Das tausendjährige Reich nach den Aussagen der heiligen Schrift

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Autor: Martin Deinzer
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Titel: Das tausendjährige Reich nach den Aussagen der heiligen Schrift
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Auflage: 2
Entstehungsdatum: 1917
Erscheinungsdatum: 1917
Verlag: Verlag des Missionshauses
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Erscheinungsort: Neuendettelsau
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Quelle: Commons
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Das
tausendjährige Reich
nach den Aussagen der
heiligen Schrift


von


Kirchenrat M. Deinzer
Missionsdirektor



Zweite Auflage


Preis: 15 Pfennig


Herausgegeben Dezember 1917
Neuendettelsau
Im Verlag der Missionsanstalt.


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Das tausendjährige Reich.

Ueber das tausendjährige Reich herrscht bei den Gläubigen viel Unklarheit, veranlaßt zum Teil auch durch Mißverstand der betreffenden Worte in unserm Augsburgischen Bekenntnis. In Gottes Namen wollen wir versuchen, ob wir nicht etwas mehr Klarheit ihnen darüber verschaffen können.

 Der Ausdruck „tausendjähriges Reich“ findet sich so in der Bibel nicht. Von einem tausendjährigen Regieren ist aber die Rede, nämlich Offenbarung Johannis 20, 4–6, und zwar von einem Regieren mit Christo. Zu diesem Regieren sind lediglich berufen diejenigen, welchen ihr Bekenntnis zu Christo das Leben gekostet hat, die um ihres Zeugnisses willen enthauptet worden sind, und die, welche den Antichrist nicht angebetet haben und infolgedessen nach Offenbarung Johannis 13 getötet worden sind. Die Seelen dieser Märtyrer sah Johannes aufleben und auf die Throne, die da gesetzt waren zum Regieren, sich niederlassen. Es ist allerdings nicht gesagt wo diese Throne aufgestellt waren, ob im Himmel oder sonst irgendwo; es will das bemerkt sein. Die christliche Fantasie hat hier freien Spielraum.

 Der eigentümliche Ausdruck „er sah sie aufleben“ ist wohl zu erklären nach Offenbarung Kap. 6, 9–11, wo der Seher die Seelen der Märtyrer unter dem Altar sieht, welche „an denen, so auf Erden wohnen,“ gerächt sein wollten, aber zum geduldigen Warten ermahnt werden, bis auch die Seelen der andern Gläubigen, die auch getötet werden sollten, noch hinzu kämen. Diese Seelen der Märtyrer sieht er aus ihrem Ruhezustand wieder in das tätige Leben eintreten; es wird ihnen ja das Gericht gegeben.

 Diese nun sind es, welche mit Christo regieren tausend Jahre. Die Schrift nennt diesen Vorgang die erste Auferstehung. Bei der Herrlichkeit, welche mit ihr verbunden ist, versteht man den Ausruf: „Selig und heilig, der teil hat an der ersten Auferstehung.“ Sie sind bereits in die volle Seligkeit und Herrlichkeit des ewigen Lebens versetzt.

 Wir können einigermaßen verstehen, wie es kommt, daß ihnen diese Auszeichnung zu teil wird. Vor den andern Christen mußten sie den Hohn des Feindes über ihr treues Festhalten an dem Herrn erdulden, als die Allergeringsten wurden sie dargestellt; nun wird ihnen aber auch besondere Herrlichkeit zu teil.

 An diesem herrlichen Los, an diesem tausendjährigen Regieren hat also kein lebender Mensch Anteil, sondern nur die Märtyrer;| des Martyriums aber wird Niemand teilhaftig, es sei denn, daß Gott selber ihn so führt. Eindrängen in den Kreis der Märtyrer kann sich Niemand.

 Der Zeit des tausendjährigen Regierens der Heiligen geht zur Seite die Zeit der tausendjährigen Bindung des Teufels. Nach Offenbarung 20, 1–3 wird der Satan auf tausend Jahre gebunden, daß er die Heiden nicht mehr wie bisher verführen kann. Diese Bindung des Satans ist keine Folge des Regimentes der Heiligen; sie geschieht schon vorher und darf wohl als Strafe für den Satan, welche der furchtbaren Versündigung an der Menschheit durch die antichristische Verführung entspricht, betrachtet werden, oder aber, was vielleicht richtiger ist, als eine Handlung der Barmherzigkeit Gottes gegen die vom Antichrist so mißhandelte Menschheit.

