Bundesverfassungsgericht – Sitzblockade II
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Leitsatz
- Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung von Sitzblockaden als Nötigung.
Orientierungssatz
- Die Strafgerichte haben bei der ihnen obliegenden Beurteilung StGB § 240 als anwendbares, geltendes Recht zu berücksichtigen; allerdings kommt der Bejahung des Tatbestandsmerkmals "Gewalt" bei einer Sitzblockade keine indizielle Wirkung für die Rechtswidrigkeit zu, diese ist vielmehr gesondert zu prüfen (Festhaltung BVerfG, 1986-11-11, 1 BvR 713/83 ua, BVerfGE 73, 206). Unsicherheiten bei der Beurteilung von Sitzdemonstrationen beruhen auf der Fassung von StGB § 240 und können nur vom Gesetzgeber beseitigt werden.
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, daß seine Teilnahme an einer Sitzblockade, die vor einer militärischen Einrichtung stattfand und sich gegen die Nachrüstung richtete, als strafbare Nötigung im Sinne des § 240 StGB beurteilt worden ist.
I.
1.
Das Bundesverfassungsgericht hat durch Urteil vom 11. November 1986 (BVerfGE 73, 206) entschieden, daß die gesetzgeberische Normierung des § 240 StGB dem aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Bestimmtheitsgebot genügt, soweit durch diese Strafvorschrift Nötigungen mit dem Mittel der Gewalt unter Strafe gestellt werden. Wird aber die Gewaltalternative dieser Strafnorm auf Sitzdemonstrationen erstreckt, bei denen die Teilnehmer Zufahrten zu militärischen Einrichtungen ohne gewalttätiges Verhalten durch Verweilen auf der Fahrbahn versperren, dann ist § 240 StGB in dem Sinne verfassungskonform auszulegen und anzuwenden, daß die Bejahung nötigender Gewalt nicht schon zugleich die Rechtswidrigkeit der Tat indiziert.
Unter Zurückweisung weiterer Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht durch diese Entscheidung ein Urteil des Amtsgerichts Neu-Ulm und einen Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts aufgehoben, die eine Sitzblockade am Ostersonntag, dem 3. April 1983, vor der amerikanischen Kaserne in Neu-Ulm betrafen (BVerfGE 73, 206 (212, 215 f.)).
2.
Der Beschwerdeführer, Bundestagsabgeordneter und pensionierter General, ist wegen Teilnahme an der gleichen Blockadeaktion verurteilt worden, die Gegenstand der zuvor genannten verfassungsgerichtlichen Entscheidung war, zu der aber im vorliegenden Fall weitergehende Feststellungen getroffen worden sind.
a) Nach dem Urteil des Amtsgerichts hat der Beschwerdeführer am Ostersonntag zusammen mit anderen Demonstranten mindestens von 11.50 Uhr bis 12.00 Uhr vor dem Haupteingang der amerikanischen Kaserne in Neu-Ulm gesessen und dadurch mindestens zwei Militär- und drei Privatfahrzeuge an der Benutzung des Hauptausgangs gehindert. Im Zusammenwirken mit den übrigen Demonstranten habe der Beschwerdeführer mit Gewalt gehandelt. Seine Tat sei rechtswidrig gewesen, weil die Anwendung von Gewalt zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen sei.
Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je 120 DM verurteilt. Es ist davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer bei der Blockade nicht signalgebend und als Initiator, sondern erst an der letzten Aktion teilgenommen habe, daß es sich bei Tat um eine mehr symbolische Handlung ohne schwerwiegende Auswirkungen gehandelt habe und daß seine Motive durchaus ehrenwert gewesen seien.
