Der Drachenstein

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Autor: Wiedemann, Karl Ernst Hermann Krause, Friedrich Köster
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Titel: Der Drachenstein
Untertitel:
aus: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden: Noch lebende Volkssagen und Legenden, S. 218–225
Herausgeber: Friedrich Köster
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: In Commision bei A. Pockwitz
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Erscheinungsort: Stade
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Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung: Aus dem Amte Beverstedt
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[218]
1. Der Drachenstein.

Die folgende aus dem Munde des Volks aufgezeichnete Sage kann im weitern Umfange Aufmerksamkeit erregen, nicht als Sage, sondern durch den Gegenstand, an welchen man sie anknüpft.

Der Wanderer erblickt nämlich an dem Wege, der vom Dorfe Donnern (Kirchspiels Beverstedt) nach Wedel führt, rechts von der großen Weide ein einzelnes altes Grab, in dessen Nähe ein ansehnlicher Granitblock sich befindet, der kaum aus dem Boden herausragt und auf dem die große Seltenheit zu sehen, eine versteinerte Schlange von 11 Fuß Länge. Die Leute nennen den Stein den „Drakensten“. Man wird demselben eine große Wichtigkeit für die Geschichte unserer Erdbildung beilegen müssen, da er einen neuen Beweis liefert, daß unsere Erdkugel erst flüssig gewesen und daß die nach einander folgenden Niederschläge nicht heiß, sondern kalt müssen gewesen sein. Man nahm bisher an, daß im Granit, als dem Urgebirge oder dem ersten Niederschlag, keine organische Ueberreste gefunden werden, die Annahme kann aber nicht mehr aufrecht [219] erhalten werden, denn der Drachenstein zeigt ein wirkliches, eigentliches Petrefact. Ein anderes Exemplar, eine versteinerte Baumwurzel, findet sich vor in der granitnen Mauer der Küsterei zu Gnarrenburg und heißt „de bunte Sten.“ Ein gründliches und umfassendes Studium über Granit kann man am leichtesten und bequemsten an den Steinmauern in den Dörfern und an den Blöcken auf der Haide vornehmen. An den Drachenstein nun knüpft man folgende Sage.

