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Das Gastmahl oder die Lapithen

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Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Das Gastmahl oder die Lapithen
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Vierzehntes Bändchen, Seite 1692–1719
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Συμπόσιον ἢ Λαπίθαιi
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[1692]
Das Gastmahl
oder
die Lapithen.
Philo und Lycinus.

1. Philo. Euere gestrige Unterhaltung beim Gastmahle des Aristänetus soll sehr bunt gewesen seyn, habe ich mir sagen lassen, Freund Lycinus. Es kamen philosophische Vorträge vor, über welche sich ein sehr lebhafter Streit erhob, und wenn mir Charinus die Wahrheit gesagt hat, so ging man in der Sache so weit, daß die Gesellschaft am Ende mit blutigen Köpfen aus einander ging.

Lycinus. Und woher weiß denn Charinus das Alles? er war doch nicht mit uns zu Tische.

Philo. Er will es von dem Arzt Dionicus gehört haben, der, glaube ich, Einer von den Gästen war.

[1693] Lycinus. So ist’s, allein er war nicht gleich beim Anfange des ganzen Handels zugegen, sondern kam erst spät, kurz ehe der Streit in eine völlige Schlägerei ausartete; so daß es mich wundern sollte, wenn er etwas Genaueres von der Sache zu sagen wüßte, der ja nicht Gelegenheit hatte, den hartnäckigen Wortwechsel von seinem Anlasse an bis zu seinem blutigen Ende zu verfolgen.

2. Philo. Eben deßwegen hat mich auch Charinus an dich gewiesen, wenn ich den wahren Hergang des ganzen Auftritts erfahren wolle. Denn Dionicus selbst hätte gesagt, daß er nicht von Anfang an dabei gewesen; du aber wüßtest Alles genau zu sagen, was vorgefallen und was gesprochen worden sey, da du in solchen Fällen nicht mit halbem Ohre, sondern sehr aufmerksam zuzuhören pflegtest. Zögere also nicht, mein Freund, mir einen Schmaus zu bereiten, wie ich mir keinen ergötzlicheren wünsche: zumal da wir nüchtern, friedlich und außer Schußweite dasitzen und zusehen können, wie Alte und Junge, erhitzt von dem starken Weine, das tollste Zeug machen und die unschicklichsten Dinge thun und sagen.

3. Lycinus. Es ist sehr muthwillig von dir, Philo, zu verlangen, daß ich so Etwas unter die Leute bringen und Dinge erzählen soll, die beim Wein und unter Berauschten vorgefallen; während man sie vielmehr mit Vergessenheit bedecken und denken sollte, daß dergleichen die göttlichen Wirkungen des Bacchus seyen, der es wohl Keinem vergäbe, sich seinen schwärmenden Orgien entziehen zu wollen. Meinst du nicht, daß es boshaft wäre, solchen Dingen so genau nachzufragen, die man billig im Speisesaal, wo sie vorgefallen, [1694] zurückläßt? „Einen Gast mit einem guten Gedächtnisse mag ich nicht“, meint ein alter Dichter. Auch Dionicus hat nicht schön daran gethan, daß er die Sache bei Charinus ausgeschwatzt und die ehrwürdigen Philosophen mit der abgestandenen Brühe von gestern begossen hat. Darum weg damit! Von mir sollst du kein Wort erfahren.

4. Philo. Das heißt sich zieren, Freund Lycinus! Aber bei mir ist es ganz am unrechten Orte, da ich nur zu gut weiß, daß du noch viel begieriger bist zu erzählen, als ich zu hören. Ich wette, du trätest, wenn du keinen Zuhörer fändest, vor die nächste beste Bildsäule hin, und erzähltest ihr den ganzen Handel in Einem Zuge her. Und wollte ich jetzt Miene machen, auf der Stelle wieder zu gehen, so ließest du mich gewiß nicht los, bis ich dich angehört hätte, und liefest mir bittend auf dem Fuße nach. Aber nun will auch ich den Spröden machen. Ich will gehen und die Sache von einem Anderen erfragen: du sollst dich nicht bemühen.

5. Lycinus. Nur nicht so böse, Freund Philo, ich will dir ja Alles erzählen, weil dir doch so viel daran liegt: aber daß du es nicht weiter aussagst!

Philo. Wenn ich mit meinem Lycinus nicht ganz und gar irrig daran bin, so wird er schon dafür sorgen, daß es nächstens alle Welt erfährt, auch wenn ich nicht dazu helfe.

5. Aber sage mir vorerst, war es aus Veranlassung der Verlobung seines Sohnes Zeno, daß Aristänet euch zu Gaste bat?

Lycinus. Nein: er vermählte seine Tochter Cleanthis an des Wechslers Eucritus Sohn, den jungen Philosophen.

[1695] Philo. Ein bildhübscher Junge der, beim Jupiter! Aber das Milchgesicht ist doch wohl noch zu jung zum Heirathen.

Lycinus. Ohne Zweifel wußte er keinen Anderen, der ihm mehr zusagte. Das artige Benehmen dieses jungen Menschen, sein Eifer für die Philosophie, zudem der Umstand, daß er des reichen Eucritus einziger Sohn ist, machte, daß er ihn vor allen Anderen zu seinem Schwiegersohn erkor.

Philo. Das ist nun freilich ein Hauptgrund, das viele Geld des Eucritus. – Und nun, Wer waren denn die Gäste?

6. Lycinus. Alle zu wissen, wird dir gleichgültig seyn: du verlangst, denke ich, hauptsächlich zu erfahren, welche Herren vom Fache der Philosophie und Literatur anwesend waren. Für’s Erste also der alte Zenothemis aus der Stoa und mit ihm Diphilus der sogenannte Ladykinthische, der Lehrer Zeno’s, Sohnes des Aristänetus: von Seiten der Peripatetiker Cleodemus, der streitsüchtige Schwätzer, den du kennst, und den seine Schüler nur den Säbel oder das Messer nennen. Sodann war auch der Epicuräer Hermon da, bei dessen Eintritt schon die Stoiker böse Gesichter gemacht, und sich mit allen Zeichen des Abscheues von ihm als einem fluchwürdigen Verbrecher weggewendet hatten. Diese waren von Aristänetus als seine Freunde und Bekannte eingeladen worden, und mit ihnen noch der Grammatiker Histiäus und Dionysodorus, Lehrer der Beredtsamkeit.

