Der Canal von Suez (Nordische Revue 1864)

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Autor: Georg Ebers
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Titel: Der Canal von Suez
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aus: Nordische Revue. Internationale Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Band 2. S. 1–17 und 167–181
Herausgeber: Dr. Wilhelm Wolfssohn
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Veit und Comp.
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Erscheinungsort: Leipzig
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[1]
Der Canal von Suez.

Von Dr. Georg Ebers.

I.

Den 9. November 1858 schrieb Herr Ferdinand von Lesseps[1], der Vertreter der großen Suez-Canalfrage, an Herrn F. Szarvady, der in der Kölnischen Zeitung eine Reihe von Artikeln für die Durchstechung der Landenge, welche Asien und Afrika weit mehr trennt als verbindet, veröffentlicht hatte, folgende Zeilen:

 „Mein Herr!

Die alte Idee der Durchstechung der Suezlandenge wird eine Wirklichkeit werden. Europa regt sich, um dem Unternehmen seinen Beistand zu bringen; die Zeit der überzeugenden Theorie ist vorüber, die Zeit des positiven Schaffens beginnt.

Dies ist der rechte Augenblick, Ihnen und durch Sie dem ganzen deutschen Journalismus den Dank auszudrücken für den Antheil, den die deutsche Presse an diesen Vorkämpfen genommen hat. Sie hat unser Project unermüdlich unterstützt, sie hat es vertheidigt und erklärt; sie hat böswillige Gegner entlarvt und die wohlwollenden Geister überzeugt; sie hat den ungeheuern Nutzen eines Suez-Canals für die Civilisation, für die gesellschaftliche und commerzielle Zukunft der ganzen Welt dargelegt. Ausgezeichnete Publicisten haben unsere Sache mit Wärme, mit Begeisterung, mit Geist und Scharfsinn vertheidigt.

Es wundert mich nicht, daß Deutschland uns beipflichtet, denn diese Nation, die kosmopolitischer ist, als jede andere, weiß ihre besonderen und persönlichen Interessen dem allgemeinen Interesse der Menschheit unterzuordnen. In Deutschland hat man sich nicht gesagt: „Was kümmert uns ein Project, das sich bemüht, eine so entfernte Erdzunge zu beseitigen? Was kümmert uns ein Seeweg, der nicht alle Schiffe aller Nationen direct in unsere Häfen führt?“ Man sagte sich: „Es handelt [2] sich um Wiederbelebung eines Bassins, um welches herum die Stätten und Wiegen aller Cultur lagern; es handelt sich um Eröffnung neuer Wege, um neue Bewegung und Berührung der Völker unter einander, und die Bewegung und die Berührung der Völker sind die mächtigsten Mittel, die wirksamsten Hebel der Civilisation; sie sichern den Frieden und mit dem Frieden den Reichthum und das Glück der menschlichen Gesellschaft.“

Diese Zeilen des für sein großes Unternehmen in wahrer Begeisterung glühenden Mannes, tragen zwar den Stempel französischer Emphase und jener den romanischen Völkern eigenen Lust an poetischer Uebertreibung, schießen aber doch nicht allzuweit über das Ziel hinaus; denn erstens hat die deutsche Journalistik in der That die Suezfrage in hunderten von Aufsätzen besprochen und beleuchtet und zweitens ist die Durchstechung jener Landzunge von so mächtiger Wichtigkeit, daß unser berühmter Geograph Petermann in seinen „Mittheilungen“[2] sagen konnte: „Wenn es möglich wäre, eine Brücke von Calais nach Dover oder gar von Europa nach Amerika zu schlagen, so würde das auf den Weltverkehr und auf die Machtstellung der Völker der Erde bei weitem nicht den Einfluß haben, als die Zerstörung der Brücke, des schmalen terrestrischen Bandes, welches Asien mit Afrika verbindet.“

Diese Ansicht stammt nicht von gestern oder heute, sie hat vielmehr ein ebenso hohes Alter, als das erste Blatt, welches von dem Buche der Weltgeschichte bis auf uns gekommen ist.

Schon dem alten Culturvolke der Aegypter konnte es nicht entgehen, welch ungeheurer Vortheil dem Nilthale durch einen das mittelländische und rothe Meer verbindenden Canal erwachsen würde. Wir hören von den griechischen Historikern, daß schon der Pharao Sesostris, der Ramses Miamun der Denkmäler im 14. Jahrhundert vor Chr.[3], eine Durchstechung des Isthmus von Suez unternommen, später aber eingestellt habe, weil ihm von seinen Baumeistern gesagt worden wäre, das rothe Meer liege höher, als der Boden von Aegypten und würde, durch den Canal in den Nil fluthend, das befruchtende Wasser des heiligen Stromes verderben und den gesegneten Boden des Deltas verwüsten.

Diese Nachricht, welche von Vielen, weil sich die Aegypter in ältester Zeit, wie die heutigen Chinesen, von jedem Verkehr mit den Fremden, [3] die sie für unrein hielten, abzuschließen suchten, und aus anderen Gründen angezweifelt worden ist, hat sich vollkommen bestätigt. In dem Tempel zu Karnak ist nämlich ein Bild gefunden worden, welches einen Canal darstellt, den, wie eine hieroglyphische Inschrift besagt, schon der Vater des Sesostris, der große Sethos gegraben und mit dem Namen des „Ausschnitts“ belegt hat. Ferner sind auf alten Denkmälern in der Nähe eines verfallenen Canals auf der Landenge von Suez Inschriften gefunden worden, welche den Namen des Sesostris führen, und endlich hören wir in alten Papyros von Aegyptern reden, die zu Schiffe von Ramses nach Pithom[4] gefahren sein sollen. Dies sind dieselben Städte, in denen die Juden für den Pharao jene Ziegel brennen mußten, welche sich zum Theil bis auf den heutigen Tag erhalten haben, und die zum Beispiel im Berliner ägyptischen Museum aufbewahrt werden. Sie tragen die Form unserer Mauersteine, sind aber größer als diese, führen den Stempel des Ramses und bestehen aus getrocknetem Lehm und Schlamm, der, den biblischen Nachrichten entsprechend, mit Stroh untermischt zu sein pflegt.

„Denn man baute dem Pharao die Städte Pithom und Ramses zu Schatzhäusern. (Ramses auf der Landenge, Pithom etwas westlicher.) Und machte ihnen das Leben sauer, mit schwerer Arbeit in Thon und Ziegeln u. s. w.“[5]

„Darum befahl Pharao desselben Tages den Vögten des Volks und ihren Amtleuten und sprach: Ihr sollt dem Volke nicht mehr Stroh sammeln und Garben, daß sie Ziegel brennen, wie bis anher; lasset sie selbst hingehen und Stroh zusammenlesen; und die Zahl der Ziegel, die sie bisher gemacht haben, sollt ihr ihnen gleichwohl auferlegen und nichts mindern u. s. w.“[6]

Jener strenge Pharao in der Bibel ist sicher dem Ramses der Inschriften gleichzusetzen. Herodot, welcher viel von ihm zu erzählen weiß und der den später vollendeten Suez-Canal gekannt hat, scheint nichts von dem Projecte des großen Königs gehört zu haben, obschon er behauptet, Ramses sei zuerst mit Kriegsschiffen aus dem arabischen Meerbusen ausgelaufen und habe sich die Küstenbewohner des rothen Meeres unterworfen.

Seine Furcht, die See möchte durch den Canal in das Delta eindringen, ist auch in unserer Zeit von einigen Ingenieuren getheilt worden [4] und mag seine Nachfolger von weiteren Canalisations-Versuchen abgehalten haben, bis endlich im 7. Jahrhundert vor Chr. König Necho[7] den Plan seines großen Ahnen wieder aufnahm. In Aegypten hatte sich seitdem viel verändert; besonders war seit dem ersten Psamtik, dem Vater des Necho, das Nilthal den Fremden, und namentlich den Griechen, eröffnet worden, so daß es nicht unmöglich erscheint, daß er auf den Rath der Hellenen, welche schon vor ihm, unter Periander, den Isthmus von Korinth zu durchstechen versucht haben, sein großes Werk unternommen habe. Kurz vor der Vollendung desselben ließ der Pharao plötzlich die Arbeiten einstellen, wie Herodot erzählt, weil 120,000 Mann bei ihrem beschwerlichen Tagewerke in der Wüste den Tod gefunden hätten und weil ihm ein Orakelspruch zugerufen, sein Werk würde nur den Ausländern zum Nutzen gereichen. Letzterer Grund ist wahrscheinlicher als der erste; denn es ist wohl anzunehmen, daß die Priester Alles aufgeboten haben werden, um ein Unternehmen zu hintertreiben, welches ganz geeignet schien, den Verkehr mit den ihnen bis in den Tod verhaßten Fremden zu verdoppeln, während der Verlust einer großen Anzahl von Frohnarbeitern einem orientalischen Despoten damals ebensowenig nahe gehen mochte als heute. Man denke nur daran, daß bei der Anlage des Mahmudieh-Canals unter Mehmed Ali, in unserem Jahrhunderte 30,000 Menschen durch Entbehrungen jeder Art umgekommen, daß während des Baues des Eisenbahn von Cairo nach Suez, durch die Nachlässigkeit der englischen Unternehmer, an einem einzigen Tag mehrere Tausend unglücklicher Fellahin verdurstet sind.

Nach Necho’s Tode, unter dessen Regierung auch das Cap der guten Hoffnung zum erstenmale umsegelt worden ist, blieb die begonnene Arbeit liegen, bis Aegypten von den Persern erobert wurde, und König Darius[8] dieselbe wieder aufnahm. Um 500 vor Chr. hatte er Aegypten mit einem Canale beschenkt, welcher 4 Tagereisen lang und so breit war, daß zwei Trieren einander darauf ausweichen konnten. Etwas unterhalb der Stadt Bubastis[9] bekam er sein Wasser vom Nil und ging von der arabischen Stadt Pathumos (Pithom) aus dem Meerbusen entgegen. Er mußte viele Krümmungen machen, und war darum weit länger als die 1000 Stadien, welche das Mittelmeer von dem arabischen Golfe trennen.

