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Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle

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Textdaten
Autor: Alfred von Wretschko
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Titel: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle
Untertitel:
aus: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Germanistische Abteilung. Bd. 20 = 33, 1899, S. 164–207
Herausgeber: E. I. Bekker, A. Pernice, R. Schröder, H. Brunner, U. Stutz
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Hermann Böhlaus Nachfolger
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Erscheinungsort: Weimar
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Quelle: Digitalisat Max-Planck Institut für europäische Rechtsgeschichte, Kopie auf Commons
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[164]
IV.
Der Einfluss der fremden Rechte
auf die
deutschen Königswahlen bis zur goldenen Bulle.[1]
Von
Herrn Dr. Alfred von Wretschko,
Professor der Rechte in Innsbruck.
I.

Während des 13. Jahrhunderts vollzog sich eine durchgreifende Aenderung in dem Vorgange bei der deutschen Königswahl[2]. In rascher Folge wurde das Wahlrecht, das um 1198 noch allen Mitgliedern des alten Reichsfürstenstandes gleichmässig zugekommen war[3], zunächst auf einen engeren Kreis von Fürsten beschränkt, dann aber ganz in die Hände jener sieben Fürsten gelegt, die schon vorher ein gewisses Vorstimmrecht als Ehrenrecht besessen hatten[4]. [165] Dabei blieb allerdings den übrigen zunächst noch ein entfernteres Mitwirkungsrecht, aber sehr bald schon wurde der Antheil dieser Sieben zu einem ausschliesslichen und alleinigen Wahlrechte[5].

Je mehr seit der Doppelwahl von 1198 das Wahlrecht in einer früher nie vorgekommenen Weise betont wurde, und in Folge dessen die Bildung fester Wahlberechtigungen fortschritt, desto grössere Bedeutung erlangte im Zusammenhange damit das Recht des Einzelnen an der Wahl theilzunehmen, und Theorie und Praxis wandten gemeinschaftlich in lebendiger gegenseitiger Einwirkung ihr Augenmerk auf die Beantwortung der Frage, wie eine einheitliche Königswahl stattzufinden hätte. Zu den völlig geänderten Verhältnissen passten die älteren, unter ganz anderen Voraussetzungen entstandenen und äusserst mangelhaften Grundsätze nicht mehr. Fehlte es doch, soweit wir sehen, noch an einem festen Wahlverfahren, an zwingenden Rechtssätzen über Ort und Zeit der Wahl; auch war das Erfordernis einer einzigen, allgemein verbindlichen Wahlhandlung im Zuge der durchaus gewohnheitsrechtlichen Bildung noch nicht zum Durchbruche gelangt. Ganz abgesehen von einer zwiespältigen Wahl, besass der Wahltag auch sonst bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts nicht unter allen Umständen genug rechtliche Autorität, um dem Gewählten sofort die allgemeine Anerkennung zu sichern. Zwar stellten die Anwesenden, und waren sie auch in der Minderzahl, die Gesammtheit vor; wer aber der Wahl ferne blieb, war an das Ergebniss der ohne sein Zuthun erfolgten Wahl im Princip noch keineswegs gebunden. In der Regel fügten sich freilich die Ausgebliebenen stillschweigend dem Beschlusse des Wahltages. Aber bei freien Wahlen traten doch leicht jene individualistischen Gedanken, die schon in [166] den Tagen Arnulfs geherrscht hatten, in den Vordergrund, dass der einzelne freie Mann sich selbst seinen König wählen dürfe[6]. Freilich kam es dabei nur auf den Willen einiger Grosser an, die bei der Wahl eine Führerrolle einnahmen. Nach ihnen richteten sich auch deren Anhänger, in der Regel aber nicht ohne dass vorher eine Besprechung stattgefunden hätte[7].

[167] Dabei ergab sich aus der bis ins 13. Jahrhundert vorherrschenden Auffassung[WS 1], dass das Wahlrecht des Einzelnen noch ein von der Theilnahme an der Wahlhandlung unabhängiges Recht sei, die Möglichkeit, dieses Recht auch späterhin noch durch nachträgliche Anerkennung des Gewählten auszuüben. Diese erfolgte oft dadurch, dass man sich stillschweigend dem Beschlusse des Wahltages fügte und dem neuen Könige huldigte[8]. Es konnte aber diese Berechtigung auch durch einen besonderen Act zum Ausdrucke gebracht werden, etwa indem man das Wahldecret mit unterfertigte[9], oder indem man zu einer förmlichen Nachwahl schritt[10]. Als aber dann die Bildung fester Wahlberechtigungen in der Hand einiger weniger Fürsten mehr und mehr zum Abschlusse gelangte, legte man zunächst noch Werth darauf, dass jene Wähler, die bei der eigentlichen Wahlhandlung nicht anwesend waren, nachträglich und zwar in den Formen einer Nachwahl ihre Anerkennung aussprächen[11], gelangte aber alsbald zu der Forderung nach einer allgemein verbindlichen, einzigen Wahlhandlung und einem sicher normirten Wahlverfahren.

Von verschiedener Seite wurde da bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die Wahlen – namentlich seit [168] 1257 – vielfach Formalitäten aufweisen, die bei den kirchlichen Wahlen jener Zeit üblich waren. So bemerkte, um von der älteren Literatur abzusehen, schon Harnack, dass die Wahldecrete, die wir über die deutschen Königswahlen von der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an besitzen, ihren formelhaften Wendungen nach, soweit sie das eigentliche Wahlgeschäft berührten, grösstentheils jenen Verkündigungen nachgebildet wurden, die die Päpste über ihre eigene Wahl zu erlassen pflegten, und dass auch das bei der Königswahl (im engsten Sinne) übliche Ceremoniell dem bei den Papstwahlen gebräuchlichen entsprochen habe[12]. Dies wurde auch von Bresslau anerkannt, und von ihm darüber hinaus der Nachweis versucht, dass „die deutschen Kurfürsten, nachdem um die Mitte des 13. Jahrhunderts das ausschliessliche Recht der Königswahl auf sie übergegangen war, und als sie sich nun über die Art zu verständigen hatten, in der sie ihr neues Recht ausüben wollten, mit bewusster Absicht beschlossen hätten, die Wahl des Königs in derselben Form zu vollziehen, die bei der Papstwahl und – wohl in Nachahmung dieser, bei den Bischofswahlen – üblich war“.[13] Etwas früher wies Seeliger in seinen „Forschungen über die Entstehung des Kurcollegs“ darauf hin, dass zur Lösung der Frage des Kurfürstenproblems, die auch von Lindner noch nicht erbracht worden war, die Untersuchungen, abgesehen von einer eingehenden Beleuchtung der Verhältnisse und Wandlungen des Reichsfürstenstandes, namentlich den Bischofswahlen und besonders der Papstwahl ihr Hauptaugenmerk zuwenden, die gegenseitigen Beziehungen und Beeinflussungen genügend würdigen müssten[14]. Ende 1898 unternahm dann E. Mayer in seiner deutschen und französischen Verfassungsgeschichte II. Bd. S. 382 ff. den Versuch, die Wahl des deutschen Königs überhaupt – also [169] auch für die Zeit vor dem Jahre 1257 – mit den Wahlen für geistliche Aemter in Parallele zu stellen und die Entstehung des Kurfürstenthums mit der Einrichtung der Scrutatoren bei den canonischen Wahlen in Zusammenhang zu bringen. Gegen Bresslau und Mayer trat aber Lindner in seiner neuesten Arbeit[15] auf und versuchte den Nachweis zu erbringen, dass ein solcher Zusammenhang zwischen kirchlichen und weltlichen Wahlen dem Wesen nach überhaupt nicht bestehe, dass insbesondere die Königswahl, weder vor noch seit 1257, keineswegs eine absichtliche Nachbildung der Papstwahl sei, dass wir es vielmehr nicht mit einer sprunghaften, sondern mit einer allmählichen, gleichmäßig fortschreitenden Entwicklung durchaus nationalen Charakters zu thun hätten. Wie aus dem Folgenden hervorgehen dürfte, ist Lindner’s Behauptung nicht zutreffend, aber spätere Forschungen werden noch darzuthun haben, dass auch Bresslau’s Annahme in ihrer bestimmten Fassung nicht in allen Punkten aufrecht zu erhalten ist.

Sehen wir von den Wahldecreten, für die bezüglich des Einflusses kirchlicher Formeln kein Streit herrscht, ab, so gibt auch Lindner zu, dass das bei den Königswahlen nachweisbare Ceremoniell, wie wir dasselbe seit den Tagen Rudolf’s I. genauer kennen, in vielen Punkten dem bei den Papst- und Bischofswahlen eingeführten entsprochen habe[16]. Dort wie hier wurde die Handlung mit einem feierlichen Gottesdienste eingeleitet, worauf dann bei Beginn der Wahlhandlung durch den Act der Protestation alle Excommunicirten, Suspendirten und Interdicirten, sowie alle sonst zur Theilnahme an der Wahl nicht Berechtigten aufgefordert wurden, sich der Wahl fernzuhalten und auch gleichzeitig [170] deren Stimmen im Voraus für ungiltig erklärt wurden[17]. Daran reihten sich regelmäßig bei den Königswahlen die Besprechungen (tractatus) über die allgemeine Lage der Dinge und die unter den gegebenen Verhältnissen geeignetste Person[18]; sodann schritt man zur Abstimmung[19] und darauf, wie bei den canonischen Wahlen, zur Vornahme der Electio.

Gerade diese Handlung ist in der Art, wie sie uns seit 1257 erwähnt wird[20], sicherlich den kirchlichen Wahlgebräuchen [171] entnommen. Lindner gibt dies nur für die formelle Seite zu; stimmen doch die Formeln für die Electio bei beiden wörtlich oder fast wörtlich überein[21]. Er leugnet aber entschieden die Uebereinstimmung im Wesen. Ich will hier einer eingehenden Untersuchung über das Wesen der kirchlichen Electio communis, für die ich übrigens schon mannigfaches Material gesammelt habe, nicht vorgreifen; aber soviel möchte ich schon heute hervorheben, dass die Construction, die uns Lindner gestützt auf die von Guilelmus de Mandagotto überlieferte Wahlformel gibt, kaum zu halten sein wird. Vielmehr entnehmen wir Decretalen und wissenschaftlichen Arbeiten, unter andern auch dem Werke Mandagotto’s, mit Bestimmtheit, dass die Electio communis oder in communi dort, wo sie bei kirchlichen Wahlen zur Anwendung gelangte, nicht etwa, – wie Lindner, Hergang S. 16 meint, – bloss eine Form war, durch die das Ergebniss der Wahl völlig und unantastbar festgestellt werden sollte, sondern dass auch im kirchlichen Rechte erst die Electio communis und nur sie die eigentliche Wahl selbst darstellte[22]. Scrutinium, Publication und [172] Collation der Stimmen waren ihr gegenüber nur vorbereitende, aber nothwendige Handlungen, die dazu dienen sollten, die zu wählende Person zu bestimmen. Der einzelne an und für sich zur Wahl Berechtigte nannte den Scrutatoren jenen Candidaten, den er nach seinem besten Wissen und Gewissen in diesem Falle für den geeigneten erachtete. Das Ergebniss dieser Abstimmung wurde in der Versammlung sofort publicirt und die Abzählung der Stimmen nach numerus, zelus und merita vorgenommen. War dann so mit Stimmeneinheit, oder wenigstens von der maior et sanior pars ein Candidat nominirt, dann übertrugen die Wähler, wo dies nicht schon vorher bei der Bestellung der Scrutatoren geschehen war, ihr Wahlrecht auf einen aus ihrer Mitte, der dann in der Versammlung des Collegiums (in communi) die eigentliche Wahl vorzunehmen hatte, während früher diese feierliche Erklärung des Consenses durch die Gesammtheit erfolgt war[23]. Allerdings ist dies nur eine der Formen, in denen die canonischen Wahlen sich vollzogen, aber Bonifacius VIII. hat die Anordnung getroffen, dass die electio [173] per unum auch im Falle einer Compromisswahl vorzunehmen sei[24].

Denselben Inhalt hat auch die Electio, die seit 1257 bei der deutschen Königswahl nachweisbar ist. Auch hier wählt der einzelne Kurfürst, der an und für sich wahlberechtigt ist, nicht selbst, sondern er nennt bei der Abstimmung nur die zu wählende Person (vota dirigere, nominare in R. r. eligendum); auch hier übertragen die Wähler ihr Wahlrecht auf einen aus ihrer Mitte, der dann die Wahl vorzunehmen hat, und wie dort approbiren sie darnach die vom Elector geschehene Wahl[25]. Zieht man dabei in Betracht, dass die Wahlen, soweit Nachrichten vorhanden sind, in früherer Zeit, insbesondere auch noch nach dem Sachsenspiegel in ganz anderer Weise vor sich gegangen sind, so wird man immer wieder zu dem Ergebnisse kommen, dass wir es hier nicht mit von einander unabhängigen Vorgängen zu thun haben, sondern dass die Einrichtung der Electio in der Gestalt, wie sie uns 1257 zum erstenmale bei den deutschen Königswahlen begegnet, der Form und dem Wesen nach den kirchlichen Wahlen, wo wir dieselben in viel frühere Zeit zurück verfolgen können, nachgebildet wurde[26].

Unvereinbar hiemit scheint Lindner die Thatsache zu sein, dass die Bürger von Pisa 1256, somit bereits ein Jahr vorher Alfons von Castilien mit einer Formel zum Könige erwählten, die alle Merkmale der deutschen Wahlformel enthielt[27]. Ich vermag darin aber nicht eine unbedingte Widerlegung der Annahme von Bresslau zu finden[28]. Freilich sind die Bürger von Pisa darin den Kurfürsten, die erst 1257 zur Wahl schritten, zuvorgekommen. Aber wir wissen [174] ja nicht, und hierin bedürfen Bresslau’s Untersuchungen noch einer Ergänzung, ob erst die Kurfürsten vor der Wahl von 1257 einen förmlichen Beschluss fassten, von jetzt ab nach kirchlichem Muster zu wählen[29]. Wir kennen eben viel zu wenig den Vorgang bei den früheren Wahlen namentlich von 1246 und 1247, die aus Theilversammlungen ganz unter kirchlichem Einflusse hervorgegangen sind. Es wäre immerhin denkbar, dass da, wo die Kirchenfürsten die erste Rolle spielten, eine Beeinflussung durch die kirchlichen Wahleinrichtungen bereits angebahnt und dann weiter fortgebildet wurde[30]. Aber selbst davon abgesehen, hätten ja die Bürger von Pisa an der Papstwahl und an den zahlreichen Bischofs-, Capitels- und Klosterwahlen, die in jener Zeit auch in Italien alle in dieser Form vollzogen wurden, das beste Beispiel gehabt.