[1696] 7. Dem Bräutigam Chäreas zu Ehren hatte man seinen Lehrer, den Platoniker Ion gebeten, einen Mann von sehr ernstem, ehrwürdigem Aussehen, auf dessen Gesicht der Ausdruck eines gewissen feierlichen Anstandes lag. Mit Rücksicht auf die gemessene Ordnung seiner ganzen Denk- und Lebensweise gaben ihm seine Schüler den Beinamen Canon (Musterbild). Bei seiner Erscheinung erhoben sich Alle von ihren Plätzen und empfingen ihn als einen Mann, der nicht ihres Gleichen wäre. Und in der That, man glaubte ein höheres Wesen erscheinen zu sehen, als der große Ion eintrat.

8. Als die Gäste so ziemlich beisammen waren, und man sich zur Tafel lagerte, nahmen die Frauen, deren nicht Wenige zugegen waren, die Reihen rechts vom Eingange ein, und unter ihnen die Braut, sorgfältig verschleiert und von ihren Frauen umgeben. Der Thüre gegenüber ließ sich die übrige Menge nieder, Jeder nach seinem Rang und Ansehen.

9. Zuerst nahmen, den Frauen im Gesichte, Eucritus und Aristänetus Platz: nun aber entstand die Bedenklichkeit ob der Stoiker Zenothemis, oder der Epicuräer Hermon zunächst folgen solle. Jener war zwar der ältere; allein Dieser ist Priester der Dioscuren und Glied einer der ersten Familien der Stadt. Zenothemis half der Verlegenheit ab. „Wenn du mich“, sagte er zu Aristänet, „diesem Hermon nachsetzest, einem Menschen, der, um nichts Aergeres zu sagen, ein Epicuräer ist, so gehe ich auf der Stelle und bedanke mich für deine Mahlzeit!“ Mit diesen Worten rief er seinem Burschen und machte wirklich Miene, fortzugehen. [1697] „Setz dich meinetwegen immer zuerst, Zenothemis,“ versetzte Hermon, „wiewohl schicklich gewesen wäre, wenigstens meiner priesterlichen Würde den Vorrang zu lassen, wenn du auch vor Epicur noch so wenig Achtung hast.“ – „Ha ha!“ rief Zenothemis lachend, ein Epicuräer und ein Priester!“ Er nahm Platz, und gleich neben ihm Hermon, hierauf der Peripatetiker Cleodemus, dann Ion und neben ihm der Bräutigam, darauf ich, neben mir Diphilus mit seinem Schüler Zeno, endlich der Rhetor Dionysodorus und der Grammatiker Histiäus.

10. Philo. Vortrefflich, Lycinus! eine Tischgesellschaft beinahe von lauter Gelehrten, ein wahres Museum! Nun das lobe ich an Aristänet, daß er zur Feier seines erfreulichsten Tages vor Andern die Weisen laden wollte, und daß er von jeder Schule die Vornehmsten auslas und ohne Unterschied bei sich versammelte, ohne die eine Secte zu begünstigen, die andere auszuschließen.

Lycinus. Aristänet ist aber auch Keiner von den gemeinen Reichen: es liegt ihm sehr viel an den Wissenschaften, und er bringt seine Zeit meistens im Umgange mit Gelehrten zu.

11. Wir speisten also anfangs ganz friedlich zusammen. Die Tafel war herrlich besetzt; die feinsten Schüsseln, schmackhafte Brühen, Backwerk, mit dessen Aufzählung ich dich nicht aufhalten will, kurz Alles war im Ueberfluß vorhanden.

Inzwischen sagte Cleodemus halbleise, so daß ichs hören konnte, zu Ion ins Ohr: „Sieh doch den Alten dort (den Zenothemis nämlich), wie emsig er einführt! Er hat sein Kleid über und über mit Brühe besudelt, und steckt seinem hinter ihm stehenden Burschen ein Stück um das andere zu, [1698] in der Meinung, daß es Niemand merke, als ob hinter ihm nicht auch Leute wären. Zeige es doch dem Lycinus auch, damit wir noch einen Zeugen haben.“ Allein ich brauchte nicht erst darauf aufmerksam gemacht zu werden, da ich meine Augen überall hatte, und dem Treiben des Zenothemis schon eine gute Weile zusah.

12. Während Cleotemus sprach, plumpte der Cyniker Alcidamas ungeladen herein, und machte lachend den alten Waidspruch geltend : „Menelaus kommt von selbst!“[1] Man fand in der ganzen Gesellschaft ein solches Betragen höchst unverschämt, und es fehlte nicht an Solchen, die ihm ebenfalls aus Homer sehr treffend zu antworten wußten, und bald: „Rasest du denn, Menelaus?“[2] bald: „Aber nicht Agamemnon, des Atreus Sohne, gefällt es“ und andere gute Einfälle dieser Art zwischen den Zähnen murmelten. Denn sie laut werden zu lassen wagte Keiner, weil Alcidamas, „der mächtige Rufer im Streit“, unter alle Cynikern am heftigsten bellt, und wegen dieser Meisterschaft von aller Welt gefürchtet wird.

13. Inzwischen hieß ihn doch Aristänet willkommen, und lud ihn ein, auf einem Stuhle neben Histiäus und Dionysonor Platz zu nehmen. „Pfui! war seine Antwort, wie weibisch und weichlich auf einem Stuhl oder Polster sich niederzulassen, wie ihr auf eurem üppigen Lager da, mit den Purpurdecken unter dem Leibe, auf welchen ihr fast der ganzen Länge nach euch ausstreckt! Ich für meinen Theil [1699] mache mir Nichts daraus, stehend zu essen, oder im Saale dabei herumzugehen: und sollte ich müde seyn, so breite ich meinen Mantel auf die Erde und lege mich darauf, den Kopf auf den Ellenbogen gestützt, wie sie den Hercules malen.“ – „Wie es dir beliebt“, versetzte Aristäus. Und nun ging der Mann an den Tischen herum und fütterte sich, indem er immer, wie die Scythen, der besten Waide nachzog, und die auftragenden Bedienten auf allen Schritten verfolgte.