Einst kam der Hirte von Donnern, ein beherzter und standfester Mann, der mehrere Kämpfe mit Wölfen[1] siegreich bestanden, bald nachdem er seine Heerde ausgetrieben, mit derselben ganz bestürzt in’s Dorf und meldete den Einwohnern, es sei in letzter Nacht ein großes Wunder geschehen; denn oberhalb der Weideniederung an der Anhöhe, in der Nähe des altes Grabes, sei ein großer See entstanden und es röche da pestilenzialisch nach Schwefel, weshalb er das Vieh zu Haus getrieben, damit es nicht von dem giftigen Gestank erkranke und verderbe. Das ganze Dorf, sogar Mütter mit ihren Kindern auf den Armen und hochbetagte Greise und Großmütter gingen hin und besahen, was in ihrer Mark sich ereignet hatte, rochen aber nichts mehr von dem Schwefelbrodem. Da nahm eine alte Frau, die wegen ihres hohen Alters und ihrer langen Erfahrung die kluge Frau hieß, das Wort und sprach: „Mir hat meine Großmutter erzählt, daß der Bültensee und der Silbersee früher auch nicht dagewesen, aber durch Erdfälle plötzlich entstanden wären; wir haben also nichts zu befürchten, unser Vieh hat sogar eine Tränke mehr;“ wobei sich die Leute beruhigten und heimkehrten. Der Hirte aber sprach bei sich: „Ich habe nicht geträumt, als ich den Gestank roch, und es will sich wohl bald ausweisen, daß es mit dem See nicht ganz richtig ist.“ Um das zu erspähen, trieb er am Nachmittage das Vieh auf die Weide, auf einem Wege, der weiter ablag [220] von dem alten Grabe und schlich nun hinter’s Grab, von wo er, durch die lange Haide verdeckt, seitwärts auf den See schauete. Zu seinem großen Erstaunen erblickte er bald einen ungeheuern Drachen, der im Wasser aus Lust sich tummelte und zuletzt auf’s Ufer sich im Sonnenschein hinstreckte; Muße genug hatte der Hirte, seine Länge auf ungefähr 22 Fuß zu schätzen; gern hätte er mit ihm gekämpft, aber die ungeheure Größe des Drachen war zu unverhältnißmäßig gegen seine, um einen Strauß voraussichtlich mit Erfolg bestehen zu können. Was er geschaut, erzählte er im Dorfe und den Leuten ward bange; allein die Bangigkeit steigerte sich gar bald zur Angst; als der muthige Hirt am andern Tage sein Vieh in die Nähe des See’s trieb, soffen einige Thiere aus dem See und waren am Abend schon todt. Schnell ging die Kunde davon von Haus zu Haus mit der Aufforderung, sich eiligst zu versammeln, um das Nothwendige zu berathen. Man kam überein, weil man den See schwerlich ausschöpfen oder durch einen tiefern Abzugsgraben trocken legen könnte, so wolle man ihn einhegen und dem Vieh unzugänglich machen. In Folge dieses Beschlusses fuhren sie auf Wagen und Karren am andern Morgen Busch- und Pfahlwerk hinaus und unter Anordnung des klügsten Mannes machten sie einen hohen Zaun, den sie überher von Außen mit Dorngesträuch bespickten. Damit meinten sie gegen die Gefahr und gegen die Unfälle hinreichende Vorkehrung getroffen zu haben; allein das ganze Bollwerk, ungeachtet seiner Festigkeit, erwies sich als völlig unzulänglich. Kaum gelangte am nächsten Tage die Heerde in die Nähe des See’s, so rannte sie wie bezaubert im Galopp nach der Umzäunung, bohrte mit ihren Hörnern in das Flechtwerk und da der große Drache von innen ihnen tüchtig Hülfe leistete, so war bald eine Bresche gemacht, durch welche das Vieh zum Wasser drang, voll Gier soff und unter Aechzen und Gestöhn einige Stunden später verendete.

Von solchem harten Verluste getroffen, wandte Donnern sich zu seinem Pastor in Beverstedt und bat um ein öffentliches Gebet, die Drangsal abzuwenden. Aber der Drache wollte nicht weichen, sintemal die Macht der Hölle [221] sich mit ihm vereinigt hatte. Da bestellten sie Gebete in noch 6 anderen Kirchen: in Bexhövede, Loxstedt, Altluneberg, Brameln, Schiffdorf und Geestendorf und die siebenfachen Gebete fanden schnell Erhörung.

Am Montag Morgen sahen einige Männer, die des Weges nach Wedel gingen, daß der See verschwunden war und als sie das näher besehen und untersuchen wollten, erblickten sie den Granitblock, auf welchem die Schlange zu Stein geworden und zwar verkleinert zu 11 Fuß Länge, weil der Block nicht größer war, jedoch mit niederhangendem Hals und Kopf zum offenbaren Zeichen, daß sie nie wieder die Zischzunge geifernd züngeln werde, sondern vollständig überwunden worden sei.

Als man vor ungefähr 50 Jahren in der Nähe des alten Grabes einen andern großen Stein ausgrub, der auf Saugsand lagerte, wurde letzterer ungewöhnlich nachgiebig befunden: mit der Schaufel stieß man leicht tief hinein, ein längerer Pfahl drang auch ohne Aufenthalt leicht in den Grund. Nun holte man einen Bindelbaum herbei und selbst der traf noch beim Hineinstecken auf keinen festen Untergrund: da ward es den Leuten klar, daß sie auf die Stelle gekommen, wo der See versunken wäre, und aus Angst füllte man schnell das Loch und ebnete den Boden.


