Buchbesprechungen (Das Ausland 1828)
[4] Mémoires de Madame de Campestre. Tom. I. et II. Paris 1827.
Mémoires d’une Contemporaine, ou souvenirs d’une femme sur les principaux personages de la republique, du consulat, de l’empire etc. Tome I, II, III et IV.
Johannes Wit, genannt von Dörring. Fragmente aus meinem Leben und meiner Zeit. Aufenthalt in den Gefängnissen von Chambery, Turin und Mayland, nebst meiner Flucht aus der Citadelle letzteren Ortes. – Braunschweig, bey Fr. Vieweg. 1827.
In den Lesecabinetten sind die historischen Romane an der Tagesordnung. Der Gewerbfleiß, der solche Werke liefert, und der Beifall den sie finden, lassen sich aus dem Character der Zeit erklären. Im Jünglingsalter der Völker, wo sie den Zustand wilden Zwanges verlassen und die Grenze der Freiheit berühren, erwacht die Ahnung eines bessern Lebens als die bisherige Wirklichkeit gewähren konnte, und dichtet sich ein Paradies. Anders ist es in der Männlichkeit der Nationen, wo durch merkwürdige Thaten, eine Folge der Bildung, die Wirklichkeit Sinn und Bedeutung gewinnt. Dann steigt die Phantasie von ihrer Höhe herab und tritt in den Kreis, den der Verstand ordnet und leitet; die Menschen begnügen sich nicht mehr mit dem idealen Bilde eines bessern Zustandes, – sie haben Kraft und Willen, einen solchen zur Realität zu bringen, und wollen diese auch in den Spielen der Einbildungskraft wieder finden. – Die Literatur begleitet diese Metamorphosen. Erhält das historische Leben Würde und Interesse, so wird eine solche Zeit für die poetischen Talente das goldene Alter der historischen Romane werden.
Es giebt Menschen, in denen nicht eigentlich der dichterische Geist vorherrscht, doch aber die Phantasie so regsam und thätig ist, daß diese ihnen das Leben der Wirklichkeit in einem höhern Glanze zeigt. Diese Menschen sind berufen, geschichtliche Denkwürdigkeiten zu schreiben; – sie werden vorzüglich dann hervortreten, wenn, wie jetzt in Frankreich, die Zeit der Thaten vorübergegangen, und nur die Erinnerung noch wach ist. Sie sind von den Dichtern historischer Romane darin verschieden, daß sie sich treu an den Stoff der Wirklichkeit halten, und nur vermöge ihrer Individualität und fast bewußtlos der Phantasie Antheil an ihren Arbeiten gestatten, während der Dichter, mit der Machtvollkommenheit, der Einbildungskraft, die Wirklichkeit nur unter der Form, die er ihr aufdrückt, gelten läßt.
Es giebt ein Zwittergeschlecht, das weder zu den Dichtern, noch zu den wahrhaften Berichterstattern des Lebens gehört, sondern zu den Leuten, die mit einer schimmernden Geistesbildung und mit abgeschliffenen Formen sich in die Gestalt der Liebenswürdigkeit, wie jenes Thier in die Löwenhaut, eingeschlichen haben, und dann durch eine Mischung von Dichtung und Wahrheit die Unkundigen zu täuschen suchen. Diese geistig-moralischen Hermaphroditen schreiben bisweilen auch Memoiren, die wir, wenn schon nicht erschöpfend, durch die Benennung: Romantische Memoiren, bezeichnen wollen. In diesen Büchern gehen die Verfasser eben so willkührlich, wie die Dichter historischer Romane, mit dem Stoffe der Wirklichkeit um; doch nicht um eine poetische Idee zu versinnlichen, sondern für den Vortheil eigener Eitelkeit, oder um irgend eine andere eigennützige Absicht zu erreichen. – Diese Menschen klagen sich oft selbst an; man würde ihnen aber Unrecht thun, wollte man dieß für Huldigung der Moral ansehen. Durch Enthüllung ihrer Verirrungen wollen sie nicht Andere warnen oder belehren; sie wünschen nur sich in den Ruf der Wahrheitsliebe zu setzen, damit man ihre kunstreichen Entschuldigungen für gegründet, sie selbst für purificirt gelten lasse. Dieß erhellt schon daraus, daß sie mit ihren offenherzigen Geständnissen gewöhnlich erst ans Licht treten, nachdem sie das öffentliche Zutrauen verspielt haben. Eine immer achtbare Schaam vor dem öffentlichen Tadel treibt sie an, die Feder zu ihrer Rechtfertigung zu ergreifen; Gewohnheit der Intrigue und der Verdrehung aber bleibt an ihnen hangen, wie ein Stück einer losgerissenen Kette an dem entsprungenen Züchtling. Daher vermengen sie Wahrheit und Lüge in ihren Werken eben so wunderlich und zweideutig, als sie es im Leben thaten. So wenig nun ein solches Verfahren an und für sich zu loben ist, so kann doch dadurch Nutzen gestiftet und Belehrung erwirkt werden. Der Menschenkenner, der die beiden widersprechenden [5] Elemente solcher Werke mit richtigem Tact zu unterscheiden weiß, wird die Wahrheit auffassen, ohne durch die Lüge geblendet zu werden; er wird zugleich in ihnen vielfachen Anlaß zu psychologischen Entdeckungen finden, und nebenbei auf den Zustand der Welt schließen, in welcher solche Menschen eine Rolle spielen konnten. Daraus erklärt sich, warum bisweilen die edelsten Geister mit großer Theilnahme Gaunergeschichten lesen.