14. Aber indem er sich so waidlich belieben ließ, war er keineswegs müßig, sondern predigte zwischenein ein Langes und Breites von Tugend und Laster, und machte seine satyrischen Ausfälle auf das viele Gold und Silber. Den Aristänet fragte er unter Anderem, was er denn mit den vielen und kostbaren goldenen Pocalen wolle, da ja thönerne Becher die nämlichen Dienste thun? Um dem lästigen Schwätzer das Maul zu stopfen, gab Aristänetus einem Bedienten den Wink, einen mächtigen Humpen mit ungemischtem starkem Wein zu füllen und ihm zu reichen. Aristänet, der ein vortreffliches Mittel ersonnen zu haben glaubte, ahnte nicht, zu wie vielem Unheil dieser Humpen Anlaß geben sollte. Alcidamas empfing ihn, schwieg eine Zeitlang, und legte sich, wie er gedroht hatte, halbnackt auf den Boden, indem er den Ellenbogen aufstemmte und den Pocal in der Rechten hielt, gerade wie die Maler den Hercules in der Höhle des Pholus[3] darzustellen pflegen.

15. Unterdessen ging der Becher auch bei den Uebrigen fleißig in die Runde: man trank sich Gesundheiten zu, die [1700] Unterhaltung ward lebhaft, und schon wurden Lichter gebracht. Da bemerkte ich, wie ein Bursche, der neben Cleodemus stand, ein reizender junger Ganymed, verstohlen lächelte – denn ich denke, ich muß dir auch solche kleine Nebenscenen unseres Schmauses erzählen, zumal wenn sie ergötzlicher Art sind –: ich gab also genau Acht, was die Ursache davon seyn möchte. Nach einigen Augenblicken kam das Bürschchen wieder herbei, um die Trinkschale von Cleodemus zurück zunehmen. Dieser drückte ihm den Finger und wollte ihm, während er die Schale zurückgab, zwei Drachmen in die Hand gleiten lassen. Der Junge lächelte beim Drücken seines Fingers abermals, bemerkte aber das Geld nicht, wie ich vermuthe, und so fielen die beiden Drachmen klingend zu Boden. Die Beiden wurden über und über roth, während die nächsten Nachbarn einander fragten, Wem das Geld gehöre. Allein der Bursche läugnete, welches verloren zu haben, und Cleodem, neben welchem man es fallen gehört hatte, that gleichfalls, als ob es ihn Nichts anginge: man machte also weiter Nichts daraus, und ließ die Sache auf sich beruhen, da es nur Wenige bemerkt hatten. Aristänet war jedoch Einer von Diesen, wie ich glaube. Denn bald darauf wußte er’s einzuleiten, den jungen Menschen ohne Aufsehen aus dem Saale zu entfernen, und winkte dagegen irgend einem Stallknecht oder Kutscher, einem längst nicht mehr verführerischen derben Burschen, sich hinter den Cleodemus zu stellen. So ging diese kleine Begebenheit vorüber, die dem Cleodemus zu großer Beschämung hätte gereichen können, wenn sie allgemein bemerkt und nicht durch die gute [1701] Art, mit welcher Aristänet die Uebereilung seines bezechten Gastes hingehen ließ, vertuscht worden wäre.

16. Der Cyniker Alcidamas, der inzwischen sattsam getrunken, erkundigte sich jetzt nach dem Namen der Braut, und nachdem er mit lauter Stimme Stillschweigen geboten, rief er gegen die Frauen gewendet: „Ich trinke dir’s zu, Cleanthis, auf die Gesundheit des Hercules, meines Ordens Großmeisters!“ Alle brachen in ein Gelächter aus; er aber schriee: „Wie, ihr lacht, ihr Schufte, wenn ich’s der Braut auf den Namen des Hercules, meines Heiligen, zubringe? Daß ihr’s nur wißt, wenn sie nicht den Humpen von mir annimmt, so soll sie nie einen Sohn bekommen, wie ich bin, einen Kerl von so freiem Geist, so unbeugsamem Muthe, und so kräftigen Gliedmaßen“: und mit diesen Worten entblöste er sich zum größten Scandal. Aufs Neue erhob sich ein schallendes Gelächter der Gäste, und voll Grimmes erhob er sich und warf mit rollenden Augen giftige Blicke umher, so daß man ihm ansah, daß er nicht länger gesonnen sey, Frieden zu halten. Schon war es an Dem, daß er dem Nächsten Besten einen Streich mit seinem Knittel versetzte, als zum Glücke ein gewaltiger Kuchen hereingebracht ward. Dieser Anblick besänftigte seine Wuth: er machte sich an die Tische und fraß.

17. Nachgerade waren die Meisten trunken geworden und es herrschte verworrenes Geschrei im Saale. Der Rhetor Dionysodorus declamirte Tiraden aus seinen Reden, und ließ sich von den umstehenden Bedienten Beifall zollen; der unter ihm gelagerte Grammatiker Histiäus rhapsodirte, und mengte Stellen aus Pindar, Hesiod, Anacreon und allen möglichen [1702] Dichtern zum lächerlichsten Singsang zusammen: aber wie in prophetischer Vorahnung Dessen, was da kommen sollte, ließ er auch die Homerischen Worte vernehmen:

– – – – – umher stieg lautes Getös auf:
Jetzo erscholl Wehklagen und Siegesgeschrei miteinander.
Würgender dort und Erwürgter; und Blut umströmte das Erdreich.[4]

Zenothemis, der sich von seinem Burschen ein eng geschriebenes Manuscript hatte reichen lassen, hielt inzwischen eine Vorlesung.

18. Man hielt jetzt, wie das so der Brauch ist, mit dem Auftragen eine Zeit lang inne, und Aristänetus, der schon darauf bedacht war, daß auch diese Pause nicht leer und ohne Unterhaltung bleiben möchte, ließ jetzt einen Lustigmacher hereinkommen, um durch dessen schnurrige Einfälle und Geberden seine Gäste noch mehr aufzuheitern. Es erschien also ein häßliches Kerlchen, dem die Haare auf dem Kopfe, bis auf wenige borstenähnliche mitten auf der Scheitel, glatt geschoren waren. Er tanzte und gesticulirte unter den wunderlichsten Verdrehungen und Verzerrungen, und recitirte nach dem Tacte mit einem ägyptischen Accente gewisse Anapästen dazu. Am Ende ließ er seine lustigen Einfälle an den Anwesenden aus, und Jeder von uns lachte, wenn ihn die Reihe traf, der Gegenstand seines Witzes zu seyn.

