Das Ende der Steinkohle und ihr Ersatz

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Autor: August Hollenberg
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Titel: Das Ende der Steinkohle und ihr Ersatz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 204, 206–208
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das Ende der Steinkohle und ihr Ersatz.

Von August Hollenberg.

Wie sehr infolge Einführung der Dampfmaschine sowohl das gewerbliche als auch das gesellige Leben umgestaltet wurde, ist vielen unserer Zeitgenossen als Selbsterlebtes in Erinnerung. Früher wurde es als ein staunenswerthes Ereigniß mitgetheilt, daß die Schnellpost zur Reise von Köln nach Berlin nur 5 Tage gebraucht habe. Jetzt legen wir dieselbe Strecke, sanft dahingleitend auf den Eisenschienen, in 8 Stunden zurück. – Ueber die Wogen des Meeres trägt uns, trotzend dem Winde und der Strömung des Wassers, das majestätische Dampfschiff. In 6 bis 7 Tagen ist New-York zu erreichen, wozu früher, wenn’s gut ging, 6 Wochen erforderlich waren; und recht oft ging’s nicht gut, denn der Segelwind blieb aus. – Die idyllische Spinnstube ist durch große Fabriken mit riesenstarken Dampfmaschinen ersetzt, welche den Stoff zu unserer Kleidung herrichten, spinnen, weben, färben – alles mit Dampf. Mittels Dampfmaschinen von Hunderten von Pferdekräften wird unser Brot gemahlen, geknetet und dann mit Dampf gebacken. Der großartige Bedarf an Metallen, insbesondere an Eisen, wird mit Aufwendung einer bedeutenden Menge Kohle gedeckt, die zum Schmelzen, Schweißen und zur mechanischen Verarbeitung dient. Kurz – all unser Bedarf wird mit Hilfe des aus der Kohle geborenen Dampfes hergestellt. Den himmelanstrebenden Kaminen, den Wahrzeichen der Industrie, [206] entsteigen die Rauchwolken und hüllen die ganze Gegend in ein dichtes Grau, und wie zu Abrahams Zeiten „steigt ein Rauch auf vom Lande wie ein Rauch vom Ofen“.

Wie ein Klang aus alten Zeiten erscheint uns das Lied:

„In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad

Wo ist sie geblieben die vielbesungene Mühle mit Weh und Sehnen des in die Ferne ziehenden Wanderers? Wo ist das Hammerwerk, einst am stillen Weiher in tiefer Waldeinsamkeit gelegen, wo der „Märker Eisen reckte“, wo der himmelblaue Rauch des Holzkohlenmeilers kräuselnd aufstieg und in langen blauen Streifen durch den Wald dahinzog. – Die rauhe Hand der unaufhaltsam vorwärtsstürmenden Zeit hat das alles weggefegt. Die saubere Holzkohle ist von der rußigen Steinkohle verdrängt worden; und wie die Postkutsche der Lokomotive weichen mußte, so ist das Wasser in seiner Rolle als treibende Kraft von dem durch die Kohle erzeugten Feuer weit überholt worden. Ob für immer? – Wir werden versuchen, ob wir den Schleier der Zukunft etwas zu lüften imstande sind. Und wenn auch die anheimelnde Poesie des Mühlbaches für immer verloren ist, als Betriebskraft wird der Bach wohl wieder zu Ehren kommen, wenn auch erst in ferner Zukunft.

Zur Zeit werden annähernd 450 Millionen Tonnen Steinkohle jährlich dem Schoße der Erde entführt, entsprechend einem Raume von 340 Millionen Kubikmeter. Wollte man diese Kohle zu einem Würfel formen, so würde dieser in runder Zahl 700 Meter Kantenlänge haben. Diese Größenangaben lesen sich so leicht, als ob das gar nichts wäre; wir möchten deshalb unsern Lesern behilflich sein, sich diese Größen etwas anschaulicher zu machen.

Der erwähnte Steinkohlenwürfel würde 2½ Mal so hoch sein als der viel besprochene Riesenthurm der Pariser Weltausstellung; und man müßte eine gute halbe Stunde lang gehen, um den ganzen Umfang der Grundfläche des Würfels zu umwandern.

