Briefe eines Engländers aus Constantinopel

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Titel: Briefe eines Engländers aus Constantinopel
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aus: Das Ausland, Nr. 134-135; 137 S. 533-534; 537-538; 547-548
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bevölkerungsstatistik um 1827 aus Niederlande inkl. Belgien
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[533]

Briefe eines Engländers aus Constantinopel.


(Le Globe.)

Eine merkwürdige Erscheinung in der muselmännischen Hierarchie bilden die beiden Klassen der Derwische, die tanzenden und die heulenden, jene, vorzüglich bei den Vornehmen und Aufgeklärten, die letztern hingegen mehr bei dem Volke beliebt, jene die Aristokraten, diese die Demokraten des Glauben, in gegenseitigem Haß verkündend, daß die Welt nur durch Tanzen oder durch Heulen gerettet werden könne, und daß der Tag nahe sey, wo es auf der Erde nur noch Tanzende oder Heulende geben werde. Freilich ist die Zeit dieser Regeneration nicht genau bestimmt; vorerst genügt es, daß das Volk es glaubt, und daß die Derwische von den Früchten dieses Glaubens in Ruhe und Behaglichkeit leben.

Ich wohnte schon einige Wochen in Terapia, als ich erfuhr, daß in beiden Klöstern der rivalisirenden Derwische an demselben Tage ein großes Fest werde gefeiert werden. Nichts konnte mir erwünschter kommen. Ich machte die nöthigen Vorbereitungen, und erhob mich an dem bestimmten Tage sehr früh vom Lager. Noch war die Sonne hinter den Bergen verborgen, als ich mit meinem Freunde meinen hölzernen Palast in Terapia verließ. Das Fahrzeug erwartete uns schon lange, und unsere Bostandschis rauchten auf ihren Bänken stillschweigend ihre Pfeifen. Ohne zu grüßen oder gegrüßt zu werden, schifften wir uns ein, und stießen nach einigen Minuten unter dem lauten Zurufe der Matrosen vom Ufer.

Von allen Dörfern an den Ufern des Bosporos ist keines diesem Rückzugs- und Erholungsorte der griechischen Notablen zu vergleichen. Kourn Kali und Fondukli sind mehr in türkischem Geschmack; die Scala des Sultans athmet mehr orientalische Wollust; aber die Gehölze, die Thäler, ja sogar die Bewohner dieses freundlichen Dorfes haben einen zarten und zugleich so reinen Ausdruck der Vergangenheit, daß man darüber beinahe die Gegenwart der asiatischen Eroberer vergißt. So wie der Winter und der Ostwind aufhört, sucht hier der ganze Phanar eine Zufluchtsstätte vor den Verfolgungen der Herren von Stambul. Die Boyaren, sowohl die, welche es waren, als die, welche es zu werden hoffen; die Fürsten, Verwandte der alten oder der regierenden Hospodare; die Pforte-Dolmetscher; die großen und kleinen Würdeträger der Kirche, vom Patriarchen bis zu den Papas und Kaloyers, bilden einige Monate lang eine Vereinigung alles dessen, was noch übrig ist von Ansprüchen auf das Reich der Komnenen und Paläologen. In Terapia schütteln sie den Druck der Hauptstadt ab, jenes moralische Miasma, welches in der Nähe des Serails Körper und Seele erschlafft; hier ist es, wo sie bald die natürliche Elasticität und die Lebendigkeit des griechischen Charakters wieder erlangen. Noch war die Revolution nicht zum Ausbruch gekommen, aber schon „schwebte der Geist auf den Wassern;“ still und geheim bewegte sich die Seele der Nation. Die Wiedergeburt des Landes leuchtete in den Augen, lange ehe sie in Worte überging, und verkündigte sich in Worten, lange ehe das Wort zur That wurde. Die dunkelrothen Häuser, die diese Ufer bekränzen, mit Bäumen und freundlichen Gebüschen geschmückt, waren, gleich den Gärten der Ruscellai in Florenz, der Schauplatz mehr als einer stolzen Verschwörung für das Heil und den Ruhm des dahin gesunkenen Vaterlandes. Jakovaki Rizos hielt sich gerade, als ich dort war, in Terapia auf, mit der Sammlung und dem Studium der Alterthümer beschäftigt, die er, der erste unter seinen gelehrten Landsleuten, vor der Zerstörung der Zeit und der Barbaren zu retten begann. In demselben Quartier des Dorfes stand die bescheidene Wohnung des Fürsten Morusi und seiner lieblichen Töchter, blühend in allem Glanze der Jugend und Schönheit. Kaum war ich nach Europa zurückgekehrt, so las ich in einem der ersten Journale, das mir in die Hände fiel, daß der Vater auf dem Schaffot sein Leben geendigt hatte, die Töchter aber auf dem Sclavenmarkte von Constantinopel ausgestellt worden waren.