Der Anschluss an das kirchliche Wahlwesen war bis zu einem gewissen Grade ein beabsichtigter. Er ergab sich aus den Beziehungen des Papstes zu den deutschen Fürsten in der Frage nach der Einsetzung des deutschen Königs. [175] Denn nicht nur dass einzelne Wahlen ganz unter kirchlichem Einflusse zustande gekommen waren, die Päpste nahmen überhaupt für sich, wie gegenüber den canonischen Wahlen, das Recht in Anspruch, die Würdigkeit des Gewählten, aber auch die Rechtmäßigkeit des Wahlvorganges zu prüfen. Bei dieser Sachlage empfahl es sich jedenfalls sehr, für das Wahlverfahren, soweit es anging, jene Normen zu Grunde zu legen, die bei den kirchlichen Wahlen hergebracht waren. Aber der Anschluss an kirchliche Einrichtungen war, und das hat Bresslau nicht in Betracht gezogen, auch ein unbewusster. Er war das Ergebniss jenes tiefgehenden Einflusses, den die Kirche und ihr Recht in jenen Tagen auf alle weltlichen Verhältnisse ausübte. Von Haus aus stand ja das canonische Recht auoh in Deutschland auf dem Gebiete der Kirche in lebendiger Geltung. Infolge der Allmacht der Kirche griff es aber auch auf weltliche Lebensverhältnisse über. Wir sprechen nicht von der weiten Ausdehnung kirchlicher Gerichtsbarkeit im Mittelalter. Aber wir erinnern uns daran, dass gerade der Klerus, der in Schule und Praxis die reichen Schätze der ihrerseits wieder so vielfach auf dem römischen Rechte fussenden canonistischen Wissenschaft, die auf ihr aufgebaute neue kirchliche Gesetzgebung kennen gelernt hatte, auch an der deutschen Reichsverwaltung grossen Antheil besass. Das Schreibwesen lag ja ganz in geistlichen Händen; Kleriker verschiedenen Ranges waren die Notare der königlichen und fürstlichen Kanzleien; Geistliche sassen im Rathe des Königs und der Fürsten. Die Classe der Reichsfürsten selbst setzte sich zum Theile gerade aus hohen Kirchenbeamten zusammen, und namentlich die drei rheinischen Erzbischöfe hatten längst gewisse Vor- und Ehrenrechte bei der Wahl und Krönung des neuen Königs.

So kann es uns nicht wunder nehmen, dass, wie auch Lindner[31] wieder hervorhebt, die für kirchliche Zwecke erfundenen Formeln zum Theile vielleicht ganz unbewusst auch auf die Wahl des deutschen Königs angewendet wurden. Aber es geschah noch mehr. Nicht wahllos schloss man sich an die kirchlichen Einrichtungen an, und nahm [176] die daselbst zur Entstehung gelangten Rechtsnormen in Bausch und Bogen herüber, sondern man berücksichtigte im Zuge der ganzen Entwicklung doch immer die eigenen Verhältnisse[32]. Gar keinen Anklang fanden die kirchlichen Wahlformen per compromissum und quasi per inspirationem. Man schloss sich nur der Scrutinialwahl einigermassen an, ohne aber eine Abstimmung über mehrere Candidaten zuzulassen, was wir als den eigentlichen Zweck dieser Wahlform ansehen müssen. Vielmehr hielt man entgegen den kirchlichen Normen noch lange Zeit an dem althergebrachten Charakter der unbedingten Einhelligkeit der Wahlen fest, und als man endlich die Majoritätswahl zuliess, geschah dies in einer, wie wir im Abschnitte III sehen werden, ganz eigenen Weise. Man wählte keine Scrutatoren aus und nahm überhaupt die Abstimmung in einer von den kirchlichen Wahlen verschiedenen Form vor[33].

Andere Formalitäten hingegen fanden in Deutschland bei den Königswahlen Eingang und auch einzelne neue Rechtssätze wurden im Laufe der bis zur goldenen Bulle fast nur gewohnheitsrechtlichen Bildung aus dem fremden Rechte in das deutsche Staatsrecht aufgenommen. Diese Beeinflussung durch die fremden Rechte, namentlich durch die mittelalterliche theils auf römischer, theils auf canonistischer Basis fussende Corporationslehre wollen wir im Folgenden an zwei Punkten näher darlegen:

1. in der Frage nach der Ausbildung einer einzigen, allgemein verbindlichen Wahlhandlung;

2. in der Frage nach der Zulässigkeit von Majoritätswahlen.

[177] Auch in der Kirche hat sich der Grundsatz von der Einheitlichkeit der Wahlhandlung erst langsam ausgebildet. Die ältere Lehre[34] fasste, vielfach von germanischen Rechtsideen beeinflusst, ohne den Anstaltsbegriff vollständig zu verlieren, die verschiedenen kirchlichen Verbände als Genossenschaften auf und vertrat das Princip einer genossenschaftlichen Gesammtberechtigung der Mitglieder. Als Träger der Rechte galt ihr die sichtbare Versammlung der Genossen; diese trat nach aussen hin selbst als die Genossenschaft, nicht aber als Organ einer von ihr verschiedenen Person handelnd auf, und sie handelte dadurch, dass sie sich in geordneter Weise eines Willens bewusst ward und diesen durch einen Gesammtact als ihren einheitlichen Beschluss erklärte und zur That machte[35].

Diese genossenschaftliche Auffassung rief aber auch die Idee hervor, dass an einer Wahl Alle betheiligt sein sollen, die in dem zu Wählenden einen Vorgesetzten erhalten[36]. Dies führte weiter dazu, dass man sich bei dem Beschlusse [178] nicht mit der Willenseinigung der an einem bestimmten Orte zusammengekommenen Wähler begnügte, sondern dass man auch noch nachträglich die Zustimmung jener einholte, die der Versammlung ferne gebheben waren. Die Wahlhandlung war daher noch keineswegs eine einheitliche[37]. Daran hielt man zunächst auch dann noch fest, als die alte genossenschaftliche Auffassung durch die zum Theile aus dem römischen Rechte recipirte, dann aber vom canonischen Rechte selbständig weiter ausgestaltete Corporationsidee bereits abgelöst worden war, und die ordnungsmässig zu Stande gekommene Mitgliederversammlung demzufolge nicht mehr selbst das Rechtssubject bildete, sondern nur als Organ und im Namen der an und für sich handlungsunfähigen juristischen Person aufzutreten hatte.

So fehlt das Erforderniss einer einzigen Wahlhandlung noch in den späteren wissenschaftlichen Bearbeitungen des Gratianischen Decrets[38], und auch Bernhard von Pavia, der vor 1179 seine Summa de electione, die erste Monographie über Wahlen, schrieb, kennt noch ein nachträgliches Zustimmungsrecht Abwesender[39]. Aber er hebt bereits hervor, dass gegen die unbedingte Heranziehung aller Wahlberechtigten die thatsächliche Uebung, nicht minder aber auch der Nachtheil spräche, den die Kirche durch zu lange dauernde Vacanzen erleiden würde. Indem er sich des weiteren mit der Frage nach der Einberufung Abwesender zur Wahl beschäftigt, verwirft er zunächst die Anschauung, dass für die Zuziehung des Einzelnen zur Wahl der Umstand entscheidend sei, ob er im Interesse der Kirche oder nur im eigenen abwesend sei. Vielmehr käme es, und dahin sprach [179] sich auch die kirchliche Praxis aus, darauf an, ob er mit Erlaubniss abwesend sei oder nicht. Im ersteren Falle müsse dessen Zustimmung eingeholt werden, wenn seine Entfernung vom Wahlorte nicht so bedeutend wäre, dass durch seine Befragung der Kirche ein grosser Nachtheil erwachsen könnte. Sei er aber ohne Erlaubniss abwesend, dann gelte sein Fernbleiben als nicht entschuldbar, und es sei seine Stimme wegen contumacia und contemtus nicht einzuholen[40]. Natürlich besass ein solcher auch keinerlei Anfechtungsrecht gegenüber der ohne sein Zuthun vorgenommenen Wahl.

Diese Gedanken wurden dann von Theorie und Gesetzgebung weiter ausgebaut. Gemäss der Auffassung, dass die Mitglieder für die juristische Person handeln, musste genau bestimmt werden, wann die Willensacte der Mitglieder für die juristische Person selbst bindend wären[41], und man erklärte, dass dies nur von jenen Beschlüssen gelte, die in solenner Versammlung zustandegekommen seien. Man entwickelte dann genauestens die einzelnen Merkmale, die eine solche Versammlung aufweisen müsse, verlangte Abhaltung am rechten Orte, zur rechten Zeit, gehörige Berufung, Anwesenheit eines bestimmten Theiles der Mitglieder, erklärte aber auch, und zwar im Anschlusse an die Lehre vom römischen Testamente, es müsse, damit der Beschluss als Wille der juristischen Person erscheine und in Anwendung auf Wahlen die Wahl als Wahl der juristischen Person gelten könne, die Handlung eine einheitliche sein, es müsse unitas actus vorliegen[42]; daher schloss man auch die nachträgliche Zustimmung etwa Abwesender völlig aus. In weiterer Ausführung dieser Grundsätze bestimmte man genauestens, wer von den an und für sich Wahlberechtigten überhaupt geladen werden müsse, verlangte aber, dass die gehörig Berufenen auch wirklich zur rechten Zeit und am rechten [180] Orte erscheinen, und bestimmte, wie lange auf Abwesende gewartet werden müsse. Wer aber trotz gehöriger Berufung ausbliebe, der sollte ohne Rücksicht darauf, ob seine Abwesenheit mit oder ohne Erlaubniss begründet wäre, des Wahlrechtes für diesen Fall verlustig sein, und auch keinerlei Anfechtungsrecht gegenüber der ohne seine Mitwirkung vollzogenen Wahl besitzen. Dasselbe hätte für jene zu gelten, die vor vollzogener Wahl sich von derselben entfernten[43].

Diese Grundsätze standen vom 13. Jahrhundert ab bei kirchlichen Wahlen in Uebung[44]. Sie wurden aber auch mehr und mehr auf die deutsche Königswahl zur Anwendung gebracht. Die erste Gelegenheit boten wohl auch hier die Wahlen der Jahre 1246 und 1247. Von einer kleinen Zahl von Fürsten ganz unter dem Einflusse der Curie vollzogen, galten sie doch kirchlicherseits als allgemein verbindliche[45]. So konnte der päpstliche Legat an die Bischöfe [181] von Schwerin und Havelberg schreiben, Wilhelm von Holland sei schon 1247 rechtmässig zum Könige gewählt worden, da dies von den Fürsten, quorum intererat, geschehen sei[46]. Aber daneben bestand auch eine andere Auffassung über die Sache, und sie wurde damals von einer Anzahl niedersächsischer Städte, an deren Spitze Lübeck genannt wird, geltend gemacht. Diese weigerten sich nämlich den Befehlen König Wilhelms von Holland Folge zu leisten, weil seine Wahl nicht rechtsgiltig zustande gekommen sei. Als Grund dafür gaben sie an, dass der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg derselben nicht zugestimmt hätten. In der That begehrte auch Wilhelm im Jahre 1252 eine nachträgliche Wahl von einigen Fürsten, die als eigentliche Königswähler galten, aber ihn vorher noch nicht gewählt hatten[47]. Es wurde daher damals in [182] Deutschland noch darauf Gewicht gelegt, dass an der Königswahl alle theilnähmen, die eine Wahlberechtigung hätten, gleichzeitig aber auch daran festgehalten, dass dieses Wahlrecht durch das Fernbleiben von der eigentlichen Wahlhandlung noch nicht erloschen sei, sondern auch nachträglich noch ausgeübt werden dürfe.

Wenige Jahre später lagen die Dinge ganz anders. Die Berichte, die die Räthe der beiden Gegenkönige nach der Doppelwahl von 1257 an die Curie sandten, nehmen bereits einen ganz anderen Standpunkt ein. Sie schliessen die nachträgliche Anerkennung einer Wahl durch abwesende Wähler völlig aus. Jede Partei behauptet für sich, dass sie das alleinberechtigte Wahlcolleg gebildet habe, nachdem die übrigen Kurfürsten zwar gehörig berufen, aber nicht erschienen seien[48]. Freilich kann man einwenden, dass diese Berichte von Klerikern abgefasst worden seien, die ganz unter dem Einflusse des canonischen Rechtes standen, ja dass die Rathgeber K. Alfons überhaupt nicht mit den deutschen Gewohnheiten vertraut gewesen seien und dieselben lediglich aus dem Berichte Richards kennen gelernt hätten. Aber den neuen Rechtsgedanken enthält auch die Belehrung, die Richards Wähler dem Papste über das in Deutschland für die Königswahl angeblich seit alter Zeit geltende Recht zugehen liessen[49]. Darin heisst es zunächst, dass die Anwesenheit [183] von nur 2 Wählern am richtigen Orte und zur richtigen Zeit zur Giltigkeit der Wahl ausreiche, wobei die Zahl „zwei“ selbst eine willkürliche Erfindung war, die zu dem Zwecke gemacht wurde, um Richards Wahl gegenüber der seines Gegners als allein den bestehenden Normen entsprechend erscheinen zu lassen. Ferner wird darin ausdrücklich erklärt, dass der gegebenenfalls nur von 2 Kurfürsten gewählte und dann ordnungsmässig gekrönte König keinerlei nachträglicher Anerkennung von Seiten etwa nicht Erschienener bedürfe, sondern dass nunmehr jede Möglichkeit ausgeschlossen sei, gegen die Wahl irgend welche Einsprache zu erheben[50].

Die neue Auffassung beherrschte aber auch noch andere Schriftstücke, die in jener Zeit in Deutschland verfasst wurden. Vor allem liegt uns im Wortlaute die Anzeige vor, die der Erzbischof von Cöln und der Pfalzgraf bei Rhein über ihre am 13. Januar 1257 vorgenommene Wahlhandlung an das Volk erlassen hatten. Sie erklären darin, Richard sei einstimmig zum Könige gewählt worden, nachdem die übrigen Kurfürsten an dem bestimmten Orte und zur festgesetzten Zeit nicht erschienen seien, auch trotz an sie ergangener Aufforderung an der Wahl weder persönlich noch durch Gesandte theilnehmen wollten. Daher sei das Recht für dieses Mal auf die Anwesenden übergegangen[51]. Dieselbe Auffassung vertrat der Erzbischof von Trier, als er gestützt auf die Vollmacht von drei anderen Kurfürsten in deren und im eigenen Namen König Alfons von Castilien am 1. April 1257 zum römischen König erwählte[52]. Dementsprechend [184] entsprechend erklärte Alfons von Castilien den Bürgern von Siena in der Wahlanzeige, er sei nicht nur von der maior et sanior pars der deutschen Fürsten gewählt worden, sondern von allen jenen, die damals ein Stimmrecht besessen hätten[53].

Bei den folgenden Wahlen wurde aus der Abwesenheit eines Wählers niemals ein Einwand gegen die Giltigkeit der Wahlhandlung erhoben[54]; auch finden wir nirgends eine Erwähnung darüber, dass ein der Wahl aus irgend welchem Grunde ferne Gebliebener dieselbe nachträglich anfechten konnte. In den Wahldecreten heisst es im Anschlusse an die kirchlichen Formeln, dass die Wahl von den Anwesenden vorgenommen wurde[55]. Bisweilen wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass die Abwesenden, die auch keine Gesandten schickten, ihr Wahlrecht für diesen Fall verloren hätten, so z. B. in den Verkündigungsschreiben, die der König von Böhmen und mutatis mutandis die übrigen Wähler Ludwig des Bayern im Lager vor Frankfurt am 22. October 1314 über die am Vortage vorgenommene Wahl an mehrere rheinische [185] Städte erliessen[56]. Ja diese Erklärung zu Ungunsten etwa Abwesender wurde einmal sofort in das Berufungsschreiben des Mainzer Erzbischofs übernommen, wie wir dies der Wahlausschreibung vom Jahre 1348 entnehmen können[57].

