Chauvinismus in französischen Schulbüchern

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Autor: Karl Markscheffel
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Titel: Chauvinismus in französischen Schulbüchern
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 717–719
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Chauvinismus in französischen Schulbüchern.

Von Karl Markscheffel.

Seit dem für Frankreich so unglücklichen Kriege von 1870 hat sich in den Herzen der gedemütigten Franzosen ein tiefer Groll gegen die vorher so geringschätzig behandelten und nun so überlegen sich erweisenden Deutschen festgesetzt. Die „Revanche“ wurde zum politischen Bekenntnis weiter Kreise und zu einer beständigen Gefahr für den Frieden Europas. Dank der Schlagfertigkeit des deutschen Heeres und der weisen Bündnispolitik des Deutschen Reiches durften bis jetzt die französischen Heißsporne nicht wagen, den Krieg von neuem vom Zaune zu brechen. Ein Vierteljahrhundert lang wurde der Friede nicht gestört und vielfach giebt man sich der Hoffnung hin, daß unter dem Einfluß der Zeit der leidenschaftliche Haß und das Rachegelüst unserer Nachbarn sich legen und mäßigen werden, daß das neue heranwachsende Geschlecht sich geneigter zeigen werde, im Interesse des Weltfriedens, zum Wohle der Menschheit im besseren Einvernehmen mit dem deutschen Nachbar zu leben. Hier und dort gewahrt man auch Anzeichen, die für die Möglichkeit einer solchen Wandlung zu sprechen scheinen; bei der leichten Erregbarkeit des französischen Temperaments wäre es aber thöricht, schon heute solche Zukunftshoffnungen zur Richtschnur unseres politischen Handelns zu machen. Der Chauvinismus, [718] über dessen Ursprung und Wesen die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1892, S. 248, einen größeren Aufsatz gebracht hat, steht ja jenseit der Vogesen nach wie vor in Blüte und er wendet sich nicht nur an Erwachsene, sondern er beeinflußt auch die Jugend, er macht sich in der Schule breit und nährt in französischen Kinderherzen den blinden Haß gegen alles, was deutsch ist, und das tolle Verlangen, baldigst Rache für Sedan zu nehmen.

Wohl kann man auch bei uns es begreiflich finden, daß die Schulbehörden und Lehrer Frankreichs nach dem verhängnisvollen Kriege die Vaterlandsliebe bei der Jugend, auf der doch die Zukunft der Nation beruht, zu steigern suchen, daß sie die Wiedergewinnung der verlorenen Provinzen als erstrebenswertes Ziel hinstellen; aber daß sie die jugendlichen Köpfe systematisch mit ungerechtem Haß gegen die Deutschen zu erfüllen suchen, daß sie Schulbücher ausgeben, in denen der Feind, der Prussien, neben dem „edlen“ Franzosen als ein blutdürstiger und grausamer Barbar geschildert und die historische Wahrheit, bloß um Rachedurst zu entzünden, einfach auf den Kopf gestellt wird, das ist nicht zu entschuldigen und zeigt in bedenklicher Weise, wie sehr auch heute noch der gallische Sinn zu Uebertreibung, Lüge und gefährlicher Selbstüberhebung geneigt ist.