Man hat die Phanarioten lange Zeit als Erben der Laster ihrer byzantinischen Vorfahren bezeichnet, und diese Anklage stets mit eben so großer Affectation als Uebertreibung wiederholt. Wahr ist es, die Zeit und die Sclaverei haben die edlen Eigenschaften getrübt, die einst das Erbtheil ihrer freien Väter waren: die Verdorbenheit des Hofes, die theologischen Intriguen, die willkürliche Gesetzgebung des in sich selbst zerfallenen oströmischen Reichs, finden sich auch bei denen, die später Sclaven der Türken wurden. Jener Reichthum an Ausflüchten, eine Art moralischen Leitsinns, liegt, wenn ich so sagen darf, im Instinct des griechischen Charakters. Da die Sclaverei nicht geeignet war, diesen Fehler zu verbessern, so entsprang daraus jene beständige, complicirte Zweideutigkeit, welche dem Fremden gleich auf den ersten Anblick widerlich auffällt. Fehler dieser Art können nicht an Einem Tage verschwinden. Eine so edle Sache, der blutige Kampf um [534] das Vaterland, die gewaltigen, das Innerste aufregenden Stürme waren nöthig, um, allen Hindernissen zum Trotz, den entwürdigten Charakter der Nation wieder zu erheben, und jener geschmeidigen Gewandtheit des Geistes wieder die Richtung aufs Große und Edle zu geben.

Terapia liegt in der Mitte einer halbcirkelförmigen Bay. Die Häuser erheben sich übereinander, gleich den Bänken eines Amphitheaters. Die malerischen Gärten auf den schönen, mit Pappeln oder Pinien gekrönten Hügeln, bilden einen grünen Wall um die Wohnungen und vollenden das Ländliche dieses Dorfs, wo es weder Straßen, noch öffentliche Plätze oder Spaziergänge gibt. Die Häuser sind klein, nur von Holz gebaut. Ihr trübes Roth erinnert den Fremden, der von dem weißen Serail des Sultans und von dem blendenden Palaste von Fondukli kommt, daß hier die verachteten Kasten der Griechen und Armenier wohnen. Der Kai ist einfach; da und dort erblickt man einen alten Palmbaum, einen Hangar (Schoppen) für die Bostandschis, oder ein kleines Minaret. Etwas weiter hinauf, gegen das schwarze Meer zu, liegt Bujukdere, oder die große Ebene. Herrlich ist der längs des Meeres dahin führende Weg. Bei jedem Schritte tritt dem Reisenden der bunteste Wechsel von Neuem und Altem, Türkisches und Byzantinisches, Christliches und Mahommedanisches, entgegen. Man hat gesagt, die Türken stehen in Europa nur im Feldlager; ihre Herrschaft sey kein Frieden, sondern blos ein Waffenstillstand; auf dieser Strecke aber findet dieses Bild keine Anwendung: der alte Eigenthümer scheint der Neuangekommene, während der Usurpator von jeher im Besitze des Bodens scheint. Erblickt man in Constantinopel ein steinernes Gebäude, so darf man immer voraussetzen, daß es einem Franken gehört; hier hingegen sind die festeren Wohnungen alle türkisch. Ein Minaret, das seine schlanke, schimmernde Spitze aus der Mitte eines dunkelgrünen Gehölzes hebt, die Batterien, Tott’s, eine reich geschmückte Fontaine, ausgedehnte Casernen, Alles verkündet eine alte bleibende Niederlassung.

