem Forsthause. Als ich mich dem Garten näherte, sah ich Katharina. Ach, Herr Baron, ich war erschreckt bei ihrem Anblicke, sie sah sich nicht mehr ähnlich. Das Gesicht war bleich und hager, die Blicke der großen Augen –“

„Ich erlasse Dir die Beschreibung!“ unterbrach ihn Albrecht. „Erzähle die Flucht – die Reise nach Wien!“

Fritz hatte sein Taschentuch hervorgehzogen und sich die Thränen getrocknet.

„Kaum hatte mich die arme Katharina gesehen,“ fuhr er bewegt fort, „als sie meine Hand ergriff, und mich in die Laube zog. Nun erfolgte die Scene, die ich Ihnen früher schon oft geschildert habe. „„Wenn Du mich nicht nach Wien begleitest, so gehe ich allein!““ rief sie verzweiflungsvoll aus. Ich konnte ihren Bitten nicht länger widerstehen, als sie niedersank und meine Knie umklammerte. Sie ist ja die Frau meines Herrn, dachte ich, und wenn du sie ihm zuführst, erfüllst du deine Pflicht; du sollst über sie wachen und darum kannst du sie nicht allein reisen lassen. Wir setzten also den folgenden Tag zur Abreise fest, denn ich begriff ja wohl, daß Katharina nicht zögern durfte. Der Zufall unterstützte mich, denn als ich in das Schloß zurückkam, wurde mir angekündigt, daß ich am nächsten Morgen nach Wien zu meinem Herrn gehen solle, der von dort aus eine Reise nach Italien unternehmen würde. Mit Sonnenaufgang war ich gerüstet in dem Forsthause. Katharina, ein kleines Bündel tragend, erwartete mich schon. Sie hatte sich heimlich aus dem Hause geschlichen, und, wie sie mir sagte, dem Vater einen Brief hinterlassen, in dem sie ihm ihre Abreise angekündigt. Um Mittag kamen wir auf die große Straße. Ich miethete einen Wagen, und wir fuhren bis zur Nacht weiter. Katharina hatte keine Ruhe, ehe der Morgen anbrach, befanden wir uns wieder auf dem Wege. Ach, Herr Baron, wie hat das arme Wesen gelitten! Sie nahm weder Trank noch Speise zu sich, von einer fürchterlichen Angst gefoltert, drang sie nur stets auf ein rasches Weiterreisen. Ich rieth ihr, einen Tag zu ruhen, weil ich sah, daß sie ernstlich krank war – umsonst, sie drohete allein zu gehen, wenn ich sie nicht begleiten würde. Eine Tagereise vor Wien ward ihr Zustand so bedenklich, daß ich sie in ein Kloster bringen mußte, dessen fromme Nonnen, wie man mir erzählte, sich mit der Pflege der Kranken beschäftigten. Man fragte nicht, woher Katharina käme und wer sie sei – man sah ihr Leiden und nahm sie großmüthig auf. Ich blieb in einem Wirthshause, das in der Nähe lag. Als ich sie am andern Morgen besuchen wollte, erfuhr ich, daß sie in der Nacht einen todten Knaben geboren habe. Ich durfte sie nicht sprechen und ging in meine Herberge zurück, die ich einer Nonne bezeichnet hatte. An jenem Tage schrieb ich Ihnen den ersten Brief. Denselben Abend kam ein Bote aus dem Kloster und forderte mich auf, sogleich zu Katharina zu kommen, die sehr krank geworden sei. Als ich in ihre Zelle trat, rang sie bereits mit dem Tode. Sie konnte mir nichts weiter sagen, als: „„ich verzeihe ihm, möge er meiner gedenken, ich bin ihm treu geblieben bis in den Tod!““ Unter den Gebeten zweier Nonnen verschied sie. Am nächsten Morgen lag sie mit ihrem Kinde im Sarge. Ich drang darauf, die Beerdigung nicht zu beschleunigen, da der Gatte der Verstorbenen kommen müsse; man wartete noch drei Tage, aber Sie kamen nicht, Herr Baron, und die Leiche mußte beigesetzt werden. Betrübt reiste ich nun allein nach Wien. Sie wissen, ich kam in dem Augenblicke an, wo Sie meinen Brief lasen – Sie waren von einer Reise zurückgekehrt, die Sie acht Tage von Wien fern gehalten hatte. Zwei Tage später standen Sie an dem Grabe Ihrer Gattin, wo Sie schworen, eine furchtbare Rache an dem boshaften Verleumder zu üben. Dann traten Sie, um sich zu zerstreuen, die Reise nach Italien an. Ein Jahr später kehrten wir zurück, um Ihren Vater zu Grabe zu tragen.“

Fritz schwieg. Er schien von der Erzählung ungewöhnlich angegriffen zu sein. Mit der flachen Hand hielt er die hervorquellenden Thränen zurück. Albrecht starrte in finsterm Sinnen vor sich hin.

„Fritz,“ sagte er plötzlich, „ich habe ein großes Versehen begangen, daß ich mir von der Priorin des Klosters den Todesfall nicht habe bescheinigen lassen. Nicht wahr, Du kannst Deine Angaben beschwören?“

„Mit gutem Gewissen, Herr!“ antwortete der Diener. „Dessen wird es aber nicht bedürfen, wenn sie sich der amtlichen Bestätigung des Klosters versichern, die man Ihnen nicht verweigern wird. Herr Baron, die arme Katharina schlummert so ruhig in ihrem Grabe, daß Sie sich dreist als Wittwer betrachten und eine neue Wahl treffen dürfen. Legen Sie endlich die Trauer ab und geben Sie sich den Freuden des Lebens wieder hin.“

„Fritz,“ murmelte Albrecht, „man hat mir in Spaa ein Blatt gezeigt, das von Katharina’s Hand geschrieben war und die Jahreszahl 1840 trug.“

„Wer zeigte es Ihnen?“ fragte der Diener auffahrend.