In diesem Sinne hat dann die goldene Bulle die ganze Entwicklung zum Abschlusse gebracht. Sie hat die dem kirchlichen Verfahren entnommenen Gedanken, die in Deutschland zur Gewohnheit geworden waren, reichsgesetzlich fixirt und ganz bestimmt erklärt, dass ein im Uebrigen der Wahlbefugniss theilhaftiger Kurfürst, der selbst zur Wahlhandlung nicht erscheint oder vor vollzogener Wahl den Wahlort verlässt, beziehungsweise keinerlei geeignete Vertreter entsendet, für diesen Fall sein Wahlrecht einzubüssen hätte[58].


[186]
III.

In der Frage nach der Geltung des Majoritätsprincips haben wir zunächst die eigenartige Fassung, die dasselbe im deutschen Rechte erfahren hat, in Erwägung zu ziehen. Nach der Auffassung des älteren deutschen Rechtes[59] galt in genossenschaftlichen Verbänden die Gesammtheit der Genossen in ihrer wirklichen oder gedachten Versammlung als Rechtssubject, und der Wille dieser in greifbarer Weise zugleich vielköpfigen und doch einheitlichen Versammlung war der Gesammtwille des Verbandes. Er kam in der Weise zu Stande, dass alle Anwesenden ihre Willensmeinung in bestimmter Richtung hin abgaben. Nach aussen hin war der Beschluss daher immer ein einmüthiger. Diese Einstimmigkeit erreichte man aber, abgesehen von dem Falle, wo ein Eingriff in feste Sonderrechte des einzelnen beschlossen wurde, auf ganz eigene Weise. Es setzte sich hier allmählich die Geltung des Stimmenmehrs durch. Der Majoritätsbeschluss besass aber an sich keinerlei bindende Kraft, der Wille der Mehrheit war nicht etwa die verfassungsmässige Form, in der sich der Wille der juristischen Person zu äussern hatte, sondern die Stimmenmehrheit bildete nur das Mittel, durch das man zur Einhelligkeit zu gelangen trachtete, indem anfangs der stärkere Wille gütlich oder zwangsweise die Widerstrebenden auf die stärkere Seite zog, späterhin aber in einer Reihe von Beziehungen das Recht selbst den schwächeren Theil dazu drängte, gegenüber dem gemeinen Willen des überwiegenden Theiles die Sondermeinung aufzugeben, den laut gewordenen Widerspruch fallen zu lassen, und ebenso zu wollen wie die Mehrheit.

Solange bei Urtheilsfindungen Waffengeklirr und Zuruf üblich waren, mochte der billigende oder missbilligende Klang den Widerspruch übertönen, so dass man zuletzt nur eine Stimme hörte, in der sich das Urtheil der Gesammtheit [187] äusserte. Im Nothfalle konnte aber auch Waffenstreit entscheiden, und der schwächere Theil unter den Willen des stärkeren gedrückt werden. Allmählich aber drangen bestimmte Normen über die Geltung der Stimmenmehrheit durch. Dem eingebrachten Urtheilsvorschlag konnte ein anderer entgegengestellt werden. Es wurde erhoben, welchem von beiden die mehrere Folge zutheil würde, und diesem mussten sich dann auch die Widerstrebenden bei Strafe anschliessen[60]. Freilich konnten sie das Urtheil auch schelten; dadurch hinderten sie das Zustandekommen eines gemeinen Urtheils vor diesem Gerichte überhaupt. Wo keine Schelte erhoben wurde, da kam es schliesslich durch das allgemeine Vollwort zu einem gemeinen Urtheil[61].

In ähnlicher Weise wurden Beschlüsse in genossenschaftlichen Angelegenheiten gefasst, namentlich wurden so die Wahlen vollzogen[62]. Auch hier konnte die Minderheit der [188] Mehrheit die Folge verweigern und so das Zustandekommen eines Beschlusses überhaupt hindern, aber sie handelte dabei auf ihre Gefahr. That sie das nicht, dann musste sie vor dem Rechte des Stärkeren ihren Widerspruch aufgeben, den Beschluss der Majorität zu dem ihrigen machen, oder sich von der Versammlung entfernen, und zu einem von beiden konnte sie wohl auch gezwungen werden.

Aehnliches gilt auch für die deutsche Königswahl. Auch sie trägt den Typus eines einstimmigen, von allem Volke gebilligten und anerkannten Beschlusses[63]. Damit sie einhellig zu Stande käme, wurden vorher zwischen den grossen Herren Vorverhandlungen gepflogen, und begreiflicherweise lag gerade in diesen das Schwergewicht, und die darauf folgende Kur war nur die Wiederholung des schon vorher gewonnenen Ergebnisses. Der Vorgang dabei war, soweit uns Nachrichten vorhanden sind, ein sehr einfacher. Lag keine Designation vor, so einigten sich die grossen Herren anfangs in freier Verhandlung, so gut es eben ging, über die Person des künftigen Königs. Späterhin dürfte es zu einer förmlichen Abstimmung gekommen sein[64]; aber ein Abgeben der Stimmen für mehrere Candidaten war ganz unbekannt; daher kam es auch zu keinem gegenseitigen Abwägen der Stimmen. War für den in Aussicht genommenen [189] Candidaten eine überwiegende Mehrheit vorhanden, dann entfernte sich regelmäßig die Minderheit und nahm an der Schlusshandlung gar nicht theil[65]. Die Widerstrebenden gaben aber dann später ihren Widerspruch auf und erkannten den ohne ihr Zuthun Gewählten als König an. Sie konnten aber auch sich selbst als Versammlung constituiren und zu einer eigenen Wahl schreiten; dann besass das Reich zwei Könige, die nun um die Krone zu kämpfen hatten. So kam es, dass zwiespältige Wahlen nur aus getrennten Lagern, nie aber aus einer Versammlung hervorgehen konnten, und dass im Endeffecte jede Königswahl eine einmüthige, das Wahlurtheil immer ein gemeines war[66].

Im Folgenden wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, ob man in Deutschland bei der fortschreitenden Verengerung des Wahlcollegiums an diesem Gedanken festgehalten hat, oder ob sich hier etwa ein Anschluss an romanistische oder canonistische Theorien, namentlich an die eigenartige Fassung des kirchlichen Majoritätsprincips nachweisen lässt. Zu diesem Zwecke wollen wir zunächst einige Worte der Entwicklung des Majoritätsgedankens in der Kirche selbst widmen. Für die ältere Zeit haben wir auch im kirchlichen Leben auf germanischem Boden vielfach Anhaltspunkte dafür, dass die Wahlen einmüthig erfolgten[67], und die Ansicht [190] Lindner’s, dass die kirchlichen Wahlen durch die germanischen Tendenzen nach Einheitswahlen bestimmt wurden, hat viel für sich[68]. Noch im 13. Jahrhundert und wohl auch späterhin stossen wir auf Gebräuche, die an den Gedanken des germanischen Majoritätsprincips erinnern[69].

Theoretische Erörterungen über die ganze Frage setzen erst mit der Entfaltung einer selbständigen canonistischen Wissenschaft ein. Die ersten wissenschaftlichen Bearbeitungen des Decrets begnügen sich im Anschlusse an ältere Canones zwar schon mit dem Erfordernisse der Stimmenmehrheit bei Wahlen, aber sie schwingen sich noch keineswegs zu einer technischen Formulirung des Majoritätsprincips auf, sondern bewegen sich mehr in Einzelentscheidungen[70]. Noch vor dem Ende des 12. Jahrhunderts nahm die Lehre festere Formen an. Denn in dieser Zeit machten sich die Canonisten die Resultate der romanistischen Jurisprudenz zu eigen und verstanden es alsbald auf denselben weiter zu bauen. Schon die Glossen zum Corpus iuris civilis stellten [191] das Majoritätsprincip aus den römischen Quellen als einen für alle Corporationen giltigen Rechtssatz hin. Ihnen folgte die canonistische Doctrin und indem sie in ihm ein wesentliches Merkmal jeder Corporation erblickte, führte sie dasselbe ähnlich den römischen Glossen auf eine Fiction zurück, kraft deren ohne Weiteres dasjenige, was die Mehrheit in ordnungsmäßiger Versammlung beschlossen hätte, als Wille der universitas zu gelten hätte[71]. Eine innere Begründung dieses Satzes aus dem Wesen der Corporation versuchte man aber noch nicht. Wir dürfen nicht übersehen, dass uns derlei Gedanken auch schon in der antiken Philosophie, vor Allem in der Politik des Aristoteles begegnen. Hier in Italien wurden dieselben ganz selbständig, da man ja Aristoteles damals im Abendlande noch gar nicht kannte, aus den reichen Schätzen des im Corpus iuris civilis überlieferten Rechtsstoffes neu erschlossen und gelangten so zu neuem Leben. Freilich wurde so manchem dieser Sätze in Folge gewisser seit alters in der Kirche herrschenden Anschauungen ein eigenartiger Stempel aufgedrückt. Neben der romanistischen entstand so alsbald eine eigene canonistische Corporationstheorie, und was dabei den Begriff der Stimmenmehrheit angeht, so fand derselbe durch die dem kirchlichen Rechte eigenthümliche Forderung der „sanioritas“ eine vom römischen Rechte abweichende Ausgestaltung[72]. Die Stimmen selbst wurden nicht allein gezählt, sondern auch nach ihrem Inhalte und Werthe gewogen und beurtheilt, wozu die verschiedenen canonistischen Schriftsteller ein detaillirtes System von Formen der Stimmwürdigung aufstellten. All’ diese Grundsätze waren jedoch nur Rathschläge, [192] die den nach freiem Ermessen entscheidenden Richter bei Prüfung der einzelnen Wahl leiten sollten.

Die in diesen Werken enthaltenen Grundsätze wurden auch von der päpstlichen Gesetzgebung gewürdigt und in der Praxis gehandhabt. Mehr als eine Decretale des Corpus iuris canonici spricht von Majoritätswahlen[73]. Aehnlichen Normen unterlagen auch alle anderen Corporationsbeschlüsse. Während aber einige behaupteten, dass durch ein bedeutendes Uebergewicht an sanioritas auch eine Minderzahl ohne Weiteres zur maior pare werden könne, ging die Entwicklung in Theorie und Praxis mehr und mehr dahin, dass zur Herstellung einer maior pars quantitatives und qualitatives Uebergewicht nothwendig sei. Dabei bildete die grössere Zahl an und für sich schon eine Rechtsvermuthung für die Existenz der sanioritas, die aber jederzeit durch einen „ex rationabili causa“ gefassten und dem zur Prüfung competenten Oberen vorgelegten Beschluss der Minderheit entkräftet werden konnte, und insofern wurde auch weiterhin – und darin lag eine Besonderheit der kirchlichen Wahlen – an dem Erfordernisse der sanioritas festgehalten. Dabei war, was die zur Giltigkeit der Wahl erforderliche Stimmenzahl betrifft, im Allgemeinen die absolute Majorität ausreichend, und nur für die Papstwahl verlangte man seit der Constitution Alexanders III., da hier eine Prüfung des Wahlergebnisses durch einen höheren Richter ausgeschlossen war, das Vorhandensein der eminenten Majorität[74].

[193] Fragen wir nun, ob diese Lehren auch auf die für die deutsche Königswahl geltenden Rechtsnormen ihren Einfluss ausübten. Es wurde von verschiedener Seite behauptet[75], dass schon Papst Innocenz III. in den Verhandlungen nach der Doppelwahl von 1198 für die deutsche Königswahl ein völlig neues Princip aufgestellt habe, demzufolge auch bei ihr wie bei den canonischen Wahlen nicht Einstimmigkeit des Beschlusses gefordert, sondern die Bildung einer Majorität als hinreichend erachtet wurde. Nach eingehender Prüfung der einschlägigen Actenstücke wird man im Gegentheile zu dem Ergebnis kommen, dass wir es hier keineswegs mit einem planmässigen Vorgehen des Papstes behufs Aenderung des deutschen Wahlverfahrens zu thun haben. Es ist ja richtig, dass Innocenz III. in dieser Frage Grundsätze des canonischen Rechtes herangezogen[76], dass er die Königswahl nach Art der Bischofswahlen behandelt und die ihm von den beiden Parteien anvertraute Entscheidung über die Giltigkeit der Königswahl als ein Recht für sich in Anspruch genommen hat; aber sein Vorgehen war dabei doch ein äusserst vorsichtiges. Immer beruft er sich in erster Linie auf die Würdigkeit des Gewählten, und die Frage nach der Rechtmässigkeit der einen oder anderen Wahlhandlung tritt dabei mehr in den Hintergrund. In der bekannten Deliberatio wird das Mehrheitsprincip, das übrigens zu Gunsten Philipps gesprochen hätte, nur gestreift, indem der Papst erklärt, Philipp hätte die Mehrheit und die vornehmere Gruppe der Fürsten auf seiner Seite. Zu Gunsten Ottos entschied er sich vorzüglich aus dem Grunde, weil er ihn für durchaus geeignet hielt, wobei freilich gemäss der [194] Praxis bei Entscheidung zwiespältiger kirchlicher Wahlen auch noch in einer den thatsächlichen Verhältnissen gar nicht entsprechenden Weise die Behauptung aufgestellt wurde, dass Otto IV. ebensoviele oder noch mehr vornehme Wähler auf seiner Seite hätte, die nachträglich seiner Wahl beigetreten wären. In den folgenden Kundgebungen der Curie dagegen wird immer wieder der Hauptwerth auf die persönliche Eignung Ottos gelegt und der Hinweis auf die Mehrheit der Wähler lediglich zu dem Zwecke eingefügt, um den Vorwurf zu entkräften, als hätte der Papst das fürstliche Wahlrecht verletzt.

Der erste, der sich offen an das canonische Mehrheitsprincip anschloss, war Alfons von Castilien. Und er hatte gute Gründe dafür. Die Rechtsbelehrung, die Richards Räthe über die bei der Königswahl beobachteten Gewohnheiten dem Papste vorlegten, kennt – und dies sogar für Doppelwahlen – nur die Form, dass die an einem Orte versammelten Wähler einmüthig vorgehen; sie enthielt aber auch zu Ungunsten Alfons die allerdings ganz willkürlich erfundene Bestimmung, dass bei der Wahl mindestens zwei Kurfürsten anwesend sein müssen, und dass die Wahl binnen Jahr und Tag seit Erledigung des Thrones vorzunehmen sei[77]. Da musste nun die Berufung auf die maior et sanior pars den im canonischen Rechte gut bewanderten Räthen des Königs um so vortheilhafter erscheinen, als ja die Curie gerade auf eine durch auctoritas und zelus ausgestattete Mehrheit stets das grösste Gewicht legte. Während Alfons, wie erwähnt wurde, in dem Schreiben an die Bürger von Siena seine Wahl selbst noch als einmüthige bezeichnete, wurde in dem Berichte, den die Räthe dieses Königs an den [195] Papst Urban IV. sandten, zum ersten Male mit voller Entschiedenheit das kirchliche Mehrheitsprincip für die deutsche Königswahl vertreten[78].