Bujukdere, der Rückzugsort der europäischen Gesandten, schön und wollüstig, gleich den Ufern von Bajä unter dem Himmel von Neapel, ist ein kleines Dorf, oder vielmehr eine lange Reihe von Häusern in Einer Linie. Hier ist es, wo die Diplomatie ihre Etikette ablegt, ihre Orden, ihre Uniformen, wo sie ihre müden Glieder ausstreckt, und in sicherer Sorglosigkeit die Wollust der Ruhe schlürft. Jeder Palast repräsentirt eine Nation; man geht von dem großen und kleinen Spanien (Neapel) zu dem Internuncius von Wien, nun dem einzigen Repräsentanten des einst so mächtigen Bailo von Venedig; von dort zu dem Selbstherrscher oder Padischah aller Reußen etc. etc. Ein einziger Name fehlt – der englische, sey es nun, weil der ungeheure Palast oder die halb bewohnte Citadelle der brittischen Gesandtschaft in Pera als eine hinreichende Aufwiegung der bescheidenen Wohnungen in Bujukdere erscheint, sey es, weil die Engländer eine zu innige Freundschaft für die Pforte hegen, um sich so weit von ihr entfernen zu können – ich habe weder Zeit noch Geduld, so zarte Fragen zu ergründen – genug, die brittische Gesandtschaft hält sich in stolzer Entfernung von allen andern Mächten, und bleibt den ganzen Sommer in Constantinopel, als wollte sie eine zu unmittelbare Berührung mit den andern vermeiden oder ganz ungestört ihre Maulwurfshaufen diplomatischer Verhandlungen aufwerfen. Weniger isolirt ist der französische Botschafter; doch nimmt auch er nicht ganz Theil an der Gemeinschaft der übrigen. Sein Palast, so weiß und glänzend wie nur irgend einer seiner türkischen Nachbarn, liegt auf halbem Wege zwischen Terapia und Bujukdere. Eine kleine Zahl griechischer Wohnungen ist umher gelagert, wie aus Instinct hier Schutz suchend. [537] Langsam entfernten wir uns von Terapia, indem wir die kleine, spiegelklare Bucht durchschifften. Mit jedem Schlag der Ruder entfaltete sich der Anblick des Dorfes weiter und malerischer. Die Höhen stiegen hinter den Gebäuden empor, gleichsam als der vollendende Hintergrund des reichen Bildes, das den Vordergrund einnahm. Hohe, durchsichtige Rauchsäulen erhoben sich in den wolkenlosen Himmel; die scharlachrothe ottomanische Flagge weht in breiten Falten um die Masten der türkischen Fahrzeuge; in den wiederhallenden Arkaden der Moschee tönte der murmelnde Fall der Fontaine; ein einziger Priester des Gesetzes saß in ihrer Nähe, auf einem kleinen Teppich, sein elfenbeinernes Combalojo in der Hand, und sein weißes Haupt nach dem Tact der Verse des Korans wiegend. In einiger Entfernung von ihm lag seine lange Pfeife. In den Zwischenräumen seines Gebets erhob er von Zeit zu Zeit seinen weißen Turban gegen Morgen, als ob er in frommer Ungeduld die nahende Sonne heraufbeschwören wollte hinter den grauen Höhen des Gebirgs und hinter den zackigen Ufern jenseits der Meerenge. Die bis jetzt bleifarbigen Wasser färbten sich nach und nach mit röthlichen Streifen. Auf einem weißen Segel, in weiter Ferne schwebend, glänzten die ersten Strahlen des Tages wieder. Das milde Gestirn der Nacht hing noch über Constantinopel, gleich einem ihrer silbernen Halbmonde, aber