Diese Gedanken sind das Resultat einer aufmerksamen Lectüre der drei oben angezeigten Schriften, auf welche wir deutsche Leser aufmerksam zu machen wünschen. Alle drei haben das gemeinschaftliche Verdienst, daß sie lebhaft und anziehend geschrieben sind, daß sie an bedeutende Personen und Ereignisse der neuesten Vergangenheit erinnern, und einen Theil des Vorhangs zu lüften scheinen, der die Geschichte dieser Zeit noch verhüllt. Alle drei aber erregen den Unwillen jedes gut organisirten Gemüths, weil die Verfasser mit ungezähmter Frechheit und ohne zu erröthen, ein Leben erzählen, das nur durch Entfernung von aller Sitte, durch eine innere Verkehrtheit merkwürdig ist, und auf das mildeste beurtheilt, den Schein der Verworfenheit auf sich geladen hat. – Sind nun auch die Talente unverkennbar, die sich an der Darstellung eines solchen Lebens geübt haben; ist es auch gelungen mit ihnen interessante Bücher zu Tage zu fördern: so wird man doch immer sagen müssen, daß diese Schriften dem Leser eine Unterhaltung gewähren, die mehr werth ist, als die Schriftsteller, denen er sie verdankt. Er sieht ein fein ausgesponnenes, weit verbreitetes Gewebe der Gemeinheit in der sogenannten großen Welt; dieß vermehrt seine Menschenkenntniß. Der Unwille, der ihn ergreift, wird zur sittlichen Stärkung, zur Erhebung des Bewußtseyns; das ist offenbarer Gewinn. Er sieht eine Entsittigung und eine öffentliche schaamlose Ungerechtigkeit; dieß kann den Entschluß in ihm hervorrufen, ihr entgegen zu wirken. In solcher Beziehung lassen sich diese Schriften als moralische Erzählungen empfehlen.
Die oben genannten französischen Memoiren sind die Arbeit zweier koketten Frauen, die kein musterhaftes Leben führten und nun mit wunderlicher Offenheit, ihre – wie sollen wir sagen? – Schwachheiten vor der Welt enthüllen; ohne jedoch in unzüchtigen Schilderungen sich zu gefallen, indem sie vielmehr mit nie verletzter Decenz von ihren verliebten Abenteuern sprechen, nur um einige historische Personen in ihrer moralischen Blöße zu zeigen. Bei der ersten dieser Damen war offenbar Rachsucht gegen vornehme Personen, (die seit der Restauration an den Tag kamen) die Muse, die sie begeisterte. Frau von Campestre wollte Menschen in ihrer Verächtlichkeit darstellen, welche die schöne Frau zur Förderung unrühmlicher Intriguen benützt hatten, und nachher unredlich verließen und aufopferten, als sie ihnen keinen Gewinn mehr bringen konnte. Sie droht noch mehr, ja Alles zu sagen, wenn man nicht aufhören sollte, sie zu verfolgen. Diese Memoiren sind als Schilderung des restaurirten Hofes offenbar politischer Natur. – Die andere Zeitgenossin, deren Zweck nicht klar vorliegt, da ihr Buch noch nicht geschlossen ist, erzählt so naiv als geistreich und unterhaltend, wie sie sich vielen, sehr vielen berühmten Männern theils schwärmerisch, theils leichtsinning in die Arme warf, und wie sie am Ende in Armuth versank. – Die deutsche Schrift des Hrn. Johannes Wit hat darin Aehnlichkeit mit den Bekenntnissen jener Frauen, daß auch sie von Buhlereien mit allerlei Leuten, mit den verschiedensten politischen Parteien, indiscrete Meldung thut, und geheime Sünden ans Licht bringt. Auch sie ist die Herzensergießung einer koketten Seele, die nach Verlust einer übelangewandten Jugend mit dem Publikum noch schön thut, und durch Hinweisung auf die Ungerechtigkeit der Welt, die eigene Verkehrtheit in Vergessenheit zu bringen hofft. – Daher haben wir auch diese Schrift mit den oben erwähnten Memoiren in eine Classe geordnet. – In der Zeitschrift: das Ausland, verdient sie zumal deswegen eine Erwähnung, weil sie in der That ein ausländisches Product, und dem deutschen Blut und Character durchaus fremd ist.
Auch nur eine Skizze der drei in diesen Memoiren beschriebenen Lebens-Arten oder Unarten, würde hier zu viel Raum einnehmen; wir müssen uns mit einigen Andeutungen begnügen.
