Zum Inhalt springen

Der Mordversuch gegen den deutschen Kaiser Wilhelm I. am 11. Mai 1878

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Mordversuch gegen den deutschen Kaiser Wilhelm. / Die Verurtheilung Hödel′s.
Untertitel: Volksblatt. Eine Wochenzeitschrift mit Bildern. Jahrgang 1878, Nr. 20, S. 153–155, Nr. 29, S. 230–231
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Dr. Christlieb Gotthold Hottinger
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Dr. Hottinger's Volksblatt
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Straßburg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[153]

Luise, Großherzogin von Baden, Tochter des deutschen Kaisers Wilhelm I.,
geboren den 3. Dezember 1838, vermählt den 20. September 1856.


Der Mordversuch gegen den deutschen Kaiser Wilhelm.

Das Leben unseres theuren deutschen Kaisers und dessen erlauchter Tochter, der Großherzogin Luise von Baden, schwebte am Sonnabend, den 11. d. M., in großer Gefahr. Als beide Nachmittags gegen 3 ½ Uhr in offenem Wagen von einer Spazierfahrt nach dem Palais in Berlin zurückkehrten, wurden auf den Kaiser mehrere Revolverschüsse abgefeuert.

Der Klempnergeselle Heinrich Max Hödel, genannt Lehmann (geboren den 27. Mai 1857 in Leipzig), schoß von dem Bürgersteig nahe beim russischen Botschaftsgebäude aus nach Seiner Majestät. Als er sah, daß er nicht getroffen habe, floh er, schoß hiebei aber noch einmal nach dem Kaiser. Wiederum verfehlte er sein Ziel. Auf′s Neue lief er davon und gab zwei weitere Schüsse [154] ab. Nunmehr gelang es, ihn festzuhalten. Ein Zuschauer hatte ihn im Genick gepackt, Hödel rang sich jedoch los; erst der Leibjäger des Kaisers, welcher sogleich vom Sitze des kaiserlichen Wagens gesprungen war, vermochte ihn festzunehmen. Das sich sofort ansammelnde Volk wäre am liebsten gleich über ihn hergefallen und hätte ihn seine Entrüstung empfinden lassen, eine Tracht Prügel und Püffe ist ihm auch nicht erspart geblieben, aber schnell wurde er von der Polizei in Gewahrsam genommen.

Zuerst wußte der Kaiser nicht, ob die Schüsse auf ihn gerichtet seien. Er erhob sich in seinem Wagen vom Sitze und fragte: „Gelten diese Schüsse mir?“ – Die Großherzogin von Baden wurde von dem Vorfalle heftig ergriffen, erholte sich aber bald wieder. Glücklicherweise blieben beide ganz unverletzt.

Eine zahllose Menge sammelte sich rasch vor dem kaiserlichen Palais und gab ihrer Freude über das Mißlingen des schnöden Mordversuches durch Hochrufen und Singen begeisterten Ausdruck. Der Kaiser zeigte sich ihr von dem Balkon aus, und auf′s Neue erschollen donnernde Hochs. Viele Häuser wurden mit Fahnen und Blumen geschmückt, einzelne auch beleuchtet. Gegen acht Uhr zeigte sich der Kaiser mit der Großherzogin nochmals, indem beide in das Opernhaus fuhren und dort der Vorstellung eine Zeit lang beiwohnten. Dieselbe hatte bei ihrer Ankunft schon begonnen, aber sofort wurde sie unterbrochen; die Anwesenden brachten ein Hoch auf den Kaiser aus und sangen: „Heil Dir im Siegerkranz.“ Etwa eine halbe Stunde später begab sich der Kaiser mit seiner Tochter noch in′s Schauspielhaus, wo sich ebenfalls die Freude des Volkes laut äußerte.

Zwei Invaliden aus dem letzten Kriege erkletterten noch in der Nacht das vor dem kaiserlichen Palais aufgestellte Denkmal Friedrichs des Großen und schmückten den Dreimaster dieses Fürsten mit einem Kranze.