Eine Landstraße in der Breite von 8 Metern, einen Meter hoch mit Kohle bedeckt, würde um den ganzen Erdball herumreichen.

Die ägyptischen Pyramiden werden oft als Beispiel der großen Leistungen des Alterthums bewundert; es sei deshalb noch erwähnt, daß man aus der jährlich geförderten Kohlenmenge 130 solcher Pyramiden größter Sorte würde herstellen können.

Dieser Kohlenbedarf ist jedoch nicht etwa unveränderlich, sondern er ist stetig, und zwar in erheblichem Maße, im Zunehmen begriffen, und in den letzten 30 Jahren auf das 21/2fache des anfänglichen Bedarfes gestiegen.

Bei so bedeutendem Kohlenverbrauch und bei solcher Steigerung ist es wohl gerechtfertigt, zu fragen: Kann das so weiter gehen? Sind die Kohlenvorräthe unerschöpflich? Bilden sie sich aufs neue? Wie lange reicht der Vorrath? Und, als Kernfrage: Wenn der Vorrath zu Ende ist - was dann?

Um diesen Fragen näher zu treten, bitten wir den Leser, für einen Augenblick, gleich verwunschenen Prinzen oder Prinzessinnen, sich mit uns in eine Zeit zu versetzen, die der Geologe die „Steinkohlenperiode“ nennt und die viele, viele Millionen Jahre hinter uns liegt. Ein ordentlicher Geologe rechnet nur mit Millionen, und wenn’s einmal in die Millionen geht, so kommt’s auf eine Hand voll mehr oder weniger nicht an. Also – wir befinden uns in den Steinkohlezeiten: eine warme, schwüle, mit Wasserdünsten gesättigte Luft umgiebt uns; kaum vermag die Sonne den dichten Nebel zu durchdringen, und wegen der vielen Dünste scheint der ganze Himmel ein Feuermeer zu sein. Die Erde hat sich von ihrem früher heißflüssigen und glühenden Zustande noch nicht ganz erholt, daher ist der Erdboden noch warm und strahlt fortwährend innere Erdwärme aus. Auf dem warmfeuchten Boden entwickeln sich mit erstaunlicher Schnelligkeit Pflanzen aller Art, von gar seltsamem, fremdartigem Ansehen. Himmelhohe Palmen, Lepidodendren, Sigillarien, Farren und Schlingpflanzen umgeben uns in dichtem Gewirre.

Am Abend des schwülen Tages ballen sich plötzlich die Dünste zu dichten Wolken zusammen, ein Gewitter entsteht, so heftig, als sollte die junge Welt untergehen. Krachend fallen die Waldriesen, sinken dahin, bei ihrem Untergange das dichte Gewebe von Schlingpflanzen mit sich reißend; ein wirrer Pflanzenknäuel bedeckt den Boden. Aber nur einige Tage lang sind die Spuren der Verwüstung sichtbar – dann werden die Trümmer von neuen, üppig hervorbrechenden Pflanzen überwuchert, und unter deren schützender Decke wird die Umbildung der gefallenen Geschwister in Humus und Steinkohle eingeleitet.

Im Fluge lassen wir jetzt weitere geologische Umwälzungen an uns vorüberstreichen. Die großen Lagen abgestorbener Pflanzen werden nach und nach von einer stattlichen Reihe anderer Erdschichten bis zu 500 Meter und höher überdeckt, eingeschlossen, und unter dem großen Druck derselben geht die Umwandlung in Steinkohle, wie wir sie heute vor uns sehen, allmählich vor sich.

So lehrten lange Zeit hindurch die Geologen – und es klappte auch alles so recht hübsch, denn in den schiefrigen Thonablagerungen der Kohlenflötze finden sich noch die steinernen Urkunden aus der damaligen Zeit, nämlich die Abdrücke von riesigen Blättern, Stengeln und Stämmen, so deutlich und schön, als wären sie erst gestern in Thon abgeformt worden; jedes Pflanzenäderchen ist auf denselben zu erkennen, und wo ein Baumstamm war, findet sich ein dem plattgedrückten Stamme entsprechender Rest von Steinkohle.

