Bundesverfassungsgericht – Ausreisefreiheit
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Leitsatz
- Art. 11 GG betrifft nicht die Ausreisefreiheit.
- Die Ausreisefreiheit ist als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG innerhalb der Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet.
- Verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG ist die verfassungsmäßige Rechtsordnung, d. h. die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind.
- Jedermann kann im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen, eine seine Handlungsfreiheit beschränkende Rechtsnorm gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer, der bis 1933 dem Reichsvorstand der Zentrumspartei angehörte und u. a. Mitglied des Preußischen Staatsrats war, wurde 1927 zum Polizeipräsidenten in Krefeld ernannt. Aus diesem Amt wurde er 1933 aus politischen Gründen entfernt. 1945 wurde er zum Oberbürgermeister der Stadt Mönchen-Gladbach gewählt und war dort später Oberstadtdirektor. 1947 wurde er als Mitglied der CDU in den Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen gewählt. Seit einigen Jahren ist er führend im "Bund der Deutschen" tätig, der die Politik der Bundesregierung bekämpft. Der Beschwerdeführer selbst hat mehrfach seine kritische Meinung zur Politik der Bundesregierung, insbesondere zur Wehrpolitik und zur Frage der Wiedervereinigung, auf Veranstaltungen und Tagungen im In- und Ausland auch öffentlich geäußert.
Als der Beschwerdeführer im Jahre 1953 bei der Paßbehörde von Mönchen-Gladbach die Verlängerung seines Reisepasses beantragte, wurde ihm diese am 6. Juni 1953 ohne nähere Begründung unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 lit a des Gesetzes über das Paßwesen vom 4. März 1952 (BGBl. I S. 290) verweigert. Sein Einspruch wurde am 4. Juli 1953 vom Oberstadtdirektor der Stadt Mönchen-Gladbach zurückgewiesen. Die dagegen erhobene verwaltungsgerichtliche Klage wies das Landesverwaltungsgericht Düsseldorf zunächst mit Bescheid vom 18. September 1953, alsdann mit Urteil vom 4. Dezember 1953 ab (10 K 136/53). Die Berufung des Beschwerdeführers an das Oberverwaltungsgericht Münster blieb erfolglos (Bescheid vom 18. Dezember 1954 - VII A 38/54 -), ebenso die Revision an das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 22. Februar 1956 - I C 41.55 -). Dieses rechtfertigt die Ablehnung des Antrags des Beschwerdeführers mit seiner Teilnahme am Kongreß der Völker für den Frieden vom 12. bis 19. Dezember 1952 in Wien und der Verlesung einer dort verfaßten "Gesamtdeutschen Erklärung" durch ihn; die Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts halten darüber hinaus auch seine Teilnahme an Veranstaltungen in Paris, Budapest und Ostberlin für erheblich.
Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er die Verletzung von Art. 2, 3, 5, 6 und 11 GG rügt. Später hat er noch mitgeteilt, daß er in einem gegen ihn wegen Vergehens nach §§ 90 a, 129, 94, 73 StGB eingeleiteten Ermittlungsverfahren auf Antrag des Oberbundesanwalts vom Bundesgerichtshof am 22. Juni 1956 außer Verfolgung gesetzt worden sei (StE 48/52, AK 74/56).
Der Bundesminister des Innern und der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. In der mündlichen Verhandlung waren der Beschwerdeführer und die Innenminister des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen vertreten.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.
1.
Der Beschwerdeführer meint, § 7 Abs. 1 lit a des Paßgesetzes vom 4. März 1952 sei nichtig, weil hier das in Art. 11 GG gewährleistete Recht zur freien Ausreise unzulässig beschränkt werde. Das trifft nicht zu.
Die Vorschrift lautet:
"Der Paß ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß
a) der Antragsteller als Inhaber eines Passes die innere oder die äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland oder eines deutschen Landes gefährdet; …"
Art. 11 Abs. 1 GG gewährleistet die Freizügigkeit "im ganzen Bundesgebiet". Schon dieser Wortlaut spricht nicht dafür, daß auch ein Grundrecht auf freie Ausreise aus dem Bundesgebiet gewährt werden sollte. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gibt dafür keinen Anhalt. Im Parlamentarischen Rat wurde die Frage erörtert (und schließlich verneint), ob man die Auswanderungsfreiheit in den Grundrechtskatalog aufnehmen solle (5. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 29.September 1948, Kurzprot. S. 3); über die Ausreisefreiheit wurde nicht gesprochen.
