Der Gefangene von Schlüsselburg
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Eine sehr böse Zeit brach für Russland an, als der grosse Reformator von dem Schauplatz seiner reichen Tätigkeit durch den Tod abberufen worden war. Eine Zeit der Intrigue, der Palastrevolutionen, der Günstlingswirtschaft, der Sittenlosigkeit. Man denkt an die Zustände im Rom der späteren Kaiserzeit und Byzanz. Auf die Gemahlin Peters des Grossen, Katharina I. der Fürst Menschikow zum Thron verholfen hatte, der gleich der Kaiserin selbst aus dem niederen Volke hervorgegangen war, folgte der Enkel Peters des Grossen, der Sohn des unglücklichen Grossfürsten Alexei, Peter II, der von den Menschikows, dann nach deren Sturz von den Dolgorukis umgarnt wurde und bereits als 15jähriger Knabe 1730 an den Blattern verstarb. Damit war der Stamm Peters des Grossen in der männlichen Linie ausgestorben. Als Erben des Thrones kamen in Betracht der Sohn seiner ältesten Tochter Anna, Peter, Herzog von Holstein-Gottorp, und seine jüngste Tochter Elisabeth. Beide wurden von dem Hohen Geheimen Rat, den Katharina I. ins Leben gerufen hatte als eine obligatorische höchste Regierungsbehörde, übergangen. Dieser Rat, in dem die Dolgorukis mächtig waren, knüpften mit Anna, Herzogin von Kurland, der zweiten Tochter Iwan II., des Bruders Peters des Grossen, Unterhandlungen an und versprachen ihr den Thron, wenn sie auf die Autokratie verzichten wolle: sie musste versprechen, nichts ohne Willen des Geheimen Rats zu tun. Sie ging darauf ein, aber kaum zur Herrschaft gelangt, zerriss sie die Kapitulation und an die Stelle des Rats und seiner Mitglieder trat die Despotie ihres Günstlings Biron und die Fremdherrschaft der Ostermann und Münnich. Als sie ihren Tod herannahen fühlte, ernannte sie ihren Grossneffen Johann (russ.: Joann) Antonowitsch, den Grosssohn ihrer älteren Schwester Katharina von Mecklenburg-Schwerin, deren Tochter Anna den Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg geheiratet hatte, zum Nachfolger. Während seiner Minderjährigkeit, er war erst einige Monate alt, sollte Biron die Regentschaft führen. Das war 1740. Rechtmässiger Kaiser war also Johann von Braunschweig-Lüneburg als russischer Kaiser Joann III. Biron wurde aber von Münnich schon nach wenigen Wochen gestürzt und des Kaisers Mutter, Anna Leopoldowna, übernahm selbst die Regentschaft. Nur auf kurze Zeit allerdings. Eine Palastrevolution verhalf bereits im Dezember 1741 Peters jüngster Tochter Elisabeth zur Herrschaft und die Braunschweiger und ihr Anhang wanderten in die Verbannung. Vierundzwanzig Jahre blieb der entthronte unmündige Kaiser in dieser Verbannung, zuerst im Cholmogory im Gouvernement Archangel, seit 1756, wo wieder einmal ein von Preussen aus unterstützter Versuch zu seiner Befreiung unternommen werden sollte, im Staatsgefängnis von Schlüsselburg in der Nähe Petersburgs. Hier besuchte ihn nach dem Tode Elisabeths deren legitimer Nachfolger, ihr Schwestersohn Peter III., Herzog von Holstein-Gottorp, der bekanntlich selbst kaum ein Jahr regierte und bei der von seiner Gemahlin Katharina II., geborenen Sophie von Anhalt-Zerbst, angezettelten abermaligen Palastrevolution ermordet wurde. Diesen Besuch, der natürlich keinerlei politische Bedeutung hatte, schildert der russische Geschichtsmaler Fedor Burow in dem Gemälde, das unser Holzschnitt vervielfältigt. Es war wohl nur Neugier, die den Kaiser antrieb, bei einem Ausflug nach Schlüsselburg den machtlosen Kronprätendenten aufzusuchen. Die Herren in seinem Gefolge sind vermutlich die Generaladjutanten Baron Ungern und Fürst Galizyn, sowie der Kommandant der Festung Berednikow. Der Besuch fand wahrscheinlich am 22. März statt. Zwei Tage e darauf erhielt der wachthabende Offizier den kaiserlichen Befehl: „Da der Gefangene nach dem vorgestern stattgehabten Besuch leicht allerlei neue Gedanken fassen könnte, so haben Sie noch mehr als sonst auf die Reden und Faseleien des Gefangenen Acht zu geben und über neue oder besondere Umstände sofort Bericht zu erstatten. Die Berichte sind direkt an mich einzusenden. – Peter.“ Gerade drei Monate später war Peter III. selbst gestürzt. Der Gefangene von Schlüsselburg überlebte ihn um zwei Jahre.