Der Entenfang auf Sylt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: Th.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Entenfang auf Sylt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 124–126
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[124]
Der Entenfang auf Sylt.


Wir erwachten zum ersten Male auf Sylt, wir, d. h. eine kleine Jagdgesellschaft, welche die im Herbst dort hausenden Unmassen von Vögeln von Hamburg aus zu einem Streifzuge nach dem friesischen Eilande gelockt hatten. Auf das Herrlichste glänzten die Strahlen der aufsteigenden Sonne im Wattenmeere wider und wir eilten, uns nach der Südspitze der Insel zu begeben, welche heute den Schauplatz unserer Waidmannsthaten bilden sollte.

Hier betraten wir zuerst die öden Dünen, die sandigen Hügelketten, welche uns in ihrer eigenthümlichen Schönheit, wie ein Reisender sehr richtig sagt, trotz ihrer Kleinheit und ihres lockeren, beweglichen Inhalts an die Schweizer Alpen erinnern, mit denen sie besonders hinsichtlich der Formen und Farben manche Aehnlichkeit zeigen. Grabesstille bedeckt die Berge und Schluchten dieser Sandwelt, kein lebendes Wesen treffen wir hier an, kein Geräusch stört die Ruhe dieser Einöde, und nur von fern her dringen der Ruf einer Möve und das Brausen der Brandung zu unsern Ohren; nur dumpf hallt der von uns abgefeuerte Schuß von den locker zusammengefügten sandigen Hügelabfällen wieder: alles Leben scheint hier erstorben zu sein, und selbst die Spuren unserer Fußtritte verrathen nicht lange, daß hier ein Wanderer geweilt, denn gar bald sind sie von dem Winde verweht. Das einzige Grün, auf welchem unser Auge ausruhen kann, nachdem es ermüdet worden ist durch die im Sonnenstrahl glänzende weiße Sandmasse, bietet uns der dürftige Sandhafer dar.

Der düstere Eindruck, welchen diese Einöde unwillkürlich auf uns macht, wird jedoch gemildert, wenn wir unsere Blicke weiter schweifen lassen. Nach Osten hin überschauen wir das schmale, stille Wattenmeer, dessen flache Sandbänke nur wenig hervortreten und, in dunklen Farben schillernd, von dem blauen Meeresspiegel abstechen, während am Horizont Wasser und Himmel ineinander verschwimmen, sodaß Eines von dem Andern nicht zu unterscheiden ist. Westlich braust die freie, offene Nordsee und erglänzt im Wiederschein der untergehenden Sonne in allen matten Regenbogenfarben, bis sich der strahlenlose Sonnenkörper unsern Augen entzieht und das Meer von den zartesten Tinten nur noch angehaucht zu sein scheint. Wenn aber der Sturm über diese Flächen dahinsaust, dann erregt er nicht blos das schäumende Meer, sondern wirbelt auch den lockeren Dünensand hoch auf. Zwei in den brennendsten Farben glänzende, fast blendende Regenbogen spannten sich während des Sturmes, den zu beobachten wir Gelegenheit hatten, über den tiefschwarzen Himmel, mit welchem sich die aufgeregte Wassermasse vereinigen zu wollen schien. Woge auf Woge wälzte sich mit riesiger Schnelle heran, eine stürzte sich mit ihrem Schaumkopf über die andere, als ob sie nicht schnell genug den Strand in ihrem Strudel begraben könnten, bis sie sich endlich mit donnerndem Gedröhn am Lande brachen und uns mit ihrem weißen Salzschaum, welcher die ganze Luft erfüllte, benetzten. Bei solchen Sturmfluthen schützten nur die sandigen Dünen die Insel vor gänzlicher Ueberschwemmung; solche Sturmfluthen aber werden nach Ansicht der Bewohner doch noch einmal das ganze Eiland verschlingen, wie sie einzelne Theile desselben schon verschlungen haben.

