Christliche Symbolik/Ahasver

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Ahasver,

der berühmte „ewige Jude“, der noch jetzt umwandeln soll. Die älteste Kunde von ihm gibt Matthäus Paris in der hist. Anglica ad annos 1228 und 1252, nennt ihn aber Cartophilus. Dieser sey des Pilatus Thürsteher gewesen, und habe dem Heilande auf seinem schweren Gange nach Golgatha spöttisch auf die Achsel geklopft und zugerufen: Geh schneller! worauf der Heiland zu ihm geredet habe: Ich will gehen, du aber sollst warten, bis ich wiederkommen werde. Seitdem nun habe der Jude nicht sterben können, irre unstät durch die Welt und warte auf den jüngsten Tag, an dem Christus als Richter über die Lebendigen und Todten wiederkommen wird. Dieselbe Sage wiederholt Monskes in der flandrischen Reimchronik V. 25, 525. Im Jahre 1547 gab Duduläus zu Hamburg eine newe Zeitung vom Juden Ahasverus heraus, [42] worin es heisst, derselbe sey zu Danzig erschienen, als ein langer, uralter, sehr schlecht gekleideter Mann, mit Trauern und Seufzen, und habe gesagt, er sey ein Schuster zu Jerusalem gewesen. Seitdem will man denselben ewigen Juden auch an andern Orten gesehen haben, zum Theil unter andern Namen, z. B. Gregorius und Buttadaeus. Vgl. Grässe, Sage vom ewigen Juden, 1844. Görres, Volksbücher S. 201. v. Döbenek, Volksglaube II. 121. Paullini, zeitverkürzende Lust, S. 596. Sepp, Leben Jesu V. 115. Schudt, jüd. Merkw. V. 14. Zu den Disputationen, die bei Grässe angeführt sind, gehört noch eine von Pommer 1689. Nach Wolfs niederl. Sagen S. 625 wurde der ewige Jude unter dem Namen Isaac Laquedem im Jahre 1640 in Brüssel gesehen. Nach Mitternacht (diss. in Joh. 21, 19.) sah man ihn zu Naumburg unter der Predigt in der Kirche ruhelos hin- und herlaufen.

Die Vorstellung eines sterblichen Wesens, das doch nicht sterben kann, ist uralt. Bei den Indern überlebt die Krähe Kagbossum, bei den Persern der Vogel Simurgh, bei den Muhamedanern der aus Noah’s Arche entflogene Rabe alle Geschlechter der Menschen und Thiere. Rupertus Tuit. 44. vergleicht den Raben der Arche, der nicht wiederkommt, weil er im Aase der untergegangenen Zeit schwelgt, mit dem Judenthum, die Taube, die den Oelzweig aus dem Garten der neuen Erde bringt, mit dem Christenthum. Die Juden selbst kennen schon einen vorchristlichen ewigen Juden, den sogenannten Sameri, welcher das goldene Kalb verfertigte und deshalb, von Moses verflucht, nicht sterben kann. Grässe, ewiger Jude 23. Weil, bibl. Leg. 172. Unter Sameri aber ist Samaria zu verstehen, das heidnisch gesinnte Judenthum im Gegensatz gegen den reinen Mosaismus.

Ganz auf dieselbe Weise verhält sich nun auch Ahasver zu Christus, als Vertreter des alten verstockten Judenthums im Gegensatz gegen das Christenthum. Der ewige Jude ist das Judenthum selbst. Das Herumirren aber bezieht sich auf die Zerstreuung der Juden nach der Zerstörung Jerusalems. [43] Prudentius apoth. 4. adv. Jud. drückt den Gedanken am klarsten aus:

Exiliis vagus huc illuc fluitantibus errat
Judaeus, postquam patriae de sede revulsus
Supplicium pro caede luit, Christique negati
Sanguine respersus commissa piacula solvit.

Auch schon in den Propheten ist den Juden dieses Zerstreutwerden und Umherirren als Strafe geweissagt. Im Ahasver aber wird das ganze Volk personifizirt. Die Legende von Ahasver, die sich erst im Abendlande und unter den Völkern germanischer Abstammung ausbildete, legt das Hauptgewicht auf das „Sterbenwollen und nicht können“. Sie stellt den Juden dar als Einen, dem das Leben tief verhasst ist, als den alternden Pilger, dem das Leben zur unerträglichsten Last geworden und der doch nirgends dessen Ziel und Ende findet. Diese Legende wird erst dann richtig verstanden, wenn man sie mit der gleichfalls im deutschen Abendlande entsprungenen Legende von Faust vergleicht. Beide Legenden wurzeln in einer tiefen Würdigung des Christenthums gegenüber einerseits dem Juden-, anderseits dem Heidenthum. Ahasver flieht das Leben und sucht sich von dessen Qual loszureissen, aber vergebens. Faust sucht die Lust des Augenblicks zu verewigen, eben so vergebens. Dort geht das alte Judenthum immer noch wie ein Gespenst durch die christliche Welt; hier steigt das Heidenthum wie ein Vampyr aus dem Grabe und lügt Leben und Schönheit der griechischen Helena, erkünstelt blühende Natur durch höllischen Zaubers ärgste Unnatur. Es ist der Tod und der Teufel, jener in der Gestalt des Judenthums, dieser in Gestalt des Heidenthums, die sich in das Reich Christi eindrängen.