Auch am folgenden Tage, einem Sonntage, wurden dem Kaiser viele Huldigungen dargebracht. Der Andrang zu den Kirchen, in denen Dankgebete gesprochen wurden, war ein außerordentlich starker. Und nicht bloß in des Reiches Hauptstadt, allüberall im deutschen Vaterlande war die Freude groß, daß Gott seine schützende Hand über diese theuren Häupter gehalten hatte. In Königsberg z. B. zeigten in- und ausländische Schiffe festlichen Flaggenschmuck, und von über Land und Meer kamen Glückwünsche an, von Fürsten und Hohen der Erde, von Körperschaften, Vereinen und Privaten. Ein Straßburger Bürger sandte einen Drahtbericht in französischer Sprache an den Kaiser ab; er lautete übersetzt wie folgt: „Ich Unterzeichneter lege mit tiefster Ehrerbietung sowohl in meinem Namen, als in dem der Elsässer, mit denen ich in diesem Augenblicke vereinigt bin, zu Ihren Füßen unsere aufrichtigen Glückwünsche, daß Sie mit Gottes Gnade diesem höllischen Angriffe entronnen sind. Dieser Angriff, vor dem der Allmächtige Sie so wunderbar errettet hat, ist ein neuer Beweis seiner göttlichen Güte gegen Sie und erhöht Ihren Ruhm noch mehr. Es lebe der Kaiser, sein hohes Haus und Deutschland!“

In Vertretung des ganzen deutschen Volkes sprach der Reichstag seine herzliche Theilnahme aus. Der Vorsitzende desselben, v. Forckenbeck, eröffnete 13. Mai die Sitzung mit folgenden Worten:

„Meine Herren! Sogleich nach Bestätigung der Nachricht von dem entsetzlichen Attentat auf Seine Majestät den Kaiser suchte das Präsidium des Reichstags Audienz beim Kaiser nach. Se. Majestät geruhten mir gestern Nachmittag diese Audienz huldvoll zu gewähren; im Namen des Reichstages erlaubte ich mir Derselben auszusprechen, daß die am Schluß der vorgestrigen Reichstagssitzung erst in unbestimmten Gerüchten verlautende Nachricht von der ruchlosen That alle Gemüther im Reichstage auf’s Tiefste erschütterte, und zwar um so tiefer, schmerzlicher und furchtbarer, als wir Vertreter des deutschen Volkes wissen, mit welchem tiefen Dankgefühl, mit welcher innigen Liebe und Verehrung das deutsche Volk seinem Kaiser ergeben ist, daß gleichzeitig aber unser aller Herzen von innigstem Dankgefühl gegen Gott den Allmächtigen, der Se. Majestät wiederum so sichtbar beschützte, erfüllt waren. Ich sprach sodann Sr. Majestät Namens des Reichstages im Einklange mit dem ganzen deutschen Volke die ehrfurchtsvollsten herzlichsten Glückwünsche zu der glücklichen Errettung aus Lebensgefahr aus. Se. Majestät geruhten diese Worte huldvollst entgegenzunehmen und beauftragten mich ausdrücklich, Seinen herzlichsten Dank für diese Kundgebung der Theilnahme der Reichstages auszusprechen. Ueberzeugt, daß ich im vollen Einklange mit dem Reichstage in dessen Vertretung gehandelt, ersuche ich Sie, sich von den Plätzen zu erheben und mit mir einzustimmen in den Ruf der Treue und Ehrerbietung: Se. Majestät der deutsche Kaiser, König Wilhelm von Preußen lebe hoch!“

Abgeordnete und Anwesende im Zuhörerraum stimmten dreimal begeistert in diesen Ruf ein.