 Wenn aber auch diese Bindung des Satans einhergeht neben dem Regiment der Heiligen, muß sie doch der Gleichzeitigkeit und der wohltätigen Folgen wegen, die mit beiden Tatsachen für die Menschheit verbunden sind, mit jener stets zusammengedacht und geschaut werden; denn natürlich gehen auch von dem Regiment der Heiligen heilsame Folgen für die Welt aus, wenn sie auch nicht näher ausgeführt sind.

 Als Folge der Bindung des Teufels ist eine mächtige Zurückdrängung des Bösen zu erwarten; das Gute aber wird nicht mehr, wie es bisher der Fall war, und was sogar auch von Heiden, wie von dem Römer Cicero, beobachtet worden ist, erst eine gewisse Furchtsamkeit und Zaghaftigkeit zu überwinden haben, wenn es zu öffentlichem Hervortreten aufgefordert wird; das Gute wird in der Welt die herrschende Macht sein.

 Im weiteren Sinn versteht man unter tausendjährigem Reich jenen glücklichen Zustand, da der Herr nach Ueberwindung und Vernichtung des Antichrists von Zion aus das von allen Propheten verheißene Friedensreich aufrichten wird, und zwar inmitten seines bekehrten Volkes Israel. Das Volk Gottes ist das einzige Volk auf Erden, das dem Antichrist widerstanden hat; an ihm hat sich seine Macht gebrochen, Daniel Kap. 12, 1; und so ist es nur natürlich und folgerichtig, daß Israel der Mittelpunkt für die Welt wird. Das Friedensreich, das der Herr in Zion aufrichten wird, wird alle Herrlichkeit der Zeit Davids und Salomos wiederbringen, und zwar in höchster Steigerung. Das bekehrte Israel wird das ihm verheißene Land nun endgültig einnehmen, um es nie wieder zu verlieren: das Nähere schildern insbesondere die Propheten Jeremia Kap. 30, Kap. 31, Kap. 33 und Hesekiel Kap. 34, Kap. 36, Kap. 37. Aus allen Ländern werden die zerstreuten Israeliten vom Herrn herbeigeführt, „aus ihren Gräbern“ vom Herrn herausgeholt; weinend und betend ziehen sie einher in das Land ihrer Väter. Keiner muß in der Fremde zurückbleiben, selbst den Lahmen und Kindbetterinnen| verschafft der Herr die Möglichkeit zur Rückkehr. Das wird eine wunderbare Veränderung in der Welt geben. Während jetzt es kaum ein Land in der Welt gibt, wo nicht der Jude in größerer oder kleinerer Zahl eine stehende Erscheinung wäre, werden in jener Zukunft die Juden aus allen Ländern, man möchte sagen, rein ausgekehrt sein; man wird sie suchen und nicht finden; die Hoffnung auf irgend einen Zurückgebliebenen zu stoßen, wird sich immer als Täuschung erweisen.

 So nimmt denn das von seinem Gott aus höchster Not errettete, zu Gnaden angenommene und unter großen Wundern in seine Heimat, deren Verlust es ja gerade in unserer Zeit in größerem Umfang empfindet, zurückgeführte Volk das Land seiner Väter wieder in Besitz: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein.“ Dann werden sie die bisher unverstandene Predigt Jesaja 53 verstehen, und ihre Sünde, die sie an ihrem Messias begangen haben, in einer großen Nationaltrauer beweinen. Sacharja 12, 10 usw.

 Dem Gott wohlgefälligen Zustand des bekehrten Volkes wird der zur alten Herrlichkeit wieder erneuerte Zustand des Landes entsprechen. Es werden die alten verwüsteten Städte alle wieder aufgebaut; alles, was an Unfruchtbarkeit und Wüste erinnert, wird verschwunden sein, überall üppiges Wachstum, zahllose Viehherden und nicht minder zahlreiche Menschenherden. Greifbar wird der Segen Gottes gespürt, ein Hauch ewigen Friedens ist über dem ganzen Land ausgebreitet. Gegen früher aber wird es einen charakteristischen Unterschied zeigen: es gibt in diesem Land keine Festungen mehr, wie früher. Der Friede herrscht mit Allgewalt, so zwar, daß auch die Tierwelt von ihm beeinflußt wird; die zahmen Tiere werden ohne Furcht unter den reißenden sich bewegen, welche ihrerseits ihre reißende Natur werden abgelegt haben. Jesaja 11.