[5] So erzählt Herodot, der 50–60 Jahre nach der Vollendung des Canals das Werk des Darius besucht und stets, was er mit eigenen Augen gesehen, treu und wahr mitgetheilt hat. Neben seinem Zeugnisse braucht man die Angaben eines Strabo, der 500 Jahre später Aegypten bereiste, und eines flüchtigen Compilators, wie Plinius, nicht zu berücksichtigen. Beide behaupten, der Canal sei nie vollendet worden; Herodot hat aber gesehen, die anderen nur gehört; auch wurde zu ihrer, ja schon zur Zeit des Aristoteles die Wasserstraße nicht mehr befahren. Ueber ihre einstige Existenz kann gar kein Zweifel aufkommen, denn lauter und beweiskräftiger als die Berichte der Griechen sprechen die Trümmer des Darius-Canals, welche heute noch erhalten sind. Schon der Schweizer Reisende Hans Werli von Zimber hat sie gesehen und sagt von ihnen in seinem Reisebuche von 1484: „Vom Mosesbrunnen kamen wir auf das Feld Hanada, wo wir zur Nacht blieben, dann an einen Ort, da sahen wir das große Werk, das ein König angefangen hat zu graben.“ Wer dieser König gewesen sei, blieb dem alten Schweizer unbekannt; der neuen Wissenschaft der Keilschriftentzifferung ist es aber gelungen von einem Steine, welcher sich bei den Trümmern eines Canals in der Nähe des rothen Meeres befindet, die Worte zu lesen:

Daryawush naqa wazarka
„Darius, der große König.“

Auch eine bei denselben Trümmern gefundene Hieroglyphen-Inschrift enthält den Namen des Ntariush (Darius), eines Mannes, der zu den größten Organisationstalenten gehört, von denen die Geschichte erzählt, und dessen Weitsichtigkeit so groß war, daß man wohl annehmen könnte, er habe das südliche Persien mit den westasiatischen Provinzen durch eine Wasserstraße verbinden wollen.

In welchem Maße und wie lange der Canal benutzt worden ist, wissen wir nicht; wohl aber, daß man in verhältnißmäßig kurzer Zeit nach seinem wahrscheinlichen Verfall, von Neuem seine Nothwendigkeit erkannte, und daß Ptolemäus Philadelphus, der dritte macedonische König von Aegypten (285–247 vor Chr.)[10] es wiederum unternahm, das rothe mit dem mittelländischen Meere zu verbinden. Seine Bemühungen wurden von so gutem Erfolge gekrönt, daß noch nach mehreren Jahrhunderten [6] viele schwer beladene Lastschiffe den Canal befahren konnten. – Strabo hat ihn gesehen und sagt von demselben, er münde bei Arsinoe[11] in das rothe Meer, durchschneide die sogenannten bitteren Seen[12] und werde von Thoren verschlossen, die man nach der Beschreibung des Diodor für ein System von doppelten Schleusen halten muß, welche der Brauchbarkeit des Canals in jeder Beziehung förderlich waren. Weiter erfahren wir, daß das in die bitteren Seen einfließende süße Wasser die Natur derselben so verändert habe, daß sich Fische in ihnen gehalten und Wasservögel ihre Ufer besucht hätten.

Die Behauptung, der Canal des Ptolemäus habe schon zur Zeit der Kleopatra nicht mehr existirt, ist vollkommen grundlos, denn sie stützt sich lediglich auf eine Stelle im Plutarch, welcher erzählt, daß, als Antonius nach der unglücklichen Schlacht von Actium nach Alexandria zurückkam, er die Courtisane im Purpur, die eben so schöne als reichbegabte Kleopatra, mit dem riesenhaften Unternehmen beschäftigt gefunden habe, ihre Flotte über die Landenge, welche das mittelländische vom rothen Meere trennt, zu schaffen. Diese Nachricht braucht nicht verworfen zu werden, wenn auch die Wasserstraße des Philadelphus noch nach der Schlacht bei Actium befahren werden konnte, denn der Canal, welcher ja seine Speisung aus dem Nil erhielt, war wohl nur zur Zeit der Ueberschwemmung schiffbar, und Antonius muß im Februar oder März zu Kleopatra gekommen sein, während der Nil schon Anfangs Juni zu steigen, seine höchste Höhe im September zu erreichen und Ende Januar vollkommen zurückgetreten zu sein pflegt. Ein sehr gültiger Beweis für das längere Bestehen des amnis Ptolemaeus, wie Plinius den Canal des Philadelphus nennt, liegt in den Berichten einiger arabischer Schriftsteller, welche ihn von Trajan gegründet und übereinstimmend mit den Geographen Ptolemäus „Trajans-Canal“ genannt werden lassen, woraus man schließen darf, daß irgend ein schmeichlerischer Präfect den großen Bau mit dem Namen seines Gebieters, der Aegypten niemals besucht und sich für dasselbe keineswegs besonders interessirt hat, geschmückt habe. Jedenfalls ist es unwahrscheinlich, daß ein stolzer Imperator ein verfallenes Werk, an dem er durchaus kein Theil haben kann, nach seinem Namen benennt. Im Jahre 1799 gelang es dem Franzosen Lepère[13], dem Haupte der napoleonischen wissenschaftlichen Commission, die [7] Spuren des alten Canalbetts genau zu verfolgen. Es ging vom pelusinischen Nilarme aus und mündete westlich von der heutigen Stadt Suez. Ob der Canal noch zur Zeit der Khalifen befahren wurde, ist eine Frage, welche von dem Araber Alferan verneint wird. Derselbe erzählt nämlich, der Khalif Omer[14] habe den versandeten „Trajans-Canal“ wieder aufgraben lassen, um während einer Hungersnoth Lebensmittel nach Mekka und Medina zu schaffen. Ein anderer Araber theilt uns in sehr lebendiger Weise mit: Amru, welcher auch zuerst auf den Gedanken gekommen sein soll, die Landenge zu durchstechen, habe für die Mekkapilger den Nil mit dem rothen Meere verbinden und hierzu den Canal des Philadelphus benutzen wollen. Als Amru die Ausgrabung desselben befahl, kam ein Kopte zu ihm und sagte: „Wenn Ihr mich von der Kopfsteuer befreien wollt, so will ich Euch sein altes Bette zeigen.“ Omer gestattete des Mannes Wunsch zu erfüllen, und der Kopte zeigte den Canal, welcher dann auch hergestellt wurde, um wieder – aber nur eine sehr kurze Zeit lang – befahren zu werden. Er soll schon, und darin kommen fast alle Berichterstatter zusammen, am Ende des 8. Jahrh. n. Christ. zugeschüttet worden sein. Makrizzi (1430)[15] erzählt, zu Medina sei ein gewisser Muhamed gegen den Khalifen von Irak aufgestanden, welcher schnell nach Aegypten geschrieben habe, der Statthalter möge den Canal sofort zuschütten lassen, damit den Aufrührern keine Lebensmittel nach Medina gebracht werden könnten. Man gehorchte diesem Befehle und zerstörte die Wasserstraße, welche Aegypten mit dem rothen Meere verband auf ewige Zeiten.

Der alte Canal verfiel und versandete endlich ganz und gar; nicht so der Gedanke einer Durchstechung der Landenge von Suez. Harun-el-Raschid[16] dachte daran, das rothe und das mittelländische Meer zu verbinden; doch ließ er die Arbeiter nicht an’s Werk gehen, weil er fürchtete, die Europäer möchten durch den Canal nach Aegypten oder gar nach den heiligen Stätten von Mekka und Medina kommen. Als nach der Umsegelung des Caps der guten Hoffnung durch Vasco da Gama der größeste Theil des venetianischen Gewürzhandels in portugiesische Hände überzugehen drohte, rieth Marino Sanudo[17]: „Der Weg über das rothe Meer sei der kürzere, und wenn der mohamedanische Zoll wegfalle, auch der wohlfeilere; eine Verbindung [8] des Nils mit dem rothen Meere sei möglich, sei schon vorhanden gewesen und müsse wieder hergestellt werden.“

Der unbekannte Zeichner einer Seekarte aus dem Jahre 1424, welche sich auf der Bibliothek zu Weimar befindet, hat gleichfalls denselben Plan gehabt, denn er verbindet, wenn auch nur mit der Feder, den Nil mit dem rothen Meere durch einen breiten Wasserstrom.

Der Sultan Mustapha II. (1754–744)[18] dachte ebenfalls an die Verwirklichung des alten Projectes und veranlaßte den in der Welt umherstreifenden Baron Tott[19], ihm eine Denkschrift darüber zu schreiben. Tott begriff die große Idee vollkommen und sagt: „Wenn Mustapha lange genug gelebt hätte, das Werk auszuführen, so würde er mit Ueberwindung geringer Schwierigkeit eine Umwälzung bewirkt haben, wie sie in der Politik nur je möglich gewesen.“

Der letzte Abschnitt der Suez-Canal-Unternehmungen begann mit der französischen Expedition nach Aegypten, an deren Spitze der junge General Bonaparte stand, dessen alleserfassender Genius die Wichtigkeit des Suez-Canals sofort erkannte und an die Vollendung desselben weitschauende Pläne knüpfte. Nach der Schlacht bei den Pyramiden begab er sich in eigener Person von Cairo nach Suez. Als er eines Tages das Gestade des roten Meeres untersuchte, trat dasselbe ganz unerwartet so gewaltig über sein Ufer hinaus, daß er ohne die wunderbare Schnelligkeit seines arabischen Pferdes, fast an der derselben Stelle, die wir für das feuchte Grab des den Juden nachsetzenden Pharaonen-Heeres halten müssen, ein Raub der Wogen geworden wäre. Als der General später den Isthmus von Suez genau untersuchte und Berthollet[20] das Bett des alten Canals auffand, so rief er: „Messieurs, nous sommes en plein canal des Pharaons!“ Schon im Jahre 1799 setzte Bonaparte eine Commission ein, die er mit der Untersuchung der Localverhältnisse betraute. Als er nach Europa zurückgekehrt war, erschien eine von Lepère im Namen der Commission verfasste, äußerst reichhaltige Denkschrift, welche den Rath erteilt, dem alten ptolemäischen Bau zu folgen und den nur für große Barken zugänglichen Canal vom Nile nach dem rothen Meere zu bauen; die Durchstechung der Landenge aber aus verschiedenen Gründen, besonders weil man gefunden habe, daß das rothe Meer um 9,908 Meter höher liege, als das mittelländische Meer, aufzugeben. Dieser auch in [9] die große description de l’Egypte[21] übergegangene Irrthum veranlaßte Napoleon, von seinem großen Plane abzustehen; er war aber an die exacte Richtigkeit der Messungen seiner Ingenieure gewöhnt und konnte das nicht ahnen, was auch wir nicht zu begreifen vermögen: nämlich, wie so gewandte Männer es möglich gemacht haben, einen so groben Fehler bei der Erledigung einer so wichtigen Frage zu begehen. Spätere Vermessungen, von denen wir weiter unten reden werden, haben nämlich ergeben, daß zu Ebbezeit das Meeresniveau bei Tineh[22] nur um etwa 1 Zoll höher sei, als bei Suez, zur Fluthzeit aber das rothe Meer höchstens um 1 Fuß 5½ Zoll höher stehe, als das mittelländische. Eingerechnet die Aequinoctial-Springfluth, beträgt der mittlere Unterschied des Wasserstandes beider Meere 4, die höchste Differenz 8 ¾ Pariser Fuß. – Bemerkenswerth erscheint es, daß schon die Baumeister der Pharaonen in den Irrthum der französischen Ingenieure verfallen sind.