In den fünfziger Jahren erhielt jedoch diese Anschauung durch die Untersuchungen und Vorträge eines verdienstvollen Gelehrten, des Medizinalraths Mohr, einen bedenklichen Stoß. Dieser „böse Mohr“[1] behauptete, obwohl er selbst auch nicht zugegen gewesen sei, so sei doch die Sache viel natürlicher zugegangen. Man solle sich nur einmal die im Atlantischen Ocean, zwischen den Kanarischen Inseln und der Halbinsel Florida befindlichen, inselähnlichen Tangbildungen ansehen, die dort in dichtestem Gewirre eine Fläche von 40000 Quadratmeilen einnehmen – eine Fläche, größer als Deutschland, Oesterreich und Frankreich zusammengenommen. Diese Bildungen bestehen aus Beerentang oder Sargassum. Nach dem Absterben sinken diese Tange unter und bilden aus dem Meeresgrunde die Steinkohle. Aehnliche Tanglager finden sich im nordwestlichen Theile des Stillen Oceans, an der Südspitze Amerikas, im südlichen Polarmeere und bei den Sandwichinseln. Die Entstehung der eingelagerten Kohlenschiefer erklärt Mohr dadurch, daß sich Schlamm aus dem durch Ueberschwemmung getrübten Süßwasser niedergeschlagen habe. Durch dieselbe Ursache seien auch die erwähnten Pflanzenabdrücke entstanden, die vom Strome zufällig angetrieben worden seien. Endgültig entschieden ist die Frage noch nicht. Hat aber Mohr recht, so könnte und müßte auch zu unserer Zeit noch Steinkohlenbildung stattfinden. – Wann aber diese Neubildungen in verwendbare Steinkohle übergegangen sein werden, entzieht sich jeder Berechnung. Sagen wir also auch hier: in einigen Millionen Jahren.

Da heutzutage Bacillen und dergleichen winziges Gesindel in der Mode sind, so hat ein Herr Reinsch auf Grund sorgfältiger mikroskopischer Untersuchungen behauptet, die Hauptmasse der Steinkohle bestehe aus Zersetzungsresten von äußerst kleinen Pilzen. Eine günstige Aufnahme scheint dieser Ansicht bisher nicht zutheil geworden zu sein, und wir wollen uns mit vorstehender Erwähnung begnügen.

Von großem Interesse für die Beurtheilung der angeregten Fragen ist es aber. über die Dauer der zur Bildung der Steinkohlenlager erforderlichen Zeit sich Rechenschaft zu geben. Nach Schleiden („Die Pflanze und ihr Leben“) ist bei der üppigsten Vegetation der Tropen zur Bildung einer neun Zoll (etwa 12 cm) dicken Humusschicht fast ein Jahrhundert erforderlich. Diese Schicht wird bei der Umwandlung zu Steinkohle auf den siebenundzwanzigsten Theil ihrer Dicke, also auf etwa acht Millimeter zusammengepreßt. Danach kann man sich einen ungefähren Begriff von der Zeitdauer machen, welche die übereinanderliegenden Kohlenlager in Schlesien, die stellenweise mit den zugehörigen Schichten eine Mächtigkeit von 155 Metern haben, erforderten; sie ergiebt sich zu annähernd 2 Millionen Jahren. Viel anders werden sich [207] die Verhältnisse nicht gestalten, wenn man eine Bildung aus Tangen annimmt.

Aus dem Vorhergehenden ist leicht zu entnehmen, daß selbst im günstigsten Falle die Neubildung der Steinkohle bei weitem nicht Schritt zu halten vermag mit dem gegenwärtigen Verbrauche.

Die übrigen gebräuchlichen Brennmaterialien, wie Braunkohle und Torf, haben, wenn sie auch an und für sich beachtenswerth sind, mit der Steinkohle verglichen nur eine untergeordnete und vorwiegend nur örtliche Bedeutung.