b) Das Landgericht hat die Berufung des Beschwerdeführers verworfen und die Geldstrafe auf die Berufung der Staatsanwaltschaft auf 20 Tagessätze erhöht. In tatsächlicher Hinsicht hat es zusätzlich festgestellt, die Sitzblockade sei Teil einer schon im März von den Friedensinitiativen angekündigten Aktion gewesen. Schon an den beiden Vortagen hätten insgesamt sieben und am Ostersonntag vor Eintreffen des Beschwerdeführers bereits zwei Sitzblockaden stattgefunden, von denen der Beschwerdeführer Kenntnis gehabt habe. Die Deutsche Polizei und die amerikanische Standortverwaltung hätten für den Fall von Blockaden abgesprochen, daß die Polizei für die Freihaltung des Haupttores habe sorgen sollen; die Standortangehörigen seien schriftlich auf die beabsichtigte Aktion und die Veranstalter auf deren Unrechtmäßigkeit hingewiesen worden. Der Umweg zum nächsten geöffneten Nebentor habe - das sei zu unterstellen - für ausfahrwillige Kraftfahrer höchstens fünf Minuten betragen. Der Beschwerdeführer habe bis zur Räumung durch die Polizei und trotz dreimaliger Aufforderung zur Freigabe zusammen mit zweihundert anderen Demonstranten etwa 15 Minuten auf der Straße gesessen. Die auf dem Kasernengelände vor dem Haupttor anhaltenden Kraftfahrzeuge habe er nicht sehen können; er habe aber Behinderungen zumindest billigend in Kauf genommen. Durch seine Teilnahme habe er die meist noch jungen Mitdemonstranten in ihrer politischen Zielsetzung (Verhinderung der Raketenstationierung) unterstützen wollen, wobei er sich bewußt gewesen sei, daß durch seine Mitwirkung die Aktion besonderes Öffentlichkeitsinteresse erlangt habe.
Zur rechtlichen Würdigung hat das Landgericht ausgeführt, der Beschwerdeführer habe im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit anderen Dritten durch Gewalt zu einer Handlung genötigt. Diese Nötigungshandlung sei rechtswidrig im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB gewesen. Dazu heißt es in dem angegriffenen Urteil im einzelnen:
Die Anwendung der Gewalt zu dem vom Angeklagten und den Mitdemonstranten angestrebten Zweck ist als verwerflich anzusehen. Gewaltanwendung als Nötigungsmittel ist grundsätzlich als verwerflich anzusehen (BGHSt 23, 54 (55)). Es liegen im vorliegenden Fall keine besonderen Umstände vor, welche eine Verwerflichkeit ausschließen. Die Handlungsweise des Angeklagten ist objektiv gesehen in erhöhtem Maß sittlich mißbilligenswert, auch wenn es sich nur um "vergeistigte" Gewalt handelte, die vom Angeklagten geübt wurde und die Motivation des Angeklagten ehrliche Sorge um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland war. Das Verhalten des Angeklagten und seiner Mitdemonstranten ist ein Mißbrauch der im Grundgesetz garantierten Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, die es jedem Staatsbürger ermöglicht, seine Meinung frei und im Wege der gewaltfreien Demonstration kundzutun. Die Sitzblockade war aber nicht nur spektakuläre Demonstration sondern auch unerlaubte Behinderung des Kraftfahrzeugverkehrs. Wer sich durch Sitzblockaden politisch betätigt, verletzt in erheblicher Weise demokratische Spielregeln und gefährdet ein geordnetes Zusammenleben. Die Handlungsweise des Angeklagten und die der Mitdemonstranten gewinnt nicht dadurch eine tolerierbare Qualität, daß das politische Anliegen des Angeklagten und seiner Gesinnungsgenossen ernstzunehmen ist und die von ihm und seinen Gesinnungsgenossen abgelehnte Raketenaufstellung große Bedeutung im Zusammenhang mit der Bewahrung der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland hat. Auch wenn der innere Friede in der Bundesrepublik Deutschland durch die einzelne Sitzblockade in Neu-Ulm noch nicht gestört wurde, so würde jedoch der innere Frieden gestört werden, wenn solche unfriedlichen Demonstrationen, wie sie in Neu-Ulm geschehen sind, als rechtmäßig angesehen würden. Weiterungen wären die Folge. Es könnten öffentliche Einrichtungen durch den Druck der Straße lahmgelegt werden. Der Boden für das Tätigwerden radikaler Elemente wäre bereitet und der Erpressung der verfassungsmäßigen politischen Willensbildungsorgane wäre Tür und Tor geöffnet. Daher kommt es auch im vorliegenden Fall nicht darauf an, daß die fragliche Sitzblockade nicht auf längere Zeit geplant war und an dem Osterfeiertag keine bedeutsamen Verkehrsbewegungen durch das Haupttor zu erwarten waren und schließlich Kraftfahrzeugführer unter Inkaufnahme eines kurzen Umweges die Kaserne trotz Blockade verlassen konnten. Die Folgen der Gewaltausübung durch die Sitzblockade kann nur für die Strafzumessung Bedeutung haben..
c) Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Revision durch einstimmig gefaßten Beschluß als offensichtlich unbegründet verworfen.