Wenn aber auch durch die falschen Lepère’schen Berechnungen der Bau des Suez-Canals verzögert worden sein sollte, so darf doch der Bericht der Napoleonischen Ingenieure, außer wegen des reichen Materials, das er herbeibringt, auch insofern dankenswerth genannt werden, als er es gewesen ist, welcher Herrn von Lesseps auf das große Project des Kaisers aufmerksam gemacht und ihn veranlaßt hat, sein Leben und seine Kräfte in wunderbar hingebender, geschickter und erfolgreicher Weise der Herstellung eines Suez-Canals zu widmen. Vielen unserer Leser wird der Name Lesseps bekannt sein; wenige werden aber wissen, wie gerade dieser nicht eben reiche französische Edelmann dazu gekommen ist, ein Werk zu beginnen und wahrscheinlich zu vollenden, welches die Mittel eines Königs und den Einfluß eines Kaisers in Anspruch nimmt.

1831 wurde er - so können wir seiner eigenen Erzählung folgend berichten – als Viceconsul von Tunis nach Aegypten geschickt. Er legte diese Reise auf einem langsamen Segelschiffe in 37 Tagen zurück und mußte zu Alexandrien eine Quarantaine bestehen, obgleich er aus einem vollkommen gesunden Lande in ein für ungesund verrufenes gekommen war. Herr Mimaut, der damalige Consul, ein ebenso geist- als kenntnißreicher Mann, besuchte natürlich seinen jungen Amtsbruder und brachte ihm, damit er seine gezwungene Muße nützlich verwenden könnte, die große description de l’Egypte, in der er auch den Lepère’schen Aufsatz [10] über die Verbindung der beiden Meere fand. „In jenen Tagen habe ich mich,“ so erzählt Lesseps selbst, „zum erstenmale nach der Bedeutung der Landenge von Suez ernstlich umgeschaut und aus den gelehrten Mittheilungen des Herrn Lepère Aufklärung über die Geschichte des Canals erhalten.“

Damals regierte Mehemed Ali[23] in Aegypten, der den jungen Diplomaten sehr wohlwollend aufnahm, weil er den Vater desselben gekannt hatte, der als erster französischer Geschäftsträger, nach dem Abzuge der Pyramiden-Armee, von Napoleon und Talleyrand zum Nile geschickt worden war, um die englische Politik zu bekämpfen, welche sich’s angelegen sein ließ, das barbarische Regiment der Mamelucken in Aegypten zu begünstigen. Dieser Herr von Lesseps (der ältere) war es gewesen, der in Mehemed Ali, einem früheren Tabakshändler, welcher sich zum Oberst in der türkischen Armee aufgeschwungen, den Mann gefunden hatte, dessen man sich bedienen konnte, um die Macht der Mamelucken zu brechen und das verkommene Aegypten dem europäischen Handel wieder aufzuschließen. – Mehemed Ali erfüllte, was man von ihm erwartet hatte. Er wußte als Vicekönig den Ertrag seines Landes und die Verkehrsfähigkeit desselben, wenn auch fast ausschließlich für seinen eigenen Vortheil, zu verzehnfachen. Er brach die Macht der Mamelucken; aber er that es freilich in etwas sonderbarer Weise. Eines Tages lud er sie Alle zum Gastmahle nach der Citadelle von Cairo ein. Sie kamen; als sie sich aber im reichsten Waffenschmucke an die Tafel setzen wollten, fielen plötzlich aus dem Hinterhalte tausend Schüsse, welche nicht eher schwiegen, bis 3-400 dieser wilden, aber ritterlichen Helden, ohne sich wehren zu können, in dem verschlossenen Hofe der alten Feste verblutet waren. Nur ein einziger entkam durch die Treue und wunderbare Kraft seines edlen Rosses. Mehemed Ali war ein Schlächter und Bluthund, ein Bedrücker und Gottesverächter; aber er war von der anderen Seite ein milder Vater, ein vorsorglicher Regent, ein fortschrittlicher Geist und ein frommer Mann. Fürst Pückler nennt ihn den Napoleon des Ostens und hebt seine Tugenden in den Himmel, während General Heilbronner den Fluch Gottes auf ihn herabruft. Mehemed war eben einer von jenen groß angelegten Menschen, die ganz bestimmten Zielen unaufhaltsam nachstreben und niemals, weder im Guten, noch im Bösen, die gewöhnlichen [11] Grenzen innehalten. Er, den man mit Recht hundertmal der schreiendsten Undankbarkeit zeihen kann, war dem jungen Lesseps für die Dienste, welche ihm der Vater desselben erwiesen hatte, bis an sein Ende dankbar und brachte ihn selbst mit seinem jungen Sohne Said[24] in Verbindung, der den liebenswürdigen Franzosen bald mit seiner Freundschaft beehrte.

1847 nach dem Tode Mehemed Ali’s mußte Said vor seinem Neffen Abbas-Pascha[25], dem Nachfolger seines Vaters, fliehen und begab sich nach Paris, woselbst ihn Herr von Lesseps in seiner Familie gastfrei aufnahm und sich immer enger mit ihm verband. – 1854 gelangte Said zur Regierung und berief seinen Freund sofort nach Aegypten. Dieser nahm die Einladung an und begab sich mit dem vollendeten Entwurfe des Suez-Canals, dem er von nun an seine Tage weihte, nach Alexandrien.

Der neue Vicekönig nahm Interesse an dem Plane, der ihm theils aus den Mittheilungen seines Freundes, theils aus gewissen Arbeiten während der Regierung Mehemed Ali’s nicht mehr fremd war. Im Jahre 1840 hatten nämlich englische Offiziere durch Kochmessungen gefunden, daß in der Höhe der beiden Meere keine Differenz bestehe, und der Vicekönig war sowohl hierdurch, als durch die Aufmunterung des Fürsten Metternich, der sich von dem Suez-Canale große Vortheile für die süd-österreichischen Hafenstädte versprach, veranlaßt worden, ein genaues Nivellement der beiden Golfe und des zwischenliegenden Terrains vornehmen zu lassen. Zu diesem Behufe berief der Vicekönig eine Commission von bewährten Ingenieuren, welche das Nivellement mit aller Sorgfalt bewerkstelligte.[26] Da erschien der berühmte Engländer Stephenson[27], dem die Erforschung der Rhede von Suez übertragen wurde, der Oesterreicher Negretti [28], welcher den Golf von Pelusium untersuchte, und der Franzose Talabot [29] mit seinem Genossen Bourdaloue [30], welche beide die Vermessung des Terrains zwischen dem rothen und mittelländischen Meere zu leiten hatten. Endlich nahmen auch die bedeutenden ägyptischen Ingenieure Linant [31] und Mougel-Bey an diesen Nivellirungen Theil, als deren Resultat sich herausstellte, daß das Niveau der beiden Meere fast ganz gleich sei und daß ein maritimer Canal sehr gut vollendet werden könne. Mougel und Linant-Bey, sowie Herr von Negretti befürworteten dies Project ganz besonders, während sich Talabot für einen Canal [12] entschied, welcher die Schiffe von Suez aus quer durch Aegypten zum Nil und von dort nach Alexandrien führen sollte.

Die großen von dieser Commission zu Nismes gedruckten Karten und Pläne sind leider niemals herausgegeben worden; für Herrn von Lesseps waren sie aber wohl zugänglich, und ihnen mag er zum Theil die Sicherheit verdanken, mit der wir ihn von Anfang an sein großes Ziel verfolgen sehen.

Der neue Vicekönig nahm bald ein so warmes Interesse an dem ihm schon seit Jahren geläufigen Plane seines Freundes, daß er die Lesseps’schen Voranschläge eigenhändig prüfte und, nachdem er sie gebilligt hatte, den europäischen Mächten mittheilte, er werde die Landenge von Suez durchstechen. Den Bedenken des englischen Consuls antwortete er, daß man den Canal mit europäischem Gelde bauen werde, daß keiner Nation eine besondere Begünstigung gewährt werden sollte und daß sich Niemand zu beunruhigen brauche, denn er sei gern bereit, jeden Einwand, den man ihm machen könnte, nach Kräften zu berücksichtigen.

Die Uebergabe der Bewilligungsacte an Herrn von Lesseps wurde mit Feierlichkeit am 18. Nov. 1854 in Gegenwart aller auf der Citadelle von Cairo versammelten europäischen Consuln begangen und enthält nach einigen einleitenden Worten in der Kürze folgende Stipulationen[32]:

Die Bewilligung erstreckt sich, vom Tage der Eröffnung des Canals an gerechnet, auf 99 Jahre.

Die Gesellschaft hat alle Kosten, welche die Arbeiten verursachen werden, zu tragen, erhält aber alle nothwendigen Grundstücke, welche nicht Privateigenthum sind, unentgeltlich.

Die ägyptische Regierung beansprucht 15 % des Reinertrages, welchen der Canal abwerfen wird. Vom übrigen Gewinn erhalten die Aktionäre 75 und die Gründer 10 %.

Die Durchgangsabgaben, welche gemeinsam vom Vicekönige und der Gesellschaft festgesetzt werden, müssen für alle Nationen gleich sein.

Außer dem See-Canale muß noch ein Süßwasser-Canal, in der Weise des zur Zeit der Pharaonen begründeten, hergestellt werden.