„Jener Herr von Funcal, der lange blasse Mann. Es sollte mir beweisen, daß meine Frau noch lebt.“

„Unmöglich, Herr Baron!“ rief Fritz eifrig. „In diesem Falle wäre ich ein Lügner. Ach, hätte ich die arme Katharina mit meinem Leben retten, hätte ich sie Ihnen frisch und gesund in Wien zuführen können! Jener Mann ist ein Betrüger.“

„Hier ist das Blatt, das Du ihr überbrachtest – auf der Rückseite steht die Antwort.“

Albrecht holte das Papier aus Amalia’s Portefeuille. Fritz betrachtete es erstaunt.

„Die Zeilen sind allerdings von Ihrer Hand geschrieben, Herr Baron, und diese hier von der Katharina’s; aber ich erinnere Sie an Prosper – man verfolgt einen tückischen Plan, es liegt eine Spitzbüberei zum Grunde –“

„Die wir aufdecken müssen! Rüste Dich, Du wirst heute noch nach dem Kloster abreisen, um die Papiere zu holen. In Wien wirst Du einen Brief vorfinden, der Dir anzeigt, wo Du mich triffst.“

Zwei Stunden später verließ Fritz das Hotel, um mit der Post nach Wien zu reisen. Albrecht war ruhiger geworden, er kannte die Treue seines Dieners, der ihn auf allen Streifzügen durch die Welt begleitet hatte, und es ließ sich nicht annehmen, daß er seine Hand zu einem so argen Betruge bieten würde. Welchen Grund konnte er überhaupt haben, gegen seinen Herrn zu handeln, der ihm fast ein Freund war? Fritz hatte ihm genug Proben seiner Rechtlichkeit und seines unerschütterlichen Charakters geliefert; er hatte selbst eine vortheilhafte Heirath mit einer wohlhabenden Wittwe ausgeschlagen, nur um bei seinem Herrn bleiben [219] zu können. Auch an Amalia’s Liebe durfte er nicht zweifeln; sie hatte ihm ja in einem langen Briefe ihre Verhältnisse enthüllt und ihn zu der Unterredung veranlaßt, die er mit dem alten Grafen gehabt. Wir fügen noch hinzu, daß er die in dem Briefe geschilderten Verhältnisse mit denen zusammenstellte, die ihm selbst bekannt waren, und daß er zu seiner freudigen Ueberraschung gefunden: der Vater Amalia’s sei ein Freund seines eigenen gewesen. Hieraus erklärte sich sein Auftreten gegen den Grafen von Funcal, so wie sein Wissen um Dinge, die ihm Amalia nicht mitgetheilt haben konnte. Er hielt dafür, daß der Graf Alles aufbot, um Amalia’s Neigung zu ersticken, und daß er ein solches Mittel wählte, konnte ihn nicht wundern, wenn er der schon seit Jahren fein angelegten Erbschleicherei desselben gedachte. Außerdem auch mußte der Vormund keine unbedingte testamentarische Gewalt über seine Mündel besitzen, da er das Zwangsmittel der Verdächtigung und nicht die Autorität anwendete, deren er sich rühmte.

Gleich nach der Abreise erschien Barchon; er brachte folgende Zeilen von Amalia:

„Ich verrichte meine Vesperandacht im Dome – erwarten Sie mich dort.“

Vor der festgesetzten Zeit war der feurig liebende Albrecht an Ort und Stelle. Das majestätische Gotteshaus war angefüllt mit Gläubigen, welche die sogenannten kleinen Heiligthümer, an der Kanzel angebrachte Kostbarkeiten von großem Werthe, bewunderten. Zeit und Ort waren zu einer geheimen Besprechung völlig geeignet. Mit unruhig klopfendem Herzen beobachtete er jede Gruppe der Betenden, er ging von Altar zu Altar, von Säule zu Säule – Amalia war nicht zu entdecken. Eine falbe Dämmerung herrschte bereits in den hohen Hallen, als er eine schwarzgekleidete Dame vor einem einsamen Seitenaltare erblickte; sie sah zur Seite – es war Amalia. Zitternd kniete er neben ihr auf der Steinstufe nieder.

„Amalia!“ flüsterte er.

„Vorsicht, lieber Freund, dort betet der Graf. Uns bleiben nur zwei Minuten –“

„Amalie, entziehen Sie sich jenem Menschen, folgen Sie mir als meine Gattin, wir bedürfen des Vermögens nicht – ich bin reich und unabhängig.“

„Unabhängig?“ fragte sie und ihre schmerzlichen Blicke trafen ihn, Blicke, die ihre furchtbaren Zweifel verriethen.

