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Der Ritter von Schwarzenberg

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Textdaten
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Autor: Heinrich Schreiber
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Titel: Der Ritter von Schwarzenberg
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 335–342
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
Siehe auch Die feuersprühenden Kirschen
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[335]
Der Ritter von Schwarzenberg.

Der alte Kaspar hatte schon frühe seine Hütte verlassen, um auf einigen ihm zugehörigen Bäumen Kirschen zu brechen. Er war früher Knecht des Herrn von Schwarzenberg gewesen, und hatte sodann von ihm ein Stückchen Feld erbeten, das er urbar machte und worauf er sich eine Hütte baute. Selbst ein Leibeigener, hatte er die brave Tochter eines anderen Leibeigenen geheurathet und von ihr drei bildschöne Kinder erhalten. Das älteste war ein Mädchen, die zwei jüngeren waren Knaben. Diese hatten den Vater nun begleitet und waren mit ihm auf die Bäume gestiegen, um Kirschen zu brechen. Erst nach einigen Stunden kam die Schwester mit dem Morgenessen nach und wurde alsbald von den Brüderchen mit lautem Jubel begrüßt. Sie kletterten schnell herunter und nahmen ihr Körbchen [336] in Empfang, während der Vater langsam nachfolgte und sich mit ihnen um die schwarze Suppe herumsetzte. Alle waren fröhlich und guter Dinge, denn es war ein gar schöner Junimorgen und rings hüpften die Vögelein umher und sangen ihre Lieder. Von der Stadt Waldkirch unten im Thale klangen Glocken herauf und ganze Schaaren von Landleuten zogen dahin auf den Wochenmarkt; nur die Schwarzburg[1] allein schaute von ihrem steil hervorspringenden Felsen finster und traurig auf die lachenden Triften hernieder. Der Vater aber sah mit Lust auf seine gesunden Kinder und dann wieder auf sein kleines, doch wohlbebautes Gütchen; denn der Himmel hatte ihn von dem Augenblicke an gesegnet, da er aus den Mauern der Burg getreten. Ja erhoffte sogar im Stillen, sich noch von seinem Herrn loskaufen und wenn auch nicht sich selbst doch seine Kinder ganz frei machen zu können. Drum war ihm der Schloßherr auch nicht mehr gewogen, seitdem Alles so wohl auf seinem Gütchen gedieh, denn der Ritter war keines biedern und glücklichen Mannes Freund und Jedermann floh seine düstere Gegenwart. Selbst wenn er in Waldkirch einritt, ging man ihm gern aus dem Wege und sogar der alte Bürgermeister zitterte, so oft er vor den barschen und hochmüthigen Herrn, der keinen Widerspruch ertragen konnte, geladen wurde. Kaspar hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen, denn auch er mied den Ritter wo nur möglich, und wenn Dieser etwas von seinem Leibeigenen haben wollte, schickte er gewöhnlich einen Knecht, um Obst oder Schinken, Feldfrüchte oder Geld, oder was ihn gerade gelüstete, zu holen. Weislich zögerte Kaspar in solchen Fällen niemals, den Ritter zu befriedigen, doch verbarg er dabei sorgfältig, was seine Frau bisweilen in Waldkirch oder Freiburg aus den Verkäufen des Obstes erübrigt hatte. Diesmal waren die Kirschen besonders reichlich ausgefallen und Kaspar überschlug schon im Stillen, was er etwa wieder unbemerkt zurücklegen könne. Darum war er heute auch so wohlgemuth und rief seiner Tochter, die mit der Spindel in der Hand ab und zu ging, während er und die Brüderchen aßen: „Höre Gundchen, die Vögel singen so lustig, komm setz’ dich zu uns her und sing [337] auch ein Liedchen mit!“ Gundchen, die eine gar liebliche Stimme hatte, ließ sich nicht lange bitten und wählte das muntere Strickerlied, welches sie von ihrer Mutter gelernt und das ihr, aus besonderen Gründen, jetzt recht oft einfiel:

„Mein Bübchen ist ein Stricker,
Er stricket manchen Tag;
Er strickt an einer Haube,
 Haube, Haube,
Ist noch nicht ausgemacht.

„Von Seiden ist die Haube,
Von Sammet ist die Schnur;
Bist du ein wackres Mädel,
 Mädel, Mädel,
Bind’ dir dein Härchen zu!