[10] Frau von Campestre sagt von sich selbst: „Ich habe mehr Einbildungskraft als Vernunft: seit meiner frühesten Jugend war ich mir selbst überlassen und fand nie einen Mentor. Ohne Führer und ohne Kompaß in die Welt geworfen, war es mir schwer durch ihre Gefahren mich hindurch zu winden. Die Gesellschaft ist voll von Intriguen, und zum Unglück sind die Intriganten geistreich, fein, und geschickte Verführer zutraulicher Menschen. Ich suchte wahre Freunde, und wurde fast immer betrogen.“ – Sie schreibt jetzt aus dem Gefängnisse, in welches die Pariser Zuchtpolizei sie, das Verbrechen der Gaunerei (escroquerie) zu büßen, verurtheilt hat. Ihre Unschuld zu beweisen, gibt sie Denkwürdigkeiten heraus und läßt, als Anhang, die Vertheidigungsschrift ihres Advokaten, Herrn Moret, abdrucken; – letztere ist, beiläufig gesagt, ein Muster zugleich bitterer und urbaner Satire gegen die Sitten vornehmer Welt. – Soweit nach diesen Memoiren und nach dem Plädoyer geurtheilt werden kann, scheint in der That die Dame von dem Tribunal zu hart behandelt zu seyn. Die Unerfahrenheit einer jungen, schönen, frühzeitig sich selbst oder dem Zufalle überlassenen Frau, stürzte sie in den Strudel einer Gesellschaft, die unter den äußern Formen der guten, wenigstens der vornehmen Erziehung, die ganze Gemeinheit des Pöbels im Reiche der Sittlichkeit zu vereinigen gewohnt war. Man wird geneigt die Dame zu entschuldigen, wenn sie in diesem Strome des Verderbnisses sich nicht schwimmend zu erhalten wußte. Ueberall wenigstens, wo sie tadelnswerth erscheint, bieten sich Milderungsgründe der Strafbarkeit dar. Es ist wahr, sie ließ sich bisweilen in Spionen-Intriguen verwickeln; diese waren aber zum Vortheil der Legitimität angelegt, und Andere wurden für ähnliche Großthaten mit Würden und Ehrenzeichen überhäuft. Es ist wahr, die Dame empfing Geld, wenn durch Betriebsamkeit und Bekanntschaft ihr gelang, die Einwilligung der Minister bei Stellenbesetzungen, Liquidationen, Unternehmungen etc. zu erhalten; aber dieses Geld wurde größtentheils von Mitgliedern der hohen und höchsten Gesellschaft eingestrichen, welche sich der Frau von Campestre als Unterhändlerin bedient hatten, – und keineswegs gestraft wurden. – Es ist wahr, sie gewann im Börsenspiel große Summen dadurch, daß sie gewisse diplomatische Geheimnisse früher erfuhr, als die gemeinen Börsenspieler; aber diese Geheimnisse wurden ihr von Ministern oder andern Staatsbeamten, vorzüglich von einem edlen Herzog mitgetheilt, und sie mußte den Gewinn mit den Herren abrechnen. So geht aus dem Ganzen hervor, was auch ihr Anwald auf das Lichtvollste nachgewiesen hat, daß sie mehr ein Werkzeug in höhern Händen war, als durch Spontaneität sich dem Bösen verkauft hatte. Und doch traf nur sie die Strenge der Gerichte.
Frau von Campestre besaß eine wundersame Leidenschaft, andere Menschen zu verbinden; sie konnte keinem auch nur [11] scheinbar Unglücklichen etwas abschlagen; ihr Herz und ihre Börse standen jedem Leidenden offen. Dabei aber wurde sie nicht selten die Beute kühner Intriganten und verbrämter Gauner. Ihre Schönheit, ihr Rang in der Gesellschaft, – sie war die Tochter eines alten Generalleutenants des Königs, – ihr feiner höchst gebildeter Verstand und eine unglaubliche, fast instinktartige Gewandtheit in Intriguen, wobei sie sich zuerst selbst und dann Andere desto leichter täuschte, – alle diese Eigenschaften machten es begreiflich, daß sie eine Rolle in einer Welt spielen konnte, wo der schamloseste Handel mit Stellen und Begünstigungen getrieben wurde, wo in jedem Ministerium und selbst am Hofe Leute zu finden waren, die ihre Protektion feil boten. Gewiß, sie hätte hier auf einen andern Platz, als den ihr der Kerker bot, Anspruch machen können. Herr Moret citirt mit bitterm Spotte eine, auch von dem Generaladvokaten vor dem öffentlichen Gericht angeführte, Stelle aus dem Briefe eines vornehmen Anbeters der Frau von Campestre, wo es heißt: „Es ist Schade, daß Sie kein Mann sind; mit den Ihnen eigenen Talenten hätten Sie heutiges Tages – Minister werden können.“ – Das Geld, das sie und andere Damen, die gleiche Geschäfte trieben, von den Suchenden erhielten, machte es immer leicht, Herren zu finden, welche die Gefälligkeit für eine schöne Frau mit der Bestechlichkeit verbanden und die Bewilligung der Gesuche zu bewirken wußten. Wie in dieser Beziehung die Moralität der Staatsbeamten beschaffen war, erhellet unter Anderem daraus, daß einer derselben als ganz besonders ehrlich gerühmt wurde, weil er das für versprochene Protektion empfangene Geld wieder zurückgab, falls er die Gewährung des Gesuchs nicht ausmitteln konnte. – Weniger ehrlich war ein reicher Großer, der gern Pär werden wollte, und sich deshalb an akkreditirte Damen wendete, mit dem Versprechen 100,000 Franken zu zahlen, wenn ihm die Würde zu Theil würde. Das Geld wurde einstweilen bei einem Notar deponirt, um nach einer gewissen Zeit, sobald der Herr zum Pär erhoben seyn würde, von den weiblichen Agenten