Auf den folgenden Spalten soll an einer Reihe von Beispielen gezeigt werden, in welcher Beleuchtung die Deutschen in den französischen Schulbüchern seit 1870 erscheinen. Hauptsächlich kommen hierbei die Schullesebücher und Geschichtsabrisse in Betracht; aber auch die Leitfäden des sogenannten Enseignement moral et civique liefern interessanten Stoff. Unter enseignement civique, „bürgerlichem Unterricht“, der durch Gesetz vom 28. März 1882 obligatorisch in allen Volksschulen Frankreichs eingeführt ist, versteht man eine in den deutschen Schulen noch fehlende systematische Unterweisung über die politische, administrative und gerichtliche Organisation des Landes, über die Rechte und Pflichten der Staats- und Gemeindebürger. Der enseignement moral ist an Stelle des früheren Religionsunterrichts getreten. Die meisten derartigen Bücher sind mit Geschick verfaßt und es steht viel Wissens- und Lobenswertes darin. Sobald aber die Rede zufällig oder beabsichtigt auf den letzten Krieg, auf Elsaß-Lothringen oder die Deutschen kommt, ist von sachlicher Ruhe, von gerechter Beurteilung selten mehr die Rede; chauvinistische Gehässigkeiten wechseln ab mit sentimentalen Klagen, Fest steht in diesen Schulbüchern zunächst der Satz, daß es von den Deutschen ein himmelschreiendes Unrecht war, den Franzosen Elsaß-Lothringen zu entreißen, und daß diese Provinzen wieder zurückerobert werden müssen. Niemals aber begegnet man der geschichtlichen Thatsache, daß diese Länder doch urdeutsch sind. In dem für Volksschulen geschriebenen, vielgebrauchten Leitfaden von Burdeau, „Devoir et Patrie“ (Paris, Picard und Kaan) heißt es Seite 148 kurz und stolz: „Ein Teil Frankreichs befindet sich gegenwärtig unter fremder Gewalt. Aber die ganze Welt weiß, daß wir entschlossen sind, eines Tages unsere bedrückten Brüder zu befreien; und die Geschichte lehrt, daß Frankreich schließlich stets seine Bedrücker verjagt hat!“ – In demselben Schulbuche wird S. 138 bis 143 erzählt, wie ein pflichttreuer französischer Grenzaufseher, Namens Kasper, in den Vogesen von „preußischen“ Schmugglern erschossen wird, nachdem er im Kampfe bei der Ausübung seiner Pflicht selber zweien seiner Angreifer den Garaus gemacht hat. Die sentimental zugestutzte Geschichte, die in der Nähe von Hoheneck und der „Schlucht“ spielt und im Jahre 1878 sich zugetragen haben soll, schließt damit, daß der verwaiste Sohn Kaspers durch die Fürsorge des Staates eine Freistelle im Gymnasium zu Saint-Dié erhält, wo er sich durch Fleiß und Tüchtigkeit in der Klasse wie im Schulbataillon auszeichnet. Als der vierzehnjährige Knabe sein Exerciergewehr, ein richtiges Soldatengewehr, erhält, betrachtet er es erfreut und spricht wie für sich hin: „Da bist du endlich, mein Gewehr. Wir beide wollen nicht vergessen, was wir zu thun haben: es gilt, den Grenzaufseher Kasper zu rächen“ – und nun kommt ein kühner, aber bezeichnender Gedankensprung – „es gilt, die Grenze wieder dahin zu verlegen, wo sie nie hätte aufhören sollen zu sein, da drüben an den Rhein! Ja, lieber Vater, die preußischen Schmuggler sollen nicht lange mehr ihr meuchelmörderisches Gewerbe auf den Höhen der „Schlucht“, in unserem Elsaß treiben!“

Die Elsässer, die früher von den Franzosen stets über die Achsel angesehen wurden und eine beständige Zielscheibe der Pariser Witzblätter waren, sind nach dem Kriege plötzlich zu Hätschelkindern geworden, nach denen Mutter Frankreich sich halb krank sehnt. Man bedauert die Armen, die, von den „rohen Preußen“ ihrer Freiheit beraubt, seit ihrer Lostrennung vom schönen Frankreich angeblich ein trauriges Leben führen. Auch das Herz der Schuljugend soll von Mitleid und Grimm über das Los der geknechteten Brüder erfüllt werden. Daher werden für die Schulbücher wunderbare Geschichten erfunden und ausgewählt. So wird in Burdeaus Buche „Devoir et Patrie“ (S. 43–47) von einem kleinen Elsässer die rührende Geschichte erzählt, wie sein französischer Dorfschullehrer Monsieur Hamel das letzte Mal feierlich Schule hält, nachdem von Berlin der Befehl gekommen, daß in den reichsländischen Schulen nur noch deutsch unterrichtet werden soll; und wie der alte Mann, der nun vertrieben wird, am Schulschluß, während gerade eine Abteilung Preußen mit Musik unter den Fenstern vorüberzieht, vor innerer Bewegung keines Wortes mächtig, mit großen Lettern als Abschiedswort Vive la France an die Schultafel schreibt. Ein Bild veranschaulicht die Scene.