„Ach nein, ich will’s nicht binden,
Will’s noch mehr fliegen lahn,
Bis ein ander Jahr im Sommer,
 Sommer, Sommer,
Will zu dem Tanze gahn.“

Bis dahin hatte Gundchen gesungen und der Vater freudig zugehört, als auf einmal hinter ihnen ein Geräusch entstand und der gefürchtete Ritter, mit unterschlagenen Armen, aus dem Gebüsche hervortrat. Sein Gesicht hatte nicht nur, wie gewöhnlich, den Ausdruck der Wildheit und Härte, sondern es lag zugleich ein Hohn darin, welcher für den armen Leibeigenen Alles besorgen ließ. Erschrocken sprang dieser auf und nahm ehrerbietig seine Mütze ab, während die Kinder sich ängstlich an ihn schmiegten und das arme Gundchen aus Schreck seine Spindel fallen ließ. Lange sah der Ritter mit finsterem Schweigen auf die eingeschüchterte Gruppe, dann fuhr er plötzlich den alten Kaspar an: „So viel ich höre, hat dein schmuckes Töchterlein da schon Lust, über’s Jahr den Hochzeitsreigen anzutreten; gut, doch bis dahin soll sie die Ehre haben, meine Dienstmagd zu seyn; morgen früh bringst du sie zu mir auf mein Schloß!“ – Vergebens fiel der arme Vater mit seinen Kindern dem grausamen Herren zu Füßen, vergebens bot er ihm sein ganzes Vermögen an, um nur seine Tochter behalten zu dürfen. Höhnisch lachte der Ritter, daß ihm ein Knecht antrage, was ohnehin [338] sein eigen sey, und weidete sich an dem Jammergeschrei der Unglücklichen. – „Hab’ ich nun das Rechte getroffen,“ – rief er mit teuflischem Vergnügen – „um dem ewigen Singsang in deinem Häuslein ein Ende zu machen? Ist ja doch dort ein Lachen und Jubeln ohn’ Ende! Doch, damit du siehst“ – fügte er noch hämischer hinzu – „daß ich auch deinen Kopf gelten lassen will, so merk’ auf, was ich dir jetzt sage! Du weißt, ich esse gerne Kirschen, und heute Abend habe ich große Gesellschaft. Bringst du mir nun diesen Kirschbaum hier, so wie er dasteht, noch vor Mitternacht in meinen Saal, so daß ich und meine Gäste die Früchte davon brechen können, so bleibt nicht allein deine Tochter bei dir, sondern du sollst auch nebst all den Deinigen frei seyn. Ich habe schon bemerkt, daß du schon lange im Stillen damit umgehst, von mir los zu kommen. Aber merke dir wohl: noch ehe die Thurmuhr zwölf ausgeschlagen hat, muß der Baum in meinem Saale stehen!“ Mit diesen Worten entfernte sich der Ritter, ohne eine Antwort abzuwarten und noch lange hörte man von ferne sein dumpfes, abgebrochenes Lachen.

Der gute Kaspar war der Verzweiflung nahe. Er kannte den Ritter zu genau, um eine Abänderung seines Befehls hoffen zu dürfen und übersah mit Einem Blicke das Elend seiner Lage. Die Flucht zu ergreifen, war unmöglich und eben so unmöglich schien es ihm auch, je die Bedingung zu erfüllen, unter welcher allein seine Tochter zu retten war. Denn, einmal im Schlosse drinnen bei dem Ritter, war sie verloren! Umsonst warf sich ihm Gundchen um den Hals; ihre Zärtlichkeit vermehrte nur noch seinen Jammer; und als vollends auch noch die Mutter dazukam, war des Wehklagens und Weinens kein Ende, die Steine hätten gerührt seyn mögen. Da fiel das gute Gundchen auf die Kniee nieder und betete recht inbrünstig, daß doch der Himmel sie nicht verlassen möge. Und siehe, als sie so zu Gott flehte und die Anderen weinten, zuckt’ es plötzlich wie ein Blitz am heiteren Himmel, die Erde bebte, ein Windstoß fuhr durch die Gebüsche und aus der Tiefe der Erde ließ sich eine Stimme vernehmen: „Wehe, wehe! Seine Stunde hat geschlagen; dreimal Wehe!“ – Voll Entsetzen floh Kaspar mit seiner Frau und den Knaben von dannen, ihr Haar sträubte sich empor, nur Gundchen folgte ihnen langsam und beruhigt, denn sie wußte nun gewiß, daß [339] der Himmel sie nicht verlassen und der Bosheit ihres Herrn preisgeben würde.