Aber diese Auffassung fand in Deutschland noch keine Verbreitung. Schon die Art und Weise, wie die Wahl Rudolfs von Habsburg zu Stande gekommen ist[79], spricht entschieden gegen ein etwaiges Eindringen des kirchlichen Majoritätsgedankens. Wir finden sichere Anzeichen einer Wahlbewegung seit dem Beginne des Jahres 1273. Anfangs stockend und schwerfällig, weil dem Streben der öffentlichen Meinung nach einem kräftigen Könige die Zwistigkeiten und Sonderinteressen der Kurfürsten und anderer Fürsten entgegenstanden, wurde dieselbe durch den Einfluss Gregors X. seit Mitte August desselben Jahres beschleunigt. Da gerade mit Rücksicht auf die bedeutenden Differenzen zwischen den Wahlfürsten die Gefahr einer Doppelwahl wieder nicht ausgeschlossen war, so erklärten die mittelrheinischen und wetterauischen Städte zu Mainz schon im Februar 1273, dass sie bei zwiespältiger Wahl keinen der Bewerber, und überhaupt nur einen einhellig gewählten König anerkennen würden. Die ersten Schritte zu einer Einigung der rheinischen Kurfürsten hat Erzbischof Werner von Mainz, der berufene Leiter der Wahlhandlung, gethan. Ihm gelang es, wenn auch nur nach längeren Vorverhandlungen, den Pfalzgrafen von der Candidatur abzubringen und für Rudolf von Habsburg zu gewinnen. Und in dem am 1. September 1273 abgeschlossenen Vertrage erklären Mainz und Pfalz unter Einverständnis von Cöln gegenseitig, falls auch Rudolf nicht [196] gewählt würde, ihre Stimmen demjenigen zuzuwenden, zu dessen Gunsten sie dies einhellig oder nach Stimmenmehr beschliessen sollten[80]. Einige Tage später wurde noch Trier gewonnen und am 11. September 1273 schlossen die vier rheinischen Kurfürsten einen Vertrag dahingehend, dass sie bei der bevorstehenden Wahl eines Sinnes sein wollen. Falls insbesondere drei von ihnen einem Candidaten ihre Stimmen geben, dann solle auch der vierte ihnen beitreten[81]. Auf Grund dieses Vertrages, bei dessen Abschluss den Contrahenten die germanische Majoritätsidee vorschwebte, gingen die vier rheinischen Kurfürsten einmüthig bei der Wahl vor; sie gewannen auch noch Brandenburg und Sachsen, und der Einspruch, den Böhmens Vertreter erhob, wurde mit Entschiedenheit zurückgewiesen und gar nicht weiter berücksichtigt. Um aber die schon feststehende Siebenzahl der Kurfürsten aufrecht zu erhalten, wurden die Gesandten des Herzogs von Bayern wohl auf Grund vorhergegangener Abmachungen zur Wahlhandlung zugelassen, Böhmens Gesandter aber davon ausgeschlossen. So und nur auf diese Weise, also durch einen politischen Gewaltact, kam eine einmüthige Wahl zu Stande. Denn die Kurfürsten wussten zu gut, dass Böhmens Gesandter die Instruction hatte, die Wahl Ottokars durchzusetzen, sonst aber jede Wahl zu vereiteln[82], und dass von einer Folgeleistung Ottokars gegenüber einem Majoritätsbeschluss gar keine Bede sein konnte.

Bietet dieser ganze Vorgang den besten Beweis dafür, dass man nicht etwa den Willen der sanior pars als Willen [197] des ganzen Wahlcollegiums betrachtet hat, so haben wir im kaiserlichen Land- und Lehnrechtsbuche ein classisches Beispiel für die Fortdauer der germanischen Rechtsanschauung, für die Anwendung des germanischen Majoritätsprincips auf die Königswahl auch noch zur Zeit des Kurfürstencollegiums. Dieses Rechtsbuch stellt nämlich als Grundregel für jede Wahl, und so auch für die Königswahl, den Satz hin, dass jederzeit die Minderheit der Mehrheit Folge leisten müsse. Indem es die Mitwirkung aller Kurfürsten in einer Wahlversammlung voraussetzt, bringt es sogar die Siebenzahl der Kurfürsten mit dieser Idee in Uebereinstimmung und hebt ausdrücklich hervor, dass aus diesem Grunde die Zahl der Wähler ungerade festgesetzt worden sei[83]. Diesen Grundsatz wird man in analoger Weise auch auf den Fall anwenden müssen, wenn die Kurfürsten, in zwei Lager gespalten, getrennt vorgehen wollten. Dann bestand in jedem Lager für die Minderheit gegenüber der Mehrheit die Folgepflicht.

Unter diesen Verhältnissen lag das Schwergewicht auch jetzt noch naturgemäss in den Vorverhandlungen. Dieser Anschluss an die Mehrheit musste eben vor der eigentlichen Stimmenabgabe erfolgt sein und er kam wohl so zu Stande, dass die Minorität erklärte, bei der nun folgenden Abstimmung, die unter den Kurfürsten nach einer gewissen Reihenfolge stattfand, den Candidaten der Majorität zu nominiren. Inwieweit die Minorität sich aber dadurch, dass die Majorität [198] sich auf eine Persönlichkeit geeinigt hatte, zur Folge rechtlich gebunden erachtete, darüber können wir den Quellen nichts entnehmen. Bei den vielfachen Sonderinteressen der Kurfürsten war dieses Gefühl gewiss kein zu ausgeprägtes, und so dauerte es oft recht lange, bis man eine von Allen gebilligte Persönlichkeit ausfindig machte. War aber dies einmal erreicht, dann war die Wahl von selbst eine einhellige, und so verstehen wir auch, warum uns alle Wahldecrete und dies auch die über die zwiespältige Wahl von 1314 ausgefertigten, die Wahl jeweils als einmüthige und einstimmige hinstellen. Eine Doppelwahl konnte auch in dieser Zeit nur aus getrennten Versammlungen hervorgehen.

Sind wir so in der Lage, für die deutschen Königswahlen bis einschliesslich auf die Doppelwahl von 1314 den Nachweis zu erbringen, dass eine Einwirkung des von der romanistischen und canonistischen Doctrin entwickelten Majoritätsprincips noch nicht stattgefunden hat, so haben wir demgegenüber ins Auge zu fassen, dass diese dem fremden Rechte angehörenden Principien denn doch seit den Tagen Rudolfs I. wenigstens in gewissen Fragen der Reichsverwaltung eine Rolle gespielt haben. So wurde insbesondere in dem Reichsurtheil von 1281, betreffend die Verfügungen über Reichsgut, wozu bekanntlich seit 1273 der Consens der Kurfürsten nöthig war, ausdrücklich erklärt, es besässen nur jene Verfügungen über solches Gut Giltigkeit, denen mindestens die Mehrheit der Kurfürsten zugestimmt hätte[84]. Daher erwähnt Rudolf ausdrücklich in einer Urkunde, dass er den Grafen von Flandern mit verschiedenen Reichsgütern mit Zustimmung der Mehrheit der Kurfürsten belehnt habe[85]. Derselbe König schenkt Patronatsrechte an die Kirche von Basel „de consensu maioris partis principum, quorum consensus in hoc fuerat requirendus“[86].

In einer Urkunde Rudolfs I. wird – freilich nicht ex professo, sondern nur nebenher – bereits von der Möglichkeit [199] einer Majoritätswahl gesprochen. Es ist dies ein Stück, das auch sonst für die Erkenntnis der deutschen Verfassungsgeschichte die grösste Bedeutung hat. Durch diese Urkunde wurde der Pfalzgraf bei Rhein als Reichsvicar mit der Verwaltung der österreichischen Länder im Falle eines Interregnums betraut und zwar so lange, „quousque R. imperio de principe sit provisum per eos vel maiorem partem eorum, ad quos provisio huiusmodi noscitur pertinere“[87]. Die Erklärung dieses Passus ist keineswegs eine leichte. Dass Rudolf, wie Harnack[88] meinte, da er die Giltigkeit seiner Wahl und das Kurrecht von Böhmen gleichzeitig aufrecht erhalten wollte, künstlich zum Majoritätsprincip gedrängt worden sei, scheint mir nicht zutreffend. Dagegen spricht doch schon die erwähnte Urkunde vom 15. Mai 1275, die in dem Streite zwischen Bayern und Böhmen über den Besitz der Kurstimme ausdrücklich zu Gunsten Herzog Heinrichs von Bayern entschieden hatte[89]. Es will auch nicht recht gelingen, diese Urkunde als Aeusserung des germanischen Majoritätsgedankens aufzufassen, wobei dann die Folgepflicht als etwas Selbstverständliches einfach mit Stillschweigen übergangen worden wäre; denn die Urkunde erwähnt ausdrücklich zwei Wahlformen, das Einstimmigkeits- und das Majoritätsprincip. So drängt sich mir denn die Vermuthung auf, dass dieser Passus anderswoher entlehnt wurde, wo er allerdings ganz zutreffend sein konnte, nämlich aus einer kirchliche Wahlen betreffenden Urkunde. Darauf deutet m. E. schon das der Reichsverwaltung sonst nicht geläufige Wort „provisio“, das im kirchlichen Geschäftsverkehr die grösste Rolle spielte. Gerade im 13. Jahrhundert ergingen von Rom aus zahllose mandata de providendo[90]. „Provisio“ ist der technische Ausdruck für Verleihung eines kirchlichen Amtes, und auch die Construction des Zeitwortes „providere“ mit der Präposition „de“ lässt sich mehrfach in [200] kirchlichen Urkunden nachweisen[91]. Auch die Worte „per eos vel maiorem partem eorum“ lehnen sich an kirchliche Formen an. So erfolgte z. B. die electio in communi nach Goffredus de Trano u. A. bald im Namen Aller, bald nur in jenem der maior pars, je nachdem die minor pars ihren Widerspruch aufgegeben hatte oder nicht[92].

Eine durchgreifende Wandlung in den Rechtsanschauungen über die Erfordernisse einer giltigen Königswahl trat in Deutschland erst seit den Kämpfen Ludwig des Bayern mit der römischen Curie ein[93]. Bekanntlich suchten die beiden Gegenkönige, deren jeder von seiner Partei nach althergebrachter Sitte einmüthig gewählt worden war, die Entscheidung über die Frage, wem die Krone gebühre, in der Schlacht[94]. Bei Mühldorf wurde Friedrich völlig besiegt, er und sein Bruder fielen in die Gewalt des Siegers, somit war Ludwig alleiniger König, und der Papst, an den Ludwig sich niemals um Entscheidung dieses Streites gewendet hatte, konnte keinerlei Recht, etwa als Schiedsrichter zwischen den streitenden Theilen aufzutreten, beanspruchen. Nichtsdestoweniger versuchte gerade Johann XXII. die Verhältnisse, in Deutschland [201] in einer bis dahin noch nie verlautbarten Weise zu bestimmen. Als nämlich Ludwig ihn nach der glücklichen Schlacht wahrscheinlich aufs Neue um die Anerkennung als König und um die Kaiserkrönung bat, da vertrat der Papst jetzt entgegen allem bisherigen Reichsrechte den Standpunkt, beide Fürsten seien zwar erwählt, aber keiner sei König; das Reich sei daher als erledigt zu betrachten. Gleichzeitig beanspruchte er für die Zeit bis zur Anerkennung des neuen Königs die Regierung nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland[95].

Gegenüber diesen Angriffen auf das bestehende Herkommen musste Ludwig entschiedene Verwahrung einlegen. Er brachte denn auch zunächst in der Nürnberger[96], sodann in der Sachsenhauser Appellation[97] die in Deutschland seit alter Zeit für die Königswahl geltenden Normen zur Sprache, jedoch nicht ohne einige Neuerungen, mit denen er sich der im fremden Rechte herrschenden Auffassung über die Bedeutung des Majoritätsprincips näherte. Ludwig hatte nämlich für sich die Stimmen von Mainz und Trier, jene des rechtmässigen Königs von Böhmen, die brandenburgische Stimme und von den sächsischen jene von Sachsen-Lauenburg. Dagegen standen auf Seiten Friedrichs der Erzbischof von Cöln und der Pfalzgraf bei Rhein, dann Heinrich vormals König von Böhmen und Sachsen-Wittenberg. Da die Stimmen von Sachsen auf beide Fürsten vertheilt, über die Rechtmässigkeit des Kurrechtes zwischen beiden Linien aber noch nicht entschieden war, die Stimme Heinrichs von Böhmen aber völlig ungiltig war, so besass Friedrich innerhalb des ganzen Collegiums nur 2, Ludwig 4 giltige Stimmen; demnach stand auf Seiten Ludwigs die absolute, und wenn man die beiden sächsischen Stimmen bei Seite lässt, sogar die eminente Majorität[98]. Auf diese berief sich Ludwig denn auch dem [202] Papste gegenüber mit allem Nachdrucke, um ihn von der alleinigen Giltigkeit seiner Wahl zu überzeugen, die ja in derselben Weise zu Stande gekommen war, wie die Päpste dies für ihre Wahl verlangten. Damit hatte Ludwig aber bereits den deutschen Rechtsboden verlassen.

In der Sachsenhauser Appellation wurde sogar jene Rechtsbelehrung verwerthet, die seinerzeit von König Richard dem Papste zur Entscheidung des Thronstreites vorgelegt worden war. Sie diente für diese Appellation geradezu als Vorlage, aber die darin enthaltenen Normen, die man schon seinerzeit als althergebrachtes Gewohnheitsrecht hinstellte, wurden nun durch Einfügung des Majoritätsgedankens, der ihr selbst völlig fremd war, umgestaltet[99]. So sprach dann gewissermassen schon das alte Herkommen des Reiches für die Giltigkeit der Wahl Ludwigs und gegen jene seines Gegners. Anders als zu Richards Zeiten war die Wahl jetzt auch dann noch „in concordia“ vorgenommen, wenn nur die Stimmen der Mehrheit der Kurfürsten einer Person zugefallen waren[100].

Dadurch war aber auch im Falle der Erwählung von Gegenkönigen von vornherein nur mehr eine Wahl als giltig anzusehen, nämlich diejenige, für welche die Mehrheit der Stimmen innerhalb des ganzen Collegiums sich entschieden hatte. Für Ludwig selbst lag dann überhaupt keine zwiespältige Wahl vor, sondern Ludwig konnte sich als den allein berechtigten König bezeichnen und der Wahl seines Gegners jegliche Geltung absprechen, da sie nicht am richtigen Orte, nicht zur richtigen Zeit, endlich aber auch, weil sie von einer minor pars vorgenommen worden war.

