Christliche Symbolik/Antichrist
oder Widerchrist, der falsche Prophet, der sich in den letzten Zeiten gegen Christum erheben und sich für den wahren Gott ausgeben wird, um zum Letztenmale und mit dem fruchtbarsten Erfolge die Völker zu verführen. In der Offenbarung Johannis 11, 7 f. ist er als das Thier aus dem Abgrund bezeichnet; 19, 20. 20, 10. begleitet ihn der falsche Prophet, der zur Anbetung des Thieres verführt. Im 2. Briefe an die Thessalonier 2, 4. gibt er sich selber für Gott aus. Vgl. auch Matth. 24, 5. 1. Joh. 2, 18. 4, 3. 2. Joh. 7.
Sein eigentliches Vorbild ist Lucifer. Wie dieser erstgeschaffene, aber gefallene Engel Gott dem Vater, so steht der Antichrist Gott dem Sohne gegenüber, jener als Pseudo-Gott, dieser als Pseudo-Messias; jener am Anfang, dieser am Ausgang der Dinge. Nach der Offenb. Joh. 11, 7 f. werden zwei Zeugen von ihm überwunden, die nicht genannt sind, unter denen die Ausleger aber Elias und Henoch verstehen. Darin liegt viel Sinn; denn diese beiden waren es, [65] die lebendig zum Himmel fuhren, eine Auszeichnung, die für Menschen zu hoch gegriffen erscheint und einen Ersatz erfordert in dem letzten Kampf und Leiden unter der Gewalt des Antichrist. Zuletzt wird er nach der Offenb. Joh. 20, 2. von einem Engel (Michael) tausend Jahre lang gebunden und nach 20, 10. in das ewige Feuer geworfen. Er ist also wohl mit Lucifer dem Wesen nach identisch. Es ist dieselbe Hoffahrt und Lügenhaftigkeit des Teufels, die sich im Antichrist dem Sohne, wie in Lucifer dem Vater entgegensetzt.
Der Begriff liegt so tief im Christenthum, dass man nicht zur Vorstellung eines jüdischen Antimessias zu greifen braucht. Auch Bileam, als Widersacher des Moses, ist nur ein dunkles Vorbild des Antichrist; wenn gleich man vielen Scharfsinn aufgewendet hat, die Zahl des Thieres (666) nach der Offenb. Joh. 13, 18. auf ihn zu deuten. Vgl. Züllich, Offenb. Joh. II. 247. Der talmudistischen Fabel vom Armillus lässt sich ein gewisser Tiefsinn nicht absprechen. In den letzten Zeiten, heisst es, wird zu Rom eine weibliche Statue von weissem Marmor stehen, so schön, dass alle Bösen sich in sie verlieben und Buhlerei an ihr versuchen werden. (Ihr Name soll Armillas seyn.) Da wird sie schwanger werden und einen gewaltigen Sohn gebären, genannt Armillus, ein Ungeheuer, zwölf Ellen lang und zwölf breit, mit goldenem Haar und feuerrothen Augen (das eine klein, das andere gross), ein Ohr verstopft, um es denen darzubieten, die Gutes reden, das andere offen, um es darzureichen, wenn Böses geredet wird; sein Leib mit doppelter Wirbelsäule, seine Arme so lang, dass sie bis auf die Füsse reichen (nach Andern soll ein Arm kurz, der andere lang seyn); die Fusssohlen aber grün. Dieses Ungeheuer wird alle Welt verführen und verlocken, das Reich der Bösen befestigen und den Messias bekämpfen; aber zuletzt wird Gott Schwefel vom Himmel regnen lassen und ihn mit all seinen Schaaren zu Asche verbrennen. Eisenmenger, entdecktes Judenthum II. 705 f. Vgl. Gfrörer, Kirchengesch. I. 145. Die gewaltige Marmorstatue scheint mir ein Sinnbild des verführerischen Sinnenzaubers [66] zu seyn, den das antike Heidenthum über die Welt ausübte und seit der Wiederaufnahme classischer Studien auf’s Neue ausübt, als der alt- wie neutestamentalischen Gottesfurcht gefährlichster Feind.
Ueber die Auffassung des Antichrist im Mittelalter vgl. Grässe, Literärgeschichte II. 1. 149 f. und Grimm, deutsche Mythol. 771. Wenn die Deutschen ihren altheidnischen Surtur, der am Ende der Zeiten mit dem feurigen Heere vom Himmel kommen soll, auf den Antichrist bezogen haben, so ist dies nur insofern möglich gewesen, als die Neubekehrten auch in dem guten Wesen des Heidenthums etwas Teuflisches sahen; denn, ursprünglich im Heidenthum selbst hatte Surtur nur das Amt eines himmlischen Rächers, und gleicht vielmehr dem Engel Michael, als dem Widerchrist. – In dem altdeutschen Gedicht bei Haupt, Zeitschr. VI. 372. wird der Antichrist vom Feinde (Teufel) mit einem Weibe übernatürlich gezeugt zu Babylon, im Centro der widerchristlichen Welt, geboren wie Christus zu Bethlehem, gibt sich dann selbst für Christus aus und wird von den Juden für ihren längst erwarteten Messias gehalten etc. Nach dem altdeutschen Renner 5100 wird der Antichrist alle Schätze heben, die bisher unbekannt in der Erde verborgen waren, und damit seine Getreuen bezahlen.
In dem altfranzösischen Gedicht des Huon de Meri aus dem 13ten Jahrhundert: Le tournoiement (Turnier) de l’ Antichriste (vgl. hist. lit. de la France XVIII. 801.) erscheint der Antichrist als ein mächtiger Fürst, der in seinem Heeresgefolge nicht nur alle heidnischen Götter, sondern auch alle personificirten Laster hat. Auf der andern Seite streitet Christus, dem alle Tugenden die Heeresfolge leisten. Aber der Kampf ist schwierig; der Antichrist erringt bedeutende Vortheile; namentlich unterliegt la virginité, die für Christum streitende Amazone, dem Angriffe der Venus und des Amor. Doch zuletzt legt sich Gott selbst in’s Mittel und lässt den Antichrist durch den Erzengel Michael fesseln. Das ist das alte Vorbild zu Parnys berüchtigter Guerre des dieux. [67] Die Muhamedaner nennen den Antichrist Dedschal. Vgl. v. Hammer, Rosenöl I. 305. Er soll in Chorasan aufstehen, nur vierzig Tage regieren, aber in dieser kurzen Zeit die ganze Welt verheeren, ausser Mekka und Medina. Dazu werden ihm zwei Flüsse dienen, einer von Feuer und einer von Wasser, die aber, seinem Lügengeist gemäss, das Gegentheil von dem scheinen, was sie sind, nämlich das Feuer Wasser und das Wasser Feuer. Christus wird ihn im Zweikampfe erlegen.