Das Stereoskop
Warum hat uns die Natur, von der man sagt, daß sie ihre Zwecke stets auf dem kürzesten und einfachsten Wege zu erreichen wisse, mit zwei Augen ausgerüstet, da wir dessen ungeachtet die Dinge gewöhnlich doch nur einfach sehen? Diese Frage ist oft aufgeworfen, ohne daß sie genügend beantwortet werden konnte. Erst in neuester Zeit hat das Stereoskop, ein einfacher physikalischer Apparat, der mit Recht alle die begeistert, die sich an seinen Wundern ergötzen, das Räthsel gelöst und doch ist wohl über keinen Gegenstand so viel und so heftig gestritten worden, wie über das einfache Sehen der Dinge mit beiden Augen.
Wir haben es in unserer Macht, die Gegenstände einfach oder doppelt zu sehen; letzteres erfordert freilich einige Anstrengung. Wir sehen einfach, scharf und deutlich, wenn beide Augen für die Entfernung eingerichtet sind, in der sich der Gegenstand befindet. Geben wir aber den Augen die Einrichtung für eine größere oder kleinere Entfernung, so sehen wir doppelt und stets undeutlich, verwaschen. Bei einiger Anstrengung, bis der Leser die Uebung erlangt hat, die Augen beliebig einzustellen, kann er sich leicht davon überzeugen, wenn er zwei Finger in gehöriger Entfernung hinter einander vor die Augen hält. Man kann hier ganz nach Gefallen den vorderen oder den hinteren Finger doppelt sehen, je nachdem man die Augen in umgekehrter Ordnung eingestellt hat. Um nun diesen Umstand zu erklären, sagte man, daß beim Sehen zwar ein jedes Auge dasselbe Bild des Gegenstandes aufnehme, aber die Punkte, auf welche das Bild falle, verschiedene seien; beim einfachen Sehen falle das Bild auf übereinstimmende Punkte, d. h. solche, deren Nerven mit einander in Verbindung stehen, sich bei dem weiteren Verlauf zu einem vereinigen, und beim doppelten Sehen auf Stellen, die sich nicht entsprechen, weil deren Nerven auf ihrem Wege zum Gehirn getrennt bleiben. Daher sollte im ersteren Falle durch die Vereinigung der Nerven auch das doppelte Bild zu einem einzigen vereinigt werden und dann erst in uns zum Bewußtsein kommen, in letzterem jedoch zwei, weil jeder Nerv besonders den durch das Licht empfangenen Eindruck in unserem Gehirn zum Bewußtsein brachte. War diese Erklärung richtig, so konnte man das eine Auge als überflüssig betrachten. Man hatte hierbei aber ganz außer Acht gelassen, daß beim Sehen eines nahen Körpers keineswegs in einem jeden Auge dasselbe Bild auf der Netzhaut entstehe, sondern ein merklich unähnliches. Wenn der Leser sich z. B. einen Würfel in geringer Entfernung vor die Augen hält und ihn abwechselnd mit dem einen oder anderen Auge betrachtet, so sieht er mit jedem etwas Anderes, wie uns dies auch die nebenstehende Zeichnung anschaulich macht. Daraus wird klar,
daß man bei nahen Gegenständen mit beiden Augen mehr sieht als mit einem, und aus diesem einfachen Grunde kann kein Maler, so geschickt er auch sein möge, eine so treue Darstellung von einem nahen körperlichen Gegenstande geben, daß sie vom Original selbst nicht zu unterscheiden wäre, denn bei dem Körper sieht nicht jedes Auge dasselbe, wohl aber bei dem Gemälde, weil es auf einer Fläche dargestellt ist, die dem Auge keine verschiedenen Ansichten darbietet. Betrachtungen hierüber hat schon Leonardo da Vinci, der große Künstler und geistreiche Philosoph in einer Abhandlung über die Malerei angestellt, ohne aber darüber in’s Reine zu kommen.