19. Allein als er sich auch an Alcidamas machte und ihn unter Anderem ein Malteser Hündlein nannte, so ergrimmte Dieser, der längst schon auf den Beifall und die [1703] Aufmerksamkeit, welche dem Possenreißer von der ganzen Gesellschaft geschenkt wurde, eifersüchtig war, dergestalt, daß er seinen Mantel abwarf, und ihn auf einen Faust- und Ringkampf herausforderte. Stelle er sich nicht, setzte er drohend hinzu, so werde er ihm mit seinem Knüttel über den Schädel fahren. Was blieb also dem armen Satyrion (so hieß der Lustigmacher) übrig, als Stand zu halten und sich zu boxen? Da war es denn zum Todlachen, zu sehen, wie sich ein Philosoph mit einem Hanswurst balgte und abwechselnd Püffe empfing und austheilte. Viele der Zuschauer schämten sich des Auftritts, Andere aber lachten herzlich, bis endlich Alcidamas tüchtig durchgebläut, genug hatte und dem kleinen aber gedrungenen und faustfertigen Kerlchen gewonnen gab.

20. Noch lachten wir über den ergötzlichen Zweikampf, als der Arzt Dionicus hereintrat, der sich, nach seiner Aussage, verspätet hatte, weil er bei dem Flötenspieler Polyprepon zu thun gehabt. Dort hatte er ein seltsames Abenteuer bestanden. Dieser Flötenspieler hatte nämlich einen plötzlichen Anfall von Hirnwuth bekommen, was Dionicus nicht wußte, als er ihn zu besuchen kam. Kaum war er im Zimmer, als Polyprepon schnell aufsprang, die Thüre abschloß, seine Flöte ihm einhändigte, und drohend mit einem blanken Dolche, ihm zu blasen befahl. Allein Dionicus kann nicht Flöten spielen; weil es also nicht gehen wollte, so hieb ihm Polyprepon mit einer ledernen Peitsche über die Hände. In dieser mißlichen Lage kam Jener endlich auf folgenden glücklichen Gedanken. Er forderte den Kranken zum Wettstreit auf der Flöte, unter Bestimmung einer gewissen [1704] Anzahl Hiebe, heraus, und flötete zuerst, freilich erbärmlich genug, übergab hierauf die Flöte dem Anderen und nahm dafür die Peitsche und den Dolch in Empfang. Augenblicklich wirft er den Dolch durch das Fenster in den Hof, und indem er nun mit geringer Gefahr sich gegen ihn zur Wehr setzte, rief er die Nachbarn zu Hülfe, welche die Thüre einstießen und ihn befreiten. Zum Beweise zeigte er uns die Striemen der Hiebe und einige blutige Risse im Gesicht. Nachdem er seine Erzählung geendet, die man nicht minder lustig fand, als die Possen des Satyrion, flickte sich Dionicus in ein Plätzchen neben Histiäus hinein, um seine Mahlzeit von Dem, was wir übrig gelassen hatten, zu halten. Es war in der That eine glückliche Fügung, daß der Mann noch kam, dessen Anwesenheit uns bei den bald darauf erfolgten Auftritten sehr zu Statten kommen sollte.

21. Denn es trat jetzt ein Bedienter in den Saal und eröffnete uns, daß ihm sein Herr, der Stoiker Hetömocles mit einem Briefe und dem Auftrage hieher geschickt habe, diesen Brief in Gegenwart Aller laut vorzulesen und sich sodann wieder zu entfernen. Nachdem er von Aristänetus die Erlaubniß dazu erhalten hatte, trat er zur Lampe und las.

Philo. Ganz gewiß eine Lobrede auf die Braut, oder ein Hochzeitgedicht, dergleichen in Menge verfertigt werden?

Lycinus. Auch wir hatten Etwas dieser Art vermuthet; aber weit gefehlt! Das Schreiben lautete folgendermaßen:

22. Hetömocles der Philosoph entbietet dem Aristänetus seinen Gruß! Wie ich von jeher über [1705] Gastereien gedacht, wird meine ganze bisherige Lebensweise am Besten bezeugen. Obwohl weit Reichere, als du bist, mich mit ihren Einladungen tagtäglich behelligen, so habe ich gleichwohl noch keiner derselben Folge gegeben, weil ich weiß, wie lärmend und unanständig es bei dergleichen Gelagen zuzugehen pflegt. Ueber dich allein habe ich Ursache ungehalten zu seyn, daß du, ungeachtet ich dir schon seit so langer Zeit mit beharrlichem Diensteifer zugethan bin, mich nicht gewürdigt hast, zu der Zahl deiner Freunde zu gehören, sondern daß ich allein ausgeschlossen seyn soll, wiewohl wir so nahe Nachbarn sind. Dieß verdrießt mich nur um deiner willen, weil du dich dadurch als einen undankbaren Menschen verräthst. Was mich betrifft, so beruht meine Glückseligkeit nicht auf einer Portion Wildschwein- oder Hasenbraten oder auf einer Pastete, welche Dinge ich reichlich genug bei Anderen zu genießen bekomme, die wissen, was sich gebührt. Nur erst heute konnte ich, wenn ich gewollt hätte, einem köstlichen Schmause, wie sie es nennen, bei meinem Zuhörer Pammenes anwohnen, der mich dringend gebeten hatte: allein ich sagte nicht zu, weil ich Narr genug war, mich für dich sparen zu wollen.

23. Du aber lässest mich sitzen und tractirst Andere. Und das ist auch ganz in der Ordnung. Du bist noch nicht im Stande, das Bessere zu unterscheiden, und hast die richtig begreifende Vorstellungskraft nicht. Aber ich, weiß schon, von Wem Dieß herkommt, von Niemand Anderem, als von deinen großen Philosophen Zenothemis und dem Labyrinthischen, denen ich – und ich will mich nicht rühmen – mit [1706] einem einzigen Syllogismus augenblicklich das Maul stopfen wollte. Oder es soll mir einmal Einer von ihnen sagen, was die Philosophie sey. Oder auch nur, was jeder Anfänger weiß, worin der Unterschied bestehe zwischen Schesis und Hexis; um Nichts zu sagen von den schweren Aufgaben, dem Cornutus, dem Sorites, dem Schnitter.[5] Nun wohl bekomm’s! Ich, der ich nur das Sittlichgute für ein Gut halte, kann mir diese Hintansetzung gerne Gefallen lassen.

