Das Frühlingsleben des Meeres
Das Einzige, was den Winteraufenthalt auf dem Felseneiland Helgoland auch dem Naturforscher erschwert, ist der Gedanke, daß kein Frühling, wie er ihn kennt und liebt, den winterlichen Stürmen folgen werde. Wer beim Leben und Arbeiten in freier Natur Langeweile empfindet, der spricht sich damit gewiß sein eigenes Urtheil, zumal wenn seine Beschäftigung ihn direct in die Natur einführt; aber den größten Enthusiasten überschleicht beim Nahen des Frühjahrs ein unbehagliches Gefühl, wenn er denkt: „Nun steht auf dem Festland Alles in voller Blüthe, Alles giebt sich dem Frühlingsjubel hin; Du aber bist ausgeschlossen, allein in der Meereswüste!“ Das war mein Schicksal in diesem Jahr. Zum ersten Mal im Leben entbehrte ich das innige Grün des Buchenwaldes, den diamantbesäeten, thauduftenden Wiesenteppich, den Klageton der Nachtigall und selbst der Lerche schmetternden Lobgesang. Jenes ahnungsvolle Frühlingsgefühl konnte schon deshalb kaum flüchtig in mir rege werden, weil es auf Helgoland keinen eigentlichen
[158] Winter gab. Zwar hatte ich einmal den flüchtigen, reizenden Anblick der schneebedeckten, von der untergehenden Sonne tief gerötheten Dünenlandschaft, zwar drangen die Novemberstürme schrecklich zum Ohr und zum Gemüth, und eine kurze Periode hindurch herrschender Ostwind ward selbst bei glühendem Ofen in den schlecht gebauten Häusern durchdringend fühlbar; aber ich sah, einige Eiszapfen am Felsen abgerechnet, keine Spur von Eis, sehr wenig Schnee, den der Wind bald wieder entfernte, und die Temperatur sank nur auf kurze Zeit unter den Gefrierpunkt, so daß die Rasenfläche des Oberlandes fast den ganzen Winter einen grünen Schimmer beibehielt und hie und da mit Marienblümchen übersäet blieb. Der Rasen auf dem Felsenplateau besteht fast nur aus Festuca ovina L. welche, von den Schafen vortrefflich gedüngt, einen herrlichen Sommerteppich darbietet, schon um die Mitte des Aprilmonats besäet mit weißen und gelben Sternen des Marienblümchens, der Sternblume und des Löwenzahns. Anfangs Mai sieht man den schroffen Felsrand zierlich weißbeblümt mit dem ebenso interessanten als dankbaren kleinen Löffelkraut, welches zwei bis drei Mal im Jahr seine fleischigen, nierenförmigen Blätter, seine weißen Blüthentrauben und kugelförmigen Fruchtkapseln entwickelt, deren Scheidewände zuletzt als zarte Gazefensterchen stehen bleiben; zu ihm gesellen sich hie und da rosenfarbene Trupps der Grasnelke. Im Maimonat sieht man von Sad-Huurn, der Südspitze des Felsenplateaus, aus den ganzen Ostabhang mit den reingelben Blüthenrispen des wilden Kohls bedeckt. Eigentümlich contrastirt das Gelb dieser Pflanze, rein und frühlingsathmend wie das der Schlüsselblumen, zu dem rothen, grünlichweiß gebänderten Felsen. Ueberschreitet man Abends die Felder und Triften, so fehlt es nicht am Duft des Kopfklees, der in höchster Ueppigkeit und in seltener Farbenmannigfaltigkeit gedeiht, vom reinsten Weiß durch alle Uebergänge von Weiß und Rosa bis zum dunkelsten Purpur, und auf’s Zierlichste gestreift. Man empfindet den Duft der großen Bohne und des wilden Senfs; aber alle diese Eindrücke, wenn auch anmuthig in ihrer Art, stehen zu vereinzelt da, um wahres Frühlingsgefühl wachzurufen; sie sind nicht im Stande, das Laubdach des Waldes oder den Gesang der Vögel zu ersetzen.
