Das Erdbeben Mendoza’s

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Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Das Erdbeben Mendoza’s
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 416
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[416] Das Erdbeben Mendoza’s. Valparaiso, 2. Mai 1861. Um Ihnen wenigstens ein Lebenszeichen von mir zu geben, will ich Ihnen melden, daß ich noch lebe und gesund und außerdem im Begriff bin, Chile zu verlassen und diesmal zu Schiff nach Buenos Ayres zu fahren.

Eigentlich böte das schwer heimgesuchte Mendoza viel des Interessanten, um mich noch einmal dort über die Cordilleren zu locken, aber – ich habe die Cordilleren satt und bin ihren fluthenden Wassern erst eben wieder mit genauer Noth entkommen. Ich halte es auch für genügend, wenn sich ein Mensch in acht Monaten viermal in ihren unwirthlichen Höhen und Schluchten abquält, und mag es nicht muthwilliger Weise auch noch zum fünften Male in einer Zeit versuchen, wo die jetzt einbrechenden Schneestürme mich leicht Wochen und Monate lang aufhalten könnten.

Gerade jetzt komme ich aus der Provinz Valdivia, wo ich den Uebergang über die Cordilleren versuchen und dann durch Patagonien nach Carmen hinüberziehen wollte. Da brachen die Regenstürme los, die Bergströme wurden zu Wasserstürzen, der Winter hatte begonnen, und nachdem ich 15 Tage in Schmutz und Regen unter den fortwährend betrunkenen Indianern eine trostlose Zeit verbracht, mußte ich zurück in das flache Land flüchten, wenn ich nicht dort oben vollständig abgeschnitten und gezwungen sein wollte, den ganzen Winter in diesem furchtbaren Aufenthalt zu verbringen.

Und doch ist auch hierbei, so elend ich mich damals fühlte, vielleicht ein Glück, denn wäre ich nicht, diesen Plan auszuführen, nach Valdivia gegangen, so würde mich möglicher Weise das Erdbeben Mendoza’s – das furchtbarste, das noch eine Stadt betroffen – in dessen jetzt zusammengebrochenen Mauern ereilt haben, und dort war die Aussicht auf Entkommen sehr gering.

Im Anfang glaubte ich die ersten von dort zu uns herübergedrungenen Gerüchte gar nicht, denn solche Sachen werden gewöhnlich stets im ersten Augenblick übertrieben. Hier aber lauten die Berichte mit jeder Post furchtbarer, und wenn man erst glaubte, daß nur drei Viertheile der Bevölkerung umgekommen seien, so stellt es sich jetzt heraus, daß kaum ein Zehntel gerettet ist. Der Stoß kann dabei nur wenige Secunden gedauert haben, ist aber jedenfalls von zwei verschiedenen Seiten gekommen, die sich dort begegneten, wo die unglückliche Stadt stand. Die Mauern stürzten nach allen Seiten und begruben selbst die in der Straße Befindlichen. Natürlich brach gleich darauf Feuer aus, eine stete Folge solcher Calamitäten, und Hunderte von Menschen fanden noch in den Flammen ihren Tod.

Die Brutalität und Unmenschlichkeit der Gauchos bewährte sich auch hier. Das Landvolk strömte in die Stadt, nicht um zu retten, sondern um zu plündern, und ganz unglaublich furchtbare Scenen sollen da vorgefallen sein. In einem größeren Gebäude waren eine Menge junger Leute zu einem Ball versammelt, unter ihnen einige zwanzig junge Damen aus den ersten Familien. Beim Einsturz des Hauses, der wie überall ohne die geringste vorherige Warnung erfolgte, brach das Gebälk so glücklich zusammen, daß es die darunter Befindlichen wenigstens zum großen Theil schützte. Da brach das Feuer aus; noch hätten sie gerettet werden können, denn eine Menge Peons kletterten über die Trümmer weg und hörten das Schreien den Unglücklichen, aber sie halfen nicht – „wir haben keine Zeit,“ riefen sie ihnen zu und suchten in dem sie umgebenden Elend und Jammer nach Beute und verschütteten Schätzen. All diese jungen, edlen Knospen der Stadt, vor Minuten noch von Glück und Licht umgeben, verbrannten oder erstickten unter dem halb eingebrochenen Dach, das sie viel besser gleich zerschmettert hätte. – Ein Unglücklicher wurde nach 16 Tagen noch lebend ausgegraben, starb aber drei Tage später, weil die erhaltenen Quetschwunden mit Maden gefüllt waren. Doch es ist nicht möglich, all den Jammer zu beschreiben – Worte können kaum eine Ahnung des Entsetzlichen geben.