in Empfang genommen zu werden. Das Unternehmen gelang mit Hülfe eines Herzogs, eines Ministers und dergleichen Leuten, die mit den Damen im Bunde waren. Jetzt aber behauptete der neugebackene Pär, die Würde seinen Verdiensten und nicht den Intriguen der Frauen zu verdanken; er wußte das deponirte Geld wieder an sich zu ziehen, und freute sich, die Schönen geprellt zu haben. Der Ehrenmann ist bis zur Stunde Pär von Frankreich. An solchen Geschichten ist das Buch reich. Man lese diese Memoiren, und man wird erschrecken über die Verderbtheit, die in Paris nach der Restauration in den glänzendsten Zirkeln herrschend wurde; man möchte glauben, es sey eine Wiedergeburt der Zeit der Regentschaft des Herzogs von Orleans. Daher erscheint Frau von Campestre bei allen ihren Intriguen wie ein unschuldiges Kind, im Vergleich zu größern Gaunern, die auf hohen Stellen eine sichere Zuflucht fanden, als ihr Werkzeug der Zuchtpolizei in die Hände fiel. Wer die angeblich große Welt von ihrer miserabelsten Seite kennen lernen will, der studire diese Denkwürdigkeiten; wir sagen studire, denn es ist, besonders für den deutschen Leser, keine leichte Arbeit, die gewöhnlich nur mit Anfangsbuchstaben bezeichneten Namen der handelnden Personen zu errathen. Doch ist dieß unerläßlich, um die ganze Bedeutung der erzählten Thatsachen zu würdigen. In der Vertheidigungsschrift des Hrn. Moret sind diese Namen größtentheils unverkürzt angegeben; daher wir dem Leser rathen, besonders beim zweiten Bande den Anhang zuerst zu lesen, und sich die glänzenden Namen eigens zu merken. Dann wird er erfahren, welchen Antheil der Herr Graf du Cayla und seine berühmte Schwiegertochter (Ludwigs XVIII Freundin, deren Freund wiederum Hr. Sosthene de la Rochefaucoult war,) welchen Antheil der Herzog von Dûras, der Marschal Lauriston, Hr. von Villele, dessen anfängliche Alliirte, eine zur Marquise aus dem Stegreif erhobene drollige Apothekersfrau, und viele andere memorable Personen an den von Frau von Campestre erzählten Geschichten hatten. Es ist ein Blick, den man bei der großen Oper des Hof- und Staatslebens hinter die Coulissen wirft, und man entdeckt die Kehrseite der bewunderten hohen Gesellschaft. – Eine interessante Episode bildet die Unglücksgeschichte des Herrn de Luigny, (ehemaligen ersten Kammerdieners des Grafen von Artois,) welcher zur Zeit der Republik und des Kaiserreichs seinem abwesenden Herrn stets gute Dienste in Frankreich leistete, bei der Restauration wieder bei ihm angestellt und von ihm geliebt, durch Höflinge aber, welche vielleicht die Nähe eines ehrlichen Mannes fürchteten, angeschwärzt, und ungehört in die Verbannung geschickt wurde. Alle Versuche, seinem Gebieter sich wieder zu nähern und dessen Mitleid anzurufen, waren vergebens. Der Unglückliche starb im Elende und in der Verzweiflung, – nur von der gutmüthigen Theilnahme der Frau von Campestre getröstet. Gewiß man kann aus dem Buche viel lernen.
[14] Die zweite Schrift: Mémoires d’une Contemporaine erzählt in vier Bänden unzählige Liebesgeschichten mit hohen Militärpersonen und andern Männern, die zu den ausgezeichnetsten gehören, aus der Periode von der Revolution bis zur Rückkehr der Bourbons. Damit ist jedoch das Werk nicht geschlossen, indem noch zwei Bände angekündigt sind, in denen wir wahrscheinlich erfahren werden, wie diese Dame die beaux restes ihres Herzens an Helden der Restauration verschenkt. Irren wir nicht, so ist das Ganze mehr oder minder ein Roman, dessen Grund wahrscheinlich von einer sentimentalen Courtisane angelegt, und von einem geschickten Redacteur (der zu der Partei der Republikaner zu gehören scheint), in seine jetzige Gestalt gebracht wurde. Wir müssen dabei bekennen, daß man von der Lectüre dieser Memoiren, wenn man sich einmal darauf eingelassen, fast wider Willen angezogen wird, und mit einer Art Spannung sich alle diese Liebesgeschichten gefallen läßt. Offenbar ist jedoch das Buch auf die Liebhaberei frivoler Leser an scandalösen Geschichten berechnet, eine Liebhaberei, die sich im Gefolge der zurückgeführten guten alten Zeit wieder blicken läßt. Wahrscheinlich aus Achtung aber für die neue Zeit tritt hier die Frivolität mit einer Anständigkeit auf, die dem Leser fast vergessen macht, daß von sittenlosen Dingen die Rede sey. Außerdem ist auf eine andere Neigung der Zeit: die geheime Geschichte der historischen Personen, aus der Periode der Revolution und des Kaiserreiches, kennen zu lernen – Rücksicht genommen. Durch diese beiden künstlich und geistreich verwebten Reizmittel wurde vielleicht nichts beabsichtet, als dem Buche viele Leser zu gewinnen. Und diese Speculation scheint gelungen zu seyn: denn das Buch hat in wenig Wochen eine zweite Auflage erlebt. Der Erfolg ist begreiflich: die Gewandtheit des Schriftstellers weiß die Aufmerksamkeit zu spannen, wenn schon die Natur des Stoffes ihm nicht erlaubt, die Neugierde zu befriedigen, welche mit dem geheimen Innern der geschilderten Personen bekannt zu werden wünscht.