24. Uebrigens, damit du nicht hintennach deine Zuflucht zu dem Vorgeben nehmen möchtest, mich über dem Gedränge und der Unruhe in deinem Hause blos vergessen zu haben, so habe ich dich heute schon zweimal absichtlich begrüßt, einmal morgens früh in deinem Hause, und das zweitemal, wie du im Dioscurentempel opfertest. So viel zu meiner Ehrenrettung vor den Anwesenden.

25. Solltest du aber glauben, ich sey nur um des Essens willen so ungehalten, so erinnere dich nur der Geschichte des Oeneus. Auch der Unwille der Diana hatte keinen anderen Grund, als den, daß Oeneus, der doch all andere Götter zu Gaste gebeten hatte, sie allein nicht zu seinem Opferfeste lud, wie Homer sagt:

Achtlos, oder vergessend; doch groß war seine Verschuldung.[6]

und Euripides:

Dieß Land ist Calydon, ein blühend Blachfeld,
Der Küste Pelops gegenüber u. s. f.

und Sophocles:

[1707]

ein Ungethüm von einem Eber sandte einst
Leto’s erzürnte Tochter über Oeneus Au’n.[7]

26. Dieses Wenige, habe ich von dem Vielen, was mir zu Gebot steht, beigebracht, damit du einsehest, was für einen Mann du übergangen hast, um einen Diphilus zu bewirthen und ihm sogar deinen Sohn zu übergeben. Daran hast du wohl gethan. Der Mann ist deinem Knaben gar lieb: er weiß ihm seinen Umgang angenehm zu machen. Aber wenn ich mich nicht schämte, von solchen Dingen zu sprechen, so würde ich noch Etwas hinzusetzen, was du dir, wenn du Lust hast, von seinem Pädagogen Zopyrus sagen lassen kannst, und was die reine Wahrheit ist. Allein man soll keine Hochzeitfreude stören, noch anderen Leuten Uebles nachsagen, besonders wenn es so schändliche Dinge betrifft. Wenn übrigens Diphilus, der mir schon zwei Schüler abspänstig gemacht hat, würdig ist … doch um der Philosophie willen schweig ich lieber.

27. Ich habe meinem Diener befohlen, „wenn du ihm etwa eine Portion schwarzes oder rothes Wildbret oder Sesamkuchen geben solltest, um es mir zu bringen und dich damit wegen deines Fehlers zu entschuldigen, so solle er es nicht annehmen, damit man nicht glaube, als hätte ich ihn deßwegen abgeschickt.“ –

28. Ich gestehe, mein Freund, daß mir der Schweiß ausbrach vor Verlegenheit und Scham, als ich diesen Brief vorlesen hörte, und ich hätte, wie man zu sagen pflegt, in die Erde kriechen mögen, wie ich sah, daß die Anwesenden, [1708] zumal Diejenigen, welche vor Hetömocles seines grauen Kopfes und seines gravitätischen Aussehens wegen den größten Respect gehabt hatten, nun fast bei jedem Worte ein schallendes Gelächter erhoben. Sie waren nun erstaunt zu sehen, was für ein Subject unter der trügerischen Maske mit dem ehrwürdigen Barte und der strengen Miene versteckt war. Aristänet hatte ihn, wie ich zu bemerken glaubte, wirklich nicht aus Versehen übergangen, sondern geglaubt, Hetömocles würde die Einladung gar nicht angenommen und keine Lust gehabt haben, in einer Gesellschaft, wie die unsrige, sich finden zu lassen. Er hatte also nicht einmal den Versuch machen wollen, ihn zu bitten.

29. Als der Diener mit dem Vorlesen des Briefes zu Ende war, waren alle Blicke auf Zeno und Diphilus gerichtet, welche, leichenblaß vor Angst, durch die Verzweiflung in ihren Mienen die Bezüchtigungen des Hetömocles bewahrheiteten. Auch Aristänet war sichtbar bestürzt und in einer heftigen innern Bewegung ergriffen: doch hieß er uns trinken, versuchte das Geschehene mit guter Art zu beseitigen, nahm sogar eine freundliche und lächelnde Miene an, und entließ den Diener des Hetömocles mit der Antwort, es solle besorgt werden. Bald darauf ward auch Zeno unsichtbar, dem sein Pädagog auf Befehl des Vaters einen Wink gegeben hatte, sich zu entfernen.

30. Jetzt ergriff Cleodemus, der längst schon gesucht hatte, mit den Stoikern anzubinden, und vor Ungeduld bersten wollte, weil er keinen schicklichen Anlaß finden konnte, begierig die Gelegenheit, welche ihm dieser Brief darbot, und sagte: „Das sind also die saubern Früchte, welche ein [1709] Chrysipp, Zeno und Cleanthes erziehen, armselige Kunstwörter und Redensarten, Spitzfindigkeiten, und eine philosophische Außenseite; im Uebrigen sind fast Alle wie dieser Hetömocles! Dieser Brief, welches Alteweibergewäsche! Und vollends die Vergleichung des Aristänet mit Oeneus, des Hetömocles mit der Diana, beim Hercules, ein erfreulicher Glückwunsch für ein Verlobungsfest!“

31. „Nicht doch,“ fiel Hermon ein, der neben Jenem saß; „dem Manne muß zu Ohren gekommen seyn, daß Aristänet ein Wildschwein zubereiten ließ; deßwegen hat er den Calydonischen Eber so treffend angebracht. Also, um der Vesta willen, o Aristänet, schicke ihm doch schleunigst ein Stück davon, ehe der alte Kerl vor Hunger die Schwindsucht kriegt, wie weiland Meleager. Wiewohl er würde es sich nicht einmal viel anfechten lassen. Denn dergleichen Dinge sind ja nach des Chrysippus Lehre die indifferenten!“