„Glauben Sie mir nicht?“ fragte er zitternd. „Amalia, Tod und Leben hängt von Ihrem Entschlusse ab! Vertrauen Sie meiner heißen, aufrichtigen Liebe! Opfern Sie Ihr Vermögen – aber lassen Sie mich nicht allein reisen!“

Mit flehenden Blicken sah er zu ihr – Thränen standen in ihren schönen Augen, und die liebliche Stimme bebte, als sie zurückflüsterte:

„Albrecht, ich kann Sie jetzt noch nicht begleiten!“

„O, Sie lieben mich nicht! Ich will Sie, nur Sie besitzen! Sie senden mich in den Tod, wenn ich ohne Gewißheit gehe!“

„Ich liebe Sie, Albrecht; aber haben Sie Mitleiden!“ schluchzte sie leise. „ Ach, ich muß Ihnen ja vertrauen, ich kann nicht anders! Haben Sie nicht Beweise davon erhalten? Ich glaubte den Grafen einzuschüchtern, indem ich Sie in meine Geheimnisse einweihte und mein Vertheidiger zu sein bat – dieser Schritt hat die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht – ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß mich der fürchterliche Mensch völlig in seiner Gewalt hat. Er kann mich und Sie verderben.“

„Amalie, lassen wir uns nicht durch leere Drohungen schrecken, man zeigt Ihnen wie mir ein wesenloses Gespenst. Was kann er gegen meine Gattin unternehmen? Was kann er Ihnen, außer Ihrem Vermögen, entziehen?“

„Sein Neffe ist angekommen, derselbe Funcal, den Sie verwundeten –“

„Ich weiß es. Er wirbt um Ihre Hand, und Sie, Amalie, scheinen nicht abgeneigt zu sein –“

„Ich vermuthete bereits in Spaa, wer er sei, und darum durfte ich ihn nicht entschieden abweisen, obgleich er mir in tiefster Seele verhaßt ist.“

„Amalie, kommen wir zu einem Beschlusse!“ bat Albrecht dringend. „folgen sie mir, wir reisen diesen Abend noch ab, und wenn uns der Graf erreicht, sind Sie meine heißgeliebte Gattin! Ich schwöre es bei dem Gekreuzigten, zu dessen Füßen wir knieen!“

„Albrecht, werden sie nie diesen Schwur bereuen?“ fragte sie in sichtlicher Bewegung.

„Nie, Amalia, nie!“ rief er schwärmerisch.

„Wohlan, so reisen wir auf verschiedenen Wegen. Nennen Sie mir das Ziel.“

Der Baron bezeichnete ein Hotel in München.

„Ich reise diesen Abend, Sie werden mir morgen folgen!“ sagte sie fest.

„Nehmen Sie mein Portefeuille, es ist mit Banknoten gefüllt – es ist der größern Vorsicht wegen.“

„Ich bin gezwungen, es anzunehmen, wenn ich keinen Argwohn erregen will! Nun trennen wir uns – reisen Sie nicht vor morgen früh!“

„Auf Wiedersehen!“

Er drückte einen heißen Kuß auf ihre zitternde Hand. Einige Minuten später verließ sie an der Seite des Grafen, der bis dahin gebetet hatte, den Dom. Als Albrecht in das Freie trat, sah er das Kabriolet davonfahren. Heute lenkte der Graf selbst das Pferd. Albrechts Glückseligkeit läßt sich nicht beschreiben. Zunächst ordnete er bei einem Banquier seine Geldgeschäfte, dann schrieb er einen Brief nach Wien, in dem er Fritz den Befehl ertheilte, mit den Papieren nach Heyerswyl zu reisen. Es war schon dunkel, als er die Vorbereitungen zur Abreise beendet hatte. Träumend saß er in seinem Zimmer. Da klopfte es an die Thür und Barchon trat ein.

„Herr Baron!“ flüsterte der kolossale Mann.

„Was bringen Sie?“

„Die Nachricht, daß Fräulein Amalie so eben mit der Post abgereist ist. Weder der Graf noch sein blasser Neffe wissen darum. Aber nur mit meiner Hülfe war die heimliche Flucht möglich. Als die reizende Dame in den Wagen stieg, flüsterte sie mir zu: gehen Sie zu dem Herrn Baron von Beck, und sagen Sie ihm, daß Sie mir den letzten Dienst in Aachen geleistet hätten. Ich habe mich beeilt, mein Herr, diesen Auftrag auszurichten.“

Albrecht warf ihm einige Banknoten zu, ermahnte ihn zur Verschwiegenheit, und versprach ihm ein bedeutendes Geschenk, das an seinem Hochzeitstage abgehen würde. Barchon schwor bei allen Heiligen, wie das Grab zu schweigen, und entfernte sich. In der Dämmerung des nächsten Morgens reiste der Baron mit Extrapost ab. Vielleicht eine Stunde mochte er das Hotel verlassen haben, als ein Polizei-Commissar erschien und nach ihm fragte. Man wußte ihm weiter nichts anzugeben als das Thor, durch das der Gast die Stadt verlassen hatte.




