Christliche Symbolik/Paradies

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Paradies.

Paradesa bedeutet im Sanskrit schönes Land und war auch Name der königlichen Gärten in Persien. Der Name dieser späteren künstlichen Paradiese wurde nun auf das ursprünglich natürliche übertragen, nämlich auf den Garten in Eden, in welchen Gott den ersten Menschen Adam versetzte und hier das erste Weib, die Eva, aus seiner Rippe entstehen liess. Nach dem 1. B. Mosis 2. waren viele Bäume in dem Garten, lustig anzusehen und voll köstlicher Früchte. Auch sammelte Gott alle Thiere um Adam, dass er ihnen Namen gebe. Der tiefste Frieden waltete in dieser paradiesischen Natur, und die ersten Menschen waren voll Unschuld. Der Garten lag im Morgen (1. B. Mos. 2, 8.), er war selbst der [188] Morgen der ganzen Schöpfung. Es war noch keine Feindschaft unter den Thieren, der Pardel lag friedsam bei den Böcken, Jesaias 11, 6, der Säugling bei der Otter, das. 11, 8. Vgl. Theophilus von Antiochien an den Autolykos II. 27. Rösler, Bibliothek I. 237. Die Thierwelt musste den ersten Frieden der Natur theilen. Auch wohnt ja dieser Friede heute noch unter den Thieren auf von Menschen nie betretenen Inseln. Weltumsegler staunten, dass sich dort die Vögel auf ihre Hand und auf ihre Flintenläufe setzten. Vgl. Condamosta, afrikan. Reise 1446. Die Volkssage setzt auch in einsamen Thälern ein solches Paradies der Thiere voraus. So in den Alpen (Otte, Schweizersagen S. 60. 149, Grimm, Mährchen I. 388.).

In der Beschreibung des Paradieses im zweiten Capitel des ersten Buches Mosis fällt zuerst auf, dass die Bäume ohne Regen vom blossen Thau wachsen. Man hat daraus geschlossen, die Atmosphäre der Erde habe damals eine andere Beschaffenheit gehabt, als jetzt, und das Paradies, wie es ohnehin in die Zeit vor der grossen Fluth fällt, bezeichne eine Stufe der Vegetation und Animalisation, die längst überflözt ist. Insbesondere glaubt man, wenn in allen, auch den eisigen Zonen der Erde jetzt noch versteinerte Pflanzen und Thiere gefunden werden, die nur in einem tropischen Clima fortkommen können, so beweise dies, dass die Erde ehemals ringsum eine gleichförmigere und schwülere Atmosphäre gehabt habe, in welcher der Gegensatz von Trockenheit und Regen, Kälte und Gewitter noch nicht entwickelt war; und das würde dann mit der regenlosen Vegetation des Paradieses übereinstimmen. Es handelt sich von einer Zeit der Sabbathruhe für die ganze Natur, in der die grossen meteorologischen Gegensätze und Prozesse noch so wenig entwickelt waren, als ein feindlicher Gegensatz in der Thier- und Menschenwelt hervorgetreten war.

Linné, der grosse Botaniker, hielt das Paradies für einen Urberg, und glaubte, es sey der erste Berg gewesen, der sich über die Gewässer, die einst die ganze Erde bedeckt, erhoben habe, und auf ihm seyen alle Pflanzen und Thiere [189] vereinigt gewesen, um sich erst nach und nach, wenn das Wasser weiter abfloss, zu verbreiten. Sofern der Gipfel mit Schnee bedeckt, das Ufer aber sehr heiss gewesen, hätten sich hier auch alle Climate und Wärmegrade beisammen gefunden, so dass alle Arten von Thieren daselbst hätten existiren können. De telluris habitabilis incremento, 1743.

Begreiflicherweise hielt man sich an das nächste Land, das Palästina im Osten liegt, und versetzte das Paradies nach Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris (Nieremberg, hist. nat. 498.). Bald aber glaubte man, tiefer in die indischen Gebirge zurückgehen zu müssen, und als Bernier zum erstenmal das schöne Thal Kaschmir entdeckte, glaubte man dort auch das alte Paradies gefunden zu haben, welcher Meinung noch Herder und Eichhorn huldigten. Buttmann glaubte, es noch weiter östlich in den Himalaja versetzen zu müssen.