Anders ist es nun, wenn wir einen fernen Gegenstand betrachten. Ob man ihn mit einem Auge ansehen mag oder mit beiden – der Anblick ist immer derselbe, weil hier die Stellung der Augen zu dem Gegenstande fast eine gleiche zu nennen ist, da die Sehachsen – die Linien, die man sich von dem Punkte, auf welchen das Auge gerichtet ist, mitten durch die Augen gezogen denkt, – einen so kleinen Winkel bilden, daß man sagen kann, sie liefen parallel. Da hier der Anblick für beide Augen derselbe ist, so kann auch ein geschickter Künstler eine so treue Darstellung von entfernten Gegenständen aufnehmen, daß man geneigt ist, das Gemälde für Wirklichkeit zu nehmen, wie das bekannte Diorama, eine Erfindung Daguerre’s, lehrt.
Je näher nun aber der Gegenstand dem Auge rückt, um so größer wird der Winkel, den die beiden Sehachsen bilden; mit dem zunehmenden Winkel wird auch die Stellung der Augen immer mehr eine verschiedene, bis endlich die Gleichheit der Anschauung aufhört und jedes Auge eine andere in sich aufnimmt. Die große Verschiedenheit, die zwischen der Betrachtung naher und entfernter Dinge wirklich stattfindet, kann sich der Leser sehr leicht auf folgende Weise recht deutlich zur Anschauung bringen. Er stelle einen großen Ring in geringer Entfernung von sich so auf, daß die schmale Seite der Nase zugekehrt ist, also die Oeffnung seitwärts liegt, so wird er bald von rechts, bald von links durch den Ring hindurch sehen, je nachdem er das eine oder das andere Auge gebraucht. Rückt man den Ring weiter fort, so wird man bald nichts weiter davon wahrnehmen als den schmalen Reif, mag man das rechte oder das linke Auge schließen.
Auf den besprochenen Unterschied machte zuerst 1838 Wheatstone, ein berühmter englischer Physiker, dem die Wissenschaft viele und wichtige Entdeckungen zu verdanken hat, aufmerksam. Er wunderte sich selbst darüber, daß diese für die Theorie des Sehens so wichtige Thatsache bis dahin noch nicht die Aufmerksamkeit eines naturforschenden Auges auf sich gezogen und hinreichend gefesselt hatte. Als völlig neu stellte er sie hin und die Früchte der neuen Anschauung liessen auch nicht lange auf sich warten. Diese Betrachtungen führten sehr bald zum Stereoskop. Wheatstone stellte sich nämlich die Frage, was wohl der Erfolg sein möchte, wenn man anstatt des Gegenstandes perspectivische Zeichnungen, genau so entworfen, wie jedes Auge für sich den Gegenstand sieht, gleichzeitig einem jeden Auge darböte. Da beide Zeichnungen jedoch nothwendigerweise bei der Betrachtung verschiedene Plätze einnehmen, so war dafür zu sorgen, durch irgend eine Einrichtung beide Bilder so auf die Netzhaut der Augen fallen zu lassen, daß beide Eindrücke vereint dem Beschauer zum Bewußtsein kamen. Dieser Versuch bedingte die Entdeckung des Stereoskopes, die Wheatstone mit zu seinen größten Triumphen rechnet, die er auf dem Gebiete der Wissenschaft errungen hat. Während eine jede Zeichnung für sich mit einem Auge angesehen sich als das darstellt, was sie ist – eine Fläche – war der Eindruck, der sich Wheatstone darbot, als er beide Zeichnungen zugleich mit beiden Augen betrachtete ein überraschender; die Zeichnung, die Darstellung auf einer ebenen Fläche war verschwunden und an die Stelle beider war das genaue Gegenstück des Originals, eine Figur von drei Dimensionen, also ein Körper getreten. Diese Eigenthümlichkeit, Abbildungen körperlich zur Anschauung zu bringen, wird schon durch den fremdländischen Namen des kleinen Apparates angedeutet. Er erfüllt auf die überraschenste Weise das, was die Perspective wohl verspricht, aber meistens doch nicht halten kann.
