Das Schneekind
Hört zu und merkt
Treulich alles Volk den tollen Schwank,
Wie’s des Schwaben Frau gelang,
Trügen ihren Mann,
Von Konstanz fuhr
Einst ein Schwäble hin wohl übers Meer,
Waren tauschen hin und her;
Derweil schuf sein Weib
Kaum fuhr das Schiff
Auf den wüsten Wogen,
Kam ein Wetter da
Plötzlich aufgezogen;
Wild die Winde wehn,
Hoch die Wellen gehn,
Und den heimatlosen Mann
Wirft in fernem Land
Indes zu Haus
War das Weib nicht träge:
Gaukler waren nah,
Burschen auf dem Wege;
Schlug sie aus dem Sinn,
Gab sich willig hin.
War’s zu rechte nicht:
Zwei Jahre vorüber waren,
Da kehrt nach Haus er sonder Harm;
Entgegen eilt ihm die Fraue
Und hält das Knäblein auf dem Arm.
Doch dann heißt’s: „Wes ist das Kind?
Rede sollst du stehn;
Sonst müss’ es gleich dir übel gehn.“
Die Fraue, in Todesängsten,
„Ach Liebster, da steh’ ich“, spricht sie,
„Eines Tages auf hoher Firn;
Nach dir in Sehnsucht ich dort vergeh“:
Da nahm ich ein wenig Schnee –
Davon dies Kindlein ich empfieh.’ –
Endlich rüstet wieder
So nach fünf, sechs Jahren
Sich der Kaufmann, unstät
Bessert aus das morsche Schiff,
Richtet neu es her
Und führt das Schneekind übers Meer.
Dort an ferner Küste
Einem fremden Kaufmann
Setzt er es zu Pfande:
Und kehrt heim zur Stund
Aber nun zu Hause
Hebt er an zu klagen:
„Ach, was soll ich, Liebste,
Dir zum Troste sagen?
Der gewißlich dir
Nicht teurer konnte sein denn mir.
Sieh, es kam ein Wetter,
Und der Wellen Branden
Uns Erschöpfte stranden;
Und wie glüh auf unser Haupt
Dort die Sonne schien, –
Da, siehe, schmolz das Schneekind hin....“
Anmerkungen (Wikisource)
Es handelt sich um die früheste Formulierung des weit verbreiteten Schwanks vom Schneekind.
Zur lateinischen Vorlage, bekannt als Modus Liebinc siehe Volker Schupp, in: Verfasserlexikon 2. Aufl. Bd. 6, 1987, Sp. 630-632
Ausgabe von Karl Strecker, Die Cambridger Lieder, 1926 dMGH, S. 41-44
Lateinischer E-Text nach Carmina Cantabrigiensia Nr. XIV (nach gleicher Ausgabe) in der Bibliotheca Augustana.