Das Grundrecht der Freizügigkeit darf nur unter bestimmten in Art. 11 Abs. 2 GG einzeln aufgeführten Voraussetzungen gesetzlich eingeschränkt werden. Bei der Formulierung der Einschränkungstatbestände hat der Grundgesetzgeber offensichtlich an Beschränkungen der innerstaatlichen Freizügigkeit gedacht; die herkömmlichen und sachgerechten Beschränkungen der Ausreisefreiheit sind nicht erwähnt. Die Ausreise aus dem Staatsgebiet kann in vielen Ländern - auch in freiheitlichen Demokratien - seit langem mittels der Paßversagung aus Gründen der Staatssicherheit beschränkt werden. In Deutschland gelten entsprechende Vorschriften ununterbrochen seit dem ersten Weltkrieg; sie sind im wesentlichen unverändert in das Paßgesetz von 1952 übernommen worden. Es ist nicht anzunehmen, daß der Grundgesetzgeber, wenn er in Art. 11 GG ein Grundrecht der Ausreisefreiheit hätte gewähren wollen, den wichtigen und seit langem bestehenden Einschränkungsgrund der Staatssicherheit übersehen haben sollte. Näher liegt die Annahme, daß er die Ausreisefreiheit in Art. 11 Abs. 1 GG nicht garantieren wollte. Davon ist auch der Gesetzgeber des Paßgesetzes offensichtlich ausgegangen; denn er hat weder die Paßversagungsgründe inhaltlich auf Art. 11 Abs. 2 GG abgestimmt noch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG erwogen, im Paßgesetz das Grundrecht der Freizügigkeit als eingeschränktes Grundrecht zu nennen. Auch bei den wiederholten Aussprachen über die Lockerung oder Aufhebung des Paßzwanges, die im Bundestag aus Anlaß entsprechender Empfehlungen des Europarates stattgefunden haben (BT II/1953, 18. und 137. Sitzung, StenBer. S. 659 f., 7112 f., 7115 f.; BT II/1953 Drucks. 198, 499, 2011, 2044, 2516) ist von keiner Seite ein Zusammenhang dieser Frage mit dem Grundrecht der Freizügigkeit hergestellt worden.
Bei dieser Sachlage kann sich das Bundesverfassungsgericht nicht davon überzeugen, daß es aus Gründen der Systematik geboten sei - wie es im Schrifttum vertreten wird -, das Recht auf freie Ausreise in die in Art. 11 GG garantierte Freizügigkeit einzubeziehen. Dennoch entbehrt die Ausreisefreiheit als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht eines angemessenen grundrechtlichen Schutzes (Art. 2 Abs. 1 GG).
2.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 20. Juli 1954 (BVerfGE 4, 7 <l5 f.>) offengelassen, ob unter den Begriff der freien Entfaltung der Persönlichkeit die menschliche Handlungsfreiheit im weitesten Sinne zu verstehen sei oder ob Art. 2 Abs. 1 GG sich auf den Schutz eines Mindestmaßes dieser Handlungsfreiheit beschränke, ohne das der Mensch seine Wesensanlage als geistig-sittliche Person überhaupt nicht entfalten kann.
a) Das Grundgesetz kann mit der "freien Entfaltung der Persönlichkeit" nicht nur die Entfaltung innerhalb jenes Kernbereichs der Persönlichkeit gemeint haben, der das Wesen des Menschen als geistig-sittliche Person ausmacht, denn es wäre nicht verständlich, wie die Entfaltung innerhalb dieses Kernbereichs gegen das Sittengesetz, die Rechte anderer oder sogar gegen die verfassungsmäßige Ordnung einer freiheitlichen Demokratie sollte verstoßen können. Gerade diese, dem Individuum als Mitglied der Gemeinschaft auferlegten Beschränkungen zeigen vielmehr, daß das Grundgesetz in Art. 2 Abs. 1 GG die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne meint.