Sollte der Bedarf an Steinkohle aber durch Brennholz ersetzt werden, so würde in wenigen Jahren der ganze Waldbestand der Erde zu Grunde gerichtet sein. Um die Leistung der jetzigen Steinkohlegewinnung durch Holz zu ersetzen, wären 1260 Millionen Festmeter frisch geschlagenen Fichtenholzes, oder 2600 Millionen achtzigjähriger Stämme erforderlich, die einen Flächenraum von 27000 Quadratkilometern einehmen würden. Bei forstmännischem Betriebe würde hierzu eine Fläche von der vierfachen Größe des Deutschen Reiches erforderlich sein. Das wäre aber nur für ein Jahr, und 80 Jahre ist der Nachwuchs unterwegs.

Ein Brennstoff, der sich in den letzten Jahrzehnten eine bemerkenswerthe Verbreitung verschafft hat, ist das Erdöl, welches sowohl in flüssiger als in Gasform verwendet wird. Im westlichen Pennsylvanien hat man eine Reihe von Bohrlöchern niedergebracht, die seit Jahren ununterbrochen brennbares Gas unter einem Drucke von 6 bis 30 Atmosphären zu Tage fördern. Allein im Bezirke von Washington werden täglich 14 Millionen Kubikmeter gewonnen. Ob diese Ausgiebigkeit von Dauer sein wird? Wer kann es wissenl Nach den neuesten Nachrichten nimmt der Ertrag so merklich ab, daß die Gascompagnie den Eisenwerken, welche sich auf das Vorkommen dieses Gases besonders eingerichtet hatten, einen Theil der bisherigen Lieferung gekündigt und dadurch die Eisenwerke in eine schlimme Verlegenheit gebracht hat.

In der Nähe von Baku in Südrußland sind zur Zeit auf einem Gebiete von 12 Quadratkilometern gegen 500 Brunnen eröffnet, deren Gesammtertrag zu 20 Millionen Kubikmeter geschätzt wird. Hier ist also ein großartiger Reichthum an Brennstoff aufgespeichert, der zu allen Zwecken der Heizung benutzt wird. Man hat dafür passende Feuerungen für Schiffskessel, Lokomotiven, Schmiedefeuer, Gießereien und für den Hausbedarf eingerichtet.

So wie man die Steinkohle als ein Ergebniß der Zersetzung von Pflanzen ansieht, so hat man Gründe, das Erdöl als aus der Destillation fetthaltiger Thierreste entstanden zu betrachten. Ist letzteres der Fall, so liegt die Aussicht auf eine über kurz oder lang bevorstehende Erschöpfung der Erdölvorräthe sehr nahe.

Sei dem nun wie ihm wolle, jedenfalls zehren wir von einem Vorrathe, welcher sich nicht oder nur ungenügend wieder ersetzt, also wie es kaufmännisch ausgedrückt werden müßte: wir verzehren das Kapital. Daraus ergibt sich die unumstößliche Gewißheit, daß eines Tages der Kohlenvorrath der Erde zu Ende geht, und daß nothwendigerweise etwas anderes an die Stelle dieses zur Zeit fast ausschließlichen Trägers der Kultur treten muß.

Man hat, gestützt auf statistische Ermittelungen, berechnet, daß in absehbarer Zeit, deren Dauer verschieden ausfällt, je nachdem man die augenblickliche Verbrauchsmenge oder die Steigerung des Kohlenbedarfs zu Grunde legt, England seinen Kohlenvorrath aufgezehrt haben wird, wenigstens so weit, daß die Gewinnung der Köhle nicht mehr lohnend ist. Bei Gelegenheit des IV. allgemeinen Bergmannstages äußerte der Geh. Bergrath Heusler seine Ansicht über die englischen Steinkohlenvorräthe dahin, daß bei der gegenwärtigen Gewinnung deren vollständiger Abbau durch eine nicht allzuferne, nicht mehr nach einer längeren Reihe von Jahrhunderten zu berechnende Zeit beschränkt sei. Infolge des alsdann erschöpften Kohlenvorrathes könne die englische Industrie nicht auf ihrer jetzigen Höhe erhalten werden.