Die Notiz aus Matthäus Paris beweist, dass sich die Legende vom ewigen Juden schon im frühen Mittelalter ausgebildet haben muss. Sie erscheint ausgeführt und niedergelegt in deutschen, englischen, französischen, dänischen und holländischen Volksbüchern. Vgl. Grässe S. 37. und das von Auerbacher 1837 in München herausgegebene Volksbüchlein. [44] Als Volkssage lebt die Legende noch in den deutschen Alpen. Der ewige Jude soll einmal über das Mattenhorn in Wallis gekommen seyn in einer Zeit, in der die Alpen noch bis zum Gipfel grün, fruchtbar und bewohnt waren, und er soll gesagt haben, er werde noch zweimal denselben Weg kommen, das drittemal aber werde die ganze Gegend verödet und mit Eis bedeckt seyn. Grimm, deutsche Sagen Nr. 343. Vgl. Weber, Tirol III. 381. Vogt, Im Gebirg und auf den Gletschern S. 41.

Eine beträchtliche Menge neuer Dichter hat den ewigen Juden in Romanzen, Romanen und Trauerspielen bearbeitet, aber durchgängig im Widerspruch mit der ursprünglichen Legende und in einer entschieden antichristlichen Tendenz. Sie machen nämlich einen edeln Unglücklichen, einen ungerecht Verfolgten, einen Träger des beliebten Weltschmerzes, eine Personification der unterdrückten Revolution aus ihm, und lassen ihn mit heldenmässigen Phrasen der tief verhassten göttlichen und menschlichen Autorität trotzen und der Menschheit die endliche Emancipation verkünden. In Auerbachs „Spinoza“ erscheint der ewige Jude diesem Philosophen in dem Augenblicke, in welchem ihn die Juden, seine alten Glaubensgenossen, ausgestossen haben und auch die Geliebte ihn verrathen hat. Tröstend verkündet ihm Ahasver, er habe die alten Glaubensbande seines Volkes gesprengt und sey der wahre jüdische Messias. – Noch unsinniger ist die tiefsinnige alte Sage missdeutet in „dem neuen Ahasver“ von Ludwig Köhler 1841. Hier heisst es, Ahasver soll nicht eher sterben, bis die Freiheit auf Erden herrschen werde. Nun herrscht aber leider das Christenthum, bei dem keine Freiheit möglich ist, und der wahre jüdische Messias, Börne, „der Heiland der Freiheit,“ musste sterben. Auf seinem Grabe in Paris jammert der ewige Jude, der nicht sterben kann, dass jener sterben musste, und dass die Unfreiheit ihn überlebt. Wüthender Christenhass glüht durch das ganze Gedicht, das zu den kläglichsten Ausgeburten des franzosentollen und jüdelnden Jungdeutschlands gehört. Wie viel [45] der unermessliche Ruhm des juif errant von Eugene Sue seiner antikirchlichen Tendenz verdankte, ist bekannt. Ein anderer Franzose, Edgar Quinet, schrieb ebenfalls ein Gedicht „Ahasver“, worin er diesen Gegenstand so grossartig als möglich aufzufassen bemüht war und es auch an pathetischen Worten und kühnen Bildern nirgends fehlen liess. Aber sein Ahasver wird zuletzt von Christus begnadigt und rüstet sich, anstatt als todtmüder Pilger endlich auszuruhen, zu neuen Reisen durch die Himmel. Mehrere deutsche Dichter, wie Schubart, A. Schreiber, liessen den ewigen Juden selig sterben. Julius Mosen bringt ihn auch noch einmal mit Christus zusammen und lässt den Letztern nur sagen: „Zwischen uns beiden wird einst das allerletzte Weltgericht entscheiden,“ als ob der Jude Recht haben könnte, und Christus nicht selbst der ewige Richter wäre. Der Däne Andersen lässt seinen Ahasver nicht klagen, noch zürnen, sondern sich freuen, dass er immerfort leben und die Fortschritte des menschlichen Denkens verfolgen kann, wodurch er zum absoluten Wissen zu gelangen hofft. – Diese kleine Uebersicht mag zeigen, in welche ungeheure sittliche Verirrung und ästhetische Abgeschmacktheit die moderne Poesie gerathen ist, indem sie sich vom heiligen Boden der kirchlichen Tradition losriss.