in so schwachem Schimmer, daß es mit den ersten Blicken des Morgens vollends zerfloß. Endlich trat die Sonne hervor, stolz und mächtig in Mitte der Dünste, die sie zu verhüllen suchten; nach einer oder zwei Minuten stieg sie allein und wolkenlos empor, glühend in allem Glanze ihrer orientalischen Herrlichkeit, von der uns in unserm Norden nichts eine Idee leihen kann. Ein Sommertag strömte seine Lichtfluthen über die ganze Natur, ohne jene drückende Atmosphäre zu erzeugen, die sonst in südlicheren Gegenden diese Jahreszeit begleitet. Die Wasser- und die Seewinde, die Platzregen und der frische Thau, die stets erneute Strömung der Meerenge verleihen der Luft jene Reinheit und Leichtigkeit, die der ausschließende Vorzug des Nordens zu seyn scheinen, während die Sonne Asiens alles umher mit jenem Feuer umleuchtet, welches jede Farbe erhöht, und selbst jenen Farbentinten einer Landschaft, die in unsern Nebellanden unbestimmt und schmutzig erscheinen, einen Glanz gleich Blumen und Vögeln verleiht. Nichts ist hier grau und trüb – alles ist hell, in klarem, bestimmtem Umriß. Eine Farbe stößt glänzend gegen eine andere, und so entwickelt sich aus der vollendetsten Mannigfaltigkeit des Einzelnen die vollendetsten Harmonie des Ganzen. So wie wir weiter vorwärts steuerten, wimmelte der Bosporus von Segeln aller Arten, von Flaggen jeder Farbe, von Fahrzeugen und Schiffen aller Nationen und aller Costüme. Es war ein Meer, bevölkert von den Repräsentanten der zwei ungeheuern Hälften des menschlichen Geschlechts; und die National-Eigenthümlichkeiten, stets erkennbarer in Kleidung und Sprache, als in den Zügen des Gemüths oder des Geistes, traten bei dieser nahen Berührung der Individuen[WS 1] aus den verschiedensten Nationen auf den Grenzen Asiens und Europas um so schärfer und ausdrucksvoller hervor. Unsere Bostandschis repräsentirten sehr gut den türkischen Theil der Versammlung. Die rothe Jacke, der eingedruckte Calpak, das faltige Hemde und die weiten Pantalons deuteten auf ihr doppeltes Gewerbe als Schiffer und Gärtner. Hals und Nacken, Beine und Arme waren nackt, und von der Sonne broncirt; die Formen athletisch, gleich den Statuen der Alten. Ihre Mäßigkeit, die Stabilität ihrer Sitten und Gebräuche, die strenge Unbeweglichkeit im Gesicht und Ausdruck darf man nicht ausschließlich den Institutionen Mahommeds zuschreiben. Der feurige Syrier, der raschaufbrausende Araber, der Moreote mit leichtem Geist und Herzen, erhalten die Grundzüge ihrer moralischen Physiognomie unverändert unter allem Wechsel der Regierungsformen und des Glaubens, und wie in den christlichen Ländern, so ist auch dort mehr die Religion durch das Land, als das Land durch die Religion modificirt. Der Ernst des Muselmanns ist ganz muselmännisch; in Blick und Farbe trägt er jenen zornmüthigen Ausdruck des Tartaren, der nichts gemein hat mit den Kindern der Sonne. Selten leuchtet in seinem Auge jener tiefe Lichtglanz, der den Asiaten des Südens belebt. In der langgezogenen, wie vom Schlaf gefesselten Linie seiner Züge spricht sich jene hinter dem Ernst verborgene, tiefe Sinnlichkeit