Der Tag ging ohne ein merkwürdiges Ereigniß vorüber, nur fühlte man, daß die Luft immer schwüler wurde und wirklich war ein Gewitter im Anzuge. Die Thüre des alten Kaspar wurde nicht mehr aufgemacht; ihn selbst aber konnte man im Vorübergehen, wenn man durch das Fenster einen Blick in die Kammer warf, mit Frau und Kindern auf den Knieen liegen und andächtig beten sehen. Hörte man auch bisweilen die Stimme des hübschen Gundchens dazwischen, so war es doch nur in einem geistlichen Liede; sie hatte sich jetzt alle weltlichen Gedanken aus dem Kopfe geschlagen.

So rückte der Abend heran und mit ihm fand sich auch die Gesellschaft des Burgherren ein, die von der Jagd zurückkehrte, von Hörnerschall und Hundegebell begleitet. Nie war die Jagd noch so wild und grausam gewesen, wie heute; Hirsche und Hindinnen, Rehböcke und Geißen waren zusammengeschossen und die Felder der Bauern schonungslos zertreten worden. Manche Leute glaubten, beim Anblick des zurückkommenden Zuges, es gehe schon jetzt nicht mehr mit rechten Dingen zu, denn man zählte diesmal eine doppelt größere Meute von Hunden, als die Herren sonst mit sich zu führen pflegten, sogar auch wilde Thiere, wie z. B. Löwen und Tieger, wollte man darunter bemerkt haben. Da nun die Ritter ihre Jagdlust befriedigt hatten, setzten sie sich im Schlosse zum Gelage nieder, und nun wurde gesotten und gebraten und aufgetragen, was nur Küche und Keller vermochten und auf den Tischen Platz hatte. Spielleute wurden herbeigeschafft, nichtwürdiges Gesindel, das sich auf allen Jahrmärkten herumtrieb, manchen Burschen in’s Sündengarn hineinlockte und manches Mädchen verführte. Da war großer Jubel in der ganzen Burg; nicht nur die Herren zechten übermäßig und trieben mit Buhldirnen ihr Spiel, sondern auch die Knappen und Knechte folgten ihrem Beispiele. Darum ward es auch Niemand von der Gesellschaft gewahr, daß das Gewitter vom Rheine her immer näher und naher heranzog. Von Stunde zu Stunde wurde das Toben und Lärmen im Schlosse frecher und wilder; kein Scherz blieb zur Aufheiterung der Gäste unversucht. Besonders aber erregte es großes Gelächter, als der [340] Burgherr die Geschichte vom Kirschbaum erzählte und mit lebendigen Farben die Seelenangst und das Entsetzen des armen Kaspars schilderte. Einige meinten, man solle doch nachsehen lassen, ob er noch nicht angespannt habe, um den bedungenen Nachtisch heraufzuführen; eine fürwitzige Dirne wollte sogar den Kopf zu einem Fenster hinausstrecken, aber da faßte der Wind die Flügel desselben und schlug sie mit solcher Heftigkeit zu, daß die Glasscherben im ganzen Saale herumflogen. Jetzt begann es doch Manchem unheimlich zu werden, aber Keiner vermochte sich von der Stelle zu bewegen und Jeder fühlte sich wie verzaubert in dem Saal festgebannt.