[13] Die unbebauten Ländereien, welche sich längs des Süßwasser-Canals hinziehen, gehören der Gesellschaft und müssen von dieser auf eigene Kosten bebaut und bewässert werden.

In den folgenden Paragraphen wird der Besteuerungsmodus für die obengenannten Grundstücke festgefetzt.

Nach Ablauf der Bewilligungszeit tritt die ägyptische Regierung an die Stelle der Gesellschaft und wird alle Rechte und Pflichten derselben übernehmen. Ein freundschaftliches Uebereinkommen oder ein schiedsrichterliches Erkenntniß wird die der Gesellschaft für Abtretung ihres Materials und ihrer beweglichen Güter zu zahlende Entschädigung festsetzen.

„Wir versprechen,“ so schließt das Document, „unsere gute und ehrliche Mitwirkung, sowie jene aller Beamten von Aegypten, zur Ausführung und Ausnutzung der gegenwärtigen Herrn von Lesseps und der von ihm zu bildenden Gesellschaft verliehenen Gewalten.“

Noch im selben Jahre, 1854, constatirte Herr von Lesseps mit Hülfe der französischen, in ägyptischem Dienste stehenden Ingenieure Mougel und Linant-Bey die Gleichheit des Niveaus der beiden Meere und schlug vor, einen Canal zu graben, der Pelusium und Suez direct verbinden sollte. Seine Voranschläge überbrachte er im Auftrage des Vicekönigs dem Sultan eigenhändig, gab dem Souverain Said Pascha’s, oder besser der Regierung desselben, alle möglichen Erklärungen, und verließ Constantinopel mit einem officiellen Schreiben, in welchem, trotz des britischen Widerspruchs, die Genehmigung der Pforte enthalten war. Nach diesem wichtigen Erfolge mußte es Herrn von Lesseps zunächst am Herzen liegen, das englische Volk für sein Unternehmen zu gewinnen. Er reiste nach London und fand, daß die Briten im Allgemeinen seinem Plane gewogen waren, daß aber Lord Palmerston[33] alles aufbot, um denselben, weil er eben nicht in sein System paßte, scheitern zu lassen.

Herr von Lesseps hatte eine persönliche Unterredung mit dem großen Staatsmanne, der sich darauf beschränkte, die technischen Schwierigkeiten des Unternehmens: den Sand, die Wüstenwinde, die von Andreossi aufgebrachte Unmöglichkeit, am pelusinischen Ufer einen Hafen anzulegen, die gefährliche Schifffahrt auf dem rothen Meere etc. etc. hervorzuheben.

[14] Herr von Lesseps antwortete auf diese Einwände, welche nur von Männern der Wissenschaft widerlegt werden konnten, indem er die bedeutendsten Ingenieure der vorgeschrittensten europäischen Culturstaaten zu einer internationalen Commission zusammenberief.[34] Rendel, der erste englische Wasserbaumeister, Harris, Capitain der indischen Compagnie, welcher 58 Reisen von Suez nach Bombay gemacht hatte, Manby, Secretair der britischen Civilingenieure, v. Negretti, Generaldirector der österreichischen Eisenbahnen, Conrad, Director des holländischen Wasserbauwesens, Paleocapa, Minister der öffentlichen Bauten des sardinischen Staates, Renaud, Generalinspektor der französischen Straßen- und Brückenbauten, der preußische Baumeister Lentze, Direktor der Weichselbauten, und der spanische Generaldirector der öffentlichen Arbeiten zu Madrid, Cypriano Segundo Montesino, und außerdem Herr v. Lesseps, Linant und Mougel-Bey, sowie die Pariser Academiker Jomard und Barthélemy St. Hilaire folgten diesem Rufe und traten zu einer Commission zusammen, welche sich am 31. October 1855 in Paris vereinigte und am 8. November nach Aegypten abreiste, woselbst sie den 10., nach einer stürmischen Seefahrt, anlangte. Der Vicekönig empfing sie mit der größten Auszeichnung und sagte, als man ihm dankend zurief, daß er die Mitglieder der Commission wie gekrönte Häupter empfange: „Wie könnt’ ich anders; sind es denn nicht die gekrönten Häupter der Wissenschaft?“ – In welcher Weise diese Herren aufgenommen worden sind, geht wohl am besten daraus hervor, daß ihr Aufenthalt in Aegypten Said Pascha an 300,000 Frcs., d. s. 80,000 Thlr. gekostet hat.

Zunächst fuhren sie den Nil herauf, um den Lauf und das Wesen des alten Flusses zu studiren; vielleicht auch, weil eine interessante Reise in guter Gesellschaft und unter den glänzendsten Bedingungen von den Mitgliedern derartiger Commissionen mit besonderer Vorliebe angetreten zu werden pflegt. Als Resultat dieses Ausfluges ergab sich die entschiedene Ansicht, daß ein nutzbarer Suez-Canal nur mittels der directen Verbindung beider Meere herzustellen sei. Um die vielen für die Vollendung desselben nöthigen Arbeiter in der Wüste nähren und tränken zu können, wurde die sofortige Inangriffnahme des Süßwasser-Canals befürwortet. Wir können hier mit Freude constatiren, daß derselbe [15] schon im vorigen Jahre und zwar am 29. December 1863 vollendet und dem Verkehre übergeben worden ist.

Die Commission setzte das Gelingen desselben voraus und äußerte sich über das ganze Lesseps’sche Project in der günstigsten Weise, denn sie erklärte in einem summarischen Berichte, den sie dem Vicekönig am 3. Januar überreichte, „im Angesichte der ganzen gelehrten Welt und der Civilisation, daß der directe Canal von Suez nach Pelusium die einzige Lösung der Aufgabe sei, und daß es kein anderes praktisches Mittel gäbe, das rothe mit dem mittelländischen Meere zu verbinden; daß die Ausführung dieses Seecanals leicht und daß der Erfolg gesichert sei, daß die beiden zu Suez und Pelusium zu schaffenden Häfen nur gewöhnliche Schwierigkeiten bieten … und daß endlich sämmtliche Kosten des Canals die 200 Millionen Franken des Voranschlags nicht überschreiten werden.“

Diese in einem eignen Buche erörterten Resultale der Commission machten großes Aufsehen, gewannen dem Projecte zahlreiche Gönner, berührten aber die Herzen der englischen Staatsmänner, welche die Suez-Canalfrage bis dahin für ein Hirngespinnst gehalten hatten, auf’s unangenehmste und veranlaßten sie, gegen die Verwirklichung desselben mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu intriguiren. Lord Palmerston dachte nur noch an die Gefahren, welche dem englischen Einflusse im Oriente durch das von einem Franzosen geleitete gemeinnützige Werk drohten, er sah schon das ägyptische Reich und den Isthmus von Suez, der bis dahin die natürliche Barrikade gewesen war, welche den Machtstaaten des Mittelmeeres den Weg nach Indien, wenn nicht verschloß, so doch wesentlich erschwerte, in französische Hände gelangen und fürchtete, daß die Zeit nicht fern sein möchte, in der auch noch andere als englische Schiffe auf dem rothen Meere Handel treiben und noch andere Häfen, als das englische Aden an der arabischen Westküste entstehen werden.

Hier stand ein bedeutsames wir möchten sagen „Monopol“, jedenfalls ein mühsam erkauftes Vorrecht auf dem Spiele – und schnell vergaß man, wie das in England Sitte zu sein pflegt, den der ganzen Cultur und dem Weltverkehre winkenden Aufschwung, weil man einen kleinen Theil seiner eignen Vorrechte einbüßen zu müssen fürchtete. Diese [16] keimende Bangigkeit zu nähren, war des englischen Ministers Aufgabe, deren Erfüllung ihm so gut glückte, daß die Times, das Echo der Volksstimmung, sehr bald den drohenden Angstschrei ausstoßen konnte: „Europa hat sich um die Schifffahrt im rothen Meere so wenig zu kümmern, so wenig ein Wort mitzureden, als wenn es sich um eine Eisenbahn in Irland handelte.“ So sprach die beeinflußte Presse, während die Regierung, um ein Aequivalent für das Handelsmonopol, welches ihr nach der Eröffnung des Canals entgehen wird, zu haben, die in der Mitte der Straße Bab-el-Mandeb gelegene Insel Perint oder Meium stark befestigte, um auch am rothen Meere ein Gibraltar zu besitzen.[35] Diesem kühnen, dem von Frankreich unterstützten Projecte gebotenen Paroli folgten eine Menge von Luftstreichen, welche Lord Palmerston vor dem versammelten Parlament, wie im geheimen gegen den stetig fortschreitenden Bau des Canals führte und die dem Vicekönig so wenig Ruhe ließen, daß er, begleitet von seinem Freunde Lesseps, die entfernteste Grenze seines Reiches aufsuchte, um sich denselben wenigstens auf einige Monate zu entziehen. Um einen Begriff von der Niedrigkeit des englischen Verfahrens zu geben, genüge die Thatsache, daß eine von der Regierung ausgehende Nachricht durch alle britischen Zeitungen lief, welche berichtete, der sich des besten Wohlseins erfreuende Pascha sei verrückt geworden und man müsse sich deswegen nach Constantinopel wenden, um die von einem Geisteskranken gegebene Concession für den Suez-Canal wieder aufheben zu lassen. Viele ähnliche Gerüchte und Verleumdungen wurden von den Engländern so lange geglaubt, bis sie hinlänglich oft getäuscht worden waren, um einzusehen, daß man ihnen mit Absicht die Unwahrheit sage. Auch der Commissionsbericht, welcher die Unterschrift der bedeutendsten englischen Ingenieure zeigte, trug dazu bei, daß die Handelswelt mit größerem Vertrauen auf die Canalbauten zu blicken und die beharrlich feindselige Haltung der Regierung heftig zu tadeln begann. Und sie war tadelnswerth, denn sie verband mit der Selbstsucht und Ungerechtigkeit die niedrigste Feigheit. Verweigerte sie doch stets dem Pascha ihre Drohungen schriftlich zu geben, schob sie doch überall die Pforte, ihren Spielball vor, wo sie sich selbst vor der Verantwortlichkeit scheute. Fast jedes bedeutende Unternehmen, welches Umgestaltungen irgend welcher Art herbeiführt, muß sich auf Gegner gefaßt [17] machen, wird aber, wenn es der Allgemeinheit nützlich ist, so sicher wie der Lauf der Zeiten über diejenigen fortschreiten, welche sich ihr aus eigennützigen Zwecken zu widersetzen wagen. Eine Unternehmung solcher Art wird nie und nimmer durch die politischen Bedenken und prohibitiven Auskunftsmittel der rechnungtragenden Lenker einer engherzigen Nation in das Nichts zurückversetzt werden.