Andere schoben es nach dem Westen und Norden vor, was durchaus der Richtung widerspricht, welche die Bibel selbst angibt, und der Natur der Sache, da nur das asiatische Hochland den Vorzug ansprechen darf, zuerst aus der Fluth hervorgetreten zu seyn und die ersten Bevölkerungen ausgesendet zu haben. De Lisle (lettre, London 1777) sucht das Paradies im Kaukasus, Schulthess in Syrien, Reland in Armenien. Noch abentheuerlicher waren die Vermuthungen Rudbecks, das Paradies sey in Schweden, und Hasse's, es sey an der Ostsee in Preussen zu suchen. Sie gingen von übertriebener Vorliebe für ihre Heimath aus und liessen sich durch einige Nachrichten der Alten von den glückseligen Hyperboreern im Norden verleiten. Noch unlängst hat Henne in Bern behauptet, das Paradies sey in der Schweiz gewesen und von da aus sey das Urvolk mit der Urcultur ausgegangen. Link in Berlin verlegte das Paradies nach Afrika, und glaubte, die ersten Menschen seyen Neger gewesen und hätten sich erst in den andern Welttheilen gebleicht und veredelt, wie auch die Urschweine, Urpferde, Urrinder schwarz oder grau seyen und erst durch die Cultur weiss oder farbig würden. Autenrieth suchte das Paradies auf den Inseln der Südsee, eben [190] so willkührlich. Columbus glaubte es an den reizenden Küsten Südamerika's wiedergefunden zu haben.

Nachdem, wie schon Herodot meldet, in altägyptischer Zeit Afrika umschifft worden war, und sobald man seit Aristoteles die runde Gestalt der Erde aus den Mondsfinsternissen etc. erkannt hatte, theilte man sie in Zonen ein und nahm demnach eine zweite gemässigte Zone auf der südlichen Erdhälfte an, entsprechend der, auf welcher wir wohnen. Eratosthenes dachte sich diese Antichthon (Gegenerde) genannte glückliche Zone als eine grosse Insel, wie auch die damals bekannte nördliche Zone als eine Insel im Weltmeer angesehen wurde. Vielleicht trug man auch die Vorstellungen von den Aethiopen und Makrobiern, welche das frühere Heidenthum als höchst glückliche und treffliche Wesen im tiefsten Süden gesucht hatte, auf diese Gegenerde über. Daher bei einigen Kirchenvätern der Glaube, dass das Paradies im Antichthon liege. Vgl. Cosmas, topogr. Christ. 147. Schaubach, Geschichte der Astronomie S. 283. und Alexander von Humboldt, Untersuchungen über die historische Entwicklung der geographischen Kenntnisse von der neuen Welt II. 82. Auch Dante versetzt dahin das Paradies und sagt (purgatorio I. 22.), Adam und Eva haben hier einst die Strahlen des südlichen Kreuzes gesehen, was ihre Nachkommen, aus dem Paradiese auf die andere rauhe Nordseite der Erde vertrieben, nje mehr sehen könnten. Dante dichtet, als Lucifer, der erstgeborne Engel, sich Gott gleichstellen wollte und deshalb aus dem Himmel gestürzt wurde, fiel er in den Mittelpunkt der Erde und blieb darin liegen; durch diese Erschütterung wurden aber auf zwei entgegengesetzten Seiten der runden Erde zwei Berge emporgehoben, auf der einen Seite der Berg des Paradieses, auf der andern der Berg Zion. Beide stehen sich gegenüber wie Adam dem Christus, oder wie die Geburt der Wiedergeburt (Dante von Kopisch S. 132 zum 34sten Gesang der Hölle).

Auch in dieser schönen Allegorie bleibt das Paradies immer noch auf der Erde, und Dante unterscheidet davon [191] ausdrücklich den Himmel über der Erde, hoch in den astralischen Sphären. Uebrigens erklären sich die im Mittelalter öfter in geistlichen Dichtungen wiederkehrenden „Reisen in’s Paradies“ aus der Voraussetzung, man werde dasselbe jenseits des Meeres finden. So die berühmte Reise des heiligen Brandanus.