Allerdings war die feierliche Formulierung des Art. 2 Abs. 1 GG der Anlaß, ihn besonders im Lichte des Art. 1 GG zu sehen und daraus abzuleiten, daß er mit dazu bestimmt sei, das Menschenbild des Grundgesetzes zu prägen. Damit ist jedoch nichts anderes gesagt, als daß Art. 1 GG in der Tat zu den tragenden Konstitutionsprinzipien gehört, die - wie alle Bestimmungen des Grundgesetzes - auch Art. 2 Abs. 1 GG beherrschen. Rechtlich gesehen ist er ein selbständiges Grundrecht, das die allgemeine menschliche Handlungsfreiheit gewährleistet. Es waren nicht rechtliche Erwägungen, sondern sprachliche Gründe, die den Gesetzgeber bewogen haben, die ursprüngliche Fassung "Jeder kann tun und lassen was er will" durch die jetzige Fassung zu ersetzen (vgl. v. Mangoldt, Parlamentarischer Rat, 42. Sitzung des Hauptausschusses, S. 533). Offenbar hat zu der Theorie, daß Art. 2 Abs. 1 GG nur einen Kernbereich der Persönlichkeit habe schützen wollen, der Umstand beigetragen, daß im zweiten Halbsatz als Schranke, die dem Bürger für die Entfaltung seiner Persönlichkeit gezogen ist, auch die verfassungsmäßige Ordnung genannt wird. In dem Bestreben, diesen Begriff, der auch an anderer Stelle des Grundgesetzes vorkommt, überall in derselben Weise auszulegen, gelangte man schließlich dazu, in der verfassungsmäßigen Ordnung einen gegenüber der verfassungsmäßigen Rechtsordnung engeren Begriff zu erblicken; dadurch sah man sich zu dem Rückschluß gezwungen, es sollte dann auch nur ein Kernbereich der Persönlichkeit, nicht aber die Handlungsfreiheit des Menschen verfassungsrechtlich geschützt werden.
Neben der allgemeinen Handlungsfreiheit, die Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet, hat das Grundgesetz die Freiheit menschlicher Betätigung für bestimmte Lebensbereiche, die nach den geschichtlichen Erfahrungen dem Zugriff der öffentlichen Gewalt besonders ausgesetzt sind, durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt; bei ihnen hat die Verfassung durch abgestufte Gesetzesvorbehalte abgegrenzt, in welchem Umfang in den jeweiligen Grundrechtsbereich eingegriffen werden kann. Soweit nicht solche besonderen Lebensbereiche grundrechtlich geschützt sind, kann sich der Einzelne bei Eingriffen der öffentlichen Gewalt in seine Freiheit auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen. Hier bedurfte es eines Gesetzesvorbehalts nicht, weil sich aus der Beschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit durch die verfassungsmäßige Ordnung der Umfang staatlicher Eingriffsmöglichkeiten ohne weiteres ergibt.
b) Wird, wie unter 2 a) gezeigt, in Art. 2 Abs. 1 GG mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet, die - soweit sie nicht Rechte anderer verletzt oder gegen das Sittengesetz verstößt - nur an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist, so kann unter diesem Begriff nur die allgemeine Rechtsordnung verstanden werden, die die materiellen und formellen Normen der Verfassung zu beachten hat, also eine verfassungsmäßige Rechtsordnung sein muß. In diesem Sinne bezeichnet auch das Oberverwaltungsgericht Münster im Ausgangsverfahren die verfassungsmäßige Ordnung als die "der Verfassung gemäße", die "gemäß der Verfassung aufgebaute und im Rahmen der Verfassung sich haltende Rechtsordnung" .
Dieses Ergebnis kann nicht mit dem Hinweis darauf entkräftet werden, daß "verfassungsmäßige Ordnung" in anderen Bestimmungen des Grundgesetzes unzweifelhaft etwas anderes bedeute, der Begriff aber überall denselben Inhalt haben müsse. Die Auslegung hängt vielmehr von der Funktion ab, die der Begriff innerhalb der jeweiligen Norm zu erfüllen hat. Die Analyse der gesetzlichen Tatbestände, in denen der Begriff vorkommt, ergibt, daß er stets einen Kreis von Normen umschreibt, an die der jeweilige Normadressat gebunden sein soll. Daraus erhellt ohne weiteres, daß der Umfang des jeweils die verfassungsmäßige Ordnung darstellenden Normenkomplexes, dem diese Bindungswirkung zukommt, nicht für jeden der - unter sich ganz ungleichartigen - Normadressaten der gleiche sein kann. Während also z. B. sicherlich der Gesetzgeber an die Verfassung schlechthin gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG), kann es in anderem Zusammenhang - z. B. in Art. 9 GG, § 90 a StGB geboten sein, den Begriff "verfassungsmäßige Ordnung" auf gewisse elementare Grundsätze der Verfassung zu beschränken (vgl. BGHSt. 7, 222 <227> 9, 285 <286>); der Bürger aber wird in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit legitim eingeschränkt nicht nur durch die Verfassung oder gar nur durch "elementare Verfassungsgrundsätze", sondern durch jede formell und materiell verfassungsmäßige Rechtsnorm.