Henry Hall, Bergwerksinspektor der vereinigten Königreiche, schätzt den Vorrath aller gewinnbaren Kohle Großbritanniens auf 100 Milliarden Tonnen. Da die englische Kohlenförderung 170 Millionen Tonnen jährlich beträgt, so würde bei gleichbleibender Gewinnung der Vorrath in 600 Jahren und bei der bisherigen Steigerung in 200 Jahren erschöpft sein. Und schon wirft das unausbleibliche Ereigniß seine Schatten voraus. Ein englischer Generalkonsul in Hamburg theilt seiner Regierung mit, daß, während die preußische Regierung den Absatz der westfälischen Kohle nach der Nordsee thunlichst zu erleichtern bestrebt sei, der Preis der englischen Kohle wegen der gesteigerten Förderungskosten stetig in die Höhe gehe, so daß der gänzliche Verlust des norddeutschen Marktes für den englischen Kohlenhandel nur eine Frage der Zeit sei. In der That, ein seltsamer Widerstreit der Interessen! – Günstiger liegen die Verhältnisse in Deutschland. Nach Heusler kann es als feststehend angesehen werden, daß das Aachener Kohlenrevier mit dem Ruhrkohlegebiete zusammenhänge, daß also im Osten und im Westen noch bedeutende Vorräthe an Steinkohlen vorhanden sind, welche im Verein mit dem Zwickauer und schlesischen Becken uns weniger ängstlich zu der Frage drängen, wie lange unsere Steinkohlenablagerung noch aushalten werde.

Nach einer Berechnung Blömckes hat ganz Großbritannien nur noch einen Vorrath von 146480 Millionen Tonnen Kohle, welcher Vorrath bei einer jährlichen Gewinnung von 163 Millionen Tonnen, wie im Jahre 1884, noch für 261 Jahre im günstigsten Falle und im ungünstigsten Falle noch 106 Jahre ausreichen würde. Dagegen schätzt derselbe Statistiker unter Voraussetzung einer jährlichen Gewinnung von rund 60 Millionen Tonnen die Dauer bis zur Erschöpfung der deutschen Kohlenbecken auf 6000 Jahre. Demgemäß könne der gegenwärtige Verbrauch in ganz Europa aus den deutschen Vorräthen durch 1500 Jahre gedeckt werden.

Zu einem anderen Ergebniß kommt Henry Hall, der die gänzliche Erschöpfung der europäischen Vorräthe in 500 beziehungsweise 200 bis 300 Jahren prophezeit.

Von den europäischen Staaten sind Ungarn und Rußland reich an Kohle. Der große Kohlenreichthum Amerikas ist bekannt. Nach Hall könnten die Kohlenlager der Vereinigten Staaten den Bedarf für die ganze Welt auf mehr als 11000 Jahre decken.

Bedeutende Kohlenlager sind auch in China und Japan, in Australien; auch ist nicht zu bezweifeln, daß Nachforschungen in Brasilien, den Laplatastaaten und in Sibirien von Erfolg sein würden. Auch in Afrika sind beträchtliche Kohlenfelder aufgefunden.

Aus allem geht hervor, das eine nahe bevorstehende allgemeine Kohlenkrisis keineswegs zu erwarten ist. Aber was machen selbst 11000 Jahre aus, verglichen mit den Aeonen, die in der Entwicklung der Erde hinter uns liegen und vor uns sich aufthürmen? Und da die Frage nicht nur im allgemeinen von Interesse ist, sondern auch in absehbarer Zeit von einschneidendem örtlichen Einflusse sein wird, wie das Beispiel Englands zeigt, so ist es geboten, schon jetzt die Mittel zu erwägen, wie die Bedrohung der Kultur der Alten Welt zu beseitigen und die Verlegung des wirthschaftlichen Schwerpunktes, etwa nach Amerika, zu verhindern sei.