Indessen ist kein Meister bis jetzt vom Himmel gefallen. Daher waren auch die ersten Einrichtungen Wheatstone’s sehr unvollkommen. Der Hauptübelstand war der, daß das Sehen hier ein [171] ungewöhnliches war, man mußte die Augen künstlich einstellen. Wer in dergleichen Experimenten nicht geübt war, konnte entweder ein Zusammenfallen der beiden Bilder gar nicht ermöglichen oder an sich den Gegenstand matt oder undeutlich. Eine neue Form war zwar bald gefunden, aber alle Verbesserungen, die Wheatstone anbrachte, waren nicht der Art, daß der Apparat eine allgemeine Verbreitung zuließ. Daher gehen wir auf eine Beschreibung derselben hier auch nicht näher ein, wenn schon die erste Einrichtung, die Wheatstone dem Stereoskop gab, und die bald zu besprechende Brewster’s noch heute die beiden klassischen genannt werden. Und doch wird aus den angegebenen Gründen Wheatstone’s Spiegelstereoskop dem Leser schwerlich zu Gesichte kommen; daher sei nur gesagt, daß, wie es der Name schon andeutet, man hier nicht die Zeichnungen, sondern nur deren Spiegelbilder sah.
Alle Uebelstände, die Wheatstone’s Apparate hatten und ihre Verbreitung über die wissenschaftlichen Kreise hinaus verhinderten, wurden durch einen genialen Gedanken des schottischen Physikers Brewster mit einem Schlage auf das Leichteste und Vollkommenste beseitigt. Er ersetzte die Spiegel oder Prismen, bei deren Anfertigung sich namentlich erhebliche Schwierigkeiten geltend gemacht hatten, einfach dadurch, daß er eine biconvexe Linse, alo ein auf beiden Seiten erhabenes Brillenglas, in zwei Hälften zerschnitt und so zwei genau übereinstimmende Linsen erhielt. Dadurch wurde es möglich, dem Apparat eine gefällige und leicht handzuhabende Form, die, wie die nebenstehende Abbildung zeigt, einige Aehnlichkeit mit einem Operngucker hat, zu geben. Nach dieser Zusammenstellung ist das Stereoskop ein Kistchen aus Holz oder Pappe, in welchem sich oben eine Oeffnung befindet,
die mit einem leicht beweglichen Deckel versehen ist. Die innere Seite des letzteren ist mit Gummifolie belegt, die zur Beleuchtung von Zeichnungen auf undurchsichtigem Grunde dient, indem das Licht von der metallischen Fläche, sobald der Deckel aufgehoben ist, auf die Zeichnung geworfen wird. Letztere wird durch einen Spalt an der Seite eingeschoben; ist die Grundlage eine durchsichtige, wie bei den Bildern der Zauberlaterne, so muß das zurückgeworfene Licht abgehalten werden, die obere Klappe wird daher geschlossen. Entweder hat der Apparat hinten keine Wand, oder es findet sich hier eine Klappe, die geöffnet wird, um dem Licht den Durchgang zu gestatten. An der andern Seite erblicken wir zwei Röhren, die Behälter für die Linsen. Der Abstand beider kommt überein mit dem der Augen im Kopfe, so daß man also ohne Mühe in den Kasten hineinsehen kann. Mitunter sind sie beweglich und dann kann man sie für jedes Sehvermögen bequem einstellen. Durch die Beschaffenheit der Linsen kann man auch jede beliebige Vergrößerung der Bilder bewirken.Die Größenverhältnisse, nach denen die Apparate gebaut werden, sind gewöhnlich sieben Zoll für die Länge, einige Linien mehr für die Breite und die Höhe macht die Hälfte der Breite aus. Sie werden auch in bedeutend kleineren Verhältnissen hergestellt; ja Brewster hat sogar ein Taschenstereoskop in den kleinsten Ausdehnungen construirt, das dennoch den größeren Apparaten in nichts nachstand und ebenso befremdende Wirkungen hervor zauberte, wie diese. Er befolgte hier eine Oekonomie, bis zu der es bis dahin die Optik noch nicht gebracht hatte; aus einer Linse, die er viertheilte, baute er zwei Apparate. Außer den erwähnten klassischen Formen giebt es noch viele andere – wohl bald 20 – nach denen der Apparat eingerichtet wird. Weiteres aber darf ich darüber nicht berichten, da sie meistens nur für bestimmte Zwecke ersonnen sind und nur für den Physiker Interesse haben.