Zu vorstehender Mittheilung des Herrn Superintendenten Wiedemann in Beverstedt über den Drachenstein füge ich, mit Erlaubniß des Verfassers, die abweichende Ansicht des Herrn Conrector Krause in Stade, abgedruckt in J. W. Wolf’s Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde. Band 2. Heft 3. Seite 294 ff.:

„Im Bremischen befindet sich ein eigenthümliches Monument beim Dorfe Donnern, dessen ich weder bei Schambach und Müller (Niedersächsische Sagen und Märchen p. 335, 336), noch bei Wächter (Statistik der heidn. Denkmäler) Erwähnung gethan finde, und dessen Existenz unbekannt geblieben zu sein scheint. Der Königl, Hannov. Geometer W. Meyer lieferte von ihm in der Weserzeitung vom 5. [222] Juni 1853 die nachfolgende Beschreibung, die wahrscheinlich unbeachtet blieb, weil sie in einem politischen Blatte Platz gefunden. Ich selbst habe den Stein, den das Volk der Umgegend nach Angabe eines meiner Bekannten nicht Drachenstein, sondern Snâkenstên nennt[2], nicht besuchen können; ich hörte, daß sich früher Sagen an ihn hefteten; einer meiner Schüler aus der Nachbarschaft jenes Ortes übernahm es, sich nach ihnen zu erkundigen, konnte aber keine mehr finden, „sie seien verschollen“; vielleicht wäre dennoch bei genauerem Nachforschen einiges aufzutreiben.

„„In öder Haide, schreibt Meyer, liegt der von den Dorfbewohnern sogenannte Drachenstein, ein röthlicher Granitblock von beiläufig 71/2 Fuß in’s Gevierte. Auf dem Steine sieht man das naturgetreue Abbild einer Schlange von reichlich 11 Fuß Länge, welche sich in 23 Windungen über die obere Fläche des Steins hinzieht und seitwärts an demselben hinunter reicht, wo sich der Kopf befindet. An dem Schwanzende ist sie 1/6 Zoll breit und nimmt allmählich an Dicke zu, bis auf 31/2 Zoll hinter dem Kopfe, welcher 41/2 Zoll breit ist. An der Stelle, wo sie die obere Fläche des Steins verläßt, etwa 2 Fuß vom Kopfe abwärts, zeigt sich eine sehr breite und flache Partie, wie von einer Quetschung. Obwohl die Masse des Schlangenkörpers aus denselben Bestandtheilen zu bestehen scheint, als der übrige Stein, spricht doch vieles für die Annahme, daß eine wirkliche Versteinerung vorliegt, nicht Menschenwerk, da der Körper der Schlange sich gleichmäßig erhaben über die rauheren Theile des Steins hinzieht, ohne daß eine Ausmeißelung des letztern sich irgend wie bemerklich machte.““

Soweit der Berichterstatter, der aber in seiner eben angeführten Muthmaßung entschieden das Falsche getroffen hat; wir haben es bestimmt mit dem Bilde, nicht mit der Versteinerung der Schlange zu thun. Denn erstens kann der Granit – und in dessen Erkennung [223] kann jener sich bei der Menge ähnlicher erratischer Blöcke in unseren Gegenden nicht geirrt haben – als plutonisches Gestein niemals eine Versteinerung enthalten; zweitens aber könnte niemals der gesammte Schlangenkörper mit Flelsch und allen Weichtheilen versteinern, es würde von ihm, wie bei allen Fossilien, nur das Knochengerüste erhalten sein. Es ist also unmöglich eine Versteinerung, es ist ein Menschenwerk.

Dem Monument der Schlange möge sich ein Schlangenglaube hier aus der Provinz anschließen; er betrifft die unschuldige und doch so gefürchtete Blindschleiche; „Hatworm“ nennt sie das Landvolk, und ruft auf der Geest zwischen Stade und Harburg jemand: „de Hatworm,“ so rennt alles aus dem Wege, selbst ein Fuder Heu weicht ihm aus; denn „he springt,“ und wenn einer auf ihn tritt oder über ihn fährt, „dem springt he vör de Boss (Brust) un he ward blind.“ Um Nordheim im Göttingischen heißt die Blindschleiche „Haselworm“ oder „Hasselworm,“ und man meint, sie spränge wie Glas, wenn man sie mit der Haselgerte berühre. Bekanntlich springt bei ihr, wie bei der ebenso falsch als giftig gefürchteten Eidechse, der Schwanz unter einem einfachen Ruthenstreiche ab.“