In einem anderen illustrierten Schulbuche, in Rocherolles „Les secondes lectures enfantines“ (Paris, Armand Colin), dessen Titel mit „Lesebuch für Kinder, 2. Stufe“ zu übersetzen wäre, wird geschildert, wie ein kleiner Elsässer, der arme kleine Fritz aus Straßburg, von seiner Heimat losgerissen als neuer Schüler der Schule zu Beaumont still und traurig, gleichsam verwaist im Spielkreise seiner Kameraden dasteht und immer sehnsüchtig an seine verlorene Vaterstadt, an sein Elsaß zurückdenkt.

Auch auf Bilderbogen wird für die Kinder gelegentlich die „elsaß-lothringische Frage“ behandelt. Unter der Ueberschrift „La tache noire“ (der schwarze Fleck) wird z. B. auf einem solchen Bilderbogen (Imagerie artistique, Série 1, No. 10, Paris, A. Quantin) zu Nutz und Frommen der französischen Knaben wörtlich folgendes vorgeführt: „Zwei kleine Mädchen verlassen ihr in die Gewalt der Preußen gefallenes Heimatland: Johanna, die größere, ist Lothringerin und die kleine Marie kommt aus dem Elsaß. Sie haben einen weiten Weg gemacht und ihre Füße sind recht müde. Sie setzen sich weinend auf einen Steinhaufen, um ein wenig auszuruhen. Da kommen zwei Schulknaben lesend und lernend vorüber. Sobald sie die Mädchen erblicken, treten sie heran und fragen nach der Ursache ihres Kummers. Johanna erzählt ihnen: die Preußen haben uns verjagt; wir sind allein auf der Welt und wir wollen die Franzosen um Schutz bitten. – Wir werden euch beschützen und euch rächen, antworten Jakob und René. Alsdann nehmen sie die Mädchen mit. Im Dorfe angekommen, führt Jakob dieselben in das Schulzimmer vor die Karte von Frankreich. – Betrachtet diesen schwarzen Fleck, spricht er zu ihnen, das ist euer Heimatland; es muß wieder französisch werden! – Von diesem Tage an verbrachte Jakob, der Sergeant im heimischen Schulbataillon war, seine freie Zeit mit Exerzieren. Man hätte die Trommler und Pfeifer an der Spitze des Bataillons sehen sollen! Man hätte den Sergeanten Jakob sehen sollen, wie er seinen Säbel gleich einem wirklichen Offizier zog! Man hätte die Mädchen sehen sollen, die in Reih’ und Glied marschierten, denn sie hatten Marketenderinnen und Krankenpflegerinnen sein wollen. Sie grüßten militärisch wie jeder andere und marschierten im Schritt, ohne je einen falschen Tritt zu thun. Schließlich entschied Jakob, der mit seinen Soldaten zufrieden war, daß es Zeit sei, den schwarzen Fleck wegzunehmen und die verlorenen Provinzen zurückzugewinnen. Er that es mit seinem Säbel in Gegenwart Johannas, der Lothringerin, und Mariens, der Elsässerin. (Das dazu gehörige Bild zeigt, wie er die schwarzschraffierte Stelle, welche auf der Schulkarte Elsaß-Lothringen vorstellt, mit seinem Säbel weiß kratzt, so daß sie nun die Farbe des benachbarten Frankreichs hat.) Die Tricolore wurde auf den so wiedergewonnenen Städten Metz und Straßburg aufgepflanzt; und die wackeren kleinen Soldaten, die zu allem entschlossen sind, kreuzten das Bajonett, um ihr Heimatland zu schützen. Mögen die Preußen kommen, sie werden erfahren, mit wem sie es zu thun haben. Es lebe Frankreich!“ –