Die Dame (wie sie sagt, Tochter eines ungarischen (?) Magnaten, des Grafen Tolstoi (?) und einer Holländerinn von adelicher Familie, in Italien erzogen), zeigte frühzeitig ein ganz eigenthümliches Genie für verliebte Abenteuer, so daß sie sich bereits in ihrem zwölften Jahre von einem Ehrenmanne, der sie heirathete, entführen ließ. Sie hätte mit diesem achtungswürdigen Gatten sehr glücklich leben können; das angeborne Genie aber machte ihr bald die Ruhe verhaßt; daher sie ihrem Manne entlief, und nach Paris ging, wo nun das fessellose, lustig-traurige Leben begann, das sie mit coquetter Offenherzigkeit ausführlich beschreibt. – Sie wurde die Geliebte Moreau’s, dem sie nach Italien folgte, so wie als seine Gattin galt, und als solche eine der schönsten Zierden der glänzenden Gesellschaft wurde. An Treue gegen den Geliebten war jedoch nicht zu denken. Ihre Phantasie spiegelte ihr den Marschal Neu als einen der größten Helden vor; – sie hatte nun einmal eine Schwäche für Helden. Um Neu aufzusuchen, ging sie nach Paris. Ein unsittlicher, schlauer Mensch entdeckte ihre romantische Leidenschaft, und bemächtigte sich des Vertrauens der Dame; – er verleitete sie, dem General Moreau eine Schwangerschaft vorzuspiegeln, um Geld von ihm für ein untergeschobenes Kind zu erhalten. Dieser Mensch wird in dem Roman als [15] der böse Genius der Schönen geschildert. Seit der Bekanntschaft mit ihm, die sehr vertraut wurde, sank die bisherige gutmüthig tolle Schwärmerin immer tiefer, wenn sie schon nachher wie vorher sehr vornehme Leute an ihren befleckten Triumphwagen zu fesseln wußte. – Neu, Fouche, Regnault Saint Jean d’Angely, Talleyrand und viele Andere hatten sich ihrer Gunst zu rühmen. – Als Probe mag hier Einiges aus dem Kapitel über Talleyrand angeführt werden. „Wenn er aufrecht steht,“ heißt es von diesem berühmten Minister, „so kann man seine guten Eigenschaft nur mit Beschränkung anerkennen; wenn er aber sitzt, und wenn man ihn sprechen hört, muß man ihn ohne Rückhalt loben. Hr. von Talleyrand ist ein Mann, den man auf dem Kanapee beurtheilen muß. – Es ist sehr möglich, daß die Meinung, die er von meinem Verstande zu haben schien, in mir den Zauber des seinigen noch erhöhte. Wahr ist, daß ich nie zum Minister ging, ohne wenigstens zwei Stunden bei ihm zuzubringen. – Meine Haare besonders erregten die anmuthsvolle Aufmerksamkeit des Hrn. von Talleyrand, und dienten ihm eines Tages zu einer seltsamen Arbeit. Seine Finger hatten die blonden Flechten so sehr bewundert, daß er sie gänzlich in Unordnung brachte. Niemand wird jedoch errathen, wie er die Ordnung wieder herstellte. Die Hand, welche Frankreichs Friedensschlüsse unterzeichnete, wollte selbst den eigensinningen Unwillen, den ich übe die Verwirrung meiner Haare empfand, besänftigen und mich wie eine Macht behandeln, der man den Krieg abkauft. Der Minister ergriff also meine flatternden Locken, eine nach der andern, rollte sie auf feines zartes Papier und steckte sie unter meinen Hut, indem er verlangte, ich sollte sein Werk in diesem Zustande lassen, bis ich nach Hause gekommen wäre. Ich trieb die Geduld so weit als er die Galanterie; und da ich bemerkte, daß er zu Papillotten sich einiger Bankozettel von 1000 Franken bediente, nahm ich eine Locke nach der andern und sagte: Monseigneur, hier ist noch eine. Diese Anekdote beweist die Anmuth, welche Hr. von Talleyrand selbst den Kleinigkeiten zu geben wußte. Es herrschte eine angenehme, obgleich unschuldige Vertraulichkeit unter uns.“
Außer dieser, wir glauben, ziemlich charakteristischen Anekdote, erwähnen wir noch, daß die Dame in ihren Bekenntnissen ein paar Scenen mit Napoleon beschreibt, aus denen man soviel vom Kaiser erfährt, daß er ihr Geschäft richtig zu schätzen wußte. – Vorher liebte sie den Helden des Jahrhunderts nicht, er hatte ja Moreau verfolgt; nachdem sie aber unter andern auch Napoleons Freigebigkeit kennen gelernt hatte, wurde sie seine begeisterte Verehrerin. Das Sonderbare bei dieser Erzählung wäre nur, daß Napoleon, nach jener unzweideutigen Bekanntschaft, diese Dido mehrerer Helden zur Hofdame bei seiner Schwester, der Großherzogin von Toscana, ernannt habe. Sollte hier nicht der Pferdefuß des Redacteurs der Memoiren zu erkennen seyn? In der That, diese Geschichten und was von dem Obristen Oudet und der militärischen Verschwörung gegen Napoleon vorgebracht wird, läßt kaum zweifeln, es habe diese Schrift den Zweck, das gegenwärtige Geschlecht frivoler Höflinge der Restauration dadurch zu unterhalten und zu trösten, daß man ihnen ein Gemählde der Schwachheiten der kaiserlichen Höflinge vorhält. Doch konnte diese Zeitgenossin nur Galanterien erzählen; von dem niedrigen Schacher mit Ehrenstellen, den Frau von Campestre aufdeckt, war an dem Hofe Napoleons so wenig eine Spur zu entdecken, als von dem politischen Einfluß zweideutiger Frauen. So genau nahm es vielleicht der republikanische Redacteur, der die Farben der Frivolität nur brauchte, um alle Höfe in schlimmen Ruf zu bringen. Dieß ist wenigstens die durchschimmernde Tendenz, die wir dem Buche haben absehen können, und wodurch es sich von den Memoiren der Frau von Campestre unterscheidet, welche die Sünden der legitimen Zeit an den Tag bringen sollen.