32. Bei diesen Worten fuhr Zenothemis auf und schrie aus vollem Halse: „Wie? ihr untersteht euch, den Namen Chrysippus in den Mund zu nehmen, und große Weltweise, wie Cleanthes und Zeno, nach einem philosophischen Pfuscher und Windbeutel, wie Hetömocles, zu messen? Wer seyd denn ihr, daß ihr eine solche Sprache führet? Hast du nicht den Dioscuren ihre goldenen Locken abgeschoren, Hermon? Warte, Das sollst du am Galgen büßen! Und du, Cleodem, bist du nicht bei deines Zuhörers Sostratus Frau im Ehebruch ertappt und garstig dafür gezüchtigt worden? Und mit einem so schlechten Gewissen wollt ihr euch noch über Andere auslassen?“ – „Bin ich doch nicht meines eigenen [1710] Weibes Kuppler, wie du, versetzte Cleodemus: auch habe ich noch nie einem meiner Schüler sein bei mir hinterlegtes Reisegeld unterschlagen, und hernach mit einem feierliche Eid bei der Minerva beschworen, Nichts empfangen zu haben: noch habe ich je Geld auf den Wucherzins von vier Drachmen monatlich, ausgeliehen, oder meine Schüler bei der Kehle gepackt, wenn sie mir das Lehrgeld nicht auf den Tag zahlten.“ – „Aber Das wirst du mir nicht läugnen können,“ schrie Zenothemis, „daß du dem Crito Gift verkauft hast, um es seinem Vater beizubringen?“

33. Und mit diesen Worten goß er den Pocal, aus welchem er eben getrunken und der noch zur Hälfte voll war, den Beiden ins Gesicht, so daß auch Ion als der nächste Nachbar ganz unschuldig zu einem Antheil kam. Hermon wischte sich den Wein vom Kopfe, erhob sich und forderte uns Alle zu Zeugen der erlittenen Beleidigung auf. Cleodemus aber spie, in Ermangelung eines Pocals, dem Zenothemis ins Gesicht, packte ihn mit der linken Hand an seinem langen Barte, und war im Begriff, ihm einen Streich über den Schädel zu versetzen, der vielleicht dem Alten den Garaus gemacht hätte, wenn ihm nicht Aristänet den Arm zurückgehalten und sich zwischen Beide geworfen hätte, so daß sie von einander ablassen und Friede halten mußten.

34. Während dieser Auftritte machte ich mir so meine eigenen Gedanken, mein lieber Philo. Das Erste, was sich mir aufdringen mußte, war die alte Wahrheit, daß alles Wissen und alle Gelehrsamkeit nichts nütze sey, wenn nicht auch das Leben sich bessert und veredelt. Diese Männer suchen ihres Gleichen in ihrer Wissenschaft; aber wie lächerlich [1711] und verächtlich machten sie sich durch ihr Benehmen! Sodann wollte es mich bedünken, als ob sehr wahr sey, was man insgemein sagt, daß, Wer bloß über den Büchern sitzt, und seine ganze Aufmerksamkeit nur auf die Gedanken richtet, welche er in seinen Büchern findet, durch eben diese Gelehrsamkeit von der gesunden Vernunft abgeführet wird. Unter so vielen Philosophen, die anwesend waren, war auch nicht ein Einziger zu sehen, der ohne Vorwurf geblieben wäre. Die Einen beschimpften sich durch ihre Handlungen, die Anderen noch mehr durch ihre Reden. Und nicht einmal dem Weine konnte ich die Schuld davon beimessen, wenn ich bedachte, was ein Hetömocles ungegessen und ungetrunken schreiben konnte.

35. Die Verhältnisse hatten sich also rein umgekehrt. Die Laien betrugen sich die ganze Mahlzeit über aufs anständigste, ohne sich im Trinken zu übersehen, noch sonst eine Unziemlichkeit sich zu erlauben: nur lachten sie über Diejenigen, die sie vorher ihrer Außenseite wegen für etwas Rechtes gehalten und bewundert hatten, und überfüllten sich, schimpften, schrieen und geriethen sich in die Haare; ja der große Alcidamas schlug sogar, ohne Scham vor den Frauen, mitten im Saale sein Wasser ab. Mir fiel bei allen diesen Auftritten die Dichterfabel von Eris ein, mit welcher sich dieses Gelage sehr treffend vergleichen ließe. Man hatte bei des Peleus Hochzeitfeier vergessen, sie zum Feste zu laden, und zur Rache warf sie jenen Apfel unter die Gäste, welcher den unheilvollen Krieg über Ilium brachte. So hatte auch Hetömocles mit seinem Brief einen [1712] Zankapfel unter die Gesellschaft geworfen, und damit eine ganze Iliade voll Unheil gestiftet.

36. Denn wiewohl sich Aristänet zwischen Zenothemis und Cleodemus gelagert hatte, so hörten diese Beiden doch nicht auf, miteinander zu hadern. Endlich rief Cleodemus: „Für heute begnüge ich mich, euch euer Unwissenheit und Gemeinheit überwiesen zu sehen. Morgen werde ich mir erst auf dem rechten Wege Genugthuung zu verschaffen wissen. Nur Das beantworte mir noch, Zenothemis, oder du, sauberer Diphilus: wie kommt ihr dazu, den Besitz des Geldes für etwas Gleichgültiges zu erklären, da ihr doch lediglich auf nichts Anderes bedacht seyd, als wie ihr dessen immer mehr gewinnen möchtet, und euch deßwegen immer um die Reichen hermacht, Capitalien anlegt und Zinsen zusammen klaubt und eueren Unterricht für Geld verkauft? Ihr gebt ferner vor, Feinde der Wollust zu seyn und ziehet auf die Epicuräer los, während ihr doch das Schimpflichste thut und leidet, um euch sinnliche Genüsse zu verschaffen, und in Zorn gerathet, wenn man euch nicht zu Gastereien einlädt, und wenn ihr geladen werdet, so gefräßig über Alles herfallet und euern Bedienten so Vieles zustecket …“ und mit diesen Worten wollte er dem Burschen des Zenothemis seine mit Fleischwerk aller Art angefüllte Serviette aus der Hand reißen und auf den Boden ausleeren; allein der Bursche hielt sie aus allen Kräften fest.