VII.
Der Hochzeitstag.

Nach einer anstrengenden, ununterbrochenen Reise war der Baron so zeitig in München eingetroffen, daß er Amalie noch zuvorgekommen zu sein glaubte. Er ließ in dem bezeichneten Hotel die besten Zimmer zu dem Empfange der Dame vorbereiten. Albrecht hatte Freunde in München, er stattete Besuche ab und erneuerte alte Bekanntschaften, um die ängstliche Ungeduld zu besiegen, mit der er zwei Tage lang vergebens die Ankunft der Geliebten erwartete. Am dritten Tage erhielt er durch die Post einen Brief. Er kam von Amalie. Sie schrieb ihm, daß sie Gründe habe, eine Verfolgung des Grafen zu fürchten, und daß sie es daher vorziehe, München nicht zu berühren, wo sie sein Stammschloß Heyerswyl, von dem er so oft zu ihr gesprochen habe, ohne Schwierigkeiten auffinden würde. Der Brief schloß mit der Versicherung ewiger Liebe. Es läßt sich denken, daß Albrecht nicht lange säumte, abzureisen. Am dritten Tage sah er die Thürme des alten, romantischen Schlosses. Das Posthorn schmetterte lustig durch das anmuthige Thal, das Thor öffnete sich, und der Wagen hielt an der großen Steintreppe. Die Dienerschaft, die ihn jubelnd empfing, war alt geworden, er war ja zehn Jahre abwesend gewesen. Der alte Verwalter war ein Greis mit schneeweißen Haaren, und die Wirthschafterin ein dickes, rundes Mütterchen.

„Wo ist Fritz, mein Vetter?“ fragte sie verwundert, als sie den Diener nicht sah.

„Er wird in den nächsten Tagen eintreffen, Mutter Elsbeth! Geschäfte für mich haben ihn unterwegs aufgehalten.“

Der Verwalter machte seinem Herrn freundliche Vorwürfe, [220] daß er so unerwartet gekommen sei, man habe nichts zu seinem Empfange thun können.

Albrecht bezog ein Zimmer, von dessen Fenstern aus man die Hauptstraße übersehen konnte, die zu dem Schlosse führte. Kaum hatte er sich erholt, als er Anordnungen traf, seine zukünftige Gattin zu empfangen. Als Zweck derselben gab er seinen längeren Aufenthalt auf dem Schlosse an. Drei Tage hatte er in peinlicher Unruhe verbracht, aber weder Fritz kam an, noch Amalie. Am vierten Tage fragte er den Kastellan nach dem Förster Zierlein.

„Der lebt noch, gnädiger Herr!“ war die Antwort. „Die Regierung hat ihm seinen Posten gelassen, obgleich er alt und schwach ist. Zwei tüchtige Jägerburschen versehen seinen Dienst und Alles geht gut. Der Kummer um seine Tochter, die auf so räthselhafte Weise verschwand, hat den kräftigen Mann vor der Zeit gealtert. Fragt man ihn nach ihr, so schüttelt er schmerzlich das kahle Haupt und sagt: meine Katharina ist todt! Laßt sie, laßt sie, fügt er gewöhnlich hinzu, indem er eine abwehrende Bewegung mit der Hand macht – es ist gut, daß es so gekommen ist!“

„Und hat man nie wieder etwas von ihr erfahren?“ fragte der Baron mit schwankender Stimme.

„Nie wieder, gnädiger Herr! Man flüstert sich wunderliche Dinge von ihr in das Ohr – sie soll sich selbst das Leben genommen haben.“

Der Baron brach das Gespräch ab. Die Auskunft des Kastellans erfüllte ihn mit Schmerz, aber auch mit Freude. Er hatte sich den Tod der unglücklichen Katharina nicht zum Vorwurf zu machen, denn um ihre Ehre zu retten und sie zu beruhigen, hatte er sich heimlich mit ihr trauen lassen. Um alle Zweifel zu beseitigen, kam zwei Tage später Fritz an, und überreichte seinem Herrn die vom Kloster ausgestellten Papiere. Nichts fehlte mehr zu seinem Glücke, als Amalie. Die Einsamkeit und die qualvolle Erwartung hatten seine Leidenschaft fast bis zum Wahnsinne gesteigert; er suchte tausend Gründe, die ihr Ausbleiben rechtfertigten, aber die Eifersucht, die sich nach und nach in Mißtrauen verwandelte, verwarf sie alle wieder.

Eines Morgens stand er an dem geöffneten Fenster. Da fuhr eine Postchaise den Hügel herab. Zitternd betrachtete Albrecht die langsame Fahrt des Wagens, der endlich in dem Thore verschwand.

„Sie kommt, gnädiger Herr!“ rief Fritz, der hastig eintrat.

„Wer?“ fragte der Baron, obgleich er wußte, wer gemeint sei.

„Wer anders als die reizende Dame aus Spaa und Aachen. Ich sah ihren lieblichen Kopf durch die Fenster des Wagens – nicht wahr, sie wird unsere junge Herrin? Ach,“ fügte er ausgelassen lustig hinzu, „das ist eine andere Frau für Sie, gnädiger Herr, als die einfältige Försterstochter.“

Fritz verschwand; nach einigen Augenblicken öffnete er die Thür wieder, und Amalie, in einem eleganten Reiseanzuge, trat ein. Sie hatte nicht Zeit zu grüßen, denn Albrecht schloß sie in seine Arme und bedeckte ihren Mund mit Küssen.

„Bin ich noch immer willkommen?“ fragte sie, erröthend an seine Brust sinkend.

„Amalie, erlassen Sie mir die Beschreibung der Qual, die ich erduldet. Hier habe ich gehofft und gefürchtet“ – er deutete auf das Fenster –

„Und ich mußte mit großer Vorsicht reisen, denn der Graf hatte meine erste Spur entdeckt.“

„Jetzt hat er keine Rechte mehr an Sie!“

„Vergessen Sie nicht, daß ich in zwei Monaten erst die Volljährigkeit erreicht habe. Ach, und ich weiß nicht, wie weit ihm das Testament meines Vaters Vollmacht giebt. Albrecht, ich habe viel gewagt; tragen Sie Sorge, daß man mich Ihnen nicht wieder entreißen kann.“

Mit triumphirender Miene holte der Baron die Bestätigung des Todes seiner ersten Gattin.