Mit Vorliebe wird in den französischen Lesebüchern französische Großherzigkeit und Heldenhaftigkeit preußischer Brutalität gegenübergestellt, und zwar, wie man leider annehmen muß, gegen besseres Wissen. In Burdeaus Volksschulbuch „Devoir et Patrie“ wird auf Seite 71 erzählt, wie im Jahre 1871 der bayrische Festungskommandant von Ingolstadt den von ihm bewachten französischen Kriegsgefangenen aus Raubgier die Hälfte ihrer Lebensmittel und alle ihre Kohlen stiehlt. Die biedern Franzosen [719] sind natürlich ärgerlich darüber, revoltieren und zünden ein Paar Baracken an. Dafür läßt sie der bayrische Wüterich von den Wällen herab durch seine Soldaten niederschießen und die Metzelei dauert bis zum Eintritt der Nacht. Zwei der Kriegsgefangenen, darunter derjenige, der die Geschichte erzählt, wollen sich in der Dunkelheit aus ihren Verstecken durch die Flucht retten. Dem Erzähler glückt dies; sein Kamerad aber, der kein guter Turner ist und keinen Aufzug gelernt hat, vermag nicht eine Wallmauer zu erklimmen und wird von den Deutschen erschossen.

Die Geschichte wird lediglich zu dem Zwecke erzählt, die Vorteile des Turnens zu zeigen; daß dabei ganz ohne Not die Ehre deutscher Offiziere in hämischer Weise mit Kot beworfen wird, ist dem französischen Verfasser kein Bedenken gewesen; ganz im Gegenteil! Es steckt eben Methode in solchen Lügen, die nun jährlich von vielen tausend französischen Schulknaben mit Schauder und Grimm als wahr gelesen werden. Es steht ja gedruckt da und er hat’s gesagt, der Lehrer! – Der Erzähler Burdeau ist übrigens kein anderer als der 1894 verstorbene Minister und Kammerpräsident Aug. Burdeau, der 1870 selbst als Kriegsgefangener aus Deutschland geflohen ist.

In dem ebenfalls für Volksschulen bestimmten illustrierten Leitfaden „L’instruction civique“ von Paul Bert, in einem Buche, das, weil es sehr radikal ist, von der katholischen Kirche auf den Index gesetzt worden ist, aber doch wohl in vielen Schulen gebraucht wird, heißt es auf Seite 27: „Als 1871 die Preußen uns Elsaß-Lothringen genommen, haben sie daselbst zuerst die mannigfaltigsten Abscheulichkeiten begangen und jetzt noch wird es von ihnen ungefähr wie eine deutsche Provinz (!) behandelt, nur noch etwas härter, weil sie sich von den Bewohnern des Landes verabscheut wissen.“ Auf einer nebenstehenden Abbildung, welche die Unterschrift „Grausamkeiten des Krieges“ trägt, sieht man, wie eine Abteilung preußischer Soldaten auf Befehl ihres Offiziers ein händeringendes Weib erschießen; mehrere andere Opfer liegen schon niedergestreckt am Boden. – Paul Bert war Professor an der Sorbonne in Paris und hat auch vorübergehend den Posten des Unterrichtsministers inne gehabt.