3.
Gegen diese Entscheidungen hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde eingelegt. Seine Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG seien dadurch verletzt worden, daß die Gerichte seinen Protest in einer existenzbedrohenden Schicksalsfrage durch Teilnahme an einer kurzfristigen symbolischen Aktion als Gewalt gewürdigt, ferner die durch § 240 Abs. 2 StGB gebotene Abwägung zwischen Mittel und Zweck unterlassen und die Umstände der Sitzblockade nur bei der Strafzumessung berücksichtigt hätten. Da die Kraftfahrzeugfahrer nicht vernommen worden seien, fehle jede Feststellung, ob sie nicht die kurzzeitige Beeinträchtigung ihrer Bewegungsfreiheit hinzunehmen geneigt gewesen seien. Für die Prüfung, was in einer Gesellschaft als verwerflich oder aber als üblich und billigenswert angesehen werde, sei bedeutsam, daß Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung demonstrativ die wesentlich folgenschwerere Brenner-Blockade durch Lkw-Fahrer wegen bloßer verkehrspolitischer Interessen gebilligt und unterstützt hätten. Schließlich sei eine uferlose Ausdehnung des Nötigungstatbestandes auch mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar.
4.
Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Auslegung und Anwendung verfassungskonformer Strafvorschriften sowie die Berücksichtigung und Wertung aller Umstände des Einzelfalles fielen grundsätzlich in die Zuständigkeit der Strafgerichte. Die Beurteilung von Sitzblockaden sei verfassungsrechtlich daher nur dann zu beanstanden, wenn sich ein Gericht damit begnügen würde, die Gewaltanwendung als indiziell für die Verwerflichkeit anzusehen. Im vorliegenden Falle habe sich das Landgericht - anders als das Amtsgericht in dem vom Bundesverfassungsgericht aufgehobenen früheren Urteil - ausreichend mit den die Verwerflichkeit kennzeichnenden Umständen auseinandergesetzt. Es sei eingehend auf Art, Zeitpunkt, Dauer und Modalität der konkreten Blockadeaktion sowie auf die Ausweichmöglichkeiten der Betroffenen eingegangen. Daß die Prüfung der die Verwerflichkeit begründenden Umstände im Lichte des Verfassungsrechts nicht in aller wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck komme, habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil als unerheblich gewertet. Die Ablehnung des Beweisantrages zur "Brenner-Blockade" verletze kein Verfassungsrecht; im übrigen sei es insoweit zu Strafbefehlsverfahren gekommen.
II.
Infolge Stimmengleichheit kann nicht festgestellt werden, daß die angegriffenen Entscheidungen Grundrechte des Beschwerdeführers verletzen. Die zulässige Verfassungsbeschwerde war daher zurückzuweisen.
1.
Stimmengleichheit hatte schon bei der Entscheidung vom 11. November 1986 dazu geführt, daß die Verurteilung der damaligen Demonstranten wegen Nötigung bis auf einen Fall unbeanstandet geblieben war (BVerfGE 73, 206 (230 ff.)):
Vier Richter hatten es damals als unvereinbar mit dem aus Art. 103 Abs. 2 GG herleitbaren Analogieverbot beurteilt, wenn Gerichte die Gewaltalternative des § 240 StGB auf Handlungen der vorliegenden Art erstrecken. Jedenfalls führe eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung dieser Strafvorschrift zu dem Ergebnis, daß derartige Handlungen bei Berücksichtigung aller Umstände einschließlich der von den Demonstranten verfolgten Protestziele in der Regel nicht als verwerflich zu qualifizieren seien, sofern nicht besondere Umstände hinzuträten. Nach Meinung der vier anderen Richter, deren Auffassung das damalige Urteil trug, überschreitet hingegen die weite Interpretation des Gewaltbegriffs durch die Strafgerichte nicht die Grenzen zulässiger Auslegung. Die Beurteilung der für die Verwerflichkeit maßgebenden Umstände sei Sache der Fachgerichte, deren Entscheidungen bis auf einen Fall keine Fehler hätten erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhten.