[18] Gegen ein anderes Ziel strebt die deutsche Schrift des Herrn Wit. Wir beginnen mit einer Bemerkung über ihre Tendenz, weil, bei der Vielseitigkeit, die Hr. Wit an sich zur Schau auslegt, von unaufmerksamen Lesern leicht sein Zweck mißkannt und dadurch der eigentliche Charakter des Buches übersehen werden könnte. Nicht die Höfe, nicht die große Welt mit ihren Sitten will der Verfasser schildern; nur sein kleines Ich soll, als groß gezogen in den dämagogischen Umtrieben, in der Absicht dargestellt werden, damit das Publikum die revolutionären Sekten und ihren Zögling, der zugleich ihr Vermittler und Bändiger seyn wollte, als gleichmäßig bedeutende Erscheinungen der Zeit ansehen möchte. Endlich soll auch der Held dieser romantischen Memoiren, der sich selbst anklagt, alle Parteien verrathen zu haben, dadurch in seiner Brauchbarkeit für gewisse Zwecke ins möglichst günstige Licht gestellt werden. – Man dürfte glauben, ein solcher Zweck und ein solcher Gegenstand wären wenig geeignet, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; indessen kann nicht geläugnet werden, daß Hr. Wit einen eigenen Zauber des schriftstellerischen Talents über seine Arbeit zu verbreiten gewußt, so daß der gefesselte Leser gern die Tendenz des Buches vergißt, und es mit einer Art Heißhunger verschlingt. Es ist Leben und Bewegung in der Schrift, und diese Bewegung ist gewöhnlich so rasch, daß der Leser sich nicht Zeit nimmt, über den Charakter des Wortführers der Unterhaltung ernsthaft nachzudenken. – Doch, wir dürfen voraussetzen, daß viele unserer Leseer bereits mit den interessanten Fragmenten des Hrn. Wit bekannt sind, und es daher nicht Noth thut, den eigentlichen Reiz dieser Lectüre zu analysiren. Wir wollen daher nur einzelne Andeutungen und Bemerkungen vorlegen, deren Zusammenhang mit einer ernsten Würdigung der Schrift und ihres Verfassers übrigens klar seyn wird.
Hr. Wit, der selbst in der Herausgabe seiner Fragmente eine gewisse Verkehrtheit nicht los werden kann, fängt mit dem zweiten Theile an, und verspricht den ersten nachzuliefern, weil ihm die dazu nöthigen Papiere noch vorenthalten würden. Warum wartete er nicht, bis diese Papiere beisammen waren, mit der Bekanntmachung des Ganzen? War periculum in mora? Vielleicht. „Ich will,“ sagte er, „dem Publiko den Beweis geben, wie die Regierungen das vollkommenste Recht hatten, wenn sie von Gefahr sprachen.“ Bei einem längeren Schweigen also konnten seine Beweise für abgetragene Trödelwaaren angesehen werden. – „Allerdings,“ fährt er fort, „gab es eine nicht unbedeutende Partei, welche einen Umsturz des Bestehenden, so durch Gewalt, wie durch List, herbeizuführen strebte, und an und für sich vielleicht gar lobenswerthe Einrichtungen, wie Turnen und Burschenschaft, zum verderblichen Zwecke mißbrauchte. Das Treiben dieser Leute, mit denen ich Jahrelang gemeinsame Sache gemacht habe, und die ich an Exaltation noch zu überbieten trachtete, will ich unumwunden darlegen.“ – Das Publikum hat bis zum Ueberdruß viel von dem Treiben dieser Leute lesen müssen, ohne über das Wesen ihrer Wirksamkeit klar zu sehen, und ohne ihre Bedeutsamkeit zu begreifen. Wer wird also nicht begierig seyn auf die versprochene Auskunft? Daß Hr. Wit sie geben konnte, möchte man aus mehreren Stellen schließen. „Mein Treiben in Paris,“ sagt er, „war zu jener Zeit ein höchst verdammliches; ich war mir selbst unklar geworden, stand mit den Häuptern aller Parteien in naher Berührung, und keine sagte mir zu. Ich wähnte mich stark genug, alle für meine Plane benutzen zu können, und bedachte nicht, wie ich, durch dieses anscheinende Eingehen in die entgegengesetztesten An- und Absichten, nach und nach alle Selbstständigkeit und den festen innern Halt verlor.“ – Schade! – „Um diese Zeit, im Sommer 1820, traten die deutschen Revolutionäre, durch ihren Abgesandten, den Professor Follenius, und unter meiner Beiwirkung in nähere Verbindung mit den Franzosen und Italienern. Ich theilte keines Weges ihre Ansichten; allein noch minder die der Regierungen, und glaubte so, Alles kennend, im Falle des Ausbruchs als Vermittler auftreten zu können.“ – Hört! hört! – „Ich arbeitete dahin, in allen Parteien und Secten, diesen selbst unbewußt, eine gemäßigte Partei [19] zu begründen.“ –Dies also war der große Plan des kleinen Mannes! Gewiß der Leser wird den kühnen Jüngling anstaunen, der solcher Riesenarbeit sich gewachsen wähnte; möchte man nur dabei nicht etwa an den tapfern Don Quixote sich erinnern, der das Schwert gegen Schafe zog. – Der Held selbst scheint über sein Wagestück erschrocken zu seyn. „Ich ahnte es wohl,“ sagt er, „daß ich am Ende, beide Parteien täuschend, unterliegen würde.“ Ach, die Ahnung hatte Verstand; aber Hr. Wit suchte das Gesetz, das sie ihm vorhielt, dadurch zu umgehen, daß er sein „Vorhaben, unter dem Siegel des Geheimnisses, einer hohen Person anvertraute.