Was veranlaßte wohl Hödel zu seinem verbrecherischen Unternehmen? Bei dem Verhöre sagte er aus, er habe nicht auf den Kaiser schießen, vielmehr sich selbst das Leben nehmen wollen, da er in Noth gerathen sei und keine Arbeit bekommen habe. Diese Ausrede wird natürlich durch seine That Lügen gestraft. Es ist zu hoffen, daß die Untersuchung bald Licht über diesen Punkt verbreiten wird. Jedenfalls steht fest, daß Hödel bis vor Kurzem der Socialdemokratie angehörte. Es gibt zu denken, daß die ruchlose That nicht lange nach dem Mordversuche der Wera Sassulitsch (siehe Volksblatt Nr. 17, Seite 134 f.) ausgeführt wurde. Ein socialdemokratisches Blatt hatte letzteren mit folgenden Worten verherrlicht:

.... Da eilt herbei
Die Rächerin mit festem Muth
Und badete das harte Blei
In fließendem Tyrannenblut.

Ist es zu verwundern, daß in Kreisen, in denen das Rechtsgefühl in solcher Weise mißachtet wird, wie dies in der Beurtheilung des Sassulitsch’schen Verbrechens sowohl bei den Richtern, als bei denen, die ihnen zujubelten, geschah, daß in solchen Kreisen der Gedanke an den Meuchelmord Nahrung erhält? [155]

Ueber Eines dürfen wir uns bei diesem ruchlosen Anschlage freuen, über die große Liebe, welche das deutsche Volk für sein Kaiserhaus hegt, und die allgemeine Entrüstung, die sich bei diesem Falle zeigte.

Es wird wohl unseren werthen Lesern lieb sein, bei diesem Anlasse das Bild der hohen Frau zu betrachten, welche an der Seite ihres kaiserlichen Vaters der auch ihr drohenden Gefahr so glücklich entging. Und wer würde sich nicht freuen, ihren Wahlspruch zu lesen, welcher in getreuer Nachahmung ihrer Schriftzüge unter dem Bilde steht? [1] Ein Augenzeuge des Mordversuches berichtet folgenden wahrhaft ergreifenden Zug ihrer kindlichen Liebe: Als Hödel zwei Schüsse abgegeben hatte, beugte sich die Großherzogin über ihren Vater, um denselben mit ihrem eigenen Körper zu decken. Das ist Liebe und Treue bis in den Tod! In der That: einem solchen Fürstenhause ergeben zu sein, hält nicht schwer.


[230]

Die Verurtheilung Hödel’s.

Am 10. Juli stand Max Hödel vor dem Gerichte in Berlin, beschuldigt, den deutschen Kaiser am 11. Mai d. J. haben tödten zu wollen.

Der Anklageschrift entnehmen wir folgende Punkte:

„Seine Majestät der deutsche Kaiser und König von Preußen in Begleitung seiner Tochter, der Frau Großherzogin Luise von Baden, Königliche Hoheit, fuhren am 11. Mai 1878, Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr, in einer offenen Kalesche von einer Spazierfahrt aus dem Thiergarten in Berlin zurück, wie gewöhnlich durch das Brandenburger Thor die Südseite der Straße Unter den Linden entlang. Der kaiserliche Wagen hatte ungefähr das Hotel der russischen Botschaft erreicht, als der Angeklagte plötzlich hinter einem Privatfuhrwerk hervortrat, welches dort auf dem Straßendamm dicht an der Bordschwelle des Trottoirs nach dem Thore zu gerichtet stand, und, den rechten Arm weit ausstreckend, nach der Person Seiner Majestät in einer Entfernung von 3 bis 4 Schritten einen Schuß aus einem Revolver abfeuerte. Der Schuß ging fehl. Der Leibkutscher Seiner Majestät sah den Angeklagten den Arm ausstrecken und den Revolver abfeuern und hielt die Pferde an. Bevor der kaiserliche Wagen zum Stehen gebracht war, eilte der Angeklagte hinter denselben über den Fahrdamm der mittleren Promenade zu und feuerte, ehe er den zweiten Fahrdamm erreichte, sich umwendend einen zweiten Schuß ab, den Revolver auf den Wagen Seiner Majestät gerichtet. Auch dieser Schuß fehlte. Der Angeklagte lief dann weiter nach dem Promenadenwege zu, kroch unter der Eisenstange des Geländers, welches den zweiten Fahrdamm von der Promenade trennt, hindurch und rannte, von vielen Hinzugekommenen verfolgt, dem Brandenburger Thore zu. Auf dem Promenadenwege schoß er auf seine Verfolger noch zwei Schüsse ab, welche gleichfalls fehlten. Nach dem letzten Schuß warf er den Revolver weg und wurde verhaftet. Der Angeklagte räumt zwar ein, aus dem Revolver am Ort der That scharf geschossen zu haben, er bestreitet dagegen, auf Se. Majestät den Revolver abgefeuert zu haben.
In einem während der Untersuchungshaft am 21. Mai an seine Eltern geschriebenen Briefe legt er ein Geständniß ab. In dem Briefe bittet er seine Eltern um Vergebung, daß, „diese finstere Wolke sich so fürchterlich hätte über sie entladen müssen, sein Leben sei einer Sache geopfert, durch welche er ihnen schon oft Calamitäten bereitet habe, geopfert zum Wohle der Menschheit“, und schreibt in einer Nachschrift: „es thut mir sehr leid, fehlgeschossen zu haben, doch – Polen ist noch nicht verloren“ und unterschreibt diese Nachschrift „Max Hödel, Attentäter Sr. Majestät des deutschen Kaisers.“
Der Angeklagte wird von seiner Mutter als zu allen Nichtswürdigkeiten bereit geschildert, von seinem Stiefvater als jähzornig, von anderen als streitsüchtig und frech bezeichnet. Er ist das uneheliche Kind der jetzt verehelichten Schuhmacher Traber, Emilie, geb. Hödel zu Leipzig. Im Alter von 12 Jahren mußte er wegen schlechter Streiche, namentlich wegen mehrfacher kleiner Diebstähle, in die Besserungsanstalt zu Zeitz gebracht werden, in welcher er bis zu seinem 14. Lebensjahre verblieb. Er lernte demnächst in Zeitz bei mehreren Klempnermeistern und kehrte in seinem 17. Lebensjahre, im October 1875, nach Leipzig zurück. Von dort ging er auf die Wanderschaft, wobei er Berlin, Bayern, Frankfurt a. M. und Köln besuchte. Im Jahre 1876 nach Leipzig zurückgekehrt, arbeitete er etwa ein halbes Jahr in seinem Handwerk und wurde dann Abonnentensammler für die zu Leipzig erscheinenden socialdemokratischen Zeitungen, den „Vorwärts“ und „Die Fackel“. Inzwischen machte er eine Reise nach Ungarn und Wien, von welcher er, im September 1877 aus Oesterreich ausgewiesen, zwangsweise nach Leipzig zurückgebracht wurde. Anfangs 1878 colportirte er auch den hier erscheinenden „Staatssocialisten", das Organ des Centralvereins für Socialreform. Am 11. März verließ er wiederum sein elterliches Haus, und zwar in Folge eines gegen seine Mutter verübten Diebstahls an Geld in Höhe von gegen 40 Mark, hielt sich zunächst einige Zeit in der Umgegend von Leipzig auf, wo er als socialdemokratischer Agitator auftrat, und wanderte dann nach Frankfurt a. M., berührte Colmar, Metz, Luxemburg und Trier und kehrte am 11. April 1878 nach Leipzig zurück. Am 24. desselben Monats verließ er wiederum Leipzig, angeblich, um nach Dresden und Böhmen zu reisen, begab sich aber über Magdeburg nach Berlin. Hier ist er unter dem Namen Lehmann, dem