An dieser Beurteilung wird beiderseits auch im vorliegenden Verfahren festgehalten. Dies hat nach der ausdrücklichen Regelung in § 15 Abs. 3 Satz 3 BVerfGG zur Folge, das insoweit ein Verstoß gegen das Grundgesetz nicht festgestellt werden kann (vgl. BVerfGE 20, 162 (178 ff.); 25, 352 (357 ff.); 49, 304 (323 ff.); 53, 224 (249 ff.); 67, 245 (248 ff.)); demgemäß haben die Strafgerichte bei der ihnen obliegenden Beurteilung von Sitzblockaden § 240 StGB als anwendbares geltendes Recht zu berücksichtigen. Die Abweisung der Verfassungsbeschwerde beruht in derartigen Fällen darauf, daß sich für die vom Beschwerdeführer begehrte und zur Abstimmung gestellte Beurteilung seiner Bestrafung als verfassungswidrig keine Mehrheit gefunden hat.
Soweit die gegensätzliche Beurteilung von Sitzdemonstrationen durch das Bundesverfassungsgericht und durch die Strafgerichte Unklarheiten und Unsicherheiten ausgelöst hat, beruhen diese letztlich auf der vielfach kritisierten Fassung des § 240 StGB und können nur vom Gesetzgeber beseitigt werden. Für dessen Willensbildung mag bedeutsam sein, daß angesichts der Stimmengleichheit unter den Verfassungsrichtern die Anwendung des § 240 StGB auf Sitzblockaden vom Bundesverfassungsgericht weder für verfassungswidrig noch für verfassungsmäßig erklärt worden ist.
2.
In seiner früheren Entscheidung hatte der Senat übereinstimmend eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip darin gesehen, daß sich das Amtsgericht mit der Beurteilung der Sitzblockade in Neu-Ulm als Anwendung von Gewalt und mit der Aussage begnügt hatte, die Anwendung des Mittels der Gewalt zu dem erstrebten Zweck sei als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen. Das Gericht habe - zwar nicht ausdrücklich, wohl aber im Ergebnis - die Gewaltanwendung im Anschluß an die Laepple-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 23, 46 (54 f.)) als indiziell für die Rechtswidrigkeit bewertet, statt die vom Gesetzgeber als Korrektiv vorgesehene Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB unter Berücksichtigung aller Umstände heranzuziehen. Soweit überhaupt auf die näheren Umstände (Durchführung der Sitzblockade am Ostersonntag und damit an einem Tag mit wenig Dienstbetrieb, geringe Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten und demgemäß lediglich Bewirken eines Zwanges zum Umweg, und zwar im wesentlichen für Personen mit einem besonderen Sachbezug zum Protestgegenstand) eingegangen werde, geschehe das nicht zur Prüfung der Verwerflichkeit, sondern erst bei der Strafzumessung (BVerfGE 73, 206 (247, 252 f.)).
Dieser verfassungsrechtlich erhebliche Fehler in der Rechtsanwendung liegt der erstinstanzlichen Entscheidung auch im vorliegenden Fall zugrunde. Beide Male hat der Strafrichter maßgeblich darauf abgestellt, die Anwendung des Mittels der Gewalt zu dem angestrebten Zweck sei als verwerflich anzusehen. Eine wenigstens hilfsweise Abwägung der näheren Umstände ist unterblieben. Soweit das Gericht auf diese Umstände überhaupt eingeht, geschieht dies beide Male erst bei der Strafzumessung.