Vogelgesang? Woran erinnert mich dieses Wort? Wenn einmal eine unglückliche Nachtigall auf ihrem Durchzug auf der Insel rasten sollte, so wird man sie nicht anders, als gebraten oder gekocht zu sehen bekommen. Statt der Jubelhymnen der kleinen befiederten Sänger hört man nur ihren Todesschrei, da ihnen auf alle erdenkliche Weise nachgestellt wird. Es ist auf alle Fälle ein Unglück, wenn ein Volk die soliden Erwerbsquellen verläßt und im Trüben zu fischen sucht; was aber soll man von einem Volke sagen, welches so von seiner Regierung vernachlässigt wird, daß nicht einmal ein ordentlicher Schulzwang besteht, so daß die Kinder von früh an zum Müßiggang und zu allerlei schlechten Streichen förmlich erzogen werden. Leider habe ich von erwachsenen jungen Leuten oft Grausamkeiten an Thieren verüben sehen, welche mich schaudern machten, aber empörend ist es, wenn Menschen die Zielscheibe von Unbilden sind, welche von Rohheit und Müßiggang eingegeben werden. Wenden wir uns ab von diesen trüben Eindrücken und dem Meere zu.
Alle ästhetischen Eindrücke des Meeres tragen den Charakter des Großartigen, Erhabenen, Unendlichen. Von den schreckenerregenden Bildern der Octoberstürme, unter deren Tosen und Brüllen ich diese Zeilen niederschreibe, von den schneeweißen Sturmwogen der Brandung, welche über den Mastspitzen des gescheiterten Schiffes auf der Ande oder Südspitze der Düne schäumend zusammenschlagen, bis zu der spiegelglatten, ungeheueren Fläche am heißen Sommertage, so still, daß man es für unmöglich hält, diese friedliche Fluth könne jemals in so Entsetzen erregende Bewegung gerathen, oder in der Nacht, wenn der Mond sein silbernes Licht darüber ausgießt. so daß sie, sanft bewegt, wie Millionen Funken aufglitzert, in allen Stimmungen drückt sich die Empfindung ungeheurer, unendlicher Größe, Kraft und Erhabenheit aus, in allen fehlt das Milde, Sanfte, Anmuthige, oder wo es vorhanden zu sein scheint, da finden wir uns meist in einer Täuschung befangen. So glaubt man oft, in warmer, mondheller Nacht auf der Düne lustwandelnd, selbst bei wolkenlosem Himmel das leise Rauschen eines milden Frühlingsregens zu vernehmen, bis man seinen Irrthum gewahr wird. Tausende und Abertausende einer kleinen Crustacee, den eßbaren Krabben ähnlich, aber kleiner, hier Sandflöhe genannt, am Tage im Sande vergraben, kommen Nachts schaarenweise hervor aus ihren Verstecken und springen bei Annäherung des Menschen hoch empor, wodurch sie das eben erwähnte Geräusch hervorbringen, welches täuschend dem Rieseln sanften Regens gleicht. Trotz alledem ist der Meeresfrühling wunderbar ergreifend, überwältigend schön. Wer im Sommer am warmen, stillen Nachmittag hinausfährt auf die Seehundsklippen, dann zwischen den bewachsenen Reihen der Kreideriffe hinabschaut in die vollkommen durchsichtige Fluth, indem er sich über den Bord des Bootes neigt; wer dort unten in nicht unbedeutender Tiefe die submarinen Waldungen erblickt, die langen, über einen Fuß breiten, wellenförmig gebogenen, glänzenden Bänder des Zuckertangs, auf langen, fleischigen Stengeln schwankend bewegt, – den noch schöneren Riesentang oder Fingertang, dessen breites Blatt aus mehrere Fuß langem Stamm fingerförmig in lange Riemen sich spaltet, gleichsam eine Fächerpalme des Meeres darstellend; zwischen diesen Riesen der Nordsee die verschiedenen Blasentange oder an seichteren Stellen den höchst eleganten Schotentang, von einer dicken, glockenförmigen Wurzelscheibe einen vielfach verästelten, mit zierlichen Schoten und platten Zweigen bedeckten Stengel entsendend, das Unterholz des Meeres darstellend; ferner die viele Ellen langen, unverzweigten Meeresbindfaden, in Büscheln vereint aus ziemlicher Tiefe bis an die Oberfläche aufsteigend; wer dann zwischen ihnen am Meeresboden zierliche Seesterne, Schnecken und Muscheln, auf den Riffen zahlreiche Seeanemonen, auf den großen glatten Tangen die allerliebste Schüsselschnecke erblickt, schwarzbraun mit himmelblauen, metallglänzenden Längsstreifen; – wer dieses Alles und unzähliges Andere zur Sommerzeit gesehen hat, der jubelt wohl auf über den Reichthum des Meeres, aber von der ungeheuern Mannigfaltigkeit der erstaunlichen Pracht der Meeresvegetation und der Meeresfauna zur Frühjahrszeit hat er kaum ein schwaches Spiegelbild erhalten.