Dieser Satz bewährt sich und wird sich auch in Zukunft dem Suez-Canal gegenüber bewähren; denn trotz der bis zum Hinweis auf einen casus belli gesteigerten Drohungen der Engländer, trotz der feindlichen Haltung der Pforte, die sich von der britischen Regierung überall vorschieben und benutzen läßt und in diesem besondern Falle fürchtet, die Landenge von Suez werde sich als neutrales, von den Europäern besetztes Gebiet zwischen ihre afrikanischen und asiatischen Besitzungen schieben und der Vicekönig sich ganz von seiner Vasallenstellung emancipiren, sind die Arbeiten auf der Landenge begonnen worden, haben bedeutende Capitalisten in Frankreich, Oesterreich und anderen Ländern dem Unternehmen des Herrn von Lesseps große Summen anvertraut.


[167]
II.

Eine besonders gefährliche Zeit hatte der Canalbau im italienischen Kriege[36] zu bestehen. Sobald nämlich die englische Regierung die französische Macht ernstlich engagirt sah, schickte sie eine Flotte nach Alexandrien, welche andeuten sollte, daß man gewillt sei, seine Drohungen zur That werden zu lassen, die sich aber sofort zurückzog, als man nach dem unerwartet schnellen Frieden von Villafranca[37] neuen Grund bekam, die französische Macht zu fürchten. Je weniger die britische Regierung einen offenen Widerstand zu leisten wagte, je emsiger begann sie zu intriguiren, als sich Herr Thouvenel im Namen des Kaisers bei der hohen Pforte des gefährdeten Projectes annahm. M. Boulwer, der Vertreter Englands, handelte ganz offen und bemühte sich alle Abende dasjenige zum Bösen zu kehren, was der französische Gesandte am Morgen gut gemacht hatte. Der Divan hielt nicht weniger als 17 Sitzungen, in denen die Suezfrage behandelt wurde, und die damit endeten, daß die Pforte abermals ihre Zustimmung zu dem Lessepsschen Unternehmen gab.

Hierauf ließ der Vicekönig die finanziellen Angelegenheiten des Unternehmens von bedeutenden französischen Juristen ordnen und überließ der Canal-Gesellschaft die bedeutende Domaine Ouady, welche an das Gosen der Bibel grenzt[38]. Als Said Pascha, nach seiner Reise durch Frankreich und England, im Januar 1863 seinen Geist aufgab, waren die Canalarbeiten der Gesellschaft in so erfreulichem Fortgange, daß sein Nachfolger Ismail[39] nicht zauderte, die Concession seines Vorgängers zu bestätigen und dem Unternehmen neue Garantien zu gewähren. Indessen [168] ruhten auch die Engländer nicht und boten Alles auf, um den Sultan zu bewegen, bei seiner Anwesenheit in Aegypten ernstlich gegen den Canalbau aufzutreten; doch scheiterten ihre Bemühungen an dem gesunden Sinne des Pascha und der Wachsamkeit des Herrn von Lesseps. Endlich erwirkte die englische Diplomatie von der Pforte die Note vom 1. August 1863, welche dazu bestimmt war, die Compagnie ihrer Arbeiter zu berauben. Die eingeborenen Aegypter sollten von nun an, unter dem Vorwande, die Zwangsarbeit sei unmoralisch und dem Culturzustande unserer Zeit nicht angemessen, nicht mehr zu den Canalbauten verwendet werden dürfen, obgleich die Fellahin notorisch ganz vortrefflich von der Compagnie behandelt und ausreichend besoldet wurden, obgleich sich in dem Baureglement folgende, von dem Vicekönige unterschriebene Artikel befanden:

  1. Die Regierung verpflichtet sich, der Compagnie die nöthigen Arbeitskräfte zu stellen;
  2. sie bestimmt den Arbeitslohn, welcher etwas höher sein darf, als die Mitte des im übrigen Aegypten gebräuchlichen;
  3. die Gesellschaft darf den Arbeitern keine andere als mäßige Geldstrafen auferlegen; sie muß für Aerzte und Hospitäler sorgen, in denen die Kranken gut und kostenfrei gepflegt werden etc.

Durch diese Artikel hatte die ägyptische Regierung besser für das Wohl ihrer Unterthanen gesorgt, als die Engländer, welche, da sie die Eisenbahn von Alexandria nach Suez bauten, das System der Zwangsarbeit mehr als mißbrauchten, die Fellahin zu Frohnknechten im schlimmsten Sinne herabwürdigten und z. B. 10,000 Mann an einem Tage durch ihre schlechte Verflegung umkommen ließen. Etwas annähernd Aehnliches hatte sich während der Canalbauten, Gott sei Dank, bis heute nicht ereignet, auch hat die Gesellschaft den Vicekönig niemals, wie die Engländer, zu einem unbedingt wahnsinnigen Aufgebot von beinahe unbeschaffbaren Arbeitskräften gezwungen. Das Triumphgeschrei der englischen Zeitungen über die Note vom 6. April wird in leerer Luft verhallen und der Canal schließlich doch vollendet werden, wenn auch eins der bedeutendsten britischen Blätter wenige Tage nach der Verkündigung der Aufhebung der Zwangsarbeiten in Aegypten, voll Freude über diesen [169] Act der fortschreitenden Civilisation, folgende höchst characteristische Worte nicht bei sich behalten konnte:

„Glücklicher Weise wird man von nun an die Canalbauten nur noch mit unerschwinglichen Kosten fortsetzen können. Was sagen jetzt die armen Teufel von Actionairen? Sie werden ruinirt sein etc. etc.“

Die Times gibt einen ganz ungeschminkten Bericht der Sachlage, wenn sie sagt: „Der Sultan zwingt den Pascha die Canalbauten zu hintertreiben. Aber wir könnten ebensogut „Lord Palmerston“ als „der Sultan“ schreiben; der Sultan hat eben den Pascha, und Lord Palmerston den Sultan am Leitseil. Herr von Lesseps konnte nichts thun, ohne den Pascha, der Pascha nichts ohne den Sultan und der Sultan nichts ohne Lord Palmerston.“ – Dieser alte Staatsmann wußte sehr wohl, daß er dem fortlaufenden Rade der Civilisation in die Speichen greife und darum der Mißbilligung der ganzen gebildeten Welt nicht entgehen könne. Dennoch ließ er nicht von seinem Plane, denn er hoffte, daß nach dem Ruin der Lesseps’schen in 10–15 oder 20 Jahren, eine englische Gesellschaft den Canalbau in die Hände nehmen und der Schlüssel zum kürzesten Wege nach Indien, wenn auch erkauft durch einen langen Aufschub, am letzten Ende seiner Nation zufallen werde. So strengte er alle Kräfte an, um seinen Vernichtungsplan auszuführen. Zur selben Zeit wurde der sehr befähigte Minister des Vicekönigs, Nubar Bey, nach Constantinopel geschickt, um von der Pforte eine wichtige Concession zu erwirken. „Dort“ – so sagt der Prinz Napoleon in einer treffenden, aber etwas zu scharf pointirten Rede, in der er sich bei dem zur Feier der Eröffnung des Süßwassercanals gegebenen Banket, wir möchten sagen, erging – „dort sah Nubar, daß man, um von den Türken etwas zu erreichen, vor allen Dingen versprechen, manchmal geben, besonders aber versprechen müsse. Er hatte nicht viel zu geben, er konnte viel versprechen, die Landenge von Suez steckte in seiner Tasche und so versprach er denn die Landenge von Suez. … Von Constantinopel aus ging er nach Paris. Welche Empfehlungsschreiben hatte er bei sich? Natürlich keine anderen, als Creditbriefe auf englische Banquierhäuser. Woraus bestand sein Taschengeld? Aus Pfunden Sterling und nicht aus Napoleond’ors.“

[170] Nubar’s eigener scharfer Blick und englische Rathgeber sagten ihm, in dem vorliegenden Falle könne der Teufel nur durch Beelzebub ausgetrieben, das civilisatorische Werk nur durch civilisatorische Bedenken gehoben werden. Darum drangen die Pforte und England darauf, daß die Zwagsarbeit aufgehoben werde und thaten es schnell der Gesellschaft kund und zu wissen.

  1. würden ihr zu ihren Arbeiten von nun an statt 20,000 nur noch 6000 Fellahin geliefert werden;
  2. müsse jeder Arbeiter 2 Frcs. 16 Cts. Tagelohn erhalten, eine Summe, welche den mittleren Löhnungssatz in Aegypten um das Doppelte übersteigt;
  3. werde hiermit der Paragraph des Contracts, nach welchem der Compagnie die an den Canal grenzenden und von ihr der Cultur eröffneten Ländereien gehören sollten, ohne jede entsprechende Entschädigung aufgehoben.