„Aber wozu denn so viele Bedenken“ – wird mancher unserer Leser sagen – „warum benutzt man denn nicht Wassergas? oder Wasserstoff? Das giebt ja, wie versichert wird, eine ganz großartige Hitze; und Wasser haben wir ja genug. Und wenn das Gas verbraucht ist, haben wir doch wieder Wasser, es ist also gar kein Verlust dabei!“ – Wir wollen sehen, wie sich die Sache verhält. Der unglücklich gewählte Name „Wassergas“ hat schon manchen irre geführt; und wer etwa denkt, das Wassergas werde ohne weiteres vom Wasser geliefert und uns so auf dem Präsentirteller dargeboten, der ist im großen Irrthum. Das Wassergas muß erst, und zwar auf chemischem Wege, aus dem Wasser gewonnen werden, indem man in eigens zu dem Zwecke gebauten großen Oefen Wasserdampf über glühende Kohlen streichen läßt. Bei großer Hitze, – 1000 bis 1200 Grad Celsius sind erforderlich – geht’s dann, wie es im menschlichen Leben auch zu gehen pflegt: alte Freundschaften werden gelöst und neue geschlossen. Von den in den Ofen gebrachten Stoffen – Kohle und Wasser – zersetzt sich letzteres in seine luftigen Bestandteile, Sauerstoff und Wasserstoff. Der erstere schließt mit der Kohle Freundschaft und bildet die luftförmige Verbindung, die der Chemiker Kohlenoxyd nennt und die aus einem Theilchen Kohlenstoff und einem Theilchen Sauerstoff besteht. Der Wasserstoff lebt auf freiem Fuße. Diese beiden Gase bilden jetzt ein Gemenge, welches man – wie unsere Leser sich jetzt selbst wohl sagen werden – mit dem ganz unpassenden Namen „Wassergas“ bezeichnet. Beide Gase sind nun aber brennbar und sehr begierig, wirklich zu verbrennen. Sie entwickeln dabei eine große Hitze, wie sie zu vielen gewerblichen Zwecken verwendbar ist. Das Ende vom Liede ist, daß sich Wasser und Kohlensäure bildet. Aber – selber, ohne Kohle geht’s auch wieder nicht ab, und da der Ofen immer in starker [208] Gluth sein muß, so ist eine wirkliche Ersparniß an Kohle nicht vorhanden, dagegen ein Verlust von 20 Prozent. Die Darstellung des sogenannten Wassergases hat andere Zwecke, deren Erklärung hier aber zu weit führen würde.

Nicht besser liegt die Sache beim Wasserstoff, dessen Anwendung unsere Leser wohl schon beim Drummontschen Kalklichte kennengelernt haben, bei welchem Wasserstoff und Sauerstoff verbrennen und durch die entwickelte große Hitze ein Stückchen Kalk zu heftigem Glühen und Leuchten bringen. Vor der Erfindung des elektrischen Lichtes diente das Drummontsche Kalklicht bei mikroskopischen Schaustellungen.

Zur Zeit benutzt man zur Zersetzung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff vorwiegend den elektrischen Strom. Wir dürfen aber wohl verrathen, daß bisher die Kosten des Verfahrens sehr hoch waren. Doch sind auf diesem Gebiete die besten Kräfte mit regem Eifer thätig, und es ist die Hoffnung wohl berechtigt, daß diese eigentlich erst 15 Jahre alte Technik etwas Entscheidendes zur Lösung der Kohlenfrage leisten wird. Ist erst, wie es bei der vorliegenden Frage der Fall ist, die Aufgabe klar erkannt und liegt sie nicht außerhalb der durch die physikalischen Gesetze gezogenen Grenze der Möglichkeit, so ist die Lösung fast mit Sicherheit zu erwarten. Eine einzige glückliche Entdeckung kann den Keim der Losung in sich tragen und damit eine Umgestaltung der ganzen Kraft- und Kohlenfrage herbeiführen. Hat doch vor kurzem schon Gülcher gezeigt, daß man einen kräftigen elektrischen Strom direkt aus der Gasflamme gewinnen kann. Das Ziel würde sein, die großartigste, ja genau genommen einzige Kraftquelle, die Sonne, unmittelbar dienstbar zu machen. – Doch davon später!