 Es ist bisher immer nur vom Volk die Rede gewesen, aber nicht genauer von seinem König. Die Weissagungen des alten Testaments lauten derart, daß man vermuten muß: Der Herr selber wird es sein, der den Thron seines Vaters David einnehmen wird; aber die Weissagungen sehen manchmal darnach aus, wie wenn zugleich die neutestamentliche Zeit und die Zeit, sagen wir kurz, des tausendjährigen Reiches, in ihnen zusammengefaßt wären; so z. B. in der Weissagung Ezechiels vom guten Hirten, der sich seiner Herde selber annehmen wird; erstmalig sind die Weissagungen von dem guten Hirten schon in der ersten Erscheinung und Zukunft des Herrn erfüllt worden, wenn auch nicht im ganzen Umfang. Schwer läßt sich vorstellen, wie der Herr zur Rechten seines Vaters thront, und dann doch auch vorgestellt werden soll nach Jesaja 9, 1–7 (Lucas 1, 32 und 33) als der, welcher den Thron seines| Vaters David einnimmt, von dem aus er über das Haus Jakob herrscht. Es wird ja einst die Hütte Gottes überhaupt in der erlösten Menschheit stehen, Offenbarung Johannis 21, 3. So könnte man annehmen, daß sich dieser Zustand durch das Wohnen des Messias unter seinem bekehrten Volke bereits anbahnt. Der ganze Zustand dieses sogenannten tausendjährigen Reiches trägt offenbar Uebergangscharakter. Das Morgenrot des Tages der Ewigkeit ist mit ihm bereits angebrochen. Schon im ersten Israel betrachtete sich der Herr als den König seines Volkes. So sieht es auch der Seher Bileam in seinen Weissagungssprüchen an: 4. Mose Kap. 23, 19–24 und Kap. 24, 17–19; und da Israel von Samuel einen König begehrte, tröstete der Herr den betrübten Propheten mit den Worten: „Sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, daß ich nicht König über sie sein sollte.“ Was der Herr im alten Testament mehr unsichtbarer Weise war, mag im sogenannten tausendjährigen Reich mehr in die Sichtbarkeit hervortreten und der verheißene Herrscher, der „Wunderbar, Rat, Kraft, Held, ewig Vater, Friedefürst, auf dessen Schulter die Herrschaft liegt“, mag in eigener Person dem Friedensreich vorstehen und „den Frieden mehren ohne Ende,“ wie er denn auch in Jesajas Kap. 11, 3 und 4 in der Tätigkeit des Regierens erscheint. Unter ihm wird auch Israel zu einem Volk vereinigt und nicht mehr in zwei Königreiche gespalten sein.

 Daß die himmlische Herrlichkeit jedoch durch das sogenannte tausendjährige Reich nicht erreicht ist, ergibt sich aus Jesaja Kap. 65, 20. Da ist noch die Rede von Sündern, die verflucht sein sollen; denn ob auch der Teufel gebunden ist, deswegen bleibt doch die böse Lust im Herzen des Menschen, die ihm angeboten ist. Aber wie groß die göttliche Gnade sein wird, geht hervor aus der Länge der Zeit, die der Herr verstreichen läßt, bis er eingreift.

 Wir haben bisher noch nichts von einem Tempel vernommen. Davon spricht Jesajas Kap. 60, da heißt es Vers 13 von Jerusalem: „die Herrlichkeit Libanons soll an dich kommen, Tannen, Buchen und Buchsbaum miteinander, um zu schmücken den Ort meines Heiligtums, denn ich will die Stätte meiner Füße herrlich machen“. Und so spricht auch Jeremia Kap. 30, 18: „die Stadt soll wieder auf ihre Hügel erbaut werden, und der Tempel soll stehen nach seiner Weise.“ Und Kap. 33, 11: In dem jetzt verwüsteten Jerusalem „wird man dennoch wiederum hören Geschrei von Freude und Wonne, die Stimme des Bräutigams und der Braut und die Stimme derer, die da sagen: „danket dem Herrn Zebaoth, daß er so gnädig ist und tut immerdar Gutes“, und derer, so da Dankopfer bringen zum Hause des Herrn; „denn ich will des Landes Gefängnis wenden wie von Anfang, spricht der Herr.“ Man könnte denken, die Weissagung wäre schon durch die erste Wiederkehr aus Babel erfüllt, aber da zu gleicher Zeit dem nun angebrochenen religiösen Zustand des Volkes| eine ewige Dauer verheißen wird, so geht daraus hervor, daß sich diese Weissagung bezieht auf die zweite Wiederkehr Israels in der antichristischen Zeit. Wie der Tempel in herrlicher Weise wieder erstehen wird, so wird auch der Dienst am Tempel in herrlicher Weise erneuert. Nunmehr erst erreicht das Volk Gottes sein Ziel als priesterliches Königreich in vollkommener Weise; denn es wird in seinem ganzen Umfang für den Dienst Gottes tätig sein. Die für die Erhaltung des irdischen Lebens nötigen Geschäfte werden von Fremden besorgt werden, Jesaja 61, 5.