Das Aufkommen dieser mit den germanischen Ideen völlig unvereinbaren Anschauung lässt sich nur aus dem Umstande [203] erklären, dass damals bereits die romanistisch-canonistische Corporationslehre, nicht minder aber auch die gerade in jener Zeit mächtig hervorbrechenden publicistischen Theorien, die in manchen Punkten bis auf die Staatslehre des Aristoteles zurückgriffen, in lebendiger Wechselwirkung Begriff und Wesen der menschlichen Gesellschaftsordnung im Allgemeinen, von Kirche und Staat im Besonderen neu erfassten und dadurch auch auf die Gestaltung der Verhältnisse im deutschen Reiche nachhaltigen Einfluss übten[101]. Uns interessiren hier natürlich in erster Linie jene publicistischen Streitschriften[102], die der Kampf Ludwig des Bayern mit der Curie hervorgerufen hatte, deren Verfasser zu den Rathgebern des Königs zählten. Soweit die Aenderung der Anschauungen für unser begrenztes Thema in Betracht kommt, äusserten sie sich vor Allem darin, dass man den Kurfürsten, ähnlich wie kirchlicherseits den Cardinälen und Capitelsmitgliedern, eine eigenartige Stellung zuerkannte, sie als Repräsentanten des an und für sich wahlberechtigten Reichsvolkes betrachtete und daraus ihre Rechte, insbesondere ihre Berufung zur Wahl des Königs ableitete[103]. Das Kurfürstencollegium selbst fasste man alsbald als eine Corporation auf[104], verfocht die Anwendung corporativer Regeln auf Form [204] und Wirkungen der durch sie zu vollziehenden Wahl und erklärte demzufolge, dass auch eine nur mit absoluter Mehrheit der Stimmen vollzogene Wahl vollkommen giltig sei, wie dieses Princip eben damals nach der Doctrin der fremden Rechte, im Gegensatze zu den kirchlichen Wahlen, für die man wenigstens indirect noch an dem Vorhandensein der sanioritas festhielt, für weltliche Corporationen in allgemeiner Geltung stand[105]. Die Lehre vom Majoritätsprincip führten aber diese publicistischen Theorien im Anschlusse an das fremde Recht[106] auf jene Fiction zurück, kraft deren, was die Mehrheit in ordnungsmässiger Versammlung beschliessen würde, als einmüthiger Beschluss aller Corporationsmitglieder zu gelten hätte. So kam es, dass, wie uns dies Lupold von Bebenburg ausdrücklich sagt, jede mit absoluter Mehrheit [205] vorgenommene Wahl „interpretatione iuris“ einer einhellig zu Stande gekommenen vollkommen gleichgehalten, als electio concors betrachtet wurde[107].

Diese Rechtsgedanken, die uns in ihrer Anwendung auf die deutsche Königswahl zum ersten Male in den beiden Appellationen Ludwig des Bayern begegneten, drangen immer tiefer in das Rechtsbewusstsein des deutschen Volkes ein. Zwar beobachten wir auch noch weiterhin die Auffassung, dass die Wahl einmüthig sein müsse, und daran hielten namentlich die Städte am entschiedensten fest und erklärten, wie schon zur Zeit des rheinischen Bundes, dass sie nur einen einstimmig gewählten König als solchen anerkennen müssten[108]. Aber die neuen Anschauungen beherrschen bereits vollständig das berühmte Weisthum von Rense[109], nicht minder die wenige Tage später erlassene Constitution: Licet iuris[110], ferner den dieser Zeit angehörenden Bericht des Nicolaus Minorita[111], den Beschluss einer Fürstenversammlung zu Cöln aus dem Jahre 1344[112], endlich den Bericht, den uns Mathias Neuenburg über die im Jänner 1348 durch die bayerische Partei vollzogene Wahl Eduards von England[113], [206] sowie über die Verhandlungen vor der Wahl Günthers von Schwarzburg bringt[114].

Auf demselben Standpunkte ist auch die goldene Bulle. Sie erkennt zum erstenmale ex professo die Geltung des Majoritätsprincips bei der Königswahl im Sinne des fremden Rechtes reichsgesetzlich an; aber sie steht in dieser Hinsicht ganz unter dem Banne der vorangegangenen Entwicklung, indem sie an jener publicistischen Fiction festhält und die mit Stimmenmehrheit vollzogene Wahl so aufzufassen anordnet, als ob sie von allen einmüthig und einstimmig vollzogen worden wäre[115]. Dabei trifft sie noch die weitere Erleichterung, dass ein Kurfürst, der drei fremde Stimmen bereits erhalten hat, nunmehr sich selbst wählen und so zu seinen Gunsten die Entscheidung geben kann.

Während man aber wenigstens in den beiden Appellationen König Ludwigs zur Giltigkeit der Wahl Stimmenmehrheit innerhalb der Kurfürsten überhaupt verlangte, handelt es sich in der goldenen Bulle, wie seit jeher bei kirchlichen Wahlen, lediglich um die Majorität unter den im einzelnen Falle giltig abgegebenen Stimmen[116]. Die an der giltigen Ausübung des Stimmrechtes dauernd oder vorübergehend behinderten, ebenso wie die trotz gehöriger Ladung ausbleibenden Kurfürsten wurden bei dieser Zählung nicht berücksichtigt[117]. Die goldene Bulle[118] konnte [207] diese Anordnung treffen, da die Möglichkeit von zwei nebeneinander bestehenden giltigen Wahlversammlungen, die man zu Ludwigs Zeiten gerade durch den Anschluss an das Majoritätsprincip des fremden Rechtes zu vermeiden trachtete, schon durch andere Normen, insbesondere durch zwingende Rechtssätze über Ort und Zeit der Wahlhandlung und durch Verbindung der Kurstimmen mit den für untheilbar erklärten Kurlanden beseitigt war. –