Diese drei Sätze mußten, wenn ihnen Folge gegeben wurde, die Compagnie unbedingt ruiniren; die Engländer jubelten aber über dieselben und stellten sich dabei, als wenn sie für den Canalbau eingenommen wären. „Sie wollen“, so sagte der Prinz – „zum Besten des Canals – nur zu seinem Besten, die Unternehmer ruiniren und scheuen keine Verleumdung. Wir bekämpfen, sagen sie, nicht das Unternehmen; wir wollen es nur unmöglich machen, damit es einen um so schöneren Triumph feiere. Aber sie sind nicht einmal die ersten Erfinder dieses Gedankens, denn sie nehmen sich ein Beispiel an der Inquisition. Wenn diese den Angeklagten folterte und brannte, so geschah es zum Besten seiner Seele. Die Inquisition rettete den Sünder gegen seinen Willen und that dasselbe, was jene Verleumder dem Canale gegenüber thun wollen.“

Von dem Verfahren der Engländer sagt er: „Ich schreibe die Schuld nicht dem Blaubuche[40], sondern dem Oberhause zu, in dem sich die höchsten Altersklassen der ganzen englischen Lordschaft befinden. Die edlen Peers sind 70, 75, 80 Jahre alt, und es ist ganz natürlich, daß sie neben ihrer greisen Erfahrung ein etwas kaltes Herz haben. Dadurch erklärt sich auch ihre Gleichgültigkeit gegenüber den edelsten und schönsten Fragen, welche die Menschheit bewegen.“

[171] Die ägyptische Regierung sah sich von England und der Pforte gezwungen, Das zu thun, was sie gethan hat, es fiel ihr aber gar nicht ein, für ihre eigenen Baumwollen- und Zuckerplantagen die Zwangsarbeit aufzuheben; diese Aufhebung gilt eben nur für die Werkleute der Compagnie. Der Süßwasser-Canal ist fertig, darum kann man die an denselben grenzenden Ländereien leicht bewässern; eine Beraubung der Gesellschaft wird also lohnend sein und der Ruin derselben schließlich auch nichts schaden, denn wenn sie zersprengt ist, so kann man ja mit englischer Hilfe den Canal aus eigenen Mitteln vollenden und, statt 15% vom Reinertrage, den ganzen Gewinn in die Tasche stecken, denn jene Regierung wird niemals Energie genug haben, ein solches Unternehmen bis an’s Ende durchzuführen. In diesem letzten Satze liegt ein Irrthum. Prinz Napoleon hat ganz Recht, wenn er zwar trivial, aber treffend sagt: „Das Gouvernement von Aegypten gleicht einem Manne, der seine Hosen verliert, weil er keinen Knopf anzunähen versteht. Die Orientalen heften nie den letzten Knopf an. Vor 10 Jahren haben sie 20 Millionen für die Barrage des Nils ausgegeben; sie benutzen aber diese wohlthätige Einrichtung gar nicht und büßen die Zinsen des verausgabten Kapitales ein, und das Alles, weil ihnen die Schleusenthore fehlen, die ihnen 1 Million oder höchstens 1,500,000 Frcs. kosten würden.“

Von orientalischer Seite kann die Vollendung des Canals nicht erwartet werden; sie wird bald erfolgen, wenn der Bau in Händen der von Herrn von Lesseps so trefflich dirigirten Compagnie bleibt, welche jetzt schon den Süßwassercanal hergestellt und die maritime Straße so weit gefördert hat, daß sie nach den mit den Bauunternehmern geschlossenen Contracten in 4 Jahren, also anno 1868, fertig sein muß, vielleicht in Jahrzehnten durch die Engländer, wenn die bestehende Gesellschaft ruinirt werden sollte. Dazu ist zum Glück keine Aussicht vorhanden, denn in der Generalversammlung, welche am 1. März dieses Jahres zu Paris gehalten wurde, legte Herr von Lesseps den Actionären erstens das Gutachten von 45 angesehenen Juristen vor, welche ohne Ausnahme bekräftigten, daß der Compagnie Unrecht geschehen sei, zweitens einen vom Directorium an den Kaiser gerichteten Brief, in dem die Hilfe und Vermittelung desselben angerufen wird und drittens ein Schreiben des Vicekönigs, welcher sich bereit erklärt, den zwischen ihm und der [172] Suez-Canalgesellschaft schwebenden Streit von dem Kaiser schlichten und sein schiedsrichterliches Urtheil als letzte Instanz gelten lassen zu wollen.

Der Kaiser nahm das ihm übertragene Vermittelungsamt ohne Bedenken an und unterschrieb seinen ausführlich motivirten Rechtsspruch am 6. Juli 1864 zu Fontainebleau. Die Gesellschaft hatte Ursache mit demselben zufrieden zu sein, denn sie soll für ihre in Frage gestellten Rechte reichlich entschädigt werden, und zwar so, daß sie von der ägyptischen Regierung 84 Millionen Frcs. Schadenersatz erhält: 38 Millionen für die Maschinen und europäischen Werkleute, welche die ägyptischen Arbeiter von jetzt an ersetzen müssen, 30 Millionen für die Wiederabtretung des Grund und Bodens, 6 Millionen als Schadenersatz für die der Gesellschaft entzogenen Rechte auf den Süßwasser-Canal, 10 Millionen als Heimzahlung der Herstellungskosten desselben Wasserwerkes. Die ganze Summe wird in 16, durch den kaiserlichen Spruch genau normirten, jährlichen Raten ausgezahlt werden müssen, so daß die Gesellschaft in der nächsten Zeit, allein durch die Entschädigungssumme durchschnittlich einen jährlichen Zuschuß von 5,250,000 genießen wird. – Dies klingt äußerst günstig,; man darf aber nicht vergessen, daß die Gesellschaft für das erworbene Geld viele zukünftige Vortheile und Rechte opfern muß. Dennoch scheint uns der kaiserliche Spruch schon darum dankenswerth für das Unternehmen zu sein, weil er der Welt den Beweis gibt, daß die Lesseps’schen Pläne keine bloßen Hirngespinnste sind, sondern auf ganz reellem, goldenem Boden stehen. Würde sich wohl sonst der Vicekönig von Aegypten dazu verstanden haben, so große Summen für Dinge zu bezahlen, die mit dem Scheitern des Projectes jeden Werth verlieren? – Das Zustandekommen des Canals ist gesichert und die Lage der Compagnie erscheint nach der letzten Versammlung der Actionäre am 6. August dieses Jahres so günstig, daß wir der Hoffnung der Betheiligten, der maritime Canal müsse anno 1868 fertig werden, gern beitreten mögen.

Dies ist die Geschichte des Suezcanals bis zum heutigen Tage. Ehe wir nun weiter gehen und einen Blick auf die Zukunft des Lesseps’schen Projectes werfen, liegt es uns ob, einen andern Plan zu erwähnen, der gleichfalls den Zweck verfolgt, die Umschiffung des Caps der guten [173] Hoffnung unnöthig zu machen und das mittelländische mit dem rothen Meere zu verbinden.

Der britische Schiffscapitän William Allen hat denselben ersonnen und ihn in einem zweibändigen Buche („A new route to India“) erläutert und ausgeführt[41]. Sein Gedanke ist so kühn, daß man ihn beinah extravagant nennen könnte. Er will die Ebene von Esdraelon[42] durchstechen, das mittelländische Meer in das tiefer liegende Jordanthal leiten und behauptet, der also entstehende gewaltige Strom müsse sich als gigantischer Wasserfall über das todte Meer hinweg stürzen, und jenseit desselben, in südlicher Richtung, seinen weiteren Weg durch die ganze, an 20 deutsche Meilen lange Wady el Arabah nehmen, um bei Akaba in das rothe Meer einzumünden. – Dieser Plan ließe sich hören, wenn der Erfinder den 4–500' hohen Berg el Sateh eben so gut in natura, als auf der Karte ausstreichen könnte.

Petermann hat das Allen’sche Project mit mehr als genügendem Ernste gewürdigt; wir aber bitten unsere Leser, einen Blick auf die Karte zu werfen und, wenn sie über den von dem Engländer vorgeschlagenen Verbindungsweg gelächelt haben, die Landenge von Suez ernsthaft mit uns zu betrachten.

Das rothe Meer, jener schmale Ausläufer des stillen Oceans, welcher sich durch die Straße Bab-el-Mandeb als Grenzscheide zwischen das westliche Arabien und das nordöstliche Afrika drängt, spaltet sich im Norden unter dem 28.° nördl. Br. in zwei Arme, welche sich, wie die Fühlhörner einer Schnecke, gen Nordost und Nordwest ausstrecken. Sie trennen das Dreieck der Sinalhalbinsel von Aegypten und Arabien in solcher Weise ab, daß es nur auf seiner nördlichen Seite mit dem Festlande zusammenhängt. Der rechte Arm endet bei Akabah[43], der linke würde bei der Hafenstadt Suez seinen Abschluß finden, wenn er sich nicht in eine Bodensenkung mit vielen Seen bis zu dem mit dem Mittelmeere zusammenhängenden Behere Menzaleh (Menzaleh-See)[44] fortsetzte. Diese Bodensenkung ist die eigentliche sogenannte Landenge von Suez. In der Mitte derselben fluthet der in der Ueberschwemmungszeit mit Wasser gefüllte See Timsah (Krocodil-See), bei welchem das sich gen Westen verlängernde Tiefthal Wadi Thumilât, das Gosen der Bibel, beginnt. [174] Zwischen Suez und dem Timsah-See liegen die ziemlich sechs Meilen langen sogenannten bittern Seen, zwischen den Menzaleh und Timsah fluthet der Ballah-See. So stellt denn die ganze Landenge einen von vielen Wasserbecken besetzten tiefen Thaleinschnitt dar, der nur durch eine einzige kleine Erhöhung, die Schwelle von el Gîsr, unterbrochen wird. Seine Länge beträgt in gerader Linie nicht mehr als 16 deutsche Meilen, das ganze Terrain eignet sich vortrefflich zu dem von Herrn von Lesseps hier begonnenen Canale, welcher im Süden bei Suez, im Norden unweit des alten Pelasium seinen Meeres- und im Timsah und den bittern Seen seinen Binnenhafen finden soll. –

Die ganze das Mittel- und rothe Meer direkt verbindende Wasserstraße soll 21½ deutsche Meile lang, 100 Meter breit, 8 Meter tief werden und 160,000,000 Fr. – oder 42,500,000 Thlr. kosten.

Der jetzt vollendete Süßwassercanal berührt, aus dem Nile kommend, den See Timsah und verbindet das Delta mit dem rothen Meere.

Wir ersparen uns ein näheres Eingehen in die Topographie der Landenge; können aber nicht unterlassen, uns über die Mangelhaftigkeit der den Lesseps’schen Berichten beigegebenen Karten zu beklagen. Die „vue Panoramique“ würde, wie die geographischen Mittheilungen ganz richtig bemerken, vortrefflich „in die Jahrmarktsbilderbogen für die lieben Kleinen“ passen.

Wenden wir uns jetzt zu den Vortheilen, welche der Welt aus diesem Canale erwachsen werden, so müssen wir all unsere Nüchternheit zusammen nehmen, um nicht, wie so mancher französische und deutsche Schriftsteller vor dem hellen Lichte, welches wir hier leuchten sehen, des unvermeidlichen Schattens ganz zu vergessen. Und darf man sich wundern, wenn sich viele für ein Unternehmen begeistern, welches Humboldt so warm befürwortete, und welches unserem Goethe, wie Eckermann mittheilt, den Wunsch, er möchte noch 50 Jahre lang leben, um seine Vollendung begrüßen zu dürfen, auf die Lippen zwang; welches nicht nur dazu bestimmt zu sein scheint, den materiellen Verkehrsmitteln, die unsere Zeit erfunden und zu verwerthen gelernt hat, eine neue Bedeutung und eine reiche Verwendung zu geben, sondern auch als civilisatorisches Element, rein geistig einen mächtigen Einfluß zu üben?