Dies ist die einfache Einrichtung des Apparates, von dessen wunderbaren Wirkungen bereits in Nr. 21 die Rede gewesen ist. Der Apparat thut hierbei weiter nichts, als das Sehen zu erleichtern; der ganze Zauber ist nur das Werk der Zeichnungen. Daher können wir ihn auch bei einiger Uebung ohne jenen allein durch unsere Augen hervorrufen. Auch hier giebt es geringe Kunstgriffe, durch die man das Zusammenfallen der Bilder erleichtern kann. Allein diese Versuche sind den Augen nicht zuträglich; eine öftere Wiederholung sogar entschieden schädlich und daher sehr davor zu warnen. Der bekannte Physiker Dove, der diese Versuche anstellte, da sie von großem physiologischen Interesse sind, sagt, daß namentlich der Eindruck ein ganz sonderbarer sei, wenn die Bilder sich zu einem Körper vereinigen; es sei, als wenn sie, so wie sie sehr nahe an einander gekommen sind, sich mit beschleunigter Geschwindigkeit anzögen. Bei dieser Gelegenheit erzählt er noch eine andere interessante Thatsache. Legen zwei Personen die Stirnen gegen einander und sehen sich dann anhaltend gegenseitig in die Augen, so fallen zuletzt für einen jeden die Augen des anderen in ein großes Auge in der Mitte der Stirn zusammen.
Was nun die Anfertigung der beiden unähnlichen Zeichnungen betrifft, die zusammen gesehen ein so getreues Gegenstück des Originals geben, daß keine Macht der Einbildung in dem Beschauer die Ueberzeugung erwecken kann: er habe eine auf einer Ebene entworfene Zeichnung vor Augen, – so werden einfache, namentlich geometrische Figuren sehr leicht nach mathematischen Regeln entworfen. Statt ihrer kann man auch paarige Figuren aus Draht oder dünnen Holzstückchen in das Stereoskop bringen, um denselben Genuß zu haben. Ja auch die Gegenstände selbst kann man in Anwendung bringen, und hier wird man durch das, was man sieht, fast zur Verzweiflung gebracht. Stellt man z. B. ein großes und ein kleines Glas in gehöriger Entfernung von einander auf, so sieht man doch, so sehr man auch dagegen zu protestiren versucht, das kleinere in dem größeren. Sind sie dagegen von gleicher Gestalt und Größe, so stellt sich natürlich nur ein einziges dar. Beide Zeichnungen finden sich auf einem Blatte und die richtige Aufstellung desselben kann leicht durch Hin- und Herrücken von dem Ungeübten gefunden werden. Betrachten wir z. B. die nebenstehenden Zeichnungen durch das Stereoskop, so gewährt uns Fig. 1 den Anblick einer abgestumpften Pyramide und Fig. 2 den eines Korbes mit einem Henkel.
Als wichtiges Hülfsmittel bei Anfertigung effectvollerer Zeichnungen, die uns im Stereoskop Portraits, Statuen, Ansichten der Natur, Gebäude etc. vorführen sollen, – Aufgaben, die selbst der kunstfertigsten Hand große Schwierigkeiten machen oder von dieser gar nicht auszuführen sind, – leistet das Daguerreotyp wesentliche Dienste. Zunächst aber waren hier erhebliche Hindernisse zu beseitigen. Das Genie Brewster’s hatte wohl Rath geschafft. Man wendete auch hier den Kunstgriff, das Zerschneiden der Linsen an und verwandelte dadurch, daß man an der dunkeln Kammer die beiden Hälften der Linsen in dem Abstande der Augen anbrachte, das Daguerreotyp so zu sagen in ein Stereoskop; – aber ein solcher Apparat war nur geeignet zur Aufnahme von Kunstwerken, die nicht einen Fuß Höhe überschritten. Wollte man größere Werke nachbilden, so mußte man die Linsen in demselben Verhältniß unter einander stellen, als der Gegenstand die angegebene Größe überschritt; also z. B. bei einer Statue von 10 Fuß Höhe zehnmal 21/2 Zoll. Wären jedoch nicht andere Mittel gefunden, so würde der Gebrauch des Daguerreotyps zu diesem Zweck stets nur ein beschränkter geblieben sein. Jetzt nimmt man mit ein und demselben Instrument, in gleicher Entfernung und unter demselben Winkel zwei Ansichten von ein und demselben Gegenstande auf, die eine einige Schritte rechts, die andere ebenso weit links. Die Entfernung richtet sich nach der Größe der Bilder, die man erhalten wird.