Jetzt ist die Ordnung dort wenigstens in etwas hergestellt, und einige der Räuber sind von den endlich zur Besinnung gekommenen Behörden erschossen worden. Wie aber die Beamten selber dort gewirthschaftet haben, beweist wohl am besten, daß der Gouverneur, der sich gerettet hatte, einen Trupp Leute, die wirklich in die Stadt gekommen waren, um zu retten und Verschüttete auszugraben, aufhielt und zur Bewachung seiner Güter benutzte. Was lag dem Herrn Gouverneur an den Verschütteten, wenn er nur seine Sopha’s und Stühle sicher wußte! Der Nämliche soll auch Unterstützung von der Schwesterstadt San-Juan zurückgewiesen haben, weil er keine Unterstützung von Rebellen annehmen wolle. – Hatte er ein Recht das in so furchtbarer Zeit zurückzuweisen?

Jedenfalls ist dies Erdbeben das furchtbarste gewesen, das noch je eine arme Stadt heimgesucht, denn die rasende Schnelle, mit der es hereinbrach, machte Flucht und Rettung fast unmöglich. Nur solche sind in der That übrig geblieben, die sich zufällig außer dem Bereich der zusammenstürzenden Mauern befanden. Alles Andere wurde unter den Trümmern begraben, und ganze Familien sind durch den einen Schlag mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden. Glücklich dabei die, die auch in dem einen Moment ihren Tod fanden und nicht elend unter dem Schutt, nach vielleicht Tage langem Leiden, verkommen mußten! – Und welcher Jammer dabei für die wenigen Ueberlebenden, die in Verzweiflung nach ihren verschütteten Lieben gruben und suchten und dabei sehen mußten, wie dicht daneben die Hunde an den verwesenden Leichnamen zerrten! Kein Wunder, da Viele davon wahnsinnig wurden!

Eigentlich sollte man nun glauben, daß sich nach einer solchen Katastrophe ein wirklich panischer Schrecken aller südamerikanischen Städte bemächtigt hätte, denn so rasch hat noch keinen von Menschen bewohnten Ort das Verderben ereilt, so gründlich ist in wenigen Secunden noch keine Stätte menschlichen Fleißes der Erde gleich gemacht worden und gewissermaßen von der Welt verschwunden – aber Gott bewahre. Einen Trost haben sie allerdings, den nämlich, daß in wenig anderen Städten ein gleichstarkes Erdbeben so furchtbare Folgen haben würde, wie gerade in Mendoza, da die Häuser hier, aus ungebrannten Backsteinen aufgebaut, sehr dicke Mauern hatten und in ziemlich engen Straßen dicht beisammen standen. Dann können auch in der That Hunderte von Jahren vergehen, ehe solch ein Stoß wieder mit solcher Kraft gerade genau den Fleck trifft, auf dem eine Stadt steht. Niemand denkt aber hier auch nur im Entferntesten daran, daß ihn selber Aehnliches betreffen könne. Das Erdbeben war eben in Mendoza; man bedauert die Leute, hilft ihnen so viel man kann, und damit ist die Sache eben abgemacht.

Nenne es nun Einer Sorglosigkeit oder Vertrauen auf Gott, die Sache bleibt dieselbe, und das Menschenherz pflanzt ja doch nach jedem Stoß, den es erleidet, fröhlich wieder die Fahne der Hoffnung auf und – schlägt weiter. In Valparaiso hat man den Stoß ebenfalls gespürt, aber nur sehr schwach – in Valdivia gar nicht.

Doch genug für heute. In 14 Tagen bin ich wieder in See, dem atlantischen Ocean zuzusteuern, und unterwegs werde ich Zeit genug finden, Ihnen Ausführlicheres über mein bisheriges Leben zu berichten.

So für jetzt mit freundlichen Grüßen      Ihr

Fr. Gerstäcker.