Das Schweizerische Landesmuseum in Zürich

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Autor: A. Kr.
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Titel: Das Schweizerische Landesmuseum in Zürich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 481–482
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0481.jpg

Nach einer Aufnahme von Gebr. Wehrli in Zürich.


Das Schweizerische Landesmuseum in Zürich.

Der 25. Juni gestaltete sich in Zürich zu einem glanzvollen Festtage. Aus allen Kantonen der Schweiz waren in den Mauern der Stadt Abordnungen erschienen, um teilzunehmen an einer bedeutungsvollen Feier. Galt es doch, das Schweizerische Landesmuseum zu eröffnen, das die ruhmreiche Vergangenheit des freien Alpenlandes in herrlichen Kunstschätzen, Erzeugnissen des Gewerbfleißes und Waffenrüstungen seiner Bewohner veranschaulicht. Bis dahin hatte die Schweiz wohl Sammlungen besessen, in welchen die geschichtlichen Denkmäler einzelner Kantone oder Gegenden pietätvoll aufbewahrt wurden, es fehlte ihr aber eine Stätte, an welcher durch wertvolle Sammlungen die kulturgeschichtliche Entwicklung des gesamten Landes klar und deutlich dem Auge des Besuchers sich darbieten konnte.

Der Gedanke, eine solche Stätte zu schaffen, war frühzeitig entstanden. Schon vor hundert Jahren, zur Zeit der „Helvetischen Republik“, plante das Direktorium die Errichtung eines schweizerischen Nationalmuseums; aber in jenen unruhigen Zeiten fehlte es an Sammlung und auch an Geldmitteln, um den Gedanken zu verwirklichen. Später kamen Jahrzehnte, in welchen das Land einen hohen wirtschaftlichen Aufschwung nahm, aber der Sinn der Bevölkerung zumeist auf nüchterne praktische Ziele gerichtet war. Erst in der Neuzeit wurde die Frage von neuem angeregt, und vor allem trat der Kunsthistoriker und Nationalrat Prof. Salomon Vögelin in zündenden Reden für die Errichtung eines Landesmuseums ein. Seine Anregung fiel diesmal auf günstigen Boden; die Bundesregierung bewilligte namhafte Mittel, hochherzige Männer waren eifrig bestrebt, im In- und Auslande wertvolle Sammlungen zu erwerben, und endlich wurde im Jahre 1890 die Frage des Ortes, an welchem das neue Museum errichtet werden sollte, endgültig entschieden. Aus dem Wettstreit der Schweizerstädte ging Zürich siegreich hervor, und im nächsten Jahre wurde der Bau begonnen. Leider war es Vögelin nicht mehr vergönnt, diesen Augenblick zu erleben, aber er fand in anderen Männern, namentlich in dem Direktor des Museums, H. Angst, würdige Nachfolger, die das große Werk mit Sachkenntnis und Umsicht der Vollendung entgegenführten.

Fünf Jahre dauerte die Herstellung des Baues, dessen Kosten sich auf zwei Millionen Franken belaufen. Er erhebt sich auf der Platzpromenade in unmittelbarer Nähe des großartigen Züricher Bahnhofes an den Ufern der rasch dahinströmenden Limmat und fesselt das Auge des Beschauers durch seine Eigenart. Der geniale Züricher Architekt Gustav Gull ließ hier anstatt eines Riesenhauses eine förmliche Burganlage erstehen, die aus einer Anzahl von Gebäuden sich zusammensetzt. Verschiedene Baustile sind zu einem harmonischen Ganzen vereinigt; denn der Gedanke war maßgebend, die Kunstschätze verschiedener Epochen in Bauten unterzubringen, die sowohl im Aeußern wie im Innern sich möglichst deren Charakter anschmiegen.

Unsere obenstehende Abbildung zeigt uns die weitläufige, mit einem geräumigen Vorhof versehene Bauanlage. Ein Thorturm überragt das Ganze. In dem kleineren Flügel, der sich rechts von ihm abzweigt, hat die Züricher Kunstgewerbeschule mit ihren reichen Sammlungen ein würdiges Heim gefunden; in dem anderen größeren Flügel mit dem wirkungsvollen gotischen Hauptbau ist das eigentliche Museum untergebracht.