 Dies ist der glückliche Zustand, der für das Volk Gottes am Ende der Tage anbrechen wird. Er kann bezeichnet werden als eine Art Wiederkehr paradiesischer Zustände, mit ihm geht auf, wie schon gesagt, das Morgenrot des Tages der Ewigkeit.

 Doch Israel, der Same Abrahams, soll nicht allein für sich gesegnet sein, sondern ein Segen sein für alle Völker, und so erstrecken sich denn auch die Segnungen des Friedensreiches auf alle Völker.

 Zunächst verdanken die Völker der Welt schon die Befreiung vom antichristischen Joch dem Eingreifen des großen Fürsten, „der für das Volk Gottes steht“, dem Eingreifen Michaels. So hat auch die ganze Welt schon von der Bindung des Satans größten Gewinn, dann aber wird sich das Friedensreich auch nicht auf Israel beschränken. Nach Jesaja 9 wird „aller Krieg mit Ungestüm und blutig Kleid mit Feuer verbrannt werden“, und nach Jesaja 2 wird Israels Herrscher künftig die Streitigkeiten zwischen den Völkern vor seinen Richterstuhl ziehen und entscheiden. Es wird kein Volk mehr wider das andere das Schwert aufheben, werden auch nicht mehr lernen Krieg zu führen, sie werden vielmehr ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Rebmessern machen. Sie haben nämlich bei der Vernichtung des Antichrists den wahren Herrscher der Welt kennen gelernt. 2. Tessalonicher 2, 8. Auf dem Berge Zion hat der Herr die Decke weggezogen, mit der bisher die Heiden zugedeckt waren. Es ist für alle Heiden das Licht der Erkenntnis des wahren Gottes aufgegangen: es kann keinen Irrgläubigen und keinen Ungläubigen mehr geben; es leuchtet ja die Wahrheit wie die helle Sonne, und ist die Erde voll Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt. Es hat sich aller Völker ein herzliches Verlangen bemächtigt, den Willen des Herrn, sein Gesetz, seine Wege kennen zu lernen, und von allen Seiten strömen sie nun herbei zum Berge Zion, ein Volk muntert das andere auf, Jesaja 2, 3. „Kommet laßt uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakob, daß er uns lehre seine Wege, und wir wandeln auf seinen Steigen.“ Im Blick auf die Belehrung, welche die Völker in Zion suchen, gewinnt der Umstand eine besondere Bedeutung, daß gegenwärtig die Juden unter alle Völker zerstreut und mit allen Völkern bekannt sind.

|  Während nun so die Völker Wohltaten leiblicher und geistlicher Art vom Volk Gottes erfahren, haben sie umgekehrt auch Wohltaten dem Volk Gottes zu erweisen. Fürsten und Königinnen, so wird Jesaja 60 dem Volk Gottes zugerufen, „werden deine Pfleger und Säugammen sein, und gebückt werden sich zu dir nahen, die dich unterdrückt haben“; mit Opfern werden sich die Völker am Dienste Gottes beteiligen, „sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob verkündigen, alle Herden Kedar sollen zu dir versammelt werden, die Widder Nebajoth sollen dir dienen. Sie sollen mir zum Wohlgefallen auf meinen Altar kommen, denn ich will das Haus meiner Herrlichkeit herrlich machen.“ In der Verehrung Gottes werden die Völker mit Israel zu einer Gemeinschaft verbunden sein: „Die Heiden werden wandeln in deinem Licht und die Könige im Glanze der über dir aufgeht.“ In allen Landen wird der Name des Herrn einer sein, und die Völker werden mit einer Schulter Gott dienen. Zephanja 3, 9 und Sacharja 14, 9.