Namen seines Vaters, im April Mitglied der beiden socialdemokratischen [231] Vereine, des „Vereins zur Wahrung der Interessen der werkthätigen Bevölkerung Berlins“ und des „Vereins für communale Angelegenheiten des Nordostdistricts“ geworden so wie auch dem den Socialisten gegenübertretenden Verein der „christlich-socialen Arbeiterpartei“ beigetreten und hat seit seiner Ankunft in Berlin fast jeden Abend Versammlungen dieser Vereine besucht und socialistische Zeitungen und Flugblätter verbreitet. Seinen Lebensunterhalt und seine sonstigen Ausgaben in Berlin, wie z. B. den Ankauf einer Spieldose für Mark 52.50, unter deren Klängen er vielfach in Bierlocalen socialistische Blätter absetzte, bestritt er hauptsächlich von dem Gelde, welches er bei seiner letzten Anwesenheit in Leipzig seiner Mutter entwandt hatte.
Nachdem der Angeklagte bereits 1876 Mitglied der socialistischen Arbeiterpartei Deutschlands geworden und deren Versammlungen vielfach besucht hatte, nahm er seit November 1877 an dem Unterrichte des Leipziger Arbeiter-Bildungsvereins, geleitet von dem Reichstags-Abgeordneten Liebknecht, als Mitglied Theil. Zur selben Zeit lernte er die in Leipzig damals anwesenden Anarchisten kennen, deren bekanntes Programm dahin geht, daß sie als Grundlage die Gemeinden annehmen, mit der Freiheit der Gemeinden, sich zu conföderiren[2], und als obersten Grundsatz hinstellen, daß die Aenderung der politischen und socialen Verhältnisse durch Gewalt herbeigeführt werden müsse, während die Socialdemokraten den centralisirten Volksstaat, und zwar zunächst im Wege der Reform zu errichten streben. Der Angeklagte trat insbesondere in Verkehr mit Emil Werner, dem Vertreter der Anarchisten auf dem vorjährigen Welt-Congreß der Socialisten in Genf, und bekannte sich, als ihm seit einer Volks-Versammlung zu Stötteritz, auf welcher er den „Staatssocialist“ verbreitet hatte, seitens der socialdemokratischen Partei mit Argwohn begegnet wurde, offen zu ihrer Richtung. In Folge von Angriffen auf die Bediensteten der socialistischen Arbeiterpartei wurde er durch förmlichen Beschluß der Leipziger Socialisten vom 14. März aus der Partei ausgeschlossen, dieser Beschluß durch das Central-Wahlcomité zu Hamburg unterm 9. Mai 1878 bestätigt und am 12. Mai in der Zeitung „Die Fackel“ bekannt gemacht.
Am 24. Februar und am 17. März 1878 berief der Angeklagte selbst zwei Volksversammlungen zu Schkeuditz bei Leipzig. Während die Tagesordnung der ersten Volksversammlung „Der Krieg im Orient und die orientalische Frage im Deutschen Reichstage“ war, verherrlichten auf der zweiten Volksversammlung Emil Werner und Braune die Pariser Commune.
Seitdem huldigte der Angeklagte immer mehr der anarchistischen Richtung. Er bekannte sich in prahlerischer Weise Andern gegenüber als Anarchisten und Atheisten und that vielfach während seines Aufenthalts in Schkeuditz und an mehreren anderen Orten Aeußerungen, die darauf schließen lassen, daß er bei seinem zu Gewaltthätigkeiten geneigten Charakter und politisch aufgeregten Geist danach strebte, wenn möglich, selbst zur Verwirklichung der socialistisch-anarchistischen Ideen und insbesondere der Abschaffung der monarchischen Regierungsform thätig zu werden.
Während seiner Anwesenheit in Metz z.B. – am 28. März 1878 – äußerte er in einem dortigen Restaurationslocale, „daß das Militär ganz überflüssig sei, daß das Volk überhaupt ohne Könige und Fürsten sich selbst regieren könne.“ In einem anderen dortigen Locale bekannte er sich als Socialdemokrat und führte Schimpfreden gegen die staatliche Ordnung und namentlich gegen die Zustände im Deutschen Reiche. Einige Tage darauf, am 31. März, in der Wintrich’schen Gastwirthschaft zu Trier entwickelte er den anwesenden Gästen gegenüber seine atheistischen Ansichten, kam dann auf Staat und Gesetze zu sprechen und äußerte dabei: „Wir brauchen keinen Kaiser, keinen König und keine Regierung; fort mit Allem, Alles muß fort, wir wollen frei sein, die Reichen müssen theilen – Alle müssen gleichmäßig arbeiten, ein Jeder höchstens 2 Stunden täglich“ und so fort, Kurz vor dem Attentat erzählte er hier dem Schlossergesellen Krüger, daß er Socialdemokrat sei und daß, wenn alle Socialdemokraten zusammenhielten, sie die Ueberhand bekämen und Alles umstürzen könnten.“