[175] Der östliche Theil der Erde wird von 600 Millionen Menschen bewohnt und der Suezcanal muß dieselben unserem Erdtheile um so viel näher bringen, als der Seeweg nach Asien durch das rothe Meer kürzer ist, als die Straße, welche um das Cap der guten Hoffnung herumführt. Man denke, daß ein von Triest nach Bombay segelndes Schiff auf letzterem Wege 3576, auf ersterem nur 1404 Meilen zurückzulegen hat, daß beinahe alle europäischen Schiffe, wie die folgende Tabelle beweisen kann, wenn sie nach dem Osten wollen, die Hälfte der früher von ihnen zurückgelegten Meilenzahl durch den Suezcanal sparen werden.

Nach Bombay via Cap d. G. H.
deutsche Meil.
via Suez.
deutsche Meil.
von Constantinopel aus 3600 1080
Triest 3576 1404
Marseille 3390 1424
Cadix 3120 1378
Lissabon 3210 1500
London 3570 1860
Amsterdam 3570 1860
St. Petersburg 3930 2220
New-York 3720 2257

Dieser Abkürzung entsprechend kann zum Theil auch die Schnelligkeit der Ostindienfahrten werden. Die Häfen im Mittelmeere, besonders unser gewerbthätiges Triest und das aufblühende Odessa werden einen neuen Aufschwung gewinnen, das seetüchtige Volk der Griechen wird schnell emporblühen, das rothe Meer eine belebte Handelsstraße und die kleinen Häfen an demselben Stapelplätze für europäische Handelshäuser werden. Das Monopol der Engländer, den arabischen Meerbusen auszubeuten, wird aufgehoben und Aden aus einem nur den Britten zugänglichen Platze ein Welthafen werden.

„Und wenn das Innere Arabiens,“ so schreibt unser hochverdienter Freund Karl Andree[45], der dem Canalprojecte mit unparteiischster Strenge gegenübersteht, „auch den christlichen Europäern nicht zugänglich wird, so kann es dagegen nicht fehlen, daß sie in dem einst mächtigen Abessinien festen Fuß gewinnen und auf die Umgestaltung der Verhältnisse in diesem zumeist christlichen Lande einwirken. Das innere Ostafrika [176] ist productenreich, kann werthvolle Erzeugnisse für den Handel liefern und seinen Verbrauch an europäischen Waaren beträchtlich steigern. Dieser Verkehr wird vorzugsweise in die Hände der mediterraneischen Europäer gelangen. Die letzteren werden überhaupt sehr wesentliche Vortheile von dem Canal haben; ihnen eröffnet er einen kürzeren Weg gen Süden und Osten. Im Welthandel greift Alles in einander, er bildet eine über die ganze Erde verschlungene Kette mit tausend Gliedern, die allesammt mittelbar oder unmittelbar in Berührung stehen und durch welche eine electrische Strömung geht, der kein Theil fremd bleibt. …

So wird ein Gedeihen der großen Handelsdomaine am Mittelmeer, der levantinischen Verkehrszone und des commerziellen Bereichs am arabischen Golf auch auf die atlantischen Regionen fördernd und gedeihlich einwirken, und wir freuen uns im voraus dieser Ergebnisse, obwohl wir unsere Hoffnungen nur kaum ein Drittel so hoch spannen, wie manche eifrige Fürsprecher des Canals. Aber wir hegen von seiner Bedeutung auch nicht die geringe Meinung, wie sie namentlich von Engländern ausgesprochen wird.“

Soweit der treffliche Verfasser der Geographie des Welthandels, dem wir in vieler Beziehung beipflichten, denn, wenn auch schon der bloße Gedanke, daß durch den Suezkanal die bis jetzt nur oberflächlich von dem Geist unserer Cultur und Religion berührten Völker des Orients bald in den Bereich unserer Denk- und Gefühls- und Lebensweise hineingezogen werden sollen, hinreicht, um uns für das Lesseps’sche Unternehmen zu begeistern, so dürfen wir von der andern Seite nicht verkennen, daß wir uns gegenüber der Darstellung des Franzosen manchen Bedenken nicht verschließen können. Das wichtigste von allem würde in unserer Furcht vor der Verwirklichung des französischen Planes, das mittelländische Meer zu einem französischen See zu machen, liegen, wenn wir in dieser Beziehung nicht einigermaßen durch die Eifersucht der Engländer, welche in Gibraltar, Malta und Corfu festen Fuß gefaßt haben und durch die Hoffnung, daß nach der Eröffnung des Suezcanals die türkische Seemacht bedeutend wachsen wird, beruhigt würden.

Unser zweites Bedenken liegt in der Furcht, die Kosten des Unternehmens möchten den Voranschlag bedeutend überschreiten: haben wir doch z. B. nicht nur durch Andreossi, sondern auch von anderer zuverlässiger [177] Seite erfahren, die Bay von Pelusium sei so sandig, flach und schlammig, daß man kolossale Molen in’s Meer hinausbauen und ungeheure Baggerarbeiten vornehmen müsse, um sie für größere Fahrzeuge schiffbar zu machen. Die Kunst und die gewaltigen Hülfsmittel unserer Ingenieure haben schon größere Schwierigkeiten überwunden und werden ganz gewiß am Nordende des Canals einen schiffbaren Hafen zu Stande bringen; derselbe wird jedoch um so kolossalere Mittel beanspruchen, je höher von jetzt an die Arbeiter der Compagnie bezahlt werden müssen. Möge der Canal aber auch so viel kosten, als er wolle – so zweifeln wir doch nicht, daß man die erforderlichen Mittel beschaffen wird; nach seiner Vollendung wird man jedoch in den ersten Jahren große Mühe haben, die nöthigen Zinsen aufzubringen, und was nun gar die sanguinisch verheißenen Dividenden betrifft, so scheinen uns dieselben noch in weitem Felde zu liegen. Die Haupt-Prämisse des Herrn von Lesseps, auf die sich fast all seine pecuniären Conclusionen stützen, ist die, daß von den 6 Millionen Tonnen, welche jährlich das Cap der guten Hoffnung umsegeln, die Hälfte, also 3 Millionen, den Canal passiren werden. Diese Annahme muß und wird irrtümlich bleiben, so lange sich der ganze Weltverkehr um die atlantische Zone dreht, so lange die statistische Thatsache unangefochten bleibt, daß von den 16,000,000 Tonnen, mit welchen alle Völker der ganzen Erde zusammengenommen das Meer belasten, 13,000,000 Tonnen den germanischen, d. h. denjenigen Nationen angehören, die ausschließlich den atlantischen Ocean bewohnen. Die Völker, welche auf dem Becken des Mittelmeeres Schifffahrt treiben, können sich in nautischer Beziehung nicht im Entferntesten mit denen des nordwestlichen Europa messen, und doch ist der Canal ganz besonders auf den Welthandel der ersteren angewiesen. Die mediterraneischen Fahrzeuge machen gar selten Reisen nach dem vom stillen Ocean bespülten Asien, während das nördliche Europa und Amerika alljährlich Tausende und aber Tausende von Schiffen dorthin versendet. Die ersteren werden unter allen Umständen den Weg durch den Canal zu nehmen haben, die Segelschiffe der germanischen Völker werden aber fast immer bei der Umschiffung des Caps der guten Hoffnung verbleiben, denn sie werden, wenn sie den Isthmus von Suez passiren, wenig Zeit sparen, viel theurer reisen und große Gefahren zu bestehen haben. Die kürzeste Reise eines [178] Segelschiffes von Bremen nach Batavia um das Cap dauert nach den Klingenberg’schen Listen 92 Tage – nach Constantinopel, das eben so weit ist, als der Hafen von Pelusium 59 Tage. Von Suez nach Batavia kann ein Segelschiff bei allergünstigstem Winde nicht schneller als in 55 Tagen fahren. Wenn wir also die für die Canalpassage nothwendige Zeit ganz übersehen, so bedarf ein Bremer Segelschiff, das über Suez nach Batavia fährt, mindestens 114 Tage, während es dasselbe Ziel auf dem Wege über das Cap der guten Hoffnung in 92 Tagen erreichen kann; es wird also durchaus keine Zeit gewinnen, wenn es die neue Straße wählt, dagegen warten seiner auf derselben bedeutend größere Gefahren und Kosten, als auf dem alten Wege. Das berüchtigte Gewässer des Canal la manche[46] kann hier und dort nicht vermieden werden, die Windstillen in den Aequatorialgegenden werden von der Hülfsschraube unschädlich gemacht und die Gefahren des das Cap der guten Hoffnung bespülenden Gewässers sind gar nicht zu vergleichen mit denen, welche den Schiffer erwarten, der die Säulen des Hercules, das rothe Meer und die Straße von Bab-el-Mandeb zu durchsegeln hat. Auf ersterem Wege genügt die Mannschaft des Schiffes, auf dem neuen wird man bei Gibraltar, im Canal und im rothen Meere, das von gefährlichen Riffen wimmelt, theuere Schleppdampfer zu miethen und bei Pelusium einen sehr bedeutenden Zoll, von dem die ägyptische Regierung 15 Procent erhält, an die Unternehmer des Suezcanals zu entrichten haben. Wir glauben nicht, daß wir zu hoch greifen, wenn wir behaupten, daß ein Segelschiff via Suez um ⅓ theuerer und keineswegs schneller reisen wird, als via Cap der guten Hoffnung. Ohne die oben erwähnten Schlepper würden nur wenige Fahrzeuge fortkommen können, denn Sir Harford Jones hat ganz recht, wenn er sagt: „6 Monate des Jahres kann kein Segelschiff in’s rothe Meer hinein und 6 Monate lang keins herauskommen.“ In der Bay von Aden weht nämlich ein östlicher Monsum 6, ein westlicher 6 Monate des Jahres. Außerdem muß man bedenken, daß ein auf dem gefährlicheren Wege fahrendes Schiff höheren Versicherungszins zu bezahlen haben wird, als bisher. Die nordeuropäischen Segelschiffe, mehr als die Hälfte aller vorhandenen, werden also keineswegs weise handeln, wenn sie die Umschiffung des Caps wegen des auf [179] der Karte so viel näher erscheinenden Weges aufgeben wollen; auf die amerikanischen Fahrzeuge (die Vereinigten Staaten besitzen deren 40,500, während England nur 36,000 sein eigen nennt) darf endlich die Compagnie nicht mit Gewißheit rechnen, denn wenn die Landenge von Panama durchstochen werden sollte – was freilich noch in weitem Felde liegt – so wird es keinem amerikanischen Schiffe, das nach Australien, China oder Ostindien bestimmt ist, einfallen, den viel weitern und gefährlichern Weg über Suez zu wählen. Heute schon wird ein kleiner Theil der nach jenen Gegenden bestimmten Waaren mit der Panamaeisenbahn nach dem stillen Ocean befördert.

