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Das Schneekind

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Unbekannt
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Titel: Das Schneekind
Untertitel:
aus: Deutsche Dichter des lateinischen Mittelalters in deutschen Versen. S. 213-215
Herausgeber: Hermann Reich
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Oskar Beck
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Erscheinungsort: München
Übersetzer: Paul von Winterfeld
Originaltitel: Modus Liebinc
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google/MGH-Bibliothek und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Lateinischer Schwank aus den Carmina Cantabrigiensia
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[213]
DAS SCHNEEKIND


Hört zu und merkt
Treulich alles Volk den tollen Schwank,
Wie’s des Schwaben Frau gelang,
Trügen ihren Mann,

5
Und wie er gleiches ihr getan.


Von Konstanz fuhr
Einst ein Schwäble hin wohl übers Meer,
Waren tauschen hin und her;
Derweil schuf sein Weib

10
Daheim sich guten Zeitvertreib.


Kaum fuhr das Schiff
Auf den wüsten Wogen,
Kam ein Wetter da
Plötzlich aufgezogen;

15
Brausend steigt die Flut,

Wild die Winde wehn,
Hoch die Wellen gehn,
Und den heimatlosen Mann
Wirft in fernem Land

20
Ein Südsturm schließlich auf den Strand.


Indes zu Haus
War das Weib nicht träge:
Gaukler waren nah,
Burschen auf dem Wege;

25
Rasch den fernen Mann

Schlug sie aus dem Sinn,
Gab sich willig hin.

[214]
Alsobald sie schwanger ward –

War’s zu rechte nicht:

30
Das Kind kam rechter Zeit ans Licht. –


Zwei Jahre vorüber waren,
Da kehrt nach Haus er sonder Harm;
Entgegen eilt ihm die Fraue
Und hält das Knäblein auf dem Arm.

35
Erst begrüßt er sie gar treugesinnt;

Doch dann heißt’s: „Wes ist das Kind?
Rede sollst du stehn;
Sonst müss’ es gleich dir übel gehn.“

Die Fraue, in Todesängsten,

40
Lügt und schwindelt mit dreister Stirn:

„Ach Liebster, da steh’ ich“, spricht sie,
„Eines Tages auf hoher Firn;
Nach dir in Sehnsucht ich dort vergeh“:
Da nahm ich ein wenig Schnee –

45
Sieh, ach, Liebster, sieh,

Davon dies Kindlein ich empfieh.’ –

Endlich rüstet wieder
So nach fünf, sechs Jahren
Sich der Kaufmann, unstät

50
Über See zu fahren;

Bessert aus das morsche Schiff,
Richtet neu es her
Und führt das Schneekind übers Meer.

Dort an ferner Küste

55
Bringt er es zu Lande,

Einem fremden Kaufmann
Setzt er es zu Pfande:

[215]
So wird er den Jungen los

Und kehrt heim zur Stund

60
Als reicher Mann mit hundert Pfund.


Aber nun zu Hause
Hebt er an zu klagen:
„Ach, was soll ich, Liebste,
Dir zum Troste sagen?

65
Dein geliebter Sohn ist hin,

Der gewißlich dir
Nicht teurer konnte sein denn mir.

Sieh, es kam ein Wetter,
Und der Wellen Branden

70
Ließ auf seichten Bänken

Uns Erschöpfte stranden;
Und wie glüh auf unser Haupt
Dort die Sonne schien, –
Da, siehe, schmolz das Schneekind hin....“


Anmerkungen (Wikisource)

Es handelt sich um die früheste Formulierung des weit verbreiteten Schwanks vom Schneekind.

Zur lateinischen Vorlage, bekannt als Modus Liebinc siehe Volker Schupp, in: Verfasserlexikon 2. Aufl. Bd. 6, 1987, Sp. 630-632

Ausgabe von Karl Strecker, Die Cambridger Lieder, 1926 dMGH, S. 41-44

Lateinischer E-Text nach Carmina Cantabrigiensia Nr. XIV (nach gleicher Ausgabe) in der Bibliotheca Augustana.