“ So!! Man lese und bedenke! – Sancho Pansa würde sagen: da liegt der Haas im Pfeffer! – Es könnte ihm sogar die versprochene Insel einfallen, und die Art, wie er sie regieren möchte. – Welterfahrene Leute aber werden in dem Geständniß den Schlüssel finden zu Herrn Wit’s räthselhaftem Betragen, das sonach zusammenhängender und einfacher seyn dürfte als er uns glauben machen will, – als er vielleicht selbst glaubt. Die hohe Person wußte, worauf es abgesehen war, konnte das Kreuz würdigen, das der Vertraute auf sich lud. In der Ueberzeugung also, einen Rückzug offen zu haben, stürzte Hr. Wit sich in den gefährlichen Strom, – freilich mit den Luftblasen der Eitelkeit versehen, die ihn nöthigenfalls oben schwimmend erhalten konnten. Er gesteht die Anmaßung ein, versichert aber sogleich: „Der Herr ist mein Zeuge, daß mein Wille durchaus rein war und lauter.“ Wer könnte daran zweifeln? Mit solchem reinen und lautern Willen ließ er sich „die Stelle eines General-Inspectors der Carbonaria in der Schweiz und Deutschland“ gefallen, welche „Klerckon, der Sohn des Herzogs von Fra Marino, Majorduomo des Königs von Neapel“ ihn „auf das Dringendste zu übernehmen ersuchte.“ – Noch mehr, Hr. Wit wurde nicht blos in die untern Grade aufgenommen, die noch von Moral und andern Kindereien sprechen; „erst im siebenten und letzten Grade, den indessen nur sehr Wenige erhalten, empfängt man den Schlüssel zum Ganzen. Erst dem Principe Summo Patriarcho erschließt sich das Allerheiligste, oder richtiger, das Allerunheiligste. In diesem Grade ist der einzelne Mensch zugleich Fürst und Bischof.“ – Hr. Wit erhielt diesen Grad, und zwar – was wunderbar ist, – „ohne zu schwören.“ Also darf er, ohne eidbrüchig zu seyn, dem Publikum alle Geheimnisse der Sekte mittheilen. Nun, wir sind gespannt, wir wünschen uns zu unterrichten, und möchten dann gerne alle bisherigen und künftigen Dedicationen des Hrn. Wit unterschreiben. Was erfahren wir indessen von ihm? Die Wahrheit zu sagen, nicht viel mehr, als was in allen Zeitungen zu lesen war. Zwar erzählt der Herr Fürst-Bischof und Patriarch Johannes Wit, genannt von Dörring, unter dem Namen Giulio Alessandro Ferimundo Werther Domingone im Orden bekannt, und von der schönen Beatrice als Caro Fernando begrüßt, ich sage dieser Herr, der unter den vielen Namen leicht den guten verloren haben kann, erzählt: „Der (im letzten Grade) Aufgenommene schwört jeder positiven Religion und jeder Regierungsform den Untergang.“ Erfahren wir aber dadurch, wie diese Fürsten äußerlich und innerlich beschaffen sind, und wo ihr Fürstenthum, ihre Macht liegt? Aus dem Eide geht kein Geheimniß, nur eine Art Tollheit hervor. Die Patriarchen hätten eben so gut der Sonne und dem Monde den Untergang schwören können. Dabei wäre noch kein Hühnerstall, vielweniger ein Staat in Verfall gerathen. Was das Publikum wissen will, ist die Art der Wirksamkeit, sind die vorhandenen Mittel und die eigentlichen Thaten dieser Sektirer, woraus der welthistorische Lärm gegen sie zu erklären wäre. Darüber läßt aber auch Hr. Wit uns im Dunkeln. Das Schlimmste, was er in dieser Rücksicht den Verschwornen nachsagt, ist, daß sie ihn zum Fürsten-Ober-Patriarchen machten. Durch diese Offenbarung stempelt er sie zu wahren dummen Teufeln, die sich dem ersten besten Fant in die Arme warfen. Eine solche Gesellschaft mußte nicht nur einer hohen Person, sondern jedem Menschen mit gesundem Verstande als ein Rudel Narren erscheinen, – wenn sie anders nicht zum Köder für Narren angelegt war. Denn wer weiß, ob nicht andere Patriarchen auch so klug waren, sich mit hohen Personen zu verständigen? Angenommen jedoch, es sey den Sektirern Ernst gewesen, so hätte man die Regeln der Kinderzucht bei ihnen anwenden sollen. Daß die ganze schwere Artillerie der Tribunale gegen sie aufgeführt wurde, erscheint daher als eine unweise Verschwendung der großen Mittel, wodurch nichts gewonnen wurde, wodurch nur die wahren Revolutionäre zur Vorsicht und größerer Feinheit angeleitet werden konnten. Eine Gesellschaft von Phantasten wird sich, wo es Ernst gilt, keinen Tag erhalten. So war es auch; daher die ganze Posse in den Staub des Davonlaufens sich auflöste. Diese Leute träumten von verbrecherischen Zwecken; ernsthaft nachgedacht hatten sie aber die Mittel nicht. Nur Mangel an Menschenkenntniß konnte sich’s anders vorstellen. – Sonst spielten die Kinder Könige, – pueri ludentes, Rex eris, aiunt, si recte facies; in unsern Tagen spielten sie den Brutus, – wurden aber weder eines, noch das andere. – Solch Kinderspiel hat übrigens keine Geschichte, und wer sich zum Geschichtsschreiber derselben aufwirft, stempelt sich selbst dadurch zur vorübergehenden Erscheinung, schließt sich von der Geschichte aus.
