Christliche Symbolik/Ruhe in Aegypten
Kirchenbilder, welche diesen Namen führen, zeigen Maria, Joseph und das göttliche Kind während der Flucht nach Aegypten im Moment des Ausruhens, in heiterer Landschaft, voller Blumen und Früchte, häufig von Engeln umgeben. Diese Bilder stehen daher in der Mitte zwischen den Flucht- und Reisebildern einerseits und den häuslichen Familienbildern andrerseits, indem sie von beiden etwas theilen. Ihr eigentlicher Zweck aber ist, das Paradiesische in dem Innern der Jungfrau und des Kindes auch äusserlich anschaulich zu machen. Mitten in der Wüste und in der Angst der Flucht strömt paradiesische Wonne und Schönheit hier aus dem Innern aus und verbreitet sich über die Landschaft, der Himmel küsst die Erde und Engel steigen nieder.
Weil aber Maria der Schlange, die Eva verführte, den Kopf zertrat und durch Christum das Paradies wiedererobert wird, welches Adam verloren, nehmen die Maler in den Bildern der „Ruhe in Aegypten“ auf das erste Paradies Adams mannigfache Rücksicht. Namentlich soll die paradiesische Schönheit der Landschaft und die paradiesische Unschuld der Thiere andeuten, dass das einst durch Adam verlorne Paradies durch Christum wiedergewonnen worden sey. Der Apfelbaum, unter dem öfter die heilige Familie ruht, bezieht sich gleichfalls auf das Paradies. Der Palmbaum bedeutet den Sieg des Christenthums. Die Quelle, die am Baume [291] oder zu Füssen des Christkinds entspringt, bedeutet das neue Heil der kranken Menschheit. Die Bilder sind wohl immer am schönsten, wenn die heilige Familie darin allein vorkommt. Grosse Engelgesellschaften erscheinen störend. Uebrigens ist nicht immer klar zu unterscheiden, ob es sich um heilige Familienbilder im Garten neben dem Hause oder um eigentliche Fluchtbilder handelt. Das Idyllische der Scene lässt hin und wieder auch eine geistreiche Spielerei zu, namentlich im[WS 1] Vorkommen der Thiere. Doch ist das Sonderbare und Phantastische hier eben so auszuschliessen, wie das Gemeine: ein sonderbares Thier in der Hand des Christkinds z. B. eben so, wie die Wasch- und Kämmscenen.
Die tiefste Ruhe drückt sich in den Bildern aus, auf denen das Christkind schläft. Ein wunderschönes Kind auf dem Schooss der Mutter schlafend malte Bellini in Venedig. Auf einem Bilde des Annibal Carracci in England beten Engel das schlafende Kind an. Waagen II. 60. Auf einem von Ludwig Carracci in Dresden wacht die Mutter bei dem schlafenden Kinde und blickt zu Engeln empor, die ihr in einer Vision die Passionswerkzeuge zeigen. Auf einem berühmten Bilde von Murillo in Petersburg (Hand I. 375.) schläft das Kind in tiefer Nacht und alles Licht geht von ihm allein aus und beleuchtet die zärtliche Mutter und den etwas ferner beim Maulthier wachenden Joseph. Ueberaus lieblich ist das berühmte Bild Correggio’s, auf welchem das Kind schon entschlafen ist und die Mutter noch mit dem Schlafe kämpft. Wessenberg, christl. Bilder II. 45. Das Bild heisst Zingarilla, weil die Madonna eine Kopfbinde hat, wie eine Zigeunerin. Kugler, Mal. I. 292. Auf einem Bilde von Mola schläft das Kind und Joseph, nur die Mutter wacht (Crozat I. 112.). Auf einem Nachtstücke von Rotari ist das Kind, von dem alles Licht ausgeht, blendend weiss (in Dresden). Auf einem Bilde von Deveria schläft Alles, nur das Christkind wacht, sitzt aber gar zu anspruchsvoll wie ein kleiner Napoleon da, und seine schlafende Mutter ist eine kokette Pariserin.
Die Bilder, auf denen das Christkind wacht, theilen sich [292] hauptsächlich in Baum- und Quellenbilder. Auf jenen steht ein Baum im Mittelgrunde, unter dem die heilige Familie ruht und deren Früchte Joseph oder Engel für das Kind abpflücken. In italienischen Bildern sind es meist Palmen, in deutschen meist Aepfelbäume, deren Bedeutung oben schon erklärt ist. Auf den Quellenbildern ruht man am Wasser und wird eine Schale gefüllt oder getrunken. Einige andere Bilder, bei denen Baum und Quelle fehlen, zeichnen sich aus durch das Phantastische der Landschaft, oder durch das gar zu Natürliche des Familienlebens, gehören also eher den Landschafts- oder Genrebildern, als der eigentlichen Heiligenmalerei an.
Eines der berühmtesten Bilder Raphaels zeigt uns die unter der Palme sitzende heilige Familie. Joseph reicht dem Kinde Blumen und das Kind greift darnach mit bezauberndem Lächeln. In England, s. Passavant, England S. 53. Waagen I. 316. Giulio Romano malte Engel, die dem Kinde einen vollen Dattelzweig herabbiegen. Vasari III. 2. 412. Trevisari lässt auf einem Bilde in Dresden die Engel von einem Baume Früchte sammeln, die Joseph im Mantel auffängt. Romanelli lässt sie gleichfalls Früchte sammeln, gestochen von Chateau. Eben so Albani, gest. von demselben. Ebenso Cagliari in München. Auf einem Bilde von Tiro Ferri, gest. von Farjat, zeigt die Madonna dem Kinde eine Dattel. Eine Menge Engel auf dem Baume unter der heiligen Familie malte Hans Baldung im Münster zu Freiburg.
Auf einem Bilde von Wierix reicht Joseph dem Kinde eine Traube. Engel pflücken dem Kinde Trauben auf einem Bilde von Anselmi. Eine Traube hebt das Kind empor auf einem Bilde von Lucas von Leiden. Fiorillo III. 423. Auf einem von N. Poussin überreichen ihm zwei Engel kniend Milch und Honig. Auf einem von Engelbrechtssen in Wien überreicht ihm ein Engel einen Teller voll Kirschen. Auch Mabouse malte das Christkind mit Kirschen (in Berlin). Auf einem Bilde von C. Maratti reicht Joseph die Kirschen dem Kinde. Das Kind mit dem Apfel malte Bernhard von Orley [293] in Berlin, mit den Birnen Crivelli in Mailand, auch ein Stich von Dürer.
Mit einer Nelke malte das Kind Raphael (Waagen, England II. 15.) und Luini in der Karthause bei Pavia. Mit einer Rose Baroccio (Huber, Kupferst. III. 258.).
Quellenbilder. Die heilige Familie ruht auf der Flucht und Maria schöpft aus der Quelle, von Domenichino. Landon, oeuvres, pl. 104. Von Carraccio, gestochen von Cort. Joseph pflückt zugleich hier dem Kinde Kirschen. Füssli, Kupferst. I. 211. Von Correggio in Parma, das berühmte Bild der Madonna della Cordella (Schale), weil sie die Schale hält. Hier pflückt Joseph Datteln. Millin, Lombardei II. 271. Von Claude Lorrain eine Ruhe am Bache.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Berichtigung Band II. In der Vorlage: 'ein'