Anmerkungen

  1. Diese Arbeit ist aus einem Vortrage hervorgegangen, den ich im Wintersemester 1898/99 an der Berliner Universität im Seminar des Herrn Professor Dr. Karl Zeumer gehalten habe. Ich erfülle eine angenehme Pflicht, indem ich Herrn Professor Zeumer für sein liebenswürdiges Entgegenkommen und für die vielseitigen Anregungen, die ich bei Erklärung der goldenen Bulle und anderer Reichsgesetze des Mittelalters empfangen habe, auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank ausspreche.
  2. Die einschlägige Litteratur bei Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte 3. Aufl. S. 466 Note 9 und bei Lindner, Der Hergang bei den deutschen Königswahlen S. 2.
  3. Dies hat Lindner, Die deutschen Königswahlen und die Entstehung des Kurfürstenthums [KW.] 8,96ff., überzeugend dargethan und dadurch allen Annahmen über die Existenz bevorrechteter Wähler im 12. Jahrhunderte den Boden entzogen. Vgl. auch Seeliger in den Mittheilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung [M] Bd. XVI. S. 80 ff. und in der Deutschen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Monatsblätter [DZm.], Neue Folge. 2. Jahrg. S. 10 u. 28, endlich Lindner in M. Bd. XVII. S. 571
  4. In diesem Punkte hat Seeliger in M. Bd. XVI. S. 89 ff. und DZm. a.a.O. S. 7 die Lehre wesentlich gefördert. Er hat nämlich nachgewiesen , dass bereits bei der Wahl des Jahres 1220 und vollständig dann bei jener des Jahres 1237 eine Einschränkung des Wahlrechtes auf einen engeren Wählerkreis, nämlich auf die Mitglieder des neuen Reichsfürstenstandes erfolgt sei, und er hat weiters gezeigt, wie man später auch noch innerhalb dieser engeren Gruppe verschieden gestaltete Wahlberechtigungen unterscheiden müsse.
  5. Vgl. die Wahlen von 1257 und 1278.
  6. Vgl. dazu den Bericht Bruno’s über die Wahl Rudolfs von Schwaben (MG. SS. V. S. 365 Z. 25 ff.). Zuerst wurde unter mehreren Candidaten Rudolf ausersehen, dann folgte die Kur, bei der aber einzelne Wähler an ihn Bedingungen stellen wollten. Bruno gebraucht für die Kur die Ausdrücke: laudare, super se regem levare, sibi regem constituere. Diese Kur enthielt aber nicht etwa eine Abstimmung im modernen Sinne des Wortes; denn die Stimmen konnten nicht für verschiedene Candidaten abgegeben werden. Wir dürfen bei dieser Handlung aber auch nicht an eine Huldigung, an ein Geloben der Treue durch Eid und Handschlag denken. Auch gegenüber der neuesten Arbeit von Lindner halte ich noch immer daran fest, dass zwischen der Thätigkeit des angeblichen Electors und derjenigen der anderen Fürsten rechtlich kein Unterschied besteht. Vielmehr sind die Handlungen der einzelnen Fürsten ihrem Wesen nach durchaus gleichwerthig, nur dass einzelne Personen allmählich, im Gegensatze zu der hergebrachten Ordnung, zunächst als Ehrenrecht ein Vorkürrecht erlangt haben. Bei der Kur selbst handelte es sich darum, dass die einzelnen Fürsten des Reiches, die an der Wahl theilnahmen, einer nach dem andern, in feierlichem Kurspruche den Gewählten bezeichneten. Durch diese Einzelerklärungen, die gleichzeitig auch die Verpflichtung jedes einzelnen Wählers zum Gehorsam begründeten, wurde das Ergebniss der Vorverhandlungen rechtskräftig gemacht. Die Kur war daher die feierliche Setzung, die Annahme des in den Vorverhandlungen nominirten Candidaten als König und zwar durch die einzelnen Wähler, und so war sie der entscheidende Act im Verlaufe der ganzen Wahlhandlung. Vgl. dazu Schröder, RG. 3. Aufl. S. 469 und Seeliger in der histor. Vierteljahrsschrift. N. F. Bd. III. S. 513 ff. und v. Amira, Grundriss des germanischen Rechtes S. 96. –
  7. Vgl. dazu schon den Bericht Thietmar’s ed. Kurze IV. 52. Markgraf Liuthar liess auf der Versammlung zu Frosa 1002 den Erzbischof von Magdeburg und die angesehensten Grossen schwören, dass sie Niemand zum König wählen, bevor er nicht mit ihnen gesprochen hätte. – Dann kommt als Beleg hierfür in Betracht der Bericht Wipo’s über die Wahl Conrads II. (MG. SS. XI. 257 ff.) Der Erzbischof von Cöln und der Herzog Friedrich von Oberlothringen verliessen wahrscheinlich noch vor dem Abschluss der Wahlhandlung mit ihren Anhängern den Wahlort. Der Wormser Herzog Conrad besprach sich vor der Kur mit seinen lothringischen Freunden (eb. S. 259 Z. 33). Endlich die narratio über die Wahl Lothars III. (eb. SS. XII. 510 ff.). Als Herzog Friedrich von Schwaben gefragt wurde, ob er dem gewählten König gehorchen werde, bemerkte er, ohne Zustimmung seines im Lager zurückgebliebenen Gefolges sich nicht entscheiden zu können (eb. S. 511 Z. 1). Weiter behaupteten die bairischen Bischöfe: sine duce Bavarico, qui aberat, nihil de rege se diffinire (eb. Z. 33).
  8. So unterwarf sich Herzog Friedrich von Schwaben nach der Wahl Lothars von Supplinburg demselben. Phillips in Sitzungsberichte der Wiener Akademie Bd..XXVI. S. 48. Vgl. auch Waitz-Seeliger, Deutsche Verfassungsgeschichte 2. Aufl. Bd. VI. S. 204 und Seeliger in M. Bd. XVI. S. 78.
  9. So z. B. 1198. Vgl. Seeliger M. Bd. XVI. S. 78.
  10. Nachwahlen fanden statt in Merseburg 1002, in Aachen 1205 und in Braunschweig 1252. Vgl. darüber Rodenberg, Ueber wiederholte deutsche Königswahlen in Gierke’s Untersuchungen Heft 28, und Seeliger in M. Bd. XVI. S. 73 ff.
  11. Dies war z. B. die Auffassung einiger niedersächsischen Städte anlässlich der Wahl Wilhelms von Holland. Vgl. darüber O. Hintze, Das Königthum Wilhelms von Holland S. 49 ff., dann Seeliger in M. Bd. XVI. S. 79.
  12. Harnack, Das Kurfürstencollegium bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts S.107. Bezüglich der „electio communis“ konnte er diese Uebereinstimmung allerdings noch nicht nachweisen. Hier hat dann Bresslau die Sache gefördert.
  13. Bresslau in DZ. Neue Folge. Bd. II. S. 129 ff. Seine Ansicht ist von Schröder, RG. 3. Aufl. S. 468 ff. und von Seeliger in der histor. Vierteljahrsschrift III. Jahrgang S. 514 aufgenommen worden.
  14. DZm. II S. 24.
  15. Hergang S. 3 ff.
  16. Hergang S. 12 ff. Für die kirchlichen Wahlen vgl. ausser Bresslau und den daselbst citirten Belegen namentlich den Titel „de electione et electi potestate“ in den Compilationes antiquae und in der Gregoriana. Dann, abgesehen von älteren Canonisten, wie Rufinus, Stephan von Tournay, den vor 1179 verfassten Tractatus „de electione“ des Bernhard von Pavia, ed. Laspeyres S. 307 ff., die Summen bezw. Apparate von Bernhard von Pavia, Sinibaldus Fliscus, Geffredus von Trano und Hostiensis, endlich den Tractat „de electionibus novorum praelatorum“, den Guilelmus de Mandagotto vor 1285 veröffentlicht hat.
  17. Sie wird uns erst 1308 bei der Königswahl erwähnt. Vgl. dazu Harnack in Historische Aufsätze dem Andenken an Georg Waitz gewidmet, S. 373. Jetzt auch Lindner, Hergang S. 10.
  18. Sie sind wohl zu unterscheiden von den Verhandlungen vor dem Wahltage. Diese tractatus (deliberatio) werden auch bei kirchlichen Wahlen erwähnt, und zwar beziehen sie sich dort auch darauf, ob per scrutinium oder per compromissum gewählt werden soll. Vgl. z. B. die Urkunden in den Mittheilungen aus dem vaticanischen Archive [AV.] Bd. I. Nr. 54, 78, 268, 325 ff., dazu c. 19 X. I. 6 (1200) und die Arbeit von Mandagotto, II. Theil, Formular VII.
  19. Die Ausdrücke, die hiefür in den Wahldecreten der Könige gebraucht werden, und die wir auch schon zum Theil vor 1257 nachweisen können, sind durchwegs mit den kirchlichen Gebräuchen übereinstimmend. So z. B. vota dirigere, oculos nostros injecimus, intuitum convertentes, nominare. Scrutatoren wurden bei der Königswahl nicht ausgewählt, die 6 bevorrechteten Fürsten des Sachsenspiegels sind keineswegs, wie Mayer annimmt, mit diesem Amte betraut gewesen. Aus den Wahldecreten Heinrichs VII. und seiner Nachfolger ersehen wir, dass jeweils nur ein Kurfürst die Stimmen abnahm, und daran hält auch, im Gegensatze zum kirchlichen Rechte die goldene Bulle fest. Nur bei Friedrich dem Schönen wurde diese Abstimmung geheim vorgenommen. Vgl. dazu Bresslau a. a. O. S. 129 und Lindner, Hergang S. 14.
  20. Dies ist die Ansicht Bresslau’s, der jetzt auch von Schröder, RG. 3. Aufl. S. 469 und von Seeliger in Histor. Vierteljahrsschrift, Neue Folge. III. Jahrg. S. 514 Note 1 zugestimmt wird. Dagegen vermuthet E. Mayer a. a. O. S. 388, dass diese kirchliche Einrichtung schon am Anfang des Jahrhunderts bei der Königswahl eingebürgert war und beruft sich dabei auf die Beschwerdeschrift, die im Jahre 1202 von Deutschland aus gegenüber dem Vorgehen des päpstlichen Legaten Guido von Praeneste in Rom eingebracht wurde. Dieses Argument allein reicht aber zur Stützung von Mayer’s Ansicht keineswegs aus. Denn wer sagt uns denn, dass der Legat, indem er sich als Elector gerirte, nicht einfach das kirchliche Wahlverfahren vor Augen hatte. So enthält auch die auf den Hallenser Protest als Antwort ergangene Decretale „Venerabilem“ mit keinem Worte eine Andeutung, dass die Einrichtung kirchlicher Electoren bereits bei der deutschen Wahl Aufnahme gefunden habe. Und da auch der Stelle des Sachsenspiegels eine andere Deutung gegeben werden muss, so wird Mayer’s Hypothese kaum zu halten sein.
  21. Nur kann ich Lindner nicht zustimmen, wenn er Hergang S. 16 diese Uebereinstimmung der Formeln in der Natur der Sache findet.
  22. So unterscheidet Bernardus von Pavia ausdrücklich: an hi, quorum (electio) est, velint per se vel per electores electionem facere. Ferner hält er dort, wo er von der Scrutinialwahl spricht, ausdrücklich auseinander: arbitrium und electio. Die Scrutatoren erscheinen ihm als Mandatare der Wähler, aber nur beauftragt zur Wahl desjenigen, der ihnen von den Wählern einstimmig oder mit Stimmenmehrheit bezeichnet würde. Für letztere Handlung gebraucht er, jedoch ganz vereinzelt, das Wort: praeeligere. – Goffredus von Trano bezeichnet die Handlung des Scrutiniums nirgends mit eligere: facta publicatione votorum et collatione secuta … certum est et expeditum, quis sit eligendus; quia is est, in quem maior et sanior pars consentit; pars illa, quae in scrutinio nominat digniorem …; quilibet interrogatus a scrutatoribus … votum suum exponet in certam consentiendo personam …; cum appareat, plures in scrutinio nominari. Freilich heisst bei ihm auch das ganze Verfahren electio, die Wähler werden electores genannt, aber die eigentliche Wahl des Collegiums liegt erst in der electio communis. – Dasselbe gilt von Hostiensis eod. tit. c. 13 und Guilelmus de Mandagotto, wobei allerdingt gelegentlich auch schon die nominatio durch den einzelnen Wähler als electio, aber dann als electio singularis bezeichnet wird. Und so stellt der zuletzt erwähnte Canonist, ohne aber an dem Wesen der Sache etwas ändern zu wollen, auch schon in die Wahlformel des einzelnen Wählers das Wort „eligo“. Aber noch die von Boerius beigesetzten Erläuterungen zeigen uns, dass auch noch späterhin über die Aufnahme des Wortes „eligo“ Streit bestand, so dass Vorsichtige dieselbe unterliessen. – Die communis electio aber, und darin liegt m. E. das Wesen derselben, soll zum Ausdrucke bringen, dass nicht einzelne Personen, sondern dass das Collegium, die Corporation selbst wählt. „In ihr soll sich“, wie Gierke treffend sagt, „soviel als möglich das einheitliche Wesen der fingirten Persönlichkeit wiederspiegeln, welche an sich zur Vollziehung jenes Actes berufen sei, und nur um ihrer Handlungsunfähigkeit willen bei der hervorragenden Thätigkeit durch eine Vielheit von Einzelnen vertreten werde.“ Nicht aber diente sie in jener Zeit, wie ich noch andernorts nachweisen will, dazu, um die Stimmeneinheit der Wähler herbeizuführen, was Bresslau unter einseitiger Berücksichtigung der Papstwahlen als Ursache und Zweck der ganzen Einrichtung hinstellt (a. a. O. S. 137 Note 5).
  23. So z. B. Hostiensis, eod. tit. c. 13, der es noch als principiell richtig und zulässig ansieht, dass die Wahl verkündet wird „omnium uno ore sermone“: omnes simul clament „eligimus“; sic enim erit communis. Vgl. Gierke, a. a. O. Note 212.
  24. c. 21 in VI°. I. 6. Vgl. dazu AV. Bd. I. Nr. 765 (1308).
  25. Die Belege bei Bresslau a. a. O. S. 123 ff.
  26. Lindner sieht in der Electio die Fortdauer des alten Brauches, die Wahl durch Einen feierlich zu verkündigen. Die Billigung durch die übrigen Kurfürsten fasste er früher als Rest der alten Laudatio auf, ist aber jetzt darüber im Zweifel, „ob sie nicht lediglich aus dem kirchlichen Formular herübergeschleppt ist“. Da ich in der Auffassung über die Vorgänge bei den Königswahlen vor 1257 mit Lindner nicht übereinstimme (oben S. 166 A. 1), so brauche ich wohl auf diese Seite seiner Theorie hier nicht näher einzugehen.
  27. MG. Constitutiones. II. Bd. S. 491.
  28. Hergang S. 6.
  29. Bresslau constatirt nur, dass seit 1257 die mehrerwähnte Aenderung in den Formen der Königswahl nachweisbar sei. Die vorhergegangenen Wahlen berücksichtigt er nicht weiter. Dass Verabredungen über die Art der Vornahme der Königswahl im Jahre 1257 wenigstens unter einem Theile der Kurfürsten stattgefunden haben, wird man nicht leugnen können. Lindner selbst gibt ja zu, dass der Pfalzgraf bei Rhein Verhandlungen mit andern Fürsten namentlich mit Böhmen pflog, über die wir aber keinen Bescheid wissen. Auch die dem Papste vorgelegte Rechtsbelehrung, die mangels Aufzeichnungen über den Wahlvorgang auf ein von Richard aufgenommenes Weisthum zurückgehen dürfte, führt einige Punkte an, die ganz neues Recht enthalten, was freilich nicht hinderte, dass man das Ganze, wie dies bei Rechtsweisungen der Fall war, als uraltes Gewohnheitsrecht hinstellte. Vgl. dazu auch das Weisthum von Rense aus dem Jahre 1338. Auch dort wird, die Majoritätswahl als uraltes Herkommen bezeichnet.
  30. Bei der Designation Conrads 1237 werden uns im Wahldecrete 11 Wähler genannt; es sind dies durchwegs Fürsten, die dem Sachsenspiegel gemäß den König „erwelen“. Dagegen gibt uns die Stelle der Marbacher Annale (MG. SS. Bd. XVII. S. 178 Z. 28–32) über die Kur Aufschluss. Eine Electio per unum lässt sich für diese Wahl nicht nachweisen, und da ich auch dem Elector der Decretale „Venerabilem“ eine andere Deutung gebe (oben S. 170 N. 4), so wäre frühestens 1246 das Eindringen der kirchlichen Form anzunehmen.
  31. Hergang S. 10 ff.
  32. Auch Bresslau betont, dass die Entlehnung der kirchlichen Formen nur „soweit es anging“ stattgefunden habe. S. 141.
  33. Die Auswahl von drei Scrutatoren wäre ja bei der geringen Zahl von Wählern sehr unzweckmäßig gewesen. Es ist uns für die Zeit nach 1257 überliefert, dass ein Kurfürst die Stimmen abfragte. Dass dies heimlich geschah, wissen wir nur für die Wahl Friedrichs des Schönen (Bresslau a. a. O. S. 129). Auch gibt der Scrutator anders als nach canon. Recht die Stimme nicht zuerst, sondern zuletzt ab. Nach der goldenen Bulle fragt Mainz erst die anderen Kurfürsten und wird dann von ihnen befragt. Vgl. die goldene Bulle cap. II. i. f. und Lindner, Hergang S. 14.
  34. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht Bd. II. S. 526, Bd. III. S. 304 ff.
  35. Das genossenschaftliche Princip wandte die Kirche auch auf das Verhältniss der Bischöfe einer Kirchenprovinz zu einander an. Alle Suffragane sollten anwesend sein oder doch ihre Zustimmung geben zur Ordination eines Bischofs durch den Metropoliten. Vgl. die Stellen D. 64 c. 1, 2, 7; D. 65 c. 2, 3, 9. Im Abendlande verloren die Comprovinzialbischöfe das Wahlrecht, das sie in den ersten Jahrhunderten der Kirche als Mitglieder der Synode besessen hatten. Die Bischofswahl blieb Sache der Gemeindeversammlung. Der Clerus der verwaisten Kirche wählte den neuen Oberhirten, und unter dessen Führung die Gesammtheit der Laien. Im Laufe der Zeit wurde aber die Wahlbefugniss eingeengt, und das Wahlrecht unter Ausschluss der Laien und übrigen Cleriker zu einem alleinigen Rechte der Domcapitel. Sohm, Kirchenrecht Bd. I. S. 275; Hinschius, Kirchenrecht Bd. II. S. 545, 601 ff.