Jesaias 65, 17 f. verkündet den neuen Himmel und die neue Erde. Damit ist ausdrücklich im Gegensatz gegen das durch Adams Fall verlorene Paradies das durch den Messias wiedereroberte gemeint. Es ist dem ersten Paradies vollkommen ähnlich, wie die durch Christus gereinigte Menschheit der vor dem Falle noch reinen Menschheit Adams. Jesaias legt besondern Werth auf den wiederhergestellten Frieden unter den Thieren; aber das bedeutet nur sinnbildlich die wiederhergestellte Harmonie wie im Menschen selbst, so in der ihn umgebenden Natur. Das Paradies ist nur der Reflex der darin wohnenden sündenlosen Menschen. Des Menschen Unschuld und innere Harmonie macht die Erde zum Paradiese, seine innere Zerrissenheit, seine Leidenschaft und Sünde dagegen verdunkelt sie, erzeugt in ihren Elementen und Creaturen feindliche Gegensätze, Zerstörungstriebe und Verderben.

Diese symbolische Auffassung des Paradieses ist die allein richtige. Ohne sie würde die Frage nach dem Ort des ersten Paradieses nur eine müssige seyn. Auch der Unterschied zwischen dem alten Paradies auf Erden und dem künftigen Paradies etwa über der Erde fällt für die symbolische Bedeutung weg; denn das künftige Paradies ist nur die in Christo wiederhergestellte Unschuld Adams, also das wiedergewonnene oder nur erneute alte Paradies. Es ist die neue Erde, nur weil die alte in ihr erneuert ist. Es ist mit dem Himmel verbunden, wie auch schon das erste Paradies es war, wo Gott unmittelbar mit den Menschen verkehrte. Es ist aber volkreicher geworden und dem zahllosen Volk der Seligen ist das neue Jerusalem zur Wohnung darin erbaut.

Rupert von Deutz hat die einfachste Erklärung gegeben, [192] indem er das Paradies mit der Kirche identificirt. Rup. Tuit. op. p. 419. Die durch Christo geläuterte, durch Christo geeinte, mit Gott versöhnte und auf ewig verbundene Menschheit ist zugleich die Kirche und das Paradies.

Die Sehnsucht nach dem Freudenort der Gerechten und das ästhetische Bedürfniss, alles Schöne auf das Paradies überzutragen, hat in den bildlichen und poetischen Darstellungen desselben doch zunächst immer die Vorstellung eines schönen Gartens und jenes ersten reinen Schöpfungsmorgens der Genesis festgehalten.

Was die malerische Ausführung betrifft, so ist die Landschaftsmalerei erst spät in Uebung gekommen. Vorher begnügte man sich, das Paradies durch den Apfelbaum mit der Schlange zu bezeichnen. Wie das Bild beschaffen war, welches mit Edelsteinen in einen Teppich gestickt war, das Paradies darstellte und zu Madain von Omar erbeutet und zerstückt wurde, wissen wir nicht mehr (Schnaase, Geschichte der Kunst III. 247.). Der ausgezeichnetste Maler des Paradieses war Johannes Breughel, von der Zartheit seiner Pflanzengebilde der Sammetbreughel genannt. Er malte es ausserordentlich oft und mit verschiedenen Staffagen, bald mit der Erschaffung der Thiere, bald mit der des Adam oder der Eva etc. Immer aber ist die Staffage Nebensache und die Landschaft Hauptsache, die er in einem so hellen und lachenden Lichte malt, dass dadurch die Feier und Wonne der jungen Natur auf’s Glücklichste ausgedrückt erscheint. Eben so glücklich vermeidet er in der grünen, überreichen Vegetation das Wildnissartige wie das geleckt Zierliche einer Gartenanlage, und mischt vielmehr Wald und Blumenwiese in harmonischen Uebergängen. Solche Bilder findet man von ihm in Dresden, in der Gallerie Esterhazy in Wien, im Haag, in Pommersfelden (Waagen, Deutschland I. 140.), in Paris (Waagen 547.), im Pallast Doria zu Rom (Beschreibung von Rom III. 3. 551. 555. 560.). Schnaase (niederl. Briefe S. 25) sagt sehr schön, Breughels Bilder sähen aus, als ob das vollendete Blatt, ja der Stamm der Bäume [193] selbst nur Knospe, nur der erste smaragdgrün emporschiessende Trieb wären, so jugendfrisch ist Alles daran. Es ist das Bild eines ewigen Mai's. Arnim hat in Ariels Offenbarungen S. 163 ein artiges Sonett auf ein Paradiesesbild Breughels in Wien gedichtet.