Unter der Ueberschrift „Ein heldenmütiges Bauernmädchen“ wird in dem Lesebuche von Ch. Lebaigue (Le livre de l’école, cours préparatoire; Paris, Belin) S. 103 folgendes erzählt:

„Während des Krieges von 1870 war ein Bauernmädchen als Hüterin eines bei Metz gelegenen Meierhofes allein zurückgelassen worden. Eines Tages wird das Haus von einer Rotte bayrischer Soldaten besetzt. ,Du wirst meine Fragen beantworten,‘ sagt der Offizier zu ihr. ,Vor zwei Stunden ist ein französisches Regiment hier durchgezogen: nach welcher Seite hat es sich gewendet?‘ Das junge Mädchen erbleicht; dann antwortet es nach kurzem Zaudern: ,Ich bin Französin, ich darf Euch nicht sagen, was den Franzosen Verderben bringen kann.‘ – ‚Wir werden Dir schon Dein Geheimnis zu entreißen wissen,‘ versetzt der Deutsche wütend. Und indem er sich an seine Truppe wendet, ruft er: ‚Soldaten, führt sie in den Hof und stellt sie an die Mauer!‘ Der Befehl wird ausgeführt und sechs Mann stellen sich auf, bereit, auf den ersten Wink ihres Führers Feuer zu geben. ‚Jetzt,‘ sagt dieser, ‚wirst Du reden.‘ – Das junge Mädchen schwieg. – ‚Zum zweitenmal befehle ich Dir, sprich!‘ – Sie schwieg. – ‚Zum drittenmal, sprich!‘ – Sie schwieg. – ‚Soldaten, Feuer!‘ Und das heldenmütige Mädchen sank, von den Kugeln durchbohrt, nieder.“

Auch hier wird in einem beigegebenen Bildchen die grausame Scene den jugendlichen Lesern möglichst anschaulich gemacht. Als Quelle wird die Pariser Zeitung „Le petit Journal“ genannt. Wie wenig man aber von der Glaubwürdigkeit solcher Quellen zu halten hat, ergiebt sich schon aus dem Umstande, daß dieselbe Geschichte in anderen Schulbüchern in ganz anderer Form wiederholt wird, so z. B. in einem der illustrierten Lesebücher von M. Guyau (La première année de lecture courante. Paris, Armand Colin). Hier trägt das Lesestück die Ueberschrift „Verschwiegenheit während des Krieges“. Die Soldaten werden als Preußen bezeichnet, das Mädchen wird mit Namen genannt, Susanne Didier; die ganze Darstellung ist farbenreich und auf starken Eindruck berechnet.

Kein Wunder, wenn durch Vorführung solcher Lesestücke die kritiklose Schuljugend von stillem Ingrimm und Haß gegen die Deutschen erfüllt wird. Der schon mehrfach erwähnte Burdeau scheint sich dessen voll bewußt gewesen zu sein und an der Stelle seines Buches, wo er von der Menschenliebe, von der Feindesliebe spricht, sucht er sich durch einige sophistische Wortklaubereien mit seinem Gewissen abzufinden.

„Wie,“ so läßt er einen der Schüler den nach sokratischer Weise unterrichtenden Lehrer unterbrechen, „wie, Herr Lehrer, wir sollten also auch die Preußen, die Bayern, alle jene Deutschen lieben, die so mit Mord und Brand in Frankreich gehaust haben und welche die elsaß-lothringischen Franzosen noch jetzt so viel leiden lassen?“ – Darauf antwortet der Lehrer: „Allerdings könnt Ihr nicht diejenigen lieben, welche die Franzosen bedrücken. Immerhin sind es Menschen. Sie haben Euch Eure elsaß-lothringischen Brüder gestohlen; es gilt, alles zu deren Befreiung vorzubereiten. Aber wenn Ihr später so glücklich gewesen seid, dieses große Werk zu vollbringen, so dürft Ihr nicht den Feinden Böses mit Bösem vergelten wollen. Nein, man muß versuchen, einen guten Frieden zu schließen, der den alten Haß auslöscht und von dem die ganze Menschheit Vorteil hat. Jedes Volk hat ja seine besonderen guten Eigenschaften. Man muß also alle respektieren, unter der Bedingung, daß sie zuerst Frankreich respektieren.“ Und in dieser Weise redet der Lehrer bei Burdeau noch eine gute Weile fort.