Es ist zwei bis drei Tage nach Vollmond und einer jener stillen, friedlichen Tage, wie das Meer sie nur im Spätherbst und im Vorfrühling aufzuweisen hat. Kaum bemerken wir das leise Säuseln des Ostwindes, welcher die Atmosphäre gereinigt hat, so daß das Firmament im reinsten Hellblau erscheint, die Wasserfläche im Vordergrund tiefblau, in größerer Entfernung immer mehr in das Silberglänzende hinüberspielend, so daß in ungemessenen Entfernungen ein Silberstreifen nach dem andern sichtbar wird, bis an den Horizont, welcher so weit, so klar, so bestimmt um uns sich ausbreitet, wie wir im Sommer ihn niemals oder doch höchst selten gesehen haben. Ostwind und Springebbe vereinigen sich, um die Nordsee ungewöhnlich weit von der oberen Fluthmarke zurücktreten zu machen, so daß wir im Stande sind, rings um Helgoland weit hinaus zu schreiten auf den rothen Klippengrund. Das Wasser gestattet uns vermöge seiner außerordentlichen Klarheit und Durchsichtigkeit einen Blick bis in beträchtliche Tiefen. Wir betreten die langen, mit den größeren Tangen dicht bewachsenen Klippenreihen, zwischen denen sich lange Spalten (Gotteler) von größerer oder geringerer Tiefe befinden, welche, nur selten mit weißem Sand ausgefüllt, in den meisten Fällen das Leben des Meeres in üppigster Fülle zur Anschauung bringen. Dort sind die wunderbaren Waldungen, die uns in ihren seltsamen, fast fremden Gestalten ein Feenmärchen vor die Seele zaubern. Ja, fremd schauen dem Uneingeweihten im Anfang Pflanzen wie Thiere des Meeres entgegen; dennoch fühlt er, daß ihm hier eine Schönheit, Mannigfaltigkeit und Fülle der Formen entgegentritt, wie sie nur im Tropenwalde ihres Gleichen finden.
Der große Zauber der Frühlingsvegetation des Meeres und ihrer Ueppigkeit liegt erstens darin, daß die meisten Algen entweder nur im Frühling zum Vorschein kommen oder wenigstens um diese Zeit ihr schönstes Kleid anlegen. Fast alle Algen, ganz besonders aber die prachtvollen Florideen, haben zu verschiedenen Jahreszeiten ein so durchaus verschiedenes Aeußere, daß nur ein aufmerksamer Beobachter die zu einer Art gehörigen Formen als zusammengehörig anerkennt. Der zweite Umstand, welcher zur Erhöhung des Eindrucks dient, ist der, daß die Algen vorzugsweise im Frühjahr oder in den letzten Wintermonaten in Blüthe stehen oder richtiger Früchte tragen. Ist einerseits der Zustand der höchsten Fruchtentwickelung bei diesen merkwürdigen Pflanzen auch der Zustand der größten Schönheit und Vollendung der Form, so kommt andererseits bei der ganzen großen Gruppe der Rhodospermeen oder Rothfrüchtigen noch hinzu, daß man bei jeder Art verschiedenartige Früchte aus verschiedenen Pflanzen findet, oft einander [159] so unähnlich, daß man sie leicht als verschiedenen Arten angehörig betrachten könnte. Endlich drittens sind in der angegebenen Jahreszeit die Pflanzen fast durchweg mit äußerst feinen Fäden, sogenannten Gliederfäden bedeckt. Diese und seine, schmarotzende Gebilden besonders aus der so reichen mikroskopischen Welt der Diatomeen, aber auch andere Algen aller Gruppen, theils als junge Keimlinge und Sprößlinge, theils in ausgewachsenen mikroskopisch kleinen Arten, geben den ohnehin sehr zierlichen Formen eine Zartheit der Umrisse, wie wir sie bei Landpflanzen, selbst bei den feinsten Bärlapppflanzen und Farrenkräutern, niemals antreffen. Die eigentlichen Gliederfäden, welche an unzähligen Algen zu bestimmter Zeit hervortreten, um später völlig wieder zu verschwinden, sind eine den Forschern noch sehr dunkle Erscheinung, die aber höchst wahrscheinlich mit der Fortpflanzung in nahem Zusammenhange steht. Sie zeigt sich schon bei manchen der größeren Tange, so bei Sporochnus. Der gewöhnliche Stacheltang, zu allen übrigen Jahreszeiten nur als ein abwechselnd fiederig verzweigter Strauch von dunkelbrauner Farbe erscheinend, an den Endzweigen fiederförmig mit feinen Stacheln besetzt, trägt jetzt an der Stelle jener Stacheln zarte, hellgrüne Pinsel, aus äußerst feinen Fäden zusammengesetzt, und interessant ist es, daß man gerade bei dieser Pflanze bisher die Früchte nicht hat auffinden können. Viele der größeren Formen, so die Gattungen Chorda, Chordaria, Mesogloea und andere, finden wir jetzt mit einem zarten Ueberzug schleimiger Fäden wie mit einem neuen Kleide überzogen; lange, gegliederte Fäden, einzeln oder in Endbüscheln, sind bei manchen Gattungen besonders auffallend, so bei Lophura und Polysiphonia, wo sie theils auf den gewöhnlichen Fruchtexemplaren, theils aber auch auf besonderen, von jenen verschiedenen Individuen vorkommen und die durch die zarte Gliederung ihrer Aeste und zierliche Anordnung der Fruchtzweige ohnedies entzückend schönen Formen noch reizender erscheinen lassen.