„Damals glaubte ich zu lieben, Amalie, und jetzt liebe ich erst! vergessen wir die Vergangenheit, und versichern wir uns der Gegenwart und Zukunft.“

„Und wenn ich nun so arm bleibe, als ich jetzt zu Ihnen komme?“ fragte sie verschämt.

„Dann besitze ich einen Schatz von Anmuth und Liebenswürdigkeit, der alle Reichthümer der Welt aufwiegt.“

Fritz, der Zeuge dieser ersten Herzensergießungen gewesen, verließ das Zimmer.

„Jetzt also liebt der Herr Baron erst!“ murmelte er in einem schmerzlichen Zorne vor sich hin. „O, ich habe mich nicht getäuscht, die arme Katharina ist der Laune eines vornehmen Herrn geopfert!“

Der Baron zitterte für den Besitz des reizenden Wesens, an dem er mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seines Charakters hing, und auch Amalie sprach die Besorgniß aus, daß der Vormund es nicht unterlassen würde, seine Gewalt so lange geltend zu machen, als es ihre Minderjährigkeit ihm gestattete. Von einem so zähen Charakter als dem des Grafen, ließ sich Alles fürchten. Eine Trennung, und wenn sie nur auf Tage erfolgte, schien den Liebenden das größte Unglück zu sein. Außerdem erforderte es die Ehre der jungen Dame, daß der Brautstand so viel als möglich abgekürzt würde. Dem Ansehen des Barons gelang es, den Pfarrer seines Gutes zur Trauung zu bestimmen. Der Todtenschein Katharina’s und der Geburtsschein Amalia’s, den sie sich früher schon zu verschaffen gewußt hatte, um ihre Volljährigkeit darzuthun, beseitigten alle Bedenken des Priesters, der vor dem mächtigen und reichen Baron hohe Achtung hegte. Die Trauung Albrechts mit der Braut, die er sich von der Reise mitgebracht, ward still in der kleinen Kapelle des Schlosses vollzogen. Die Domestiken bewunderten die Schönheit und Milde der jungen Herrin, und unter lautem Jubel führte man die beiden Gatten in ihre prachtvoll eingerichteten Gemächer.

Es war gegen Abend des Trauungstages, als Fritz in den kleinen Saal trat, in welchem sich die Neuvermählten befanden. Amalie, einfach in weiße Seide gekleidet, trug noch den Brautkranz in den braunen Locken. Sie glich wirklich einem Engel von überirdischer Schönheit. Albrecht saß zu ihren Füßen, ganz Anbetung und Liebe.

„Verzeihung, gnädiger Herr, daß ich störe,“ sagte Fritz mit zitternder Stimme.

Der Baron sah ihn fragend an. Amalie ergriff ängstlich den Arm ihres Gatten.

„Ist etwas geschehen?“ flüsterte sie, bestürzt über die Aufregung des Dieners, von dem sie wußte, daß er treu an seinem Herrn hing.

„Der Graf von Funcal, in Begleitung seines Neffen, bittet um eine Unterredung.“

„Jetzt?“ rief der Baron auffahrend. „Der würdige Mann hat seine Zeit gut gewählt. Wenn ihn meine Gattin empfangen will –“

„Er mag mich an Deiner Seite sehen, Albrecht – jetzt fürchte ich ihn nicht mehr!“

„Fritz,“ befahl der Baron, „laß die Herren Funcal eintreten, dann bleibst Du in dem Saale, im Falle ich Deiner Dienste bedarf.“

Der Diener verschwand. Amalie warf sich an die Brust des Gatten und umschlang mit bebenden Armen seinen Hals.

„Fürchte nichts, Geliebte!“ tröstete er unter Küssen. „Uns umschlingt ein heiliges, festes Band, das weder menschliche Gewalt noch Bosheit zerreißen kann. Wenig Augenblicke werden genügen, um dem greisen Verbrecher seine Stellung zu uns anzudeuten.“

Fritz öffnete die Thür, und beide Funcals erschienen. Die Gatten traten ihnen Arm in Arm entgegen. Keiner der beiden Gäste drückte ein Erstaunen aus, sie grüßten mit kalter Höflichkeit.

„Herr Baron,“ begann der alte Graf, „mir scheint, ich komme zu spät, um die mir anvertraute Mündel vor einem großen Unglücke zu bewahren.“

„Verzeihung, Herr Graf,“ antwortete Albrecht mit erkünstelter Ruhe, „Sie kommen zur rechten Zeit, um meiner Gattin Glück zu wünschen und aus ihrem eigenen Munde zu vernehmen, daß Sie der Pflichten eines Vormundes überhoben sind.“

[229] „Mein Herr,“ sagte die junge Frau, „ich kann Ihnen für Ihre Sorge nicht danken, denn sie war so eigennütziger Natur, daß sie mir eine peinliche Last ward. Meine Abhängigkeit von Ihnen ist zu Ende, und eine neue, mich beglückende hat begonnen. – Sie werden meinem Gatten über das Vermögen Rechenschaft ablegen, das Ihnen mein Vater einst anvertraut hat.“

Ein Gemisch von Schmerz und Hohn sprach sich in dem weißen Gesichte des Grafen aus.