 Der Herr verlangt von ihnen ein ausdrückliches Bekenntnis zu der großen Gottestat der Zurückführung Israels in das Land seiner Väter. Den Auszug aus Egypten hat Israel für sich allein gefeiert. An der Feier der Rückkehr ins gelobte Land und des damit nicht bloß für Israel, sondern für die Welt angebrochenen Glückes soll auch die ganze Welt sich beteiligen, und zwar nach Sacharja 14 durch das Mitfeiern des Laubhüttenfestes. Nichtbeteiligung eines Volkes daran wird vom Herrn für Sünde gerechnet und durch Strafen geahndet. Sacharja 14, 16–19.

 Noch aber ist Gottes Volk nicht aller Anfechtung ledig. Am Ende der tausend Jahre wird der Satan wieder los, und die Völker der Erde werden auf die Probe gestellt, ob die großen Wohltaten des tausendjährigen Friedensreiches bei ihnen die rechten Früchte hervorgebracht haben. Sie bestehen leider diese Probe nicht, sondern lassen sich abermals vom Teufel zur Erhebung gegen das Volk Gottes verführen. Das Volk Gottes aber steht fest im Glauben. Es sucht keinen Schutz an irgendwelchen schutzgewährenden Orten, es bleibt ruhig in seinen friedlichen Dörfern und in seiner von keiner Mauer geschützten Stadt Jerusalem, denn es weiß und glaubt, daß der Herr, wie er verheißen hat, eine feurige Mauer um sein Volk sein wird. In einer schrecklichen Gerichtsoffenbarung wird Gog und Magog vernichtet, und damit ist die Geschichte der Menschheit überhaupt an ihrem Ende angekommen, der jüngste Tag wird der Abschluß der Weltgeschichte sein. Offenbarung Johannis 20.

 Wie aus der vorstehenden Darlegung deutlich hervorgeht, ist es hauptsächlich das alte Testament, aus welchem man ein Bild von jener Zeit zu gewinnen suchen muß, welche gemeinhin, wenn auch mißbräuchlich das „tausendjährige Reich“ genannt wird. Die Briefe| der Apostel, die sich ja mit dem Inhalt der Offenbarung vertraut zeigen, vergl. 1. Korinther 15, 52 (letzte Posaune) enthalten darüber nur wenig Andeutungen, als z. B. 1. Korinther 4, 8. Im Allgemeinen scheint die apostolische Verkündigung weniger bei diesem Zwischenzustand sich aufgehalten, sondern den letzten Teil des zweiten und dritten Glaubensartikels behandelt zu haben: das jüngste Gericht, die Auferstehung und das ewige Leben. Mehr möchte ein aufmerksamer Leser in den Evangelien finden.

 Die Deutung der alttestamentlichen Weissagungen vom Friedensreich ist übrigens mit einer großen Schwierigkeit behaftet. Was nach dem Wortlaut der Propheten im Friedensreich eintritt, das sehen die Apostel bereits durch die erste Zukunft des Herrn erfüllt, z. B. die Weissagung von dem neuen Bund, den der Herr mit seinem Volk machen will; nach Jeremia 31, 33 und 34 will der Herr diesen Bund im Friedensreich aufrichten, der Hebräerbrief aber sieht Kap. 8, 6–13 diese Weissagung bereits mit der ersten Zukunft des Herrn erfüllt. Man kann dazu etwa sagen, es ist in der Tat so, aber Israel war zur Zeit des Herrn verblendet, und erst wenn ihm im Friedensreich die Augen aufgegangen sind, wird, was diese Weissagung verheißt, ihm ein wirklicher Besitz. Aehnliche Stellen gibt es noch mehr, auf welche wir aber hier nicht weiter eingehen.

 Vorstehendes ist ein Versuch, ein deutlicheres Bild von dem sogenannten „tausendjährigen Reich“ zu gewinnen.