Der Abbé Moigno erzählt uns in seiner Optik, daß man diese wichtige Verbesserung dem französischen Optikus Jules Duboscq zu verdanken habe, und hierdurch bekundet der gelehrte französische Physiker eine sehr große Unkenntniß der deutschen wissenschaftlichen Literatur. Der Professor Moser in Königsberg hat nämlich schon [172] vor länger als zehn Jahren, zu einer Zeit, in der das Stereoskop dem französischen Gelehrten noch völlig unbekannt war, ganz auf dieselbe Weise Lichtbilder zu gleichem Zwecke angefertigt und bereits 1844 eine genaue Beschreibung seines Verfahrens veröffentlicht. Dergleichen widerfährt den deutschen Verdiensten von den Mitgliedern der großen Nation, die für die Leistungen anderer keine Augen haben, freilich ziemlich häufig, und leider wird dieser Dünkel dadurch sehr genährt, daß gerade die ausgezeichnetsten deutschen Gelehrten ihre Entdeckungen zuerst der französischen Akademie vorlegen, lange bevor sie dieselben deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften anvertrauen.
Durch den Handel sind solche Zeichnungen in beträchtlicher Auswahl zu beziehen. Die gefälligsten sind die vom Professor Hessemer – bei Albert in Frankfurt am Main – und von Julie Dubosq in Paris. Namentlich die Lichtbilder des letzteren, seitdem er die Metallplatten, deren Spiegelung die Effecte weniger schön hervortreten läßt, durch Glas ersetzt hat, rufen eine Wirkung hervor, die wahrhaft zauberisch genannt werden kann. Bei Statuen erkennt man sogar, ob sie aus Marmor oder Erz gebildet sind, weil beide Materialien das Licht verschieden zurückwerfen und dadurch in den Nachbildungen Licht und Schatten verschieden vertheilt werden. Die Bilder, vor allem die Lichtbilder, sind es auch, welche den Apparat vertheuern; doch ist der Preis der Art, daß er einem Jeden zugänglich ist, sobald die Ansprüche nicht zu sehr gesteigert werden. Ein Apparat mit einer Sammlung gewöhnlicher Zeichnungen auf Papier kostet, je nachdem er mit mehr oder weniger Luxus ausgestattet ist, in Paris 30 bis 12 Francs. Freilich ist die Anzahl der Zeichnungen nur eine geringe, und daher würde das reizende Spielwerk bei Vielen sehr bald in Mißkredit kommen. Bald wird man es aber nicht nöthig haben, sich die Apparate selbst anzuschaffen; die Aussicht, Geld zu verdienen, wird in kurzer Zeit bewirken, daß man an allen Orten Stereoskope für das größere Publikum aufstellen wird. Und neue Bilder werden stets wieder eine neue Anziehungskraft ausüben.
