Der Jungfernkranz

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Textdaten
Autor: Heinrich Heine
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Titel: Der Jungfernkranz
Untertitel: Briefe aus Berlin, Nr.1
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1822
Erscheinungsdatum: 1827
Verlag: Hoffmann und Campe
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Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer:
Originaltitel: unbenannt
Originalsubtitel:
Originalherkunft: Reisebilder, Zweyter Theil, S. 299-308 [= Beginn des „Zweyten Briefes“ (von 3) in der Düsseldorfer Heine Ausgabe Bd.6,S.21-24]
Quelle: Heinrich-Heine-Portal und Commons
Kurzbeschreibung: Brief über musikalische Lärmbelästigung
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[299]
Berlin, den 1. März 1822.

Haben Sie noch nicht Maria von Weber’s „Freischütz“ gehört? Nein? Unglücklicher Mann! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper „das Lied der Brautjungfern“ oder „den Jungfernkranz“ gehört? Nein? Glücklicher Mann!

Wenn Sie vom Hallischen- nach dem Oranienburger-Thore, und vom Brandenburger- [300] nach dem Königs-Thore, ja selbst, wenn Sie vom Unterbaum nach dem Köpniker-Thore gehen, hören Sie jetzt immer und ewig dieselbe Melodie, das Lied aller Lieder – „den Jungfernkranz“.

Wie man in den Göthischen Elegien den armen Britten von dem „Marlborough s’en va-t-en guerre“ durch alle Länder verfolgt sieht, so werde auch ich von Morgens früh bis spät in die Nacht verfolgt durch das Lied:

Wir winden dir den Jungfernkranz
Mit veilchenblauer Seide;
Wir führen dich zu Spiel und Tanz,
Zu Lust und Hochzeitfreude.
 
 Chor:
Schöner, schöner, schöner, grüner Jungfernkranz,
Mit veilchenblauer Seide, mit veilchenblauer Seide!

[301]

Lavendel, Myrth’ und Thymian,
Das wächst in meinem Garten;
Wie lange bleibt der Freiersmann,
Ich kann ihn kaum erwarten!
 
 Chor:
Schöner, schöner, schöner, u. s. w.


Bin ich mit noch so guter Laune des Morgens aufgestanden, so wird doch gleich alle meine Heiterkeit fortgeärgert, wenn schon früh die Schuljugend, den „Jungfernkranz“ zwitschernd, meinem Fenster vorbeyzieht. Es dauert keine Stunde, und die Tochter meiner Wirthin steht auf mit ihrem „Jungfernkranz“. Ich höre meinen Barbier „den Jungfernkranz“ die Treppe heraufsingen. Die kleine Wäscherin kommt „mit Lavendel, Myrth’ und Thymian.“ So geht’s fort. Mein Kopf dröhnt. Ich kann’s nicht aushalten, eile aus dem Hause und werfe mich mit meinem Aerger in eine [302] Droschke. Gut, daß ich durch das Rädergerassel nicht singen höre. Bey ***li steig’ ich ab. Ist’s Fräulein zu sprechen? Der Diener läuft. Ja. Die Thüre fliegt auf. Die Holde sitzt am Pianoforte, und empfängt mich mit einem süßen:

„Wo bleibt der schmucke Freiersmann,
Ich kann ihn kaum erwarten.“ –

Sie singen wie ein Engel! ruf’ ich mit krampfhafter Freundlichkeit. „Ich will noch einmal von vorne anfangen“, lispelt die Gütige, und sie windet wieder ihren Jungfernkranz, und windet, und windet, bis ich selbst vor unsäglichen Qualen wie ein Wurm mich winde, bis ich vor Seelenangst ausrufe: „Hilf Samiel!“

Sie müssen wissen, so heißt der böse Feind im Freischützen; der Jäger Kaspar, der sich ihm ergeben hat, ruft in jeder Noth: „Hilf Samiel;“ es wurde hier Mode, in komischer Bedrängniß [303] diesen Ausruf zu gebrauchen, und Bouchér, der sich den Sokrates der Violinisten nennt, hat einst sogar im Concerte, als ihm eine Violinsaite sprang, laut ausgerufen: Hilf Samiel!

Und Samiel hilft. Die bestürzte Donna hält plötzlich ein mit dem rädernden Gesange, und lispelt: Was fehlt Ihnen? „Es ist pures Entzücken“ ächze ich mit forcirtem Lächeln. Sie sind krank, lispelt sie, gehen Sie nach dem Thiergarten, genießen sie das schene Wetter und beschauen sie die schene Welt. Ich greife nach Hut und Stock, küsse der Gnädigen die gnädige Hand, werfe ihr noch einen schmachtenden Passionsblick zu, stürze zur Thür hinaus, steige wieder in die erste beste Droschke, und rolle nach dem Brandenburger Thore. Ich steige aus und laufe hinein in den Thiergarten.