Anders als in dem früheren Verfahren hat im vorliegenden Fall indessen eine zusätzliche Beurteilung durch das Berufungsgericht stattgefunden, die das Bayerische Oberste Landesgericht durch Verwerfung der Revision ohne nähere Begründung gebilligt hat und die der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung zugrunde zu legen ist. Infolge Stimmengleichheit kann nicht festgestellt werden, daß auch diese beiden Entscheidungen wegen des gleichen Fehlers verfassungsrechtlich zu beanstanden sind.
a) Nach Meinung von vier Richtern hat auch das Landgericht nicht die gebotene Abwägung der näheren Umstände vorgenommen, sondern ist ausdrücklich der überholten Laepple-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 23, 46 (54 f.)) gefolgt, welches die Indizwirkung der Gewaltanwendung für die Beurteilung als rechtswidrig postuliert und gemeint hatte, bei Gewaltanwendung könnten nur besondere Umstände das Verwerflichkeitsurteil ausschließen. Das Landgericht hat diese Argumentationsmuster voll übernommen und lediglich durch einige allgemeine Erwägungen für den Fall von Sitzblockaden zu bekräftigen versucht; diese erschöpfen sich neben der Verwendung starker und vom Sachverhalt ablenkender Worte im wesentlichen in der Darlegung, durch derartige "unfriedliche" Demonstrationen werde die verfassungsrechtlich garantierte Meinungs- und Demonstrationsfreiheit mißbraucht, also in der Verneinung eines besonderen Rechtfertigungsgrundes. Im übrigen hat das Landgericht zwar - wie das Bayerische Staatsministerium der Justiz insoweit zutreffend bemerkt - zum Verlauf der Blockadeaktion konkretere Feststellungen getroffen als das Amtsgericht. Aber auch das Landgericht hat die näheren Umstände gerade nicht bei der Prüfung der Verwerflichkeit, sondern ausdrücklich bei der Strafzumessung berücksichtigt. Es hat also den verfassungsrechtlich erheblichen Fehler des Amtsgerichts nicht ausgeräumt, sondern im Gegenteil wiederholt. Da sich bei der verfassungsrechtlich gebotenen Berücksichtigung aller Umstände durch den zuständigen Strafrichter eine für den Beschwerdeführer günstigere Beurteilung nicht ausschließen läßt, ist der Verfassungsbeschwerde nach Meinung dieser vier Richter ebenso stattzugeben wie in dem früher entschiedenen Fall.
b) Auch nach Meinung der vier anderen Richter, deren Auffassung die Entscheidung trägt, könnte das landgerichtliche Urteil als bedenklich erscheinen, wenn es trotz Kenntnis der neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 73, 206) und des Bundesgerichtshofs (NJW 1986, S. 1883) in der vorliegenden Form begründet worden wäre. Bei Erlaß des landgerichtlichen Urteils lag diese Rechtsprechung aber noch nicht vor.
Das angegriffene Urteil geht nicht von der unwiderleglichen Indizierungswirkung eines nach § 240 Abs. 1 StGB als Gewaltanwendung bewerteten Sachverhalts aus, sondern enthält an mehreren Stellen deutliche Elemente einer Güterabwägung. Diese bezieht sich - wie mehrfach zum Ausdruck gebracht wird - auch nicht nur auf eine abstrakte, lediglich gedachte Fallkonstellation, sondern ebenso auf den konkreten Fall, den das Amtsgericht zu entscheiden hatte. So wird betont, es lägen "im vorliegenden Fall keine besonderen Umstände vor, welche eine Verwerflichkeit ausschließen"; das Amtsgericht bedient sich dabei einer Argumentationsweise, die später auch das Bundesverfassungsgericht selbst mit dem Begriff "in Fällen wie dem vorliegenden" verwendet hat (vgl. BVerfGE 73, 206 (231)) und die auch dort als Element konkreter Güterabwägung verstanden worden ist. Das Problem der "vergeistigten" Gewalt und die Beweggründe des Beschwerdeführers sind im angegriffenen Urteil ebenfalls nicht nur abstrakt, sondern im Zusammenhang mit solchen Demonstrationen abgehandelt, "wie sie in Neu-Ulm geschehen sind". Nach Ansicht der vier Richter, die die Entscheidung tragen, kann also keine Rede davon sein, daß das angegriffene Urteil überhaupt keine Güterabwägung im Einzelfall vorgenommen habe.