Es heißt zwar „dem Verdienst gebührt die Krone," aber das Leben lehrt uns, daß zwischen dem „gebühren“ und „erreichen“ sehr oft eine große Kluft liegt, die durch ein unbedeutendes Etwas, ein zufälliges Ereigniß von der geringfügigsten Bedeutung ausgefüllt werden muß. So auch beim Stereoskop. Bereits am 21. Juni 1838 stellte Wheatstone sein Spiegelstereoskop in der Königl. Gesellschaft zu London auf und erntete hier einen Beifall, der ihn zu dem oben angeführten Ausspruch berechtigte. Mehr noch als hier zog die neue Entdeckung die Aufmerksamkeit der deutschen Physiker und Physiologen auf sich. Nicht allein, daß sie sich an den überraschenden Täuschungen, in die sich „das Auge gleichsam mit Lust stürzt," weidlich ergötzten, sondern auch ernste, wissenschaftliche Erörterungen, die wir in einem andern Artikel besprechen wollen, wurden dadurch herbeigeführt. Aber daran dachte Niemand, daß man auch außerhalb der gelehrten Kreise Sinn für die dortigen Wunder, die der kleine Apparat offenbarte, haben könnte. Und ohne eine zufällige Reise nach Paris, die Sir Davis Brewster im Herbst 1850 – also 12 Jahre später – ausführte, hätte das Stereoskop selbst heute wohl kaum einen Weg in das größere Publikum gefunden. Dieser unbedeutende Umstand genügte, um die Lage der Dinge vollständig zu ändern; aus einer Rarität der physikalischen Kabinette wurde das Stereoskop ein beliebtes Spielzeug für große und kleine Kinder.
Die leichtentzündliche Phantasie der französischen Physiker, die bis dahin von dem Vorhandensein der schon ziemlich alten Erscheinung auf dem Gebiete der Wissenschaft keine Ahnung gehabt hatten, war auf das Höchste überrascht von den Wundern, die sich vor ihren Augen aufthaten, sobald sie in den kleinen Kasten hineinsahen, den Brewster vor ihnen aufgestellt hatte. Namentlich der Abbé Moigno drang auf das Lebhafteste darauf, diese außerordentliche Belustigung dem größeren Publikum nicht länger vorzuenthalten. Er überredete Brewster mit dem Opticus Dubosq in Verbindung zu treten und diesem die Anfertigung der Apparate zu übertragen. Brewster willigte ein, und auf überraschende Weise wurde das Unternehmen durch den Erfolg gekrönt. In dem ersten Jahre wurden mehr als tausend Apparate in Frankreich, England und Deutschland verkauft.
Und nun gar erst die Zukunft, die man hier dem Stereoskop prophezeit. Man nennt es die Krone der Photographie und sieht es als ein noch bei Weitem größeres Wunder an als das Daguerreotyp. Man glaubt, daß einst der Tag kommen werde, wo man sich nicht mehr mit Gemälden und Statuen, die man mehr oder weniger todt und Phantasiegebilde der Künstler nennt, begnügen werde; daß dann Stereoskop und Daguerreotyp Hand in Hand gehen werden, um unsern Augen alles so darzubieten, wie es wirklich ist. Man träumt schon von Gallerien, die den lebendigen Ausdruck der Köpfe, die man verewigen will, getreu wiedergeben, von Museen, die alle alten und modernen Kunstwerke so zu sagen in Natur vorführen, von Sammlungen, die gerühmte und berühmte Gegenden, Bauwerke und Ruinen so zur Anschauung bringen, wie sie wirklich sind, so daß sie in uns dieselben Gefühle erregen, als wenn wir sie mit eigenen Augen schauten, - eine Forderung, an der selbst ausgezeichnete Künstler scheitern. Und selbst Portraits, die Gedenkzeichen unserer Lieben, sieht man schon mit dem Stereoskop vereint. So ungeheuer dieser Erfolg auch genannt werden muß, - in Frankreich bezweifelt man ihn nicht, nachdem man die Nachbildungen der großartigen Gallerien der Weltausstellung zu London, die Familiengruppen von Claudet und die zahlreichen Lichtbilder von Duboscq gesehen hat. Das deutsche Blut fließt freilich ruhiger, aber auch wir wollen die Möglichkeit des Erfolges zugeben. Legen wir aber in Bezug auf die Erfüllung der frommen Wünsche die Erfolge der Photographie und Galvanoplastik, die beide in Betreff des materiellen Nutzens ungleich höher stehen, als Maaßstab zu Grunde, so möchte es dieser Verheißung eben so gehen, wie vielen anderen.