Das wird auch durch die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 1 GG bestätigt. Bei seiner Formulierung ging der Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates von Art. 2 des Herrenchiemsee-Entwurfs aus, der in Absatz 2 eindeutig aussprach:
"Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Rechtsordnung und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet." Im Laufe der Erörterungen wurde, um Zweifel zu vermeiden, in Anlehnung an die hessische Verfassung der Begriff der "verfassungsmäßigen Ordnung" eingeführt (JbÖffR, NF Bd. 1 S. 55). Das ergab schließlich eine Fassung, in der beide Begriffe nebeneinander erscheinen. So lagen dem Hauptausschuß zur 2. Lesung die bisherige Fassung des Hauptausschusses (a) und eine Fassung des Redaktionsausschusses (b) vor, die folgendermaßen lauteten (Drucks. Parlamentarischer Rat 1.49- 543):
Art. 2
a) "(1) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf persönliche Freiheit und Sicherheit.
(2) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt .
(3) In diese Rechte kann nur auf Grund der Rechtsordnung eingegriffen werden".
b) "(1) Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jedermann hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. In dieses Recht kann nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden."
Dazu bemerkte der Redaktionsausschuß in einer (im JbÖffR, NF Bd. I S. 62 unvollständig wiedergegebenen) "Anmerkung":
" 1 ) Nach Auffassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses sollte in Art. 2 zunächst die allgemeine Handlungsfreiheit garantiert werden.
2) Unklar ist, welchen Inhalt das Recht auf Sicherheit haben soll, von dem Abs. 1 der Fassung des H.-A. spricht. Es kann doch nur ein Ausfluß der persönlichen Freiheit sein.
3) Die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist ein Vorgang, der sich im wesentlichen außerhalb der staatlichen Ordnung vollzieht.
4) Abs. 3 der Fassung des H.-A. ermöglicht einen Eingriff auf Grund der Rechtsordnung nicht nur bei dem in Abs. 1, sondern auch bei dem in Abs. 2 geregelten Recht. Bei dem in Abs. 2 geregelten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist in diesem Absatz aber selbst bereits die Grenze dieses Rechts durch den zweiten Halbsatz gezogen. Abs. 3 müßte deshalb als zweiter Satz dem Abs. 1 zugefügt werden. Im übrigen werden die in Art. 2 behandelten Rechte durch die gewählte Fassung schlechthin unter einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt im weitesten Sinne gestellt. In diese Rechte kann daher auf Grund einer jeden Norm, z. B. auch auf Grund eines sich bildenden polizeilichen Gewohnheitsrechtes eingegriffen werden."
Der Parlamentarische Rat hat in der 2.Lesung am 6.Mai 1949 den Art. 2 GG in der Fassung des Redaktionsausschusses angenommen, soweit es sich um den Gesetzesvorbehalt handelt. Daraus ergibt sich, daß auch er sich die Auffassung zu eigen gemacht hat, hier solle die Handlungsfreiheit unter Vorbehalt jedes verfassungsmäßigen Gesetzes garantiert werden.
