Das Mädchen spricht
Die Erwachsenen, die Vernünftigen haben von altersher den Aberglauben aufgebracht, daß die Jugend die Epoche ist, in der man etwas wird. Eine Lehrzeit und Vorbereitung für das Leben. Was das eigentlich für ein Leben sein soll, darüber drücken sie sich nicht näher aus. Und sie tun klug daran, es nicht zu tun, eben so klug, wie, daß sie diese ihre Erfindung jedem Kind von klein auf als unwiderrufliche Selbstverständlichkeit einprägen. So beherrschen sie die Gegenwart.
Den Jungen gehört angeblich die Zukunft. Das heißt, ehe sie nicht ganz zurecht geschliffen und der Allgemeinheit eingefügt sind, haben sie „an sich zu arbeiten“. Sie haben zu lernen, um so zu werden wie die andern. Erreichen sie das, befähigt sie Examen oder Titel zu öffentlicher Betätigung, „sind sie etwas“, wie man sagt, so ist ihnen ihre versprochene Zukunft auch schon zu grauer Vergangenheit zerbröckelt. Und als schlaue Alte belächeln sie ihre „Ideale“.
Sie wissen dabei nicht, daß man ihnen diese Ideale nur vorgeschmuggelt hat, um rechtzeitig zu verhindern, daß sie um sich sehen. Denn die Blicke der Jungen sind gefährlich. Noch fehlen ihnen die Brillen der Gewohnheit.
Jung sein heißt jeden Tag und jedes Ereignis unmittelbar erschauen können, unbeirrt durch Ziele, Zwecke und Erfolge. Jung sein heißt das Leben sehen, wie es ist, gegenwärtig, nackt, grausam. Und deshalb heißt jung sein, Kritik üben müssen, unbarmherzig und gerecht.
Das alles sind unbequeme Eigenschaften. Es ist außerordentlich peinlich, fortwährend als Sprengstoff herumzulaufen, manchmal sogar lächerlich. Die einen geben nach, die andern zersplittern sich in schlechten Gedichten und wieder andere spielen Fußball. Das ist schade.
Der Gang der Weltgeschichte hat in den letzten Jahren ein unheimliches, ein mordendes Tempo eingeschlagen. Dieses Tempo greift hinein in jedes Einzelschicksal, erregt den Alltag, entzündet jede Kleinigkeit erschütternd grell. Auf allen Straßen warten Abenteuer und Gefahren, vertreiben die falsche Romantik falscher Ideale. Die Jugend kann sich nicht mehr auf die Zukunft vertrösten lassen, sie muß hervortreten und handeln, jetzt, gleich, sofort, noch heute.
Dies sind wohl die Gründe, weshalb der „Tag“ alle, die wahrhaft jung sind und die den Mut haben, es zu sein, auffordert, mit ihm zu arbeiten, weshalb er ihnen Gelegenheit geben will, zu sprechen und gehört zu werden. Nicht, weil sie besser oder klüger sind als die andern. Sondern, weil sie vielleicht noch nicht so vernünftig sind, um sich der Unvernunft zu beugen. Weil ihnen das Leben höher steht als die Karriere, der Mensch höher als das Leben und die Sache höher als der Mensch.