Aber werfen wir jetzt einen Blick hinab in das zierliche Gewirre von Tausenden kleiner Stämme, Zweige und Zweigelchen, die mit den verschiedensten Farben vom hellsten Gelbgrün bis zum dunklen Olivenbraun, vom zartesten Weiß und Rosa bis zum tiefsten Purpur und Schwarzviolett geschmückt sind, um auch das Treiben der zahllosen belebten Bewohner dieser herrlichen Waldungen wahrzunehmen. Beim Beschreiten des tangbewachsenen Bodens hören wir ein beständiges Knacken und Knistern unter den Füßen, hervorgerufen durch das Zerplatzen der Vesikeln des Blasentanges, welcher nebst seinem in tieferem Wasser vorkommenden Bruder, dem einreihigen Blasentang durch im Stengel vertheilte Luftblasen sich ausgezeichnet, die ihn schwimmend erhalten und unter unseren Fußtritten die eingepreßte Luft durch eine kleine Explosion entlassen. Zahlreiche Schnecken aus den Gattungen Litorina, Patella, Purpura, Trochus, Buccinum u. s. w. finden auf diesem wie auf einigen anderen der größeren Tange ihre Nahrung; diese Gewächse sind außerdem mit pflanzenartigen Polypen bedeckt, neben Corallinen, welche man, obschon sie echte Pflanzen sind, wegen ihrer zierlichen Kalkbedeckung weit eher für Korallenbildungen ansieht. Ueberhaupt gilt im Meere das Faustrecht im Bezug auf den Grundbesitz. Nicht nur die Algen wachsen beständig eine auf der anderen, sondern noch mehr sind manche Thiere geplagt, die nicht nur Thiere anderer Geschlechter, sondern außerdem oft ganze Algenwaldungen auf dem Rücken tragen. Wir treten auf einen bräunlichen Stein, plötzlich bewegt er sich seitlich fort, dem Wasser zueilend, und wir erkennen in ihm einen großen Taschenkrebs. Wie der Arme sich plagen muß! Auf jeder Seite des großen, starken Brustpanzers hat sich eine Auster angeheftet, und er ist verdammt, diese beiden Insassen beständig mit umherzuschleppen, und selbst wenn sie sterben sollten, weiß er sich doch ihrer Schalen nicht zu entledigen. Sein Hinterleib trägt außerdem einen ganzen Wald kleiner Polypen und einen großen Büschel des purpurrothen Horntangs, dessen zierlich gegliederte Zweige in zangenförmige Zweigelchen endigen. Freilich trägt der Taschenkrebs nur die gerechte Strafe für seine eigenen Vergehen mit sich umher, denn, wie alle Krebse, ist er ein Räuber und daher der schlechteste Bewohner für ein Aquarium. Ist doch nicht einmal die Schnecke sicher in ihrem festen Kalkgehäuse. Wir haben hier die beste Gelegenheit, den von Lewes in seinen „sea side studies“ so anziehend beschriebenen Kampf der Einsiedlerkrebse um leere oder bewohnte Schneckenhäuser zu beobachten. Hier kriecht eine arme Kegelschnecke einher. Sie kann sich kaum fortbewegen, denn ein ursprünglich zarter Büschel der Lophura gracilis, einer purpurfarbenen Alge, welcher sich auf der Spitze des Gehäuses angesiedelt, ist zu einem wahren Riesen herangewachsen. Aber auch diese kümmerliche Existenz sucht ein kleiner Eremit ihr zu rauben, dem die Schale der Uferschnecke, in die er seinen von Geburt an kahlen Hinterleib gesteckt hat, zu eng geworden ist. Sobald der Trochus seinen zierlichen Deckel öffnet, dringt der Krebs ein, es gelingt ihm bald, die Schnecke zu verspeisen, schon versucht er, den nackten Hinterleib in das leere Haus hineinzuschieben, da fährt blitzschnell ein anderer Krebs aus seinem Gehäuse hervor, kneipt jenem den wehrlosen Hinterleib ab und flüchtet sich in die geraubte Schale. In großer Anzahl sieht man überall diese merkwürdigen Einsiedler mit Schneckenhäusern auf dem Rücken, die sich in seltsamer Schnelligkeit fortbewegen, in sonderbarem Contrast zu denjenigen, welche noch ihre rechtmäßigen Insassen bergen.