37. „Ja, Ja!“ rief Hermon, „sie sollen sich verantworten, warum sie immer als Ankläger des sinnlichen Vergnügens auftreten, sie, die es doch selbst immer besser haben wollen als andere Leute.“ „Nein,“ schrie Zenothemis, „du sollst [1713] sagen, Cleodemus, warum du den Reichthum nicht für indifferent halten willst.“ – „Keineswegs,“ versetzte Jener, „es ist an dir!“ Und so schrieen sie eine gute Weile hin und her, bis sich Ion erhob und ihnen zurief: „Hört einmal auf! Ich will euch, wenn ihr wollt, eine Unterhaltung vorschlagen, die unserem gegenwärtigen Feste angemessener seyn wird. Jeder sage seine Meinung ohne Rechthaberei, und höre friedlich zu, wenn ein Anderer spricht, wie denn auch die philosophische Unterhaltung bei unserem Meister Plato meist in solchen Wechselreden bestand.“ Alle lobten diese Vorschlag, besonders aber Aristänetus und Eucritus, welche hofften, daß nun den bisherigen Verdrießlichkeiten werde ein Ende gemacht werden; und in dieser Voraussetzung, daß jetzt Friede sey, begab sich Aristänet wieder an seinen vorigen Platz.

38. Indessen wurde der letzte Gang aufgetragen, den man gewöhnlich den Gästen mit nach Hause zu nehmen vergönnt, auf den Mann ein Huhn, eine Portion Wildschwein- und Hasenbraten, ein gebackener Fisch, ein Sesamkuchen und Naschwerk zum Nachtisch. Uebrigens wurde nicht jedem Gast eine eigene Schüssel vorgesetzt, sondern je zwei erhielten zusammen Eine Schüssel auf Einem Tische, so daß Jeder das vor ihm Liegende nehmen sollte. Das erste Paar waren Aristänet und Eucritus, das zweite Zenothemis der Stoiker, und Hermon der Epicuräer; hierauf kamen Cleodemus und Ion, nach Diesen der Bräutigam und ich: dann Diphilus, der zwei Portionen vor sich stehen hatte, weil Zeno weggegangen war. Merke dir diese Anordnung, Philo, weil es wegen des Folgenden nöthig ist, sie zu wissen.

[1714] Philo. Ich werde sie nicht vergessen.

39. Lycinus. Nun nahm der Platoniker Ion das Wort und sagte: „So will ich denn den Anfang machen, wenn es euch recht ist. – Ich sollte freilich – hob er nach einer kleinen Pause an – in einer Gesellschaft von solchen Männern von den Ideen und unkörperlichen Dingen so wie von der Unsterblichkeit der Seele sprechen: um aber nicht den Widerspruch Derjenigen rege zu machen, welche entgegengesetzten philosophischen Systemen zugethan sind, will ich zweckmäßige Gedanken über das Heirathen vortragen. Das Beste wäre nun freilich, wenn man das Heirathen gar nicht nöthig hätte, sondern dem Plato und Socrates folgen und die Knabenliebe vorziehen wollte. Wenn es aber ja seyn muß, daß Verbindungen mit Weibern eingegangen werden, so sollen Diese, wie es Plato verlangt, gemeinschaftlich seyn, damit aller Anlaß zum Eifern beseitigt sey.

40. Alle lachten über das unschickliche Geschwätz an einem Hochzeitschmause! Dionysodorus aber, der Rhetoriker, sagte: „Pfui! welche unclassischen Ausdrücke! Wo finden wir, daß jemals ein Schriftsteller Eifern sagte statt Eifersucht?“ – „Was weißt denn du zu schwatzen, elender Tropf?“ war Ion’s Antwort. Darauf diente ihm Dionysodor wieder mit einigen derben Grobheiten; aber der Grammatiker Histiäus, dieser köstliche Mann, erhob sich mit den Worten; „Stille! seyd ruhig! ich will euch ein Hochzeitsgedicht vorlesen!“ Und nun fing er an, folgende Distichen, wenn ich sie recht behalten habe, vorzutragen:

[1715]

41. Dieß ist Prinzessin Cleanthis, die göttliche, welche sich aufzog
     Aristänetus hier sorgsam in seinem Palast.
Stattlich ist sie zu schauen vor allen anderen Frauen,
     Schöner als Venus noch, schöner als Helena gar.
Und du, o Bräutigam, sey mir gegrüßt, fürnehmster von Allen,
     Herrlicher als Nireus, und als der Thetis ihr Sohn.
Wir aber werden hinfort euch diesen hochzeitlichen Hymnus,
     Der euch Beiden gehört, mehrmals noch singen wie jetzt.

Ein herzliches Gelächter empfing verdientermaßen das Machwerk.

42. Inzwischen war es Zeit geworden, die vorgesetzten Eßwaaren wegzunehmen. Aristänet und Eucritus nahmen also, Jeder was vor ihm lag; eben so ich und Chäreas, Ion und Cleodemus. Diphilus aber wollte sich auch der andern, für den abwesenden Zeno bestimmten Portion bemächtigen und behauptete, das Ganze gehöre ihm, weil es vor ihm liege. Er wehrte sich gegen die Diener, die sie ihm wegziehen wollten, und so gerieth das Huhn, wie einst des Patroclus Leichnam, über dem Hin- und Herzerren in Gefahr, in Stücke zerrissen zu werden: endlich aber mußte er nachgeben und seine Beute fahren lassen, was allen Gästen um so mehr zu lachen gab, je heftigen er über dieses vermeintliche Unrecht ergrimmt war.

43. Hermon und Zenothemis saßen, wie gesagt, neben einander und hatten eine gemeinschaftliche Schüssel. So lange ihre Antheile gleich waren, nahm Jeder den seinigen ganz verträglich. Allein das Huhn, das vor Hermon lag, war, vermuthlich aus bloßem Zufall, fetter als das andere. Anstatt nun das Seinige zufrieden hinzunehmen, greift Zenothemis – und nun wohl aufgemerkt, lieber Philo, wir stehen [1716] jetzt an der Hauptbegebenheit – greift also Zenothemis über das Seinige weg nach dem fettern Huhn des Hermon. Dieser wollte sich nicht übervortheilen lassen, und greift auch darnach; darüber entsteht ein Geschrei, sie geraten an einander, schmeißen sich die Hühner ins Gesicht, packen sich an den Bärten, und rufen zu Hülfe, Hermon den Cleodemus, Zenothemis den Alcidamas und Diphilus. Sie nahmen jetzt Partei, die Einen für Diesen, die Andern für Jenen; nur Ion hielt sich neutral.

