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Das Fuchsloch

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Das Fuchsloch
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 170–173
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
fertig
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[170]
56. Das Fuchsloch

Im Westen der Kiautschoubucht ist ein Bergdorf, das heißt das Fuchsdorf. Östlich von dem Dorfe steht ein hoher Fels. Mitten durch den Fels geht eine Höhle, rund wie der Vollmond. Die Höhle führt wie ein Tunnel wohl eine halbe Meile lang durch den ganzen Berg und kommt auf der andern Seite wieder heraus. Die alten Leute sagen, es wohnen viele Füchse und Wiesel darin. Darum getraut [171] sich niemand hinein, und das Dorf hat von dieser Höhle seinen Namen.

Einst gingen zwei Bauern aus der Gegend in die Stadt.

Als sie am Fuchsloch vorbeikamen, da deuteten sie auf den Eingang der Höhle, und der eine sagte im Scherz: „Wenn man da ein ordentliches Feuer anzündete, so würden die Füchse und Wiesel alle miteinander verbrennen.“

Der andere, der ein Pächter war, brach in lautes Gelächter aus und sagte: „Wenn vorne das Feuer brennt und hinten der Rauch rauskommt, das wäre ein Spaß!“

Als sie von der Stadt zurückkamen, da fing der Pächter auf einmal bitterlich zu weinen an. Er nannte sich mit seinem eigenen Namen, und eine verstellte Stimme sprach aus ihm: „Ich bin dein Vater. Ich bin jämmerlich ums Leben gekommen. Heute ist mirs vergönnt, einmal zu Hause wieder einen Besuch zu machen.“ Dann rief die Stimme nach der Mutter des Pächters, und als sie kam, da nahm er sie bei der Hand und weinte bitterlich und redete mit ihr über die Geschichte seines früheren Lebens. Dann sagte er noch: „Ich bin sehr hungrig. Laß mir schnell Wein und Speise schaffen! Aber es muß ein Huhn sein.“

Die Mutter des Pächters glaubte wirklich, es sei der Geist ihres Mannes, weil er mit ihr von Dingen sprach, die sonst niemand wußte. So begann sie denn auch vor Rührung zu weinen. Der Frau des Pächters aber kam die Sache nicht ganz geheuer vor, und weil er durchaus ein Huhn zum Essen wollte, argwöhnte sie, ihr Mann sei vielleicht von einem Fuchse besessen.

Darum fing sie kurz und bündig an: „Wir haben keinen Wein im Haus, und die Hühner brüten gerade. Ich will dir Grütze kochen. Du bist ja ein seliger Geist, lieber Schwiegervater, da ist es deine Pflicht, uns zu helfen und uns nicht unnötige Kosten zu machen.“

Da klang es aus ihrem Mann sehr zornig: „Das Frauenzimmer da hat keine Ehrfurcht. Was ihr dort in dem großen Faß zusammengebraut habt, ist denn das kein [172] Wein? Und Hühner habt ihr eine ganze Herde. Täglich füttert ihr ihnen einen Scheffel Hirse. Warum wollt ihr nicht ein einziges hergeben, um eurem verstorbenen Vater eine Freude zu machen?“

Die Mutter brachte es nicht länger über sich. Sie befahl der Schwiegertochter, Huhn und Wein zu bringen, und der Besessene begann zu essen und zu trinken. Wie er aber aß, da mummelte er mit spitzen Lippen wie ein Wiesel, und alle, die es sahen, mußten heimlich lachen.

Nun war in der Nachbarschaft ein Bursche, der war groß und stark; er nahm ein Messer und rief: „Bist du nicht der alte Wiesel und stellst dich nur so, als wärest du der verstorbene Vater? Wenn du nicht gleich die Wahrheit sagst, so bringe ich dich um.“

Auf diese Worte hin verzog sich das Gesicht des Pächters in Schreck und Furcht. „Ich bin freilich nicht der alte Vater,“ sprach er; „aber der da ging heute mit einem Bauern an unsrer Höhle vorüber und führte schlimme Reden und sagte, er wolle unser ganzes Geschlecht ausräuchern. Deswegen bin ich gekommen, um es ihm heimzuzahlen. Es ist noch einer mit mir gekommen, der hat den Bauern besessen gemacht. Da ihr mir aber nun eine Mahlzeit hergerichtet habt, so will ich gehen und auch meinen Genossen abholen.“

Nach diesen Worten fiel der Pächter aufs Bett und kam allmählich wieder zu sich.

Im Haus des Bauern war es ähnlich gegangen. Als der nach dem Nachtessen schlafen gehen wollte, wurden plötzlich seine Augen starr, und er ward wirr im Geiste. Es warf ihn auf den Boden, und dann sprang er wieder auf und hüpfte mehrere Fuß hoch auf der Erde umher, so daß er den Kopf an die Balken stieß. Dann schlug er sich auf die Brust und begann sich selber zu beschimpfen. „Seit alten Zeiten wohnen wir in der Berghöhle, und ihr wolltet uns ausräuchern!“ kam es aus ihm hervor. Dann sprang er wieder in die Höhe, und niemand konnte ihn [173] halten. Die Eltern begannen Gebete aufzusagen, ließen Weihrauch verbrennen und Wein zum Opfer herbeibringen. Aber es wurde nicht besser, bis jener Bauernbursche mit seinem Messer hereinkam.

Der redete ihn an: „Die beiden haben ja nur Scherz gemacht. Es ist ihnen nicht eingefallen, euch wirklich ausräuchern zu wollen. Ihr habt ihnen schon zur Genüge vergolten. Draußen wartet dein Kamerad auf dich. Marsch fort, sonst sollst du mein Messer zu kosten bekommen!“

Da kam es mit ängstlicher Stimme aus dem Bauern heraus: „Ich gehe ja schon, ich gehe ja schon.“

Von da ab hatten die beiden wieder Ruhe.

Anmerkungen des Übersetzers

[398] 56. Das Fuchsloch. Quelle: Volkserzählung.

Der Fuchs als Dämon, der von den Menschen Besitz ergreifen kann, ist im chinesischen Volksglauben allgemein verbreitet. Eine Menge hysterischer Erscheinungen werden auf ihn und das Wiesel zurückgeführt. Oft handelt es sich um rasch vorübergehende Zustände. Über die Art der Vorgänge geben die hier vorliegenden Märchen Auskunft.