Zur Feier der Eröffnung hatte sich in den Vormittagsstunden des 25.Juni eine glänzende Versammlung im Vorhof des Museums eingefunden. Mitglieder des Bundesrates und der Bundesversammlung, die Abordnungen aus allen Kantonen der Schweiz, Vertreter der Kunst, der Wissenschaft und der Bürgerschaft waren erschienen. Der Bundespräsident Eugen Ruffy und der Stadtpräsident Pestalozzi hielten Reden, worauf der riesige Schlüssel zum Landesmuseum, den zwei kleine Mädchen, Töchter des Architekten Gull, auf einem weißseidenen Kissen brachten, dem Bundesrat Lachenal, Vorsteher des Departements des Innern, übergeben wurde. Nun erschloß sich die mächtige Pforte, und die Festteilnehmer traten den ersten Rundgang durch die herrlichen Räume an.

Mehr als zwei Jahrtausende der Geschichte des Schweizerlandes überblickt hier das staunende Auge. All die alten Geräte, die Kunstschätze, die Zimmereinrichtungen, die Trachten und die Waffen gewähren uns Einblicke in das Leben und Weben, in die Mühen und Sorgen und in das kunstsinnige Streben längst verschollener Menschengeschlechter.

In den ersten Sälen, die wir betreten, fesseln Denkmäler der Vorgeschichte unsere Aufmerksamkeit. Hier sind Funde aus jener altersgrauen Zeit aufgestellt, aus der kein geschriebenes Wort, keine im Volksmund aufbewahrte Sage zu uns gedrungen [482] sind. Und wie reich ist nicht gerade die Schweiz an solchen Funden! Da sehen wir die Ueberreste der Menschen, die einst in den Höhlen bei Schweizersbild und Thayngen im Kanton Schaffhausen gewohnt haben, und neben ihnen die überaus reichen Funde aus der Pfahlbautenzeit, die seit 1853 in den schweizer Seen gemacht wurden. Werkzeuge und Schmuck aus der Stein- und Bronzezeit liegen geordnet vor uns, und an ihnen vorbei gelangen wir zu Gegenständen, die aus jener bereits geschichtlich bekannten Periode stammen, da die Römer die Helvetier bekriegten. Ihnen reihen sich an Sammlungen aus der bewegten Zeit der Völkerwanderung mit alemannischen, burgundischen, langobardischen und merovingischen Funden, und dann tritt uns in verschiedenen Werken der Frühgotik, in Altarbildern, Deckengemälden u. dergl., der Einfluß des Christentums entgegen.

Je weiter wir fortschreiten, desto glänzender, anmutiger und kunstreicher gestaltet sich das Bild. Die Blüten mittelalterlicher Kunst erfreuen mit ihrer bunten Pracht das Auge, und auf die Gotik folgt zuletzt die Renaissance mit ihren lebensfrohen Kunstwerken. Aus alten Kirchen, Kapellen und Klöstern, aus öffentlichen Bauten, aus reichen Bürgerhäusern und aus Bauernstuben der Schweiz stammen die Kunstschätze, die hier, soweit es irgendwie möglich war, zu einem harmonischen Ganzen vereint wurden; ja vollständige Zimmer- und Saaleinrichtungen samt dem Schmuck an Wand und Thür wurden in die Hallen des Museums herübergerettet, um vor Zerfall bewahrt zu werden.

In diesen Räumen schauen wir erst recht, was der Kunstsinn und der Gewerbfleiß der Schweizer in früheren Jahrhunderten geschaffen hat. Von einem wunderbaren Lichtschimmer sind viele dieser Säle durchflutet, denn ihre Fenster sind mit Glasgemälden versehen, an denen einst die Schweizerhäuser so reich waren. Bestand doch im Mittelalter die Sitte, daß man bei festlichen Familienereignissen, wie Hochzeiten, sich mit Glasgemälden für Fenster beschenkte, und die schweizer Glasmaler galten namentlich im fünfzehnten Jahrhundert als Meister in ihrer Technik, so daß ihre Werke weit und breit, auch jenseit der Grenzen des Alpenlandes, berühmt und begehrt waren.

Zur hohen Blüte war in der Schweiz die Herstellung der Kachelöfen gediehen, die früher in dem Wohnzimmer einen breiten Raum einnahmen und einen anheimelnden Schmuck bildeten. Sie waren herrlich gearbeitet, mit reichem Reliefschmuck und prächtigen Malereien verziert. Namentlich die Leistungen der Hafnerfamilien Pfau, Erhart und Graf in Winterthur standen in hohem Ansehen und erregen noch heute unsere Bewunderung. Wie an Winterthurer sind auch an anderen schweizer Kachelöfen die Sammlungen des Museums überaus reich.