  36. Diesen Gedanken finde ich zum erstenmale ausgesprochen in mehreren Briefen Hinkmar’s von Rheims (9. Jahrh.). In einem heisst es z. B.: quae electio non tantum a civitatis clericis est agenda, verum et de omnibus monasteriis ipsius parochiae et de rusticanarum parochiarum presbyteris occurrant vicarii …, sed et laici nobiles ac cives adesse debeberunt, quoniam ab omnibus debet eligi, cui debet ab omnibus oboediri. Migne, Patrologia latina Bd. 126. Sp. 268, vgl. ebend. Sp. 267 und 270.
  37. Alle wissenschaftlichen Arbeiten stützen sich auf die im gratianischen Decret aufgenommene Decretale Papst Gregors wegen Wiederbesetzung des Mailänder Bischofsitzes (c. 10 D. 63).
  38. Vgl. die dicta Gratiani zu D. 66, dann zu c. 26 und c. 35 D. 68, ferner des Rufinus und Stephan von Tournay Erörterungen zu diesen Distinctionen.
  39. So heisst es im Tractat des Bernhard von Pavia: de electione II. I. § 2 ff.: diximus enim, quod ille, qui eligitur, ab his, quibus praeficitur, est eligendus. Vgl. auch ebend. § 8. Aber das Zustimmungsrecht Abwesender wird doch schon einigermassen eingeschränkt. Vgl. dazu die Summa decretalium desselben Canonisten I. 4 § 3 und die Decretale Lucius III. c. 9 in prima compilatione I. 4 = c. 6 X. I. 11.
  40. Bernhard v. Pavia im Tractat de electione a. a. O.: „cum autem sine licentia recessit, iam tamquam per contumaciam et contemtum absens videtur, et ideo non est arbitrium eius perquirendum“.
  41. Die Citate bei Gierke a. a. O. S. 312 ff.
  42. Gierke a. a. O. Note 175, 204 u. 206. Vgl. dazu in der Summa des Goffredus de Trano den Titel de electione c. 11 u. 12 und bei Hostiensis eod. tit. c. 11–13.
  43. Dies ist zum erstenmale ausgesprochen in einer Decretale Innocenz III. aus dem Jahre 1200: „quoniam ad electionem faciendam accedere noluerunt, alienos se fecisse videntur; propter quod electioni a vobis … concorditer celebratae de jure non posse contradicere videbantur“. c. 19 X. I. 6. Vgl. dazu c. 28 eod.
  44. Ständig wird in den Wahldecreten und in sonstigen Schriftstücken die Formel gebraucht: vocatis (convenientibus) omnibus, qui debuerunt, voluerunt et potuerunt commode interesse. Vgl. z. B. AV. I. Bd. Nr. 54, 78 etc.; dazu die Summa des Hostiensis im Titel: de electione c. 11a (praesentibus omnibus, qui debent, volunt et possunt commode interesse) und G. de Mandagotto a. a. O. c. 19. Die einzelnen Worte sind von den Glossatoren und Summatoren einer eingehenden Erklärung gewürdigt worden. Dabei war noch streitig, wie lange auf Abwesende gewartet werden müsse; darüber vgl. Goffredus de Trano a. a. O. c. 19, Hostiensis a. a. O. c. 11°, Guilelmus de Mandagotto a. a. O. c. 16 u. a. Mit dieser Frage beschäftigten sich auch die Berichte, die nach der Doppelwahl von 1257 nach Rom abgingen. MG. Const. Bd. II. S. 529 Z. 24 ff.
  45. So schreibt der Papst nach der Wahl Wilhelms von Holland: quod W… communi voto principum, qui in electione cesaris ius habere noscuntur, in R. r. applaudantibus ceteris principibus est electus. MG. Const. Bd. II. S. 460. Die Worte sind wahrscheinlich der Wahlanzeige entnommen, die ihm über diese Wahl aus Deutschland zugegangen war. Wir wissen aber, dass Sachsen und Brandenburg, die doch sicher wahlberechtigt waren, dabei nicht betheiligt waren. Mit Recht sagt Hintze a. a. O. S. 11: „Es musste diese Wahl, von der Curie veranlasst, wesentlich durch geistliche Fürsten vollzogen, eher wie eine Angelegenheit der Kirche als des Reiches erscheinen“.
  46. Urkundenbuch der Stadt Lübeck Bd. I. S. 168, Nr. 182.
  47. Hintze a. a. O. S. 48 ff., dazu Lindner KW. S. 130 ff., Seeliger in M. S. 79, 91 ff. Was die Worte „ad cautelam“ in dem Briefe des Cardinallegaten anbelangt, so vermuthet Rodenberg a. a. O. S. 27 Note 1, die beiden Wähler (Sachsen und Brandenburg) hätten eine Gewährleistung dafür empfangen, „dass durch die nachträgliche Wahl ihre Rechte, besonders wohl ihr Wahlrecht, nicht beeinträchtigt werden würde“. Diese Erklärung trifft m. E. die Sache nicht; denn nach der damals herrschenden Auffassung hätte es einer solchen Gewährschaft gar nicht bedurft. Das Wahlrecht war noch keineswegs ein auf die Ausübung in der ordnungsmässigen Wahlhandlung beschränktes Recht. Lindner und Seeliger fassen die cautela als Sicherung für das Königthum auf. Sachsen und Brandenburg hätten die Wahl Wilhelms, und zwar zur Sicherung der Stellung Wilhelms, nachträglich durch Wahl als giltig anerkannt. Der Ausdruck „ad cautelam“ im Munde eines geistlichen Legaten führt uns von selbst in die Sprache der kirchlichen Erlässe und da erscheinen diese Worte als terminus technicus. Das Kirchenrecht spricht von einer baptizatio ad cautelam, dispensatio accautelae etc. Es ist dies der Fall der bedingten Wiedertaufe, der bedingten Dispensation. Ist es zweifelhaft, ob eine vorgenommene Taufe giltig war, ob überhaupt eine solche bereits stattgefunden hat, oder ob im gegebenen Falle eine Irregularität vorliegt, dann wird die Taufe, die Dispens „ad cautelam“ ertheilt und es hat sich dafür eine eigene Formel entwickelt. Vgl. das dictum Gratiani nach c. 2 D. 68, dazu c. 24 X. III. 42; auch Hinschius, Kirchenrecht Bd. I. S. 58. So wollte der Legat auch hier nur betonen, dass die Nachwahl durch Sachsen und Brandenburg den Zweck hatte, die Giltigkeit der ersten Wahlhandlung, wenn dieselbe etwa nicht von Allen zugegeben würde, zu sichern, die von einigen behaupteten Mängel zu beseitigen.
  48. Ex his autem procuratores tui arguere nitebantur, quod cum memorati Treverensis archiepiscopus et dux Saxoniae recusando dicto die procedere, reliqui vero non veniendo ad terminum concorditer assignatum se alienos ab electione reddiderunt ea vice, tu ab omnibus principibus vel saltem ab iis, in quos totaliter jus eligendi reciderat, censeri debes electus (S. 527 Z. 6 ff.); quod electores eiusdem regis Castellae nolendo die illo eligere, non fuerunt eligendi iure privati (S. 529 Z. 25 ff.); electionem … fore legitimam celebratam a maiori parte ipsorum principum … immo fictione iuris ab omnibus, cum alii utpote inhabiles electioni non potuerunt, vel saltem noluerunt in loco solito et tempore debito interesse (S. 530 Z. 6 ff.).
  49. Diese Rechtsbelehrung ist nur enthalten in der erweiterten Fassung der Bulle Urbans IV. vom 27. August 1263: Qui coelum (MG. Const. Bd. II. S. 528 ff.), welche Fassung aber niemals zur Ausfertigung gelangt ist. Der Umstand, dass gerade diese consuetudines mit die Grundlage der von Ludwig dem Bayer erlassenen Appellationen bildeten, lässt die Vermuthung aussprechen, dass der Entwurf dieser Belehrung in der Reichskanzlei aufbewahrt wurde. Vgl. dazu Rodenberg im Neuen Archiv für ältere Geschichtskunde Bd. 10. S. 172 ff., dann den Bericht in MG. Epistolae saec. XIII. Bd. III. S. 546 Note 4 und Const. Bd. II. S. 522, endlich hier S. 174 Note 1.
  50. ebend. S. 525 Z. 25 ff.
  51. Urk. 1257, Januar 13, ebend. S. 484. Propter quod cum nec princeps illustris rex Boemie nec marchio de Brandeburge ad diem et locum venissent nec vices suas commisissent nec etiam aliqua excusacio processerit pro eisdem, cum sie penes nos ius plenum remanserit eligendi, dominum Richardum … elegimus etc.
  52. MG. Const. Bd. II. S. 529 Z. 3.
  53. non solum a majori et samori parte principum Alamannie verum etiam ab omnibus illis, qui vocem in electione tantummodo tune habebant. Winkelmann, Acta ined. imp. Bd. I. S. 464.
  54. Bei der ersten Wahl Albrechts I. waren nur die Stimme des Erzbischofs von Cöln, des Pfalzgrafen bei Rhein, des Königs von Böhmen und des Herzogs von Sachsen vertreten. An der zweiten Wahl desselben nahm der König von Böhmen nicht theil, er stimmte aber später zu, ohne dass aber die Zustimmung zur Giltigkeit der Wahl nothwendig gewesen wäre: nolentes, ut predicta electio … occasione nostre absentie in aliquo maculari posset in posterum aut etiam vitiari. Archiv für Oesterr. Geschichte Bd. II. S. 229; MG. LL. Bd. II. S. 467, 470. Bei der Wahl Heinrichs VII. fehlte ebenfalls der König von Böhmen. MG. LL. a. a. O. S. 490.
  55. Dabei wird die Formel der kirchlichen Wahldecrete gewählt. So heisst es schon 1273 in der Urkunde des Erzbischofs von Cöln über die Wahl Rudolfs: „cum omnes convenissemus in unum, qui voluimus et potuimus interesse“. Bodmann, codex epistolaris Rudolfi I. S. 6. In dem Wahldecret Albrechts I. (1298) lautet die Stelle: qua die vocatis omnibus, qui voluerunt, debuerunt et potuerunt commode interesse, convenientes ibidem. MG. LL. II S. 467. Derselbe Wortlaut findet sich in der Erklärung an das Reich (ebenda S. 470 Z. 27 ff.). Aehnlich lautet die Formel in dem Wahldecrete Heinrichs VII.: nobis omnibus, qui debuerunt, voluerunt et potuerunt electioni celebrandae commode interesse, iterum convenientibus (ebenda S. 490 Z. 21 ff.). Aehnlich auch im Kurspruch des Pfalzgrafen bei Rhein, womit er Heinrich VII. erwählte: vocatis … et presentibus … omnibus, qui debuerunt, voluerunt et potuerunt commode interesse (ebenda S. 491 Z. 21 ff.). In den Wahldecreten von 1314 ist diese Formel nicht enthalten, dagegen in dem Schreiben des Erzbischofs von Trier an den Papst über die Wahl Karls IV. ddo. 1346, Juli 11 Rense, bei Theiner, Codex diplomaticus dominii temporalis S. Sedis Bd. II. S. 163 und in der Urkunde des Papstes vom Nov. 1346, Ohlenschlager, Staatengeschichte a. a. O. S. 258.
  56. In der Urk. 1314, Oct. 22, bei Frankfurt im Lager, Böhmer, Cod. dipl. Moenofr. S. 408 heisst es: aliis (scil. electoribus) minime comparentibus, interesse recusantibus, nec pro se mittentibus, ex quo plenaria potestas nominandi et eligendi personam idoneam in R. regem penes nos presentes residebat, votis absentium extinetis quoad electionem extunc et penitus annullatis. Diese Formel kehrt dann häufig wieder. Vgl. dazu die Urkunden vom 1. und 2. Februar 1349 an verschiedene Reichsstädte bei Jansen, Das Königthum Günthers von Schwarzburg, S. 127 ff.; bei Bodmann a. a. O. S.385, Ohlenschlager, Staatengeschichte S. 276, Böhmer-Huber, Regesta imperii Bd. VIII. Reichssachen Nr. 76–78.
  57. Urk. ddo. 1348, Decbr. 30, Frankfurt, Würdtwein, Subs. dipl. Bd. VI. S. 253. In früheren Berufungsschreiben finde ich diese Clausel noch nicht. In dem Formular, welches die goldene Bulle enthält, heisst es nur, dass „non obstante absentia“ von den Anwesenden zur Wahl geschritten wird.
  58. Princeps vero elector ad electionem huiusmodi vocatus et requisitus et ad ipsam non veniens vel legales nuntios … non dirigens aut veniens aut huiusmodi nuntios forte transmittens, si postea princeps ipse aut predicti nuntii a predicto electionis loco recederent rege R. futuro cesare non electo nec ad premissa procuratore legitimo substituto solemniter et relicto, electionis voce seu iure, quod in esdem electione habuit et tali modo deseruit, careat ea vice. Altmann und Bernheim a. a. O. S. 52 Pkt. 18. Vgl. auch unten S. 206 Note 4.
  59. Eingehend handelt über die Lehre des germanischen Majoritätsprincips Gierke, Genossenschaftsrecht, Bd. II. S. 51 ff., 475 ff.
  60. Ein Beispiel über Verweigerung der Folge führt uns Brunner, RG. Bd. II. S. 225 Note 33 an. Es handelt sich um einen Streit zwischen 2 Kirchen über den Besitz von Eigenleuten. Es wird ein Urtheilsvorschlag auf Zeugenzweikampf eingebracht. Einer der Urtheiler verweigert die Folge und findet ein anderes Urtheil. Der Vicecomes als Richter tritt ihm bei und veranlasst die Versammlung, sich für das letztere Urtheil zu erklären. – Eingehende Darstellungen über Urtheilsfindung und Folge bringen die Rechtsbücher, und sie kennen alle das Mehrheitsprincip in der oben dargelegten Weise. So sagt der Schwabenspiegel ausdrücklich, dass, wenn die zwölf Schöffen sich nicht einigen können, „so sol die minre menge der merren volgen.“ c. 172. Vgl. dazu Ssp. Ldr. II. 12 § 9; Richtsteig Ldr. 48 § 3, Lhr. 9 § 3. Das Mehrheitsprincip kommt auch zur Geltung bei der eigenthümlichen Form der Urtheilsschelte nach sächs. Recht. Der Scheltende muss selbst-siebent kämpfen gegen sieben und „swar die mere menie segenvichtet, die behalt das ordel.“ Ssp. Ldr. II. 12 § 8. Vgl. dazu ebenda I. 18 § 3 und 19 § 2, dann III. 21 § 1 und Ssp. Lhr. 40 § 1. Vgl. auch die Goslarer Statuten 114. 44: cuiuscumque vero sententiae maior pars burgensium assensum praebuerit, eius sententia praevalebit. – Ausdrücklich ist die Folgepflicht der Minorität ausgesprochen in einem Schiedspruch zwischen Erzbischof und Stadt Cöln. Urk. vom 28. Juni 1258, bei Lacomblet, Niederrhein. UB. II. S. 249: generalem esse consuetudinem terrae et civitatum, quod minor pars sequatur maiorem in sententiis. Vgl. dazu Gierke a. a. O. Note 7, 20, 24 ff.
  61. Gierke a. a. O. Note 27, Zöpfl, RG. § 126 Note 90, 96 u. 97.
  62. Vgl. Grimm, Weisthümer Bd. I. S. 35, 76 § 11, 239 § 1, 279, 513, Bd. III. S. 411 u. 415. In all’ diesen Stellen handelt es sich um die Wahl von Beamten der Markgenossenschaften. Sie wurde mit Stimmenmehrheit vollzogen, wobei der Mehrheit insofern eine Macht über das Recht einer widersprechenden Minderheit eingeräumt wurde, als die Regel galt, dass die Minderheit der Mehrheit folgen solle. Dieselben Grundsätze bestanden für andere Beschlüsse in Markangelegenheiten. Vgl. insbesondere Ssp. Ldr. II. 55: svat so die burmester schept des dorpes vromen mit wilkore der merren menie der bure, dat ne mach die minre deil nicht wederreden. Dann das Weisthum von Nefftenbach: „was der merteil über einkompt, das soll der minderteil folgen“. Grimm a. a. O. Bd. I. S. 78, 533 u. 534, auch die Glamer Landessatzung von 1387: und sol der miner teil dem merenteil volgen. Gierke a. a. O. Bd. II. S. 230 Note 146 ff., S. 478 Note 8–10.
  63. Seeliger in der 2. Auflage von Waitz VG. Bd. VI. S.203.
  64. Dies nimmt jetzt Mayer und mit ihm Lindner an, und ich glaube mich ihnen anschliessen zu sollen. Vgl. dazu die Belege bei Lindner, Hergang etc. S. 28 ff. Dies bedeutet auch das Wort „irwelt“ im Ssp. Ldr. III. Art 57.
  65. Vgl. die Berichte über die Wahlen Heinrichs II., Conrads II. und Lothars III.
  66. Es ist bis 1198 zu keiner Doppelwahl gekommen. Immer unterwarfen sich die der Kur fernegebliebenen oder widerstrebenden Grossen schliesslich doch dem neuen Oberhaupte, so z. B. die Herzoge von Schwaben und Baiern dem Könige Heinrich I., die. Anhänger des jüngeren Conrad dem Könige Conrad II., Friedrich von Schwaben dem Könige Lothar III. Vgl. Waitz-Seeliger, VG. VI. Bd. S. 204.
  67. So schon die Briefe Hincmar’s von Rheims in der Patrologia latina Bd. 126. Sp. 269 u. 270. Aber auch späterhin wurde an dem Erfordernisse der Einmüthigkeit bei kirchlichen Wahlen festgehalten. Vgl. Zöpffl, Die Papstwahlen S. 50 ff., Mühlbacher, Die streitige Papstwahl des Jahres 1130, S. 149 ff., endlich Bresslau a. a. O. S. 138. Bis vor die Doppelwahl des Jahres 1130 wurde die Einhelligkeit der Papstwahl als unerlässliche Bedingung für die Giltigkeit der Wahl betrachtet. Der Widerspruch eines Cardinals genügte dazu, um die Erhebung eines Candidaten auf den päpstlichen Stuhl unmöglich zu machen. Seit 1130 lagen die Dinge anders. Zwar wünscht sogar noch die Decretale „Licet de vitanda“ Alexanders III. (1179) Einhelligkeit der Wahl; aber man näherte sich seit 1130 wie bei den andern kirchlichen Wahlen so auch bei der Papstwahl mehr und mehr dem Majoritätsprincip in der der Kirche eigenen Gestalt, indem auf das Stimmenverhältniss selbst weniger Gewicht gelegt wurde, als auf das Vorhandensein der sanior pars. Ueber die Einführung der eminenten Majorität vgl. unten S. 192 Note 2.
  68. Lindner, Hergang S. 9.