Trotz dieser scheinbar ungünstigen Conjuncturen steht dem Canale dennoch eine große Zukunft bevor, denn alle nach dem stillen Ocean bestimmten Schiffe, welche mediterraneischen Völkern angehören und sämmtliche europäische Dampfer, deren Ziel der stille Ocean ist, werden sich des Suezcanals bedienen. Die englischen Kohlen, welche jetzt in Aden für ungeheuere Preise erstanden werden müssen, werden billiger werden und die Steamer in die Lage kommen, weniger Brennmaterial und mehr Waaren laden zu können. Die meisten den Segelschiffen durch die Benutzung des Canals drohenden Nachtheile haben für die Dampfer keine Gültigkeit; sie werden die Fahrt durch den Canal nach Osten in bisher nie gekannter Schnelligkeit und wegen der Zeitersparniß mit verhältnißmäßig geringen Kosten zurücklegen können. Der Dampfschifffahrt gehört die Zukunft und es kann wohl sein, daß Herr Szarvady Recht hat, wenn er sagt: „Bedenkt man, wie tagtäglich Segelschiffe von starkem Tonnengehalt und solider Bauart mit Schrauben versehen werden, wie überhaupt, ehe nicht eine andere motorische Kraft die Wirkung des Dampfes ersetzt, das gemischte System der Segel und der Schraube gegen die Abhängigkeit von Wind und Strömung eben so sehr, als gegen die ungeheueren Kosten und Mißstände einer weiten Fahrt mit reiner Dampfkraft gleichzeitig die gewünschten Garantieen darbietet, so läßt sich zugleich annehmen, daß in 50 Jahren eine Segelfahrt um das Cap ebenso selten sein wird, als jetzt eine Reise im Eilwagen zwischen London und Manchester oder zwischen Hamburg und Berlin. Man wird zur Begründung einer Dampfherrschaft zur See die Segelschiffe ebensowenig [180] wenig um Erlaubniß fragen, als man die Postillone und Postmeister um die Erlaubniß zur Anlage von Eisenbahnen gefragt hat.“

Diesem dem sichern Durchdringen des bewährten Neuen das Wort redenden Satze schließen wir uns gern an und fassen unsere Ansicht über die Rentabilität des Lesseps’schen Unternehmens dahin zusammen, daß wir glauben, es werde anfangs kaum die nöthigen Zinsen abwerfen, später aber eine vielleicht bedeutende Dividende erzielen. In den ersten Jahren werden nur mediterraneische Segelschiffe und verhältnißmäßig wenige, größtentheils zu Beförderung von Passagieren bestimmte Dampfer aller Nationen, später aber fast alle von Europa nach Osten reisenden Fahrzeuge mit Rädern oder mit der Schraube versehen, den Canal passiren. Dann erst wird die Devise der Compagnie: Aperire terram gentibus „die Erde den Völkern eröffnen“ in das langersehnte terra gentibus aperta est „die Erde steht den Völkern offen“ verwandelt worden sein, dann erst wird sich durch den gesprengten schmalen Riegel der volle Strom der Civilisation ergießen und 600 Millionen in den höchsten Fragen rückständiger Menschen werden von ihrer befruchtenden Macht erhoben, veredelt und bereichert werden. Durch den regelmäßigen Handel mit Europa, welcher nur durch den Suezcanal denkbar ist, werden die östlichen Völker immer enger mit uns verbunden werden, der aufblühende Verkehr wird diejenigen Nationen, welche ihn pflegen, dankbar bereichern und das Gedeihen des Nachbarn auch die widerstrebenden Völker endlich dahin bringen, daß sie uns und den uns folgenden Segnungen die Thore öffnen. Dem Handel folgt der Wohlstand, dem Wohlstand die Cultur und diese beiden vereint, brauchen für ihr Bestehen vor allen anderen Dingen nur Eines: den Frieden. Wir hoffen von dem Suezcanale, daß er ein wahres Friedenswerk und ein Füllhorn werden wird, dem für alle Völker ohne Ausnahme Gaben entströmen. Wenn diese zu fließen beginnen, so werden alle Völker der Erde ihren Antheil verlangen, und England, der furchtbare Gegner des großen Projectes wird seine Hand so sicher am ersten und weitesten ausstrecken, als es, trotz all seiner Ränke und Machinationen ein Werk nie und nie ungeschehen machen kann, das von so mächtigen Bundesgenossen unterstützt wird, wie der Suezcanal. Dieser verdankt seinen Ursprung nicht nur einem einzelnen Unternehmer, sondern dem Bedürfnisse der [181] ganzen Welt. Seine weltliche Stütze ist die öffentliche Meinung, seine geistige die große civilisatorische Idee, welche unsere Zeit durchweht. Die zahllosen Angriffe gegen solches Unternehmen bringen jenem England wenig Ehre, welches früher der ganzen Welt Furcht einflößte und sich jetzt vor aller Welt zu fürchten scheint. Sicher und stetig, aber vielleicht durch manches Hinderniß aufgehalten, wird es vollendet werden zum Ruhme unseres Jahrhunderts, zur Ehre des Herrn von Lesseps, seines großen, unermüdlichen Leiters, der uns gewiß nicht zürnt, wenn wir, trotz unserer Begeisterung für sein Unternehmen, unsere Bedenken frei und offen dargelegt und die Dinge dargestellt haben, wie wir sie sehen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ferdinand von Lesseps (1805-1894), französischer Diplomat und Unternehmer
  2. Die 1855 gegründete Zeitschrift „Petermanns Geographische Mitteilungen“ war die älteste deutschsprachige Fachzeitschrift für Geographie.
  3. Ramses Miamun war ein Beiname des Pharaos Ramses II.. Die ersten Kanalbauten sind jedoch bereits in der Zeit Sesostris I. (1956 bis 1910 v. Chr.) festzustellen.
  4. die altägyptischen Städte Pi-Ramesse und Pithom
  5. 2. Buch Mose 1, 11–14
  6. 2. Buch Mose 5, 7–8
  7. Necho II. war der zweite altägyptische Pharao der 26. Dynastie (610 bis 595 v. Chr.)
  8. Dareios I.
  9. Die altägyptische Siedlung Bubastis war namensgebend für den ältesten Kanal.
  10. Ptolemaios II.
  11. Das antike Arsinoe entspricht dem heutigen Dorf Ardscherúd nahe der Stadt Sues.
  12. Die Bitterseen sind Teil des heutigen Sueskanals.
  13. Jacques-Marie Le Père
  14. Damit ist wohl Umar ibn al-Chattab, der zweite „rechtgeleitete“ Kalif des Islam (634–644), gemeint. Der im folgenden genannte Amru war ein arabischer Feldherr zur Zeit Umars.
  15. Der ägyptische Historiker Al-Maqrizi
  16. Harun ar-Raschid
  17. Der Venezianer Marino Sanudo
  18. Gemeint sein können nur die türkischen Sultane Osman III., der ein Sohn des Sultans Mustafa II. war (Regierungszeit 1754-1757) oder Mustafa III. (Regierungszeit 1757-1774).
  19. Der französische Offizier François Baron de Tott (1733-1793) war als Berater in osmanischen Diensten tätig.
  20. Der Chemiker und Arzt Claude-Louis Berthollet begleitete Napoleon nach Ägypten.
  21. Die Description de l’Égypte war das Ergebnis der Ägyptischen Expedition Napoléon Bonapartes.
  22. Dorf in Unterägypten in der Nähe der antiken Stadt Pelusion.
  23. Muhammad Ali Pascha war 1805-1848 Vizekönig in Ägypten.
  24. Muhammad Said, Vizekönig von Ägypten 1854–1863
  25. Abbas I., Vizekönig von Ägypten 1849–1854
  26. Die Société d'Études de l'Isthme de Suez
  27. Eisenbahnpionier George Stephenson (1781-1848)
  28. gemeint ist Alois Negrelli von Moldelbe
  29. Paulin Talabot
  30. Paul-Adrien Bourdaloue
  31. Louis Maurice Adolphe Linant de Bellefonds
  32. Eine Stipulation ist ein spezieller Vertragstyp des römischen Rechts. Hier im weiteren Sinne einer Vertragsklausel verwendet.
  33. Lord Palmerston war 1855–1858 und 1859–1865 britischer Premierminister.
  34. Internationale Kommission über die Durchstechung der Landenge von Suez
  35. Die Meeresstraße Bab al-Mandab verbindet das rote Meer mit dem Golf von Aden. In der Mitte liegt die Insel Perim. Die Insel wurde 1857 von England annektiert.
  36. Der Sardinische Krieg 1859 war einer der drei italienischen Unabhängigkeitskriege.
  37. Der Vorfrieden von Villafranca wurde am 11. Juli 1859 zwischen Österreich, Frankreich und Sardinien-Piemont geschlossen.
  38. Das biblische Gosen ist eine Landschaft im östlichen Nildelta.
  39. Ismail Pascha, Vizekönig von Ägypten 1863–1879
  40. Die Blaubücher sind die in England seit 1624 dem Parlament von der Regierung vorgelegten diplomatischen Berichte.
  41. The Dead Sea, a New Route to India: With Other Fragments and Gleanings in the East. Von William Allen. Veröffentlicht von Longman, Brown, Green, and Longmans, 1855. Google
  42. Jesreelebene in Nordisrael
  43. Aqaba
  44. Salzwasserlagune bei Port Said
  45. Geograph Karl Andree (1808-1875)
  46. Ärmelkanal