„Ich war auf diesen Empfang vorbereitet,“ antwortete er ruhig. „Aber rechnen Sie darauf, daß ich Ihnen verzeihe, Ihnen, der verblendeten jungen Dame.“

„Herr Graf,“ unterbrach ihn Albrecht heftig, „vergessen Sie nicht, daß Sie ein Gast unter dem Dache des Baron von Beck sind! Jede Kränkung meiner Gattin trifft mich – und fragen Sie Ihren Neffen, er wird Ihnen bestätigen, daß ich ein Mann von Muth und Ehre bin.“

„Noch habe ich mit meiner Mündel zu verhandeln, Herr Baron! Oder soll ich schweigen, wenn die Tochter meines verstorbenen Freundes in einer Bigamie lebt?“

Amalie zuckte wie von einem Blitzstrahle getroffen zusammen.

„Fritz,“ rief Albrecht in zorniger Aufwallung, „Du wirst die beiden Herren ersuchen, mein Schloß zu verlassen. Sage ihnen, daß mein Rechtsanwalt zu ferneren Unterhandlungen bereit sei.“

„Gut, so breche auch ich meine Unterhandlungen ab, Herr Baron, und stelle Ihnen sogleich meinen Rechtsanwalt entgegen. Dann wird Amalie begreifen, daß sie noch unter meiner Autorität steht, und daß ich nicht streng genug meine Pflicht erfüllt habe.“

Fritz hatte indeß die Thür geöffnet und zog eine bleiche, abgehärmte Frau in den Saal. Sie trug armselige schwarze Kleider und eine Mütze nach Art der Landleute jener Gegend.

„Herein, herein!“ rief Fritz, dessen ganzes Wesen plötzlich wie umgewandelt erschien. „Sage dem Herrn Baron, armes Geschöpf, daß er Dich verrathen hat, sage ihm, daß Du ein Opfer seiner vornehmen Laune, seines Leichtsinns bist!“

„Katharina!“ rief erbleichend der Baron, und starr vor Entsetzen blickte er die traurige, geisterhafte Erscheinung seiner ersten Gattin an.

Aus Amaliens blühendem Gesichte war alles Blut gewichen. Unfähig ein Wort zu äußern, entwand sie langsam ihren Arm dem des entsetzten Gatten und ging schwankend in ein Nebenzimmer, wo sie still weinend auf einen Sessel sank.

Die bleiche Katharina sah mit unheimlichem Lächeln bald den Baron, bald die beiden Männer an. Trotz der von Gram und Irrsinn entstellten Züge ließ sich noch erkennen, daß sie einst von ausgezeichneter Schönheit gewesen. Sie schien nicht zu wissen, was das Alles bedeutete. Fritz stand neben ihr, eine gräßliche, wilde Freude blitzte aus seinen schwarzen Augen.

„Mein Gott, träume ich denn?“ stammelte der Baron, indem er mit der Hand über seine schweißbedeckte Stirn fuhr, als ob er sich von der Wirklichkeit überzeugen wollte.

„Nein, Herr Baron, es ist kein Traum!“ rief Fritz. „Hier steht Katharina, Ihre Gattin, welche die ersten Ansprüche an Sie hat. Zweifeln Sie nicht daran,“ fügte er mit erstickter Stimme hinzu, „Sie sind mit zwei Frauen verheirathet! O, nach diesem Augenblicke habe ich lange gegeizt, er war das Ziel meines ganzen traurigen Lebens!“

Albrecht brach fast zusammen; er mußte sich an der Lehne eines Sessels halten, um nicht zu Boden zu sinken.

„Was ist das? Was ist das?“ rief er in einem unbeschreiblichen Tone. „Mensch, Deine letzten Worte rollen einen Schleier auf, der ein entsetzliches Geheimniß birgt! Treibe mich nicht zum Wahnsinn, zur Verzweiflung! Du warst mir kein treuer Diener! Gieb Aufklärung! Hast Du mir mein Lebensglück zertrümmert?“

