Das Lied eines Dankbaren

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Autor: unbekannt
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Titel: Das Lied eines Dankbaren
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 736
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Die Beerdigung von Ludwig Brehm, Vater von Alfred Brehm
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[736] Das Lied eines Dankbaren. Vor Kurzem sind die Leser der Gartenlaube an den am 23. Juni verstorbenen großen Freund und Kenner der Vögel, Ludwig Brehm, durch ein Bild von meisterhafter Künstlerhand und durch die Schilderung von kundiger und dankbarer Sohneshand erinnert worden. Ludwig Brehm war als Pfarrer, wie als Mann der Wissenschaft gleich ehrwürdig, dabei als Mensch so liebenswürdig und als Gesellschafter so heiter und unterhaltend, daß sich jeder glücklich preisen konnte, dem es auf längere oder kürzere Zeit vergönnt war, in seiner Nähe, ihn beobachtend und genießend, zu verweilen. Man schaute da einen außerordentlichen Mann, und doch in seiner Erscheinung einen so schlichten und in seiner Umgangsweise so kindlich harmlosen Menschen, daß man ihm nicht fern stehen blieb, sondern sich ihm auf das Innigste anschloß.

Als daher der Tag und die Stunde seiner Beerdigung gekommen war – es war Sonntag den 26. Juni, Nachmittag vier Uhr – da eilten nicht nur die Mitglieder der ihm anvertrauten Gemeinden, sowie die Bewohner der Nachbardörfer in der Runde, sondern auch mancher Freund und Verwandter aus der Ferne herbei, um dem theuern Dahingeschiedenen ein letztes Ruhe sanft! in die Gruft nachzurufen, und viele Thränen flossen dem liebevollen Gatten und Vater, dem treuen Seelenhirten und Freunde. Das Wetter war nicht eben freundlich, es war stürmisch und regnerisch; aber sowohl vor der Pfarrwohnung, wie auf dem Gottesacker fand die Trauerversammlung günstige ruhige Augenblicke, ja selbst die Sonne sandte freundliche Strahlen in das geöffnete Grab, in welches der Entschlafene eben gesenkt werden sollte. Der Sarg ward in das Grab hinabgelassen, und alle Anwesenden beteten still. Eine lautlose, heilige, wehmüthige Ruhe waltete über und um den menschenvollen Gottesacker. Da – als Glocken, Gesang und Rede schwiegen – da erhob ein Vöglein aus einem Gesträuch am Rande des Gottesackers seine Stimme – es war eine Grasmücke – und sang sein süßes Lied, das über die ganze Versammlung schallte; mitten in dieser Stille das Danklied eines Vogels, es war ein Moment ergreifendster Andacht.

Wie hätten auch die Vögel beim Begräbniß Ludwig Brehm’s schweigen können? Im Namen sämmtlicher Vögel der Erde, die Brehm alle nach ihren Arten und Unterarten kannte, sang die Grasmücke das Lob ihres großen Freundes und rief ihm mit ihren lieblichen Klängen Dank und Segen in die Gruft nach, ihm, der sie so oft und so freundschaftlich belauscht, der sie so viel bewundert und geliebt und sie bewundern und lieben gelehrt, der noch am Tage vor seinem Tode durch’s offne Fenster ihrem Gesange zugehört hatte. Wer das Lied dieses dankbaren Vogels am Grabe Ludwig Brehm’s vernommen, dem ist es gewiß tief zu Herzen gedrungen und wird ihm unvergeßlich bleiben. Dieses Lied des dankbaren Vogels bildete den schönsten, würdigsten und erhebendsten Schluß der Begräbnißfeierlichkeit, wie denn in der That die Töne dieses Vogels die letzten Klänge waren, welche bei der Beerdigung vernommen wurden.

Die Menge zerstreute sich hierauf still, und die Todtengräber verrichteten ihr Amt. Wer aber von den Lesern der Gartenlaube einmal nach dem Neustädter Kreise des Großherzogthums Sachsen-Weimar kommt, wenn der Sommer wieder zum Genuß der Natur hinaus in’s Freie und in’s Weite ruft, der versäume nicht, das malerisch gelegene Renthendorf in seinem tiefen Thale zu besuchen. Dann steige er hinauf auf den Hügel, auf dem die Kirche steht, und weihe da dem Andenken eines seltenen und edlen Mannes, eines wahren geistlichen Vaters und eines großen Naturforschers seine dankbare Verehrung. Und wenn etwa ein Vöglein dabei auch seine Stimme erhebt – dann denke er der Grasmücke, welche zuletzt bei der Beerdigung Ludwig Brehm’s ihre Stimme tönen ließ und dadurch der Feierlichkeit die letzte Weihe gab!
Z.