aus; und die Wimpern, die sein großes, schwarzes, wollüstiges Auge sehnsüchtig-matt umschatten, begleiten besser den lächelnden Blick des Herrn des Harems, als den raschen Pfeilblick des Kriegers. Jenes ist sein gewöhnlicher Ausdruck; aber zuweilen erwachen, mitten in jenem Schlummer, die furchtbarsten und gewaltsamsten Leidenschaften der Seele. Seine übrigen Züge [538] stehen mit einander in Einklang: ihre Schönheit ist nicht der primitiven Race eigenthümlich, sondern stammt aus der Vermischung mit dem cirkassischen und georgischen Blut, so daß in der halbgriechischen Nase und dem feingeschnittenen Munde nichts mehr von dem scythischen Barbaren zu erkennen ist. Auch die Stimme der Türken ist bewundernswerth; und ihre vocalreiche Sprache ist so im Einklang mit dieser Stimme und so verschieden von dem gedehnten Gutturalaccent des Arabers, daß, wenn man sie mit halblauter Stimme mit einander sprechen hört, man sich in irgend einen Divan versetzt glaubt, mit weichen Polstern belegt, vom milden Dämmerlichte, das durch gemalte Fenster blickt, schwach beleuchtet, während das Murmeln der Fontaine und das leise Rauschen der Palmen das Steigen und Fallen des Tons der Unterhaltung leitet. Weder Schmerz noch Freude ergreifen den Türken mit Leidenschaft; ist er unglücklich, so erträgt er seinen Kummer stumm und ernst; ist er glücklich, so läßt er sich auch hievon nicht aus seiner Ruhe reißen. So leicht er das Vergangene vergißt, so sorgenlos blickt er in die Zukunft; diese beiden Drittel seines Lebens sind gleichsam abgeschnitten von ihm, und den kleinen Rest, die Gegenwart, genießt er ruhig und mäßig. Ein Grieche würde einer solchen Ruhe die Folter vorziehen, und für ihn wäre ein Himmel, ohne einen Himmel dießseits, eine Art Hölle. Man gebe ihm, wie dem Teufel der Legende, genug zu thun, und er wird sich regieren lassen; um dieß bei dem Türken zu können, lasse man ihn schlafen.– [547] Wir näherten uns der Kaiserstadt, und schifften uns bald in Tophana aus, trotz der Pest, die sich anzukündigen begann. Jeden Tag schaffte man sechs Leichname durch die Pforte von Adrianopel; aber dieß war nur ein Anfang, ein kleiner Versuch der Sense, ein Vorspiel für die Tage der Ernte. „Ehe man nicht jede Nacht tausend Leichname durch die Pforte von Adrianopel kommen sieht, herrscht die Pest nicht in Stambul,“ sagen die Türken. Wir nahmen mehr als einmal unsere Stöcke zu Hülfe, um die Volksmenge und die Ansteckung ferne von uns zu halten. Nachdem wir auf diese Art die Berührung mit einer Menge verdächtiger Gesichter vermieden hatten – in den engen Straßen von Galata und Pera, die so schmutzig sind, als ob alle Kärrner von der Pest weggerafft wären, gelangten wir endlich zur Moschee der tanzenden Derwische, welche diesen Tag feiern, d. h. im Dienste Gottes zur Erbauung des Publikums tanzen sollten. Der aufgeklärte Selim, der die Buchdruckerei erneuerte, und als ein Opfer der Intrigen der Abschreiber fiel, [1]hatte eine ganz besondere Vorliebe für diese Gott wohlgefällige Anstalt, und hielt sie für höchst nothwendig zur orthodoxen Erziehung und Humanisirung seines Volkes.