Plötzlich fing der Thurmwart aus allen Kräften an, Sturm zu blasen und ein Knecht stürzte mit verstörtem Angesicht und der Nachricht herein, man höre vom Walde herauf Pferdegetrappel und sehe viele Lichter sich dort hin und her bewegen. Schon wollte der Burgherr voll Zorn über eine solche Störung seines Festes sich aufmachen, als ein Windstoß alle Fenster auf Einmal aufriß und alle Lichter wie mit Einem Schlage ausgelöscht wurden. Während nun solcherweise im Saale dunkle Nacht herrschte, ward es außerhalb der Burg und im Thale drunten um so heller. Blitze kreuzten sich unaufhörlich nach allen Richtungen, dabei rollte der Donner, als bräche das Weltgericht herein und der heftigste Sturm, wie man noch keinen erlebt, schien den ganzen Wald entwurzeln zu wollen. Das Grausigste aber für die Gesellschaft war, was sie jetzt auf dem Acker des armen Kaspar von Weitem erblickte. Dort stampften vier rabenschwarze Rosse ungeduldig vor einem großen Wagen, und hundert Riesenarme, die aus der Erde hervorkamen, schienen damit beschäftigt, einen Baum auf denselben zu heben. Die Früchte von diesem Baume aber waren ganz feurig, wie Karfunkel, und nicht zu zählen; übrigens sahen sie ganz den Kirschen gleich. Endlich gelang es den vielen Riesenarmen, den Baum mit sammt den Wurzeln auf den Wagen zu bringen und nun schwang sich ein, wie der arme Kaspar gekleidete Kutscher auf den Bock und voran gings den Berg herauf in raschem Galopp. Der Burgherr zwang sich umsonst zu lachen und seinen Genossen Muth einzuflößen, allein er brachte nur ein widriges Grinsen und unverständliches Gemurmel hervor. [341] Der Wagen aber schien den Boden nicht zu berühren, sondern über den Wipfeln der Bäume hinzustreifen und eine Flammenstraße hinter sich zu lassen. So flog er immer näher, während es immer schrecklicher donnerte und blitzte, an die Burg heran, wo ihm auch das wohlverwahrte Thor keinen Widerstand zu leisten vermochte. Wie Papierblätter fielen die Thorflügel auseinander und die Mauer darüber rollte wie ein Haufen Sand in den Graben. So brauste der Wagen endlich durch die weitgähnende Wand in den Saal und mitten unter die von Entsetzen halbtodten Gäste herein. Da stand der Baum, wie ungefähr, wenn man ihn so vergleichen darf, ein großer Christbaum, mit Früchten und Lichtern übersäet; aber Niemand war so keck, sich Etwas von der Bescheerung zuzueignen. Der Kutscher aber rief mit donnernder Stimme: „Was zögert ihr denn? So greift doch zu!“ und die Riesenarme drangen jetzt wieder aus den Wänden des Saales hervor und nöthigten die Herren und Damen, zuzugreifen. Sobald aber Jemand eine der funkelnden Kirschen zum Munde führte, verwandelte sich dieselbe in eine Flamme, die nicht mehr zu löschen war und tief in das Herz und den Magen hinunterbrannte. Endlich riß der Kutscher selbst den Burgherrn zu sich auf den Bock hinauf, das Feuer bemächtigte sich des Gebälkes und der Dachsparren des Schlosses, der Boden öffnete sich mit einem weiten Klaff, und Pferde, Wagen, Ritter und Gäste sanken in eine schwarze, bodenlose Tiefe hinab. – So erzählten damals die Sonntagskinder, denn andere Leute hatten nur Blitze gesehen, die wie eine ungeheure Feuergarbe auf das Schloß zufuhren und es in ein Flammenmeer begruben. Aber es ist weltbekannt, daß Sonntagskinder in solchen Dingen immer mehr sehen, als gewöhnliche Menschenaugen.

Als sich des andern Tages die Thalbewohner von den Schrecknißen der Nacht erholten und ihre Blicke nach der Burg richteten, sahen sie weder Thürme noch Zinnen mehr, sondern blos schwarze Mauerblöcke, aus welchen bisweilen noch bläuliche Flammen mit Schwefeldampf emporschlugen. Auf dem Felde des alten Kaspar hingegen fanden sie an der Stelle, wo der schöne Kirschbaum gestanden hatte, eine tiefe schwarze Grube und daneben Spuren von Rädern und Pferdehufen. Sie besprengten [342] deßhalb die Stätte mit geweihtem Wasser und ließen ein steinernes Kreuz dahin setzen. Der alte Kaspar mit seiner Familie war jetzt natürlich seiner Leibeigenschaft los geworden und Gundchen blieb so lange zu Hause, bis ein wackerer junger Nachbar sie als seine Hausfrau heimführte. Noch heute sind die Reste des uralten Kreuzes und die Trümmer der Burg übrig, aber nur am Tage wagt man sich in ihre Nähe; denn wenn man Abends oder gar in der Nacht vom Glotterthale heraufkommt und den näheren Weg einschlagen will, sieht man, namentlich an hohen Festtagen, den großen Baum mit den feuersprühenden Kirschen mitten über dem Gemäuer des Schlosses.

Dr. Heinrich Schreiber.

  1. Schloßtrümmer nahe der Stadt Waldkirch.