Der Eisbrecher

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Autor: Ferdinand Lindner
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Titel: Der Eisbrecher
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 864–866
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Eisbrecher.


Während früher die Elemente allein die Umgestaltungen auf der Erboberfläche besorgten, greift jetzt der Mensch selbst überall ein und macht sich jene Mächte mehr oder weniger dienstbar – unter denjenigen aber, welchen er noch ziemlich hülflos gegenüber steht, nimmt der Winter eine erste Stelle ein. Wenn die Aequinoctialstürme sein Nahen verkünden, zieht sich der Mensch zurück, ruft den ältesten Freund seiner Culturentwickelung, das Feuer, zu Hülfe und harrt in passivem Widerstande des Frühlings – der Verkehr schrumpft zusammen und alles Thun richtet sich nach den Launen jenes Despoten.

Ganz besonders scharf kommt der Eingriff des Winters in den Hafenstädten, namentlich an Flußmündungen zum Ausdruck. Wenn über Nacht die sonst von Fluth und Ebbe hin- und hergeschobenen Schollen zu einer festen Decke zusammengewachsen sind, dann ist es, als schritte ein gespenstiger Polizeidiener des Winters durch die Straßen und riefe in Häuser und Geschäfte ein gebieterisches „Feierabend!“ Sobald das Wasser „zu ist“, tritt aller Verkehr, welcher irgend mit der Schifffahrt zusammenhängt, im Comptoir des ersten Hauses wie im letzten Schnapsladen, in ein langsames Tempo, ja erlischt theilweise ganz – aber er erträgt solche Zwangspausen nur, wenn er durchaus muß, dieser unser nimmer rastender Verkehr, und neuerdings ist ihm erfreulicherweise eine siegreiche Waffe eben gegen die Vereisung der Wasserwege geworden – man erfand den Eisbrecher.

Innerhalb der Handelsmarine gab es wohl ab und zu Schiffe, welche sich besonders gut zu Fahrten durch Eis eigneten, allein Schiffe, die als solche nur dem Zwecke dienten, das Eis zu brechen, waren bisher vereinzelt nur in Nordamerika in Gebrauch – Räderdampfschiffe, die mit ihrem flach auflaufenden Vordersteven sich auf eine Eisdecke schoben, dieselbe durch ihr Gewicht zerbrachen und durch ihre Räder weiter zermalmten. Nunmehr hat aber in Hamburg deutscher Unternehmungs- und Erfindungsgeist einen Eisbrecher hergestellt, welcher weit schwierigeren Verhältnissen gegenüber trat, als sie in Nordamerika vorlagen. Auf der Elbe nämlich handelt es sich nicht um glatte Flächen, sondern das Eis besteht hier aus unter und über einander geschobenen und dann zusammengefrorenen Eismassen von oft zehn bis zwölf Fuß Dicke, welche sich zum Theil auf den flacheren Theilen des Fahrwassers und den Sandbänken

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Hamburger Eisbrecher auf der Elbe.
Nach der Natur aufgenommen von F. Lindner.

[866] festsetzen. Diesen Bedingungen gegenüber wäre einer der nordamerikanischen Eisbrecher völlig nutzlos.

Im Jahre 1871 war’s, da trat in Hamburg, unterm Drucke eines harten Winters, eine größere Anzahl von Männern zusammen, um Maßregeln für künftige Verhütung von Eissperrungen zu berathschlagen, und nach eingehenden Prüfungen des Projects wurde auf ein Concurrenzausschreiben hin dem als genialem Schiffsbau-Ingenieur weit auch über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus bekannten Ferdinand Steinhaus der Auftrag[1] zum Bau eines Eisbrechers ertheilt. Der Genannte, seit zwanzig Jahren Lehrer des Schiffbaues und Verfasser bekannter Werke über denselben, hatte namentlich Erfahrungen, welche er aus der Einführung der von ihm erbauten Schraubenbugsirböte auf der Schelde gesammelt, den Plänen zur Erbauung eines Eisbrechers zu Grunde gelegt, Plänen, welche das Resultat langjährigen Studiums bildeten.

Unter den Laien im Binnenlande namentlich herrscht allgemein die falsche Auffassung, als sei der Eisbrecher ein ungefähr in Form eines Rammschiffes gebautes Fahrzeug, das einschneidend in das Eis dringe und dieses spalte – bei solcher Construction würde der Eisbrecher aber beim ersten Stoße im Eise festsitzen.

Als Princip für die Construction ist vielmehr zunächst festgehalten, dem Eise überall rund und schrägliegend geformte Flächen entgegen zu stellen. Aus diesem Grunde ist auch der Vordersteven nach einer solchen Curve gebildet, um es dem Schiffe zu ermöglichen, etwas auf das Eis hinauf zu laufen und dann durch seine Schwere einen Durchbruch zu erzeugen. Eine wichtige Rolle spielt der Winkel, welchen die Curvenrinne des Stevens mit der Horizontale bildet, da das Schiff bei zu spitzem Winkel allzu weit auf das Eis hinauf laufen und darauf sitzen bleiben, bei zu stumpfem Winkel dagegen vom Eise abstoßen, in beiden Fällen eben darum seinen Zweck völlig verfehlen würde.

Aus demselben Grunde ist ferner die Maschine von 600 Pferdekräften so weit nach vorn gerückt, als es die Form des Schiffkörpers nur gestattet.