Die Moschee war so geschmückt, wie es ihre getreuesten Anhänger immer wünschen konnten. Roth und blau, grün und Gold, alle Farben des Kamäleons, die ein Günstling der Ulemas nur verlangen kann, waren über die Façade verschwenderisch ausgebreitet, und das Dach war so überladen mit Minarets, Unterminarets, Halbminarets, daß selbst die Pagode des königlichen Palastes von Brighton neidisch darüber werden könnte. Dieser Luxus scheint anzudeuten, daß dieses Kloster, gleich andern, seinen artigen Theil an den Gütern dieser Welt bekommt. Von Zeit zu Zeit wird irgend ein reicher Grieche eingezogen, oder ein fetter Armenier seines Kopfes enthoben, durch deren Vermögen die weltlichen Angelegenheiten der Derwische immer so ziemlich auf dem Laufenden erhalten werden.

Wir traten in den Hofraum, und von da in die Moschee, nachdem wir einige Betrachtungen über das Grab des Paschas Graf Boneval angestellt hatten, das wir im Vorübergehen besuchten. Dieser – nach den Türken Bekehrte, nach den Christen Verkehrte ist in jedem Falle eine Person, die ich einem Fabrikanten orientalischer Romane sehr empfehlen möchte, als eine Gattung von Heiligen, die in unsern Tagen nothwendig Glück machen muß. Wir hatten einige Mühe, durchzukommen, und nahmen an der Pforte so still als möglich Platz, indem wir uns erinnerten, daß wir ungläubige Hunde wären, auch der unangenehmen Pflicht entgehen wollten, unsere Schuhe auszuziehen, sie vielleicht zu verlieren, endlich uns auch nicht den Vorwürfen der Gläubigen aussetzen mochten, wenn wir auf ihren Aufruf taub blieben. Die Zuschauer waren zahlreich, aber gewählt; die Moschee groß und bewundernswerth passend für Tanz und Gebet. Eine doppelte Gallerie, geschmückt mit den reichsten orientalischen Ciselirarbeiten, und angefüllt mit allen Frommen aus dem reicheren Theile der Stadt, lief rings um die Mauern, nur von einer, den Flötenspielern vorbehaltenen Tribüne unterbrochen. Diese letzteren hatten bereits ihr Concert begonnen, und präludirten zu dem nahen Feste. Der mittlere Raum der Moschee selbst war so schön und glänzend gedielt, wie es wohl bei der häufigen Wiederholung jener erbaulichen Uebungen nothwendig seyn mußte. Noch war Niemand an dieser Stelle zu sehen; nur eine Art Huissier durchmaß von Zeit zu Zeit den Raum der Länge und der Breite nach, ob nicht ein Nagel oder sonst ein Stein des Anstoßes für die heiligen Tänzer aus dem Wege zu räumen seyn möchte. Endlich erschienen die letztern selbst. Sie rückten auf der Spitze der Zehen, mit kleinen, abgemessenen Pas vor, zogen sich dann wieder etwas zurück, und schienen so das Steigen und Fallen des Geistes, die innern Schwingungen des Gemüths andeuten zu wollen. Ihre Arme waren demüthig gekreuzt, so daß beide Hände auf den Schultern lagen; ihre Augen waren geschlossen, und ihre weißen Füße erschienen und verschwanden bescheiden unter der langen, schweren Draperie. Die Kleidung war die eines Asceten: eine sehr weite, braungelbe, wollene Tunica, um die Lenden nach Art der Propheten mit einem ledernen Gürtel gebunden, hing bis auf die Knöchel; den Kopf bedeckte eine lange, kegelförmige Filzmütze von gleicher Farbe wie die Tunica. Die Gesichter waren bleich, fast eben so gelb wie ihr ganzes Costüm, und schienen sehr mitgenommen vom Beten, Spielen und Tanzen. Die Flöten begleiteten jede ihrer Bewegungen, aber auch mit dem besten Willen konnte ich mich nicht bis zu der mystischen