Das Chloroformieren der Pflanzen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Chloroformieren der Pflanzen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 92
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[92] Das Chloroformiren der Pflanzen. Am 11. Februar wird ein Jahr vergangen sein seit dem Tage, da der größte Physiologe Frankreichs und vielleicht seines Jahrhunderts, Claude Bernard, sein verdienstvolles Leben beschlossen. Um die Erinnerung an ihn frisch zu erhalten, wollen wir einige interessante Experimente mittheilen, die er kurz vor seinem Hingang über die Reizbarkeit der Pflanzen anstellte. Wenn die Pflanzen, dachte er, ähnliche Reizbarkeit wie die Thiere besitzen, dann müßten sie dieselbe unter der Einwirkung narkotischer (betäubender) Stoffe verlieren. Bernard wählte zu diesem Zwecke Aether und Chloroform, und der Erfolg der Versuche war überraschend.

Bekanntlich giebt es fleischfressende Pflanzen, deren Blätter mit der Fähigkeit ausgestattet sind, sich bei leiser Berührung zusammenzuziehen; setzen wir sie aber dem Einfluß der Chloroformdämpfe aus, so verlieren sie diese Eigenschaft, um nach kurzer Zeit sich wieder zu erholen und wie früher zu functioniren. Sie waren also betäubt, eingeschläfert durch das Chloroform.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß die grünen Pflanzenzellen unter dem Einfluß des Sonnenlichtes athmen, das heißt daß sie Kohlensäure absorbiren und Sauerstoff ausstoßen. Taucht man aber die Blätter in Wasser, in dem sich Aether oder Chloroform befindet, so werden die grünen Theile betäubt; ist diesem Zustande den Sonnenstrahlen ausgesetzt, athmet die Pflanze wie in der Nacht, sie absorbirt Sauerstoff und haucht Kohlensäure aus. Entfernt man aber das Chloroform, so erwacht die Pflanze aus ihrem Schlummer, und die grünen Zellen arbeiten wie früher.

Kinder pflegen Erbsen in’s Wasser zu werfen, um zu sehen, wie sie aufquellen und dann zu keimen zu beginnen. Nehmen wir dazu Wasser, das mit Chloroform vermengt wurde, so sehen wir freilich unter der mechanischen Einwirkung der Flüssigkeit die Erbsen aufquellen, aber nicht keimen. Dagegen gewinnen sie ihre Entwickelungsfähigkeit sofort wieder, wenn sie in reines Wasser geworfen werden.

Das Geheimniß der Gährung ist insofern aufgeklärt, als wir wissen, daß die Zuckerlösung durch kleine, einzellige Pilze, die unsere Hefe bilden, in Alkohol und Kohlensäure zerlegt wird. Nehmen wir nun frische Hefe und tauchen sie in eine Zuckerlösung, zu der Aether oder Chloroform hinzugemengt wurde, so treten keine Gährungserscheinungen ein. Die Hefe arbeitet nicht, sie ist betäubt; sie schläft. Waschen wir aber dieselbe Hefe aus und bringen sie in chloroformfreie Zuckerlösung, so beginnt sie sofort zu arbeiten und verwandelt den Zucker in Alkohol und Kohlensäure.

Wir sehen, was uns ein vollständiges Räthsel gewesen, das Fühlen der Pflanzen beginnt an einem Punkte wenigstens sich zu klären. In das dunkle Gebiet, auf dem in der Phantasie unserer Vorfahren Elfen und Zwerge sich tummelten, hat die Sonne der Wissenschaft einen Strahl geworfen. Hoffen wir, daß es den Nachfolgern Bernard’s bald gelingt, das Verhältniß zwischen dem thierischen und pflanzlichen Leben genau zu erforschen!