Nachdem an den vorstehenden Beispielen hinlänglich gezeigt worden ist, welch plumper oder ungerechter Mittel sich in Frankreich die einzelnen Verfasser der Volksschulbücher bedienen, um Deutschenhaß und Rachedurst im Herzen der französischen Jugend zu entflammen, soll nicht unausgesprochen bleiben, daß hier und da in diesen Büchern auch der wahre, echte Patriotismus, frei von verblendeter Leidenschaft, einen beredten Ausdruck findet. Wie aber selbst in gemäßigten und hochgebildeten Kreisen über die „elsaß-lothringische Frage“ gedacht und wie dieselbe den Zöglingen mittlerer und höherer Schulen dargestellt wird, darüber möge uns folgendes Beispiel belehren, das wir dem Geschichtsabriß „Histoire générale“ von Ernest Lavisse (Paris, Armand Colin) entnehmen:

„Die Soldaten, Kanonen und Festungen kosten viel Geld. Deutschland hat 500 Millionen für Festungen ausgegeben und Frankreich noch mehr. Jedes Jahr kostet das französische Heer 600 (?) Millionen. Viele Leute meinen, daß dieses Geld besser verwendet würde, wenn man Wege, Brücken, Schulen damit baute und vor allem die Steuern herabsetzte. Daher wünschen sie, daß sich die Völker dahin verständigen möchten, abzurüsten oder doch wenigstens minder zahlreiche und kostspielige Heere zu unterhalten. Andere sagen, daß die civilisierten Völker Europas nicht mehr wie die Wilden gegeneinander kämpfen dürften und daß etwaige Streitfragen durch europäische Gerichtshöfe geschlichtet werden müßten, so wie die Bewohner Frankreichs ihre Rechtsstreitigkeiten durch die französischen Gerichtshöfe zum Austrag bringen ließen. Vielleicht wird die Zukunft diesen Leuten recht geben, die Gegenwart giebt ihnen unrecht. Wir in Frankreich müssen wünschen, daß unser Heer sehr stark sei, daher müssen wir alle gute Soldaten sein: das ist unsere nationale Pflicht. Frankreich bedroht niemand mehr. Seit es sich selbst regiert, führt es keine Eroberungskriege mehr. Eroberungskriege entstehen aus Ehrgeiz und erscheinen uns verwerflich. Aber es giebt auch gerechte Kriege, die man gegen die Ungerechtigkeit geführt hat. Der Vertrag, der die Elsaß-Lothringer gezwungen hat, wider ihren Willen Deutsche zu werden, ist eine Ungerechtigkeit.“

Wenn auch anzuerkennen ist, daß in den letzten Jahren die feindselige Spannung in Frankreich etwas nachgelassen hat und die Freunde des Völkerfriedens sichtlich an Boden gewonnen haben, so werden bei solcher Erziehung des heranwachsenden Geschlechts die Franzosen noch lange nicht über die angebliche „Ungerechtigkeit“ des Frankfurter Vertrags zur Ruhe kommen; auch in ihren Schulbüchern nicht und werden noch lange ihre chauvinistischen Anschuldigungen und Hetzereien wiederholen. Und so lange heißt es für uns, eines jähen Ausbruchs des so unvernünftig geschürten Hasses gewärtig sein! Mit dieser Möglichkeit müssen wir rechnen und bei aller Friedensliebe bereit sein, einen uns etwa aufgedrungenen Krieg mit voller Rüstung und Kampfbereitschaft aufzunehmen, damit die durch höchsten Aufwand unserer Volkskraft in furchtbaren Schlachten zurückgewonnenen deutschen Lande, Elsaß und Lothringen, dem Vaterlande niemals wieder geraubt werden.