  69. So erwähnt uns Bresslau a. a. O. S. 134, dass bei der Wahl Clemens V., nachdem der Candidat 2/3 der Stimmen auf sich vereinigt hatte, auch die Minorität durch Access ihm zugestimmt hat, worauf dann die electio communis vorgenommen wurde. Ganz allgemein spricht Goffredus de Trano, c. 9: Nachdem das Scrutinium erfolgt war und bei der Collation der abgegebenen Stimmen ein Candidat die maior et sanior pars für sich hatte, so fragte die Majorität die Minorität, ob sie ihren Widerspruch aufgeben wolle; wenn ja, so würde die electio communis im Namen des ganzen Collegiums, sonst nur im Namen der Mehrheit vorgenommen werden. Vgl. dazu auch Guil. de Mandagotto, cap. 34 und die Decretalen c. 21 u. 31 X. I. 6, wo für die Erzielung der Einstimmigkeit unter den Compromissaren ausdrücklich der germanische Rechtsgedanke angewendet wird. – Vielleicht, dass das ganze Verfahren, das man schon im 14. Jahrhundert Access nannte, in seinen Anfängen mit der germanischen Auffassung zusammenhängt?
  70. Vgl. die Summen von Paucapalea, Rufinus und Stephan von Tournay zu den Distinctionen 62 ff.
  71. Gierke a. a. O. Bd. III. S.245 ff. 322 ff. Zuerst in der Summa des Bernardus von Pavia, edidit Laspeyres S. 7; dann auch bei Damasus (vgl. Schulte in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, Bd. 66. S. 150).
  72. Dieser Gedanke ist älter als die Reception der römischen Corporationslehre, er ist dem kirchlichen Rechte eigenthümlich. Zum erstenmale finde ich die ganze Lehre ausgesprochen bei {SperrSchrift|Rufinus|0.1}} im Anschlusse an ältere Stellen des decretum Gratiani. Weiter ausgestaltet bringt sie Stephan von Tournay; sie kehrt dann in etwas einfacherer Fassung bei Bernhard von Pavia, späterhin auch bei Huguccio wieder, und wurde so noch während des 13. Jahrhunderts vorgetragen. Vgl. übrigens auch Gierke a. a. O. Note 247.
  73. Vgl. den Titel „de electione et electi potestate“ in der Gregoriana.
  74. Gegenüber der herrschenden Lehre, dass durch die Bulle „Licet de vitanda“ die Zweidrittelmajorität eingeführt worden sei, hat Mühlbacher a. a. O. S. 171 dieser Decretale die Auslegung gegeben, dass die Worte „a duabus partibus“ auf zwei übereinstimmende Parteien zu deuten seien, deren Candidat dann gegenüber der dissentirenden Partei durchdringe, wobei freilich die zwei Theile die überwiegende Mehrheit bilden sollten. Diese Deutung, die die Bulle als eine Sanction, eine nachträgliche Legitimation der Wahl Alexanders III., aber zugleich als Norm für künftige Wahlen hinstellt, wurde jetzt auch von Langen, Geschichte der römischen Kirche von Gregor VII. bis Innocenz III. S. 540 aufgenommen. Ich halte sie jedoch nicht für richtig. Vgl. dazu schon die Bemerkung des Goffredus de Trano a. a. O. c. 13, wo bereits die Streitfrage ventilirt wird, ob der Gewählte in die „duae partes“ eingerechnet werden soll oder nicht. Dass „duae partes“ die Zweidrittelmajorität zu bedeuten haben, geht schon aus einer Stelle bei Ulpian und den sich daran anschliessenden Bemerkungen der Glossatoren hervor. Es ist dies 1. 3 D. 3. 4: „cum duae partes adessent aut amplius quam duae. Vgl. Gierke a. a. O. Bd. III. S. 221.
  75. Lorenz in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie Bd. 17. S. 181 ff., Schirrmacher, Entstehung des Kurfürstencollegiums S. 5 ff., Weiland in Forschungen zur deutschen Geschichte Bd. 20. S. 325 ff., endlich sehr ausführlich Harnack, Kurfürstencollegium S. 22 ff.
  76. Vgl. dazu v. Simson, Analecten zur Geschichte der deutschen Königswahlen S. 30 ff., der vermuthet, dass die Theorie Innocenz III., die er auf die Entscheidung des deutschen Thronstreites anzuwenden drohte und schliesslich wirklich anwandte, auf einem ganz bestimmten Canon beruhte, nämlich auf dem Schreiben Papst Leo I., das von dem Prüfungsrechte des Metropoliten bei zwiespältigen Bischofswahlen spricht, wobei schliesslich gegenüber dem Proteste der Reichspartei die Prüfung der Person des Gewählten vor jener der Wahl in den Vordergrund gestellt wurde. Vgl. zum Folgenden auch Seeliger in M. Bd. XVI. S. 80 ff. und Bresslau a. a. O. S. 140.
  77. MG. Const. Bd. II. S. 525 Z. 20 ff.
  78. Die Bezugnahme auf das Majoritätsprincip liegt in den Stellen: constat electionem de te maxime per pauciores de ipsis principibus excommunicatos … factam nullam penitus exstitisse (ebenda S. 529 Z. 17 ff.); nisi ei, qui a maiori et saniori parte praedictorum principum est electus (ebenda Z. 36); ferner: legitimam … celebratam a maiori parte ipsorum principum (ebenda S. 530 Z. 7); und: videlicet quod quando aliqui ad imperium in discordia principum eliguntur, sedes apostolica illum, qui electus est a parte maiori, … denunciat electum canonice (ebenda Z. 14 ff.); vgl. auch die kürzere wirklich abgesandte Fassung in MG. Epist. saec. XIII., Bd. III. S. 549, und das Schreiben an König Richard, ebenda S. 550.
  79. Vgl. dazu Redlich in M. Bd. X. S. 344 ff. und jetzt in der Neuausgabe der Regesta imperii Bd. VI/1. S. 4 ff.
  80. Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte, Bd. V. S. 268: „vota in alium unanimiter, vel quo maior inter nos numerus declinaverit, convertemus“. Beachtenswerth ist der Unterschied zwischen „declinare“ und „vota convertere“. Wenn die Mehrheit eine Person bestimmt, dann wollen sie alle auf dieselbe ihre Stimmen vereinigen. Vgl. oben S. 188 Note 2.
  81. Ebenda Bd. V. S. 268: „quod in electione R. r. sine captione qualibet erimus unanimes et concordes, ita tamen quod quemcunque tres ex nobis concordaverint, quartus sine contradictione qualibet sequetur eosdem.“
  82. Vgl. darüber Weiland im 20. Bande der Forschungen zur deutschen Geschichte S. 310 ff. und Redlich a. a. O. Dazu auch die Urkunde vom 15. Mai 1275 über das bayerische Kurrecht in Quellen und Erörterungen, Bd. V. S. 278, bezüglich deren Auslegung ich mich Redlich anschliesse.
  83. Ich möchte daher Schuster in M. Bd. III. S. 403 ff. nicht beipflichten, wenn er in der Stelle des Schwabenspiegels (Art. 130) einen der germanischen Auffassung fremden Gedanken erblickt, der zum erstenmale, schon in einem Schreiben Innocenz III. auftritt und von dort vielleicht in das Rechtsbuch Aufnahme gefunden hat. M. E. ist zwischen beiden Quellen ein tiefgehender Unterschied. Der Papst stützt sich, wie oben gezeigt wurde, auf das kirchliche Recht. Das Rechtsbuch hingegen wendet die alte germanische Vorstellung von der Bedeutung und dem Werthe der Stimmenmehrheit auf die Königswahl durch die Kurfürsten an. Darum ist es auch nicht richtig, wenn Rodenberg bei Gierke, Untersuchungen a. a. O. S. 57 Note 2 in der Stelle des Rechtsbuches nur eine Forderung des Spieglers und nicht die Wiedergabe geltenden Rechtes sieht. Ganz zu verwerfen ist die von Zöpfl in seiner Rechtsgeschichte Bd. II. S. 247 vorgetragene Ansicht.
  84. Urk. vom 2. August 1281, Nürnberg, bei Altmann und Bernheim a. a. O. S. 28. Vgl. Schröder, RG. 3. Aufl. S. 473 Note 40.
  85. Urk. 1287, März 27, Würzburg, bei Winkelmann, Acta imperii inedita. Bd. II. S. 123.
  86. Urk. vom 10. Octbr. 1285, bei Schöpflin, Alsatia diplomatica Bd. II. S. 34.
  87. Die undatirte Urkunde ist bei Altmann und Bernheim a. a. O. S. 27 abgedruckt. Richtiger Ansicht nach ist dieselbe in den December 1276 zu setzen. Vgl. darüber auch Redlich in M. Ergänzungsband IV. S. 135 und jetzt in den Regesta imperii zu Nr. 649, dessen Ansicht ich mich anschliesse.
  88. Kurfürstencollegium S. 62 Anm. 3.
  89. Siehe oben S. 196 Note 3.
  90. Hinschius Kirchenrecht Bd. III. S. 113 ff.
  91. So im Schreiben Papst Innocenz IV. an den König von Böhmen vom 21. April 1246: de imperatore provisum, oder im Schreiben Papst Alexander IV. an den Erzbischof von Mainz vom 28. Juli 1256: de advocato vel defensore … provideri. MG. Constitutiones Bd. II. S. 455 und Epist. saec. XIII., Bd. III. S. 399. Freilich kommt die Wendung wohl im Anschlusse an die kirchlichen Formularien auch in der Reichskanzlei in Gebrauch.
  92. Summa de electione et electi potestate c. 9.
  93. Vgl. zum Folgenden C. Müller, Der Kampf Ludwig des Bayern mit der römischen Curie. 2 Bde.
  94. So schon die Urban IV. vorgelegte Rechtsbelehrung: si … duo in discordia eligantur, vel alter electorum per potentiam obtinebit, vel ad praedictum comitem Palatinum, tamquam ad huiusmodi discordiae iudicem est recursus habendus, ni forsan super electione vel coronatione huiusmodi suborta discordia, per appellatiquem vel querelam praedictorum principum ad examen sedis apostolicae, quo casu ipsius est in tali causa cognitio, deferatur. MG. Constit. Bd. II. S. 525 i. f. Früher (1202) behaupteten die Wähler Philipps, dass ein Zwiespalt nur durch freiwillige Einigung der Wähler zu beseitigen sei, aber diese Worte richten sich hauptsächlich zur Abwehr gegen das Eingreifen des Papstes. Vgl. dazu auch die Erklärungen der Sachsenhauser Appellationsschrift von 1324 (s. S. 201 Note 3) und den Bericht des Nicolaus Minorita von 1338 (s. unten S. 205 Note 5).
  95. Riezler, Die litterarischen Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwig des Bayern, S. 17. Interessant ist der Vergleich zwischen dem Wortlaute des sog. ersten Processes gegen den Wittelsbacher (8. Octbr. 1323) und der Bulle vom 31. März 1317.
  96. Urk. 1323, Decbr. 16, Nürnberg, bei Ohlenschlager, Staatengeschichte. Anhang S. 84 ff.
  97. Urk. 1324, Mai 22, Sachsenhausen, ebenda S. 117. Ueber die Datirung vgl. Müller a. a. O. Bd. I. 358.
  98. So in der Sachsenhauser Appellation, indem er vom Papst sagt: iste autem … electionem de nobis factam non solum a maiori parte, immo a duabus partibus electorum … falso et mendaciter dicit esse in discordia celebratam. Und an einer andern Stelle sagt er: praeterea electione nostra a maiori parte immo a duabus partibus principum facta, et quae ex causis evidentibus et notoriis pro concordi debet haberi.
  99. Auf diesen Zusammenhang hat schon Müller a. a. O. Bd. I. S. 78 ff. und 359, Bd. II. S. 300a kurz hingewiesen.
  100. Ohlenschlager, Staatengeschichte S. 124 und oben S. 201 Note 4.
  101. Gierke, a. a. O. Bd. III. S. 419 ff., 502 ff., insbesondere S. 603. Vgl. dazu auch Harnack, Kurfürstencollegium S. 66 ff.
  102. Riezler a. a. O. § 3–13. Uns interessiren die Schriften Marsiglio’s von Padua: Defensor pacis (1324–1326) und De translatione imperii (nach 1324), dann von Lupold von Bebenburg: De iuribus regni et imperii (1338–1340), endlich von Wilhelm Occam: Super potestate summi pontificis octo quaestionum decisiones (nach 1339).
  103. So schreibt Marsilius von Padua im Defensor pacis I. Buch. c. 12 anknüpfend an Aristoteles das Gesetzgebungsrecht der „universitas civium aut eius pars valentdor“ zu und sagt, dass diese den ganzen Staat (totam universitatem) repräsentiren. Lupold von Bebenburg spricht bereits deutlich die repräsentative Stellung der Kurfürsten aus, indem er a. a. O. c. 5 im Anschluss an den Canon „Legimus“ der 93. Distinctio, wo von der Erwählung des Kaisers durch das Heer die Rede ist, behauptet: qui exercitus seu populus Romanus eo tempore repraesentavit totum populum Romano imperio subiectum; unde etiam facere poterat imperatorem. Sicut hodie principes electores ratione dictae institutionis populum huiusmodi repraesentant. Vgl. auch caput 6 eod. und bei Wilhelm Occam quaestio VIII. c. III.
  104. Während noch Hostiensis die Kurfürsten als „singuli“ wählen lässt, erklärt bereits Lupold von Bebenburg a. a. O. c. 6 und 12 die Kurfürsten als Corporation und sagt, dass sie „communiter“ wählen.
  105. Jordanus von Osnabrück kennt in seinem ca. 1285 geschriebenen Tractat „de praerogativa Romani imperii“ noch nicht das Majoritätsprincip. Dagegen hebt Marsilius von Padua bereits im Defensor pacis a. a. O. II. Buch, cap. 26, also zu einer Zeit, wo er noch nicht am Hofe Ludwigs sich aufhielt, die Möglichkeit einer Majoritätswahl hervor, indem er von den Kurfürsten Folgendes sagt: Ignorat N. (scil. Iohannes XXII.) ipse, quae sit electionis virtus et ratio et propter quid in valentiore parte debentium eligere consistat potestas ipsius. Auch Lupold von Bebenburg spricht sich für die Giltigkeit der Majoritätswahl aus und führt die zwingende Kraft des Majoritätsvotums, wie schon die Glosse zum Corpus iuris civilis, auf die ratio naturalis zurück (quia cum homines ex natura sint faciles ad dissentiendum, ut D. de arbit. 1. item si unius § principaliter, nisi staretur in factis universitatum maiori parti, nihil posset per universitates perfici vel finiri, quod esset absurdum). Dieser Satz des ius gentium sei aber auch vom ius canonicum und vom ius civile gebilligt und anerkannt worden und gelte daher auch für die Königswahl. Den Ausgangspunkt für seine ganze Untersuchung bildet die Doppelwahl von 1198 und die Decretale: Venerabilem.
  106. So schon, wie vorhin gezeigt wurde, die römischen Juristen Scaevola und Ulpian (1. 19 D. 50. 1, 1. 160 § 1 D. 50. 17), auf ihnen fussend die Mehrzahl der Legisten und auch Lupold von Bebenburg c. 6, anders die canonistische Auffassung, die die universitas als schlechthin willens- und handlungsunfähig erklärt, und daher auch im collectiven Wollen und Handeln der Mitglieder nur die Thätigkeit von Repräsentanten sieht. Gierke a. a. O. Bd. III. S. 153, 220, 308 ff. und 461 ff.
  107. c. 12: quando autem alius est electus a maiori parte principum, ut in casu nostro, nec in hoc incidit aliquod probabile dubium iuris vel etiam facti, non est dicenda talis electio discors, nec dicuntur vota principum dividi, sed potius electio huiusmodi dicitur iuris interpretatione concors. In c. 6 nennt er die Wahl Ludwigs quasi concors und erklärt ausdrücklich, dass wie der einmüthig, so auch der mit Majorität Gewählte den königlichen Namen führen und die Rechte eines Königs sofort ausüben dürfe.
  108. Urk. vom 6. Juni 1348, in Forschungen zur deutschen Geschichte, Bd. 15. S. 394. Vgl. auch Harnack a. a. O. S. 67, namentlich die Note 2 citirte Stelle und MG. Constitutiones Bd. II. S. 589 Pkt. 7 und S. 594 Pkt. 3–5.
  109. Urk. vom 16. Juli 1338 Rense, bei Altmannn und Bernheim a. a. O. S. 43.
  110. Urk. vom 3. August 1338 Frankfurt. Ebenda S. 44. Freilich wird in ihr die Möglichkeit einer Majoritätswahl nur vorausgesetzt, aber nicht reichsgesetzlich fixirt.
  111. Böhmer, Fontes rerum Germanicarum Bd. IV. S. 594 ff. Artikel II–IV. Es ist dies eine Privatarbeit, die soweit sie das deutsche Reichsrecht heranzieht, auf der Sachsenhauser Appellation und den Beschlüssen von Rense fusst.
  112. Müller a. a. O. Bd. II. S. 300a u. 337.
  113. Böhmer, Fontes Bd. IV. S. 253: tamquam electores principes maiorem partem facientes in E… in R. r. concordaverunt eligendum.
  114. Ebend. S. 267: maiorque pars principum qui similiter per sententiam declarati fuerint ius habere, ipsum absque omni symonia elegerint.
  115. Postquam autem in eodem loco ipsi vel pars eorum maior numero elegerit, talis electio perinde haberi et reputari debebit, ac si foret ab ipsis omnibus nomine discrepante concorditer celebrata.
  116. Die Auffassung der goldenen Bulle erhellt aus folgendem Satze: postquam autem in eodem loco ipsi vel pars eorum maior numero elegerit. Unter diesen „ipsi“ sind die „electores seu nuntii“ verstanden, die nach cap. 1 das Wahlrecht haben. Die vom Wahlrecht Ausgeschlossenen und daher auch die unvertreten Ausgebliebenen wurden nicht mitgezählt. Auch an anderer Stelle spricht die goldene Bulle immer nur von den in Frankfurt anwesenden oder vertretenen Kurfürsten.
  117. Vgl. oben S. 185.
  118. Zwiespältige Wahlen auszuschliessen, darin lag eine der Hauptaufgaben der goldenen Bulle. Dies bedeuten die Worte: ad electionem unanimem inducendam ac detestande divisioni … praecludendum (Einleitung zur goldenen Bulle). Diese „electio unanimis“ konnte aber auch eine Majoritätswahl sein. Vgl. Harnack a. a. O. S. 147 Note 3.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Auffasung