 Die früheren lutherischen Lehrer haben sich das Verständnis der angeführten Weissagungen sehr erschwert, ja zum Teil unmöglich gemacht dadurch, daß sie bei gewissen Schwierigkeiten, die sie nicht überwinden konnten, die sogenannte „geistliche Auslegung“ zu Hilfe nahmen. Als Musterbeispiel diene Amos Kap. 9, 13: dem zurückgekehrten Volk wird der Herr die Berge von Wein triefen lassen, und Jesaja 11: im Friedensreich werden Wolf und Lamm zusammen auf die Weide gehen. Da behaupteten die Juden, der Messias könne nicht in Jesu erschienen sein, denn es seien diese Weissagungen noch unerfüllt. Das letztere hätten die christlichen Lehrer ruhig zugeben können und darauf hinweisen, daß ja doch die Leidensweissagungen erfüllt seien, und es könnte doch Leidensweissagung und Herrlichkeitsweissagung nicht zu gleicher Zeit sich erfüllen, sondern nur nacheinander. Statt dessen halfen sie sich mit der geistlichen Auslegung: das Triefen der Berge von Wein erfülle sich in der reichlichen Verkündigung des Evangeliums und das friedliche Beieinandersein von Wolf und Lamm erfülle sich in dem friedlichen Verkehr der christianisierten Völker. Diese Deutung läßt sich ja ganz wohl hören, aber nach lutherischen Grundsätzen steht die buchstäbliche Auslegung an erster Stelle. Das verkannten jene Theologen, und das entging ihnen, daß sie mit ihrer Behandlung jener Weissagung den Juden das Recht gaben, ihrerseits die Leidensweissagungen geistlich auszulegen.

|  Diese lutherischen Theologen haben sich in der Auslegung des prophetischen Wortes von dem sonst allgemein feststehenden lutherischen Grundsatz von der wörtlichen Auslegung der Schrift abbringen lassen durch die Worte unseres Augsburgischen Bekenntnisses: „Auch werden verworfen etliche jüdische Lehren, die sich jetzund eräugen (ereignen), daß eitel Fromme ein weltlich Reich haben werden nach Vertilgung aller Gottlosen.“

 Unseren Reformatoren war ein tieferer Einblick in die Prophetie des alten Testamentes, soweit sich dieselbe nicht mit Leben, Sterben und Auferstehung des Herrn Christus beschäftigt, sondern mit dem zukünftigen Geschick des Volkes Israel befaßt, nicht gegeben; daher sahen sie auch nicht die Herrlichkeitsgestalt des Reiches Gottes in dem reinen Bilde der biblischen Wahrheit; was ihnen in den Anschauungen der Wiedertäufer entgegentrat, war eine Verzerrung des reinen Bildes, die ihren Grund hatte in den fleischlichen Neigungen irdisch gesinnter Menschen. Mit vollem Recht haben die Reformatoren diese jüdischen und wiedertäuferischen Lehren verworfen; weiter aber greift der Artikel 17 des Augsburgischen Bekenntnisses nicht. Was die Reformatoren nicht kannten, – nämlich das reine Bild der biblischen Wahrheit über die Zukunft des Volkes Israel – das konnten sie auch nicht verwerfen. Die Lehre der Wiedertäufer hat höchstens die Bedeutung einer Tangente, d. h. einer Linie, gezogen an den Kreis der christlichen Wahrheit, die denselben zwar berührt, aber nicht in ihn eindringt.

 Die Gläubigen der Gegenwart haben sehr wenig Ursache, sich in süßen Träumen über die etwaige Teilnahme an dem Glück jener Zeit zu ergehen. Zwischen der Gegenwart und jenem Friedensreich, in dem doch Israel der Mittelpunkt ist, steht das Aufkommen des Antichrists und seine dreieinhalbjährige Herrschaft, welche mit den Bekennern Jesu, so viel man sehen kann, gänzlich aufräumen wird. Es gilt also für den Gläubigen, vor allem sich zu bereiten, tüchtig zu werden, seinen Heiland zu bekennen, d. h. ein ernstes Leben der Heiligung in seinem Dienst und im Halten seiner Worte zu führen. Wollte aber ein Christ sich damit befassen, die Herrlichkeit des sogenannten tausendjährigen Reiches sich recht auszumalen und darin Förderung seines geistlichen Lebens zu suchen, so würde er dadurch Gefahr laufen, seine geistige Kraft zu schwächen und das bessere Teil, nämlich die vollkommene Seligkeit der Ewigkeit zu verlieren. Davor bewahre uns lieber Herre Gott!





Anstaltsdruckerei Neuendettelsau.