Unter den Italienern war es Tintoretto, der auf dem grössten Oelbild, welches existirt, von 74 Fuss Breite und 30 Fuss Höhe, zu Venedig das Paradies zu malen unternahm. Es ist mehr durch seine Grösse und durch den Namen des Künstlers, als durch seinen innern Zauber ausgezeichnet. Berühmt ist ein Bild des Paris Bordone zu Treviso (Wessenberg, christl. Bilder II. 337; aber in Kuglers Gesch. der Malerei I. 318. für sehr schwach erklärt). Desgleichen ein figurreiches Frescobild von Milocco in der Kuppel einer Kirche zu Turin (Millin I. 272.).

Im Allgemeinen herrscht entweder die Landschafts- oder die Thiermalerei vor. Dass die letztere, wenn sie die im Paradiese versammelten Thiere in grossen Gruppen vordrängt, einen heiligen Eindruck weniger hervorzurufen im Stande ist, als die erstere, versteht sich von selbst. Auch weist die Bibel den Thiermalern für ihren besondern Zweck die Arche Noä an. Das Paradies liesse sich wohl noch anders malen, als es bisher von meist frühern Landschaftsmalern dargestellt worden ist. Namentlich vermisst man noch das tropische Element. Die vorhandenen Bilder haben alle noch zu viel nordische Kühle und eine zu einfache Vegetation. Es ist indess schwer, die tropische Gluth und Fülle mit dem Naiven und Heiligen zu verbinden.

Unter den dichterischen Auffassungen des Paradieses stehen zwei Hymnen des heiligen Augustinus oben an. Königsfeld, Hymnen S. 22. 32. Die weitläufigste Beschreibung findet man im apokryphischen Buch Henoch, aber ohne viel Phantasie. Die üppigste und darum unwürdigste beliebten die Juden und Muhamedaner zu ersinnen. Diesen Auffassungen, in denen der Himmel entweiht wird, Schauplatz der gemeinsten sinnlichen Freuden zu werden, steht [194] die christliche immer würdig gegenüber, selbst wo unschuldige Naivetäten bei Malern oder Dichtern unterlaufen. Dante drückt in seinem grossen Gedicht durch Alles, was in seinem Paradiese körperlich und sinnlich wahrnehmbar erscheint, doch immer nur Geistiges und Tugenden aus. Die altitalienischen Maler deuten die schöne Landschaft auch nur mit wenig Grün an, drücken aber das Paradiesische desto zarter in den verklärten Mienen der Seligen aus. Signorellis schönes Bild in Orvieto zeigt nur Engel, die über Selige Blumen streuen. Der tiefste Gedanke, vor dem alle Erinnerungen irdischer Freude verschwinden, und das Geistige imperatorisch hervortritt, ist in der Lehre enthalten, nach welcher das Schauen Gottes der Seligkeiten höchste ist.

Im Paradiese convergirt gleichsam alles Räumliche zum Auge Gottes und wird eben so das Zeitliche wunderbar zusammengedrängt. Davon die schöne Legende vom Mönch Felix, wovon ein altdeutsches Gedicht in einer Gothaer Handschrift. Grimm, altd. Wälder II. 70. Coloczaer, Codex Nr. 10. Paulli, Schimpf und Ernst, 1595, Nr. 536. Genthe, Dichtungen des Mittelalters II. 273.

Der Mönch Felix las in der heiligen Schrift (Psalm 90, 4. 2. Petri 3, 8.), dass die Seligkeit im Himmel Alles übertreffe, was der Menschen Auge und Ohr sich vorstellen könne; daran zweifelnd, hörte er einen Vogel (aus dem Paradiese) wunderherrlich singen und hörte ihm die ganze Nacht zu. Als die Morgenglocke läutete, kehrte er in’s Kloster zurück, aber Niemand erkannte ihn, es waren hundert Jahre verflossen. – Dieselbe Legende wird in Montanus, Vorzeit von Cleve II. 257. vom Mönch Erpho im Kloster Siegburg erzählt. Ganz dasselbe erzählt Wolf in den niederl. Sagen Nr. 148. von einem Mönch des Klosters Afflighem. Desgleichen Cornerus (chron. ad annum 834) vom jungen Grafen Bringus, der an seinem Hochzeittage verschwand. Vgl. auch v. Schack, dramat. Lit. d. Spanier II. 510, die Sage vom heiligen Amarus.