c) In der Literatur wird häufig der Einwand erhoben, bei dieser Auffassung werde das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG "leerlaufen", da es unter den allgemeinen Gesetzesvorbehalt gestellt werde. Dabei wird jedoch übersehen, daß die Gesetzgebungsgewalt nach dem Grundgesetz stärkeren Beschränkungen unterliegt als unter der Geltung der Reichsverfassung von 1919. Damals waren nicht nur zahlreiche Grundrechte durch den allgemeinen Gesetzesvorbehalt, dem jedes verfassungsmäßig erlassene Gesetz entsprach, tatsächlich "leerlaufend"; der Gesetzgeber konnte durch ein mit der verfassungsändernden Mehrheit erlassenes Gesetz auch im Einzelfall eine ihm entgegenstehende verfassungsrechtliche Schranke jederzeit überwinden. Demgegenüber hat das Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung aufgerichtet, die die öffentliche Gewalt begrenzt. Durch diese Ordnung soll die Eigenständigkeit, die Selbstverantwortlichkeit und die Würde des Menschen in der staatlichen Gemeinschaft gesichert werden (BVerfGE 2, 1 <12 f.>; 5, 85 <204 ff.>). Die obersten Prinzipien dieser Wertordnung sind gegen Verfassungsänderungen geschützt (Art. 1, 20, 79 Abs. 3 GG). Verfassungsdurchbrechungen sind ausgeschlossen; die Verfassungsgerichtsbarkeit überwacht die Bindung des Gesetzgebers an die Maßstäbe der Verfassung. Gesetze sind nicht schon dann "verfassungsmäßig", wenn sie formell ordnungsmäßig ergangen sind. Sie müssen auch materiell in Einklang mit den obersten Grundwerten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als der verfassungsrechtlichen Wertordnung stehen, aber auch den ungeschriebenen elementaren Verfassungsgrundsätzen und den Grundentscheidungen des Grundgesetzes entsprechen, vornehmlich dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und dem Sozialstaatsprinzip. Vor allem dürfen die Gesetze daher die Würde des Menschen nicht verletzen, die im Grundgesetz der oberste Wert ist, aber auch die geistige, politische und wirtschaftliche Freiheit des Menschen nicht so einschränken, daß sie in ihrem Wesensgehalt angetastet würde (Art. 19 Abs. 2, Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG). Hieraus ergibt sich, daß dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist. Ein Gesetz, das in ihn eingreifen würde, könnte nie Bestandteil der "verfassungsmäßigen Ordnung" sein; es müßte durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß eine Rechtsnorm, nur wenn sie allen diesen Anforderungen entspricht, aber auch immer dann zum Bestandteil der "verfassungsmäßigen Ordnung" wird und somit den Bereich der allgemeinen Handlungsfähigkeit des Bürgers wirksam beschränkt. Verfahrensrechtlich bedeutet das: Jedermann kann im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen, ein seine Handlungsfreiheit beschränkendes Gesetz gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, weil es (formell oder inhaltlich) gegen einzelne Verfassungsbestimmungen oder allgemeine Verfassungsgrundsätze verstoße; deshalb werde sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
3.
Gehört die Ausreisefreiheit auch nicht zu der durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützten innerdeutschen Freizügigkeit, so ist sie doch als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. I GG innerhalb der Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung = verfassungsmäßigen Rechtsordnung gewährleistet. Es bleibt zu fragen, ob das Paßgesetz zur verfassungsmäßigen Ordnung in diesem Sinne gehört. Das ist zu bejahen.
a) Das Paßgesetz begründet für alle Deutschen, die eine Auslandsgrenze überschreiten, den Paßzwang - an sich eine erhebliche formale Beschränkung der Ausreise. Da das Gesetz aber nach einhelliger Auffassung einen Rechtsanspruch auf Ausstellung des Passes einräumt, indem es die Paßversagung nur beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen zuläßt, wahrt es das Prinzip der freien Ausreise, trägt also der grundsätzlichen Freiheitsvermutung des Art. 2 Abs. 1 GG Rechnung.
b) Die Paßversagungsgründe sind im einzelnen in § 7 des Paßgesetzes aufgeführt. Die hier in Betracht kommende Vorschrift des § 7 Abs. 1 lit a ist nicht zu beanstanden, soweit sie vorsieht, daß die Paßversagung auf die Annahme der Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines Landes gestützt werden kann. Bedenken könnten bestehen, soweit schon die Besorgnis der Gefährdung "sonstiger erheblicher Belange" genügen soll. Die Verwendung eines inhaltlich so unbestimmten Begriffs legt die Gefahr nahe, daß die Paßversagung praktisch in das unüberprüfbare Ermessen der Paßbehörde gestellt ist. Läge das so, könnte die Vorschrift keinen Bestand haben; denn der Gesetzgeber darf sich seines Rechtes, die Schranken der Freiheit zu bestimmen, nicht dadurch begeben, daß er mittels einer vagen Generalklausel die Grenzziehung im einzelnen dem Ermessen der Verwaltung überläßt (vgl. auch BVerwGE 2, 114). Das ist indessen hier nicht geschehen.
