Christliche Symbolik/Sohn, der verlorne
Nach Lucas 15. warfen die Pharisäer und Schriftgelehrten Jesu vor, dass er mit Zöllnern und Sündern umgehe. Da antwortete er ihnen mit drei Gleichnissen, um ihnen zu sagen, dass alle Menschen, ob auch sündig, doch Kinder Gottes seyen, und dass dem liebenden Vater wohl zieme, sich auch der sündigen Kinder zu erbarmen. Erstes Gleichniss vom verlornen Schaf, das der Hirt sucht. Zweites Gleichniss vom verlornen Groschen, den das arme Weib sucht. Drittes Gleichniss vom lüderlichen Sohn, der Alles verprasst, was ihm sein Vater gegeben, ihn leichtsinnig verlässt und endlich so in’s Elend geräth, dass er die Säue hüten muss. Da erkennt er sein Unrecht und kehrt heim, den Vater um Vergebung zu bitten, und dieser nimmt ihn liebreich auf. Der ältere Sohn aber, der schon allein zu erben gehofft hatte, wird neidig; aber der Vater spricht: „Freue dich, dein Bruder war todt und ist wieder lebendig worden.“
Dieser verlorne Sohn ist Vorbild und Spiegel aller Menschen, die sich durch die Sünde verlocken lassen und erst im Elend bereuen und erkennen lernen, dass nur Gottes [387] Gnade sie erretten kann. In kurzem Auszug die Geschichte der menschlichen Seele überhaupt, denn die Meisten lehrt erst die Noth beten. Zugleich erscheint aber im Gleichniss vom verlornen Sohn die göttliche Gnade im herrlichsten Lichte, ein Verzeihen und Erbarmen, welches hoch erhaben steht über der Missgunst des ältern gerechten Sohnes. Unter diesem gerechten Sohn ist das Judenthum, sind die Bekenner des alten Gesetzes gemeint, deren Treue am Hause Gottes durch Lieblosigkeit befleckt war. Unter dem verlornen Sohn ist dagegen das Heidenthum verstanden, dessen der Herr sich erbarmt. Es ist derselbe Gegensatz wie zwischen Lea und Rahel, Martha und Magdalena. Insbesondere aber wie zwischen dem Pharisäer und barmherzigen Samariter. Denn wer Liebe beweist, ist in Gottes Augen mehr, als wer blos das Gesetz achtet, und Gott liebt den reuigen Sohn mehr, als den, der nie fehlte, aber keine Liebe hat.
Das Leben des verlornen Sohnes wurde oft in Bilderreihen dargestellt als ein Lehrbuch in Bildern für junge Leute zu ihrer Warnung.