So öde die schützenden Dünen sind, so belebt ist der Strand der Ostküste. Von dem hier herrschenden Leben und Treiben macht sich schwerlich Jemand einen Begriff, der dasselbe im Herbst nicht beobachtet hat. Die während dieser Jahreszeit hier lebenden Vögel können nicht nach Hunderttausenden, sondern nur nach Millionen geschätzt werden. Die fünf Meilen lange Küste ist auf wohl zehn Minuten Entfernung vom Lande mit unzähligen Massen von Enten und Gänsen besetzt, deren Gequak und Geschnatter, besonders des Abends, weithin vernehmbar ist. Wir haben uns öfters das Vergnügen gemacht, am Strande unsere Gewehre abzufeuern, um die Vögel aufzuscheuchen. Mit einem Geräusch, welches nur mit dem Sausen eines plötzlich sich erhebenden heftigen Windstoßes verglichen werden kann, erhob sich eine gewaltige Wolke von Vögeln, welche selbst in dieser Entfernung scheinbar noch einen Raum, wie das Alsterbassin in Hamburg, einnahm, und dennoch war zwischen diesen gewaltigen Vogelmassen nicht eine einzige Lücke zu bemerken, sie saßen noch ebenso dicht, wie vorher. Und trotz dieser Unmenge ist es doch kaum möglich, Enten und Gänse zu jagen, weil sie, allzu scheu und vorsichtig, sich nur äußerst selten dem Lande auf Schußweite nähern und außerdem noch durch den Schlick des Strandes geschützt sind, welcher es unmöglich macht, sich schußgerecht zu nähern, selbst wenn man es darauf ankommen läßt, sich bis an die Brust in’s Wasser zu begeben.

Wir hatten gleich am ersten Tage Gelegenheit, diese trügerische Schlickmasse mehr als genügend kennen zu lernen. Von verschiedenen Seiten waren wir ernstlich davor gewarnt worden, uns ohne Führer zu weit in’s Meer hinein zu wagen; was bedurfte es mehr, um uns zu dem Versuch zu veranlassen, uns wenn irgend möglich an die lockende Jagdbeute heranzuschleichen? Kaum aber hatten wir uns auf etwa hundert Schritt vom trockenen Land entfernt, in eine Tiefe, in welcher uns das Wasser kaum bis an die Waden reichte, als der Maler unserer Partie, der Zeichner der beigegebenen Abbildung, welcher die Spitze des Zuges bildete, plötzlich Halt machte. In der Meinung, daß er vielleicht ein besonderes Wild, vielleicht gar einen Seehund, entdeckt habe, folgten wir seinem Beispiele und standen wie angewurzelt, die Flinte fest angedrückt und den Finger am Hahn, jeden Augenblick zum Schuß bereit. Die Bewegungen des Künstlers belehrten uns aber bald eines Besseren. Er war in den Schlick gerathen und sank tiefer und tiefer ein, bis ihm endlich das Wasser bis an die Brust stand. Die Lage war für uns kritisch genug, aber trotz alledem brachen wir Andern doch in ein helles Gelächter aus, denn mit krampfhaft über dem Kopf gehaltenem Gewehr glich der Arme mit seinem grauen Ueberrock in der drolligsten Aehnlichkeit einer alten abgestorbenen Weide, deren einzig übrig gebliebener Ast als Wahrzeichen vergangener besserer Tage in die Luft hinausragt. Glücklicherweise waren wir in eine der minder tiefen und deshalb weniger gefährlichen Stellen gerathen, und so kam der eingesunkene Maler noch mit einem nicht gerade reinlichen Schwimmbad und unserm spöttischen Hohngelächter davon.