Nach § 7 Abs. 1 lit a des Paßgesetzes müssen zunächst bestimmte Tatsachen festgestellt sein, die die Annahme einer drohenden Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik rechtfertigen. Der Begriff "sonstige erhebliche Belange" ist, wie die Verwaltungsgerichte mit Recht angenommen haben, ein unbestimmter Rechtsbegriff mit der Folge, daß die Frage, ob ein bestimmter Lebenssachverhalt unter diesen Begriff subsumiert werden kann, von den Verwaltungsgerichten in vollem Umfang nachzuprüfen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat zutreffend entwickelt, aus dem Zusammenhang der drei Tatbestände des § 7 Abs. 1 lit a des Paßgesetzes müsse entnommen werden, daß das Gesetz mit den "sonstigen erheblichen Belangen" Tatbestände gemeint hat, die "in ihrer Erheblichkeit den beiden anderen Tatbeständen wenn auch nicht gleich - so doch nahekommen", "die so erheblich sind, daß sie der freiheitlichen Entwicklung in der Bundesrepublik aus zwingenden staatspolitischen Gründen vorangestellt werden müssen". Bei dieser Auslegung ist die Bestimmung mit allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, namentlich dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, vereinbar.
4.
Steht somit fest, daß die Bestimmung, auf die die Paßbehörde und die Verwaltungsgerichte ihre Entscheidungen gestützt haben, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, so wäre doch möglich, daß sie bei der Anwendung dieser Bestimmung Verfassungsrecht verletzt hätten. Das Bundesverfassungsgericht hat des öfteren ausgesprochen, daß es auf Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen diese nicht in vollem Umfang nachprüft, sondern nur unter dem Gesichtspunkt, ob spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist. In Anwendung dieses Grundsatzes braucht hier nicht geprüft zu werden, ob sämtliche Erwägungen aller an dem Verfahren beteiligten Behörden und Gerichte verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Es genügt, wenn die Erwägungen, mit denen das Bundesverwaltungsgericht als die maßgebende Rechtsinstanz die Paßversagung rechtfertigt, verfassungsrechtlicher Prüfung standhalten. Das ist der Fall. Es ist schon dargelegt, daß das Bundesverwaltungsgericht von einer zutreffenden, mit dem freiheitlich-rechtsstaatlichen Geist des Grundgesetzes in Einklang stehenden Deutung des Begriffes "sonstige erhebliche Belange" ausgegangen ist. Wenn es weiter feststellt, daß die ermittelten - vom Beschwerdeführer übrigens im wesentlichen nicht bestrittenen - Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Beschwerdeführer werde sich als Inhaber eines Reisepasses so verhalten, daß er erhebliche Belange der Bundesrepublik auch in dem engen, vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Sinne gefährde, so kann das Bundesverfassungsgericht in den seiner Nachprüfung gezogenen Grenzen dem nicht entgegentreten; das Bundesverwaltungsgericht setzt sich dadurch weder mit seinen Auslegungsgrundsätzen in Widerspruch noch verletzt es erkennbar sonstige verfassungsrechtliche Vorschriften, insbesondere auch nicht die vom Beschwerdeführer ohne nähere Begründung als verletzt gerügten Art. 3 und 6 GG.
Auch die vom Beschwerdeführer nicht weiter begründete Rüge, Art. 5 GG sei verletzt, geht fehl. Zwar umfaßt diese Verfassungsbestimmung das Recht, seine Meinung im In- und Ausland zu äußern. Ist jedoch das Recht zur Ausreise zum Schutze eines übergeordneten Rechtsguts - hier der Sicherheit und wesentlicher Belange des Staates - beschränkt, dann kann sich der Beschwerdeführer nicht auf Art. 5 GG berufen, nur um seine Meinung auch im Ausland kundtun zu können.
5.
Die Verfassungsbeschwerde kann daher keinen Erfolg haben. In ihrer Zurückweisung ist jedoch nicht die Billigung des Verfahrens der Paßbehörde zu erblicken, die dem Beschwerdeführer die Paßverlängerung ohne Begründung versagt hat. Zwar kann sie sich dafür auf § 25 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Paßgesetzes vom 15. August 1952 (Gemeinsames Ministerialblatt S. 277 ff.) berufen, der "beim Vorliegen besonderer Anweisungen" Ausnahmen vom Begründungszwang zuläßt. Solche Ausnahmen sind aber mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz unvereinbar, daß der Staatsbürger, in dessen Rechte eingegriffen wird, einen Anspruch darauf hat, die Gründe dafür zu erfahren; denn nur dann kann er seine Rechte sachgemäß verteidigen. Das Bundesverfassungsgericht kann von der Aufhebung der Entscheidung der Paßbehörde aus diesem Gesichtspunkt nur absehen, weil die Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ihre Gründe bekannt gegeben hat, der Beschwerdeführer zu ihnen Stellung nehmen konnte und die Entscheidung sich im Ergebnis als gerechtfertigt erwiesen hat.