„Aber,“ werden unsere Leser weiter fragen, „wozu ist denn die Druckluft nach Popps System da?“ Die „Gartenlaube“ hat darüber ja selbst eine eingehende Schilderung gebracht. Luft ist doch überall umsonst zu haben, wenn auch nicht immer von der besten Sorte?“ – Das ist recht schön; aber Luft ist noch lange keine Druckluft, und um die gewöhnliche Luft in Druckluft zu verwandeln, dazu sind wieder große Einrichtungen erforderlich. In Paris sind zu diesem Zweck Dampfmaschinen mit mehreren Tausend Pferdekräften vorhanden, welche die hinter ihnen liegenden Luftpumpen betreiben. An Kohle wird nur dadurch gespart, daß jetzt eine große Kesselanlage zu speisen ist, während sonst jeder Abnehmer seinen eigenen Dampfkessel zu heizen gezwungen wäre; dafür läßt er sich die Druckluft von der Centralstelle zuführen. Also ohne Kohle geht’s auch nicht.

Ganz dasselbe Verhältniß gilt für den elektrischen Maschinenbetrieb, bei welchem ebenfalls an einer Centralstelle ein Motor, bisher gewöhnlich eine Dampfmaschine vorhanden ist, welche mittels Dynamomaschinen den elektrischen Hauptstrom erst hervorbringen muß. Dieser geht durch die Kupferdrahtleitung nach auswärts und betreibt hier die elektrischen Aufzüge, die Straßenbahnen, die Drehereien, die Bogen- und Glühlichter und wie die Verwendungen alle heißen mögen. – Also Kohle, Kohle und immer wieder Kohle!

Nun giebt es auf der Erde aber doch noch andere Kräfte, die von der Kohle unabhängig sind, so z. B. die Anziehungskraft des Mondes und, als deren Wirkung, Ebbe und Fluth. Eine große Fluthwelle bildet sich etwas nach Durchgang des Mondes durch die Mittagslinie eines Ortes, allerdings vielfach beeinflußt durch die Küstenbildung. Diese Schwankung des Meeresspiegels hat man nun in folgender Weise benutzt: Denken wir uns das Meer von einem festen Damm begrenzt, hinter welchem ein Teich liegt, der mit dem Meere durch einen geeigneten Durchlaß verbunden ist. In den Durchlaß legen wir ein Mühlrad oder eine Turbine. Bei beginnender Fluth sucht das Meer in den Teich einzudringen und treibt die Mühle. Bei Ebbe ist der Meeresspiegel niedriger als der Teich, somit strömt aus letzterem das Wasser ab und treibt wiederum das Mühlrad. Sehr schöne einschlagende Pläne sind vor kurzem in Frankreich gemacht worden.

Ungleich größern Einfluß als der Mond hat die Sonne auf unsere Verhältnisse. In der That ist sie die erste und letzte Ursache alles Lebens auf unserem Planeten. Ihr Einfluß bewirkt das Wachsen der Pflanzen, ihre Strahlen erwärmen die Luft und locken die Dünste des Meeres zum Himmel empor, wo sie mit Flügeln des Windes weiter geführt werden, um als befruchtender Regen sich wieder zur Erde zu senken.

Die Verwendung des Windes als segelschwellender Kraft ist seit grauer Vorzeit gebräuchlich. Ebenso ist die Windmühle seit Jahrhunderten bekannt und wird gern benutzt; insbesondere findet sie jetzt in der seit 15 Jahren eingeführten verbesserten Form der „Windräder“ vielfach Abnehmer. Die technische Verwendung der Kraft des Windes wird allerdings durch die sprichwörtliche Unbeständigkeit dieser Urkraft erschwert, aber wer hindert uns, die kostenlos dargebotene Kraft zu gelegener Zeit anzusammeln, sei es unter Zuhilfenahme von Wasser in geeigneten Behältern oder mittels der Elektricität in Sammlern (Accumulatoren), und sie dann nach Bedarf und Gutdünken zu verwenden.

Besser geht’s schon mit dem Wasser, da dasselbe leicht in Teichen aufzustauen ist, um jederzeit zur Verfügung zu stehen. Die Wasserkraftmaschinen sind mit allen Mitteln der Wissenschaft und Technik ausgebildet und haben einen hohen Grad technischer Leistungsfähigkeit erreicht.