Außer den Enten und Gänsen ist der Strand aber auch von Hunderttausenden anderer Vögel bewohnt, deren Leben und Treiben zu beobachten das größte Vergnügen gewährt. Das Hin- und Herfliegen, Laufen und Schwimmen, das Rufen und Locken der verschiedenen Arten, das gellende Geschrei der alten und der eben erst flügge gewordenen jungen Möven, welche spielend die Luft durchschneiden und uns ihre herrlich schimmernde, weiße Brust in den verschiedensten Drehungen und Wendungen zukehren; der helle, wie kihwitt klingende Ruf der reizenden, rothschnäbligen Austernfischer, sowie das eigenthümlich sanfte, melancholische „Tüit“ der kleinen Strandläufer – all dieses lebendige und geschäftige Treiben am [125] Strande macht einen ungewöhnlichen Eindruck auf den Beschauer, welcher Sinn und Auge für die Vogelwelt hat. Um einen ungefähren Begriff davon zu geben, wie massenhaft alle diese Vögel dort vorkommen, will ich nur bemerken, daß einer unserer Gefährten auf einen einzigen Schuß einunddreißig Stück kleine Strandläufer erlegte, ungerechnet die, welche, uns noch sichtbar, weiter seewärts niederfielen und deren Zahl gewiß auch auf zwanzig angegeben werden darf. Der Schwarm, zwischen welchen der glückliche Jäger schoß, zählte eben nach Tausenden.

Vogelkoje auf der Insel Sylt.

Welchen Massen von Vögeln man aber auch längs der ganzen Ostküste begegnet, so wollen diese doch nichts besagen gegen den anziehendsten Punkt der ganzen Insel: die Umgebung der Vogelkoje. Hier, wo der Gebrauch des Feuergewehrs verboten ist, glauben sich die klugen Thiere sicher, und hier ist der ganze Strand, die ganze Schlickmasse, das ganze Meer mit Vögeln bedeckt. Hier, und nur hier, sieht man die Enten, zu Tausenden in einem Schwarm vereint, in schußgerechter Entfernung; hier trifft man alle oben genannten Vögel, mit alleiniger Ausnahme der Gänse, in unschätzbaren Massen an; hier begegnet man endlich auch nicht selten dem Seeadler und dem Habicht, welche Beide hier reichliche Nahrung finden und vor der gefahrdrohenden Waffe des Menschen gesichert sind.

Die Einrichtung der Vogelkoje selbst ist ebenso einfach wie sinnreich. Den Mittelpunkt derselben bildet ein ziemlich großer Süßwasserteich, welcher nach dem Meere hin durch einen Damm geschützt und nach der Landseite durch die Dünen begrenzt wird. Von diesem Teich zweigen sich nach den verschiedenen Himmelsgegenden vier Gräben ab, welche mit Netzen überspannt und vorn ziemlich breit sind, nach hinten aber sich immer mehr verengern. Längs dieser Gräben ziehen sich aus Weiden- und Schilfgeflecht errichtete fächerartige Wände, die es dem Wärter gestatten, hinter ihnen wegzugehen, ohne von den auf dem Wasser befindlichen Vögeln gesehen zu werden. Die ganze übrige Fläche ist dicht mit Buschwerk, verkrüppelten Weiden und Erlen, welche nur von wenigen schmalen Gängen durchschnitten werden, bepflanzt, sodaß der inmitten befindliche Teich ein lauschiges Plätzchen für die sich niederlassen wollenden Enten abgiebt und von diesen auch stets zu Tausenden besucht wird. Das beigegebene Bild überhebt mich, meiner Ansicht nach, jeder weiteren Erklärung.