Ueberall strecken, an den Klippengrund geheftet, Anemonen ihre hundert in bunten Farben schillernden Fangarme hervor; auch einige Arten von Medusen glaube ich schon zu so früher Jahreszeit gesehen zu haben, obwohl es vielfach bestritten worden. Hie und da treffen wir eine der sonderbar gestalteten, zierlichen Nacktschnecken Doris und Aeolis in einem seichteren Tümpel, während am Felsen, soweit er nur vom Meere bespült wird, weiße Balanen haften, die ihre Schalen abwechselnd öffnen und schließen, wobei sie ihre feinen Rankenfüße ausschieben und einziehen, nach Beute begierig. Kleine seltsam gestaltete Fische durchstreifen, bald langsam und bedächtig, bald, durch irgend ein Geräusch erschreckt, pfeilschnell diese Wälder, deren Boden mit purpurfarbenen Seesternen der verschiedensten Größen übersät ist. Hier windet sich langsam der kaum fingerdicke, ellenlange, schlangenförmige Windfisch mit seinem schnabelförmigen Kopf zwischen den Stämmchen hindurch, dort schießt schnurgerade sein Bruder, der Stechfisch durch die klare Fluth mit sechseckigem Körper und langem, nadelförmigem Schwanz, welcher in die breite, fächerartige Schwanzflosse endigt. Zahlreiche Meerscorpione, von den Helgoländern Störe genannt, mit breitem, stacheligem, gepanzertem Kopf, der sich plötzlich in den ganz kleinen Leib zusammenzieht, wandern beutelustig umher und geben uns das lebhafteste Bild von der unglaublichen Gefräßigkeit der meisten Seegeschöpfe. So fand ich in dem Magen eines kaum spannelangen Exemplares über ein Dutzend Litorinen mit ihren Gehäusen, mehrere kleine Taschenkrebse und verschiedene Würmer. Seltener und nur nach heftigen Stürmen sind wir so glücklich, eines echten Seeteufels, eines Knurrhahns, eines Lumps oder wohl auch eines der verschiedenen kleinen Haie habhaft zu werden, welche die Nordsee bewohnen. Repräsentiren die genannten Fische die abenteuerlichsten, fast dämonischen Thiergestalten des Erdballs, so treffen wir andererseits in den Gattungen Blennius, Golius und anderen uns geläufigere und daher weniger unheimliche Fischformen.
Während wir indessen versunken hinabschauen in das bunte, wunderbare Treiben da unten, umfließt uns ein lichter Glanz und mahnt an die Heimkehr. Die untergehende Sonne hat die rothen Felsen in Purpur getaucht, welcher weithin seinen magischen Schein der ganzen Umgebung mittheilt. Es ist ein wunderbar ergreifender Naturgenuß, hinter den riesigen Felsenthoren des Jung-Gatts und Mörmers-Gatts die Sonne untergehen zu sehen. Dort taucht sie hinab hinter der weiten, weiten, stillen Meeresfläche. Uns, die wir noch berauscht sind von der Fülle der ewig regen lebendigen Wasserwelt, läßt sie allein und einsam zurück mit dem Gefühl der Winzigkeit unseres eigenen Daseins gegenüber dem Allleben der Natur.