Das Schiff selbst ist als Schraubenschiff construirt, die innere Einrichtung sehr einfach: zwei Dampfkessel, von denen jeder einzelne vermöge seiner Größe nöthigenfalls allein die Maschine zu speisen im Stande wäre, zwischen ihnen und der Maschine ein quer durch das ganze Schiff sich erstreckender Kohlenraum, circa 100 Tonnen haltend und durch einen Tunnel mit dem Maschinenraume verbunden; hinter dem Maschinenraum die Logisräume der Besatzung, welche aus vierzehn Mann besteht, sechs zur Bedienung der Maschine, acht für das Deck. Die Capitainscajüte befindet sich auf Deck; ebendaselbst, ist einem erhöhten Deckhause, die Steuereinrichtung. Das Deck selbst ist, wie das ganze Schiff, von Eisen, und da alle Räume desselben durch Dampfheizung erwärmt werden, so ist auch das Deck stets warm und vor Glatteis geschützt.

Der Eisbrecher ist mit Wasserballasträumen versehen, wodurch sein Tiefgang hinten von 11 Fuß 6 Zoll englisch auf 16 Fuß 10 Zoll englisch gebracht werden kann; die Füllung respective Entleerung erfordert nur den kurzen Zeitraum von 10 Minuten, da Selbstentwässerungsröhren und kräftige Dampfpumpen hierfür vorhanden sind.

Im December 1871 war der Bau auf der Reiherstiegschiffswerfte vollendet; das Schiff hatte auf 130 Fuß englisch in der Länge, eine Breite von 82 Fuß englisch und ist der Mitte eine Tiefe von 16 Fuß 6 Zoll englisch. Der Preis betrug 190,000 Reichsmark.

Dieser so construirte Eisbrecher, dessen Abbildung den Artikel begleitet, hat sich ganz vorzüglich bewährt. Eine Eismasse von 8 bis 10 Fuß Dicke, ja zusammengeschobenes Eis bis 16 Fuß Dicke wird ohne Schwierigkeit beseitigt, Eis von 3 Fuß Dicke und überhaupt glattes Eis von jeder möglichen Stärke ohne bemerkenswerthen Aufenthalt durchbrochen. Einen Begriff von der Leistungsfähigkeit giebt die Thatsache, daß der Eisbrecher z. B. Eisschwierigkeiten binnen einer halben Stunde beseitigte, an deren Entfernung ungefähr 1000 Arbeiter eine Woche lang hätten arbeiten müssen. So hat der Eisbrecher ferner z. B. zwei deutsche Meilen feststehenden Eises in 5 Stunden fahrbar gemacht, sodaß 12 bis 16 Schiffe an die Stadt kommen konnten. Und bei dieser Thätigkeit bewegt sich das Schiff nicht nur frei im Eise nach allen Richtungen, sondern bugsirt noch zu gleicher Zeit.

Der Ausdruck „der Mensch im Kampfe mit den Elementen“ tritt kaum irgendwo in drastischerer und zugleich imposanterer Weise in die Erscheinung, als bei diesem Ankämpfen des Eisbrechers gegen die winterlichen Eismassen – vor dem Schiffe geht ein Donnern und Krachen her – mächtige Eisstücke bäumen auf und dazwischen quillt schäumend die dunkle Fluth hervor – dahinter wirbeln Strom und Schraube die geborstenen Schollen durch einander – weithin über den Strom aber, bis zum fernen linken und rechten Ufer, laufen blitzschnell die gesprengten Risse laut knatternd, als schalle Pelotonfeuer von allen Seiten herüber. Die Großartigkeit des Bildes wird noch erhöht, wenn eine stattliche Flotille von Schiffen dem Eisbrecher im freigewordenen Fahrwasser folgt.

Nach dem oben Gesagten braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, von welch eminenter Bedeutung ein Eisbrecher, welcher sich in solchem Grade bewährte, für den Handel einer Stadt wie Hamburg sein muß – eine Erfindung, welche es ermöglicht, daß selbst bei äußerst strengem Winter der Handel nicht einen Tag gehemmt wird, während er sonst oft Monate lang unterbrochen war. Der Hamburger Staat erkannte dies denn auch ungesäumt dadurch an, daß er den ersten Eisbrecher übernahm und zugleich einen neuen, noch stärkeren zum Preise von 275,000 Reichsmark erbauen ließ, da bei der Art des Dienstes Beschädigungen, namentlich Schraubenbrüche, leicht möglich sind und bei starkem Froste ein gleichzeitiges Durchbrechen elbaufwärts und -abwärts wünschenswerth schien.

Die Erfindung hatte nur einen Fehler: ihrer Nutzbarmachung in weiterer Ausdehnung stand die Kostspieligkeit des Baues hindernd im Wege, und diese war um so größer, als nicht nur Bau und Material in Rücksicht auf den Zweck besonders gediegen sein müssen, sondern auch der Betrieb sich dadurch erheblich vertheuert, daß die Schiffe sich im Sommer, Bugsirungen ausgenommen, nicht weiter verwerten lassen.

Dem gegenüber kam nun Ferdinand Steinhaus auf die Idee, Schiffe, welche zum Zweck von Baggerungsarbeiten erbaut wurden, in der Form von Eisbrechern herzustellen; durch die Ausführung dieser Idee erscheint das Problem, die Eisbrecher auch im Sommer zu verwenden, als vollkommen gelöst. Hiermit ist das bedenklichste Hinderniß für weitere Verbreitung der Eisbrecher in Wegfall gekommen und dem Handel und Verkehr eine Förderung gewährt, welche den schwer empfundenen winterlichen Stockungen gegenüber nicht hoch genug angeschlagen werden kann.

F. Lindner.
  1. Vorlage: „Anftrag“