Das Benehmen des Angeklagten während der Gerichtsverhandlung war ein freches. Er blieb bei der Behauptung, er habe nur sich selbst erschießen wollen. Auf die Frage, warum er dazu gerade die Straße „Unter den Linden“ gewählt habe, er hätte dies ja auch draußen im Thiergarten oder bei sich zu Hause thun können, erwiderte er:

„Das thut der Selbstmörder je nach Belieben; der Eine erschießt sich draußen, der Andere zu Hause. Ich weiß also nicht, warum. Ich war ja ganz besinnungslos, ich habe nicht abcirculirt, wo ich es thun sollte; hätte es mir zu Hause convenirt (gepaßt), so hätte ich mich zu Hause erschossen.“

Den ihm gemachten Einwand, daß er sich hätte verwunden müssen, wenn er auf sich selbst geschossen hätte, wußte er nicht zu entkräften.

Als ihm das Wort zu seiner Vertheidigung gegeben wurde, sagte er, höhnisch lachend:

„Ich danke für jede Vertheidigung; es hilft mir doch Nichts.“

Sein Läugnen gegenüber all den Zeugen, die gegen ihn auftraten, half ihm allerdings Nichts; der Gerichtshof verurtheilte ihn zum Tode.

Als die Verhandlung geschlossen war, legten ihm Schutzleute Handschellen und Ketten an; ruhig hielt er die Arme hin und äußerte:

„Nur zu; morgen könnt ihr mich gleich daran aufhängen.“

Der Photograph Dietrich hat ausgesagt, Hödel sei am 6. Mai zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, ob er nicht ein großartiges Geschäft machen wolle; auf seine Gegenfrage, worin dasselbe bestehe, habe er ihm erwidert, er sei zwar noch kein berühmter Mann, es werde aber bald wie ein elektrischer Funke durch die Welt gehen, und dann würde er, Dietrich, Tausende von dem Bilde los werden; er selbst habe keinen Nutzen davon, er sei dann moralisch (sittlich) todt und werde eingepflanzt.

Diese Voraussagung ist zur betrübenden Wirklichkeit geworden; der Name Hödel hat eine schmerzliche Berühmtheit erlangt, eine solche, daß jeder brave Deutsche sein Angesicht verhüllen möchte, wenn er ihn aussprechen hört.

Die Familie des Mannes, welcher wenige Wochen nach diesem ersten Mordversuch sich nicht scheute, auch seine Frevlerhand gegen das Haupt unseres geliebten Kaisers zu erheben, erbat, wie verlautet, die Erlaubniß, ihren Namen ändern zu dürfen; sie will nicht der Schande ausgesetzt sein, tagtäglich mit einem Namen genannt zu werden, der Deutschland zu tiefer Schmach gereicht. Denselben bösen Klang hat auch der Name Hödel. In der That, sittlich ist sein Träger todt. Gebe Gott, daß unser Volk auf immer vor solchen Menschen bewahrt bleibe!

Anmerkungen der Vorlage

  1. Bild und Handschrift-Nachahmung sind dem Büchlein des Herausgebers: „Der deutsch-französische Krieg 1870–71. 2. Auflage. Straßburg i. E. 1877“ entnommen.
  2. Verbünden.