Ich rathe Ihnen, wenn Sie hierher kommen, so versäumen Sie nicht, an solchen schönen [304] Vorfrühlingstagen, um diese Zeit, um halb eins, in den Thiergarten zu gehen. Gehen Sie links hinein, und eilen Sie nach der Gegend, wo unserer seligen Louise von den Einwohnerinnen des Thiergartens ein kleines, einfaches Monument gesetzt ist. Dort pflegt unser König oft spatzieren zu gehen. Es ist eine schöne, edle, ehrfurchtgebietende Gestalt, die allen äußeren Prunk verschmäht. Er trägt fast immer einen scheinlos grauen Mantel, und einem Tölpel habe ich weiß gemacht: der König müsse sich oft mit dieser Kleidung etwas behelfen, weil sein Garderobemeister außer Landes wohnt und nur selten nach Berlin kömmt. Die schönen Königskinder sieht man ebenfalls zu dieser Zeit im Thiergarten, so wie auch den ganzen Hof und die allernobelste Noblesse. Die fremdartigen Gesichter sind Familien auswärtiger Gesandten. Ein oder zwey Livreebediente folgen den edeln Damen in einiger Entfernung. Officiere auf den schönsten Pferden galoppiren [305] vorbey. Ich habe selten schönere Pferde gesehen, als hier in Berlin. Ich weide meine Augen an dem Anblick der herrlichen Reutergestalten. Die Prinzen unseres Hauses sind darunter. Welch ein schönes, kräftiges Fürstengeschlecht! An diesem Stamme ist kein mißgestalteter, verwahrlos’ter Ast. In freudiger Lebensfülle, Muth und Hoheit auf den edeln Gesichtern, reiten dort die zwey ältern Königssöhne vorbey. Jene schöne, jugendliche Gestalt, mit frommen Gesichtszügen und liebeklaren Augen, ist der dritte Sohn des Königs, Prinz Karl. Aber jenes leuchtende, majestätische Frauenbild, das, mit einem buntglänzenden Gefolge, auf hohem Rosse vorbeyfliegt, das ist unsre – Alexandrine. Im braunen, festanliegenden Reitkleide, ein runder Hut mit Federn auf dem Haupte, und eine Gerte in der Hand, gleicht sie jenen ritterlichen Frauengestalten, die uns aus dem Zauberspiegel alter Mährchen so lieblich entgegenleuchten, und wovon wir nicht entscheiden [306] können, ob sie Heiligenbilder sind oder Amazonen. Ich glaube, der Anblick dieser reinen Züge hat mich besser gemacht; andächtige Gefühle durchschauern mich, ich höre Engelstimmen, unsichtbare Friedenspalmen fächeln, in meine Seele steigt ein großer Hymnus – da erklirren plötzlich schnarrende Harfensaiten, und eine Alteweiberstimme quäkt: „Wir winden dir den Jungfernkranz u. s. w.“

Und nun den ganzen Tag verläßt mich nicht das vermaledeite Lied. Die schönsten Momente verbittert es mir. Sogar wenn ich bey Tisch sitze, wird es mir vom Sänger Heinsius als Dessert vorgedudelt. Den ganzen Nachmittag werde ich mit „veilchenblauer Seide“ gewürgt. Dort wird der Jungfernkranz von einem Lahmen abgeorgelt, hier wird er von einem Blinden heruntergefidelt. Am Abend geht der Spuk erst recht los. Das ist ein Flöten, und ein Gröhlen, und ein Fistuliren, und ein Gurgeln, [307] und immer die alte Melodie. Das Kasparlied und der Jägerchor wird wohl dann und wann von einem illuminirten Studenten oder Fähndrich, zur Abwechselung, in das Gesumme hineingebrüllt, aber der Jungfernkranz ist permanent; wenn der Eine ihn beendigt hat, fängt ihn der Andere wieder von vorn an; aus allen Häusern klingt er mir entgegen; Jeder pfeift ihn mit eigenen Variationen; ja, ich glaube fast, die Hunde auf der Straße bellen ihn.

Wie ein zu Tode gehetzter Rehbock lege ich Abends mein Haupt auf den Schooß der schönsten Borussin; sie streichelt mir zärtlich das borstige Haar, lispelt mir ins Ohr: „Ich liebe dir, und deine Lawise wird dich ohch immer juht sint,“ und sie streichelt und hätschelt so lange, bis sie glaubt, daß ich am Einschlummern sey, und sie ergreift leise „die Katharre“ und spielt und singt „die Kravatte“ aus Tankred: „Nach so viel Leiden,“ und ich ruhe aus nach so vielen Leiden, und liebe [308] Bilder und Töne umgaukeln mich, – da weckt’s mich wieder gewaltsam aus meinen Träumen, und die Unglückselige singt: „Wir winden dir den Jungfernkranz“ –

In wahnsinniger Verzweiflung reiße ich mich los aus der lieblichsten Umarmung, eile die enge Treppe hinunter, fliege wie ein Sturmwind nach Hause, werfe mich knirschend ins Bett, höre noch die alte Köchin mit ihrem Jungfernkranze herumtrippeln, und hülle mich tiefer in die Decke.