„Wie Sie das meinige, Herr Baron! So ras’te auch ich, und rennte den glühenden Schädel an die Bäume des Waldes, als Sie die Tochter des Försters, um deren Liebe ich mich bewarb, durch zärtliche Schmeichelreden gefangen hatten, daß sie sich von mir abwandte. Das schwache Mädchen gab dem glänzenden Herrn den Vorzug, dem Herrn, der sie zu lieben glaubte; der schlichte Diener aber, der sie zu einer glücklichen Gattin gemacht haben würde, weil er sie rein und wahr liebte, ward zurückgesetzt. Mir blutete das Herz unter den fürchterlichsten Qualen, aber ich ertrug sie, weil mich die Hoffnung nicht verließ, sie würden Ihr Unrecht einsehen, und meinen Warnungen, die mir damals Ihren Zorn zuzogen, Gehör geben. Aber Sie raubten mir das Mädchen, das ich anbetete, und zu spät erfuhr ich Ihre heimliche Trauung – ja, Herr Baron, ich erfuhr sie, als Sie das arme Wesen verlassen hatten. Ich liebte Katharina noch, aber ich konnte sie nur bedauern, denn sie glücklich zu machen, lag nicht mehr in meiner Macht. Da erfaßte mich die Verzweiflung, zugleich aber ein Groll gegen den Urheber meines Unglücks, daß ich auf das Crucifix eine furchtbare Rache schwor. Ich war jener Prosper, von dem ich Ihnen erzählte, daß er Katharina’s Argwohn anregte, ich sagte ihr, von innerm Hasse gestachelt, daß die heimliche Trauung nur ein Mittel gewesen sei, um das züchtige Mädchen zu Ihrer Buhlerin herabzuwürdigen. Und sie war es auch nur, Herr Baron, trotz der [230] Segnung des Priesters!“ rief Fritz in einer furchtbaren Aufregung. „Die Försterstochter hätten Sie nie vor der Welt anerkannt, auch wenn Ihr Vater seine Einwilligung dazu gegeben. Um das Mädchen, das ich liebte, vor Schmach und Schande zu retten, brachte ich sie zu meinem alten Vater, der oben im Gebirge eine einsame Hütte bewohnt, denn Sie sollten sie nur dann wiedersehen, wenn ihr Anblick eine Strafe sein würde. Das Opfer Ihres Leichtsinns ließ sich willig leiten, denn eine tiefe Schwermuth hatte sich ihrer bemächtigt, die sie willenlos und aller Welt verschlossen machte. Ich aber blieb bei Ihnen, Herr Baron, brachte Ihnen die falsche Nachricht von dem Tode Ihrer Frau und beförderte eine neue Verbindung. Ich war aus Haß Ihr treuer Diener. Bewundern Sie mich, mein Herr – die Rache ist gelungen, denn Sie können sich des Besitzes einer reizenden Gemahlin nicht erfreuen, da Sie außer ihr noch eine blödsinnige haben. Erklären Sie sich nun, wie das Blatt in jenes Portefeuille gekommen? Durch meine Hand – und Herr von Funcal erfuhr es von mir, weil ich Ihre Liebe zu der schönen Fremden noch mehr reizen und ein Duell herbeiführen wollte, in dem Sie entweder zum Mörder werden oder selbst fallen mußten. Herr von Funcal rechnete so fest auf meine Hülfe, daß er im Voraus Ihren Tod anzeigte – ich aber hatte meinen Plan geändert, als ich sah, wie Sie Feuer und Flamme für die unbekannte Schöne waren; ich machte den getreuen Boten, um eine Doppelehe herbeizuführen.“

„Scheusal! Scheusal!“ rief Albrecht, indem er die geballten Fäuste ausstreckte.

„Sie haben mich dazu gemacht, Herr Baron! Aber auch hier ist noch eins Ihrer Werke – vergessen Sie die arme Katharina nicht! Ich kann nicht mehr für sie sorgen, jetzt kommen Sie Ihrer Pflicht nach.“

Wie im Wahnsinn ergriff er die Hand Katharina’s, die bisher wie ein erstauntes Kind dagestanden hatte und führte sie heftig dem Barone zu. Dann stürzte er durch die Thür auf den Vorsaal hinaus.

Katharina erkannte ihren Gatten nicht wieder; sie zog sich scheu von ihm zurück und sah die beiden Funcals an, als ob sie von ihnen Schutz erflehen wollte.

Eine peinliche Pause trat ein. Albrecht, der sich gewaltsam ermannte, unterbrach sie.

„Katharina,“ sagte er mit vor Schmerz bebender Stimme, „man hat uns beide verrathen! Könntest Du die Verhältnisse erfassen, Du würdest mich beklagen, wie ich die beklage, die mir die Hand des Priesters heute angetraut hat. Fast möchte ich Dich beneiden, daß es Dir versagt ist, das Leben mit klarem Geiste zu erschauen – Du bist glücklicher als ich!“

Er küßte weinend ihre bleiche Stirn. Dann zog er die Glocke. Der alte Kastellan trat zitternd ein.

„Tragen sie Sorge für diese Frau, ich fordere sie von Ihnen zurück!“

Katharina ließ sich geduldig und schweigend aus dem Saale führen. Der Baron hatte einige Augenblicke sinnend auf einem Stuhle gesessen. Bleich, aber gefaßt erhob er sich plötzlich.

„Meine Herren,“ sagte er mit fester Stimme, „Sie spielen eine traurige Rolle. Mit einem schurkischen Bedienten haben Sie sich verbunden, um des elenden Mammons wegen zwei Menschen in das Verderben zu stürzen. Ich sehe es an Ihren höhnenden Mienen, daß Sie mich zerschmettert und allen Ihren Forderungen fügsam wähnen – Sie irren, denn mit männlichem Muthe werde ich dem heraufbeschworenen Schicksale die Stirn bieten. Für heute verlassen Sie mich, und denken Sie nicht daran, je einen Einfluß auf die arme Amalie auszuüben. Die Entscheidung über die obschwebenden Fragen wird die Kirche und die weltliche Behörde übernehmen.“

„Herr Baron,“ sagte der alte Graf, „ehe wir gehen, fordere ich die Entscheidung Amaliens –“

„Worüber?“

„Ob sie ihrem Vormunde folgen oder in dem Schlosse bleiben will, das jenes arme Geschöpf unter seinem Dache birgt.“

„Sie haben recht!“ rief Albrecht. „Diese Entscheidung darf ich nicht weigern, es ist selbst meine Pflicht, sie ihr anzutragen.“

„Sie befindet sich dort in dem Kabinette!“ flüsterte lächelnd der Graf.

Albrecht ging festen Schrittes der Thür zu und öffnete. Amalie, deren bleiches Gesicht in Thränen gebadet war, trat ihm entgegen. Wie geblendet von der hohen, himmlischen Erscheinung der jungen Frau im einfachen Schmucke des Brautkranzes, bebte er zurück. Die Sprache versagte ihm bei dem Gedanken, daß ihm das höchste Lebensglück verkümmert sei. Von einem wüthenden Schmerze gefoltert, bedeckte er mit beiden Händen sein Gesicht. Amalie warf einen schmerzlichen Blick auf den zerschmetterten Mann. Dann trat sie den Funcals entgegen.