Derselbe schöne Gedanke wiederholt sich im Volksliede von des Commandanten Tochter. Vgl. des Knaben Wunderhorn [195] I. 64. Der Commandant von Grosswardein hatte ein Töchterlein, Therese, die stand früh auf und pflückte Blumen in ihres Vaters Garten. Da sie die Blumen so schön im Thaue glänzen sah, gedachte sie: „Wer mag wohl der Blumen Meister seyn, der sie so schön hat aus der Erde wachsen lassen? ich hab’ ihn so lieb, dürft’ ich ihn einmal schauen!“ Ihr Vater aber verlobte sie an einen vornehmen Edelmann, worüber sie sehr betrübt war. Da kam, als sie wieder im Garten war, Jesus zu ihr und steckte einen Ring an ihre Hand und sagte: „Du sollst meine Braut seyn.“ Die Jungfrau wurde roth vor Freude, brach eine Rose ab und gab sie ihrem himmlischen Bräutigam. Er aber führte sie an der Hand und sprach: „Ich will dir nun auch meines Vaters Garten zeigen.“ Und er führte sie in’s Paradies und zeigte ihr, wie viele tausend schönere Blumen dort blühten und die Vögel lieblich von den Bäumen sangen. Voller Freude ging sie von Blume zu Blume und die Zeit ward ihr nicht lang. Da sagte Jesus zu ihr: „Komm jetzt, denn ich will dich wieder heimführen.“ Er begleitete sie bis vor die Stadt und schied von ihr. Als sie an’s Thor gekommen war, hielten sie die Wächter auf, und frugen, wer sie wäre? Sie sagte, sie sey des Commandanten Tochter. Die Wächter aber sagten: „Der Commandant hat keine Tochter.“ Als sie vor die Herren der Stadt gebracht wurde, sagte sie, dass sie vor zwei Stunden erst herausgegangen wäre; aber Niemand kannte sie, und endlich fand man in einer Schrift, dass vor hundert und zwanzig Jahren eine Braut, des damaligen Commandanten Tochter, verloren gegangen sey. Als die Jungfrau dies hörte, ward sie bleich, wollte nicht Speise noch Trank mehr nehmen, als allein das heilige Sakrament, und als ihr der Priester dasselbe gereicht, verschied sie. Büsching, Volkssagen S. 163. Bechstein erzählt im Sagenschatz des Thüringerlandes III. 182. dieselbe Sage von einer Braut zu Benzhausen in Thüringen.

Nahe verwandt damit ist das schöne Volkslied von „des Sultans Töchterlein“ im Wunderhorn I. 15, etwas ausgedehnter [196] in einem fliegenden Blatt, das Docen (Miscell. I. 267.) wieder abdrucken liess. Hier bewundert des Sultans Tochter einmal in ihrem Garten die Schönheit der Blumen und möchte gern „den Meister der Blumen“ kennen lernen. Da erscheint ihr Jesus, spricht liebreich mit ihr, ladet sie in seinen himmlischen Garten ein und wirbt sie zur Braut. Das nämliche Lied kommt auch in Hoffmanns horae belg. II. (altholländ. Volkslieder) Nr. 26, in Weyden, Cöllns Vorzeit S. 272, in Mohnike’s altschwed. Volksl. S. 205 vor. — Auch in einer thüringischen Volkssage bei Bechstein IV. 187. ohne den Namen Jesu. Ein Mädchen findet in der Waldschlucht bei Schweina einen hellstrahlenden Jüngling, der sie in seinen Garten führt und ihr einen Strauss Blumen pflückt. Heimkehrend, kennt sie Niemand, es sind lange, lange Jahre vergangen, und müde schläft sie auf einem Stein für immer ein, am Busen den Blumenstrauss von funkelnden Edelsteinen.

Den Namen Paradies erhielt die Vorhalle der Kirchen. Hier findet man in der Regel, wenigstens in ältern Kirchen, ein Bild des Sündenfalls im Paradiese zum Spiegel für die noch nicht Getauften oder Büssenden, die in der Vorhalle bleiben mussten und noch nicht in’s Innere der Kirche zugelassen waren. Kreuser, Kirchenbau I. 123. Missbräuchlich ist der Name auf die entferntesten Bänke im Theater, wo der Pöbel sitzt, übergegangen.