Einen weiteren Schmuck alter Wohnhäuser bildeten Schnitzereien. Wohlhabende Bürger und Bauern verzierten mit ihnen Decken, Wände und Thüren; in waldreichen Gebirgsländern gedieh diese Kunst immer am besten, und auch die Schweizer leisteten darin Vollendetes. Aus der Fülle der Schnitzwerke, die das Museum bietet, mag nur ein Prunkzimmer aus der Casa Pestalozzi in Chiavenna vom Jahre 1585 hervorgehoben werden.

Die Werke der schweizer Goldschmiede sind in einer besonders feuersicheren Krypta ausgestellt, während den vielgestaltigen Volkstrachten und Kostümen der Schweiz ein besonderer Saal gewidmet ist. Den Glanzraum des Museums bildet aber ohne Zweifel die Waffenhalle, die den ganzen gotischen Mittelbau einnimmt und mit ihren Pfeilern und großen Bogenfenstern den Eindruck eines gewaltigen Kirchenschiffes macht. Bis ins zehnte und achte Jahrhundert zurück reichen die ältesten Exemplare der hier aufgestellten Waffen und Rüstungen. Dazu kommen seltene Schlachtenbanner und Siegestrophäen, die das Bild aus der reisigen Zeit vervollständigen und an so viele Ruhmestage des schweizerischen Heldenmutes erinnern.

Es wäre ein fruchtloses Beginnen, dem Leser die einzelnen Säle und Räume schildern zu wollen. Derartiges muß man mit eigenen Augen schauen. Wem es vergönnt sein wird, die freundliche Limmatstadt aufzusuchen, der wird sicher nicht versäumen, dem Landesmuseum einen Tag zu widmen; es werden ihm dann in dem Prunkzimmer aus dem Seidenhofe in Zürich, in dem Schlafzimmer aus dem Schlößchen Wiggen, in der spätgotischen Aebtissinnenwohnung, in dem berühmten „Lochmannsaal“ aus Zürich, in der originellen Apotheke aus der Benediktinerabtei Muri, in den vielen Hallen und Kreuzgängen unvergeßliche Bilder aus der Kulturgeschichte des Schweizervolkes entgegentreten.

Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0482.jpg

Gruppe aus dem Festzug in Zürich:
Leute aus Evolena in Wallis auf der Alpfahrt.

Der Freude über das Gelingen des herrlichen Werkes haben die Schweizer am 25. Juni noch durch eine große festliche Veranstaltung Ausdruck gegeben, welche am Nachmittag stattfand. Durch die Straßen Zürichs bewegte sich ein Festzug, an dem 2800 Personen zu Fuß und 250 Reiter teilnahmen und in dem ein halbes Hundert bespannter Festwagen mitgeführt wurde. Dieser Festzug sollte die schweizerischen Volkstrachten in Bildern aus dem Volksleben vorführen. Auch der Vergangenheit wurde dabei ein breiter Raum gewährt. Sitten und Trachten, von denen uns nur noch vergilbte Bücher erzählen, lebten plötzlich wieder auf und wandelten in malerischer Schönheit vor unseren trunkenen Augen und dazwischen sah man Scenen aus dem Leben und Treiben der Gegenwart. Da zogen die Bewohner der fruchtbaren Ebene vorbei, bei einem lustigen Kirchweihfeste oder einer Hochzeit; man sah die Leute aus den rebengesegneten Gegenden bei ihren malerischen Winzerfesten; die Bewohner des blumenreichen Kantons Tessin stellten ein Blumenfest in Agno dar, und die Graubündener erschienen als Jäger und Saumtiertreiber, die über den Splügen dahinziehen. Unsere nebenstehende Abbildung giebt die Gruppe des Festzuges wieder, welche Leute aus dem durch seine malerischen Trachten berühmten Dorfe Evolena in Wallis auf der Alpfahrt zeigte. Tausende und aber Tausende standen dichtgedrängt in den Straßen und schauten freudig den Festzug, der die Feier der Eröffnung des Landesmuseums in einer so würdigen und sinnreichen Weise abschloß. A. Kr.