„Herr Graf,“ sagte sie bewegt, „ich war eine unfreiwillige Zeugin von der erschütternden Scene, die Sie so boshaft vorbereitet, und es ist mir möglich geworden, mir ein Urtheil über die stattgehabten Vorgänge zu bilden. Das Bekenntniß Ihres Genossen, des treulosen Dieners, läßt mich Ihre Absicht deutlich erkennen. Mein Gatte hat es von meinem Entschlusse abhängig gemacht, wo künftig mein Aufenthalt sein wird. So vernehmen Sie denn, daß ich es vorziehe, die Entscheidung der Behörden hier zu erwarten, als einem Manne zu folgen, der sich der Fälschung von Papieren schuldig gemacht hat. Der Baron von Beck wird mich zu ehren und seine Einrichtungen danach zu treffen wissen.“

Mit einer Verneigung entließ sie die Gäste, die sich spöttisch lächelnd, um ihre Verlegenheit zu verbergen, entfernten.

„Amalie, Amalie,“ rief Albrecht, „verlassen Sie mich nicht, bleiben Sie, mein rettender und schützender Engel!“

„So lange es mir das Gesetz und meine Ehre gestatten!“

„Bleiben Sie die Herrin von Heyerswyl – ich erkenne meine Pflicht und werde sie erfüllen!“

„Wie ich die meine, die mir der Segen des Priesters auferlegt!“

Er stürzte zu ihren Füßen nieder und küßte ihre Hände. Dann verließ er rasch den Saal. Eine Stunde später blickte Amalie von dem Balkon einem Wagen nach, der ihren beklagenswerthen Gatten nach der Residenz brachte, wo er selbst seine Angelegenheiten der richterlichen Entscheidung unterbreiten wollte. Die junge Frau blieb auf Heyerswyl zurück; sie fand in dem alten Kastellan einen väterlichen Freund.




Ein harter Winter war verflossen. Der Rechtsanwalt des Barons hatte einen Prozeß gegen den Grafen Funcal und den verbrecherischen Diener eingeleitet. Aber Fritz war verschwunden, trotz der mehrfach ergangenen Aufforderung stellte er sich nicht vor Gericht; es war demnach nicht möglich, die Untersuchung zu beschleunigen. Albrecht, der eingezogen wie ein Anachoret in Wien lebte, erfuhr durch Briefe seines Kastellans, daß Amalie in ruhiger Ergebung auf Heyerswyl weilte und oft Besuche in dem Forsthaus abstattete, wo die ihres Verstandes beraubte Katharina sich befand. Zwischen den beiden Gatten hatte kein Briefwechsel stattgefunden, sie vermieden es, in irgend eine Beziehung zu einander zu treten.

Es war in der Pfingstwoche, als Albrecht gegen Abend in seinem Zimmer saß. Sein Advokat hatte ihn so eben verlassen und die Nachricht gebracht, daß der Graf von Funcal den Befehl erhalten, Rechnung über das Vermögen Amaliens abzulegen und die fernere Verwaltung desselben einem Regierungs-Commissar zu übergeben. Auf einen günstigen Beschluß des geistlichen Gerichts hatte er wenig Hoffnung gemacht, da die katholische Confession eine völlige Ehescheidung nicht gestatte, und Katharina als die erste Gattin die ersten Rechte besitze. Aus den ergangenen Verhandlungen habe sich indeß schon so viel ergeben, daß ihm seine zweite Heirath nicht als ein Verbrechen angerechnet werden könne, da eine Fälschung der Papiere durch die beiden Funcals, welche die am Hochzeitstage abgegebene Erklärung des Dieners als Zeugen bestätigt hatten, erwiesen sei.

Albrechts trostlose Lage läßt sich denken. Da meldete ihm sein Diener eine Dame an. Hastig öffnete er die Thür und Amalie in Trauerkleidern trat ein. Der Kastellan begleitete sie.

„Armer Freund,“ rief sie unter Thränen aus, „unser Wiedersehen ist ein schmerzlich-freudiges! Ich selbst habe es übernommen, Ihnen die Nachricht von dem Tode Katharinens zu überbringen – sie verschied in meinen Armen! Gott hat sie einem Leben entrückt, dessen nur noch ihr Körper theilhaftig war. Nehmen Sie mich hin, Albrecht, ich kann nun Ihre Gattin vor Gott und er Welt sein!“

Still weinend sanken sich Beide einander in die Arme.

Der Kastellan berichtete, daß die Försterburschen des alten [231] Zierlein an demselben Tage, an dem Katharina gestorben, einen gefährlichen Wilddieb erschossen hätten; die Behörde habe in ihm den verbrecherischen Fritz erkannt.

Der Baron von Beck blieb mit seiner jungen Gattin in Wien. Ein Jahr später stellte man ihm das Vermögen Amaliens zur Verfügung, da die Rechte des Vormundes als erloschen betrachtet wurden. Albrecht verschmähete es, den Grafen von Funcal weiter zu verfolgen. Der Tod Katharinens hatte eine Entscheidung der Kirche überflüssig gemacht.

„Hältst Du mich für strafbar?“ fragte Albrecht seine Gattin.

„Ich liebe Dich,“ flüsterte sie, „und ein liebendes Herz hat kein Urtheil! Gott selbst hat gerichtet!“