Herr Superintendent Wiedemann schreibt mir ferner, nachdem er den Drachenstein an Ort und Stelle genau untersucht hatte, Folgendes:

„Daß nicht von Menschen- oder Künstler-Hand das Bild der Schlange auf dem Granitblock ausgehauen worden ist, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf den Stein, denn auch mit bewaffnetem Auge wird man keine Spur eines Meißels entdecken können. Woher sollte der Idiot die naturgetreue Gestalt nehmen? Schlangen von elf Fuß Länge hat es hier zu Lande nie gegeben. Ein Künstler kann die Gestalt nicht dargestellt haben; dawider spricht Folgendes.

Ich setze voraus, der Stein war nicht größer wie jetzt, als er aus seinem ursprünglichen Lager und aus seiner frühern Stellung durch eine Erdrevolution gehoben wurde. Die jetzt nach oben gekehrte Seite mißt 7 Fuß Länge und [224] eben so viel Breite; sie ist größtentheils eben, mit Ausnahme der Theile, über welche sich die Schlange hinstreckt und welche Erhöhungen und Vertiefungen bilden. Die Schlange folgt aber diesen Unebenheiten ganz getreu. Da läßt es sich nicht füglich denken, daß der kunstsinnige Meister solchen Störungen nicht abgeholfen hätte und noch weniger läßt sich annehmen, da die ebenere Fläche vorhanden war, daß er diese aus unerklärlichem Eigensinne nicht sollte für seine Darstellung gewählt haben, sintemal diese ihm Platz bot, das vollständige Bild des Drachen hinzulegen, wozu ihm sich ein Dutzend schlicklichere Blöcke außerdem anboten. Das Bild liegt aber nicht auf der Mitte des Blockes, sondern zwei Fuß auf der einen Kante fängt die Spitze des Schwanzes an und der übrige Körper erstreckt sich nicht nach der Mitte, sondern hält sich an die nähere Kante und zieht sich nun an die Seite hinab, so daß er nicht in der Ebene bleibt. Die Folge davon ist, man kann die ganze Schlange nicht mit einem Blick sehen, wenn der Stein die Stellung hat wie jetzt; aber wenn auch die horizontale zur senkrechten gemacht wird, bleibt doch derselbe Uebelstand. Und den sollte der Meister des Bildes nicht vorausgesehen haben?

Ich will eine andere Annahme voraussetzen: der Block hätte nicht mehr die erste Größe, nach Vollendung der Arbeit soll mehr als die Hälfte abgebrochen sein; so widerspricht dem, daß die Seite des Steins in der Nähe der Schlange keine Spur eines spätem Bruches zeigt, sie ist eben so anzufassen als die übrigen andern d. h. weich, nicht scharf, als wenn die Masse als Teig aus der Tiefe herausgehoben wäre. Ueberhaupt kann die Erhebung des Granits und seine Versprengung über die norddeutsche Steppe nur zu einer Zeit stattgefunden haben, als er noch nicht ganz erhärtet war, weil allen Blöcken scharfe Ecken und rauhe Seiten mangeln.“


Noch bliebe eine dritte Möglichkeit, daß die Schlange weder ein Petrefact, noch ein Manufact, sondern ein Naturspiel wäre. – Wir haben hier also ein interessantes Problem vor uns, welches gewiß verdient, von einem [225] Sachkundigen weiter erforscht zu werden, unter Berücksichtigung der Streitfrage, ob im Granit Versteinerungen vorkommen?


  1. Auf dem Boden der Kirche zu Beverstedt befand sich ein großes Wolfsnetz, wie die Kirchenrechnung im 30jährigen Kriege der Zeit ausweiset.
  2. Snake heißt beim Volke die Ringelnatter, die von ihm geehrt wird; die giftige Kreuzotter nennt er Adder.