44. In der allgemeinen Balgerei, die jetzt entstanden war, hob Zenothemis einen großen Pocal, der vor Aristänetus stand, vom Tische, und warf ihn nach Hermon;

Doch ihn selber verfehlt’ er, und seitwärts flog ihm der Humpen,[8]

spaltete dem Bräutigam den Schädel und versetzte ihm eine tüchtige und tiefe Wunde. Unter gellendem Geschrei stürzten sich jetzt die Weiber zwischen die Streitenden, besonders die Mutter des jungen Menschen, als sie sein Blut fließen sah. Auch die Braut kam voller Angst herbeigerannt. Indessen arbeitete Alcidamas, als Verbündeter des Zenothemis, mit seinem Knüttel meisterlich, schlug dem Cleodem ein Loch in den Kopf, versetzte dem Hermon einen Treff auf die Kinnlade, und verwundete mehrere Bedienten, die ihnen zu Hülfe kommen wollten. Aber seine Gegner ließen sich nicht abtreiben. Cleodem drückte dem Zenothemis mit dem Finger ein Auge aus und zerbiß ihm die Nase; und Diphilus, der Diesem zu Hülfe kommen wollte, wurde von Hermon mit dem Kopfe zur Erde gestoßen.

[1717] 45. Auch der Grammatiker Histiäus kam übel weg; er hatte sie auseinander bringen wollen, und bekam dafür von Cleodemus, der ihn für Diphilus hielt, einen Fußtritt in die Zähne. Da lag denn der arme Wicht, und „sprudelte Blut aus,“ um mit seinem Homer zu reden. Kurz im ganzen Saale war nichts als Tumult und Jammer. Die Weiber drängten sich heulend um Chäreas her, und waren nicht zu trösten. Das furchtbarste Ungethüm von allen aber war Alcidamas, der, da er sich nun einmal im Vortheil sah, zuschlug, wohin es traf: und, glaube mir, es wären nicht Wenige gefallen, wenn nicht zum Glück sein Knüttel in Stücken gegangen wäre. Ich meines Orts hatte mich an die Wand gestellt und sah dem ganzen Getümmel zu, ohne mich einzumischen, von dem Beispiel des Histiäus belehrt, wie gefährlich es ist, in solchen Fällen den Vermittler spielen zu wollen. Denn in der That, man glaubte unter Lapithen und Centauren zu seyn, wenn man die umgestürzten Tische, das strömende Blut und die hin und wieder fliegenden Pocale sah.

46. Endlich warf Alcidamas gar die Lampe um, und versetzte uns in die dickste Finsterniß. Man war jetzt um so übler daran, weil nicht gleich wieder Licht zur Hand war, und inzwischen viel Unfug in der Dunkelheit verübt wurde. Denn als endlich Jemand wieder Licht hereinbrachte, hatte Alcidamas die Flötenspielerin entblöst und war eben im Begriff, sich mit aller Gewalt über sie herzumachen. Dionysodor ward über einem anderen Stückchen ertappt. Denn als er aufstehen wollte, fiel ein Becher aus dem Bausch seines Kleides, und um sich zu entschuldigen, wußte er nichts Anderes vorzubringen, als: Ion hätte ihn während des [1718] Tumultes vom Boden aufgehoben und ihm gegeben, damit er nicht verloren ginge. Und Ion wollte wirklich glauben machen, er hätte dieß aus Vorsicht gethan.

47. So schloß denn unser Schmaus, so tragisch er geworden, am Ende noch mit Lachen über Alcidamas, Dionysodor und Ion. Die Verwundeten mußten getragen werden, so übel befanden sie sich. Der alte Zenothemis, der mit der einen Hand seine gebissene Nase, mit der anderen sein Auge zuhielt, schrie, er vergehe vor Schmerz, so daß Hermon, wiewohl selbst übel genug zugerichtet – denn es waren ihm zwei Zähne ausgeschlagen worden – sich dieser Aeußerung als eines Zeugnisses gegen ihn bediente und sagte: „Vergiß nicht, Zenothemis, daß dir der Schmerz heute nicht indiffent vorkam!“ Der arme Bräutigam, dem seine Hochzeitfeier so sehr verbittert worden war, wurde, nachdem Dionicus seine Wunde in Behandlung genommen, mit verbundenem Kopfe in den Wagen gebracht, in welchem er seine Braut dem älterlichen Hause hätte entführen sollen, und nach seiner Wohnung gefahren. Auch die Uebrigen besorgte Dionicus, so gut er konnte. Die Meisten wurden schlafend weggetragen, und Einige erbrachen sich auf der Straße. Nur Alcidamas blieb auf dem Platze. Es war keine Möglichkeit, ihn aus dem Saale zu schaffen, nachdem er sich einmal in die Quere über ein Polster geworfen hatte und eingeschlafen war.

48. Dieß, mein lieber Philo, war der Ausgang dieses Gastmahls, auf welches jene Schlußworte des Tragikers anzuwenden sind:[9]

[1719]

Vielfach ist der Schickungen Wechselgestalt;
Viel gibt ungeahnt ein Götterbeschluß,
Und das Erwartete bleibt unvollendet,
Da die Gottheit fügt, was unmöglich gedäucht.

Denn, in Wahrheit, recht gegen alle Erwartung waren uns diese Auftritte. Das habe ich übrigens daraus gelernt, daß es für einen friedfertigen Menschen eine mißliche Sache ist, mit Weltweisen dieses Schlages zu Gaste zu seyn.



  1. Iliade II, 408.
  2. Iliade VII, 109.
  3. Apollodor II, 4, 4.
  4. Il. IV, 449. ff.
  5. S. Bdchn. III, S. 362.
  6. Il. IX, 533.
  7. Fragmente.
  8. Parodie von Iliade IX, 233.
  9. Eurip. Bacchant. 1237 fl. nach Bothe. Auch am Schlusse der Helena, Andromache und Alcestis.