Höhe dieser Musik erheben, die mir stets blos den ersten verstimmten Tönen unsrer Orchester zu gleichen schien. Nach zwei oder drei ruhig ausgeführten Touren, und nachdem der Eifer der Frommen gehörig warm geworden war, trennten sich die beiden Führer von dem Zuge, um, nach menschlicher Weise zu reden, eine Art von pas de deux zu tanzen, welchem sogleich auf der entgegengesetzten Seite zwei andere Führer folgten, so daß neben mir zwei oder drei alte Türken vor Erbauung tief aufseufzten. Nun folgte eine noch lebendigere Bewegung: die Pas de Deux-Tänzer drehten sich zu einer Art Walzer; dann kam ein dritter, ein vierter, ein fünfter Derwisch, bis endlich das ganze Kloster sich in Bewegung setzte und zu walzen begann. Die Derwische drehten sich hintereinander herum, gleich den Descartschen Wirbeln, nach dem Gesetze einer welchselseitigen Adhäsion, und durchmaßen so den ganzen Umkreis des Tempels. Wer übrigens dieses geistige Walzen mit unserem weltlichen Tanzen vergleichen wollte, würde dem Ernst und der Würde des Mahommetanismus sehr Unrecht thun. Fürs Erste tanzt der walzende Derwisch allein; fürs Zweite führt er alles in [548] Pirouetten aus, eine Forcetour, die nur den Auserwählten möglich ist. Neben ihnen sind unsere gewandtesten Springer nur unvollkommene irdische Nachahmer dieser Kinder der Gnade. Die Melodie der Flöten wurde stufenweise ätherischer und unverständlicher. Wir, die wir, den Philosophen zufolge, taub sind für die Musik der Sphären, konnten natürlich kein Ohr haben für die Harmonie des dritten Himmels. Das Ballet nahte seinem Ende und seinem Triumphe. Ein feierliches Lächeln befriedigten Stolzes strahlte über die bleichen Gesichter; es bildeten sich Grübchen, die aber bald wieder um den schweigenden Mund verschwanden. Der ganze innere Mensch schien hingerissen, als nahte das Paradies mit den verschlossenen Gärten des Propheten. Sanft erhob sich das Haupt, als ob es antworten wollte dem Rufe der schwarzäugigen Huris; in Entzücken wurden die Arme empor geworfen, das Drehen wurde heftiger, und die mystischen Verzückungen schienen den höchsten Grad erreichen zu wollen, als plötzlich der Derwisch-Baschi dazwischen trat und sich zwischen die Sterblichen und den Himmel stellte. Die Unterbrechung war jedoch nur kurz. Nach wenigen Augenblicken setzte sich der ganze Convent noch einmal in Bewegung. Die Fülle der himmlischen Seligkeit ergoß sich über die Heiligen; immer schärfer, immer greller tönten die Flöten; ein göttlicher Thau glänzte von den Stirnen der frommen Tänzer; trunken von Entzücken begannen sie nach und nach zu wanken, und allmälig verschwand einer nach dem andern in den Armen ihrer Vicarien, die mit triumphirendem Lächeln jeden in seine Zelle brachten, wo sie bis zum Abend schliefen, rauchten und Gott und dem Derwisch-Baschi dankten, daß sie ihnen Kraft zu diesem geistigen Kampfe verliehen hatten.

Die Ceremonie war kaum geendigt, als ich einen Blick auf die Gallerie warf, um zu sehen, welchen Eindruck dieses Schauspiel auf die Frauen hervorgebracht habe. Aber ach! in der Türkei haben die Frauen keine Seele zu retten oder zu verlieren, und die Männer müssen ohne sie das Paradies gewinnen. –
  1. Die Abschreiber, die einen großen Bazar in Constantinopel bilden, wüthend über die Einführung einer Presse in Constantinopel, waren die ersten, die revoltirten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Indiviuen