Der Geiger zu Gmünd

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Textdaten
Autor: Justinus Kerner
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Titel: Der Geiger zu Gmünd
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aus: Erstdruck in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände am 9. Dezember 1816, S. 1177–1178
Herausgeber:
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Entstehungsdatum: 1816
Erscheinungsdatum: 1816
Verlag: Cotta
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Erstdruck im Faksimile bei Peter Spranger, Der Geiger von Gmünd, Schwäbisch Gmünd ²1991, S. 52–53 (Text erstellt durch Kollation mit dem E-Text der freiburger-anthologie nach Josef Gaismaier: Justinus Kerners sämtliche poetische Werke, Bd. 1. Hesse & Becker Verlag: 1905, S. 219–222)
Kurzbeschreibung: Legenden-Ballade aufgrund der Kümmernis-Legende
Siehe auch Schwäbisch Gmünd
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[1177] Der Geiger zu Gmünd.
               Eine Legende.

Einst ein Kirchlein sonder gleichen,
Noch ein Stein von ihm steht da,
Baute Gmünd der sangesreichen
Heiligen Cäcilia,
 

5
Lilien von Silber glänzten

Ob der Heil’gen mondenklar,
Hell wie Morgenroth bekränzten
Goldne Rosen den Altar.
 
Schuh’ aus reinem Gold geschlagen

10
Und von Silber hell ein Kleid

Hat die Heilige getragen:
Denn da war’s noch gute Zeit;
 
Zeit, wo überm fernen Meere,
Nicht nur in der Heimat Land,

15
Man der Gmünd’schen Künstler Ehre

Hell in Gold und Silber fand.
 
Und der fremden Pilger wallten
Zu Cäcilias Kirchlein viel;
Ungeseh’n woher, erschallten

20
Drin Gesang und Orgelspiel.

 
Einst ein Geiger kam gegangen,
Ach! den drückte große Noth,
Matte Beine, bleiche Wangen,
Und im Sack kein Geld, kein Brot!
 

25
Vor dem Bild hat er gesungen

Und gespielet all sein Leid,
Hat der Heil’gen Herz durchdrungen:
Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!
 
Lächelnd bückt das Bild sich nieder

30
Aus der lebenlosen Ruh,

Wirft dem armen Sohn der Lieder
Hin den rechten goldnen Schuh.
 
Nach des nächsten Goldschmids Hause
Eilt er, ganz vom Glück berauscht,

35
Singt und träumt vom besten Schmause,

Wenn der Schuh um Geld vertauscht.
 
Aber kaum den Schuh ersehen,
Führt der Goldschmid rauhen Ton,
Und zum Richter wird mit Schmähen

40
Wild geschleppt des Liedes Sohn.

 
Bald ist der Proceß geschlichtet,
Allen ist es offenbar,
Daß das Wunder nur erdichtet,
Er der frechste Räuber war.
 

45
Weh! du armer Sohn der Lieder

Sangest wohl den letzten Sang!
An dem Galgen auf und nieder
Sollst, ein Vogel, fliegen bang.
 
Hell ein Glöcklein hört man schallen

50
Und man sieht den schwarzen Zug

Mit dir zu der Stätte wallen,
Wo beginnen soll dein Flug.
 
Bußgesänge hört man singen
Nonnen und der Mönche Chor,

55
Aber hell auch hört man dringen

Geigentöne draus hervor.
 
Seine Geige mitzuführen,
War des Geigers letzte Bitt’:
„Wo so viele musiciren,

60
Musicir’ ich Geiger mit!“

 
[1178] An Cäcilias Kapelle
Jetzt der Zug vorüberkam,
Nach des offnen Kirchleins Schwelle
Geigt er recht in tiefem Gram.
 

65
Und wer kurz ihn noch gehasset,

Seufzt: „Das arme Geigerlein!“
„„Eins noch bitt’ ich – singt er – lasset
Mich zur Heilgen noch hinein!““
 
Man gewährt ihm, – vor dem Bilde

70
Geigt er abermals sein Leid,

Und er rührt die Himmlischmilde,
Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!
 
Lächelnd bückt das Bild sich nieder
Aus der lebenlosen Ruh,

75
Wirft dem armen Sohn der Lieder

Hin den zweyten goldnen Schuh.
 
Voll Erstaunen steht die Menge,
Und es sieht nun jeder Christ,
Wie der Mann der Volksgesänge

80
Selbst den Heil’gen theuer ist.

 
Schön geschmückt mit Bändern, Kränzen,
Wohl gestärkt mit Geld und Wein,
Führen sie zu Sang und Tänzen
In das Rathhaus ihn hinein.
 

85
Alle Unbill wird vergessen,

Schön zum Fest erhellt das Haus,
Und der Geiger ist gesessen
Obenan beym lust’gen Schmaus.
 
Aber als sie voll vom Weine,

90
Nimmt er seine Schuh zur Hand,

Wandert so im Mondenscheine
Lustig in ein andres Land.
 
Seitdem wird zu Gmünd empfangen
Liebreich jedes Geigerlein,

95
Kommt es noch so arm gegangen –

Und es muß getanzet seyn.
 
Drum auch hört man geigen, singen,
Tanzen dort ohn’ Unterlaß,
Und wem alle Saiten springen,

100
Klingt noch mit dem leeren Glas.

 
Und wenn bald ringsum verhallen
Becherklingeln, Tanz und Sang,
Wird zu Gmünd noch immer schallen
Selbst aus Trümmern lust’ger Klang.

                              Justinus Kerner.


Erläuterungen (Wikisource)

Vorlage der Ballade war die St. Kümmernislegende, hier auf einem Holzschnitt von Hans Burgkmair ca. 1507

Über diese Legenden-Ballade, die inzwischen Teil der Schwäbisch Gmünder Identität geworden ist, gibt es eine Monographie von Peter Spranger (Der Geiger von Gmünd, 2. Auflage Schwäbisch Gmünd 1991, UB Heidelberg).

Eine englische Übersetzung erschien in The Knickerbocker 1852 Google

In den Gedichten Kerners von 1829, S. 147–151 Google

Johann Burkhardt Rothacker, Süddeutschlands Sagen, Reutlingen 1837, S. 150–153 gibt den Text Kerners wieder Google

Textkritik

Die Werkausgabe von 1905 weist nur geringfügige orthografische Änderungen und solche der Interpunktion auf. Zeile 80 liest sie: der Heil’gen statt den Heil’gen.

Weblinks

Commons: Der Geiger zu Gmünd – Bilder, Videos und/oder Audiodateien