Hr. Wit spricht auch von Theilnahme französischer Minister an der piemontesischen Revolution. Ob seine Angaben gegründet sind, können wir nicht entscheiden; widerlegt wird jedoch Hr. Wit gewiß nicht werden. Vielleicht rechnete er selbst darauf, daß kein Mann von Würde ihm widerspreche, oder sich in einen Streit mit ihm einlassen dürfe. Aus demselben Grunde ist auch eigentlich Niemand kompromittirt; von dieser Seite sind Anlagen ehrenvoller, als Empfehlungsschreiben.
Anziehender als die Offenbarungen der Carbonari-Geheimnisse und die Berichte über die Revolution in Oberitalien, ist Hrn. Wit’s Schilderung der piemontesischen Polizei und ihrer Gefängnisse. Im Kerker war es, wo dieser Fürst-Bischof wirklich ausgezeichnete Talente entwickelte; man möchte sagen, er sey dafür geboren. Welche Unmenschlichkeiten [20] sich die Schergen gegen die Gefangenen erlaubten, und wie der Patriarch selbst den Schlausten unter ihnen Nasen zu drehen wußte, wird gar anmuthig von dem geübten, talentvollen Schriftsteller erzählt.
In dem sogenannten Gefängnisse in Mailand hatte Hr. Wit Gelegenheit, die Humanität des Grafen Bubna kennen zu lernen. Wem der Edelmuth dieses Mannes nicht fremd ist, wird nur bedauern, daß sein Lob hier nicht von einem unverdächtigeren Organ ausgesprochen wurde.
Außer den Nachrichten über die erwähnten Gegenstände und außer einigen Schilderungen in Casanova’s berüchtigter Manier, liefern diese Denkwürdigkeiten auch declamatorische Aufsätze, welche Moral und Religion dem Menschengeschlecht empfehlen sollen. Wie diese Fragmente des Wit’schen Geistes sich hier eingeschlichen, scheint nicht ganz klar zu seyn. Wir wagen indessen eine Hypothese. Herr Wit, der in Wien war, sah dort vielleicht das Schild eines Hauses, welches die Ueberschrift führt: „Wo der Wolf den Gänsen predigt.“ Möglicherweise konnte ein solcher Spruch ihn in Begeisterung setzen, woraus dann seine Homilien entstanden. Der alte erhabene Entschluß, alle Parteien zu täuschen, um ihr allgemeiner Vermittler zu seyn, konnte wieder in ihm erwachen, so daß er den Bilderkram seiner Moral und seiner Religion einmal den Gänsen, und ein andermal den Jesuiten vorweisen wollte, – jenen, um ihnen die Federn für den Fall künftiger Gefangenschaft auszureissen, diese, um ihnen ein anch’io son pittore zuzurufen. Ist er doch ein Verwandter des Hrn. v. Eckstein – dieser Stützsäule der Gesellschaft Jesu, die in ihrer Universalität jedes Talent zu benützen wissen wird.
Was wir hier über das Buch des Herrn Wit gesagt, ist an unsere Leser, nicht an seine Person gerichtet. Wollten wir ein ernstes Wort, aufs Ungewisse des Erfolgs, in einer Rede an ihn wagen, so wäre es der ehrliche Rath: im eigenen Herzen, nicht im Publikum seinen Beichtstuhl aufzuschlagen; über seine Verirrungen in stiller Sammlung nachzudenken; sich von aller Vermittelung, so wie von aller politischen Anmaßung keusch und rein zu halten; bei den Wissenschaften Trost und Stärkung zu suchen, und die Geschichte gründlich zu studiren – nicht in prahlerischen Staatsgefängnissen,[1] sondern im bescheidenen eigenen Cabinet, wo allein des jungen Mannes Erziehung gelingen, wo sie vollendet werden kann.
- ↑ Hr. Wit nennt sich in seinen Lukubrationen einen Staats-Gefangenen in Friedrichsort, da er doch bekanntlich, wegen Polizeivergehen, in dieser Stadt nur unter polizeilicher Aufsicht stand.