Wir sind gewohnt, nur das für großartig zu halten, was sich uns äußerlich aufdrängt. Das stille Walten der Naturkräfte wird gar leicht übersehen. So entspricht z. B. die Wärmemenge, welche das Aufsteigen der Wasserdünste aus dem Meere bewirkt, nach Schleiden der ungeheuren Summe von 10 Billionen Pferdekräften, so daß auf jeden Morgen Landes eine Kraft von 79 Pferden entfällt. Wie groß die im fließenden Wasser aufgespeicherte Kraft ist, mag dadurch veranschaulicht werden, daß sämmtliche Flüsse Europas die stattliche Leistung von 300 Millionen Pferdekräften darstellen.

Allein der Fall des Niagara könnte, technisch vollständig verwerthet, gegen 15 Millionen Pferdekräfte liefern. Jetzt ist man damit beschäftigt, 120 000 Pferdekräfte zu Betriebszwecken abzuzweigen. Bemerkbar wird diese Ableitung jedoch keineswegs werden.

Aber wozu in die Ferne schweifen? Der Rhein schickt in jeder Sekunde an der deutschen Endstation Emmerich annähernd 2700 Kubikmeter Wasser dem Meere zu. In Bingen liegt der Wasserspiegel 60 Meter höher; es würde also der Rhein mit seinen Einläufen auf seinem Wege allein durch die Rheinprovinz die respektable Zahl von 21/2 Millionen Pferdekräften entwickeln können. Nach den statistischen Ermittelungen vom Jahre 1889 beträgt die Leistung der gesammten Maschinen des Königreiches Preußen 1 773 454 Pferdekräfte. Es könnte mithin der Rhein die sämmtliche Maschinenkraft Preußens ersetzen und noch auf 28% zur Vorsicht und für Betriebsverluste verzichten.

Nun sind aber Weser, Elbe, Oder u. s. w. auch nicht zu verachtende Ströme.

Gehen also die Steinkohlenvorräthe zu Ende, so nutzen wir diese Kräfte aus. Sie werden am besten durch Turbinen aufgenommen, mittels Dynamomaschinen in elektischen Strom umgewandelt und als solcher mit Hilfe starker Kupferdrahtleitung in alle Welt geschickt und nach Bedarf vertheilt.

An Ort und Stelle werden die elektrischen Ströme, ebenfalls mittels Dynamomaschinen, wieder in mechanische Kraft verwandelt und treiben Arbeitsmaschinen aller Art, Drehereien, Druckereien, Sägen und wer weiß was alles. Oder die elektrischen Ströme werden unmittelbar zum Schweißen und Schmelzen, zur Verhüttung der Metalle, zur Beleuchtung als Bogenlicht oder Glühlicht, zum Erwärmen der Zimmer und zu allen erdenklichen Zwecken benutzt. Ein Versuch mit der Uebertragung von 300 Pferdekräften auf größere Entfernung wird wohl im Laufe dieses Jahres bei Gelegenheit der elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt am Main gemacht werden, da das Ausstellungskomitee diese Kraft in einer etwa 175 km langen Leitung von Lauffen am Neckar beziehen will.

Schiffahrt ist nach Einführung einer so gründlichen Ausnutzung der Wasserläufe allerdings nicht mehr möglich, ist aber auch ganz überflüssig, da die elektrischen Bahnen das alles viel besser und billiger besorgen. Wer demnach noch eine Rheinfahrt mit dem Salonboote machen will, darf sich sputen.

Also nur Muth: die Elektricität in Verbindung mit der Kraft des Windes und des Wassers wird uns zur Zeit schon aus der Noth helfen. Dann kommt das Alte wieder zu Ehren und wieder heißt es:

„In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad.“





  1. Veranlassung zu dieser im Kreise seiner Bekannten gebrauchten Bezeichnung war die zu jener Zeit erschienene Nummer der Münchener Bilderbogen: „Der Mohr und der Elefant“.

    „Ein Mohr aus Bosheit und Plaisir
    Schießt auf das Elefantenthier.
    Da dreht der Elefant sich um
    Und folgt dem Neger mit Gebrumm.
    Vergebens rennt der böse Mohr,
    Der Elefant faßt ihn beim Ohr.“