Ein Besuch der Vogelkoje, zu welchem man, nebenbei bemerkt, nicht so leicht Erlaubniß erhält, ist wirklich der Mühe werth. Die wilde Umgebung, die alten grauen, verkümmerten Bäume, deren Aeste ein wirres Gestrüpp bilden, und die unheimliche Stille, welche in der Koje trotz der massenhaft aus- und einfliegenden Enten [126] herrscht, machen einen eigenthümlichen Eindruck auf den Beschauer. Hier wird kein Rollen eines Wagens vernommen, von den öden Dünen dringt kein Geräusch herüber und von einer Brandung des Meeres ist an der Ostküste nicht die Rede. Kein lautes Wort wird hier gewechselt, und selbst der uns beim Eintritt empfangende Hund des Entenfängers schlägt nicht an, sondern bleibt ebenso stumm wie sein Herr. Hier vernimmt man nichts, als den zeitweiligen Ruf eines Vogels und das durch Ab- und Zufliegen von Enten hervorgebrachte Geräusch. Das einzige Wort, welches wir von unserm Führer, dem alten Fänger, zu hören bekommen, ist das Gebot eines möglichst geräuschlosen Verhaltens. Hieraus giebt er uns einen Wink ihm zu folgen und zeigt uns den Fang.

Derselbe geschieht folgendermaßen. Der Wärter begiebt sich hinter die ihn verdeckende Wand mit einem Topf brennenden Torfs in der Hand, damit er von den Enten nicht gerochen werden kann, zu dem je nach dem herrschenden Wind die beste Ausbeute versprechenden Graben und wirft vor dessen Einmündung in den Teich etwas Futter in das Wasser. Dadurch gelockt kommen die abgerichteten und nicht flugfähigen Enten herbeigeschwommen und ziehen fast regelmäßig mehrere ihrer wild lebenden Schwestern zu deren Verderben mit sich nach der Nahrung verheißenden Stelle. Kaum haben diese sich aber in den breiten, unverdächtig aussehenden Graben bis zu der Stelle begeben, wo die Netze beginnen, so tritt der Fänger hinter der ihn verbergenden Wand hervor. Erschreckt fliegen die getäuschten Vögel empor, um sich der drohenden Gefahr durch die Flucht zu entziehen; doch das übergespannte Netz hemmt ihren Flug, und da auch der Rückzug nach dem offenen Teich durch den an der Mündung stehenden Mann scheinbar abgesperrt ist, suchen sie sich nach der andern Seite hin zu retten und schwimmen weiter und weiter in den immer dichter umsponnenen Graben hinein, bis sie endlich in den letzten engen Netzen festsitzen. Der Fänger hakt nun diese los, dreht den darin befindlichen Wildenten den Hals um und wirft sie in eine dazu bestimmte Hütte, wo sie ihren letzten Athem aushauchen. Die Zahl der auf solche Weise in Sylt gefangenen Enten mag sich täglich durchschnittlich auf vierhundert, jährlich auf dreißigtausend Stück belaufen, da der Fang nur während des Herbstes betrieben wird. Am einträglichsten ist derselbe bei stürmischem, trockenem Wetter, gegen welches die Enten auf dem Teiche Zuflucht suchen, während an regnerischen Tagen fast gar nichts gefangen wird. Die Vögel werden dann durch das Triefen der über die Gräben gespannten Netze auf letztere aufmerksam gemacht. Die für gewöhnlich in die Koje einfallenden Arten sind Krickenten, Pfeifenten und Spießenten, sonst auch die Stockenten und selten die Knäck- und Löffelenten. Die auf der Insel ziemlich häufig vorkommenden Brand- und nordischen Eiderenten sind, so viel ich in Erfahrung bringen konnte, nie in der Koje gesehen worden. –

Jagd, Fang und andere Freuden, sowie der Umgang mit den freundlichen und liebenswürdigen Bewohnern hatten uns allmählich den Aufenthalt auf der Insel sehr angenehm gemacht, da aber der Entenfang von Tag zu Tag schlechter ausfiel, so entschlossen wir uns zur Abreise und traten dieselbe in Gesellschaft eines Hamburger Kaufmanns und einer aus Zigeunern bestehenden Künstlergesellschaft an – um leider erst nach unendlichen Schwierigkeiten und Hindernissen wieder auf das Festland zu gelangen.
Th.